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Rot

von

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Prolog

Die braunen Augen des Kommandanten lagen ruhig auf dem Schwert, das vor ihm am Tisch lag, Meredith's Schwert. Eine breite, spitz zulaufende Klinge mit massivem, gewickeltem Griff; gespeist von rotem Lyrium. Ein Loch prangte als Zierde an der Stelle einer Hohlkehle in der Schneide der Waffe und ein Knauf, der aussah wie ein verzerrtes Gesicht, befand sich am Ende des Schwertes.

Cullen's ehemalige Vorgesetzte war tot; gestorben durch die Hand des Champions von Kirkwall: Marian Hawke. Sie war eine aufmüpfige Magierin gewesen, abtrünnig, und hatte ihre blutbeschmierte Nase stets in Angelegenheiten hinein gesteckt, die sie nichts angingen. Zuletzt auch in die Katastrophe der Galgenburg, die hunderte Leben dahingerafft hatte.

Cullen fasste sich mit einer Hand an die Schläfe, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte, und er schlug die Augen entnervt nieder. Es war düster in seiner Schreibstube; lediglich die paar abgebrannten Kerzen, die auf seinem Tisch standen, erhellten den spartanisch eingerichteten Raum spärlich. Sie malten tanzende Schatten auf die Tischplatte und Wände und warfen einen warmen Schein auf das abgekämpfte Gesicht des Templers.

Meredith's Tod war nun etwa drei Vollmonde her und mittlerweile kehrte der Alltag wieder in den Zirkel ein. Der Schaden an der Festung war noch nicht zur Gänze wieder beseitigt; noch immer hingen manche Türen schief in ihren Angeln und Löcher im Mauerwerk erzählten von der Tragödie, die hier stattgefunden hatte. Doch die Leichen hatte man schon lange verbrannt und das ganze Blut war aufgewischt worden.

Dennoch sah der neue Kommandant der Galgenburg noch oft die verzerrten Gesichter und Leiber der Toten. Vor seinem geistigen Auge sah er wie Körper am Boden zerschmettert wurden oder in magischen Flammen aufgingen. Noch immer hallte das hysterische Schreien seiner damaligen Vorgesetzten in seinen Ohren wider.

Es waren Dinge, die ihn nachts oft nicht schlafen ließen. Dinge, die ihm fürchterliche Alpträume bescherten und mit spitzen Zähnen an ihm nagten, ihn bissen und ihn zu verschlingen drohten.

Er hatte geholfen die korrumpierte Meredith zu töten. Ja, er hatte das Schwert gegen sie erhoben und seine wenigen Männer hatten es ihm gleich getan, weil sie alle keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatten. Doch war das rechtens gewesen?
 

Cullen atmete tief durch, als er seine behandschuhten Finger von seiner Schläfe sinken und schlaff nach unten hingen ließ. Er fühlte sich so kraftlos.

Der Mann aus Ferelden glaubte mittlerweile, der Erbauer meinte es absolut nicht gut mit ihm. Denn sein ganzes Leben lang war es ihm bisher so erschienen, als wolle ihm diese hohe Entität, wenn sie denn überhaupt existierte, eine auswischen.

Zuerst hatte er die Misere in Kinloch Hold, dem Zirkel Fereldens, mit ansehen und erleiden müssen. Man hatte ihn in einem magischen Käfig gefangen gehalten und ihn gequält, ihm Bilder toter Freunde gezeigt und ihm schadenfroh zugeflüstert, dass ihn das selbe Schicksal ereilen würde. Uldred, der dreckige Maleficar, hatte ihn brechen wollen und es beinahe geschafft.

Ja, beinahe. Denn eine Graue Wächterin hatte ihn gerettet; Neria Surana.

Ha. Sie war nicht nur irgendeine Graue gewesen, sondern eine Frau, die er in früheren Zeiten gekannt und nahezu vergöttert hatte. Eine Magierin des Zirkels, auf die er ein Auge gehabt hatte, doch zu schüchtern gewesen war, um sie anzusprechen. Man hatte sie ihm entrissen und ihm erst wieder geschickt, als er am Boden gelegen hatte. Erdrückt von seinem Leid. Er hatte nicht wollen, dass Surana ihn so sieht; eingeschlossen, panisch, gebeutelt, auf allen Vieren weinend wie ein Schlosshund.

Doch was hätte er schon tun können? Nichts.

Der Erbauer hatte ihn an jenem Tag abfällig ausgelacht.

Surana war wieder verschwunden, um die Verderbnis zu bekämpfen und Cullen hatte ihr, einmal wieder, lange nachgetrauert. Doch er war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mit sich selbst klar gekommen; wie hätte er erwarten können mit jemand anderem, einem Mädchen, zurecht kommen zu können?
 

Der Templer hatte sich zurückgezogen damals. Er hatte sich, in der Hoffnung auf ein neues, schöneres Leben, nach Kirkwall versetzen lassen. Der Fereldener hatte Kinloch Hold und all die schlimmen Erinnerungen daran hinter sich lassen wollen, hatte die grausigen Dinge, die er im besetzten Zirkel gesehen hatte, irgendwo ganz weit in seinen Hinterkopf geschoben.

Und es hatte geklappt.

Er hatte sich in der Stadt der Ketten neu verliebt: in seine Arbeit. Sie hatte ihm Ablenkung geboten, Beschäftigung, einen Sinn. Cullen war zwischen all seinen Kumpanen in der Galgenburg hervorgestochen und hatte sich schnell hochgearbeitet. In nur kürzester Zeit war er zur Rechten Hand und einem Berater von Kommandantin Meredith selbst geworden. Und dieser hohe Rang hatte ihm gefallen; er hatte sich nicht überheblich in seinem Ruhm gesonnt, doch er hatte es genossen als zweitmächtigster Templer Kirkwalls zu gelten.

Und dann war seine Welt einmal mehr zusammen gebrochen.

Meredith war wahnsinnig geworden und er hatte dies zu spät erkannt. Ein verrückter Magier, ein Freund Hawkes namens Anders, hatte die örtliche Kirche in Schutt und Asche gelegt und hunderte Menschen getötet. Der rebellische Blonde, den Cullen aus Ferelden kannte, hatte damit einen Krieg losgetreten; einen Krieg zwischen Templern und Magiebegabten, der seinen fürchterlichen Anfang in Kirkwall's Zirkel gefunden hatte.

Oh.

So viele waren gestorben und Cullen hatte nichts dagegen tun können.

Er biss die Kiefer fest aufeinander und seine glasigen Augen wanderten. Der Templer stöhnte leise gequält und nur der eisige Wind, den man bis hier drin gähnen hörte, antwortete ihm.
 

Cullen hatte, als neu erwählter Kommandant der Templer der Stadt der Ketten, dafür sorgen wollen, dass wieder Ordnung einkehrte. Er hatte sich darum bemüht einen geregelten Ablauf herzustellen, damit alles wieder so würde wie vor der Misere rund um Meredith, Orsino und Hawke.

Für Außenstehende mochte es ja so wirken, als hätte er dieses Ziel erreicht, und vielleicht war es ja auch tatsächlich so: Die, die überlebt hatten, Templer und Magiebegabte, hatten zusammengehalten und sich wieder ihren Schicksalen oder Berufungen gefügt. Etwa siebzig Magier und etwas über hundert Ordensmitglieder behausten die Galgenburg heute; sie gingen hier ihrem Tagwerk nach, studierten, bewachten, reparierten. Es wirkte alles recht idyllisch. So idyllisch es eben sein konnte.

Doch in Cullen's Kopf war nichts in Ordnung. Nichts.

Er fand keine Ruhe, fühlte sich als Kommandant so fremd. Das hier war nicht das, was er wollte. Er wollte kein Leben, in dem er auf einem blutbefleckten Thron saß, der ihn stets daran erinnerte, wie markerschütternd seine ehemalige Vorgesetzte geschrien hatte.

An den Kopf hatte sie sich gefasst, als sie gellend gekreischt hatte. Mit rot glühenden Augen und verzogener Fratze war sie auf die Knie gefallen, hatte sich gewunden und hatte ihre Seele ausgehaucht. Und Cullen war mit schuld daran.

Die einzigen Überbleibsel Merediths waren heute eine grässliche Statue im Hof der Galgenburg und ihr Zweihandschwert, dass der aufgewühlte Cullen nach dem erbitterten Kampf mit fahrigen Fingern aufgehoben hatte. Er hatte den Griff der Waffe so fest umfasst, dass seine Knöchel unter den Plattenhandschuhen weiß hervorgetreten waren. Er hatte das rötlich leuchtende Schwert wegsperren wollen, verstecken, damit es niemand jemals mehr zu Gesicht bekäme; damit es keinen weiteren Schaden anrichten konnte.

Und er hatte getrauert, hatte zugelassen, dass Hawke floh.

Was hätte er denn sonst auch tun sollen? Den Champion einfangen und ihn in den zerstörten Zellentrakt pferchen? Irgendwo in eine Ecke, vor der das Schloss in der schief hängenden Gittertür noch funktionierte?

Blödsinn.

Es war schon gut so, wie es gekommen war. Denn seit der Katastrophe hatte der Kommandant nichts mehr von der kurzhaarigen Magierin mit dem Blutstreifen im Gesicht gehört. Womöglich hatte sie Kirkwall verlassen und ihren Terroristen Anders mit sich genommen.

Die besagte Frau war gewitzt, man würde sie nur mit Mühe und Not finden können.

Doch wollte Cullen das überhaupt? Er wollte ja nicht einmal seinen Posten als Kommandant der Templer. Es war ihm alles zu viel. Viel zu viel. All die schlimmen Erinnerungen, die an jeder Ecke des Zirkels auf ihn lauerten; die Verantwortung, die ihm schwer auf den Schultern lastete und ihn in die Knie zwingen wollte... ach, er konnte einfach nicht mehr.
 

Sich in seinem Stuhl wieder nach vorne lehnend, stützte der Kurzhaarige die Ellbogen am Tisch ab und legte seine Stirn gegen seine gefalteten Hände. Er schloss die braunen Augen, als er tief durch die Nase ausatmete und lauschte.

Ein leises Sirren drang an seine Ohren heran. Es war zu einem gewohnten Laut für ihn geworden und gehörte dem Schwert, das vor ihm lag. Leise flüsterte es schon seit Wochen zu ihm und lullte ihn ein. Es war schleichend gekommen und Cullen hatte anfangs geglaubt er fantasiere. Doch der Gesang der großen Waffe war nicht geschwunden, im Gegenteil: Er war immer präsenter, drängender geworden. Und der wankelmütige Krieger hatte Gefallen daran gefunden; die Melodie war so schön. Es schien so, als wolle die Waffe damit sein rasendes Gemüt und seine wirren Gedanken besänftigen. Der Mann hatte sich gar schon dabei ertappt schneller und besser einschlafen zu können, wenn das Schwert bei ihm im Schlafgemach lag. Und daher trug er es seit Meredith's Tod ständig bei sich; er hatte sein Schild und Langschwert damit ersetzt und es fiel ihm überraschend leicht die wispernde Klinge zu schwingen. Es war ihm, als wiege sie kaum so viel wie einer seiner Plattenhandschuhe.

Es war großartig.

Cullen würde das Zweihandschwert, sein Schwert, nicht mehr aus den rauen Händen geben.

Eiswind

Der Fereldener fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe, fühlte dabei die Narbe an der rechten Seite eben dieser. Er hatte sich damals, im Kampf gegen seine wahnsinnige Vorgesetzte in Kirkwall, eine grässliche Wunde über seinem Mundwinkel zugezogen und diese war nie zur Gänze verheilt. Dickes, helles Narbengewebe prangte dort nun und erzählte davon, dass die Oberlippe des ehemaligen Kommandanten der Templer der Stadt der Ketten, einmal weit und blutend aufgeklafft hatte.

Er hatte die verrückte Meredith damals festgesetzt. Von hinten im Schach gehalten hatte er sie, damit Hawke ihr das Leben nehmen konnte. Und dabei hatte sich die Langhaarige gewehrt, gefuchtelt, geschrien. Ihr Schwert, Cullen's Schwert, hatte ihn zuvor gestreift, denn er hatte jenem nicht schnell genug ausweichen könne, und er hatte geblutet wie ein Schwein.

Sie hatte ihn lange gestört, diese Verletzung. Die Narbe störte nach wie vor; und gerade daher hatte er sich den Tick angewöhnt sich die trockene Lippe mit der Zungenspitze zu befühlen. Gerade dann, wenn er nervös war oder niemand zu ihm hin sah, tat er das.

Die Lederstiefel des Mannes traten schwer in den knöchelhohen Schnee in der Wildnis kurz vor Haven. Etwa ein, zwei Tagesmärsche war seine Armee noch von diesem Kaff entfernt und dies trieb ihm ein wölfisches Grinsen ins Gesicht.

Oh, alleine der Gedanke daran diesem selbsternannten „Herold Andrastes“ den Schädel zu spalten, ließ ungeduldige Vorfreude in ihm aufwallen. Er würde den Kult, der sich als neue Inquisition bezeichnete, sehr bald vernichten und wieder für Ordnung im gebeutelten Thedas sorgen.
 

Vor wenigen Wochen hatte es eine große Konklave gegeben, in der sich die Obersten der Magier und Templer getroffen hatten, um Frieden auszuhandeln. Selbst die Göttliche Justinia war vor Ort gewesen. Doch die ganze Sache war aus den Rudern gelaufen und eskaliert. Irgendein verrückter Terrorist hatte den Tempel der heiligen Asche, den Versammlungsort der Anführer der Fronten, in Schutt und Asche gelegt. Er hatte eine Bresche in den Schleier geschlagen, die sich zum Glück wieder geschlossen hatte; doch seitdem klafften unzählige Risse zum Nichts in ganz Thedas auf. Ausgerechnet ein verdammter Magier war dies gewesen, natürlich, immer waren es die Magier. Vermutlich ein Nacheiferer von Anders' Taten; als einzigen Überlebenden hatte man diesen Abtrünnigen in den Trümmern des Tempels aufgelesen, zwischen Brandleichen und Schutt, und Ketzer betitelten den abtrünnigen Kerl nun als Verkünder des heiligen Wortes Andrastes.

Beim Erbauer, am liebsten hätte Cullen verächtlich ausgespuckt und abfällig gelacht.

Der besagte Magiebegabte hatte die Göttliche ermordet und die Leute verehrten ihn dafür? Es war die reinste Blasphemie!

Hinterfragte denn niemand das Geschehene?

Kam es denn niemandem dieser Heiden seltsam vor, dass der sogenannte Herold die Explosion der Konklave als einziger überlebt hatte? In was für einer Welt lebten die Leute denn? Etwa in einer, in der die Allgemeinheit irgendeinen Kult feierte, der das Leben der Obersten der Kirche auf dem Gewissen hatte? Cullen hätte es ja nicht gewundert, wenn hinter der ganzen Sache Blutmagie steckte. Vermutlich war dieser Herold ein Maleficar aus Tevinter.

Oh, beim weichen Haar Andrastes!
 

Cullen schüttelte den Kopf leicht, als er seinen Weg fortsetzte, der ihn zwischen zahlreichen Zelten hindurch führte. Zu seinen Seiten wurden die beigefarbenen Leinenzelte vom eisigen, heulenden Wind durchgeschüttelt und kleine Schneeflocken fielen auf sie hernieder wie Puderzucker. Die sternenlose Nacht hatte sich auf die hohen Bergkuppen gelegt und nur der tanzende, orangene Schein der Öllaternen oder Fackeln des riesigen Templerlagers beschrieb dem großen Mann aus Ferelden den Weg. Seine Rüstungsteile schepperten leise bei jedem Schritt und die Scheide seines Schwertes klapperte gegen seinen Waffengürtel. Klapp-klapp.

Hier und da standen die roten Soldaten herum, hielten Wache oder rieben sich die kalten Hände an Lagerfeuern. Leise sprachen sie miteinander oder löffelten hungrig die grässliche, graue Pampe, die der Feldkoch heute zubereitet hatte. Wenn die Krieger Cullen sahen, grüßten sie ihn soldatisch mit hervorgestoßenem „General!“, doch er winkte bloß ab. Manche erhoben sich, wenn sie saßen, und salutierten sogar. Denn der Krieger war der Zweitmächtigste des neuen Ordens der Roten Templer. Direkt nach Corypheus befehligte er tausende und abertausende treue Gefolgsleute und dies stets mit einem schiefen Grinsen im blassen Gesicht mit der markanten, noch fahleren, Narbe.

Er wusste dass er mächtig war und dies präsentierte er auch nach außen hin: Ein roter, golden bestickter Mantel zierte seinen Körper, ein dunkles, zotteliges und rotbraun meliertes Fell seine Schultern; Plattenrüstungsteile, gespickt mit rot glimmenden Steinen, und das Zweihandschwert, das ihm von der armen Meredith geblieben war, zeichneten ihn als tonangebenden Soldaten aus. Unter einem Arm trug er einen stählernen Helm mit sich; einen Helm mit langer Mähne, der anmutete wie ein Löwenkopf mit zum Angriff aufgerissenem Maul.

Der Löwe war der König. Auch Cullen war hier einer. Seine Ausrüstung, die man ihm hatte zukommen lassen, stellte ihn also mehr als nur zufrieden.
 

Mit dem Winterwind im aufbauschendem, schweren Überwurf marschierte der Blonde weiter, mit knirschendem Schnee unter den Sohlen hielt er auf sein großes Zelt zu, das mit Bannern seines Ordens behangen war.

Einer seiner 'Soldaten' kniete in dessen Nähe. Ein buckliges Wesen in rot, mit verwachsenen Lyriumgewächsen am grausigen Rücken und mit verzerrtem Gesicht, das noch ganz entfernt daran erinnern konnte, dass dieser Koloss einst ein Mensch gewesen war. Klauenbewehrte Pranken lagen ruhig vor ihm am Grund und sein purpurner Brustkorb, in welchen eine Templer-Brustplatte eingewachsen war, senkte und hob sich unter seiner rasselnden Atmung. Die Fratze mit den schiefen Zähnen und den eingefallenen, glotzenden Augen, starrte Cullen ausdruckslos entgegen, als er kam. Doch der General würdigte das Albtraumwesen keines Blickes. Es war nichts Besonderes, dass es sich in der Nähe seiner Lagerstelle aufhielt, denn es war hier, um ihn im Schlaf zu schützen. Größer als zwei Mannshöhen erhob sich der rote, geifernde Lyriumgolem in den finsteren Himmel und umwirbelt von Schneeflocken beobachtete er, wie sein General das Zelt betrat, nachdem er eines der rot-schwarz-goldenen Templerbanner in dessen Eingangsbereich fort geschoben hatte.

Cullen hörte den Koloss schnarren, als er seinen Helm im Zelt ablegte, doch störte sich nicht daran. Er vernahm die schwere, stoßweise Atmung des Wesens, doch dies war er mittlerweile gewohnt.
 

Das Zelt des angesehenen Generals der Roten war so groß, dass er darin stehen konnte. Ein Schreibtisch befand sich darin, mit einer Kriegskarte und einigen Holzfiguren darauf. Sie diente zur Strategiebildung und Planung des Kampfes. Etwas, in dem der verschlagene Cullen äußerst bewandert war. Von klein auf war er ein passionierter Schachspieler gewesen, hatte es geliebt immer mehrere Züge im Voraus zu denken und alle Schritte des Gegners vorherzusehen. Seine Schwester Mia hatte ihm Schach beigebracht und im Alter von acht Jahren hatte er bereits alle seine Familienmitglieder darin besiegen können. Selbst seinen Vater. Später, da hatte er dann lebende Personen statt geschnitzter Figuren bekämpft. Der Stratege war zu einem erstklassigen Kriegsführer geworden, der nun die riesigen Armeen Corypheus' bereicherte und anführte.

Er konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem man ihm, einem gebrochenen Mann, einen Hauptmann der Roten in die Oberstadt Kirkwalls geschickt hatte.

„Überlegt es Euch, Rutherford.“, hatte der blasse Templer, der vor Cullen gestanden hatte, gemeint und der ehemalige Kommandant der annullierten Galgenburg hatte seinen matten Augen nicht trauen können. Carroll hieß jener, der ihn damals angeworben hatte, und er verstärkte mit seinen Splittergruppen auch jetzt das große Heer, das über die Berge gegen Haven marschieren sollte. Er war ein alter Bekannter des Fereldeners aus Honnleath und ihm heute ein wichtiger Berater.
 

„Wie ist die Lage, Hauptmann?“, fragte Cullen den etwas kleineren Kerl, der an dem Kriegstisch im Zelt stand. Mit beiden Händen stützte jener sich auf der Tischplatte ab und betrachtete die vielen Figuren darauf.

„Gut, General“, antwortete Carroll mit fester Stimme und hob seinen Kopf, um dem Blonden Aufmerksamkeit zu schenken „Haven ist winzig, Samson's Truppenstärke dort kaum nennenswert. Ich rechne damit, dass wir kaum eine Stunde brauchen werden, um den Kult zu überrennen und das Dorf dem Erdboden gleich zu machen. Alles wird zu Corypheus' Zufriedenheit geschehen.“

„Gut.“, antwortete Cullen trocken und stellte sein leise wisperndes Schwert in den hölzernen Waffenständer in einer der Zeltecken. Es protestierte. Der General löste sich die ledernen Schnallen seiner Brustplatte und sah dabei etwas entnervt zu dem anderen Anwesenden hin. Dieser bemerkte den Seitenblick aus den leicht geröteten Augen sofort und erstarrte kurz.

„Kann ich etwas für Euch tun?“, hakte Carroll nahezu kleinlaut nach und knetete sich nervös die Hände.

„Gehen. Das könnt Ihr“, sagte der Blondhaarige mit gesenkter, kühler Stimme, die eine gewisse Drohung in sich trug. Er hatte sich heute bereits mit genug Kriegern seiner Reihen herumschlagen müssen; einer davon war an einer Überdosis des roten Lyriums gestorben. Elendiglich verreckt war er und niemand hatte etwas dagegen tun können. Er hatte sich vor die Füße Cullens übergeben und sich gekrümmt; geheult und geschrien wie ein Mädchen hatte er. Widerlich.

Eine weitere Soldatin hatte ihr Zelt und dessen Inhalt, mitsamt einem Kollegen, in alle Einzelteile zerlegt. Sie war dem roten Lyrium nicht gewachsen gewesen und vollends durchgedreht, als sie eine ganze Phiole von der Essenz geschluckt hatte. Sie hatte befürchtet nicht stark genug zu sein, um in Haven kämpfen zu können und zu viel Lyrium hatte ihr den Rest gegeben. Närrin. Cullen hatte ihr höchstpersönlich den wirren Kopf abgeschlagen.

„Ruhe schaffen und ihr misstrauen“, sagte Carroll zum Abschied, legte sich dabei sich kurz verneigend eine Hand an die Brust und wendete sich dann mit scheppernder, schwerer Rüstung zum gehen.

„Friede durch Krieg“, entgegnete ihm der Andere beiläufig.

Als Carroll das große Zelt mit scheppernder Rüstung verließ, sah ihm der Fereldener nicht hinterher.
 

Der eisige Wind gähnte noch immer vor dem Zelt, als sich Cullen in seinen Sessel vor dem massiven Schreibtisch sinken ließ. Seine abschätzigen, blutunterlaufenen Augen lagen ruhig auf der Landkarte darauf. Der Mann stützte seine Ellbogen auf den Tisch und ließ den bedächtigen Blick schweifen. Das Keuchen des Lyriumgolems draußen begleitete ihn leise.

Es dauerte eine Weile, bis die wackelige Aufmerksamkeit des Generals auf eine kleine Schatulle fiel, die am Rande seiner Ablage lag. Er fischte nach ihr, lehnte sich in seinem bequem gepolsterten Sessel zurück und klappte das Holzkästchen in seinen kalten Händen auf. Fünf Phiolen befanden sich darin; drei davon waren gefüllt mit einer rötlich schimmernden Flüssigkeit. Rotes Lyrium. Die Essenz, die den Templern ihre Kräfte verlieh; und besonders diese rot glimmende Variante dieses verflüssigten Metalls tat dies in einem unwirklich hohen Ausmaß.

Ein nahezu liebevoller Ausdruck schlich sich auf das unrasierte Gesicht des Soldaten, als er die schmalen Glasphiolen betrachtete.

Der damalige Templerorden war töricht gewesen das rote Lyrium nicht viel, viel früher eingesetzt zu haben. Damit, ja, damit hätte man die Magierrebellion im Keim ersticken können. Es war traurig, dass es erst so weit hatte kommen müssen, dass ein wahnsinniger Abtrünniger die Göttliche tötete.

War Kirkwall denn nicht Grund genug gewesen die Zirkel zu annullieren und dieses dreckige Magiervolk abzuschlachten?

Hatte es denn nicht gereicht, dass Hawke's ach so lieber Freund eine Katastrophe angerichtet hatte, die Hunderte nicht überlebt hatten??

Cullen's Kiefer mahlten und er spürte, wie haltloser Zorn seine Eingeweide verknotete. Er knurrte ein paar leise, unverständliche Worte und fuhr sich mit der Zunge über die Narbe an seiner Oberlippe. Der Griff um die Holzschatulle in seinen Händen verstärkte sich und seine Finger erzitterten etwas, als er versuchte, Herr über den tosenden Zorn in seiner flauen Magengegend zu werden.

Seit einigen Wochen schon reagierte er oftmals auf Banalitäten absolut übertrieben, war cholerisch geworden. Das hatte jedenfalls Carroll erzählt; andere der Roten und Anwärter hätten dies einander zugeflüstert.

Diese Idioten. Sie nahmen die Misere Thedas' einfach nicht ernst genug, taten die heftigen Launen ihres erfahrenen Generals als übertrieben ab. Doch irgendwann, ja, irgendwann würden sie sehen, dass er noch viel zu ruhig auf vergangene Katastrophen, die Risse im Schleier und den Herold reagierte. Diese Stümper hatten nicht gesehen was er gesehen hatte. Sie hatten nicht erlebt, was er über sich hatte ergehen lassen müssen. Doch sie würden schon noch sehen. Irgendwann würden auch sie auf die Schnauze fallen und dann würden sie ihren wissenden Vorgesetzten verstehen, nicht wahr?
 

Die braunen Augen des Templers lagen ruhig auf den lyriumbefüllten Phiolen und nun nahm er sich eine davon mit spitzen Fingern, während er die restlichen zusammen mit der geschnitzten Schatulle fort stellte. Cullen betrachtete die zähe Flüssigkeit in dem verkorkten Gläschen und befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. Der schwache, rote Schein des Lyriums fiel auf sein Gesicht und gab seiner kränklich-blassen Haut etwas Farbe. Das Licht spiegelte sich in den tiefliegenden Augen des Generals wieder, lockte und schnurrte zwischen seinen Fingerspitzen. Und Cullen lechzte nach der roten Essenz wie ein Verdurstender nach Wasser.

Man hatte ihn während seiner langen Templerausbildung, die er als Junge angetreten hatte, lyriumsüchtig gemacht. Damals hatte er nur eine Phiole in der Woche gebraucht, um seine Antimagie wirken zu können, doch mit den Jahren hatte sich dies gesteigert. Nicht rasend, doch trügerisch langsam. Binnen mehr als zwei Jahrzehnten hatte sich seine beißende Sucht so weit verschlimmert, dass er am Ende jeden Tag Lyrium hatte trinken müssen. Sieben Phiolen der blauen Flüssigkeit für sieben Tage. Hatte er dies nicht getan und bloß ein, zwei Tage ausgelassen, so hatten ihn stechende Kopfschmerzen ereilt, Schwindel, unaushaltbare Nervosität und Übelkeit.

Das Lyrium hatte ihm Kraft verliehen; eine Macht, deren Preis nur gerecht war. Denn was war die nagende Abhängigkeit von dem besagten Metall schon gegen die herausragenden, manazehrenden Fähigkeiten, die sie einem verlieh? Etwas, das er sich auch gedacht hatte, als er den Roten Templern beigetreten war.

Die Zirkel Thedas' waren gefallen und er damit ein degradierter Mann gewesen; ein ehemaliger Kommandant eines Ordens, der nicht mehr existierte.

Hatte er geglaubt.

Doch in Wirklichkeit hatten sich viele Templer, auf der Suche nach einem neuen Sinn, zusammengerottet, um für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen. Für Ruhe und Frieden durch den Tod der wahnsinnigen, überheblichen Magiebegabten Thedas'. Unter der Führung des großen Corypheus' wollten sie nun wieder das Gleichgewicht im Land herstellen und dies mithilfe von rotem Lyrium und Blutvergießen.

Das rote Metall war... anders als die blaue Form. Aggressiver, mächtiger, lauter. Es schenkte den Kriegern unvorstellbare Kräfte; jeder, der es trank entwickelte binnen Tagen Mächte, die man nicht mit Worten beschreiben konnte. Und Cullen wusste das nur zu gut.

Ein dreckiges Grinsen kitzelte die Mundwinkel des Mannes, als er die Glasphiole mit den Zähnen entkorkte und den kleinen Korken daraufhin beiläufig wieder ausspuckte. Er setzte die singende Flüssigkeit an seine aufgesprungenen Lippen und kippte sie sich mit einem Mal in den Rachen.
 

Das Lyrium schmeckte bitter auf der Zunge des Generals und brannte wie hochprozentiger, gepanschter Schnaps. Wie sengendes Feuer kroch es ihm zähflüssig die Kehle hinab und benetzte sie, scharrte daran und suchte sich blitzschnell einen Weg in die korrumpierten, kreischenden Blutbahnen des Templers.

Cullen presste die Kiefer gewaltsam aufeinander und verkniff sich krampfhaft ein Husten. Sein schmerzender Hals rebellierte und er krümmte den Rücken leicht, als er sich die Fingerspitzen an den Mund legte. Ein Auge kniff der Mann zusammen, dann stieß er ein überfordertes Keuchen aus. Rasselnd atmete er ein und spürte, wie ihn die Kraft der Lyriums schubartig erfüllte. Ein Adrenalinstoß jagte einen heftigen Ruck durch seinen Körper und brachte sein Herz zum rasen; es fühlte sich gar so an, als wolle es ihm die Rippen brechen.

Cullen's Blickfeld wurde enger und sein Hören dumpf; er vernahm nurmehr den eigenen, schnellen Pulsschlag in den sensiblen Ohren und das tiefe Heulen des Windes vor dem Zelt. Seine braunen Augen waren glasig und sein Atem schwer; er stieß ein zorniges Knurren aus und ruckartig holte er aus, um die Holzfiguren vor sich vom Kriegstisch zu schleudern, als hasste er sie aus tiefstem Herzen. Mit einem barschen Armhieb tat er dies und mit einem verärgerten Laut auf den wunden Lippen. Der Fereldener erhob sich abrupt und ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Und noch einmal schlug er voller Wut zu. Direkt auf die breite Tischplatte. Er hörte am Rande, wie seine kleine Lyriumschatulle von deren Kante fiel, doch in diesem prekären Moment war ihm dies einerlei. Gerade, da lenkte das verderbte Lyrium ihn. Das tat es immer direkt nachdem er es zu sich genommen hatte. Es war so, als hielt sein sterblicher Körper die unnatürliche Macht der Essenz nicht aus und daher suchte sich die überschüssige, angriffslustige Energie barsch einen Weg nach draußen. Gewalt wurde zum Ventil.

Cullen fuhr herum und warf seinen Stuhl um, mit rasendem Zorn in den schmalen Augen und stoßweise gehendem Atem. Er setzte dem noch einen Tritt hinterher und sah wie Holz splitterte.
 

Die Reaktion des gewaltbereiten Mannes auf die rote Essenz, die er getrunken hatte, war milde im Vergleich zu seinen ersten Erfahrungen damit. Damals, als er sie die erste Phiole des roten Lyriums zu sich genommen hatte, war er regelrecht Amok gelaufen. Die anderen Templer, fünf an der Zahl, hatten ihn am Boden halten müssen, wie einen wild gewordenen Mabari. Er hatte geschrien, geflucht und wild um sich geschlagen. Er hatte nach seinen besorgten Kollegen getreten und sich gewunden; sich schließlich übergeben müssen und dann war er kollabiert.

Eine ganze Phiole des neuen Lyriums war für ihn also zu viel gewesen und jeder seiner Leute hatte erleichtert aufgeatmet, als er diesen anaphylaktischen Schock mit Mühe und Not überlebt hatte.

Daraufhin hatte der Kurzhaarige seine rote Lyriumdosis halbiert; er hatte klein angefangen und sich nur jeden zweiten Tag eine halbe Ration des Giftes in den protestierenden Rachen gekippt. Sehr schnell, rasend schnell, hatte sich sein Körper jedoch an das Lyrium gewöhnt und nach mehr davon gebettelt. Heute, da war er wieder so weit eine ganze Phiole am Tag zu brauchen und sehr bald würde ihm auch dies nicht mehr ausreichen.
 

Cullen hielt inne; ein, zwei Wimpernschläge lang.

Er fiel Momente später erst auf die Knie, dann auf alle Viere. Schweiß stand ihm auf der Stirn und klebte ihm ein paar verirrte, kurze Haarsträhnen ins Gesicht. Seine zitternden Hände waren nach wie vor geballt und wie frustriert schlug er mit einer davon auf den harten Grund. Ein weiterer, missgestimmter Laut verließ dabei seine heisere Kehle.

Dann war es still. Nur noch der Eiswind gähnte durch die Bergkämme vor Haven.

Haven

Sie waren kurz vor Sonnenuntergang losmarschiert. Ungewöhnlich, möchte man meinen, doch durchaus sinnig, wenn man wusste, was die Roten Templer vorhatten: Sie wollten Haven überrennen und dies unvorhergesehen, bei tiefster Nacht. Der Überraschungsmoment und die Dunkelheit wären auf ihrer Seite, auf Cullen’s Seite. Ein schiefes Lächeln kitzelte die Mundwinkel des Generals der Roten, der durch den knöchelhohen Schnee stapfte; sein Blick war starr nach vorn gerichtet, stets dem Ziel entgegen. Sein Atem ging schwer, denn der Aufstieg über den Bergpass gen Haven war nicht einfach. Immer wieder drohte man am Eis auszurutschen oder über Steine, die unter der frischen Schneedecke verborgen lagen, zu stolpern; man musste vorsichtig sein. Zudem erschwerte einen der starke Wind den Marsch und peitschte einem dicke Schneeflocken entgegen. Der Sturm gähnte, bog die Fichten ringsum bedrohlich weit gen Boden. Doch die Armee ließ sich davon nicht aufhalten, nein. Sie waren Rote Templer, die Elite. Ihre Leben lang waren sie zu eisernen Kämpfern ausgebildet worden, zu beinharten Überlebenskünstlern und Bollwerken gegen schädliche Magie. Von klein auf schon schwangen sie ihre Waffen und standen für die Ordnung, waren früher ein hoch angesehener Orden gewesen. Früher, bevor nach Kirkwall alles eskaliert war und ihr Ruf damit begonnen hatte zu wanken. Oh, Cullen erinnerte sich nur zu gut daran!

Zuerst, da hatten die verdammten Magier einen Aufstand angezettelt und viele von ihnen waren geflohen, um von ihrer Rebellion zu berichten. Cullen verzog einen Mundwinkel leicht bei dem Gedanken und spuckte angewidert aus.

Und dann-

Dann war die Moral der Templer am Boden gewesen und nach den verfluchten Magiern waren auch viele von ihnen abtrünnig geworden; zu Raubrittern, Söldnern und dergleichen. Zum niedersten Dreck, zu Abschaum.

Die Zirkel waren gefallen. Alle Loyalen waren nur mehr hübsche Andenken an bessere Tage gewesen: Nutzlose, staubige Statuen in verlassenen Türmen. Ihr Kampfgeist war geschwunden, sie hatten sich am Ende mit hängenden Schultern aufgelöst. Dies, bis sich Corypheus erhoben und ihnen einen neuen Weg gezeigt hatte. Gesegnet sei er, denn durch ihn hatte der Templerorden nun wieder eine Perspektive und neue Ziele. Corypheus hatte sie alle an die fahrigen Hände genommen und ihnen Bestimmung verliehen, riesengroße Macht. Sie könnten wieder zu dem werden, was sie einmal dargestellt hatten, dessen war sich Cullen sicher. Nein, sie könnten zu viel mehr werden!

Doch zunächst müsste man den verabscheuungswürdigen Rest der Rebellion niederschlagen; die Abtrünnigen und die heillosen Ketzer, die sich 'Inquisition' schimpften. Oh ja, Cullen würde den sogenannten Herold höchstpersönlich töten. Und wenn er bei dem Versuch draufgehen sollte, der widerwärtige Heuchler würde ihm folgen!

Und genau mit diesem Gedanken marschierte die Armee nun über die schneeverwehten Berge: Rote Soldaten, Golems, anderweitig Veränderte, denen rote Kristalle aus den Körpern ragten; und an ihrer Spitze der General mit seiner Rechten Hand, Hauptmann Carroll. Sie nutzten den Schutz der Nacht, um unbemerkt nah an Haven heran zu kommen. Bei Tag hätte man den Heerzug schon weit eher gesehen.

Es war eine absolut hinterhältige und dreckige Kriegsführung. Kein Mann von Ehre marschierte bei mondloser Dunkelheit, um seinen Feind zu überraschen... und normalerweise hätte auch Cullen davon abgesehen, denn natürlich besaß er einen gewissen Stolz. Sehr viel davon sogar. Doch es ging um den Herold. Dieser Bastard bildete eine ganz kleine Ausnahme im strategischen Denken des Roten Kriegstreibers. Er war es nicht würdig die Gelegenheit dazu zu bekommen seine Armee am offenen Feld gegen die Corypheus‘ zu stellen. Dreck wie er gehörte zertreten, ohne jegliche Vorwarnung. Denn der Magier war eine unerwünschte Kakerlake im Weltbild Cullens. Einmal davon abgesehen, dass die ‚Inquisition‘ wohl kaum ein Bataillon besaß. Soweit die Späher der Roten hatten ausmachen können, verfügte Haven bloß über eine Handvoll Soldaten und Dorfwachen. Es waren nicht viel mehr als fünfzig. Cullen würde diese paar Narren zerschlagen wie einen Schwarm lästiger Fliegen.
 

Der General mit dem Löwenhelm auf dem Kopf hob die Hand in einer stummen Aufforderung an, mahnend. Es war eine Geste, die zum Stehenbleiben aufrufen sollte und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Dreihundert Mann in Cullen’s Rücken hielten inne. Ihre zuvor noch klappernden Rüstungen verstummten und es wurde totenstill. Einmal wieder war es nur der Eiswind, der die Szenerie hörbar begleitete. Es war dem kalten Sturm zu verdanken, dass sie es so weit geschafft hatten, ohne bemerkt zu werden.

Cullen trat noch ein, zwei Schritte weit vor und schürzte die haselnussbraunen, blutrot unterlaufenen Augen etwas, verengte sie, um besser sehen zu können.

Haven. Es lag direkt vor ihnen. Wenn sie schnell gehen würden, wären sie in weniger als einer dreiviertel Stunde da.

Ein großes Feuer tanzte inmitten des Dorfes und die Menschen, die sich darum herum versammelt hatten, sahen von hier aus wie Ameisen.

Welch eine Freude es sein würde diese Insekten zu zerquetschen!

Aufgeregte Vorfreude breitete sich in der Magengegend des Roten Templers aus, Cullen musste unweigerlich dunkel grinsen.

Heute Nacht, da würde der Herold sterben.
 

In Haven einzudringen war ein Kinderspiel. Die Defensive des kleinen Dorfes inmitten der Berge war viel zu schwach, die Roten deutlich in der Überzahl. Erhobenen Hauptes passierte Cullen soeben das Holztor der Siedlung, sein schweres Schwert in der Hand und mit einem starren, finsteren Ausdruck im Gesicht. Anfangs, da hatten sich die Ketzer Havens noch gewehrt. Soldaten waren Cullen und seinen Männern entgegen gelaufen; mit Kriegsschreien auf den blassen Lippen, doch haltloser Angst im Blick. Sie waren gestorben. Viele von ihnen gar unter den weiten Schwerthieben des Generals der Armee selbst. Er hatte sie fortgeweht und zerschnitten, als bestünden sie aus Papier, und das Rote Lyrium hatte ihm dabei Beistand geleistet. Das flüssige Metall pulsierte durch seine Adern und machte ihn den Schmerzen gegenüber nahezu taub. Cullen fühlte sich übermächtig, unbesiegbar; absolut hochmütig sah er um sich und wirkte zu gelassen für die Wunden, die er am Körper trug: Ein Mann hatte ihm in einem unachtsamen Moment einen kurzen Dolch in die Seite gerammt und war dafür elendig verreckt. Ein brennender Pfeil hatte den Schwertarm des Generals gestreift und der raue Fereldener hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Der Kriegshammer eines Inquisitionssoldaten hatte ihn am Knie getroffen - Cullen hinkte kein Stück.

Oh, du süßes Rotes Lyrium...

Grimmig-zufrieden schnaubte der Krieger als er sah, wie seine Leute in das Dorf einfielen. Manche kamen gar über die Zäune geklettert und stürzten sich auf kreischende Frauen und Männer. Selbst Kinder blieben nicht verschont und gingen unter den massigen Waffen der Roten und den dicken Pranken der Golems zu Boden wie kleine Puppen aus Porzellan. Blut tränkte den matschigen Grund, es roch nach Tod und Kampf; es gefiel Cullen, denn hierfür lebte er.

Gellende Schreie durchbrachen die Nacht, Soldaten stoben durch orientierungslose Zivilisten hindurch. Mabaris kläfften und jaulten und der Schwingenschlag des Drachen begleitete all dies. Ja, Drache. Corypheus war hier und hatte sein Haustier mitgebracht. Warum der große Anführer anwesend war, wusste der pflichtbewusste General nicht, denn er und seine Soldaten kämen auch allein gut zurecht. Doch er stellte die Entscheidung Corypheus' nicht infrage - warum auch? Denn der Glorreiche war groß, er war weise. Nur ein Tor hätte das nicht erkannt.

Wo Corypheus gerade genau war, war schwer zu sagen. Denn dieser Mann war immer überall und nirgendwo, sein Denken undurchschaubar.

Cullen war es gerade aber auch einerlei wer wo war, solange jeder alles gab die Ketzer unter dem Herold, sowie Haven, dem Erdboden gleichzumachen. Und er selbst... er selbst lechzte nach dem Tod des durchtriebenen Magiers, der die hier ansässigen Rebellen und Lügner anführte.

Ja, wo war er?

Wo war der Herold??

Cullen rümpfte die Nase angewidert, als er an den verpönten Abtrünnigen, dieses atheistische Schandmaul, dachte. Er hatte zu jenem zwar kein genaues Bild im Kopf, wusste nicht wie dieser Kerl aussah, doch das, was der Rote Templer wusste, genügte. Man sagte, der Heide habe ein grünes Mal auf seiner linken Hand, mit dem er Dämonen beschwören konnte. Es war so, als sei der Magier selbst ein Riss, durch den widerwärtige Kreaturen in diese Welt gelangen konnten. Schreckenswesen wie die, die Cullen früher, viel, viel früher, beinah zu Tode gepeinigt hatten. Dämonen und Schattenwesen, sie hatten Uldred gehorcht.

Ein zorniger Laut verließ die raue Kehle des Kriegers mit dem zotteligen Löwenhelm.

Der Herold war weitaus gefährlicher und schlimmer als all die Maleficare aus Kinloch Hold zusammen. Er müsste beseitigt werden, koste es was es wolle!
 

Als der hochrangige General den Anführer der Ketzer fand, war jener umringt von Roten Templern. Unweit der Dorfmitte drängte sich der Magier mit dem Rücken voran an die Holzplanken eines großen Triborks und wirkte ziemlich aufgescheucht. Zurecht, denn er schien allein zu sein. Offenbar war er von seinen 'Freunden' getrennt worden oder jene waren bereits tot. Aber es war Cullen so und so einerlei...

Abfällig lächelnd schritt der Soldat im roten Mantel auf den schneebedeckten Platz; Schneeflocken wehten ihm entgegen. Im Hintergrund tobte noch immer der Kampf und die verheißungsvolle Nacht war erfüllt von lauten Schreien und dem Klirren von Metall, dem Reißen von Fleisch und den Scheppern von dicken Rüstungen. Golems brüllten, schwere Stiefel traten auf matschigen Grund. Und mittendrin waren sie beide. Er, der Löwe, und seine Beute, der kleine Herold, das Lamm.

Die anderen Roten hatten Cullen bemerkt und daher innegehalten. Sie wirkten noch kampfbereit, hatten ihre Waffen nicht gesenkt, doch sie wussten um das Verlangen, das ihren Befehlshaber antrieb: Die Gier danach das verdorbene Blut des sogenannten Herolds zu vergießen. Und sie ahnten auch, was geschehen könnte, würde man dem angesehenen General dies nehmen, indem man ihm nicht den Vortritt ließ. Daher kuschten sie; Bogenschützen, Krieger, Schatten. Selbst der Lyriumgolem am Platz rund um das Tribork wich von dem Magier mit der grünlich funkelnden Hand zurück und lenkte seinen Blick aus milchig weißen Augen röchelnd zu Cullen hin. Überall toste der Lärm. Doch in diesem heiklen Augenblick schien es hier und jetzt totenstill zu sein. Lediglich die Rüstungsteile des Fereldeners klapperten leise beim Gehen und der Neuschnee knirschte unter seinen Sohlen; er lachte knapp und kühl.

„Herold!“, entkam es ihm auffordernd und seine Stimme hallte heiser über den Platz. Der angerufene Magier zuckte abrupt zusammen und sah her, wie ein ertappter Dieb. Welch ein unspektakulärer Anblick; Cullen hatte geglaubt, dieser Stümper sei größer. Stattdessen stand hier ein einfacher Abtrünniger in braun-rotem Stoffgewand; mit schlichten Arm- und Beinschienen aus Leder und einem alten Mantel mit Fuchspelzkragen. Unter dessen schwerer Lodenkapuze fielen hier und da lange, straßenköterblonde Strähnen hervor; die unrasierte Wange zierte eine Wunde. Ein Schwertschnitt? Womöglich. Er blutete stark. Die Miene des blonden Mannes - oder das, was man der verhüllenden Kopfbedeckung wegen ausmachen konnte - war verzerrt, und er sichtlich aufgescheucht. Er antwortete Cullen, der sich noch weiter nähere, nicht.

Recht gelassen ging der Krieger auf den Drecksmagier zu, nahm sich dabei den Helm vom Kopf und ließ das Rüstungsteil lieblos in den Schnee fallen, denn er bräuchte es nicht. KLONK. Eine klare Demonstration von Stärke und die Botschaft war klar: ‚Du kannst mir nichts anhaben, ich brauche keinen Schutz‘. Grimmige Zufriedenheit spiegelte sich in dem Ausdruck des Roten Templers wider und trieb ein wölfisches Funkeln in seine dunkel untermalten Augen.

„Endlich...“, wisperte er leise, wirkte ein wenig aufgeregt, als spräche er mit sich selbst.

Ja, endlich war die Zeit gekommen. Noch heute Nacht würde man ihn, Cullen Rutherford, als den Schlächter der Heiden feiern. Corypheus würde zufrieden sein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Phinxie
2016-05-18T11:54:41+00:00 18.05.2016 13:54
Cullen dieser Badass xD
Aber ich mag ihn so... ich finde es super, dass er irgendwo doch noch an seinen Glaubensgrundsätzen anhält und alles gerade nur so dreht und wendet, wie es ihm passt... das macht das ganze authentisch und wirkt nicht zu weit hergegriffen :D
Ich freue mich schon wahnsinnig auf das nächste Kapitel <333
Antwort von:  Crevan
18.05.2016 14:08
Awww danke TAT
Es ist nicht so leicht ihn so verdreht zu tippen, aber es macht Spaß! Im Moment hab ich nur so ne vage Vorstellung wies weitergehen soll, aber ich werd gucken, dass ich schnell weiterschreibe :'D
Von:  Phinxie
2015-01-15T18:39:10+00:00 15.01.2015 19:39
Wie du das Schwert beschrieben hast *Gänsehaut haben* Vor allem die Vorstellung des verzerrten Gesicht am Schwertknauf... Wundervoll *A*

Uuuuuuund ich freue mich schon richtig auf die nächsten Kapitel <3
Die werden klasse <3
Antwort von:  Crevan
15.01.2015 20:46
Das "Gesicht" des Schwertknaufs wird dich in deinen Albträumen verfolgen! D; *gruselmusik*
Antwort von:  Phinxie
15.01.2015 20:49
*bibber*
Und dabei bin ich so schreckhaft :O
Hab die Melodie von "The Call" als Klingelton und rate mal, was passiert ist, als ein Kumpel auf die witzige Idee gekommen ist, mich um Mitternacht anzurufen... Man, ich hab einen halben Herzinfarkt bekommen x'D

Wird Cullen das Gesicht auch verfolgen? Das wäre richtig gut, solche scheußlichen Albträume mit diesem Gesicht... *Licht ausmach und Gruselmusik weiter aufdreh*
Antwort von:  Crevan
15.01.2015 21:53
Uh... o:
DAS is ne super Idee! Auf die wär ich garnicht gekommen... aber ja, ich glaube, ich werd die Fratze mal in nen Traum von unserem Biest einbauen! :D


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