A Venetian Tale von -Altair ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Venedig, 1600: Der Abend brach über die Stadt am Adriatischen Meer herein und tauchte die Stadt in ein warmes Rotgold, welches vom Canale Grande in all seiner Schönheit widergespiegelt wurde. Langsam neigte sich der Somme seinem Ende zu, doch es war noch immer so warm, dass Kinder zu dieser Tageszeit auf den Straßen spielten. Sie versteckten sich zwischen den Kisten, in denen die Händler gerade ihre Waren verstauten oder liefen durch die Gassen, in der Hoffnung, einander zu fangen. Ihre Mütter standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich, dabei immer ein Auge auf ihre Kleinen werfend; die Männer saßen an Tischen, die vor den Tavernen standen und tranken Wein oder Bier. Junge Paare saßen zusammen unter großen Bäumen oder an den Rändern der Kanäle. In diesem Jahr waren die Gemüter in Venedig überschäumend. Viele Florentiner und Römer waren nach Venedig gekommen und hatten ihr Geld bei den zahlreichen Ständen oder in den Kirchen gelassen. Es war ein gutes Jahr für Venedig gewesen. Junge Frauen liefen lachend durch die Straßen, immer darauf bedacht den Männern, die zusammen an Häuserecken standen, ihre Anmut zu zeigen. Noch bis zum Anbruch des Abends boten einige Händler ihre Waren feil, noch von weitem konnte man ihr Raufen durch die Gassen hören. Doch all dieses interessierte die Frau nicht, welche im Schatten eines Torbogen stand, welcher den Eingang zu einem großen Marktplatz bildete. Sie hatte die dichten Wellen ihres schwarzen Haares zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden, doch sah niemand die Pracht ihrer Frisur, da sie eine dunkle Kapuze über ihren Kopf gezogen hatte. Nur manchmal, wenn sie in den Himmel blickte, wurde man ihrer Augen und Hautfarbe gewahr, welche zeigten, dass sie nicht aus Venedig stammte. „Erbärmlich“, murmelte sie, als sie in eine der dunklen Gassen trat, welche hinter dem Marktplatz lag- Sie musste einige große Schritte machen, um toten Tieren und allerhand Unrat auszuweichen. Sie raffte ihre Roben und ging ein wenig schneller, bis sie einen der unzähligen Häfen Venedigs erreichte. Dort wartete sie im Schatten. Sie musste bald aufbrechen, der Kapitän ihres Schiffes lief ungeduldig auf der Reling auf und ab. Doch noch konnte sie nicht auf das Boot steigen. Sie wartete. Wartete auf wichtige Informationen. Sie war weit von zu Hause entfernt und freute sich bald wieder den warmen Sand unter ihren Füßen und den Wind in ihren Haaren zu spüren. Die dunkelhaarige Frau schaute erneut in den Himmel. Da sah sie, wonach sie sich ersehnte. Ein Vogel flog direkt auf sie zu und setze sich auf ihre Schulter. Schnell blickte sie sich um: Nur ein betrunkener Mann lag in der Gasse und betrachtete die Flasche in seinen Händen. Perfekt. Denn der Vogel, welcher sich auf ihrer Schulter niedergelassen hatte, war kein gewöhnliches Tier. Er hatte die Größe eines Adlers, doch das Federkleid und Schnabel waren das Außergewöhnlichste an ihm: Es reichte von Rot über einem warmen Orange zu einem schimmernden Gold, ebenso golden, sie seine Krallen und Schnabel. Ihr Phönix gehörte zu dem wertvollsten, was sie besaß, sie strich ihm über den Kopf und die Federn, welche aus dem kurzen Gefieder des Kopfes sprossen. Er stieß einen zufriedenen Laut aus, dann sah er sie mit seinen eisblauen Augen eindringend an und teilte ihr die Informationen mit, die zu erfahren sie ihn los gesandt hatte. Zufrieden nickte die Frau und streichelte ihren Phönix noch einmal über die Flügel, dann löste sich ihr Vogel langsam auf. Staubpartikel verteilten sich im Wind und flogen davon, um sich in ihrer Heimatstadt wieder zu dem wunderschönen Vogel zusammenzusetzen. Die Schwarzhaarige drehte sich um und ging auf das Schiff zu, wo der Kapitän schon ungeduldig auf sie zukam, um ihr mitzuteilen, dass sie aufbrechen mussten. „Marhaba, Lilith. Ihr seid spät-“ Doch die Angesprochene beachtete den Kapitän nicht, sondern ging ohne Umwege in ihre Kabine. Der Mann zuckte mit den Schultern und bedeutete seiner Mannschaft abzulegen. Kapitel 1: Kapitel I -------------------- Kapitel 1 Nicht unweit des Piers, an dem Lilith gerade das Schiff betrat, fand sich eines der Reichenviertel von Venedig. Die Fassaden der Gebäude waren ordentlich verputzt, die Straßen gepflegt. Nicht selten bedeckten bunte Tücher die hölzernen Balkone und Wein rankte an den Balustraden und Fensterbänken empor. Und an einer Kreuzung zweier stark frequentierter Straßen stand ein großes Gebäude. Es war aus ungewöhnlich weißem Sandstein gebaut, goldene Verzierungen schmückten das Außenbild des Hauses. Tücher in Silber und Rot schlangen sich um die Säulen am Eingang. Die Tür bestand aus massivem Holz, vor dieser waren Rosenblätter verstreut und ein roter Teppich war ausgelegt. Bei dem Gebäude handelte es sich um das renommierteste Bordell Venedigs, dem La Luna Vanitosa. Die Mädchen und jungen Männer, die in diesem Etablissement arbeiteten, wurden von der Dame des Hauses persönlich ausgewählt. Und in ebendiesem Bordell arbeitete eine junge Frau namens Serena. Gerade zu dieser Stunde war sie auf dem Weg zur La Luna Vanitosa. Ihre langen, braunen Haare hatte sie an ihrem Hinterkopf zusammengesteckt, einige kürzere Strähnen umspielten ihr schmales Gesicht. „Serena!“, rief jemand hinter ihr. Sie drehte sich um, dabei breitete sich ihr knielanger schwarzer Rock aus wie eine Blüte. Der Rock gehörte zu der Kleidung, welche sie bei der Arbeit trug. Neben diesem trug sie eine schwarze Korsage, welche mit roten Bänden zusammengehalten wurde. An ihren Füßen trug sie schwarze, knöchelhohe Stiefel, mit silbernen Perlen bestickt. Die Frau, welche Serena gerufen hatte, kam mit leichtfüßigen Schritten auf sie zu. Sie trug die gleiche Kleidung, ihr blondes Haar, welches bis auf den Rücken reichte, trug sie offen. „Nezetta. Guten Abend“, rief Serena und umarmte ihre Freundin und Kollegin. Nezetta hatte am selben Tag wie Serena im La Luna Vanitosa begonnen zu arbeiten. Zusammen mit weiteren jungen Frauen und Männern leiteten sie den Empfang des Bordells und versorgten die Gäste mit Getränken und Damen. „Welch‘ ein wunderschöner Abend“, schwärmte Nezetta, während beide Seite an Seite durch die Straßen Venedigs gingen, auf dem Weg zu ihrer Arbeit. „Ein Jammer, dass wir heute Abend in diesem heißen, stickigem Raum verbringen müssen. Ich würde lieber ein paar Stunden am Wasser verbringen“, seufzte Serena, doch wusste, dass sie ohne die Arbeit nie wieder ein sorgenfreies Leben führen konnte. Ihre Eltern waren vor einigen Jahren verstorben, ihre Geschwister wohnten in Florenz, sie selbst besaß kein nennenswertes Vermögen. Sie war auf die Arbeit angewiesen. „In ein paar Tagen haben wir beiden keinen Dienst, dort könnten wir alles nachholen, was wir heute verpasst haben“, sagte Nezetta und zwinkerte Serena zu, als sie die Tür öffnete. Der Empfangsraum war prachtvoll dekoriert mit hohen Wänden, an denen Tücher in schwarz und rot hingen. Er war dunkel und die Luft war warm und roch nach exquisiten Duftölen und Kerzen. Der Raum wurde mit großen Kerzen erleuchtet, da die Fenster mit seidenen Vorhängen in Rot und silbern verhängt waren. An den vertäfelten Wänden standen zahlreiche Liegesofas, welche mit teuren Kissen ausgelegt waren. Kleine Tische standen neben diesen Sofas, auf ihnen waren Karaffen mit teurem Wein und Gläser abgestellt worden. Nezetta nahm sich einer dieser Karaffen und goss sich, Serena und einem weiteren Mädchen, welches als Kurtisane arbeitete, namens Novella einen Becher dieses Weines ein- Die drei Mädchen waren unzertrennlich. Novella hatte Serena diese Arbeit verschafft und im Gegenzug teilten Serena und Nezetta ihr nur die anständigsten und reichsten Freier zu. „Auf den Abend“, sagte Novella und prostete den beiden zu. Alle drei nahmen einen Schluck, dann ging jede ihrer Arbeit nach. Novella setze sich zu den anderen Mädchen auf eines der Liegesofas, wo sie die Männer, welche nach und nach den Raum betraten, betrachteten und kicherten. Nezetta ging mit einer Karaffe Wein durch den Raum und füllte Gläser der Gäste und Mädchen nach, während Serena neue Gäste begrüßte und sie zu den freien Mädchen brachte. Es musste die dritte Stunde nach Mitternacht gewesen sein, als Serena sich auf die Treppe setze, die zu den Zimmern der Mädchen führte. Ihre Füße schmerzten, also zog sie ihre Stiefel aus. In Nächten wie diesen, wenn die Herrin des Hauses nicht zugegen war, arbeitete sie gerne barfuß. Da die Stiefel jedoch zu ihrer Arbeitskleidung gehörten, sah die Herrin es nicht gerne. Gerade, als sie ihre Zehen massierte, wurde die Tür aufgestoßen und vier Offiziere betraten den Raum. Leise stöhnend richtete Serena sich auf und ging in Richtung der Männer. Offiziere waren keine gern gesehenen Gäste. Zwar brachten sie viel Geld mit sich, doch waren sie arrogant und nicht selten hatten sie schlechte Laune und Manieren. Als sie vor den Männern stand, rümpfte sie ihre Nase. Die Männer waren betrunken. Doch sie musste ihre Arbeit dennoch gewissenhaft beenden, denn Offiziere konnten, wenn sie unzufrieden waren, schnell eine Schließung des Bordells beeinflussen. „Ich wünsche eine angenehme Nacht. Willkommen im La Luna Vanitosa“, begrüßte Serena die Gäste standardsgemäß und verneigte sich leicht. Dann richtete sie sich auf. „Mein Name lautet Serena, ich werde Euch sofort mit den besten Damen des Hauses bekanntmachen.“ Gerade, als sie sich umdrehen wollte, packte sie einer der Männer am Arm und wirbelte sie herum. „Und was ist, wenn wir nicht deine Mädchen wollen, sondern dich?“, fragte der Mann, der sie festhielt mit schwerer Zunge. Er hatte schwarzes Haar, welches mit grauen Strähnen durchzogen war und an ihrem Arm spürte sie das Metall eines Eheringes. „Tut mir leid, mein Herr. Ich bringe Euch zu den Damen“, antwortete sie und lächelte ihn freundlich an. Diese Art Avancen bekam sie nicht zum ersten Mal. Doch reichte es meist, die Herren mit freundlichen Worten zurückzuweisen. Dieses Mal war es anders. Der Mann zog Serena zu sich. Nun konnte sie den billigen Wein riechen, den der Mann zweifelsohne in großen Mengen zu sich genommen hatte. Mit einer schwieligen Hand nestelte er an den Bändern, die ihre Korsage zusammenhielt herum, die andere umklammerte noch immer ihren Oberarm. Hilfesuchend blickte sie sich um, doch niemand schien sie zu bemerken. „Schau‘ mich an, Mädchen. Ich bin ein Wächter des Duces. Und was ich will, bekomme ich auch.“ „Das glaube ich nicht“, zischte Serena und versuchte, sich aus dem Griff des Mannes heraus zu winden. Doch er war viel zu stark. Die Hand, die noch davor mit ihren Bändern beschäftigt war presste er nun auf ihren Mund. „Strafe muss sein, Hure“, schnaubte er verächtlich, dann stellte er einen seiner eisenbeschlagenen Stiefel auf ihren linken Fuß. Langsam verstärkte er den Druck auf ihrem nackten Fuß, der langsam übermannende Schmerz treib Serena Tränen n die Augen. „Gefällt dir das?“, flüsterte der Mann in ihr Ohr, die anderen Offiziere lehnten an der Wand hinter ihnen und grinsten. Der Schmerz und der übelriechende Armen des Mannes hinterließen bei Serena ein Übelkeitsgefühl, doch der Mann hielt noch immer erbarmungslos ihren Mund und Nase zu. Plötzlich knackte ihr Fuß, die plötzliche Explosion des Schmerzen ließen Serena aufschreien, dabei biss sie den Offizier so stark in die Hand, dass sie Blut schmeckte. Erschrocken schleuderte der Mann sie gegen die Wand, welche sich neben ihnen befand. Serena schlug mit ihrem Kopf auf und lag benommen auf dem Boden, nur ihre Augen fixierten den Mann. Nun wurden auch andere Gäste und Mädchen auf den Vorfall aufmerksam. Nezetta und ein paar der Mädchen liefen auf Serena zu und richteten sie auf. Die vier Offiziere schauten durch den Raum, dann spuckte der Mann mit der blutenden Hand auf den Boden. „Dieses Bordell wird es bereuen…und dich“ – dabei schaute er Serena an – „werde ich wieder sehen!“ Mit diesen zornigen Worten verließen sie das Etablissement. Lange herrschte Schweigen bei den Mädchen und den Gästen, dann hörte man Candida, eine der Kurtisanen, welche an der oberen Balustrade stand wispern: „Wir werden schließen müssen.“ „Sei still, Candida“, fauchte Nezetta, dann wandte sie sich Serena zu „ist alles in Ordnung?“ „Was glaubst du? Bring‘ mich auf die Terrasse!“, stöhnte Serena und umklammerte den Arm ihrer Freundin, als diese sie nach draußen führte, vorbei an den Gästen, welche das braunhaarige Mädchen tuschelnd beobachteten. Draußen auf der gepflasterten Terrasse stolperte Serena auf eine der Hecken zu, welche um den Platz als Sichtschutz gepflanzt worden waren und übergab sich unter Tränen. Die Schmerzen in ihrem Kopf und Fuß, der Gedanke an die Hände und den Atem des Offiziers und der Geschmack seines Blutes waren zu viel für Serena. Zitternd setze sie sich auf den Steinboden und spürte, wie ihre Tränen auf ihre Knie tropften. Nezetta hatte sich neben sie gesetzt und hielt sie im Arm, während sie ihr beruhigend über den Rücken strich. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Novella, die Haare wild und ihr Kleid nur halbherzig übergezogen, stand in der Tür. „Serena. Ich habe gehört, was passiert ist. Wie geht es dir?“, rief sie atemlos und ging auf ihre Freundin zu. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem halbherzigen Knoten zusammengebunden, einige Strähnen klebten in ihrem Gesicht. „Nicht der Rede wert“, murmelte die Angesprochene und betrachtete ihren Fuß, der eine ungesunde blau-violette Färbung angenommen hatte. Novella wollte protestieren, doch Nezetta schaute sie an und schüttelte den Kopf. Sie wusste, wie stolz Serena war, sie aufzufordern, einen Arzt aufzusuchen würde sie verärgern. „Es geht schon wieder, geht ihr nur wieder an die Arbeit. Ich werde mich nur kurz waschen, dann bin ich wieder bei euch.“ „Das glaube ich nicht“, hörten die drei jungen Frauen plötzlich hinter ihnen eine strenge Stimme sagen. Keine der drei drehte sich um, wie wussten, wer hinter ihnen stand: Madonna Viola, die Herrin des Hauses. „Ich habe alle Mädchen auf ihre Zimmer geschickt und die Gäste hinausgebeten. Jetzt möchte ich wissen, was in meiner Abwesenheit passiert ist. Serena?“ Doch bevor Serena sich zu der Frau drehen konnte, war Nezetta schon aufgesprungen. „Diese widerlichen Offiziere haben Serena belästigt und-“ „Schweig, Nezetta! Ich glaube, Serena kann für sich selbst sprechen. Geh‘ nach Hause und du Novella auf dein Zimmer.“ Beide Mädchen gaben Serena einen Kuss auf die Wange, verbeugten sich vor Madonna Viola und verließen die Terrasse. Noch immer hatte Serena sich nicht umgedreht, sie saß auf dem Steinboden, ihren schmerzenden Fuß ausgetreckt, das Gesicht von Tränen nass. Viola seufzte und kam auf die junge Frau zu, dann hockte sie sich vor sie. Doch anstatt Strenge oder Wut in ihren Augen zu entdecken, steckten sie voller Milde, aber auch Sorge. Viola war eine elegante Frau in ihren späten Dreißigern, hübscher, als viele Frauen, die Serena je gesehen hatte mit edler Kleidung und glänzend braunem Haar. Sie legte eine Hand, mit zahlreichen Ringen geschmückt, auf Serenas zuckende Schultern. „Meine Liebe, was ist hier passiert? Zunächst schüttelte sie den Kopf, doch dann blickte sie hinauf zu den Sternen und begann zu erzählen, von den Offizieren, ihrer Peinigung und der Drohung, welche sie ausgesprochen hatten. Also sie geendet hatte, sah sie Viola in die Augen und sagte: „Ich werde meine Sachen packen und gehen“, dann versuchte sie sich aufzusetzen, doch Viola drückte sie nach unten. „Unsinn. Keiner geht. Ich habe…gewissermaßen…Beziehungen zum Duce, dieses Haus wird nicht geschlossen. Sei unbesorgt. Und nun, hör‘ mir zu: Du wirst nach Hause gehen und dich ausruhen. Oder du bleibst hier und übernachtest in einem der Zimmer. Für die nächste Schicht kannst du dir freinehmen, ich werde dich dennoch bezahlen.“ Ungläubig schaute Serena Viola an. War das die gleiche Frau, die sie sonst herumkommandierte, ihr Befehle gab und arrogant von oben auf sie alle herabsah? Viola schien ihren Blick zu bemerken. Sie lächelte und sagte: „Weißt du, Serena. Es ist nicht leicht, ein Bordell zu führen. Ich darf keine Schwäche zeigen. Aber wenn jemand meinen Mädchen Schmerzen zufügt, bin ich die mitfühlende Frau, zu der meine Mutter mich erzogen hat.“ Mit den worden half Viola ihr auf. Serena zögerte einen kurzen Moment, dann schlag sie ihre Arme um Viola. „Danke“, flüsterte sie, dann ließ sie ab, „danke. Ich werde nach Hause gehen. Und heute Abend werde ich wiederkommen.“ Mit diesen Worten drehte sich Serena um und ging, darauf bedacht ihren linken Fuß nicht zu belasten. Viola sah ihr lächelnd nach. Verdammter Fuß! Verdammte Offiziere! Wütend humpelte Serena nach Hause. Das Haus stand zwar im nächsten Viertel, nur wenige Minuten entfernt, doch die Schmerzen ließen sie langsamer gehen als sie es sich wünschte. Sie wollte nur zwei Dinge: ein Bad und ihr Bett. Sie wollte ausschlafen und den Vorfall verdrängen. Und am Abend ihrer Abend wieder gewissenhaft nachgehen. Serena sah sich um. Der Turm der Kirche, neben der ihr Haus stand war zwar zu sehen, aber wollte sich einfach nicht nähern. Stöhnend schleppte Serena sich weiter, die Laternen an den Häusern beleuchteten die breite Straße, über die sie ging. Es waren kaum Menschen zu sehen, ein paar Betrunkene, die nach Hause wankten und die Nachtwache, die die Straßen auf und ab patrouillierte, jeden mit einem argwöhnischen Blick betrachtend. Nach einer weiteren viertel Stunde musste Serena eine Pause einlegen. Sie setze sich auf die Steintreppen eines Hauses und massierte ihren Fuß, welcher angeschwollen war und schrecklich schmerzte. Noch einmal schaute sie zum Kirchturm. Er war nicht mehr weit entfernt, noch einige hundert Meter. Serena konnte der breiten Straße weiter folgen oder aber … Neben ihr befand sich eine dunkle Seitengasse. Selbst bei Tagesanbruch, wenn sie sich normalerweise nach Hause begab, hatte sie sich noch nicht in die Gasse getraut. Sie war sehr schmal und zudem nicht durch Laternen erleuchtet. Doch durch diese Seitengasse zu gehen würde eine Abkürzung bedeuten, die ihr ein paar Minuten schenken würde. Also schickte sie ein kurzes Gebet gen Himmel und nahm all ihren Mut zusammen. In der Gasse roch es nach Abfall und Urin und in manch dunkler Ecke konnte sie schlafende Hunde ausmachen. Sie hatte gerade die Hälfte der Gasse durchquert, da hörte sie neben sich etwas rascheln. Schnell drehte sie sich in Richtung des Geräusches. Doch da war nichts. Nur Dunkelheit. Serena legte eine Hand auf ihre Brust, wo ihr Herz laut pochte. Sie konnte es in ihren Ohren hören. Sie wurde paranoid. Doch sie musste weitergehen. Da bewegte sich neben ihr wieder etwas. Dann atmete sie erleichtert aus. Eine kleine, graue Katze kam aus den Schatten und lief auf Serena zu. Sie streifte um ihre Beine und schnurrte fröhlich. Serena lächelte und hockte sich hin, um die Katze zu streicheln. Diese schmiegte ihr kleines Köpfen in ihre Hände und schloss die Augen. Serena genoss diesen kurzen Moment mit der Katze, doch plötzlich fauchte sie und lief davon. Bevor Serena sie zurückrufen konnte, spürte sie einen harten Schlag auf den Hinterkopf. Sie stürzte zu Boden und fiel mit dem Gesicht in den Dreck. Sofort wurde sie auf den Rücken gedreht. Ihre Sicht war verschwommen und ihr Kopf schmerzte. „So sieht man sich wieder, kleine Hure“, hörte sie eine männliche Stimme. Sie erkannte sie. Es war der Offizier, der sie heute im Bordell bedroht hatte. Ihre Sicht klarte auf und nun konnte sie auch sein Gesicht erkennen. Es war nah an ihrem Gesicht, noch immer roch sein Atem nach Wein und Zwiebeln. Auch seine drei Kollegen standen hinter ihm und betrachteten die Szenerie. „Ich sagte dir doch, dass dein Benehmen ein Nachspiel haben wird. Ich werde mir jetzt nehmen, was mir zusteht!“ Der Mann lachte und riss mit einem Ruck ihre Korsage auseinander. Serena versuchte ihn mit ihren Beinen und Armen von sich wegzudrängen, doch setze er sich auf ihren Bauch und hielt ihre Arme mit einer Hand über ihrem Kopf. Da er viel größer war als sie, hatte er keine Probleme, sie an Ort und Stelle zu halten. „Du wirst still bleiben, verstehst du mich?“, flüsterte er in ihr Ohr, während sich eine Hand um ihre Brust legte. Doch Serena begann zu schreien. So laut sie konnte. „Lasst mich gehen! Hört ihr? Lasst mich los!“ Plötzlich spürte sie einen heißen Schmerz in ihrem Gesicht. Einer der anderen Offiziere hatte sich neben sie gehockt und ihr mit der Faust auf die Wange geschlagen. „Halt den Mund, verstanden!“, donnerte er, ein dicker Mann, der neben Wein und Schweiß auch nach kaltem Rauch stand. Dann packte er ihr Gesicht und presste seinen Mund auf ihren. Tränen liefen Serena über die Wangen und brannten in der Wunde, die ihr der Mann durch seinen Schlag zugefügt hatte. Sie begann erneut, mit ihren Beinen zu strampeln und sich unter den Männern hinweg zu winden, doch sie war viel zu schwach. Plötzlich brach der Mann, der auf ihrem Bauch saß, auf ihr zusammen. Der zweite Offizier sprang sofort auf und blickte sich hektisch um. Serena konnte in der Dunkelheit erkennen, dass ein Messer im Hals des Offiziers steckte, welcher auf ihr lag; aus der Wunde lief unaufhörlich Blut, welches sich auf ihrem Oberkörper ausbreitete. „Wo bist du? Zeig‘ dich!“, brüllte einer der Männer, doch schon flog ein Gegenstand durch die Luft und traf ihm am Kopf, wodurch er auf der Stelle zusammenbrach. Die beiden übriggebliebenen Männer sahen sich um, mit gezogenen Schwertern streiften sie durch die Gassen und suchten die dunklen Ecken ab. Serena versuchte sich von dem Gewicht des Mannes zu befreien, doch sie war zu schwach und er zu schwer, um ihn wegzuschieben. Die Männer kehrten zu Serena zurück. „Wo steckt dein Freund?“, fragte einer von ihnen, doch sie konnte ihn nur mit panischen Augen ansehen. „Sprich‘ mit uns, du verdammte Hure!“, brüllte der größere der beiden Männer, dann trat er Serena mit seinen schweren Stiefeln gegen den Kopf. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie und sie schrie laut auf. Dadurch hörte sie das leise Säuseln nicht, welches ein Messer verursachte, das durch die Luft flog. Das Messer verfehlte sein Ziel, das Auge eines Mannes, knapp und blieb in einem Balken stecken. Die Verwirrung, die die hinterhältige Attacke hinterließ, nutze ein dunkler Schatten, der plötzlich durch die Gasse huschte. Die Offiziere drehten sich schnell um und sahen direkt in die Augen ihres Angreifers, der einen weiteren kleinen Dolch in den ungeschützten Hals eines der Männer rammte. Doch noch bevor er den Dolch wieder ziehen konnte und den zweiten Mann attackieren konnte, lief dieser davon und verschwand in der Dunkelheit der Gasse. Mit einem Ruck zog ihr Retter den Doch aus dem Hals und ließ den toten Soldaten auf den Boden sinken, dann wandte er sich zu dem Mädchen, das immer noch unter dem Offizier lag. „Kannst du dich bewegen?“, fragte er sie. „Nein, der Mann ist zu schwer“, stöhnte sie unter Schmerzen. „Warte kurz.“ „Keine Sorge, ich lauf‘ nicht weg …“ Der junge Mann, der schwarze Kleidung trug und ein dünnes Tuch um den Mund gewickelt hatte, machte sich an, um den Körper des Offiziers in eine Ecke zu zerren. Nachdem er sie von der Last befreit hatte, wandte er sich schnell ab, als er ihren entblößten Oberkörper sah. „Ich …danke dir“, sagte Serena verwirrt, dann nahm sie ihre Korsage und bedeckte ihren Körper notdürftig. „Nun, ich hatte schon immer eine Schwäche für Damen in Nöten“, sagte er. Serena konnte ein verschmitztes Lächeln in seiner Stimme hören. „Wer bist du?“, fragte sie. Der junge Mann sah über seine Schulter. Seine Augen lagen im Schatten, doch konnte sie seine dunklen, verzausten Haare erkennen. „Das ist nicht wichtig. Du solltest gehen. Ein Mann ist geflohen, sie werden bald nach uns suchen.“ Er schaute auf ihren Fuß. „Ist es weit bis zu dir?“ „Nein, es ist“ – sie wollte zuerst sagen, dass sie neben der Kirche wohnte, welche am Ende der Gasse sichtbar war, doch sie kannte den jungen Mann nicht einmal, der mit Leichtigkeit der Offiziere getötet hatte – „nein.“ „Nun gut. Beeil‘ dich!“, sagte er noch einmal eindringlich. Dann verschwand er im Schatten. Noch bevor Serena über die merkwürdige Begegnung nachdenken konnte, hörte sie Stimmen am anderen Ende der Gasse. Schnell nahm sie sich eines der Offiziersschwerter, dann humpelte sie so schnell ihr Fuß es erlaubte auf ihr Haus zu. Sofort, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, brach sie auf dem Boden zusammen. Ihr Fuß schmerzte, ihr Kopf fühlte sich an, als hätte man unzählig viele Nägel in diesen gerammt und noch immer konnte sie die Griffe der Männer auf ihrer Haut spüren. Ihre Haare hatten sich auf ihrem Zopf gelöst und hingen ihr über Nase und Gesicht. Sie rochen nach Rauch und Schmutz. Ihre vollkommen zerstörte Korsage fiel von ihrem Körper, der mit blauen Flecken und dem Blut des Offiziers übersät war. Serena drehte sich auf den Rücken und blickte an die Decke. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr in ihrem Leben schlimmer ergehen könnte als in dieser Nacht, in der ihr so viel Leid angetan wurde. In dieser Nacht, in der sie nur knapp dem Tod entronnen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)