Finera - Path of Ice von Kalliope (Milas Geschichte) ================================================================================ Prolog: Quinn ------------- Er hörte die Stimmen seiner Eltern aus dem Wohnzimmer. Sie waren laut genug, um durch das halbe Haus zu schallen – normalerweise gaben sie sich mehr Mühe und fochten ihre Streitigkeiten leiser aus. Doch dieses Mal war es anders und Quinn wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Wenn sie stritten, dann über Aktien, Verkaufsbilanzen, Geschäftliches. Dieses Mal stritten sie über ihn. Fee rieb ihren Kopf an seinem Bein und er beugte sich hinab, um sie zu streicheln. Sie machte sich Sorgen um ihn. Immer machten sich alle Sorgen um ihn und wenn sie schnurrte und er das weiche Fell unter seinen Fingern spüren konnte, machte er sich wenigstens keine Sorgen um sich selbst. „Anselm, das können wir nicht verantworten!“ Die Stimme seiner Mutter klang schrill und rauchig. Sie hatte zu viel getrunken, mal wieder. Die Gala hatte bis in die frühen Morgenstunden gedauert, vermutlich roch sie noch immer nach dem teuren Vanillewhiskey, den die Brennerei seines Vaters herstellte. Kantos beste Brennerei. „Er ist kein kleines Kind mehr, Judith!“ „Aber er ist krank und du weißt genau, dass seine Gesundheit keine weiten Reisen zulässt!“ „Unsinn! Der Arzt hat gesagt, dass er eine Kur braucht, damit seine Atemwege gereinigt werden. Die Luft hier in Saffronia City tut ihm nicht gut.“ „Deswegen musst du ihn nicht gleich ans andere Ende der Welt verfrachten, Anselm!“ „Oh doch, das werde ich, Judith!“ Quinn hörte nicht mehr hin. Wenn sie anfingen sich bei den Vornamen zu nennen und die Stimmen nur lauter wurden, brachten die Diskussionen sowieso nichts. Seine Mutter würde sich durchsetzen, so wie immer. Er würde hier bleiben, vermutlich wieder für ein paar Wochen ins Krankenhaus gehen, neue Medikamente bekommen. Seine Mutter behütete ihn schlimmer als jedes Kangama und ließ ihn kaum für ein paar Stunden aus den Augen. Schon seit Jahren flehte er sie an, damit er wenigstens ans Meer fahren konnte, aber sie ließ ihn nicht fort. Saffronia, Saffronia, immer nur Saffronia. Quinn könnte kotzen. Fee maunzte leise und strich einmal um seine Beine, dann setzte er sich in Bewegung und schlich lautlos die Treppe hinauf, wobei er die eine, knarzende Stufe, die ihn verraten könnte, aussparte. Fee tat es ihm gleich und war schneller oben als er. Die langen, schmalen Hautlappen, die zweigeteilt sowohl von Fees linkem Ohr als auch vorne vom Hals abgingen, sahen aus wie weiße Bänder mit rosa-blauen Spitzen, doch sie besaßen ein Eigenleben und schwebten grazil durch die Luft. Ihre hellblauen Augen musterten Quinn und als er den oberen Treppenabsatz erreicht hatte, drehte sie ihm den Rücken zu und trabte weiter in sein Zimmer. Quinn folgte ihr etwas langsamer, denn er war schnell aus der Puste und wenn es schlimm war und ihm die Luft weg blieb, brauchte er seinen Inhalator. Es war ein Wunder, dass seine Mutter ihm damals überhaupt erlaubt hatte das kleine, verletzte Evoli aufzupäppeln und zu behalten. Tagelang hatten sie sich gestritten, dann hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen und sein Vater hatte es irgendwie geschafft ihre Erlaubnis zu bekommen. Seither waren zwei Jahre vergangen, in denen er Fee gerade einmal fünf Level trainiert hatte. Wäre er doch bloß nicht so krank, dann hätte er sich viel öfter hinausschleichen können, aber seit ihrer Entwicklung vor einigen Monaten verfolgte seine Mutter ihn auf Schritt und Tritt. Sie wusste, dass das kleine Evoli eine Fee-Attacke beherrschen musste, um zu einem Feelinara zu werden, was beinhaltete, dass Quinn ihre Regeln gebrochen und sich als Trainer versucht hatte. Das Donnerwetter suchte noch heute seinesgleichen. Während Fee sich auf seinem Bett ausstreckte, setzte er sich an den Computer und wartete, bis er hochgefahren war, dann öffnete er den Internetbrowser und suchte sich eine Liste mit Kur-Orten raus. Es musste ein Ort sein, an dem die Luft rein war, ohne größere Städte, Vulkane oder andere Staub- und Smogquellen in der Nähe, denn davon bekam er schlechter Luft. Der Ort musste sicher sein und gut zu erreichen, damit seine Mutter ihn auch dort kontrollieren konnte. Nach kurzer Suche fand Quinn den perfekten Ort – perfekt, um endlich seine Ruhe zu haben. Weit weg vom Schuss am Ende einer Route, auf der es die stärksten Pokémon der Region gab. Keine öffentliche Verkehrsanbindung, ganzjähriger Schneefall, eisige Temperaturen um den Gefrierpunkt oder darunter. Der perfekte Ort, den seine Mutter niemals betreten würde. Quinn sah sich die Fotos an und wusste sofort, dass der Tempel des Bergwächters auf der Spitze des Mount Ni in Finera der einzige Ort war, an dem er der Kontrolle seiner Mutter entkommen konnte, an dem er endlich frei sein konnte. In diesem Moment fasste er einen Entschluss, drehte den Schreibtischstuhl schwungvoll in Richtung Bett und grinste sein Pokémon an. „Fee, wir werden verreisen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)