Echo von Nordwind ================================================================================ 5 - V | Als Kurogane in das verlassene Dorf zurückkehrte und die Hütte erreichte, die ihnen als Unterkunft diente, stand Fai dort im Eingang. Mit einer Hand stütze er sich am Mauerwerk ab, den anderen Arm hatte er auf den langen Stock gelehnt, den Kurogane ihm am Morgen mitgebracht hatte. Seine Augen waren halb geöffnet, sein Blick in die Ferne gerichtet und seine Lippen bildeten eine ungewöhnlich gerade Linie. Es war offensichtlich, dass er mit den Gedanken weit weg war und Kurogane nicht kommen hörte. Kurogane blieb einige Schritt weit entfernt stehen und beobachtete seinen ungewohnt gedankenverlorenen Reisegefährten einen Augenblick lang. Fai hatte den verletzten Fuß leicht angewinkelt, es war offensichtlich, dass er das Bein nicht belasten konnte. Kurogane konnte nur hoffen, dass es nicht allzu schlimm war und sie so bald wie möglich aufbrechen konnten. „Der Stock war als Waffe gedacht, nicht um dir eine Möglichkeit zu geben dich in mehr Schwierigkeiten zu bringen,“ sagte Kurogane schließlich mit einer Spur Sarkasmus in der Stimme um auf sich aufmerksam zu machen. Als Fai auch auf seine Worte nicht reagierte, kam Kurogane näher heran und blieb neben ihm stehen. „Worüber denkst du nach?“ fragte er schließlich in der Hoffnung, sein Reisegefährte hatte einen Hinweis darauf gefunden in was für einer seltsamen Welt sie hier gelandet waren oder wie sie ihre verschollenen Gefährten finden konnten und war bereits damit beschäftigt in Gedanken einen Plan auszuarbeiten. Entgegen Kuroganes Erwartung jedoch schien Fai keineswegs überrascht zu sein plötzlich angesprochen zu werden, vielleicht hatte er seine Anwesenheit doch schon eher bemerkt. Fai wandte sich langsam zu ihm um, mit gehobenen Augenbrauen und seinem typischen ausdruckslosen Lächeln auf den Lippen. „Du warst eine ganze Weile weg,“ antwortete er ohne auf Kuroganes Frage einzugehen, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er nicht über seine Gedanken sprechen wollte egal mit welchen Mitteln Kurogane versuchen würde ihn dazu zu bringen. „Es ist ein verdammt großer Wald,“ erwiderte Kurogane schroff. Wenn Fai keine Lust hatte mit ihm zu reden, dann würde er es ihm gleich tun. Davon abgesehen würde Fai ihn bis in alle Ewigkeit damit aufziehen, wenn er ihm erzählte, dass er sich beinahe im Wald verirrt hatte, ganz gleich unter welchen Umständen. Auf keinen Fall wollte er seinem Gefährten ein weiteres Werkzeug in die Hand drücken um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Diese verfluchten, albernen Spitznamen, mit denen er so gerne um sich warf, waren Ärgernis genug. „Konntest du irgendwas finden?“ „Nein.“ Kurogane schüttelte den Kopf und ging an Fai vorbei in die Hütte um sein Bündel abzulegen. Die Hoffnung, dass Fai irgendein nützlicher Gedanke gekommen war, hatte er bereits aufgegeben. „Keine Spur von den anderen oder diesen Monstern. Auch kein Hinweis darauf in was für einer Welt wir hier gelandet sind.“ Als er wieder heraustrat, stand Fai mit beiden Armen auf den Stock gestützt da, hatte die Augen geschlossen und schien die leichte Brise zu genießen, die ihm sanft durch das sandfarbene Haar fuhr. Seine Körperhaltung zeigte nicht das geringste Zeichen von Anspannung und er wirkte völlig gelassen. „Dich stört das nicht im geringsten, oder?“ stellte Kurogane irritiert fest, während er spürte wie ein dumpfer Zorn in ihm aufwallte. Fai regte sich nicht. „Was meinst du?“ „Dass wir hier festsitzen.“ Es gelang Kurogane eben so den Ärger aus seiner Stimme zu verbannen. „Dir ist es scheißegal, ob du hier bist oder in irgendeiner anderen Welt.“ Nun wandte sich Fai doch zu ihm um, lachend. „Was redest du da, Kuro-tan?“ Die plötzlich aufblitzende Kälte in Fais kobaltblauen Augen strafte das heitere Lächeln auf seinen Lippen Lügen. „Glaubst du ich enthalte dir etwas vor?“ Kurogane ignorierte seine Worte, er hatte Fai lange genug gewähren lassen ohne seine Absichten in Frage zu stellen. Er hatte sich lange genug Lügen angehört und nicht weiter auf Antworten beharrt, wenn Fai immer und immer wieder das Thema gewechselt hatte. Er hatte lange genug darauf gewartet, dass Fai auch nur ein einziges Mal die Wahrheit sagte. „Ist das nicht, was du zu der Hexe gesagt hast,“ fuhr er unbeirrt fort, „dass du überall sein willst, nur nicht in deiner eignen Welt? Ist es nicht jedes Mal ein Risiko für dich, wenn wir die Dimension wechseln? Fürchtest du nicht jedes Mal, dass wir in deiner Welt landen könnten?“ Fai erstarrte. Er erinnerte sich sehr gut an seine Ankunft an jenem Ort, von dem er gewusst hatte, dass dort Wünsche erfüllt wurden. Er erinnerte sich an Yuuko, die es nicht gewagt hatte sich in derselben Dimension aufzuhalten wie er, an Syaoran, der mit entschlossenem Blick Sakura fest im Arm hielt, und an den abschätzenden Blick aus blutroten Augen. Er war nicht aus Zufall dorthin gekommen, sondern um den Preis für seinen Wunsch zu bezahlen. Der letzte Wunsch, der ihm geblieben war. Er hatte jenen schwarz gekleideten Mann mit einem Lächeln gemustert, dessen selbstsichere Haltung und den festen, herablassenden Blick aus roten Augen bewundert. Er war derjenige, gegen den Fai würde antreten müssen, sein Gegenspieler. Die Spielfigur der Hexe. Jener Mann, den er er wahrscheinlich töten musste. Und während Fai ihn weiter beobachtet hatte, war ihm allmählich klar geworden, dass es ihm vielleicht nicht gelingen würde. „Ich glaube du hast nicht einmal versucht darüber nachzudenken wie wir die anderen finden oder hier wegkommen.“ Kurogane ballte wütend die Hand zur Faust. „Genau wie damals in Yasha.“ Es war eine etwas weit hergeholte Anschuldigung, doch ganz falsch lag er damit nicht. Fai schüttelte langsam den Kopf, verwundert über den plötzlichen Zorn in der Stimme seines Gefährten. „Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wie-...“ begann er, doch Kurogane unterbrach ihn mit schneidend kalter Stimmer. „Wie wäre es dann, wenn du deine Magie benutzt um dein Bein zu heilen,“ schlug sein Gefährte vor während er Fai finster, beinahe herausfordernd anstarrte, „oder um herauszufinden wo die anderen sind?“ Fai zwang sich dem Drang zu widerstehen die Augen zu schließen, sie vor dem Gespräch zu verschließen, das ihm bevorstand. Er wäre am liebsten weggelaufen, doch er wusste bereits, dass es keine Zweck hatte. Magie. Darum ging es also. Er hatte gewusst, dass Kurogane ihn nicht so einfach davon kommen lassen würde. Seine Lügen hatten ihn endlich eingeholt und er balancierte erneut auf Messers Schneide. Er kannte dieses Spiel, diesen gefährlichen Tanz, und er wusste auch, dass ihn eine falsche Bewegung, ein falsches Wort das Gleichgewicht kosten konnte. Es war nicht mehr dasselbe Spiel wie zu Beginn ihrer Reise, denn es war schwieriger geworden, mit jedem Blick, jedem Wort, jedem Schritt, jeder Entscheidung und jedem Lächeln hatte er sich tiefer in sein dichtes Netz aus Lügen verstrickt, so dass er kaum noch atmen konnte. Dennoch musste er nun eine weitere Karte auf das Dach des wankenden Gebildes legen, in der Hoffnung, dass es nicht unter seinen Füßen in sich zusammenbrach. „Ich kann nicht,“ erwiderte Fai schließlich vage und zwang sich das schale Lächeln auf seinen Lippen aufrecht zu halten. „Ja, das habe ich mir gedacht.“ Der abfällige Ton in Kuroganes Stimme und die Ablehnung in seinen Augen trafen Fai wie ein Schwerthieb und er hatte Mühe es sich nicht anmerken zu lassen. Er schüttelte ratlos den Kopf. „Ich meine es ernst, ich konnte noch nie Heilzauber benutzen, ganz egal wie sehr ich versucht habe es zu lernen.“ Kurogane starrte ihn weiter an und mit einem Mal war da ein kalter Hass in seinen Augen, der Fai unwillkürlich zurückweichen ließ. Komisch, dieses beklemmende Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man die Wahrheit sagte und einem keiner glaubte. Eine ironische Wendung, die er wohl verdient hatte. „Es muss einen anderen Weg geben,“ sagte Fai schließlich und versuchte seine Stimme versöhnlich klingen zu lassen. Dieses Gespräch musste ein Ende finden, ehe er das Gleichgewicht verlor. „Wir werden die anderen schon finden. Wir sind erst seit zwei Tagen hier.“ Doch Kurogane war nicht bereit nachzugeben. „Das letzte Mal saßen wir ein halbes Jahr fest. Aber das würde dir ziemlich gut passen, oder?“ Der schneidenden Ton in seiner Stimme machte deutlich, dass Kurogane an einem Waffenstillstand nicht interessiert war. Er war ein Krieger und er würde diese Schlacht bis zum Ende kämpfen, ganz gleich welchen Ausgang sie nahm und was am Ende noch von ihnen übrig blieb. Doch Fai war kein Kämpfer, er hasste Auseinandersetzungen und statt Kurogane entgegenzutreten, tat er was er am Besten konnte: Er lief davon. „Ich bedaure, dass du so denkst,“ antwortet er matt, ehe er sich von seinem Gefährten abwandte und auf den Stab gestützt in Richtung des Baches davon humpelte. Er war nicht weit gekommen, ehe Kuroganes Stimme ihn erneut innehalten ließ. „Es ist nicht nur, dass du nicht mehr in deine Heimat zurück kannst, weil man dich verfolgt,“ mutmaßte Kurogane und Fai spürte, wie sich der scharfe Blick des Ninja in seinen Rücken bohrte, „du willst es gar nicht, oder?“ Fai ballte die zitternden Finger seiner freien Hand zur Faust, während die anderen fest den Stab umklammerten. Nahe dran, zu nahe. Die Klinge unter seinen Füßen war ins Wanken geraten und er kam bedrohliche nahe daran seine Balance zu verlieren, doch Kurogane sprach erbarmungslos weiter. „Gibt es dort nichts, dass du zurückgelassen hast? Nichts, für das du zurückkehren willst?“ Fai schloss die Augen und ließ den Schmerz, der ihn erfasste über sich hinweg schwemmen. Wie hatte er nur zulassen können, dass dieses Gespräch so aus dem Ruder lief? Wie hatte er sich so leicht durchschauen lassen können? Wann hatte er zugelassen, dass dieser Mann, der eigentlich sein Feind hätte sein sollen, nahe genug an ihn herankam um ihn allein mit Worten zu verletzten, wo er sich doch geschworen hatte, es niemals wieder zu tun, niemals wieder zu vertrauen? „Nein,“ antwortete er schließlich tonlos und wollte eben weitergehen, als er doch noch einmal innehielt und sich umdrehte. „Ich kann den Fluch spüren, der auf dir liegt,“ erklärte er plötzlich sanft, während sich ein schmales, trauriges Lächeln auf seine Lippen schlich. „Du kannst nicht töten ohne dich selbst zu schwächen. Es ist ein starker Zauber, aber wer auch immer ihn gewirkt hat, hatte nur gute Absichten. Ich kann verstehen, warum du zu einem solchen Menschen zurückkehren willst.“ Mit diesen Worten drehte sich Fai um und humpelte davon, ehe ihn Kurogane erneut aufhalten konnte. Dieser jedoch stand nur da und sah seinem Gefährten sprachlos und verärgert zugleich nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)