Zugzwang von Idris ([Jesse/Wade One-Shots]) ================================================================================ Kapitel 3: Marrakesch I ----------------------- Vorwort: Ups, ein Mehrteiler... ;) Das werde vermutlich so 5-6 kurze Kapitel und alle werden recht ... lösgelöst und stakkatomäßig sein, weil mein Erzähler gerade unter massivem Schlafentzug leidet und diese Erzählweise irgendwie passte. Inhalt: Jesse ist auf der Flucht und ruft den einzigen Menschen an, der ihm helfen kann... Getrocknetes Blut klebte unter seinen Fingernägeln, wie dünne, rostbraune Halbmonde. Jesse bemerkte es mit der Art schwerelosen Gleichgültigkeit, die sich in einem ausbreitete, wenn man seit mehr als fünfzig Stunden nicht mehr geschlafen hatte und Koffein durch den Blutstrom pumpte wie ein Presslufthammer. Eine Gruppe verschleierter Frauen lief wenige von ihm entfernt vorbei und er wandte sich ab, um sein Gesicht verbergen. Die Luft war geschwängert von dem Geruch nach Eselkot, Weihrauch und Gewürzen, bleischwer wie eine Decke, die ihn zu ersticken drohte. Seine Hände waren schweißnass und seine Finger rutschten von den Tasten, während er wählte. Die Scheibe der Telefonzelle auf der einen Seite waren eingeschlagen und die Glassplitter auf dem Boden bohrten sich durch den dünnen Stoff seiner Turnschuhe. Wade anzurufen hatte immer etwas von Versagen an sich, eine Art der Kapitulation, gepaart mit dem scharfen Nachgeschmack von Verzweiflung. Aber vielleicht war das auch nur der metallische Geschmack von Blut in seinem Mund. Wade anzurufen, war immer sowas wie die letzte Möglichkeit. Der letzte Versuch. Er presste seine Stirn auf den Unterarm und wartete, den Hörer an sein Ohr gepresst. „Ja?“ ertönte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie war blechern und verzerrt, aber unverkennbar britisch. Vor Erleichterung wurden ihm beinah die Knie weich. „Ich bin‘s.“ Keine Namen. Vielleicht kannte Wade ihn gut genug, um zu wissen, dass er niemals einfach nur so anrufen würde. Aber vielleicht musste er auch nur Jesses Stimme hören, um zu wissen, dass es ernst war. „Was ist passiert?“ fragte er sofort. Jesse hörte das leise Klirren von Gläsern und gedämpftes Stimmgewirr im Hintergrund. Es klang wie eine Abendgesellschaft, dekadent und elegant, und ein ungebetenes Bild von Wade in einem schwarzen Smoking erschien vor seinem inneren Auge. „Ich brauche…“ Sein Kopf schwamm und er biss die Zähne zusammen. „Ich brauche dich.“ „Butler, Bodyguard oder Sündenbock?“ kam ohne Umschweife zurück und irgendetwas an Wades ruhiger Professionalität macht das Ganze etwas erträglicher. „Bodyguard.“ „Wo bist du?“ „Marokko. Aber nicht mehr lange. Ich muss nach…“, er unterbrach sich gerade noch rechtzeitig. Keine Namen. Keine Zielorte. Keine Details. Schweiß brannte salzig in seinen Augen. „Ich muss so schnell wie möglich das Land verlassen.“ Er dachte an die zwei Leichen, die er in seinem Hotelzimmer im Wandschrank zurückgelassen hatte und er versuchte sich nicht auszurechnen wie lange es dauern würde, bis das Zimmermädchen sie gefunden und die Militärpolizei benachrichtigt hatte. Vielleicht hatte er Glück. Die Hygienestandards waren nicht sonderlich hoch gewesen, wenn die Handtellergroßen Kakerlaken im Badezimmer ein Hinweis darauf waren wie oft dort geputzt wurde. Am anderen Ende der Leitung schwoll der Lärmpegel an und senkte sich dann wieder, als Wade sich durch die Menge bewegte. Straßenlärm und das Hupen von Autos ertönte und Jesse hörte wie Wade jemandem auf Französisch etwas zurief und dann einen italienischen Fluch hinterher schob. Ein Taxi. Er rief nach einem Taxi. Es hatte etwas vage Beruhigendes an sich, so wie dem Rauschen einer Meeresbrandung zu zuhören. Jesse schloss die Augen. Nur zwei Sekunden, dachte er. Nur zwei Sekunden. Er war so müde. „…schaffst du das?“ Benommen schreckte er hoch. „Was?“ „Hey!“ Wades Stimme klang scharf. „Schaffst du es bis Lissabon? Oder brauchst du einen anderen Weg?“ Im Kopf überschlug Jesse den Weg zum Flughafen, Transportmöglichkeiten, und das Risiko dabei erschossen oder verhaftet zu werden. „Ja“, sagte er schließlich. „Das schaffe ich.“ Sollten sie ihn am Flughafen erwischen, hatte er wenigstens nichts was ihn belasten könnte mehr bei sich. Er hatte Waffe und Handy auf dem Weg entsorgt, und sämtliche falsche Ausweise bis auf den einen, der ihn außer Landes bringen würde. „Wir treffen uns dort.“ Am Flughafen. Das sagte Wade nicht, aber das war Standard. Jesse hatte beinah vergessen wie angenehm es war mit jemandem zusammen zu arbeiten, dem man nie etwas erklären musste. Das war eigentlich der Zeitpunkt, wo er hätte auflegen müssen, weil alles Wesentliche gesagt war. Notfall, Lissabon, Flughafen. Auf Wiedersehen. Irgendwo in der Menschenmenge schrie ein Kind, ein schriller, hoher Laut, ein Vogelschwarm erhob sich mit einem heftigen Brausen und der rote Sand um ihn herum sah aus wie in Blut getaucht. „Wo bist du?“ Es war eine vollkommen redundante und absolut überflüssige Frage und trotzdem konnte Jesse nicht verhindern, dass sie aus ihm herausplatzte. Er fühlte sich wie ein Zombie, surreal und losgelöst von der Realität und das Einzige, was wirklich war, war Wades Stimme in seinem Ohr. „Was siehst du?“ korrigierte er wie von selbst. „Spielcasinos und Brillanten.“ Er konnte beinah hören wie Wade lächelte. „Monaco“, sagte Jesse ohne nachzudenken. „Du bist in Monaco.“ „Ich kann in vier Stunden in Lissabon sein“, bestätigte Wade. „Wenn ich jemanden besteche, vielleicht in drei.“ Jesse lachte. Ausgerechnet Monaco. Die Heimat der Spielcasinos. Auf einmal machte das Bild von Wade in einem schwarzen Smoking sogar Sinn. „Wie viel hast du diesmal verloren?“ „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, mein Engel.“ „Irgendwann werden sie dir die Kniescheiben zertrümmern.“ Manchmal lag Jesse nachts wach und machte sich Gedanken über Wades Kniescheiben. Und andere Körperteile. Vor allem in Situationen wie jetzt, wenn er viel zu wach und zu müde zugleich war, durchspült von nachlassendem Adrenalin und getränkt in Angstschweiß. Er rieb sich über die Augen. Wade schnaubte. „Ich werde dich informieren, wenn es soweit ist.“ „Sie werden mich umbringen“, sagte Jesse der Fairness halber, und weil er bisher vergessen hatte das zu erwähnen. „Und jeden der bei mir ist. Ich bin eine tickende Zeitbombe.“ „Tatsache.“ Wade klang unbeeindruckt. „Das bist du doch immer. Bis gleich.“ „Bis gleich“, sagte Jesse und legte auf, bevor Wade noch etwas erwidern konnte. Es war ein schöner Gedanke. So optimistisch. Bis gleich. Als ob er in vier Stunden noch am Leben sein könnte. Fortsetzung folgt Über Kommentare freu ich mich wie üblich sehr - ich schreibe das alles neben der Arbeit und kriege kein Geld. Kommentare sind des Schreiber's Lohn. ;D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)