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Reise in den Osten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die FF setzt etwa nach der Greed Island Arc an und es kommen OC’s vor, was ja nicht zu vermeiden ist. Ich hoffe, ihr findet keine Mary Sues, weil ich die eigentlich immer zu vermeiden versuche :o Es kommt auch zu Gewaltbeschreibungen und Charaktertoden.
Das erste Kapitel ist übrigens wesentlich kürzer al die darauffolgenden, da es als eine kleine Einleitung dient. Ich konnte es als Prolog allerdings nicht einordnen, da es keiner ist.
Also dann, ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen ^.^ Komplett anzeigen

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Abengane

„Die Kreatur, die ich erschaffen müsste, wäre groß genug, um einen bei lebendigem Leibe zu verschlingen“, erklärte Abengane besonnen. „Um sie wieder zu entfernen, muss entweder derjenige, der Ihnen den Fluch auferlegt hat, sterben oder besondere Bedingungen, ausgehend von dieser Person, müssen erfüllt werden.“

Hisoka leckte sich über die Lippen, während er still lauschte. Seine Geste missfiel mir zutiefst.

Wahrscheinlicher war es, dass der Kettennutzer sein eigenes Grab schaufelte, als ihn zu töten. Ich hatte zudem keine festen Beweise in der Hand, die dem Exnenisten versicherten, dass der Fluch rückgängig gemacht werden konnte.

„Das bedeutet, dass ich für Sie eine der beiden Möglichkeiten sicherstellen muss“, schlussfolgerte ich.

Er nickte.

Ungeduldig tippelte Hisoka von einem Fuß auf den anderen, als wärmte er sich für einen bevorstehenden Kampf auf, gefolgt von leichten Dehnübungen.

„Ohne dies sicherzustellen, kann ich die Kreatur nicht beschwören. Natürlich helfe ich gerne, aber Sie müssen bitte verstehen, wie hinderlich es für mich ist, Tag für Tag mit einem Monster umherzulaufen, ohne das Wissen, dass es bald verschwindet.“

Dass ausgerechnet ich, der anderen die Fähigkeiten stahl, dasselbe Leid wie meine Opfer empfand. Das letzte Fünkchen Hoffnung erlosch. Nicht unbedingt meine Kräfte vermisste ich, meine Freunde würde ich nie wieder sehen können, ohne dabei mit dem Tod zu zahlen. Die Spinne musste auf ewig ohne Kopf umherirren.

Mein Begleiter setzte eine gefährliche Miene auf, als er dem Exnenisten nähertrat. Der Schock, allein durch den Anblick Hisokas verursacht, stand Abengane ins Gesicht geschrieben. „Hör zu, du wirst jetzt dieses Ding beschwören und mein Spielzeug heilen, sonst wirst du jetzt deinen letzten Atemzug-„

„Hisoka“, unterbrach ich ihn. „Es ist gut!“

Laut seufzend trat er zurück, ohne dass ich Gewalt anwenden musste. Innerlich atmete ich beruhigt auf, denn Hisoka strotzte nur vor Überlegenheit.

Der Gedanke, gegen ihn kämpfen zu müssen, sollte ich von der Judgement Chain um mein Herz befreit werden, ließ mich unangenehm erschaudern. Daher begrüßte ich die Entscheidung des Exnenisten mit gemischten Gefühlen, setzte aber mein Lächeln auf, welches den Schmerz, den die Nachricht mit sich brachte, verbarg.

„Es gibt unzählige Menschen, die ohne Nen-Fähigkeiten ein glückliches Leben führen“, beschwichtigte ich die Situation. „Ich werde es wohl akzeptieren müssen, nie mehr meine Kräfte anwenden zu können.“

Hisoka fing an zu schluchzen. „All die Mühen einfach dahin!“ Theatralisch schwenkte er seinen Körper, als würde er einen Trauertanz hinlegen, durch die Waldlichtung, bis er gegen einen Baum stieß, der ihn zum Stillstand brachte.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Abengane. „Allerdings gibt es noch weitere Exnenisten, deren Fähigkeiten andere Bedingungen erfüllen müssen als meine.“

„Kein Grund, sich zu entschuldigen“, beschwichtigte ich gespielt freundlich. „Ich schätze dennoch Ihre Hilfsbereitschaft.“
 

Die Prophezeiung, die das Mädchen für mich geschrieben hatte, führte mich noch immer gen Osten. Ich hatte fest beschlossen, einen Exnenisten zu finden, um den Fluch, der meine Kräfte fesselte, zu brechen. Abgeschottet von meiner Truppe, war ich auf mich allein gestellt und hatte einzig die Unterstützung eines Mannes, der einen Kampf mit mir ersehnte, sobald ich meine Fähigkeiten wieder einsetzen durfte.

Ich verabschiedete mich von Abegane, dem Exnenisten, den Hisoka für mich gefunden hatte. Seine letzten Worte führten mich auf eine weitere Reise, die ich diesmal allein bewältigen würde, um jemanden zu finden, der mir ohne Gegenleistung half.

Ich legte die Hand auf mein Herz, welches durch Kurapika von einer Kette, bestehend aus Nen, gefesselt wurde. Ich durfte weder meine Fähigkeiten nutzen, noch in Kontakt zu meiner Truppe treten, falls ich nicht vorhatte zu sterben, denn genau das tat der Fluch um mein Herz – er tötete mich, wenn ich ihn brach. Sie zwang mich zu etwas, was er selbst jahrelang gefühlt hatte: Einsamkeit.

Vielleicht musste ich aus der Situation erst etwas Neues lernen, bevor ich sie bewältigte und zu der Phantom Brigade zurückkehren durfte. Eine Herausforderung, die ich gezwungenermaßen, doch auf der anderen Seite nur allzu gern annahm.

Venari - Das Dorf der Jäger

Ich hörte von einem kleinen Dorf, der Provinz Venari, im weiten Osten des Kontinents, in welchem nur Jäger und Sammler lebten. Sie ernährten sich vordergründig von Wildfang und gesammelten Früchten, weshalb sie fast unabhängig von den weit entfernten Städten waren. Ihre Häuser waren einfache Hütten aus Holz und die Straßen glichen Trampelpfaden. Umringt wurden sie von dichten Wäldern mit üppiger Natur, in welchem monströse Ungeheuer lauerten, weshalb sich nur selten Menschen dort verirrten.

In diesem Dorf lebte ein Mann, der für seine besonderen Kräfte bekannt war. Es hieß, er heilte jegliche Krankheiten oder Flüche, seien sie noch so gravierend. Ich musste ihn treffen, egal um welchen Preis.

Das Dorf zu erreichen, so hörte ich, war nahezu unmöglich. Zumindest für jene, die nichts über Nen wussten, dachte ich. Tatsächlich stellte sich die Reise durch die Wälder als gefährlich heraus. Sowohl nachts als auch tagsüber warteten wilde Tiere auf Beute, um sie zu reißen. Ich durfte keine Sekunde unvorsichtig sein, doch für so manchen Auftrag für Meteor City hatte ich bereits gefährlichere Wege in Kauf genommen.
 

Seit zwei Tagen irrte ich durch die dichte Natur, ohne etwas zu essen und ohne etwas zu trinken. Meine Kehle fühlte sich heiser an. Ausgelaugt ließ ich mich auf einem umgefallenen Baumstamm nieder und atmete tief die frische Waldluft ein. Mir mit den Fingern durch das Haar greifend, ließ ich einige schwarze Strähnen in die Stirn fallen. All die Mühen, nur um einen alten Mann zu treffen.

Laub raschelte, als ich mit geschlossenen Augen lauschte. Es verwandelte sich in leise Schritte, welche mit jeder Sekunde an Intensität zunahmen. Das musste das erste Mal sein, dass ich Leute traf, seit ich den Weg in das Dorf eingeschlagen hatte. Fragte sich nur, ob man ihnen trauen konnte.

Ich versteckte mich hinter einem starken Baum, als die Geräusche näher rückten. Das Trampeln paarte sich mit energischen, tiefen Stimmen, die sich lachend unterhielten. Ich beschloss, zunächst versteckt zu bleiben, wenn der Trupp vorbeiging, um ihn genau zu beobachten. Zwar spürte ich keine Anzeichen von Nen, doch vielleicht trugen sie Waffen mit sich. Ich zückte vorsichtshalber mein Messer, falls ich unverhofft angegriffen wurde.

Langsam zeichneten sich zwielichtige Gestalten ab, die sich mir näherten. Bereits nach einem kurzen Blick erkannte ich, dass es sich um eine Bande von wilden Verbrechern handelte, die plumpe Waffen über ihren Schultern mit sich trugen. Sechs großgewachsene, starke Männer waren es, wenn ich mich nicht täuschte. Mit denen dürfte ich selbst ohne Nen fertig werden.

Ein Pfeil schoss an mir vorbei, als ich den Kopf neigte und traf genau in die Stirn einer der Räuber, welcher mit starrem Blick zu Boden fiel. Seine Kameraden stießen Kampfesschreie aus, während sie mit gezückten Schwertern und einer Keule den schmalen Waldweg stürmten. den sie passierten.

Ein erneuter Pfeil teilte die Luft und blieb in einem der starken Oberarme stecken, weshalb ein Schwert klirrend zu Boden fiel. Ich verfolgte die Richtung, aus der er kam.

Eine junge Frau im einfachen Leinenkleid, die buschigen braunen Haare hinten zusammengebunden, holte erneute Wurfgeschosse aus ihrem Köcher und spannte einen Pfeil im Bogen ein, welcher blitzschnell abgefeuert wurde, gefolgt von zwei weiteren, mit denen sie genau drei Räuber kampfesunfähig machte. Ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte und vom Felsen sprang, auf welchem sie ihre Gegner genau im Blick hatte. Übrig blieben der Mann mit der Keule, welche dicker als seine Arme war und ein Verletzter, der seine Stichwaffe humpelnd hinter sich her schleifte.

Die junge Frau machte sich für einen Direktangriff bereit, weshalb sie Pfeil und Bogen an einen Ast hängte. Ein dünnes Messerblatt klemmte sie zwischen ihre Zähne. Ich duckte mich im Gebüsch, als ihre zierliche Gestalt an mir vorbeirauschte. In ihren Fingern hielt sie einen dünnen, für das bloße Auge kaum sichtbaren Faden, mit welchem sie ihren Angreifer erwürgte. Unfreiwillig ließ der Räuber die durch die Luft geschwenkte Keule fallen und kratzte sich stattdessen vergeblich am Hals, weshalb seine Gegnerin den Faden nur enger zog. Rote Linien bildeten sich an seinem Hals ab und die Augen quollen aus den Höhlen hervor. Seine Würgegeräusche erstickten, während er zu Boden kniete.

Das Messer, welches sie zuvor zwischen den Zähnen hielt, warf sie in das Auge ihres verbleibenden Gegners, der jaulend aufschrie und über einen seiner bewusstlosen Kameraden stolperte.

„Habt ihr immer noch vor, uns auszurauben?“, fragte sie in einem abtrünnigen Ton.

Sie nahm eines der Schwerter, welches ihr zu Füßen lag, um dem noch lebenden Räuber ein schnelles Ende zu bereiten. Als sie zurückkehrte, um ihren Köcher um die Schulter zu legen, bewegte ich mich kaum merklich.

„Keine Sorge, du bist auch gleich dran“, warnte sie mich und spannte ihren Bogen.

Vorsichtig trat ich hervor, während ich mich auf einen Angriff gefasst machte. Ihre Schusswaffe blieb hinter mir in der Baumrinde stecken. Als hätte ich mich ergeben, hob ich die Hände in die Luft.

„Ich bin unbewaffnet, keine Angst“, beschwichtigte ich.

„Ich weiß genau, dass du ein Messer in deiner Hosentasche zu stecken hast“, zischte sie, mich genau ins Visier nehmend. „Der erste Pfeil war eigentlich für dich gedacht, aber du hast Schwein gehabt, dass du dich im richtigen Moment bewegt hast.“

Dann hatte ich richtig vermutet, dass sie mich bereits gesehen hatte.

„Du schießt unglaublich schnell. Respekt!“, meinte ich lächelnd, doch sie fixierte eine Pfeilspitze direkt zwischen meine Augen. Es war nicht unmöglich, dennoch schwierig, einem Geschoss mit solch einer enormen Geschwindigkeit auszuweichen, daher ließ ich es nicht darauf ankommen und blieb stehen, wo ich war.

„Sag mir, wer du bist und wonach du suchst“, befahl sie mir.

Langsam senkte ich die Arme und wollte nach meiner Klinge greifen.

„Hände hoch und sprich“, rief die junge Frau bissig. Haarsträhnen flatterten durch den frischen Waldwind vor ihren nussbraunen Augen, die gefährlich blitzten. Ich hielt still.

„Mein Name ist Chrollo Lucilfer und ich suche nach einem Mann, von dem es heißt, er könne Flüche heilen. Er wohnt in einem naheliegenden Jägerdorf. Ich vermute, dass ich meinem Ziel sehr nahe sein muss, wenn ich auf so eine exzellente Jägerin wie dich treffe. Dürfte ich den Namen der jungen Frau erfahren?“

„Ab und zu kommen Leute wie du in unsere Gegend“, begann sie. Ihr Ton milderte sich minimal. „Gratulation, dass du noch nicht von wilden Tieren zerfleischt worden bist. Das passiert nämlich mit den meisten, die nach meinem Vater suchen.“

„Würdest du mich zu ihm bringen?“

Still musterte sie mich von oben bis unten, noch immer in Angriffshaltung. „Wie kann ich sicher sein, dass du kein Krimineller bist?“

Sie traf genau ins Schwarze, aber ausnahmsweise nahm ich aus einem anderen Grund die lange Reise auf mich. Ich hatte nicht einmal das Bedürfnis, dem Alten seine Fähigkeit zu stehlen, sobald er den Fluch auflösen würde.

„Wenn ich ein Krimineller wäre, der es mit dir aufnehmen könnte, hätte ich dich sicher schon erlegt.“

„Du scheinst einer dieser unerschrockenen Helden zu sein, die denken, sie finden, was sie suchen.“ Sie lachte kaum merklich auf, während ihr Pfeil zurück in den Köcher sank. „Wenn du zu ihm willst, musst du mir folgen. Aber glaub nicht, mich angreifen zu können. Ich behalt dich nämlich gut im Auge.“

Endlich ließ ich die Arme sinken und folgte ihr, als sie mir den Rücken zuwandte und losging.

„Unser halbes Dorf besteht übrigens aus Jägern, die wesentlich besser mit Pfeil und Bogen umgehen können als ich. Wenn du also Ambitionen hast, uns auszurauben, darfst du jetzt umkehren.“

„Nein, ich habe nur diese eine Bitte“, erklärte ich ruhig. „Und ich bin auch bereit, dafür zu zahlen.“

„Steck dein Geld wieder ein. Du musst es mir nicht zeigen“, unterbrach sie meine Geste und ich nahm die Hand wieder aus der Hosentasche.
 

Wie ich bereits gehört hatte, bestand Venari aus einfachen Holzhütten, in denen knapp unter zweihundert Einwohner hausten. Die Wege ähnelten alten Trampelpfaden, in denen sich neben Fußabdrücken aller Art Pferdehufen abbildeten. Das Dorf wurde von einem dichten Wald umgrenzt, der sowohl vor Fremden schützte als auch für genügend Nahrung sorgte.

Die Kleidung der Bewohner, die unseren Weg kreuzten, war einfach und in Naturfarben gehalten. Einige der Männer trugen lange Bärte und Tierfelle über den Schultern. Die junge Frau, die mich führte, hatte ein kurzes Gewand in Beige und Braun an, welches bis kurz über ihre Knie reichte und einem Kleid ähnelte. Ein breiter Gürtel um die Hüfte betonte ihre weiblichen Kurven.

Sie führte mich in eine der Hütten und ließ mich vorausgehen. Das Licht drang durch die offenen Fenster und ließ auf die einfach angerichtete, jedoch gemütliche Inneneinrichtung blicken. Ein Mann mittleren Alters mit braunem Bart und schütterem Haar auf dem Kopf, der sich am Tisch sitzend eine Tasse Tee gönnte, drehte sich zur Tür um. Sobald er uns erspähte, ließ er seine Tasse links liegen und begrüßte mich überfreundlich, indem er meine Hand mit seinen beiden umfassend schüttelte.

Seine Aura war unglaublich sanftmütig und beständig. Er machte sich keine Mühe, sie zu verstecken. Vermutlich vertraute der alte Mann den Fähigkeiten seiner Tochter, die nur ausgelesene Menschen in das Dorf führte.

„Junger Mann, ich muss ehrlich sagen, dass ich gar nicht weiß, ob Sie wegen mir oder wegen meiner Tochter hier sind“, scherzte er.

Mir den Nacken kratzend, lachte ich verlegen auf. „Sie ist schon eine Hübsche, aber eigentlich bin ich auf der Suche nach einem Exnenisten.“

Nichts gegen schlagfertige Frauen, aber eine, die mir ohne zu Zögern eine Pfeilspitze durch den Kopf jagen wollte, brauchte ich wirklich nicht.

„Du bist unmöglich, Paps“, schimpfte die junge Frau und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. Die Tasse plärrte.

Der Vater schien sich an der Wut seiner Tochter nicht zu stören und bat mich, Platz zu nehmen, um bei einer Teerunde alles von mir zu erzählen und vor allem was mich herführte. Vielleicht musste ich meine Geschichte mit ein paar Notlügen abrunden, doch im Großen gab es nicht viel, was ich zu verbergen hatte.

„Sagen Sie mir doch bitte Ihren Namen“, bat mich der Alte, während er meine Tasse mit heißer Flüssigkeit füllte.

„Bitte nennen Sie mich einfach Chrollo. Ich lege nicht viel Wert auf Förmlichkeiten, aber Sie dürfen natürlich selbst entscheiden, ob Sie mich siezen möchten.“

Die junge Frau setzte sich auf die andere Seite des Tisches, neben ihr nahm der Alte Platz und genoss einen großen Schluck Tee. „Wenn es so ist, bin ich für Sie nur Chasio. Angelius mit vollem Namen und das hier“, er zeigte auf die junge Frau, die mit verschränkten Armen den Kopf zur Seite drehte, „ist meine Tochter Robin.“

„Freut mich, Sie beide kennen zu lernen“, entgegnete ich lächelnd.

„Viele glauben es nicht, aber Venari ist eine durchaus gastfreundliche Provinz. Nur leider sind die wenigen Leute, die uns besuchen, Schwindler oder Verbrecher, die uns berauben oder meine Kräfte ausnutzen wollen. Deshalb gibt es Jäger und Jägerinnen wie Robin, die unser Dorf von jenen fernhalten.“

Ich blickte interessiert über den Tassenrand.

„Ach, ich fang schon wieder an, über Dinge zu reden, die vermutlich niemanden interessieren. Sie scheinen noch recht jung zu sein. Bitte erzählen Sie doch, wie jemand wie Sie es geschafft hat, unser Dorf zu finden.“

„Es klingt wohl etwas paradox“, begann ich, „aber ich bin ein Skill Hunter, der dummerweise seiner Kräfte beraubt wurde.“

Sowohl Vater als auch Tochter schenkten mir ihre volle Aufmerksamkeit. Den Kopf gesenkt, legte ich die rechte Hand auf die Brust.

„Eine Kette aus Nen, die um mein Herz gelegt wurde, verbietet es mir, mein eigenes Nen einzusetzen oder in Kontakt mit meinen Freunden zu treten, sonst würde sie mich unverzüglich töten.“

Robin zuckte mit den Schultern. „Dumm gelaufen, würd ich sagen.“

„Da scheinst du völlig recht zu haben“, bestätigte ich traurig lächelnd.

„Dieses Nen war was nochmal?“, fragte sie ihren Vater. „Die Aura in Energie umzuwandeln?“

„Grob gesehen ja“, sagte ihr Vater und wandte sich wieder an mich. „Chrollo?“

„Ja?“

„Ich nehme an, Sie glauben, ich kann Ihnen helfen, oder?“

Ich nickte schwach.

„Sie sind mir in dieser kurzen Zeit wirklich sympathisch geworden, deswegen will ich gleich die Wahrheit erzählen.“ Oh, es gab einen Haken? „Außerhalb des Ortes wird fälschlicherweise verbreitet, ich könne Verletzungen oder gar Flüche heilen. Aber ich bin kein Exnenist. Meine Fähigkeit ist es, Menschen wiederzubeleben und dies ist nur möglich, wenn der- oder diejenige höchstens eine halbe Stunde im Todeszustand verweilt. Wer also deswegen den langen Weg auf sich nimmt, kommt längst zu spät.“

Ich seufzte auf. „Wie ärgerlich. Da nimmt man den weiten Weg auf sich und dann völlig umsonst.“

Nicht dass ich die Judgement Chain um mein Herz nicht lösen konnte, obendrein kribbelte es in meinen Fingern, dem Alten seine Fähigkeit zu stehlen. Vielleicht würde sie Ubo nicht mehr zurückbringen, dennoch konnte sie nützlich sein, würde ein anderes Mitglied dem Tod so knapp entgehen können. Ob noch alle beisammen waren wie zuvor oder wirklich die Hälfte von ihnen ausgelöscht wurde? Laut Prophezeiung musste es längst der Fall sein, doch ich sträubte mich, dies zu glauben.

„Eine Frage interessiert mich jedoch.“ Der Drang in mir war einfach zu groß. „Wenn Sie jemanden wiederbeleben, wie lange braucht derjenige, um wieder aufzuwachen?“

„Je nach Todesursache kann es bis zu zwei Tage dauern.“

Schade. Ich ließ den Kopf hängen.

Den Beutel mit Geld, den ich als Bezahlung für seine Mühen vorgesehen hatte, legte ich stumm auf den Tisch, als ich aufstand und zur Tür ging. Derzeit hielt mich hier nichts und auch das gestohlene Geld brauchte ich nicht mehr.

„Du willst schon wieder weg?“, fragte Chasio Angelius. Stuhlbeine ratschten über den Boden.

Heiter lächelnd drehte ich mich zu den beiden um. „Vielleicht komme ich bald wieder.“ Innerlich freute ich mich bereits wie ein kleines Kind auf ein erneutes Treffen, doch eigentlich versuchte ich nur meine Enttäuschung zu überspielen.

Mein Magen knurrte.

Jagd

Das Geld wollten sie nicht annehmen, als hätte ich es aus einer gutmütigen Geste heraus dagelassen. Zur Entschädigung gab es ein Abendessen, welches mein knurrender Magen nicht abschlagen konnte. Es ergab also doch noch einen Sinn, weshalb ich zuvor jemanden beraubt hatte.

Das junge Rehfleisch schmeckte ungewöhnlich gut. Das Dorf bestand demnach nicht nur aus geschickten Jägern, sondern auch aus guten Köchen.

„Und ihre Tochter hat sowohl das Tier erlegt als auch gekocht?“, hakte ich nochmals nach. „Sie müssen verdammt stolz auf Sie sein.“

„Oha ja, das bin ich“, lachte der Alte auf. „Du Robin, vielleicht ist er doch an dich interessiert. Was sagst du?“

Sie unterdrückte ein wütendes Schnauben. „Sicher, ich geh mit irgendeinem Fremden mit, nur weil er einmal mein Essen lobt und lass dich hier verhungern. Zum Schluss lande ich noch bei irgendeinem Schlappschwanz oder vielleicht sogar Vergewaltiger. Das ist es doch, was wir beide wollen.“

Das war direkt.

„Schätzchen, du weißt doch, dein alter Vater macht nur Späße“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Mhm.“ Mehr gab es nicht als Antwort.

„Ich geb Ihrer Tochter recht“, schlug ich mich auf ihre Seite, was ihre Laune zumindest ein wenig milderte. „Vielleicht versuch ich wirklich nur, mit allen Mitteln an eine Frau heranzukommen, aus welchen Gründen auch immer.“

„Als ob du das jetzt ernst meinst“, zischte sie.

„Wer weiß? Find es doch heraus“, grinste ich herausfordernd.

Ihre Augen weiteten sich.

„Ich meine, ob ich wirklich ein Schlappschwanz bin, nicht Vergewaltiger. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer, dass ich das nie tun würde.“

Der Alte atmete beruhigt aus. Robin musterte mich, als ob sie gerade einen Plan austüftelte. “Wie könnte man sowas testen?“, überlegte sie laut, bis sie zu einem Ergebnis kam. „Zeig mal, ob du mich in der Jagd schlagen könntest. Ich will wissen, wie du es durch den Wald geschafft hast. Vielleicht hattest du einfach nur Glück.“

Genau darauf wollte ich hinaus. Die Fähigkeiten der jungen Frau interessierten mich brennend.
 

Chasio hatte auf eine Übernachtung bestanden. Seine Gastfreundlichkeit überragte derer normaler Menschen enorm, und ich stellte mir jetzt schon vor, wie schwierig meine Abreise werden würde.

Für den nächsten Tag setzten wir eine kleine Wette an: Wer zuerst Beute abschoss, gewann. Die Zeit von einer Stunde durften wir nicht überschreiten, sonst mussten wir mit leeren Händen zurückkehren. Als Treffpunkt wählte Robin den Stützpunkt zwischen Wald und Dorf, wo ein kleiner Aussichtsturm stand.

Mit kompletter Ausrüstung ausgestattet, nahm sie mich zur Jagd mit, wo ich mein Talent unter Beweis stellen sollte. Zumindest glaubte sie es. Mein einziges Motiv, weshalb ich mitkam, war es, die junge Jägerin zu beobachten. Vielleicht konnte ich mir die eine oder andere Technik, die sie mit Pfeil und Bogen an den Tag legte, abgucken.

„Wir jagen nach strengen Regeln“, erklärte sie mir. „Wir erlegen nur Tiere, die von der natürlichen Auslese betroffen sind. Dazu gehören verletzte, von der Gruppe abgesonderte oder kranke Tiere. Keine Familien oder Rudel, erst recht keine Mutter mit ihren Jungen und es dürfen keine Tiere aus ihrem Bau gejagt werden. Schließlich hat jeder das Recht auf einen Zufluchtsort. Die einzige Ausrede, ein gesundes Tier zu erlegen, ist Notwehr. Allerdings dürfte das selten der Fall sein, wenn man die Regeln des Waldes nicht missachtet.“

„Also nur die Schwachen“, resignierte ich. Kein Problem für mich.

„Hast du sonst noch Fragen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Am besten zeige ich dir erst, wie es geht und dann trennen sich unsere Wege“, schlug Robin vor, woraufhin ich ihr zustimmte.
 

Wir schlichen und leise an, als wir ein einsames Wildschwein mit verletzter Hufe erspähten. Es ließ sich an einer Pfütze nieder, wo es mit grunzenden Geräuschen untermalt das schlammige Wasser hinunterschluckte.

Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen, als Robin den Bogen fest spannte und ihr Ziel genau visierte. Ein dünner Schimmer von Aura ummantelte die Pfeilspitze. Ich konnte es nicht genau erkennen, da sie schnell abschoss und ich obendrein kein Gyo verwenden durfte, um ihre versteckten Kräfte für mich sichtbar zu machen. Zweifellos hatte Robin gute Anlagen, Nen zu erlernen, das merkte ich an ihrer gesamten Ausstrahlung. Nur zu gern wollte ich wissen, welche Kräfte sie mit gezieltem Training entfalten konnte. Eine ähnliche Fähigkeit wie die ihres Vaters begrüßte ich am liebsten.

Mit dem Pfeil im Bein steckend, fiel das Wildschwein bäuchlings auf den Waldboden. Es zuckte einige Male, bis es schließlich still liegen blieb.

„Du hast die Pfeilspitzen in Gift getränkt, oder?“

„Gut erkannt.“ Die Jägerin schlich mit dem Bogen in der linken Hand zu ihrer erlegten Beute. „Es ist ein Serum, das die Tiere lähmt und sie keinen Schmerz spüren lässt, wenn sie sterben. Für uns ist es allerdings unbedenklich.“ Sie zog den Pfeil aus dem Tier und band die Hufe mit einem Strick zusammen, an welchem sie die Beute an einen Baum hängte.

„Ach ja, du weißt es sicher schon, aber du musst auch Acht geben auf Räuber oder andere Verbrecher. Die treiben sich hier gern rum.“

„Ich pass auf mich auf.“

Überlegend legte sie den Daumen unter das Kinn. „Kannst du überhaupt mit Pfeil und Bogen umgehen? Oder bevorzugst du andere Waffen?“

Zugegebenermaßen bevorzugte ich andere Waffen, die allerdings der Jagd auf Tiere nicht ganz dienlich waren. Ich erinnerte mich, wie ich einem Hunter einst die Fähigkeit ähnlich ihrer gestohlen hatte, aber leider nicht lange einsetzen konnte, da der vorige Besitzer früh gestorben war. Ärgerlich wenn die Opfer sich ohne Nen nicht verteidigen konnten.

„Denke schon.“

„Zeig mal her“, sagte sie provokant.

Bereits als ich ihre Ausrüstung in die Hand nahm, seufzte sie übertrieben laut auf. „Macht ja keinen Spaß, wenn ich jetzt schon weiß, dass ich gewinne.“

Ohne zu fragen, platzierte Robin meine Arme in die korrekte Ausgangshaltung. Dass ich Linkshänder war, behielt ich lieber für mich, sonst hätte sie nochmal von vorn mit ihrer Prozedur begonnen. Stattdessen hielt ich brav still und scherzte: „Oh, Hautkontakt“, als sie meine Handgelenke griff.

Die Jägerin stieß mir den Ellenbogen mit voller Absicht in die Rippen, was unangenehm schmerzte.

„Das hast du doch mit Absicht getan.“

„Vielleicht?“, grinste sie. „Ich kann es auch nochmal machen.“

„Lieber nicht.“

Langsam streiften Robins Finger über meine linke, falsche Hand, die den Bogen gut festhielt. „Jetzt bleib so stehen, wie du bist“, flüsterte sie und ließ mich los.

Einige Sekunden verharrte ich in der Angriffshaltung, während die Jägerin kichernd davonrannte. Ah, damit hatte ich nicht gerechnet. „Du hast deine Ausrüstung vergessen“, rief ich, als ich sie nicht mehr sah, doch das kleine Miststück hörte mich nicht mehr. So leicht ließ ich mich allerdings nicht austricksen.

Robin war eine Meisterin im Versteckspiel, als verbarg sie ihre Aura willentlich. Dennoch beschloss ich, ihr hinterherzujagen und die Beute wegzunehmen. Bereits nach wenigen Minuten entdeckte ich die Anpirschende hinter einem Strauch, wo sie eine Nadel in ein langes Röhrchen steckte und das Mundstück an ihre Lippen führte. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, hielt ich mich im Verborgenen und folgte ihrem Blick zum Wolfsbären, der sich mit der hinteren Pfote am Ohr kratzte und sein Fell gründlich durchschüttelte.

Ihre Giftnadel bewegte sich vermutlich schneller durch die Luft als mein Pfeil, daher wartete ich genau den Moment ab, kurz bevor sie Luft holte und schoss ab. Er steckte bereits im Nacken des Tieres, als sie wütend aufschrie, das Röhrchen auf den Boden feuernd.

Still schlich ich mich an, sodass ich ihr Gesichtsfeld stets mied. Den Bogen stellte ich an einem naheliegenden Baum ab.

„Du brauchst gar nicht so zu tun!“, knurrte sie.

Ich verkniff mir ein Lachen. Anderen die Beute zu stehlen, machte zu sehr Spaß. Auf einem Ast sitzend, ließ ich meine Beine direkt über der suchenden Jägerin baumeln, die überall auf dem Boden Ausschau hielt. Ich sprang so leise wie möglich herunter, als sie bockig die Arme verschränkte und sich nicht mehr regte.

„Sieht aus, als war ich schneller als du.“

Robin schnalzte mit der Zunge. „Hol den Bogen und dann hilf mir, den Wolfsbären zu tragen.“
 

Als wir den Wald verließen, standen bereits zwei Frauen am kleinen Aufsichtstürmchen, wo sie auf die Ausbeute warteten.

„Sieht aus, als hättest du heute doppelte Beute gemacht“, witzelte eine der beiden. Sie krempelte ihre Ärmel hoch, um mit anzupacken.

„Doppelte Beute?“, murmelte Robin zu sich selbst, als hätte sie etwas vergessen. „Ach Mist, das Wildschwein hängt da noch am Baum. Kümmert ihr euch um den Bären.“

Unbedacht ließ sie das Tier auf meine Füße fallen. Den Schmerz unterdrückend, biss ich mir auf die Unterlippe. Zu allem Übel ließ ich mir auch noch von den beiden quasselnden Frauen helfen, die Beute in den Schlachtraum zu tragen.

„Ich glaub, ich weiß bereits, weshalb du hier bist“, begann die eine.

„Hast du es schon herausgefunden?“, fragte mich die andere.

Ich sah verwirrt zwischen beiden hin und her, bis mir einfiel, dass sie von dem alten Angelius sprachen.

„Ach ja, das weiß ich schon. Gestern Abend erfahren.“

Sie bemitleideten mich mit ihren leisen Flüstereien, die ich allerdings recht gut verstand, bis eine mich schließlich mit einem besorgten Gesicht fragte: „Wie schlimm steht es denn um dich?“

Ich winkte beschwichtigend ab. „Solange ich noch einen Wolfsbären erlegen kann, liegt alles im grünen Bereich.“

Mich beschlich jäh ein ungutes Gefühl.

„Kann ich die Damen kurz allein lassen?“, fragte ich, während ich einer der Frauen bereits die Füße des Wolfsbären in die Hand drückte. „Ich will nur kurz nach Robin schauen.“

„Ja, kein Thema, das kriegen wir zu zweit hin. Aber die Kleine ist zäh, mach dir nicht zu viele Sorgen um sie.“

Ich lief bereits Richtung Wald, während die beiden mich noch verabschiedeten. Etwas Beängstigendes lag in Robins Gesicht, als sie mir wie paralysiert entgegenwandelte, ihre Augen aufgerissen und eine bebende Unterlippe. „Alles okay“, murmelte sie abwesend, als sie mich entdeckte und hob abwehrend die Hand, bevor ich zum Sprechen ansetzte.

Eine erschreckend kalte Aura strömte aus dem Wald. Robin packte meinen Arm und schliff mich hinter sich her. „Geh da nicht rein!“

Unerwarteter Gast

Mein Handy klingelte. Ich hatte völlig vergessen, dass ich eines bei mir trug. Robin, die sich nach dem seltsamen Vorfall gestern allmählich beruhigte, wurde von dem piependen Ton aus ihrer Starre geholt.

„Was ist das für ein Geräusch?“

Ich schaute auf das Display, welches mir den Absender zeigte. „Damit kann ich über weite Entfernungen mit anderen kommunizieren.“

„Du Vollpfosten! Sag doch, das war dein Telefon oder glaubst du, ich weiß nicht, was das ist!? Hat dich jemand angerufen? Zeig mal her! Wie funktioniert das überhaupt?“

Schnell verschwand ich aus Robins Reichweite, bevor sie nach dem Handy griff. „Privat“, rief ich ihr als Abschied, den Raum verlassend und nach draußen schnellend. Trotz ihrer Geschwindigkeit konnte es die Jägerin mit mir zum Glück nicht aufnehmen, denn ich wollte niemanden in die Angelegenheit hineinziehen. Als mich niemand beobachtete, las ich endlich die Nachricht:
 

„Wo warst du gestern Abend? ♦;︵;♥“
 

Und jetzt war mir alles klar. Die erschreckende Aura, die aus dem Wald strömte, Robins erschrockenes Gesicht und vor allem mein ungutes Gefühl.

Die angsteinflößende Atmosphäre verriet mir nicht nur, dass Hisoka sich hier aufhalten musste, sondern dass sein Gemütszustand sehr niedergeschlagen sein musste. Dennoch suchte ich nach ihm, indem ich mich von dem Gefühl leiten ließ, sonst würde er niemals verschwinden.

Hisoka rekelte sich lasziv an einem Baum, was mir nur ein Naserümpfen entlockte, als ich ihn endlich fand. Fertig mit seinem Schauspiel, nahm er eine normale Haltung ein, um mit mir zu reden. „Ich hab seit gestern auf dich gewartet“, schmollte er gespielt.

Ich gab keine Antwort.

Mit geschmeidigen Schritten näherte er sich mir wie ein Raubtier seiner Beute, ein breites Grinsen im Gesicht. „Wie geht es voran? Hast du deine Kräfte zurück?“ Er leckte sich genüsslich die Lippen bei dem Gedanken.

Ich schüttelte nüchtern den Kopf.

Seine Mundwinkel zogen sich minimal nach unten. „Wenn du dich nicht beeilst, muss ich mir ein anderes Spielzeug suchen.“ Er legte nachdenkend die Finger an sein Kinn, den Blick schräg nach oben gen Himmel gerichtet. „Die Spinnen sind doch ein interessantes Trüppchen.“

Kaum merklich biss ich die Zähne zusammen, um meine Wut zu zügeln. Als wäre ich völlig gelassen, antwortete ich freundlich: „Du musst dir darum keine Gedanken machen. Der Alte ist kein Exnenist, wie ich dachte, aber seine Tochter könnte interessant für mich werden.“

„Könnte?“, hakte Hisoka nach. Da hatte ich wohl zu viel gesagt. Dass sie noch kein Nen bewusst einsetzte, wollte ich ihm eigentlich nicht verraten. Bevor ich zum Reden ansetzte, wurde ich allerdings unterbrochen: „Warte, du meinst sicher das hübsche Ding, das ich gestern getroffen hatte? Ganz schön schlagfertig, die Kleine. Hat mich etwas an Machi erinnert.“ Schwärmend seufzte er. „Aber sie ist noch eine ganz andere Liga.“

„Du lässt die Finger von ihr. Ich brauche sie noch.“

„Ohh!“ Er zog den Ausruf besonders lang, mit einer dunklen, leisen Stimme, als dachte er an etwas Perverses. Seine Augenbrauen schnellten kaum merklich hoch. „Wie lange muss ich warten, bis ich endlich dran bin?“

Ich zuckte ratlos die Achseln und antwortete nonchalant: „Vielleicht ein halbes Jahr. Kann auch früher sein, wenn sie talentiert ist.“

Hisokas Kinnlade fiel nach unten. Mit dem Handrücken drückte er ihn wieder nach oben. „So lange?“

„Nach jemand anderen zu suchen, würde noch länger dauern, da ich sonst keine Anhaltspunkte besitze. Aber die Chancen, dass sie die richtige Kraft entwickelt und schnell lernt, stehen sehr gut.“

„Mit wem soll ich in der Zeit spielen?“; schmollte er. „Mit deinen Spinnchen vielleicht? Das bist du mir schließlich schuldig.“

„Hisoka, ich warne dich“, sagte ich ernst. „Tu etwas Unüberlegtes und ich werde dich ohne zu zögern töten. Selbst ohne Nen.“

Er kicherte furchteinflößend. Als seine Hand nach meiner Schulter greifen wollte, wich ich knapp aus. „So lockt man dich also aus der Reserve. Ich freue mich bereits auf unseren Kampf.“

Ich hoffte inständig, dass ich mit meiner Vermutung falsch lag, doch eigentlich war es offensichtlich, was er vorhatte.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht entfernte sich Hisoka. Ich hütete mich, ihm zu folgen und blieb stattdessen stillschweigend stehen, die Hände zu Fäusten geballt. Während Hisokas Schritte leiser wurden, wurden andere lauter. Weiche Schritte von einem zarten Wesen. Ich drehte mich um.

„Muss man zum Telefonieren so weit abhauen?“, schnaubte Robin, die ihre dichten braunen Haare zu einem Pferdeschwanz band.

Ich schenkte ihr ein unschuldiges Lächeln. „Ich möchte doch nicht, dass du von meiner heimlichen Affäre hörst.“

Ihr Zischen wurde vom Rascheln der Blätter übertönt, als der Wind zu wehen begann. Trotz der Wärme ließ er einen erschaudern, doch sobald wieder Stille herrschte, griff Robin nach meinem Handgelenk, um mit mir zurückzukehren.

Eine Weile folgte ich ihr stumm, bis ich schließlich aus heiterem Himmel heraus fragte: „Sag mal, was hältst du eigentlich von Nen?“

Sie zuckte die Schultern. „Wie meinst du das?“

„Würdest du es nicht erlernen wollen? Ich weiß, du bist bereits stark genug, aber selbst die besten Jagdkünste sind nichts im Vergleich zu anständigen Nen-Fähigkeiten.“

„Also ehrlich gesagt“, sie ließ mich unbewusst los, „habe ich keine Ahnung, wie das alles mit der Aura funktionieren soll und es interessiert mich auch nicht.“

„Ich kann es dir erklären“, schlug ich vor. „Es würde dir einige Vorteile verschaffen.“

Robin seufzte. „Erklär mir mal diese Vorteile und vielleicht überleg ich es mir.“
 

Sie hatte nicht sehr überzeugt ausgesehen, während ich ihr die Vorteile von Nen erklärt hatte. Dass es sie interessierte, gestand sie erst eine ganze Weile später und vor allem indirekt. Es ihr beizubringen klang viel mehr nach einer Aufforderung als nach einer Bitte, aber ich war natürlich ein gütiger Lehrer und beschwerte mich nicht über ihren Ton und erklärte ihr die Grundtechniken, die sie brav lernte. Ich wusste, dass es lange dauern würde, doch das nahm ich in Kauf. Ihr die Tage beim Meditieren zuzusehen, war wesentlich angenehmer, als irgendwo auf der Welt nach einem Exnenisten zu suchen, ohne sich mit eigenem Nen verteidigen zu können.

In ein Buch vertieft, hatte ich es mir auf einem Stuhl im Wohnraum gemütlich gemacht, wo Robin sich bemühte, ihre Aura unter Kontrolle zu bringen. Chasio Angelius, der den Nachmittag bei alten Freunden in einer Teerunde verbrachte, bekam von den Übungen nichts mit.

Robin ließ sich bäuchlings auf meinen Schoß fallen, weshalb mir vor Schreck das Buch zu Boden fiel. „Nen ist scheiße.“

„Alles, was du gemacht hast, ist Meditieren, also beschwer dich nicht.“

Sie rollte nur ihre Augen, den Kopf anschließend in meinem Hemd vergrabend. Ich wusste nicht ganz, ob sie auf etwas Bestimmtes hinauswollte.

„Jetzt üb weiter, bis du es schaffst, deine Aura zu kontrollieren.“

Mit ausgestrecktem Arm suchte ich nach dem Buch, das auf dem Teppich lag.

„Hast du das auch alles lernen müssen?“, nuschelte sie.

Ich nickte stumm, während ich nach der Seite suchte, auf der ich zuvor stehen geblieben war. Mit gehobenem Kopf schielte sie auf die Buchstaben, stand anschließend auf und streckte sich ausgiebig wie nach einem langen Nickerchen.

„Selten auf einem so ungemütlichen Schoß gelegen“, gähnte sie.

Als ich darauf nicht reagierte, da ich zu sehr in mein Buch vertieft war, stieß sie gegen mein Schienbein.

„Zu viel lesen ist ungesund.“

Ich sah vorsichtig auf. „Abgesehen von dem Fluch finde ich mich ziemlich gesund.“

Robin legte den Kopf schief, während sie mich prüfend musterte. „Da fällt mir ein, wenn du so in Bücher vernarrt bist, wir haben auch eine Bibliothek. Ich hafte aber nicht für deine Gesundheit.“

Sofort legte ich den Schund zur Seite. „Das hättest du ruhig früher sagen können. Vielleicht gibt es dort hilfreiche Lektüre, die du heranziehen kannst.“

Sie zeigte mir den Vogel, während sie als Antwort spöttisch prustete. Irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas passte ihr an mir nicht.
 

Wir liefen etwa fünf Minuten durch das gesamte Dorf. Ganze fünf Minuten, und den Wald hatte man nicht aus dem Auge verlieren können. Selten hatte ich solch einen kleinen Ort wie Venari kennengelernt.

Ein langes Gebäude mit flachem Dach, ebenfalls einfach gebaut wie die Hütten und mit wenigen Verzierungen, stand nahe am Dorfrand. Die Tür stand offen und es gab keine Rezeption, weshalb jeder ein- und ausgehen sowie lesen durfte, wie er wollte.

Als wir die Bibliothek betraten, kamen uns gleich die vollgestopften Regale entgegen. Staub lag auf den Einbänden, was vermuten ließ, dass die meisten Einwohner des Dorfes andere Prioritäten setzten als Gelehrte. Sie war leer, nachdem ein junger Mann den großen Raum verließ.

„Hier kann jeder ausleihen, was er will“, erklärte Robin salopp. „Kann man nicht wirklich Bibliothek nennen, aber wenn man mal was lesen will, findet man schon was. Hat sich bis jetzt zumindest niemand beschwert.“

Ich nickte knapp, während meine Finger über die Einbände der Bücher streiften. "Wundert mich, dass noch niemand das Gebäude abgerissen hat. Bei euch scheint es ja keine Leseratten zu geben.“

„Na ja, dafür ist es auch zu schade. Aber die meisten arbeiten nun mal lieber, anstatt zu lesen.“

Sorgfältig las ich mir die einzelnen Titel durch, um etwas Interessantes zu finden. „Wie wär’s mit ‘nem Vorschlag? Ich bleib solange hier, bis du es geschafft hast, deine Auraporen zu öffnen. Dann kommst du wieder hier her und kannst anfangen, Ten zu lernen.“

Robin rümpfte die Nase. „Kannst dir gleich einen Schlafplatz in der Staubbude einrichten.“

„Gern“, lächelte ich abwesend und zog ein Buch aus dem Regal, was meine volle Aufmerksamkeit erlangte.

Robin warf mir ein dickes Lexikon gegen den Hinterkopf, während sie die Bibliothek verließ. So mancher hätte nach solch einer Aktion in seiner eigenen Blutlache geschwommen.
 

Ihre Antwort heute Nachmittag war eigentlich eindeutig, dennoch verschanzte ich mich im Raum und saß, in eines der unzähligen Sachbücher vertieft, auf dem blanken Boden. Ich fand zwar nichts Neues über Nen oder Exorzismus, aber einiges Interessantes über die Geschichte des Dorfes, die ich vielleicht zu meinem Vorteil nutzen konnte, sollte ich eines Tages wiederkehren. Die Möglichkeit bestand tatsächlich, aber im Moment hatte ich andere Sorgen.

Mittlerweile zischte ein kühler Wind durch den Raum. Ich kniete mich hin, als es mir zu kalt auf dem Boden wurde und legte die Lektüre auf meinen Schoß. Gähnend streckte ich die Arme von mir. Selbst im Kerzenschein konnte ich schwer noch etwas sehen, so dunkel war es draußen. Ich rieb mir die von der Müdigkeit schmerzenden Augen, als plötzlich die Tür quietschte.

Noch durchgelaugter als ich und mit ausströmender Lebensenergie stand Robin hinter einem der Regale und wartete darauf, dass ich aufstand, um zu ihr zu gehen.

„Hab meine Aura endlich unter Kontrolle. Was sagst du jetzt, du Leseratte?“ Ihre Stimme klang müde und schwach, die Augenlider fielen immer wieder nach unten und zuckten auf, als sie ihre eigene Müdigkeit bemerkte.

„Dann lernst du als nächstes Ten.“

Sie warf mir einen fragenden Blick zu, gefolgt von einem lauten Gähnen hinter vorgehaltener Hand.

Ich legte die Bücher alle zur Seite und bahnte mir einen Weg zu ihr. „Das bedeutet, dass du die Aura an deinen Körper binden musst, damit sie nicht ausströmt.“

„Und was ist, wenn ich das nicht schaffe?“

„Dann verlierst du deine gesamte Lebensenergie und stirbst vielleicht.“

Sofort war sie hellwach und stand stramm, obwohl sie kurz zuvor fast vor Müdigkeit umgekippt wäre. Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

„Keine Sorge, das passiert nicht. Konzentriere dich und versuch eine Hülle um deinen Körper zu bilden. Nimm eine entspannte Haltung ein, schließ am besten die Augen und stell dir vor, dass deine Aura wie auch dein Blut durch deinen gesamten Körper fließt und dich sanft ummantelt.“

Während sie ihr Ten aktivierte, erlosch die Kerze, die ich mir zum Lesen angezündet hatte. Ich erkannte nur noch Robins Silhouette und spürte einen warmen Strom an Energie, von ihr ausgehend.

Sie öffnete erstaunt die Augen. „Warm“, murmelte sie.

„Versuch in diesem Zustand zu bleiben.“

Gähnend nickte die junge Frau, bevor sie gefährlich taumelte. Ich fing sie in letzter Sekunde auf und trug sie aus der Bibliothek. Ihre Aura erlosch von allein, während sie sich müde an mich klammerte.

„Nutzt du auch grad Ten?“, nuschelte sie.

Ich wünschte, sie hatte recht.

„Ich fürchte, das ist meine normale Körpertemperatur“, lachte ich leise.

„Wie lahm.“

Strahlungsart

Es dauerte seine Zeit, bis Robin die Grundtechniken Ten, Ren und Zetsu erlernte. Nach wenigen Wochen Training allerdings wusste sie gezielt und auf Kommando ihre Aura zu aktivieren und wieder erlöschen zu lassen. Nachdem sie auch endlich Ren beherrschte und so die Kraft der Aura, die sie umgab, potenzierte, wagte ich mich mit ihr an ein Wasserorakel.

Ihre Hände um das mit Wasser gefüllte Glas gelegt, bat ich Robin, ihr Ren einzusetzen und die Reaktion abzuwarten. Ich hoffte insgeheim entweder auf Sonderart oder Verkörperungsart, ihrem Gemüt nach zu urteilen, konnte sie beispielsweise genauso gut Strahlungsart sein.

Konzentriert richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Glas zwischen ihren Händen. Angespannt blieb ich neben ihr stehen, bis sich etwas rührte. Das Wasser färbte sich rot. Ich hätte es gleich ahnen sollen. Tief seufzend ließ ich den Kopf hängen. Wie sollte jemand der Strahlungsart die Fähigkeit eines Exnenisten erlernen? Selbst wenn sie das Talent dafür besaß, bezweifelte ich, dass ihre Stärke je dafür ausreichen würde, Kurapikas Kette zu brechen.

„Alles okay?“, fragte sie verwirrt.

Ich setzte ein Lächeln auf, als ich den Kopf wieder hob. „Ja, alles in Ordnung. Wenn sich das Wasser übrigens verfärbt, weist es darauf hin, dass du zur Strahlungsart gehörst.“

Ich musste es positiv sehen. In der Zeit, in der ich Robin trainierte und in Venari lebte, musste ich mir keine Gedanken um Verpflegung oder Unterkunft machen. Jetzt konnte ich allerdings alles hinschmeißen und überlegen, wie ich meine Suche fortsetzte. Sie jetzt noch zu trainieren, war reine Zeitverschwendung, denn mir fiel keine Möglichkeit ein, wie sie mit ihrer Strahlungsart das Nen um mein Herz auslöschen konnte. Oder doch? Ich war gerade zu verzweifelt, als dass ich dafür eine Antwort fand.

„Lern ich endlich Hatsu?“

Angestrengt nachdenkend, rieb ich mir die Schläfe. „Theoretisch könntest du damit bereits anfangen, es wäre aber von Vorteil, die anderen Grundtechniken erst zu stärken.“

„Das hab ich doch seit zwei Monaten getan“, stöhnte sie genervt. „Irgendwann muss ich doch meine Fähigkeiten entwickeln.“

Genaugenommen war dies nicht mehr meine Angelegenheit.

„Dafür brauchst du mich nicht mehr. Man muss selbst herausfinden, welche Fähigkeit zu einem passt.“

Sie fing laut an zu denken, untermalt mit einem seufzenden Ton. „Welche Fähigkeit hast du?“

Ich grinste. „Die wichtigste Regel überhaupt: Verrat deinem Gegner niemals, welche Kräfte du besitzt.“

Unentwegt pikste sie mit der Fingerspitze in meine Rippen. „Sag es oder ich hör nicht auf!“ Selbst als ich einen Schritt zurückging, rutschte sie mit dem Stuhl hinterher und hielt mich fest, damit ich nicht abhaute.

„Ich stehle anderen das Hatsu, wenn sie mich nerven.“

Empört stemmte sie die Arme in die Hüften. „Du Dieb!“, rief sie spielend geschockt.

Ich lachte. „Da kann wohl jemand mit der Wahrheit nicht umgehen.“ Bevor ich erneut von ihr schikaniert wurde, rannte ich auf die andere Seite des Tisches, wo sie mich nicht erreichte.

„Nein, ehrlich“, begann sie nun ernst, als ich ihr entwischte „Wieso erzählst du nie über dich?“

„Weil du mich ganz sicher hassen würdest, wenn ich es dir erzähle“, antwortete ich nüchtern.

„Schwachsinn“, zischte sie. „Ich beurteile Menschen nach ihrem Charakter und nicht nach ihrer Vergangenheit oder ihren Taten. Mittlerweile weiß ich, wie du drauf bist und egal, was du über dich sagst, ich werd dich nicht hassen.“ Auf ihren Lippen bildete sich ein zartes Lächeln ab. „Ich weiß ja, dass du keiner Fliege etwas zuleide könntest. Und solltest du in der Vergangenheit trotzdem etwas Unverzeihliches getan haben, sehe ich, dass du dich geändert hast.“

Sie klang so ehrlich, dass ich beinahe überlegte, ihr die Wahrheit zu gestehen. Wenn sie glaubte, was sie über mich sagte, war sie viel zu gutmütig. Aber solche Leute, die mich als harmlos eingestuft hatten, weil ich mich höflich oder freundlich benahm, hatte ich zu Genüge erlebt.

Besonnen schüttelte ich den Kopf, während ich auf einem Stuhl direkt neben mir Platz nahm.

Robin seufzte laut. „Überhaupt nichts? Kannst du auch nicht sagen, woher du kommst oder dein Beruf? Irgendwelche Hobbys? Familie? Oder warum dich jemand mit diesem komischen Kettenfluch belegt hat?“

Still schaute ich an mir herunter, als sie von der Judgement Chain sprach. Robin tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Fußboden. „Ich warte.“

„Später.“
 

Zum Glück vergaß sie es schnell wieder. Ich übernahm diesen Abend freiwillig die Wache, während Robin ihr Nen trainierte. Die Aufgabe hatte ich mir ein wenig interessanter vorgestellt, denn bis auf ein paar wilde Tiere bestand keine Bedrohung. Die Zeit nutzte ich hauptsächlich, um zu überlegen, ob ich noch eine Weile in Venari blieb oder bereits abreiste. Das Hauptproblem bestand darin, dass ich keine Anhaltspunkte für ein weiteres Ziel besaß. Mittlerweile neigte sich die Sonne dem Horizont, als einer der Jäger auf den Aufsichtsturm stieg, um mich abzulösen.

An der Hütte der Angelius angekommen, hielt der alte Chasio bereits Ausschau. „Kannst du Robin Bescheid geben, dass es gleich Abendessen gibt? Sie ist vorhin in die Bibliothek gegangen.“

„Kein Problem, bis gleich“, verabschiedete ich mich, bevor ich einen erneuten Fußmarsch auf mich nahm.

Normalerweise las sie nicht gern, hatte sie mir erzählt, deswegen überraschte es mich, dass sie sich ausgerechnet in der Bibliothek aufhielt. Vielleicht schnüffelte sie auch nur nach, was ich dort die ganzen Tage tat. Die Auflösung kam bald.

Ich blieb still am Eingang der Bibliothek stehen. Halb verdeckt von den Regalen, saß Robin an einem dunklen Holztisch, wo sie Bücher vor sich ausgebreitet hatte. Sie brauchte einige Zeit, bis sie mich bemerkte. Nach einer kurzen Schrecksekunde nahm sie wieder normale Haltung ein.

„Sag mal was hältst du eigentlich davon, Hunter zu werden?“, fragte sie mich beiläufig, während sie die Zeilen vor sich überflog.

Mich hatte es noch nie gereizt, an der Hunterprüfung teilzunehmen, wenn der Großteil der Anwärter keine Ahnung von Nen hatte. Es gab demnach niemanden, dessen Fähigkeiten ich hätte stehlen können, außerdem genoss ich als Anführer der Phantom Brigade dieselben Privilegien wie ein Hunter, und schwer zugängliche Informationen konnte Shalnark, der Einzige mit einer Lizenz, für die Gruppe beschaffen.

„Hunter haben viele Privilegien, aber bisher kam ich auch ohne Lizenz klar.“ Ich rückte den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches zurück, um Platz zu nehmen.

„Ich überleg ja für mich. Die dürfen beispielsweise gesperrte Gebiete bereisen oder kommen an geheime Informationen, die ein normaler Mensch nie beschaffen könnte. Außerdem können sie öffentliche Verkehrsmittel kostenlos nutzen.“

Ich betrachtete die aufgeschlagenen Seiten. Unter den vielen Werken über Hunter und Menschen mit besonderen Fähigkeiten befanden sich einige, die ich bereits gelesen hatte. Beunruhigen tat mich eigentlich nur die aufgeschlagene Seite über Meteor City aus einem Ratgeber über unentdeckte Orte.

„Wie kommst du eigentlich darauf?“ Ich tippte auf das Buch.

„Ich hab mich über die Orte der Welt informiert, die nicht für alle zugänglich sind. Die Seite hatte einen Knick, darum hab ich die zuerst aufgeschlagen.“

Ich nickte abwesend als Zeichen, dass ich ihr zuhörte. Das Buch schlug ich ohne zu zögern zu. „Sowas musst du nicht lesen. Das meiste darin stimmt sowieso nicht.“

„Woher willst du das wissen?“, blaffte sie mich an und suchte nach der Seite, als sie mir den Ratgeber aus der Hand riss. „Schon mal da gewesen?“

„Vielleicht?“

Sie blätterte willkürlich durch die Seiten, während sie ihre Aufmerksamkeit mir schenkte.

„Die ganze Stadt besteht nur aus einer riesigen Müllhalde, das war’s.“

Robin rümpfte die Nase. „Ich hab gehört, da leben auch Menschen. Kann mir nicht vorstellen, dass die nur in Müll leben. Also verarsch mich nicht.“

Ich grinste. „Du glaubst gar nicht, wie viele Orte ich schon bereist habe und das ganz ohne Hunterlizenz. Aber du musst selbst wissen, ob du mir glaubst.“ Ich stand auf, als mir einfiel, weshalb ich überhaupt herkam. „Ach ja, ich wollte eigentlich Bescheid geben, dass es Abendessen gibt.“

Unschlüssig sah Robin zwischen ihren Büchern und mir hin und her.

„Wenn du mir das auch nicht glaubst, bleib ruhig hier“, meinte ich schulterzuckend und verließ die Bibliothek. Nach nur wenigen Sekunden folgte sie mir polternd.
 

Robin packte mich am Handgelenk, als ich vom Essenstisch aufstand und fragte leise: „Kommst du mit?“ Ich ließ mich von ihr in ihr Schlafzimmer führen, nachdem Chasio versicherte, dass er sich um den Abwasch kümmerte.

Wie sie setzte ich mich auf das gemachte Bett. Ihre Finger streiften an meinem Hosenbein auf und ab, während sie nachdachte.

„Weißt du, ich hab in letzter Zeit einiges überlegt“, begann sie zögernd. „Venari ist zwar schön ruhig, aber ich will auch nicht ewig hier leben. Das letzte Mal, dass ich draußen war, war vor über einem Jahr.“

„Und deswegen willst du Hunter werden?“, unterbrach ich sie.

„Das war ja nur eine Überlegung.“ Langsam wanderte ihr Blick an mir hoch, bis sich unsere Augen trafen. „Du hast doch sicher mehr da draußen gesehen als ich, oder?“

Ich nickte knapp.

„Na ja, darum interessiert es mich einfach, was du alles schon erlebt hast. Ich selbst weiß ja kaum etwas von der Außenwelt.“

Schade, ich dachte, sie hätte das Thema bereits abgehakt oder gar vergessen.

Ihre Finger krabbelten unbemerkt über mein Bein. Ich drehte mich etwas weiter zu ihr.

„Ich versteh dich schon“, sagte ich lächelnd. „Es ist nur so, dass ich nicht gern darüber rede, weil ich über manche Dinge, die ich getan habe, nicht stolz bin.“

„Ist doch egal“, flüsterte Robin. „Jeder hat mal Fehler begangen.“

Dass sie mein Leben mit ihren kleinen Jugendsünden verglich, brachte mich beinahe laut zum Lachen. Selbst wenn sie eine gefürchtete Mörderin war, was ich bezweifelte, kam dies niemals meinen Taten gleich.

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Ich will doch gar nicht, dass du irgendwelche Missetaten gestehst, sondern dass du mir von den Orten erzählst, die du besucht hast.“ Aufmunternd lächelte sie mich an. Dabei blies ich keinen Trübsal, sondern schwelgte nur in Erinnerungen. Ich überlegte, wie ich beginnen sollte. Am besten am Anfang, denn an meiner Kindheit gab es nichts Verwerfliches.

„Du möchtest also immer noch wissen, wo ich aufgewachsen bin?“, fragte ich nach.

Sie nickte eifrig und hörte gespannt wie ein kleines Kind zu.

„Meine gesamte Kindheit hab ich in Meteor City verbracht, bis ich mit ein paar Freunden von dort abgehauen bin, um durch die Welt zu reisen.“

Robin sah aus, als glaubte sie mir nicht. So langsam zog sie ihre Finger von meinem Oberschenkel herunter. Ihr Mund blieb offen stehen. „Dann hast du vorhin nicht gelogen?“

„Wieso sollte ich?“

Sie zuckte ratlos die Schultern, immer noch verblüfft. „Aber da leben nur Ausgesetzte und Flüchtlinge. Heißt das dann, dass du deine Familie gar nicht kennst?“

Ich lächelte schwach. „Ich kenn nur meine Herkunft nicht. Trotzdem hatte ich Leute um mich, die ich als Familie angesehen habe. Wir waren auch bis vor kurzem immer zusammen geblieben.“ Jetzt konnte ich meinen Blick tatsächlich nicht verstecken. Augenblicklich dachte ich an die Spinne zurück, die ich dank der Judgement Chain nicht mehr sehen durfte. Was sie wohl alle ohne mich machten? Sicher ernannten sie vorläufig einen neuen Anführer und machten weiter wie zuvor. Zumindest hoffte ich, dass sie immer noch zusammenblieben. Hisokas Berichte waren immer sehr schwammig und selbst in den letzten Wochen konnte sich vieles ändern.

„Vermisst du die anderen?“, fragte Robin leise.

Gedankenversunken nickte ich und merkte erst später, dass sie ihre Arme um mich schlang. Tief seufzend lehnte ich mich nach vorn gegen ihren Körper und murmelte leise: „Jetzt mach dir darum keine Sorgen. Ich sehe ja alle bald wieder und solange sie ohne mich klarkommen, ist alles in Ordnung.“

Vorsichtig befreite ich mich aus ihrem Griff und trocknete mir schnell die Augenwinkel, bevor sie einen Blick auf mich warf.

„Meine Kindheit war schön, obwohl ich auf einer Müllhalde aufgewachsen bin. Auch wenn die Bevölkerung aus Verstoßenen, Verbrechern oder Ausgesetzten besteht, verhalten sie sich untereinander menschlicher und familiärer als Blutsverwandte.“

„Okay“, nuschelte sie leise.

„Es hat auch seine Vorteile, aus Meteor City zu kommen. Theoretisch kann ich tun und lassen, was ich will und kann nicht gesucht werden, weil mein Name in keinen offiziellen Datenbanken steht.“

Ich fragte mich, ob sie jemals von der Phantom Brigade gehört hatte und ob sie Verdacht schöpfte. Nach längerem Überlegen wurde mir jedoch klar, dass es keinen Unterschied machte, wenn sie es wusste oder nicht, denn vielmehr lag sie in meiner Schuld, weil ich ihr Nen beibrachte, und ich würde keine Bitte mehr an sie richten, wenn sie sich nicht aus irgendeinem unerklärlichem Grund plötzlich als Exnenistin entpuppte. Obendrein war ich trotz ihrer Nen-Fähigkeiten stärker als sie, was hatte ich also zu befürchten? Mir fehlte lediglich die Lust, Robin die Wahrheit über mich zu erzählen. Was gab es schließlich für einen Grund?

Die junge Frau senkte den Kopf, dann sah sie wieder in meine Augen. „Können wir morgen weiterreden?“

„Gern“, lächelte ich ihr entgegen.

Sie gab mir einen sanften Kuss auf die Wange, gefolgt von einem Fausthieb in meine Hüfte. „Jetzt mach dich vom Acker, ich will mich umziehen.“

Flugs sprang ich vom Bett auf und verließ ihr Zimmer. „Dann geh ich lieber, bevor sich Madam vor mir geniert.“

Robin warf ein Kissen nach mir, was nur gegen die geschlossene Tür abprallte.

Die Spinne

Langsam wuchs mir die Frau so sehr ans Herz, dass ich es in diesem Dorf nicht mehr länger aushielt. Ich ersparte mir das Packen, da ich sowieso mit leeren Händen herkam und genauso wieder abreisen konnte.

Bereits am frühen Morgen stand ich vor dem Wald, drehte mich noch einmal zum Dorf um und betrachtete ein letztes Mal die Holzhütten. Ausgerechnet Robin rannte mir entgegen.

„Wo willst du hin?“, rief sie.

Ich tat so, als hatte ich nichts Bestimmtes vor. „Hab mich nur etwas umgesehen.“

Wie oft stand ich schon hier und hatte meine Meinung kurzfristig geändert? Ich hatte das Zählen aufgegeben.

Es gab zwei Möglichkeiten, weshalb sich Robin mir näherte. Entweder empfand sie etwas für mich oder sie versuchte an Informationen heranzukommen. Mir gefiel beides nicht. Nicht dass ich sie nicht mochte. Genau das war das Problem.

Unbemerkt verschränkte ich ihre Finger mit meinen, als sie vorsichtig nach meiner Hand neben ihrem Körper suchte und kehrte mit ihr zurück.

„Kommst du nachher mit auf die Jagd?“, fragte sie mich beiläufig.

Das anbahnende Gespräch wurde von schreienden Frauen unterbrochen, deren Rufe so jäh abklangen, wie sie ertönten. Der Aufsichtsturm, in welchem einer der Jäger Wache hielt, fiel in sich zusammen, als hatte jemand die Stützpfeiler zerstört. Ein Kopf rollte wie eine Bowlingkugel über den Trampelpfad, der sich durch das Dorf zog.

Robin bewaffnete sich blitzschnell mit einem Bogen und zog zwei Pfeile aus dem Köcher, den sie hinter dem Rücken trug. Bedacht ging ich einen Schritt zurück, ihre Hand ließ ich unbedacht los.

Ein kleiner Trupp von Menschen betrat das Dorf. Die wenigen, die sich den Eindringlingen in den Weg stellten, wurden ohne zu zögern getötet. Bevor Robin auf einen weiteren Angriff Anlauf nahm, da ihre Pfeile nichts brachten, zerrte ich sie am Arm mit.

„Was soll der Scheiß?“ Sie wehrte sich heftig, bis ich beschloss, sie über die Schulter zu schmeißen.

„Das hat keinen Zweck“, redete ich es ihr aus. „Du bist tot, bevor du zwinkerst.“

„Du verdammter Feigling!“ Robin schlug wütend gegen meinen Rücken. „Lass mich kämpfen!“

Ich blieb mit ihr hinter einer Holzhütte stehen, wo wir hoffentlich nicht entdeckt wurden.

„Sei ruhig“, zischte ich.

Schwer atmend hörte Robin auf, bis ich sie schließlich auf die Beine stellte.

„Hast du schon Mal von der Phantom Brigade gehört?“, fragte ich sie.

Sie nickte durchwühlt. „Aber was machen die hier?“

Ich hatte bereits meine Befürchtung, die ich eigentlich die Zeit über gekonnt verdrängt hatte. Schüsse im Hintergrund fielen. Bereits am Geräusch hörte ich, dass sie Franklin gehörten.

„Pass auf, ich hab eine Idee. Allerdings ist sie riskant.“

„Erzähl.“

Papierschnipsel regneten auf uns herab. Dass jemand solch eine Fähigkeit entwickelt hatte, war mir fremd. Doch schließlich fiel mir ein, dass sie sicher die Lücke, die Ubo hinterlassen hatte, füllen mussten.

Ich musste meine Worte bedacht wählen und ihr indirekt Anweisungen geben. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als ihr die Wahrheit zu erzählen, sodass sie dies zu ihrem eigenen Schutz verwendete. „Ich bin der Anführer der Brigade. “

Robin sah mich verwirrt an. „Du bist was?“

Seufzend rieb ich mir die Schläfe. Einer der Einwohner lief ängstlich an uns vorbei und versuchte sich vor weißen Papierfliegern zu retten, doch wenige Meter weiter wurde seine Kleidung von den scharfen Kanten zerfetzt und in Blut getränkt.

„Mehr kann ich dir nicht sagen. Später erklär ich es dir in Ruhe.“

„Ich versteh nicht ganz. Bist du jetzt der Anführer der Phantom Brigade oder willst du dich nur als er ausge-“

„Vertrau mir und ergib dich.“ Ich schubste sie fest nach hinten, weshalb sie ihr Gleichgewicht verlor und vor das Haus fiel. Wie bereits vermutet, erhaschte sie die Aufmerksamkeit der Truppe. Franklin stellte seine Double Machine Gun ein.

„Schicken die schon die Frauen nach vorn, weil ihnen die Kämpfer ausgehen?“ Das war Phinks, der anschließend von etwas hartem getroffen wurde, als er aufknurrte. Ich sah bildlich vor mir, wie Shizuku ihm mit Deme-chan gegen den Hinterkopf schlug.

Schnell rappelte sich Robin auf, nahm Angriffsposition ein und rief, bevor sie angegriffen wurde: „Euer Anführer befindet sich unter uns!“ Zitternd hielt sie den Bogen und richtete die eingespannte Pfeilspitze nach vorn. Sie schenkte mir einen flüchtigen Blick zur Seite, bis sie wieder ihren Feind visierte.

Die Spinne zögerte. Ich presste meinen Körper nahe an die Holzwand, den Atem angehalten. Schließlich ergriff Nobunaga das Wort: „Woher sollen wir wissen, dass du die Wahrheit sagst?“

„Und woher wollen wir wissen, dass Hisoka die Wahrheit sagt?“, warf Machi ein. „Einer von beiden lügt garantiert und ich traue dem Kerl immer noch nicht.“ Auf Machis Intuition war schon immer Verlass. Ich betete, dass die anderen ihr Recht gaben.

„Hisoka steht immer noch im Kontakt mit Danchou. Glaubst du, er hätte es uns nichts erzählt?“, meldete sich Phinks. „Er will immer noch gegen ihn kämpfen, das würde er niemals aufs Spiel setzen.“

Fast schwebend und lautlos wie ein Attentäter, ging ein Kind mit einem schwarzen Bob und im dunklen Kimono an mir vorbei, umgeben von weißen Papierschnipseln. Unsere Blicke trafen sich flüchtig, seines interessiert, meiner leer, als blickte ich durch Luft.

Robin schluckte. „Chrollo Lucilfer heiß er, stimmt’s? Er ist seit zwei Monaten unser Gast und er steht hinter diesem Haus, weil er nicht mit euch reden darf.“

„Blöd, dass Pakunoda nicht mehr hier ist“, seufzte Nobunaga. „Dann wüssten wir, ob sie die Wahrheit sagt.“

Für eine Sekunde blieb mein Herz stehen. Ausgerechnet Pakunoda, die alles getan hatte, um mich zu retten. Dass sie den anderen Mitgliedern dennoch ihre Erinnerungen anvertraute, hatte ich bereits vermutet, dennoch war es ein kurzer Schock für mich.

„Nehmen wir sie als Geisel und foltern die Wahrheit aus ihr heraus. Es kribbelt schon die ganze Zeit in meinen Fingern“, schlug Feitan vor.

„Wenn sie Recht hat, wird es Danchou sicher nicht gefallen, wenn wir sie foltern“, meldete sich Shalnark. „Ich könnte ihr notfalls eine Antenne setzen, um sie zu steuern.“

Diese Ahnungslosigkeit brachte mich fast um. Ich konnte nur ihre Stimmen hören. Wie gerne wäre ich aus meinem Versteck gekommen, um sie alle zu sehen.

„Hey Kalluto! Kommst du mal her?“, rief Machi.

Noch immer den Blick an mich geheftet, lief das Kind weiter. Ich schaute starr geradeaus in den Wald, den ich bald betreten wollte.

„Wie sieht unser Anführer aus?“, fragte das Kind.

„Groß, nach hinten gekämmte Haare, einen dunklen Ledermantel.“ Oh, Shizuku!

Als niemand etwas mit der Beschreibung anfangen konnte, korrigierte sie Machi: „Mittelgroß, schwarze Haare, ein violettes Kreuztattoo auf der Stirn und eine Spinne am rechten Arm. Stimmt das, Mädel?“

„Von der Spinne weiß ich nichts, aber sonst stimmt es“, rief Robin, die angesprochen war.

„Er ist hier“, bestätigte Kalluto.

Im Gegensatz zu meinem Trupp atmete ich beruhigt aus.

„Was machen wir jetzt mit ihr?“, zischte Feitan.

„Solange wir Danchous Meinung nicht kennen, sollten wir nichts tun und am besten gehen“, ergriff Franklin das Wort. „Lassen wir das Mädchen und alles andere zurück.“

„Yo, tut uns leid für die Toten“, meinte Shalnark.

Feitan schien mit der Situation nicht zufrieden zu sein. „Knöpfen wir uns wenigstens diesen Clown vor?“

„Wenn wir wüssten, wo der ist“, antwortete Machi.

Robin ließ ihren Bogen langsam sinken, den Blick starr nach vorn gerichtet, als glaubte sie nicht, was gerade passierte.

Ich selbst wollte es nicht glauben, aber man musste die Realität hinnehmen. Still bewegte ich mich Richtung Wald. Der Ankunft der Brigade galt für mich als Zeichen, endlich von hier abzuhauen. Jetzt da Robin die Wahrheit über mich kannte, würde es sich sowieso im ganzen Dorf verbreiten und ich war alles andere als willkommen.

Ich fragte mich, was die Spinne dazu trieb, Venari anzugreifen. Die geheimen Schätze, von denen ich gelesen hatte? Vielleicht waren diese nur ein Vorwand, denn Machi hatte Hisoka erwähnt, dem ich zutraute, die Phantom Brigade zu meinen Aufenthaltsort zu locken. Normalerweise interessierte ich mich nicht für das Wohlergehen fremder Leute, aber ich lebte seit über zwei Monaten in diesem Dorf und ich hatte mich sogar wohl gefühlt.

Dass Hisoka meinen Tod wollte, störte mich nicht groß, das wusste ich schließlich schon lange. Doch dass er die Truppe an der Nase herumführte und für seinen Spaß missbrauchte, missfiel mir ungemein.

Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, schlenderte ich lustlos über den Waldboden. Jemand lachte. Ich hob den Kopf.

„Danchou“, stöhnte Hisoka.

Angespannt blieb ich stehen, während der Verräter hinter einem Baum hervortrat. „Wie hat dir mein kleines Spiel bisher gefallen?“

„Höchst amüsant“, antwortete ich ruhig. „Wollen wir es endlich beenden? Ich hab es etwas eilig.“

Lasziv leckte er sich über seine Lippen, die er zu einem breiten Grinsen verzog. Vor mir stehen bleibend, hauchte er: „Nur zu gern.“

Unser Abstand vergrößerte sich, als ich die Klinge zückte. Ihn zu erwischen war schwerer als gedacht. Immer wieder sprang er zurück, wenn ich versuchte, ihn zu treffen. Selbst seine Kleidung blieb heil. Anstatt sich anzustrengen, gluckste Hisoka vergnügt.

„Selbst ohne Nen machst du mich ganz rattig. Darf ich jetzt zum Zug kommen?“

Auf einem Baum geflüchtet, zauberte er ein Deck hervor, dessen Karten wie Wurfgeschosse in meine Richtung schnellten. Ich neigte meinen Körper, bevor das Papier mich berührte. Wenn er weiterhin oben auf dem Ast stehen blieb, würde ich nicht so einfach an ihn herankommen, dabei musste ich ihn nur einmal mit der Klinge treffen. Bis Hisokas Kartendeck aufgebraucht war, wich ich lediglich aus.

„Oh, nur noch der Joker übrig“, witzelte mein Gegner. „Keine Sorge, der wird treffen.“

Ich hielt das Messer fest, mit der anderen Hand bildete ich eine Faust, während ich seinen nächsten Zug abwartete. Seine Zunge leckte über den Kartenrand.

„Weißt du, ich hatte mich eigentlich auf einen richtigen Kampf mit dir gefreut. Aber ich hab beschlossen, dass es das Beste ist, dein erbärmliches Leben jetzt schon zu beenden, bevor ich mich zu sehr mit dir langweile.“

Mit einer Geschwindigkeit, die die seiner vorigen Attacken weitaus übertraf, warf er den Joker. Er streifte meinen Hals knapp, sodass ein dünner roter Streifen zurückblieb. Langsam verschwand das Grinsen in Hisokas Gesicht.

„Immerhin bist du es wert, mit meinem Bungee Gum getötet zu werden“, sagte er düster.

Ich hielt abwehrend den Arm vor meinen Oberkörper, als er vom Ast heruntersprang. Auf einen Frontalangriff vorbereitet, wartete ich, bis er mit mir auf einer Höhe war. Wieder holte ich mit der linken Hand aus, doch mein Messer streifte seine Kleidung nur knapp.

Hisoka lachte. „Gleich machen wir ernst.“

Er sprang einen Schritt nach hinten, als er seine Handflächen auseinanderzog, zwischen denen ich sein Bungee Gum vermutete. Schnell sprang ich ihm hinterher und ließ ihm keine Pause.

„Na, na, nicht so energisch.“ Als wäre er selbst ein Kaugummi, verrenkte er seinen Körper, um mir auszuweichen. Ein letztes Mal riskierte ich es und holte aus, als versuchte ihn mit der Klinge in der Hand zu treffen. In letzter Sekunde jedoch ließ ich den Griff los, der noch genug Schwung besaß, um nach vorn zu schnellen.

Ein dünner Blutstropfen schlängelte sich über Hisokas Oberarm. Ich wich nach hinten aus, als meine Waffe zu Boden fiel.

„Upps, dir ist etwas heruntergefallen. Möchtest du es aufheben?“

Den Zeigefinger ausgestreckt, als hing an ihm ein unsichtbares Band, bewegte er seine Hand langsam nach hinten. Mein Arm fiel ruckartig nach vorn. Ich stemmte meine Füße fest in den Boden, doch ich wurde allmählich in seine Richtung geschliffen.

„Komm schon her, Danchou“, grinste er, während er mich mit einem Finger lockte. „Wir machen es langsam und intensiv. Das wirst du auch mögen.“

Sein Arm hielt still. Der bewegte nur noch den Zeigefinger, zog damit allerdings nur eine Masche an meinem Ärmel. Flach atmend wartete ich darauf, dass seine Muskeln sich versteiften. Verwirrt sah er auf seine Hand. Sein Versuch einer hektischen Bewegung scheiterte.

Triumphierend lächelnd, entspannte ich mich, als er aufhörte, an seinem Bungee Gum zu ziehen. Den restlichen Meter ging ich freiwillig zu ihm, als er schwankte. Starr plumpste Hisokas Körper zu Boden.

Ich hob meine Waffe auf, die zu seinen Füßen lag. „Das ist ein Ben’s Messer, hergestellt vom Serienkiller Benny Delon, wenn dir der Name etwas sagt. Die Klinge ist in starkes Gift getränkt, das selbst ausgewachsene Wale lähmen könnte.“

Mit verzogener Grimasse lachte Hisoka leise, soweit es ihm noch möglich war. Seine Finger, die er mit greifenden Bewegungen krümmte, verkrampften allmählich. „Du böser Bube“, flüsterte er.

„Ich wünsche mir sehnlichst, dass die anderen dich umbringen. Du weißt ja, ich würde es nicht übers Herz bringen, weil mir deine Fähigkeiten viel zu schade dafür sind.“

Meinen Ärmel, an welchem noch immer Hisokas Aura klebte, riss ich bis zum Ellenbogen ab.

„Wo willst du hin?“ Hisoka quietschte vergnügt, als ich mich umdrehte. „Wir sind noch nicht fertig.“

Ich beachtete ihn nicht weiter und schlug einen neuen Weg ein. Energische Schritte näherten sich mir, während Robin meinen Namen laut rief. Still ging ich weiter, als überhörte ich sie.

Ihre Arme von hinten um meinen Hals geschlungen, riss sie mich beinahe vom Boden. Ich befreite mich aus ihrem Würgegriff und wich ihrem anschließenden Faustschlag aus.

„Wer bist du?“, rief sie zornig, während sie mich am Kragen packte.

Da sie einen Grund hatte, wütend auf mich zu sein, wehrte ich mich nicht. In ihren Augenwinkeln bildeten sich Tränen.

„Chrollo Lucilfer, Anführer der Phantom Brigade. Das weißt du doch schon.“

Ungläubig ließ sie mich los, gefolgt von einem Hieb in meine Magengrube, dem ich gerade so standhielt.

„Du bist das Letzte! Und ich hab dir alles geglaubt!“ Wieder schlug sie zu, diesmal schwacher. Ich hielt ihr Handgelenk fest, bevor sie ein weiteres Mal ausholte. „Lass mich los!“ Ihr rollte eine Träne über die Wange, als sie an ihrem Arm zerrte.

„Robin, tut mir leid“, sagte ich ruhig. „Es ist wohl angemessen, wenn ich jetzt gehe.“

Immer noch wehrte sie sich gegen meinen Griff. „Wie kannst du es überhaupt wagen? Wieso hast du es nicht erzählt?“ Ihre Stimme zitterte. Langsam hielt sie still. Ich wartete, bis sie sich beruhigte. „Ist es wirklich wahr?“, fragte sie leise, mich mit gläsernen Augen betrachtend. Ich nickte stumm. „Und das war deine Truppe?“ Wieder nickte ich. Beide schwiegen wir.

Ich ertrug es nicht mehr, sie so zu sehen, daher drehte ich mich um und kassierte einen weiteren Hieb, diesmal in meinen Rücken.

„Dreh dich gefälligst um, ich bin noch nicht fertig mit dir.“

Seufzend ging ich weiter, doch Robin folgte mir.

„Wo willst du hin?“

„Weg“, antwortete ich knapp.

Ihren Bogen spannend, blieb sie nun stehen. „Weißt du eigentlich, was ihr angerichtet habt? Wie viele Tote es gibt? Normalerweise hätte ich längst kurzen Prozess mit dir gemacht.“

Leere Versprechungen, denn der Bogen schoss über meinem Kopf vorbei, nachdem ich mich duckte. Ein weiterer folgte, der mich knapp verfehlte. Auch ihr Giftpfeil verlor sich irgendwo in einem Busch. Eine dünne Angelschnur, die normalerweise ihre Gegner erwürgte, wickelte sich um meinen Unterarm, als ich ihn in Gesichtshöhe hielt. Mit einem schnellen Ruck zerriss ich die Schur wie dünnes Garn. Bald nahm ich nur noch meine eigenen Schritte wahr. Mein Kopf senkte sich unfreiwillig und meine Augen visierten den Waldboden vor meinen Füßen. Fühlte ich mich tatsächlich schuldig?

Mich versichernd, ob sie noch da war, drehte ich mich um. Weit hinten stand Robin mit gesenkten Armen und starrte zurück. Für eine Weile blieb hielt ich an, bis sie schließlich auf mich zulief. Nicht fähig, mich zu rechtfertigen, verschwand ich aus ihrem Sichtfeld.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  SoundlessWorld
2015-05-13T21:38:16+00:00 13.05.2015 23:38
Echt schöne Fanfiction (: ich mag deinen Schreibstil sehr nur solltest du vielleicht bei einigen Wörter nach schauen wie sie geschrieben werde ^^" zb. Exorzist
Antwort von:  JCZoldyck
14.05.2015 02:49
Vielen Dank c:
Oh je, das Wort "Exnenist" hatte ich aus Hunterpedia, glaub ich xD Oder aus Übersetzungen, weiß gar nicht mehr.. vorher hatte ich immer "Nen-Exorzist", aber das steht überall anders x.x


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