seni seviyorum - ich liebe dich von XdramaX ================================================================================ Kapitel 3: Tag 3 - ein Scheidungsgrund mehr ------------------------------------------- Es war morgens und Resit richtete sich gerade von seinem Gebetsteppich auf, als es an der Tür klopfte. Er seufzte leise. Wirklich Lust zum aufstehen und Tür öffnen hatte er nicht. Erst vor einer Stunde war er aus dem Bett gekrochen, ging duschen und wollte nun etwas für sich alleine beten – auch um den Kopf frei zu bekommen – während Emily nun ihrerseits im Bad hantierte. Er lauschte einige Sekunden und hielt fast die Luft an, nur um so zu tun, als sei er nicht da. Im Hintergrund bemerkte er, dass die Brause im Bad abgeschaltet wurde. Im selben Moment klopfte es erneut und die Stimme seines Vaters war zu hören: „Resit, bist du da?“ Natürlich sprach er auf Türkisch, warum auch nicht, er ahnte ja nichts davon, dass Emily hier im Zimmer war und Resit war sich sicher, dass das auch besser so bleiben sollte. Nicht, dass es Inan stören würde, wenn sein Sohn etwas mit der Anwältin hätte, aber genau da lag das Problem... „Resit?“, es klopfte erneut und nun erhob er sich doch seufzend. Mit blanken Füßen tappte er über den teuren Teppich und kam zur Tür. „Sekunde.“, bat er durch das schwere Holz und entsicherte den Riegel und den Schließmechanismus. Schließlich öffnete er die Tür einen kleinen Spalt. „Was gibt es, Vater?“ „Ich wollte dich abholen. Wir Männer haben uns gestern überlegt, vor dem Frühstück noch zusammen zu beten. Das Hotelpersonal hat uns vorn im Schloss einen Raum vorbereitet. Ich dachte, dass du vielleicht mitkommen möchtest.“ „Danke, aber um ehrlich zu sein war ich gerade selbst dabei. Na ja, vielleicht auch schon wieder fertig.“, er seufzte und sein Vater zog eine Augenbraue hoch. „Was hast du, mein Sohn?“ „Fag bloß nicht.“, bat Resit und öffnet die Tür etwas weiter, lehnte sich in den Rahmen und sah ihn mit verschränkten Armen an. „Es geht um Nalan, habe ich recht?“, fragte Inan. Weit gefehlt und doch mitten ins Schwarze. Resit war verwirrt und ruhelos. Er hatte einen fantastischen Nachmittag und eine noch bessere Nacht mit Emily verbracht, doch nach dem Aufwachen hatte er Panik bekommen. Ihm ging das alles viel zu schnell und wer wusste schon, was die Deutsche von ihm erwartete? Natürlich, bisher hatte sie keine Forderungen gestellt und keinerlei Anzeichnen gemacht, dass sie von irgendetwas ausging, was er ihr nicht versprochen hatte, doch auch, wenn keiner von ihnen diese speziellen Worte, „Ich liebe dich.“, gesagt hatte, so hatte er doch ein schwer ungutes Gefühl bei dieser gesamten Angelegenheit. Immerhin war da noch, wie man es auch drehte und wendete, Nalan, seine Ehefrau. Sie hatte ihn verletzt, das war wohl richtig und sie hatte ihn verlassen, auch dieser Fakt war unumstößlich, doch was, wenn es einfach nur dieser Frust gewesen war, der ihn zu Emily getrieben hatte? Nachdem er sich nun Stunden lang mit ihr vergnügt hatte, war es wie in einer frischen Beziehung – dieses Flittern zu Beginn und das Gefühl von den unzähligen Schmetterlingen war einfach verschwunden und man begann alles etwas nüchterner zu betrachten. Und bei ihm lief das auf Zweifel hinaus, die er an dieser ganzen … Affäre mit Emily hegte. Und dann schlichen sich wieder Gedanken an Nalan in seinen Kopf. Was auch immer seine Frau zu der Meinung bewegt hatte, sie müsse sich von ihm trennen, es war sicherlich nachvollziehbar. Das Schlimme war nur, je länger er von ihr getrennt war, desto mehr sehnte er sich zu ihr zurück. Die Sehnsucht nach ihr wuchs immer mehr, ob nun aus wirklicher Liebe oder purer Gewohnheit, das wusste er selbst nicht. „Der Grund, warum ich alleine beten wollte, ja. Entschuldige, Vater.“, er nickte schließlich. „Aber zum Frühstück werde ich wieder bei euch sein.“ Er wollte gerade die Tür schließen, als der Älere schnell eine Hand auf das Holz legte und sie wieder auf schob. „Ich habe meinen Kollegen angerufen. Emily in allen Ehren, aber ich denke es ist besser einen Anwalt zu haben, der sich mit alledem wirklich auskennt. Und leider gehört die Kleine nicht dazu.“ Schneller als das Resit hätte schalt können, schob er die Barriere vollends aus dem Weg und trat einfach an ihm vorbei ein. „Ehm“, bracht seine Sohn nur hervor und war mit einem Schlag hell wach. „Wolltest du nicht zum Gebet?“, fragte er, schloss lieber die Tür um zu verhindern, dass vielleicht noch ein ungebetener Gast eintrat und folgte ihm. „Ja, mach mal keine Hektik. Oh, ich sehe du hast schon an der Übersetzung für Emily gearbeitet.“ Er trat an den Tisch heran, wo verschiedene Blätter kreuz und quer lagen und beugte sich darüber. „Ja, ich habe gestern Abend angefangen. Aber es ist gar nicht so einfach, diese Beamtensprache...“, nun ja, wenigstens war das zum Teil nicht gelogen... Inan nickte verstehend und schob das Papier hin und her. „Ah, das Buch.“, er nahm sich den Gesetzesband vor, den Emily am Tag zuvor bekommen hatte und blätterte ihn durch. „Das ist gut, das Ding. Das sollte dir bei der Übersetzung helfen.“, bemerkte Inan und sah an den Blättern vorbei wieder auf den Tisch. „Ein wenig, aber...“, begann Resit, doch sein Vater unterbrach ihn: „Das ist aber nicht deine Schrift.“, er zog einen Notizzettel von Emily hervor und betrachtete ihn eingehend. Der Stift hatte vor einigen Sekunden noch darauf gelegen, er rollte gerade über den Tisch. Irritiert zog er die Stirn kraus und sein Sohn hielt die Luft an, schloss lieber die Augen in der Hoffnung, dass sein Vater wieder weg war, wenn er sie erneut öffnete. Der aber überlegte unterdessen, wie es sein konnte, dass hier ein Notizzettel lag in einer fremden Handschrift. Auf Deutsch. Wenn er es nicht besser wüsste, dann war Emily hier, doch die hatte doch gestern nach diesem miserablen Kaffeetisch die Fahrt zu ihren Eltern angetreten, wo sie über Nacht bleiben wollte – zumindest laut dem Telefonat, das sie mit Sabiha geführt hatte... Er sah hoch zu seinem Sohn, dessen Finger sich in der Armverschränkung fester um seinen Bizeps schlossen. „Resit?“, fragte er und dann fiel sein Blick auf einen der Sessel in der Ecke. Ein schwarzer Rock, eine giftgrüne Bluse, ein weißer BH und ein ebenso weißes Damenhöschen, beige Schuhe mit hohem Keilabsatz. Diese Kleidung hatte Emily am Tag zuvor getragen. Kurz gluckste er, als er endlich verstand. Er sah wieder zu ihm, da blickte er in das verbissene Gesicht seines Sohnes. „Was ist?“, fragte er nichts verstehend und wollte gerade seine durchaus positive Meinung zu der Beziehung kund tun, als die Tür zum Bad aufsprang. „Resit? Ich hab meinen BH drüben vergessen, weißt du, wo der von gestern liegt?“, mit einem Handtuch bekleidet trappte Emily in den Schlafbereich und blieb augenblicklich wie angewurzelt und mit gigantischen Augen stehen. „Inan“ Nun konnte der Vater sich wirklich nicht mehr beherrschen. Er begann breit zu grinsen und hob eine Hand vor den Mund, um nicht vollends loszulachen. Er stellte sich bereits das Gesicht seiner Mutter vor. „Einen wunderschönen guten Morgen, Emily. Wir denken du bist bei deiner Familie.“, antwortete er nun natürlich wieder auf Deutsch. Augenblicklich wurde ihr Gesichtsausdruck gequält ertappt. Resit seufzte und nickte zum Sessel hinüber. „Da ist er. Ich hab deine Sache da rüber gelegt.“ Dankbar für diese Ablenkung nickte sie, sprang schnell hinüber und sammelte alles ein. Dann verschwand sie wieder, ohne ein weiteres Wort, im Badezimmer. Inan sah ihr nach und blickte dann zu seinem Sohn hinauf. „So ist das also. Warum habe ich mir das nur gedacht?“, er lachte und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Noch immer grinsend sah er dem Anderen dabei zu, wie er sich ihm gegenüber setzte. „Warum solltest du dir das gedacht haben?“ „Aufgrund der Blicke, die ihr gesern einander zugeworfen habt. Die sind erstaunlich vielen aufgefallen. Besonders im Nachhinein, als ihr euch aufeinmal zeitgleich für den Rest des Tages entschuldigt habt.“ Resit atmete tief durch. Na wunderbar, das hatte ihm noch gefehlt. Wie sollte er diese Situation nun erklären und zwar vor der ganzen Familie? Er ließ sich von Nalan scheiden und noch während dessen hatte er was mit Emily, bei der am Ende dann doch nicht blieb... „Ich sage dir, mein Junge, ich bin stolz auf dich.“ Irritiert sah er seinen Vater an. „Was ist? Nach Nalan ist Emily sicherlich die best Wahl, die du treffen konntest. Sie ist intelligent, äußers pflichtbewusst und sieht klasse aus. Sicher wird mir deine Mutter da auch zustimmen.“ Resit atmete tief durch. „Behalten wir das alles für uns, in Ordnung?“, bat Resit. „Natürlich, wir wollen ja die Hochzeit nicht stören.“, Inan nickte verstehend, da trat Emily wieder aus dem Badezimmer. Verlegen trat sie näher und sah den Älteren der beiden Männer vorsichtig an. Die zwei geflochtenen Zöpfe auf ihren Schultern gaben ihr ein mädchenhaftes Aussehen und das blass gelbe Kleid mit hoch angesetztem Rundausschnitt und flattrigen Faltenrock bis zu den Knien wirkten so unschuldig, dass Inan nur den Kopf schüttelte. „Versuch es gar nicht. Ich hab dich durchschaut!“ Emily machte ein unentschlossenes Geräusch und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Nach außen hin war Resit ruhig, daher macht sie sich keine Gedanken darum, dass er das, was sie hatten, Gedanklich schon beendete. Ihr Problem war eher die Reaktion der Familie auf eine Frau, die nicht ihrer Religion angehört. Schlimmer noch, die zu keiner Religion gehörte! Doch Inan lachte nur und stand auf. „Alles gut, Emily.“, er kam zu ihr hinüber, griff nach ihrem Gesicht und zog sie zu sich, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich freue mich sehr und Melika mit Sicherheit auch, wenn sie hiervon erfährt.“ Gut, das beruhigt sie. Sie lächelte erleichtert und drückte seine Hände. „Nimm deine Sachen und pass auf, dass sie keiner sieht.“ Irritiert sah sie zu ihm hinauf, als Resit bereits aufstand und hinüber ging, um ihre Kleidung einzusammeln. „Und dann?“, sie sah ihm nach. „Na, denkst du, dass ich dich hier lasse? Nein, nein. Wenn Resit nicht mit kommt zum Gebet, dann werden seine Oma und seine Mutter kommen. Du solltest nicht hier sein. Sie wollten sich gestern schon das Zimmer ansehen.“ „Aber ich dachte, dass du...“ „Vater hat recht. Es ist besser, wenn es keiner weiß. Es würde die Hochzeit durcheinander bringen. Und Sabihas und Cans Nerven stehen so schon dicht am Abgrund.“, meinte Resit und drückte ihr ihre Kleidung in die Arme. Ratlos betrachtete sie sie und knautschte den Stoff. Dann sah sie wieder hart zu ihm hinauf. „Schämst du dich für mich?“, fragte sie direkt. „Darum geht es nicht!“, versuchte er abzulenken. „Es geht darum, dass Großmutter ausrastet, wenn sie davon hört. Zumal ich noch immer nicht geschieden bin.“ Inan nickte zustimmend. „Es sollte unter uns bleiben.“ Emily sah zwischen ihnen hin und her. Er hatte ihr nicht auf ihre Frage geantwortet und das gefiel ihr genauso wenig, wie diese schwer verdauliche Wahrheit, die er stattdessen aussprach. „Also komm!“, Inan schob sie in Richtung Tür und öffnete diese bereits, um hinaus zu spähen, doch zum Glück war niemand zu sehen. Als er wieder zurück sah, da kam gerade Resit langsam hinter ihnen her. Mit noch imer verschränkten Armen blickte er finster auf den Boden vor sich. Emily drehte sich herum und hob den freien Arm, strich ihm über die Schultern und den Brustkorb. „Hey, lächel mal!“, flüsterte sie, dass er es fast nicht verstanden hätte. Resit hob zwar den Kopf, doch seine Mimik veränderte sich nicht im Geringsten. Inan beobachtete das Spiel im Gesicht seines Sohnes und kniff die Augen zusammen. In diesem Moment ahnte er erneut, dass trotz allem noch nichts ein gutes Ende genommen hatte. Irgendwas würde hier noch kommen und er wollte nicht wissen, wie es schlussendlich ausging. „Geh jetzt lieber.“, bat er dann, ohne dem Wunsch der jungen Frau nachzukommen, sie noch einmal zum Abschied zu küssen. Stattdessen strich er über ihre Ellenbogen und schob sie dann zu seinem Vater hinüber. „Ich räume noch auf und dann komme ich zum Frühstück.“ Inan nickte. „In Ordnung. Lass dir Zeit, wir werden sicher eine Weile für das Gebet brauchen.“, er ließ Emily vor sich hinaus gehen und sah dann ebenso wie sie noch einmal zurück, doch die Tür schloss sich bereits, noch ehe sie einen letzten Blick hinein werfen konnten. Emilys Herz zog sich so stark zusammen, dass sie am liebsten zu heulen angefangen hätte, zu schreien und gegen die Tür zu treten. „Also los, Emily, wir bringen jetzt schnell deine Sachen weg, bevor einer was sieht und dann gehen wir zum Schloss rüber.“, schlug Inan grinsend vor, doch die junge Frau biss einfach nur fest die Zähne zusammen. Als keine Reaktion von ihr kam sah Inan genauer hin. Er wusste nicht was es war, das ihr Gesicht verzerrte, Wut oder Schmerz, doch dann griff sie fester ihre Sachen auf dem Arm, machte mit einem mal kehrt, ohne ihn weiter zu beachten und rauschte davon. „Emily?“, fragte er irritiert und sah ihr nach, bis ihre Tür mit einem kräftigen Rumms ins Schloss fiel. „Und was, wenn sie doch nicht mehr wieder kommt?“, jammerte Sabiha den Tränen nahe. Seufzend und dennoch ebenso angespannt wie sie, nahm Can sie in die Arme und betrachtete die vielen Menschen um sie herum, die alle auszuchecken versuchten. Ab diesem Nachmittag war die komplette Anlage nur für die Hochzeitsgesellschaft reserviert. „Sie wird schon kommen, oder etwa nicht?“, Can wollte erst seine Frau beruhigen, doch dann sah er ebenso verzweifelt wie sie zu seinen Eltern, Schwiegereltern, den anwesenden Großeltern und seinem Bruder. Der Rest der Verwandschaft machte einen vom Hotel organisierten Tagesausflug mit Stadtrundfahrt in Berlin. Während Peri und Melika ihnen bestätigten, dass sie sich sicher auf Emily verlassen konnten, konnte Inan diese Aussage nicht unbedingt unterschreiben, doch er schwieg dazu und sah zu seinem ältesten Sohn hinüber, der nur wortlos vor sich hinstarrend und mit reglrecht abweisender Körperhaltung auf einer Couch im Wartebereich saß und die Szenerie um sie herum beobachtete. Emily war nicht zum Frühstück erschienen. Niemand hatte sie gesehen und das Zimmer war leer oder zumindest öffnete sie nicht. Während des Vormittags war dann vermutlich auch Resit aufgegangen, das irgendwas am Morgen gehörig schief gelaufen war und seit dem sah er so aus, als würde er dem Nächsten, der ihn ansprach, mit bloßen Händen den Kopf abreißen. Die Freude seines Vaters über die scheinbare Beziehung von Resit und Emily war dementspechend schnell verflogen. Doch auch Inan wusste nicht, was er hätte tun sollen. Mit solch einem Dilemma kannte er sich nicht aus. Und um des lieben Friedens Willen, wollte er das Thema auch nicht gegenüber seiner Frau und Cans Schwiegermutter ansprechen. Als Frauen hätten sie zwar gewusst, was zu tun wäre, doch dann wäre bei der Hochzeit wohl entgültig alles aus den Fugen geraten. Die beiden Großmütter dagengen schienen sich über den Verlauf der Geschichte köstlich zu amüsieren. Sie hätten es ja schon immer gewusst, auf solch eine Person war einfach kein Verlass. Eine unverheiratete, deutsche Frau, die nur für ihren Beruf lebte war die eine Sache, doch diese dann auch noch zur Trauzeugin zu machen – was schon allein deshalb ein Affront war, da sie rein gar nichts vom Eheleben verstand – war für diese alten Damen natürlich ein untrügerisches Zeichen dafür gewesen, dass die ganze Hochzeit ein Reinfall werden würde. Sabiha schluchzte leise und schüttelte den Kopf. „Ich hätte sie doch nicht fragen sollen, oder? Es war ein Fehler! Ein ganz großer Fehler!“, jammerte sie. „Aber nicht doch, mein Liebes.“, Peri kam zu ihr und legte ihr einen Arm um. „Bestimmt hat sie einen triftigen Grund, dass sie zu spät kommt. Sie würde dich nie einfach im Stich lassen.“ „Na sieh mal einer an, wer da kommt!“, Erleichtert atmete Mehmet aus und drückte sich dann durch die Menge, um Emily zuzuwinken, damit sie ihren Weg zu der Gruppe fand. Sabihas Großmutter begann mit einem Ruck auf Türkisch zu schreien und sprang außerordentlich leichtfüßig für ihr Alter hoch. Schimpfend und zeternd folgte sie ihrem Schwiegersohn auf die junge Frau zu, die sich mit drei Tüten bepackt ihren Weg durch die Menge suchte. Inan betrachtete sie eine Weile. Es sah nicht so schlimm aus, wie er dachte. Sie wirkte eher gehetzt als alles andere. Aus dem Augenwinkel konnte er beobachten, dass sich nun auch sein Ältester zu ihnen gesellte. „Enschuldigt bitte die Verspätung.“, brachte sie hervor und wich gleich wieder zurück, als die Großmutter auf sie zu kam. Ihr folgte dann auch Inans Mutter und gerade, als sie sich wieder gefangen hatte und dem Plan folgen wollt, dass sie die Frauen einfach in solch einem Moment ignorierte, standen plötzlich auch Sabiha, Peri und Melika vor ihr. Während sie Letztere ebenso wenig verstand wie die beiden Großmütter, sah sie nur irritiert und kleinlaut zwischen der Braut und ihrer Mutter hin und her, wie sie sie zusammenfalteten. „Wo bist du gewesen?“, fauchte Sabiha. „Wie kannst du mir sowas antun? Ich dachte, wir wären Freundinnen! Du bist immer pünktlich und heute lässt du mich warten! Ausgerechnet heute! Wo wir jede Minute für die Vorbereitungen brauchen! Wir hätten schon vor einer halen Stunde beginnen müssen und du bist nicht da! Wie kannst du mir das antun?“ „Du hast hoffentlich eine gute Ausrede parat, meine Liebe! Eine sehr, sehr gute Ausrede, hast du uns versanden?“, schallte es auch von Peri. Die Männer sahen sich nur schweigend an, zumindest Can, Resit, Mehmet und Inan. Der Vater von Letzterem hielt sich wie immer im Hintergrund und ließ seine Frau die Angelegenheit regeln. Eine Weile war es still und gerade wollten die Großmütter damit beginnen, den unliebsamen Gast wieder von der Hochzeit zu verbannen, da drückte Emily ihrer Freundin die Tüten in die Hand. „Da drin sind die Hochzeitsschuhe meiner Mama, die du so unbedingt tragen wolltest. Sie möchte sie dir gerne ausleihen. Leider ist mir auf der Fahrt hier her ein Missgeschick passiert. Ich habe meine Saftflasche nicht richtig zugemacht und sie ist über dem Stoff ausgelaufen. Vor lauter Schreck wäre ich fast gegen einen Baum gefahren. Ich bin den ganzen Vormittag durch Berlin gejagt, um eine Reinigung zu finden, die mir sofort die Schuhe wieder säubern konnte. Ich habs auch wiklich geschafft, aber sie sind noch etwas feucht, also stell sie am besten noch mal ans Fenster oder so. Und dein Juwelier hat angerufen. In der kleineren Tüte findest du den Schmuck, den wir bestellt haben und das Geschenk für deinen Mann... und... und als ich beim Warten noch etwas Zeit hatte, habe ich dir deine Lieblingssüßigkeiten besorgt, in der Hoffnung, dass sie dich etwas entspannen können...“ Sabiha wurde immer ruhiger, ebenso wie ihre Mutter, die sich nun doch Verlegen wegen ihres Wutausbruchs das Innere der Tüten betrachte und diese dann Melika zeigte. Leise übersetzte sie ihr alles. Selbstverständlich glaubten sie ihr alles und zum Großteil stimmte es ja auch, nur war ihr der Saft in ihrem Hotelzimmer über die Schuhe geflossen und anstatt es einem Angestellten zu geben, war sie selbst gefahren, in der Hoffnung so einige Stunden für sich zu haben. Sabiha stand noch immer da wie angewurzelt und konnte nicht mehr tun, als ihre Freundin anzustarren. Emily atmete einmal schwer durch, wobei ihr Blick kurz zu Resit hinüber wanderte, aber dann sofort wieder zu ihrer Freundin. „Fangt ihr nur ohne mich an. Ich denke es ist besser, wenn ich aussetze.“ Sie sah ihrer Freundin noch dabei zu, wie diese mit sich selbst hadernd herum zappelte, dann ging sie einfach an ihr vorbei, machte einen besonders roßen Bogen um die Männer, achtete darauf, dass sie niemanden ansah – vielleicht würden sie ja so verstehen, dass sie nicht mit ihnen reden wollte – und lief schon los in Richtung Hinterausgang. „Fräulein?!“, verzweifelt sah Sabiha bei dieser Anrede durch ihre Mutter zu dieser auf. Peri wies herrisch in die Richtung des Hinterausgangs. „Da lang! Aber plötzlich! Und wag es nicht ohne sie hier aufzuschlagen!“ Sabiha nickte dankbar und lief schnell hinter ihr her. Auf der Terasse holte sie sie ein, griff sie an der Schulter und drehte sie zu sich herum. Sofort nahm sie sie in die Arme. „Danke, danke, danke, für alles... Ich habe mich wirklich mies verhalten. Ich weiß doch, dass du mich nie im Stich lässt.“ „Aber ich weiß genauso gut, dass du im Moment sehr reizbar bist. Ich hätte dich anrufen sollen...“, murmelte Emily und erwiderte die Umarmung nur leicht, doch dafür drückte Sabiha nun umso fester zu und quickte dabei freudig. „Also, wieder alles gut? Ich will das hier nicht ohne dich durchziehen! Also los, ran an den Hochzeitsplaner! Die große Party beginnt genau jetzt!“ Sie sah sie breit grinsend an, aber Emily seufzte nur. „Nein... ich glaube ich bin heute nicht für soetwas in der Stimmung. Bitte entschuldige... Aber ich würde mich lieber in meinem Zimmer einschließen und erst zum Hennaabend wieder raus kommen.“ „Was?“, Sabiha sah ihre Freundin irritiert an, doch diese begegnete gar nicht ihren Augen, wie sie nun feststellen musste. Emilys Blick ging an ihrem Ohr vorbei in das Haus zurück. Und dann plötzlich brach sie fast in sich zusammen. „Emily!“, erschrocken schlang Sabiha die Arme um ihre Freundin. „Was hast du nur? Was ist denn los?“ Doch es kam keine Antwort. In den Armen der Braut schluchzte sie nur hemmungslos weiter. „Meine Güte, ich dachte nicht, dass dich meine Hochzeit so fertig macht! Hast du mir nicht mal gesagt, dass solch eine pompöse Feier nichts für dich wäre? Warum bist du dann jetzt so traurig? An meinem Tag...“ „Um die Hochzeit geht es doch gar nicht.“, Emily wischte sich über die Augen und die Nase und war wirklich versucht ihrer Freundin alles von sich und Resit zu erzählen, doch vermutlich würde sie es an Can weitergeben – so, wie sie ihm einfach alles erzählte – und irgendwann würde diese ganze Sache dann als Selbstläufer wieder bei ihr landen und das mit Sicherheit nicht unbedingt wohlwollend. Also entschied sie sich lieber dagengen. „Was dann? Was ist denn los mit dir?“ „Egal... ich erzähle es dir, wenn die Hochzeit vorbei ist.“, und Resit wieder in der Türkei, fügte sie noch in Gedanken hinzu. Sabiha sah sie noch eine Weile nachdenklich an, dann nickte sie aber. „In Ordnung... aber dafür kommst du trotzdem mit und hilfst mir oben.“, pochte sie weiter. „Du bist doch die Einzige von uns beiden, die wirklich den Durchblick hat.“ Sie grinste sie an und Emily musse lachen. „Na ja... ok“, meinte sie dann widerwillig und rieb sich noch einmal die Augen, während die Dunkelhaarige sich bei ihr unterhakte und mit sich zog. Im Vorbeigehen gab Emily ihre Tasche an eine Angestellte weiter und bat sie, die in ihr Zimmer zu bringen – die Frau trug auch bereits die Tüten, die sie für Sabiha mitgebracht hatte – dann griff ihre Freundin schon nach dem Arm ihres Mannes und zu dritt führten sie dann die kleine Gruppe weiter in den Saal des Restaurantes, der gerade umgeräumt wurde. In der Mitte des Raumes an einem einzeln stehenden, runden Tisch, sahen drei Frauen in schicken Anzügen auf. „Ah, wunderbar, genau richtig!“, rief die eine und lief auf sie zu, um die Ankommenden näher zu führen. „Wir besprachen gerade wie wir den Saal am Besten umräumen könnten, dass er sowohl allen Gästen einen Platz beim Frühstück gibt, als auch perfekt angeordnet ist, für den morgigen Henna-Abend. Natürlich haben wir bereits alles geplant, aber vor Ort muss man oft leicht improvisieren. Bitte, sehen Sie sich einmal diesen Entwurf an.“ Die Frau wies auf einen großen Bogen festes Papier, auf dem verschiedene Sitzgruppen eingezeichnet waren. „Für den Hennaabend werden Sie beide den Raum von dort betreten, wo die Schleier gerade angebracht werden. Für die Zeremonie des Abwaschens vom Henna, wird der Bräutigam auch wieder von dort kommen. Hier brauchen wir dann die Mitarbeit des Trauzeugen vom Bräutigam. Sie müssen genau darauf achten, dass Ihr Bruder rechtzeitig für den Zeitablauf hier ist.“, sie sah Resit an und er nickte nur. All diese Vorbereitungen erinnerten ihn nur an seine eigene Hochzeit vor Jahren... An Konzentration war damit nicht mehr möglich. Vor allem, weil er bei jedem Gedanken an diese vergangenen Tage, auch zeitgleich an ihre momentane Situation denken musste. Nur von weit weg bemerkte er, dass nun die zweite Hochzeitsplanerinnen zu reden begann. „Ebenfalls wurden von dem Bräutigam für den Abend Shishas gewünscht. Während wir hier reden, werden bereits fünfzig hochwertige Wasserpfeifen geliefert und der Saal im Gartenhaus entsprechend vorbereitet.“ Can jubelte spielerisch um die Situation aufzulockern und grinste seinen Vater und Bruder an, doch lediglich Ersterer erwiderte es. Resit schien noch immer in einer weit entfernten Welt gefangen zu sein. „Kommen wir nun zum Höhepunkt!“ Und an dieser Stelle verließ auch Emily die Konzentration. Selbstverständlich freute sie sich für ihre Freunde und sie wünschte ihnen nur das Beste und würde sie unterstützen, wo es nur ging, aber so sehr sie sich auch bemühte, ihr gingen gerade ganz andere Dinge durch den Kopf. So folgte sie der Gruppe einfach nur gezwungenermaßen, da Sabiha sie noch immer mit sich schliff, doch zuhören war etwas ganz anderes. So schritten sie zu elft den kompletten Weg ab. Sie begannen in dem vorderen Teil des Geländes, wo sich das Schloss befand. Hier sollte der Hennaabend stattfinden und die größte und luxuriöseste Suite im obersten Stockwerk, sollte die Rolle von Sabihas Elternhaus übernehmen. Sie erklärten der Gruppe, wie sie sich die Abholung vorstellten und schließlich das Davonfahren des Paares. Gemeinsam mit Resit und Emily wollten sie in einer der Hoteleigenen Limousinen zu ihrem Fototermin in einem kleinen, romantischen Park fahren, der noch weiter draußen auf dem Land lag. Begleitet von Ohs und Ahs folgten sie den Ausführungen, bis zur Rückkehr des Paares. Durch den Garten sollte es dann bis zum Palais gehen. Sie sprachen von jedem Detail der Dekoration und jeder Position der Tische und deren Sitzordnung und erklärten den Zeitlichen Ablauf der Zeremonie. „Da haben wir dann allerdings ein Problem.“, erst bei diesen Worten lauschte Emily auf. Oh nein, ein Problem... schlimmer konnte es doch nicht mehr werden! Sabiha würde sicher jeden Moment ausrasten. „Problem? Was für ein Problem?“, na bitte, sie schien schon Panik zu bekommen. „Nun, der Imam wird Sie belehren und fragen, ob Sie wirklich bereit seid für die Ehe und diese wollen. Traditionell wird er auch die Trauzeugen darum bitten, die Ehrlichkeit Ihrer Antworten zu bezeugen... Aber diese Trauzeugen müsse alle Muslime sind. Und die Trauzeugin der Braut gehört, laut ihren Aussagen, nicht dem Islam an. Das wird ein Problem darstellen.“ „Bitte was?“, entfuhr es Sabiha spitz. „Wir halten uns bei dieser Hochzeit an kaum eine Tradition wirklich! Die Segnung durch den Imam findet auch nicht in einer Moschee statt oder in meinem Elternhaus, sondern hier im Garten vor ALLEN Gästen! Da können wir doch wohl ein Auge zudrücken, weil Emily nicht gläubig ist, oder nicht? Mama!“ Peri machte ein verzweifeltes Gesicht. Sie würde das gern bestätigen, immerhin hatte sie selbst ja auch nicht mehr daran gedacht, dass Emily aufgrund dessen ungeeignet in der Position der Trauzeugin war. Doch hierbei ging es um die religiöse Trauung vor Allah. Der Imam würde es niemals zulassen, dass eine Ungläubige ihre Schwüre bezeugte. Sie dachte noch nach, als Inan das ganze seiner Frau auf deren fragenden Blicke hin übersetzte. Mit großer Geste und einer Stimme im Ton von ich-habe-es-euch-doch-gleich-gesagt mischte sich aber seine alte Mutter ein und auch Sabihas Großmutter beglückwünschte sie zu dieser Wendung. „Wenn das etwas ist, das wir nicht lösen können, dann bin ich eben nicht die Trauzeugin.“, erklärte Emily und zuckte die Schultern. „Ich war es ja schon beim Standesamt, den Rest macht dann halt jemand anderes.“ „Aber ich will doch dich!“, jammerte Sabiha wie ein kleines Kind. Peri seufzte. „Vorschlag: Emily bleibt die offizielle Trauzeugin, aber vor Allah bestätige ich das Ganze.“ „Ist das nicht auch wieder gegen die Regeln?“, Mehmet überlegte. „Regeln hip oder hop, wir haben doch bereits so vieles zu unseren Gunsten angepasst! Da kommt es auf das nun auch nicht mehr an.“, seine Frau winkte wieder ab und plötzlich wandten sich alle Cans Großmutter zu, die irgendwas vorzuschlagen schien. „Ich glaube sie wird senil.“, Inan neben Emily verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf, während seine Frau mit seiner Mutter begann zu diskutieren. „Mutter schläg vor, dass Nalan Sabihas Trauzeugin wird. Immerhin würde es passen, da Resit ebenfalls Trauzeuge ist und sie was von der Ehe und den Pflichten als Frau versteht...“, er seufzte. „Sie kann doch nicht einfach so vergessen haben, dass Nalan Resit verlassen hat, oder doch?“, ungläubig sah sie zu Inan auf. „Nein, warte kurz!“, er ließ sie einfach stehen und stapfte nun ebenfalls auf seine Mutter zu. Gemeinsam mit seiner Frau meckerte er auf die Alte ein, die aber von allem, was sie ihr an den Kopf warfen, wohl nichts hören wollte. „Gut, klären sie alles weitere, wir machen in der Zwischenzeit weiter, würde ich sagen. Wir brauchen jede Sekunde!“, erklärte eine der Hochzeitsplanerinnen und wandte sich wieder dem Brautpaar zu. „Bitte, hier entlang!“, baten sie und wollten so der zankenden Gruppe entfliehen. „Komm, Emily, das überlassen wir lieber Melika und Inan.“, Peri schob sie weiter in den nächsten Raum. Kurz bevor die Szenerie vollends aus ihrem Blickfeld verschwinden konnte, warf sie noch einen letzten Blick zurück und sah, wie sich nun auch Resit in die Diskussion einmischte... zu Gunsten seiner Großmutter, wie es schien. Erschrocken leistete sie keinen Widerstand mehr und schloss schnell zu Sabiha und Can auf. Sie hatte sich also tatsächlich nicht geirrt. Irgendwo in ihrem kleinen Zeh hatte sie noch immer gehofft, dass Resit am Morgen nur deshalb so reserviert war, weil er erschrocken darüber war, dass sein Vater sie erwischt hatte, doch dies schien nicht der Fall gewesen zu sein. Natürlich nicht. Wir konnte sie nur so dumm sein? Da kam ein verheirateter Typ, der ihr erzählt, dass seine Frau ihm vor nichteinmal vierundzwanzig Stunden eröffnet hatte, dass sie ihn verlassen wollte und schon schlief sie mit ihm? Dieses Verhalten war selbst für sie absolut bescheuert. Und sie hatte schon viele solcher Dummheiten begangen. Aber die Könung schien nun wirklich die zu sein, dass sie hoffte, dass mit Resit nun alles ein Ende haben würde. Die einsamen Nächte, das nach Hause kommen in eine leere Wohnung... Denn wenn sie ehrlich war, denn war ein Kater auch nicht alles, was man im Leben brauchte. Er gab ihr viel Liebe – wobei man sich fragte, ob ein Tier das wirklich absichtlich tat – aber es war einfach nicht genug, mit diesem verschmusten Stubentiger abends auf der Couch zu liegen und seinem Schnurren zu lauschen, während man versuchte der neuesten Folge von Criminal Minds, Navy CIS oder gar the Big Bang Theory zu folgen... Sie wollte mehr... Mit jemandem wie Resit... oder eher MIT Resit. Sie besah sich wie in Trance mit den anderen die verschiedenen Blumenarrangements und überlegte gerade, wie sie dem Ganzen am besten Entfliehen konnte, um zu ihrem süßen kleinen Nico heimzukehren, als sie spürte, wie sich jemand neben sie schob. Sie musste nicht aufsehen, um zu erkennen, dass es der Bruder des Bräutigams war. Sie erkannte ihn allein an diesem Herrenduft, der sich absolut perfekt mit seinem eigenen Aroma vermischte und so etwas kreierte, dass sie beinahe augenblicklich schmelzen lies. Sie spürte schon wie ihre Knie zu zittern begannen und sie die Nase an seinen Hals drücken wollte, während sich ein wohliges Kribbeln in ihrem Unterleib ausbreitete, aber sie schaffte es, sich, soweit es ging, zu beherrschen. Nicht zuletzt damit, dass sie ihm den Rücken zudrehte, um ihn so aus ihren Sinnen zu verbannen. Dann hakte sie sich wieder bei ihrer Freundin unter und wies auf ein Gesteck aus einfachen, roten Rosen. „Ehrlich gesagt finde ich das zu … ausgelutscht. Das hat einfach jeder. Viel schöner dagengen finde ich diese hier. Weiße Lilien und rosafarbene und blassgelbe Rosen. Und als Akzent dann vielleicht auf eurem Tisch noch rote Rosen, damit man gleich erkennt, wo ihr sitzt.“ „Das gefällt mir!“, rief Sabiha und die Organisatoren lächelten zufrieden. „Eine sehr schöne Idee!“, erklärte eine anerkennend – oder vielleicht auch nur, weil sie diesen Ton gewohnheitsmäßig immer mit sich herum trugen. „Seht ihr, ich verstehe ja doch was vom heiraten!“, erklärte Emily triumphierend und die Anwesenden lachten. „Damit hätten wir die Tischdecken und die Blumen, kommen wir nun zum Porzelan.“, die Frauen winkten weiter. Eine Hand strich über ihren Unterarm, als sie los gingen, doch Emily bemerkte es erst Sekunden später, als es schon vorbei war. So sah sie sich auch nicht um, sie wusste, wer hinter ihr stand und sie hatte keine Lust mit ihm zu reden. Nicht jetzt. Also konzentrierte sie sich vollends auf das Geschirr, das nun aufgefahren wurde und es klappte. Sie schaffte es Resit voll und ganz aus ihren Gedanken zu vertreiben. Sabiha begann bereits mit ihrer Mutter zu fachsimpeln, als Emily pfeifend einen Teller hob. „Das ist doch mal was anderes und ein echter Hingucker! Eckige Teller mit Wellenrand, ich liebe es.“ Can lachte. „Ich sehe schon, ihr macht das.“, damit löst er sich von der Seite seiner Frau und ging zu seinem Bruder hinüber. Emily wagte es nicht mehr sich zu bewegen, bis auch Can in ihrem Rücken stand und wandte sich dann wieder Sabiha und ihrer Mutter zu, die weiter über die Vor- und Nachteile der Teller und Tassen beratschlagten, im Vergleich zu dem Geschirr, dass Emily herausgepickt hatte. „Was ist nun?“, wollte Can wissen und sie fluchte innerlich, dass sie das bereits gehört hatte, denn damit stand fest, dass sie das gesamt Gespräch anhören musste. Sie war zu neugiering. Resit schwieg einige Sekunden, ehe er antwortete. „Großmutter will Nalan anrufen und mit ihr reden. Und wenn das nicht reicht, ihre Eltern informieren, damit sie sie wieder „auf den rechten Weg“ führen.“ „Und? Hat sie es getan? Wie lief es? Mach es nicht so spannend.“ „Vater versucht sie noch abzuhalten. Er meint, es bringe nichts.“ „Aber das kann er doch gar nicht wissen.“, Can winkte ab. „Nehmen wir es doch, wie es ist. Der Richter wird euch so einfach nicht scheiden nur wegen dem, was sie an der Beziehung stört. Das zählt nicht zu den Gründen, die es einem oder euch beiden unerträglich machen die Ehe fortzuführen... und im Endeffekt wird er das alles ablehnen und ihr seit weitere drei Jahre verheiratet, ehe sie es erneut versucht. So kann das eurer ganzen Leben lang gehen.“ Resit nickte. „Ich wollte es so schnell es geht über die Bühne bringen. Denn wenn wir beide die Scheidung wollen, dann haben wir vielleicht eine Chance unsere Leben von vorn zu beginnen. Aber du kennst Großmutter. Eine Scheidung geht auf gar keinen Fall. Schon gar nicht in ihrer Familie.“ „Und wenn ihr euch doch wieder vertragt?“, fragte Can und Emily hielt den Atem an. „Das wäre das Beste, was mir passieren könnte.“, flüsterte Resit, doch sie konnte es dennoch ganz genau verstehen. Sie schluckte kurz und stellte den Teller wieder weg, sah dann über Sabihas Schulter als wäre nichts gewesen. „Wenn Nalan mich wieder zurück möchte, dann könnte mich nichts davon abhalten. Sie ist meine Frau und ich liebe sie.“ „Dann solltest du es vielleicht wirklich noch einmal probieren. Vielleicht denkt sie ja nun, ein paar Tage später, ganz anders über diese Scheidung. Aber du solltest das tun, nicht Großmutter. Und vielleicht wäre dann wirklich dieses Trauzeuginnenproblem erledigt, oder? Was meint ihr?“, Can richtete nun das Wort an Sabiha, ihre Eltern, die Großmutter – die aber nichtreagierte, da sie kein Deutsch sprach – und Emily. Die ersten drei jedoch waren die Einzigen, die aufsahen, zusammen mit den drei Frauen, die sie durch das Programm führten. „Worum geht’s denn?“, fragte Sabiha. „Um Nalan. Ich bin der Meinung, dass, wenn Resit sie zurück will, er mit ihr reden sollte und nicht Großmutter. Und irgendwo fände ich es ganz passend, wenn sie dann wirklich an Emilys Stelle dem Imam unsere Schwüre bezeugt.“ Sabiha machte ein lustloses Gesicht und sah kurz zu Emily, die sich weiter „hochkonzentriert“ das Geschirr anschaute. „Ich weiß nicht. Klar, wenn du willst, dann ruf sie an und rede mit ihr. Sie ist weiterhin herzlich eingeladen... Aber das mit der Trauzeugin... ich weiß nicht. Ich wollte Emily an meiner Seite haben.“ „Aber wenn das doch nunmal nicht geht.“, Peri sprach liebevoll und eindringlich zu ihrer Tochter, die nur seufzte. „Emily?“, sprach Resit dann die Blonde an, aber die reagierte nicht, nahm sich nur einen neuen Teller, machte einen Kussmund und hielt ihn Mehmet hin. „Was ein Kitsch!“, lachte sie und er tat es ihr gleich. „Emily“, richtete nun Peri das Wort an die junge Frau. „Ja?“, fragte sie nur unschuldig, grinste sie breit an und hielt dann auch ihr den komplett rosafarbenen Teller hin, dessen Muster mit Blumen nur so überlief. „Sieht doch komisch aus, oder? Total überladen!“ Sie legte den Kopf schräg. „Komm schon, du hast deine Ohren immer überall, also sag was zu dem Thema.“, forderte sie sie lächelnd auf. Sie begriff so wenig wie die Anderen, dass sie mit Absicht unbeteiligt tat. Lediglich Resit ahnte, dass der Teller nur eine Art Schutzschild darstellte. Sein Verdacht bestätigte sich, als sie sich ohne ihn anzusehen wieder umdrehte und alles beiseite stellte. Mit jedem Wort vermittelte sie ihm immer mehr das Gefühl, gar nicht existent zu sein. „Was er mit Nalan tut ist seine Sache.“, erklärte sie nur. „Und was den Rest angeht könnt Can recht haben.“ Sabiha sah nicht wirklich begeistert von ihr zu ihrem Mann und dessen Bruder, als gerade seine Eltern und Großeltern wieder dazu traten. „Und?“, fragte Resit für Emilys Geschmack etwas zu euphorisch. „Sie wird deine Frau NICHT anrufen.“, erklärte Inan hart und sah zu seiner Mutter, die sich nur beleidigt abwandte. Er atmete tief aus. „In Ordnung“, mit fester Stimme und Blick sah er durch die Runde und blieb noch einmal für eine Sekunde an Emily hängen, die gerade zwei Tassen miteinander verglich und sah dann wieder zu seinem Vater. „Dann werde ich das tun.“, verkündete er. „Was?“, fragte dieser fast entsetzt. Er konnte nicht fassen, was sein Sohn da tat. Sicher, eine Scheidung wäre nicht unbedingt das Beste für das Ansehen der Familie, doch sie war ihm lieber, als dass sein Sohn weiter mit dieser Frau zusammen war. Denn damit, dass sie Resit verlassen wollte, hatte sie auch ihn, als seinen Vater, und seine Mutter und die ganze Familie gekränkt und beleidigt. Und vor allem seinen ältesten Sohn zutiefst verletzt. „Ja“, Resit nickte. „Ich denke ich sollte es noch mal probieren. Vielleicht hat sich die erste Woge inzwischen gelegt und ich kann noch einmal vernünftig mit ihr reden, dass sie bei mir bleibt und her kommt.“ „Resit, das solltest du dir noch einmal überlegen. Kann mir vielleicht mal einer helfen?“, er sah sich verzweifelt um, besonders zu Emily, doch wie schon vorher tat sie, als hörte sie das alles nicht. Und der Rest der Gruppe stand nur verlegen mit den Füßen scharrend herum. „Entschuldigen Sie?“, eine Angestellte des Hotels war die Einzige, die das Wort erhob und das auch nicht, um ihn zu unterstützen. „Wir servieren Tee, Kaffee und Kuchen im Garten. Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden?“, sie wies an sich vorbei in die Halle. „Gut, geht ihr schon vor. Ich werde erst Nalan anrufen.“ Inan betrachtete ihn nur unwirsch, nickte dann aber. „Gut, Kuchen fassen!“, Sabiha klatschte in die Hände, um die Situation wieder etwas zu lockern. „Sie sind natürlich herzlich eingeladen.“, erklärte sie der Managerin und den Hochzeitsplanern und lief dann schon vor. Nach und nach kleckerten die Anwesenden hinterher. In der Eingangshalle blieb Emily zurück und sah zu dem Torbogen des Flures hinüber, auf dem ihr und Resits Zimmer lagen. Er verschwand gerade im Eiltempo darin. „Emily, komm“, Inan wollte sie weiterschieben, ehe ihr Zögern jemand bemerkte, aber sie schob ihn weg. „Geht ihr mal vor, ich muss auch noch telefonieren.“, sie drehte sich gerade herum, als er nach ihrem Arm griff. „Lass ihn. Es hat keinen Sinn, der Junge ist ein Sturschädel. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es kein zurück mehr. Lass mich lieber nachher noch einmal mit ihm reden.“ „Aber ich will doch gar nicht zu ihm.“, ihr Lächeln war so zuckersüß, dass es ihm eiskalt den Rücken hinunter lief. „Alles gut, ich bin in zwei Sekunden wieder bei euch! Ich will nur meine Nachbarin anrufen und nach meinem Kater fragen. Ich vermisse die Fellkugel.“ Er schluckte leicht, nickte dann aber und ließ sie gehen. Ihm war genauso klar wie ihr, dass sie nicht einfach nur nach dem Wohl ihrer Katze fragen wollte. Emily brauchte Ruhe. Sie wolle jetzt niemanden um sich haben, sich einfach nur in ihr Zimmer setzen und über alles nachdenken, was in den letzten Tagen vorgefallen war und sich einen Plan machen, wie sie die Letzten auch noch überleben würde. Sie schlüpfte durch den Torbogen in den dunklen Gang, wie in das Maul eines Monsters und hob gerade eine Hand ans Gesicht, da beschloss Inan, dass das nicht so ausgehen konnte. Er entschuldigte sich kurz bei Melika mit der Ausrede, dass er nach seinem Sohn sehen wollte und folgte den Beiden. Er stand noch gar nicht richtig im Flur, da wurde er bereits Zeuge ihres Zusammentreffens. Als Emily kurz den Kopf hob, während sie sich Augen und Nase rieb, entdeckte sie, dass Resit noch immer nicht in seinem Zimmer war. Das Schloss der Tür öffnete sich gerade mit einem Klick, als er aufsah. Zuerst bemerkte er die Gestalt, die auf ihn zugerauscht kam, dann seinen Vater, der ihr mit besorgter Miene zu folgen schien. Und Emily sah tatsächlich nicht gut aus. Ihre Stirn und Augenbrauen warfen bereits krause Wellen und als sie ihn ansah, schlug sie plötzlich eine so harte Schlangenlinie ein, dass er erst dachte sie würde gegen die Wand auf der anderen Seite des Flurs rennen. Nun war er da, der Moment, vor dem er sich hatte drücken wollen, weil er verdammt schiss davor hatte. Wie sollte er ihr in die Augen sehen und ihr erklären, dass er nun mal immer Nalan lieben würde? Dass das mit ihnen nur eine einmalige Sache war? Er fühlte sich verdammt dreckig dabei, ihr zu sagen, dass sie nichts als eine kleine Affäre war, mit der er sich über den Streit mit seiner wahren Liebe hinweg trösten wollte. Wie das klang, absolut affig und er war ein Mistkerl. Das wurde ihm auch klar, als sein Vater langsamer wurde und ihn strafend anblickte, während Emily das Gesicht wieder abwandte ihn so umschiffte, um zu ihrem eigenen Zimmer zu kommen. Er atmete schwer aus und folgte ihrer Bewegung mit dem ganzen Körper. „Emily“, versuchte er sie zu stoppen, doch wie den gesamten restlichen Tag bereits, schien sie von ihm keine Notiz zu nehmen. Und dieser Umstand machte ihn rasend! Wie konnte sie ihn einfach wie Luft behandeln und so tun, als wäre zwischen ihnen nichts? Oder eher nie was gewesen... Er strich sich durch die Haare, nicht wissend, wie er dieses Gefühl des verletzt seins wieder aus seinem Innern verbannen sollte. Immerhin überlagerte es wehement das Gefühl, Nalan anrufen zu wollen. Das wurde ihm auch erst in diesem Moment klar, in diesem dunklen Gang und mit dem Wissen, dass Emily sich mit der Trennung von ihm genauso schwer tat, wie er mit der von Nalan. Die Gefühle, die auf ihn einströmte, als er das erste mal den Verdacht hegte, dass Emily sich tatsächlich in ihn verliebt haben könnte, wollte er nicht zuordnen, zu große Angst hatte er davor. Es kribbelte in seinem Magen und sein Herz zog sich schuldbewusst zusammen, als wollte es einfach stehen bleiben. Emily zu verletzen war wirklich das Letzte, das er tun wollte, doch sein Kopf sagte ihm, dass dieser Moment unumgänglich war. Sie erreichte ihre Tür, griff in eine ihrer Taschen und zog den Schlüssel hervor. Einen ihrer locker geflochtenen Zöpfe legte sich über ihre Schulter, wie eine imaginäre Grenze. Doch er wollte keine Grenze haben! Sein Kopf konnte nichts tun, als seine Füße sich in Bewegung setzten. Mit der Hand noch immer an der Klinke seiner Tür, zog den Riegel wieder ins Schloss und gerade, als sie ins Innere des Goldenen Raums trat, tat er einen letzten Satz und bekam noch gerade so einen Fuß zwischen das Holz. Erleichtert atmete er kurz ein und drückt sich dann mit dem ganzen Körper gegen den Druck von Emily auf der anderen Seite, die die Tür zu schließen versuchte. Von dem Widerstand überrascht, stolperte sie zwei Meter zurück und sah beinahe entsetzt dabei zu, wie er eintrat und nun seinerseits Inan ausschloss. Schweigend sahen sie einander einige Sekunden an, dann biss Emily die Zähne so fest zusammen, dass ihre Kiefermuskeln ein angestrengtes Bild auf ihren Wangen zeichneten. Sie drehte sich ruckartig herum und marschierte quer durch den Raum... nur wohin sollte sie? Sie war hier mit ihm eingesperrt! „Emily“, begann Resit noch einmal und folgte ihr, jedoch wesentlich langsamer und beinahe vorsichtig. „Du brauchst nichts sagen.“, ihre Stimme war heiser und hatte dieses wohlbekannte Geräusch einer Erkältung. Er fühlte sich nur noch mieser. „Ich habe es schon verstanden.“, sie winkte wie beiläufig ab und erreichte nun ihren Kleiderschrank. Und dann? Wie sollte es weiter gehen? Sie öffnete ihn und sah hinein. In einem Film würde sie wohl ihre Sachen packen, wutentbrannt das Palais verlassen und er würde ihr hinterher stürmen und sie anflehen und anbetteln ihn nicht zu verlassen, weil er sie so unendlich liebte und er so ein unendlicher Idiot war... Aber das hier war kein Film. Und sie konnte nicht gehen, Sabiha würde ihr das nie verzeihen. „Und jetzt? Willst du deine Sachen packen und verschwinden?“, fragte er nur, was bestätigte, dass er die gleichen Gedanken hatte wie sie. „Sei nicht albern! Ich will Sabiha nicht allein lassen.“ „Und was dann? Willst du dich in dem Schrank verstecken?“ „Resit, was willst du von mir? Kannst du dich nicht einfach verpissen und deine Frau anrufen?“ „Das könnte ich.“, er trat zu ihr und wirbelte sie mit einem Ruck herum. „Aber ich werde es nicht!“ Er breitete beide Arme aus und hob nun die Stimme. Diese Situation trieb ihn langsam an den Rand seines Nervenkostüms. „Kannst du mir mal verraten, was dein Problem ist? Was habe ich dir nun wieder getan? Jeden Tag der selbe Mist! Du tust als wäre ich Luft und gehst mir ununterbrochen aus dem Weg. Hab ich dir irgendwas getan?“ Sie schnaubte und schrie zurück: „Glaub kein bisschen, dass das hier wie gestern wird! Ich werde sicher nicht mit dir schlafen, wenn es das ist, warum du gekommen bist!“ „Ich will nicht mit dir schlafen, ich will wissen, was dein Problem ist!“ „Ich habe kein Problem!“ Sie hofften wirklich beide inständig, dass sie mit diesem Wutausbruch, den sie teilten, nicht das ganze Gebäude auf sich aufmerksam machten, doch keiner von ihnen wollte die Stimme senken. „Ach nein? Warum schaffst du es dann nicht mich anzusehen und reagierst nicht auf mich? Du redest in meiner Gegenwart ja sogar von mir in der dritten Person! Nein, du hast recht, du hast wirklich kein Problem. Du warst den ganzen Vormittag nicht mal hier auf dem Gelände, so wenig Probleme hast du!“ „Bilde dir bloß nicht ein, dass das wegen dir war.“, fauchte sie zurück. „Nein? Weswegen dann? Die Schuhe für Sabiha standen schon Dienstag hier. Von wegen dir ist beim Autofahren ein Malheur passiert. Verarschen kann ich mich allein, Emily!“ „Ach und du?“, ihre Stimme überschlug sich fast. „Ich komme heute Morgen aus der Dusche und dein Vater ist in dem Zimmer und merkt, was zwischen uns ist und es ist ihm egal.“, sie lachte fast. „Er freut sich sogar für uns... und du schämst dich richtig für mich und zeigst mir das auch offen und wunderst dich, dass es mir schlecht geht? Besonders, wenn du dann noch voller Begeisterung deinem Bruder gegenüber eine Liebeserklärung an deine Frau machst und regelrecht schwörst dich mit ihr auszusöhnen? Vielen Dank, ich fühle mich wirklich geschmeichelt und geehrt und als was Besonderes.“ Nun zog er doch den Kopf zurück. Da war es, die Bestätigung. Seine Kehle schnürrte sich zu. Sie musste es nicht aussprechen, damit er wusst, dass sie ihn liebte. Und was sein Kopf nicht verstand, sogar als regelrecht irrational einstufte: Sein Herz freute sich darüber! Es schien ihm bald aus der Brust zu springen, so aufgeregt war es in diesem Moment. Was war das nur? Er konnte es einfach nicht einordnen. Die Frustration darüber schwang erneut in Wut um. „Ich will dir ja wirklich nicht zu nahe treten, aber Frauen ticken in vielen Dingen doch wie Männer und auf eines kannst du wetten: Wenn eine Frau sagt, dass sie sich scheiden lassen will, dann ist das kein Code für „Ich fühle mich nicht mehr geliebt, renn mir nach, beachte mich und erobere mich zurück.“, sondern dann bedeutet es genau das Gleiche, als wenn ein Mann das sagen würde: Es.Ist.Aus.“ Er schnaubte. Recht hatte sie bestimmt. Es gehört eine Menge dazu, eine Ehe einfach so zu beenden. Doch Resit wollte das in diesem Moment nicht einsehen. Er wusste beinahe nicht, was er tat, als er den Mund wieder öffnete und sie mit tiefer, bedrohlicher Stimme anknurrte: „Was weißt du denn schon? Du bist nicht mal verheiratet. Alles, worauf du dich verstehst ist einem Mann die Beine breit zu machen, wie mir vor zwei Tagen.“ Der folgende Knall war so laut, dass er in Resits Kopf noch eine Weil nachhallte. Emily hielt sich die von dem Schlag schmerzende Hand. Die Wange, an der sie ihn getroffen hatte verfärbte sich bereits rot, als er den Kopf wieder zu ihr drehte, der Blick vollendst entsetzt. Sie schluckte. Es erinnerte sie an den Moment, als ihr schon einmal gegenüber einem Türken die Hand ausgerutscht war. Das war bereits über Zehn Jahre her, damals ging sie noch zur Schule und der Typ hatte sie ebenfalls als Hure bezeichnet. In diesem Moment war Resit genau wie er. Ein eingbildetes Arschloch, typisch Macho eben und nicht fähig damit umzugehen, wenn eine Frau sich wehrte, was sich daran zeigte, dass der Typ damals sie danach für immer in Ruhe gelassen hatte, so, wie es auch Resit nun tun würde. Wenigstens war sie sich damit sicher, dass sie ihn nie wieder sehen musste. „Verschwinde“, flüsterte sie in die entstandene Stille. „Emily...“ „Verschwinde und wehe, ich muss dich noch ein einziges Mal sehen!“, donnerte sie und stapfte wie zur Untermauerung mit dem Fuß auf, wies in Richtung Tür. „Ich will dich NIE wiedersehen, verstanden?! Geh!“ Eilig, als würde sie mit dem Messer hinter ihm stehen, nahm er reiß aus. Vor der Tür lief er seinem Vater in die Arme, der natürlich alles haar klein mitbekommen hatte und ihn nun ebenso fassungslos anstarrte wie er sich fühlte. Resit schüttelte den Kopf winkte in großer Geste ab und lief weiter zu seinem Zimmer, wo er gleich darauf verschwand. Ruhelos tigerte er in seinem Zimmer auf und ab. Was hatte er da nur gesagt? Hatte er Emily gerade tatsächlich unterschwellig als Nutte bezeichnet? Wobei, unterschwellig konnte man das wohl nicht mehr nennen. Kein Wunder, dass sie ihn geschlagen hatten. Er hatte es ja nicht anders verdient. Doch was sollte er nun tun? Es war nun nicht mehr daran zu denken, Nalan anzurufen. Selbst wenn er gewollt hätte, er schaffte es einfach nicht seine Gedanken von Emily weg zu bekommen. Wie sie ihn angesehen hatten, wie verletzt sie war und schlimmer noch, wie er sie behandelt hatte, ohne zu merken, dass sie mehr wollte. Wie konnte er nur so bescheuert sein ihr vorzuhalten sich wie eine Schlampe aufzuführen, obwohl er bereits bemerkt hatte, dass sie ihn liebte? Es waren keine Worte nötig, allein ihre Blicke hatten gereicht... Er ließ sich auf einen Stuhl am Tisch fallen und vergrub das schmerzende Gesicht in beiden Händen. Er war ja so ein Idiot! Während er sich in Gedanken bereits selbst bestrafte, klopfte Inan vorsichtig an die noch immer offene Tür Emilys. „Geh weg!“, schrie sie von irgendwo aus dem Zimmer und kurz darauf flog ihm ein Kissen entgegen, das vor kurzem noch auf ihrem Bett gelegen hatte. Er schloss die Tür leise hinter sich, hob es auf und trat näher. „Inan!“, überrascht stemmte sie sich wieder auf die Füße und strich sich über die Augen. Keine zwei Sekunden später grinste sie ihn wieder an, als wäre nichts geschehen. „Ich weiß, ich weiß, Sabiha wartet sicher schon wieder auf mich und bricht gleich in Panik aus, ich bin sofort bei euch!“, sie kam hinüber zum Tisch und kramte in ihrer Tasche, auf der Suche nach einem Taschentuch. Er seufzte. „Hör auf so zu tun als ob. Ich stand die ganze Zeit vor der Tür und habe alles gehört.“ „Keine Ahnung, wovon du sprichst!“, sie schneuzte sich Geräuschvoll und schmiss das dreckige Zellstofftuch dann weg. „Emily, Kind, nun hör mir mal zu.“, er hielt sie auf, als sie an ihm vorbei zur Tür gehen wollte, schob einen Stuhl vom Tisch weg und bucksierte sie darauf. Dann setzte er sich ihr gegenüber. „Ich werde nicht entschuldigen, WAS mein Sohn getan hat. Im Gegenteil, ich will mich FÜR ihn entschuldigen. Wer auch immer den Jungen erzogen hat, ich war es offensichtlich nicht. Und Melika sicher noch weniger. Aber bitte, denk dennoch nicht schlecht von ihm.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er ist nur genau das, was ich erwartet habe.“, sie zuckte die Schultern. „Wie meinst du das.“ „Macho, Aufreißer, Großkotz...“ Inan schüttelte den Kopf. „Türken werden missverstanden.“ „Inwiefern? Du hast gesagt, dass du alles gehört hast. Dann hast du sicher auch mitbekommen, dass er mich gerade als Schlampe abgestempelt hat. Und entweder ist das typisch für Türken, oder es muss doch an mir liegen... liegt es an mir?“ Er seufzte. „Nein, das tut es nicht. Aber ich bin auch Türke und würde dich nicht so nennen. Ebensowenig wie Mehmet und Can. Mein Vater vielleicht, aber der steht eh unter der Knute meiner Mutter. Egal, darum geht es nicht. Eigentlich... sind wir vom Wesen her sehr emotional, wie mein Sohn so schön bewiesen hat und schneller mit dem Mundwerk, als mit unserem Gehirn. Beides hängt zusammen. Dazu sind wir sehr... ja, das, was ihr hier vermutlich als Macho bezeichnen würdet. Unsere Frauen sind uns sehr wichtig. Einige übertreiben es sicher und verwechseln Fürsorge dem zarten Geschlecht gegenüber mit Macht und beginnen so, ihre Frauen und Töchter herab zu setzen und wollen ihnen immer befehlen, was sie zu tun und zu lassen haben, aber eigentlich, drückt sich bei vielen von uns die Liebe dadurch aus, dass wir unsere Frauen bis aufs Letzte verteidigen, verstehst du mich?“ Sie sah ihn schweigend an. „Wenn einer sie beleidigt, dann werden wir aggressiv, wie du es eben an Resit erlebt hast. Ich denke, dass er trotz allem sehr viel für Nalan empfindet und als du sie in Frage gestellt hast, da war es bei ihm vorbei. Was du gesagt hast ist richtig und das weiß er auch, aber wenn man liebt, dann ist alles etwas... anders...“ Emily nickte. „Ja, das verstehe ich... denke ich...“, sie sah zu Boden. „Und es tut mir leid.“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht dafür. Ich und seine Mutter vertreten die gleiche Meinung, er sollte Nalan gehen lassen. Doch wie wir Machos eben sind, wir werden sicher nicht einfach etwas Geliebtes aufgeben. Aber dadurch, dass er noch gestern sagte, dass er sie gehen lassen will, spricht eher dafür, dass auch er nicht mehr so empfindet, wie es in einer Ehe sein sollte.“ Er grinste, doch Emily konnte es nicht erwidern. „Immerhin... weiß er dennoch wie es ist zu lieben und geliebt zu werden.“ „Du hast deine Eltern und uns und Sabihas...“ „Das ist was anderes. Das zählt nicht.“ Er sah sie schweigend an. „Willst du allein sein?“, fragte er irgendwann und sie nickte, stand bereits auf, um ihn zur Tür zu bringen. Wortlos gingen sie nebeneinander her dann öffnete Inan sie und drehte sich im Rahmen noch einmal um. „Mach dich nicht so fertig, Emily. Das wird schon wieder.“ Sie schloss die Augen und nickte leicht, senkte dabei den Kopf. Das nutzte er und beugte sich hinab, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu hauchen. Sanft zog er sie in seine Arme und hielt sie fest. Sie tat ihm so unendlich leid, dass sie das allein durchstehen musste. Es Sabiha und Peri zu erzählen war unmöglich, wenn sie die Hochzeit ohne weitere Zwischenfälle überstehen wollten. So drückte er sie einfach nur an sich, während Emily wieder von einem Schluchzen geschüttelt wurde. Wenn er seinen Sohn in die Finger bekam, dann würde er Hackfleisch aus ihm machen! „Zufrieden?“, erschrocken stoben die Beiden auseinander und Inan schob die kleine Frau reflexartig hinter sich. Erst dann erkannten beide Resit, der ihnen eine geöffnete Mappe unter die Nase hielt. Irritiert sahen sie hinein und während Inan lesen konnte, was darauf stand, erkannte Emily den Bogen lediglich daher, dass sie eine halbe Nacht an ihm gearbeitet hatte. Es waren die Scheidungspapiere von Resit und am untersten Rand der aufgeschlagenen Seite prangerte mit finsterer Tinte seine Unterschrift. Irritiert nahm sein Vater alles entgegen und blättert einmal durch. „Du hast eingewilligt.“, stellte er überrascht fest. „Schick die Dinger an ihren Anwalt und an deinen Kollegen. Ich will es endlich hinter mich bringen.“ Inan nickte und sah noch einmal zu Emily zurück, die ihn nur mit großen, beinahe schon angsterfüllten Augen ansah. Er wollte gerade wieder etwas zu seinem Sohn sagen, als der der Anwältin bereits das Gesetzesbuch in die Hand drückte. „Bist du jetzt endlich zufrieden?“, fuhr er sie wieder an. Automatisch umklammerte sie das Buch fest und wich einen Schritt zurück, stieß dabei gegen denTürrahmen. „Bitte, schrei mich nicht an!“, flüsterte sie so leise und erstickt, dass man es fast nicht verstand, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken und wies auf die Mappe. „Ist es das, was du wolltest?“ Sofort nahm Emily die Beine in die Hand, sprang in ihren Raum zurück und schlug die Tür zu, doch noch ehe diese ins Schloss fallen konnte, drückte Resit die Hand dagengen. Sein Vater wollte ihn aufhalten, doch er funkelte ihn nur an. „Schick den Wisch raus, ich kümmere mich um Emily.“ Er verschwand in dem Zimmer und Inan rieb sich die Stirn. Während er hinüber ging zum Schloss fragte er sich, ob das Bild des cholerischen Türken nicht doch irgendwo wahr war. Resit ergriff den Unterarm von Emily und packte ihn fest. Erschrocken schrie sie auf, als er sie auf den Tisch schob und auf den Rücken zwang. „Ob du jetzt endlich zufrieden bist, will ich wissen!“, bellte er sie erneut an und fing gerade noch so ihre zweite Hand auf, als diese nach ihm ausholte. Fest hielt er sie über ihrem Kopf auf dem Holz fest. „Aua! Du tust mir weh!“, heulte sie verzweifelt. „Sag mir endlich, ob du zufrieden bist!“, forderte er erneut. „Resit es tut weh! Lass mich los!“ Er führte ihre Handgelenke zusammen, sodass er sie mit nur einer Hand fest hielt und zwang ihr Gesicht ihn anzusehen. „Ich will wissen, ob du das wolltest, dass ich mich scheiden lasse, damit du mich für dich alleine hast.“, sprach er noch einmal, tiefer und wesentlich eindringlicher. Sie schluckte. „Nein! Ich will nicht, dass du dich wegen mir scheiden lässt. Ich will, dass du selbst weißt, was dir wichtig ist...“, jammerte die ängstlich. Resit war zum fürchten, wenn er so ausrastete. Lediglich seine Nähe gab dem ganzen eine Note, die es nicht haben sollte. So war es sowohl Angst, die sie empfand, als auch unendlich viel Sehnsucht. „Und was meinst du, sollte mir wichtiger sein? Du etwa?“ „Ich weiß nicht, was dir wichtig ist und was nicht.“, erklärte sie und wand sich erneut unter ihm. „Bitte, lass mich endlich los, es tut weh, Resit. Bitte beruhige dich wieder.“ „Ich lasse mich für dich scheiden.“, platzte es aus ihm heraus und sie spürte, wie er mit dieser Erkenntnis nun auch den Druck auf ihren Armen lockerte. „Für dich, verstanden?“, er schob die Arme unter sie, dass er sie mit sich zusammen aufrichtete und dann auf seine Hüfte zog. Unnachgiebig sah er sie an, als duldete er keine Widerworte, als er sie hinüber zum weichen Bett trug. „Glaub aber nicht, dass ich deswegen jetzt hier herum renne und jedem davon erzähle, dass ich dem Scheidungswillen meiner guten, muslimische Frau wegen einer Deutschen nachgebe. Das wird meine Großeltern auf die Palme bringen. Das sollte nicht die Hochzeit meines Bruders gefährden, klar?!“ Sie nickte und landete federnd auf dem Bett. Es dauerte keine Sekunde, da lag er auf ihr, schlang sich ihre Arme um den Hals und küsste sie intensiv, während er ihr Kleid hinauf zog. Da plötzlich hielt sie ihn wieder auf. „Warte, Resit, vorher muss ich...“ „Du bist kein guter Geheimnishüter. Ich weiß, dass du mich liebst. Und jetzt halt den Mund.“ „Aber...“ Er verschloss einfach ihre Lippen mit seinen und verwickelte sie in einen so eindringlichen Zungenkuss, dass sie nicht mehr weiter denken konnte. Willig drückte sie sich ihm entgegen und genoss seine Berührungen... … Wer wusste schon wie lange sie das dieses mal konnte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)