Kings & Queens von Jeleane (Sasuke und Sakura | High School) ================================================================================ Kapitel 2: Fail --------------- Will you still love me, when I'm no longer young and beautiful? Will you still love me, when I got nothing but my aching soul? Will you still love me, when I'm no longer beautiful? I know you will, I know that you will. - ♚ - Z W E I »Guten Morgen, Sonnenschein!«, rief ich und warf krachend die Tür hinter mir zu. Ino rollte sich zur Seite und kniff die Augen zusammen. Das helle Tageslicht, das durch die Vorhänge drang, verursachte ihr offenbar Kopfschmerzen. »Nein, kein Sonnenschein heute.« Ino vergrub sich unter ihrem Kopfkissen. »Ich habe Kaffee und Kekse!« Ich zog ihr das Kissen weg, und sie öffnete stöhnend die Augen. »Warum nur? Warum?« »Warum was?« »Warum fühle ich mich, als ob eine Herde Gnus über mich gerannt wäre?« »Erstens habe ich keine Ahnung, was Gnus sind, und zweitens nennt man das einen Kater.« Ich hielt ihr einen Pappbecher mit Kaffee hin. Ich hatte ihre Lieblingskekse mitgebracht: Oreo. Ino setzte sich auf und nahm mir den Kaffee ab. Mit der anderen Hand schnappte sie sich einen Keks. »Danke. Wieso bist du eigentlich so fit?« »Ich bin ein absoluter Glückspilz.« Ich lachte. »Ich bekomme nie einen Kater. Du allerdings schon, so wie es aussieht.«  Ino schüttelte den Kopf, musste aber doch lächeln. Seit sie vor fünf Wochen in unserem Wohnheim eingezogen war, verstanden Ino und ich uns ausgezeichnet – so sehr, dass wir bereits in so kurzer Zeit zu beste Freundinnen wurden. Ich fand ihre offene Art einfach erfrischend. »Habe ich mich gestern eigentlich sehr blamiert?«, stellte Ino plötzlich die minderwertige nervöse Frage und nippte vorsichtig an ihrem Kaffee. Blamiert? Ino? Wohl kaum. Eher war ich diejenige, die sich gestern vor Sasuke blamiert hatte, weil ich ihn von mir weggestoßen hatte, nur um mein erstes Mal nicht in einer Abstellkammer zu haben. Oder mit einem Betrunkenen. Ein Schauer überkam mir bei der Erinnerung. Jetzt an Sasuke zu denken, war der falsche Zeitpunkt. Bildlich konnte ich bereits schon seine heißen Küsse und Berührungen wieder deutlich auf meiner Haut spüren, als wäre er gerade hier. Über mir. »Warum lächelst du plötzlich?« Ich errötete. »Hab ich doch gar nicht!« »Doch, natürlich. Gerade eben hattest du noch gegrinst wie ein Honigkuchenpferd.« Ino hob ihre feingezupften Augenbrauen. »Mensch, Sakura, ich hab's doch mit eigenen Augen gesehen. Red' dich nicht raus, das ist zwecklos.« Ich schüttelte vehement den Kopf. Ich würde ihr niemals erzählen, was Sasuke und ich gestern Abend getrieben hatten. Obwohl das Wort ›getrieben‹ wirklich zu viel des Guten war. Wir hatten nur ein wenig herumgemacht, das war alles. Mehr nicht. Und deswegen war es irrelevant, es ihr zu erzählen, beste Freundin hin oder her. »Du hast dich nicht blamiert. Als wir auf Sasuke trafen, warst du sofort nach fünf Minuten eingenickt. Chōji war sogar so freundlich, auf dich aufzupassen«, antwortete ich auf ihre erste gestellte Frage, um das Thema zu wechseln. »Aufpassen? Warst du denn nicht bei mir?« »Doch, natürlich. Chōji wollte Acht auf dich geben, während ich mich auf der Party weiterhin amüsieren sollte. Aber ich tat's selbstverständlich nicht. Wer weiß, welcher Perversling dich entführen wollte«, erklärte ich und ignorierte den ekeligen Schauer. Ihre hellblauen Augen blitzten auf, und sie legte, ohne den Blick von mir zu lösen, ihren Kaffee und Keks auf dem Nachttischschränkchen. »Aw, hast du dich wirklich um mich gekümmert, als ich besoffen war?« Ich nickte. »Komm her und lass dich drücken, meine Königin!« Mit einem Kussmund breitete Ino die Arme auseinander als Botschaft, dass ich sie umarmen sollte. »Ein anders Mal vielleicht. Wir müssen uns jetzt für die Vorlesung fertig machen, sonst wird Mr Sarutobi uns die Köpfe einschlagen.« Ich tippte ihr auf die Stirn und drückte sie nach hinten, sodass sie gezwungen wurde, mit dem Rücken aufs Bett zu fallen. Mission: ›Die beste Freundin-morgens-zum Lachen bringen‹ erfolgreich abgeschlossen. - Kiba spielte mit Inos Haarsträhnen und musterte sie von der Seite. Als sie bemerkte, dass er sie anstarrte, wandte sie sich unter seinem Blick. Sie seufzte und saß sich anders hin. Kiba musste grinsen und drehte eine andere Haarsträhne um seinen Finger. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er ließ kurz los, nur um sich wieder eine Strähne zu schnappen. Scheinbar machte es ihm Spaß. »Mr Inuzuka, konzentrieren Sie sich bitte?«, ertönte Mr Sarutobis Stimme von vorne. »Ja, Sir.« »Auf meinem Unterricht, meine ich. Nicht auf Ms Yamanaka.« »Immerhin konzentriere ich mich überhaupt.« Kiba grinste erst ihn und dann Ino an. »Ja.« Er bemühte sich, ernst zu bleiben. »So liebreizend Ms Yamanaka auch sein mag, sind Sie eventuell in der Lage, sich für die letzten zehn Minuten meiner Vorlesung zu widmen?« Ino schaute ihren Freund lächelnd an. Er zwinkerte ihr zu. »Ich tue mein Bestes, Sir, aber ich kann Ihnen nichts versprechen.« Mr Sarutobi wandte sich kopfschüttelnd der Tafel zu. Kiba ließ Inos Haarsträhne los und legte den Arm auf ihrer Stuhllehne ab. Sie schielte zu ihm herüber, und er machte nur ein unschuldiges Gesicht. Ich ertappte mich dabei, das gleiche Szenario mit einem gewissen Jemand vorzustellen. Jedoch bezweifelte ich ziemlich stark, dass er solche Zärtlichkeit und Offenbarung mitten im Unterricht zeigen würde. Es war ja nicht so, dass ich ihm gar nichts in dieser Richtung zutrauen würde, aber die Vorstellung, dass er wie Kiba ticken könnte, war für mich unvorstellbar. Aber er hat dich geküsst, meldete sich mein Unterbewusstsein. Er hat deinen ersten Kuss geraubt. Und du hast es erwidert. Wie auf Kommando lief ich tiefrot an. Scheiße, das hatte ich komplett verdrängt. Wieso musste mich mein blödes Unterbewusstsein wieder daran erinnern? Am liebsten wollte ich diesen Gedanken wie ein Programm vom System löschen und nie wieder installieren lassen. Aber leider war ich kein Computer. Und auch kein Cyborg. Ich sah auf meine Armbanduhr, die meine Mutter mir zum 18. Geburtstag gekauft hatte, und stellte missmutig fest, dass es noch lächerliche fünf Minuten dauern würde, bis die Vorlesung enden würde. Phantastisch. Jetzt kannst du für 300 Sekunden Sasukes breite Schultern und Rücken begaffen, ärgerte mich wieder meine Innere Göttin. Also los! Schmachte ihn solange an, bevor er sich umdreht und du wieder in seinen faszinierenden Augen gefangen wirst! Zum Teufel mit meiner Innere Göttin. Ich war nicht sein dummes Fangirl, sondern ein Mädchen, die ihn wirklich aufrichtig liebte. Aber wen machte ich etwas vor? Wir lebten im 21. Jahrhundert, und hier war "das richtige Lieben" nicht vorhanden. Hier waren Menschen zusammen, die sich nicht liebten, und diejenigen, die sich liebten, waren nicht zusammen. Verkehrte Welt. Doch die Welt blieb stehen, als braune Augen mich entdeckten. Wunderschöne, schimmernden Augen, die einem Topas glichen. Topasbraun. Erst als Ino mir einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen mitten in die Seite verpasste, wurde mir schlagartig klar, dass Mr Sarutobi und so ziemlich alle andere Studenten im Raum mich fixierten. Und Sasuke. Scheiße. »Ms Haruno, ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihre Konzentration eher Mr Uchiha gewidmet ist als meiner Vorlesung, daher bitte ich Sie und alle andere Verliebten, es sein zu lassen, wenn Sie wirklich eine gescheite Ausbildung bekommen möchten.« Ich wünschte, ich hätte mein Bett nicht verlassen oder einen verdammten Schritt ins Verliebtheit gemacht. »Sakura, wie oft willst du deinen Schädel noch auf deinem Spind hämmern?« Ino verschränkte tadelnd die Brust. »Davon bekommst du keinen Gedächtnisverlust.« Ich hörte nicht auf sie, sondern hämmerte mit jedem Versuch, Sasuke Uchiha aus meinen Gedanken zu vertreiben, den Kopf an dem Schließfach. Den Schmerz nahm ich nur nebensächlich wahr. Die Tatsache, dass ich mich vor der ganzen Klasse blamiert hatte, war mir um Längen schmerzhafter. »Es reicht jetzt, Sakura. Du verpasst deine Stirn noch den klassischen Stil einer Beule«, schimpfte sie, packte mich an der Schulter und zerrte mich grob nach hinten, sodass ich mit der Folterung aufhörte. Dabei wollte ich doch den Gedächtnisverlust. »Ernsthaft, Süße, deine arme Stirn.« Ihr Blick blieb an meine errötete Stirn kleben. Ab jetzt spürte ich deutlich den Schmerz. Autsch. »Inooo«, schmollte ich und zog dabei ihren Namen in die Länge. »Reiß hier keine Witze, sondern hilf mir! Wie soll ich jetzt Sasuke in die Augen schauen können? Er denkt wahrscheinlich, dass ich eine Stalkerin wäre, dabei stimmt das doch gar nicht!« Ino verdrehte die Augen. »Reg dich ab. Der Knackarsch wird dir das schon nicht übel nehmen. Du bist schließlich nicht die einzige, die ihn während des Unterrichts, Pausen oder beim Training beobachtet.« Wenn Ino doch nur wüsste, was wir gestern Abend alles gemacht hatten. Es juckte mich bereits auf der Zunge, es ihr zu erzählen, aber der Mut verließ mich jedes Mal, also ließ ich es sein und setzte ein schwaches Lächeln auf. »Wahrscheinlich hast du recht.« Vielleicht hatte sie ja tatsächlich recht, und Sasuke würde die Begaffung mitten im Unterricht mir deswegen nicht übel nehmen, aber dennoch stand eine Frage offen: Konnte Sasuke sich an die zärtlichen Berührungen und Küsse noch erinnern? Um diese Frage beantworten zu können, musste ich wohl oder übel das Fragezeichen selbst fragen. Nämlich Sasuke. Scheiße. Das werde ich mit Sicherheit noch bereuen. - Die Bibliothek war in einem typischen Stil gehalten – die Wände waren zitronengelb, der Boden aus beigefarbenen Teppichboden und die großen, breiten Regale, wo drin sich die vielen Bücher nach geordneter Kategorie befanden, waren in einem auffälligen braunen Farbton lackiert. Mit langsamen Schritten schweifte ich den Blick umher. Hier war es so unheimlich leise, dass man schon eine gefallene Stecknadel hören konnte. Jeder Leser war vertieft in ihren aufgeschlagenen Büchern, und ich besaß den dummen Gedanken, hier einmal laut Sasukes Namen zu schreien, damit ich ihn endlich finden konnte. Doch ich beließ es und versuchte weiterhin mit meinem Glück. Kiba hatte mir nämlich erzählt, dass Sasuke sich bei seiner Freistunde immer in der Bibliothek aufhielt. Und ich konnte ihn verstehen. Es war ein perfekter Ort, um seine Ruhe zu haben. Pech nur, dass ich seine Ruhe leider zerstören musste, als ich ihn entdeckt hatte. Er stand seelenruhig vor einem Bücherregal und suchte mit seinen faszinierenden Augen offenbar nach das pasende Buch für ihn. Sogar wenn er einfach nur blöd herumstand, sah er unfassbar gut aus. Die Mission, Sakura. Die Mission. Mit all mein Mut atmete ich tief ein und schritt auf ihn zu. Jetzt oder nie. »Sasuke?« Wieder dieses faszinierende Braunfarbton in seinen Augen. Sein Blick ließ mich nicht los, als er mich ansah. Desinteressiert, kühl, herablassend. Sexy. Ich schluckte den Riemen herunter, den ich die ganze Zeit geschmeckt hatte, und sah ihn mit einem schüchternen Lächeln an. »Können wir kurz reden?« Sasuke zörgerte. Natürlich tat er das, doch dann hob er eine Braue, und ich wusste, dass die Bibliothek ein sehr schlechter Ort war zum Reden. Aber sie war der einzige Ort, wo wir in Ruhe über alles reden konnten. »Wegen gestern«, fügte ich leise hinzu. »Auf der Party.« Seine andere Augenbraue wanderte in die Höhe, dann nickte er kaum merklich. Ich spürte pure Erleichterung, hatte schon gefürchtet, er würde mir den Laufpass geben. Eigentlich sollte es mir bereits im Dickschädel eingespeichert haben, dass Sasuke zwar schwierig war, aber nicht herzlos. Nervös knetete ich meine bereits leicht verschwitzten Händen. Mann-oh-Mann, ich hatte mir das eigentlich viel einfacher vorgestellt. »Ähm …« Ich spürte, wie meine Nackenhaare automatisch salutierten. »Kannst … kannst du dich noch an unsere Begegnung erinnern?«, fragte ich, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Er nickte. Zörgernd. »Und an das danach?« Bitte sag ja. Sasukes Augen funkelten, ansonsten war seine Miene ausdruckslos. »Wird das jetzt ein Frage-Antworte-Spiel?« »Sasuke«, quengelte ich ungeduldig. »Bitte beantworte einfach nur meine Frage. Es ist mir wirklich wichtig.« Er seufzte, vergrub seine Hände in die Hosentaschen und legte den Kopf ein wenig schief. »Ich war mit Naruto und Kiba ein trinken. Es gab kein danach. « Meine Augen weiteten sich, spürte schon, wie all meine Hoffnungen verschwanden. Er wusste von nichts. »Du kannst dich also an nichts mehr erinnern?« Sasuke runzelte die Stirn. »An was nicht mehr erinnern?« An unsere Küsse. An unsere Berührungen und Zärtlichkeit. An uns. »An nichts«, flüsterte ich melancholisch. Mission: ›Endlich glücklich werden‹ fehlgeschlagen. - Wäre ich glücklicher, in einer Welt ohne jeglichen Gefühle? Für mich war es schon ein ständiger Kampf, mich gesund zu ernähren und der scheinheilige Sonnenschein für alle anderen zu spielen, aber wie ich mich wirklich dabei fühlte und was in meinem Inneren für ein Gefühlschaos entstand, bemerkte niemand. Nicht einmal meine Familie selbst. Meine Familie. Mein Bruder. Die SMS. Ich starrte mein BlackBerry an. Es war jetzt sechs Wochen her, dass ich Okinawa verlassen hatte, und erst heute war meinem Bruder Satoshi wieder eingefallen, dass es mich gab. Diese SMS war die erste Konversation, die wir hatten, seit ich in Yokohama war. Na ja, die erste beidseitige Konversation. Ich hatte ihm gleich nach meiner Ankunft eine Nachricht geschickt, dass alles okay war, aber das war es dann auch. Bis heute. Gedankenverloren ruhte mein Blick auf meinem Handy. Ich wusste auch nicht, warum ich was anderes erwartet hatte. Er meldete sich immer nur, wenn er etwas von mir wollte. Und wie üblich, wollte er auch dieses Mal Geld. Ich wollte gar nicht wissen, wofür er es brauchte, aber angesichts der Tatsache, dass es sich um achtzigtausend Yen handelte, war es wohl für die Miete. Und alles nur, weil er zu arrogant und egoistisch war, um mal länger einen Job zu halten und unseren selbstmordgefährdeten Vater zu unterstützen. Ich rieb mir die Stirn und versuchte, diese ganzen Gedanken zu unterdrücken. Ich werde Satoshi das Geld geben und ihm einimpfen, dass Dads Miete gedeckt sein musste. Dabei war es egal, Satoshi wird es sowieso wieder für seine Sachen verwenden und nicht an Dad denken. Eine Welle von Schuldgefühlen überkam mich, wenn ich daran dachte, dass ich Dad alleingelassen hatte. Gleichzeitig ermahnte ich mich, dass er es so wollte. Satoshi war schon immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um etwas aus seinem Leben zu machen. Ich war die Schlaue in der Familie, deshalb hatte meine verstorbene Mutter das Geld für mich gespart, damit ich darauf zugreifen konnte, wenn ich achtzehn war. Sie hatte es mal mein Uni-Sparbuch genannt. Hatte mir gesagt, dass sie schon seit meiner Geburt Geld darauf einzahlte, weil sie wollte, dass ich ein gutes Leben hatte. Für Satoshi hatte sie auch gespart, aber er hatte sich mit dem Geld ein Auto gekauft, und Gott wusste, was noch. Sie würde sich für ihn schämen, wenn sie ihn heute sehen könnte. Ich kniff fest die Augen zu, um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Drei Jahre war es her, doch die Wunde fühlte sich noch frisch an. Der Schmerz sickerte wie Blut durch ein Pflaster, aber es war durchzuhalten. Er war Teil meines Lebens. Allerdings hätte ich diesen Teil am liebsten hinter mir gelassen, als ich aus Okinawa fort war. Aber wie es Sorgen nun mal so an sich hatten, sie waren mir gefolgt. Ich beschloss, heute mal nicht in die Bibliothek zu gehen. Ich blieb zum Lernen lieber im geschützten Umfeld meines Wohnheims. Außerden wäre ich in der Bibliothek nur wieder Sasuke begegnet. Der geheimnisvolle Typ mit den vielen Facetten. Er war der Pedant zu meinem Bruder. »Das Schwarze«, rief Ino aus dem Badezimmer. »Nee, lieber was Elegantes. Wie wäre mit dem hier? Feuerrot wie die brennende Leidenschaft der Liebe«, widersprach Karin – das letzte Mitglied unserer kleinen Gruppe und gleichzeitige Mitbewohnerin von Ino und mir – theatralisch und hob ein scharlachrotes Cocktailkleid hoch. »Mädels, ich gehe nur nach Starbucks, und nicht zu einem Date.« Ich schüttelte den Kopf. »Allein schon deswegen werde ich kein Kleid anziehen.« Ino und Karin wollten protestieren, ließen es aber sein. Sie zogen stattdessen beleidigte Schmollmünder und verschränkten die Arme vor der Brust wie ein kleines Kind, das sein Lollipop wieder haben wollte. Ich entfernte ein Fussel von meiner Jeans, während ich mich kritisch im Spiegel betrachtete. »Snoopy oder kein Snoopy?«, fragte ich und bekam dabei unterschiedliche Antworten zurück. Schulterzuckend entschied ich mich schließlich doch für ein graues Snoopy Pullover mit der Zahl fünfzig am Rücken, dabei ignorierte ich Inos Jammern, dass ich für so was doch viel zu alt wäre. Aber für Kindheitserinnerungen war man nie zu alt. Die schöne Nostalgie erschien mir wieder vor die Augen. Einfach wieder Kind sein. Sorglos leben. Keine Gedanken um die Zukunft oder die ›was-wäre-wenn-Frage‹ machen. Ich seufzte. Ich brauchte dringend Kaffee, sonst würde ich noch durchdrehen. Es gab schließlich nichts Schöneres für mich, an einem sonnigen Nachmittag im Starbucks zu trinken und die Gedanken für einen Moment lang auszuschalten. Diesmal waren meine Gedanken nicht an Sasuke, sondern an meinem Bruder gehaftet. An meinem drogensüchtigen Bruder. »Einmal Chocolate-Chip Frappuchino in Grande, bitte.« Die Kaffeeverkäuferin nickte und zubereitete mein Getränk. Gedankenversunken nahm ich mein Kaffee von ihr ab und bezahlte, ließ mich dann auf einer einsamen Ecke nieder. Der Laden war nicht gerade voll, aber auch nicht leer. Dennoch leise genug, um seine Gedanken einzusortieren. Mein Bruder hatte es echt drauf, mir den Tag und die Laune zu verderben. Ärger kroch in mir hoch, und ich hatte den verrückten Gedanken, mein Handy einfach aus dem Fenster zu werfen. Das wäre bestimmt mega befriedigend, es unten auf dem Bürgersteig in tausend Stücke zerspringen zu sehen. Oder ich könnte mir einfach eine neue Nummer geben lassen. Das wäre wahrscheinlich eine bessere Idee, aber nicht annähernd so befreiend. »Sakura.« Eine tiefe, männliche Stimme brachte mich wieder zurück in die Realität, und ich wusste schlagartig, zu wem sie gehörte. »Sasuke«, erwiderte ich leise und ziemlich überrascht, weil ich mit ihm wirklich gar nicht gerechnet hätte. Aber Wunder gab es immer, sogar bei mir. Er nahm vor mir platz, seine Ellenbogen stützte er am Tisch ab und verknotete seine Finger ineinander. Sein schöner Mund wurde von seinen Händen verdeckt – seine typische Haltung, die er sogar im Unterricht abzog. Er wirkt so geheimnisvoll. »Warum hast du es mir nicht erzählt?« Seine Frage brachte mich aus dem Konzept. Ihm was nicht gesagt? Von der Party? Von Satoshi? Von unser beinahe-erstes-Mal? Von meinen Gefühlen? Mir war aber schon klar, dass er eher das Dritte meinte. Alles andere war Blödsinn. »Hat dir Kenji davon erzählt?« »Der einzige Augenzeuge«, antwortete Sasuke trocken und lehnte sich nach hinten, eine Hand an seinem Oberschenkel, die andere an der Stuhllehne. Ich schluckte, und wieder spürte ich das schnelle Herzklopfen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch verwandelten sich in trampelnden Elefanten. Sasuke wusste also Bescheid. »Was soll damit sein?« Ein Funkeln lag in seinen Augen. Von was, wusste ich nicht. »Ich stehe nicht auf Nekrophilie.« Wie bitte? Er stand nicht auf Nekrophilie? »Nekrophilie?«, wiederholte ich unglaubwürdig, und mit einem Wimperschlag kroch die Wut in mir hoch. »Soweit ich weiß, bin ich keine Leiche und lebe noch, Sasuke.« Ich sah ihn wütend an. Für wen hielt er sich? Er musste seufzte. »Das meine ich nicht. Für mich ist das keine indirekte Bedeutung von Nekrophilie, sondern von der Tatsache, dass ich nicht beim Verstand war, aber du hingegen schon.« Langsam machte mich sein Verhaltenn rasend. Er war also nicht beim Verstand, ja? Dann war ich also die Kranke, die auf Leichen stand? So ein … Ich stand auf, drückte mit meinen Beinen den Stuhl nach hinten und betrachtete Sasukes ruhigen Gesichtsausdruck. »Ich sehe schon, dass das Gespräch in die falsche Schiene fährt«, zischte ich und wandte mich zum Gehen, wurde aber von Sasuke abgehalten, als er gerade noch rechtzeitig mein Handgelenk packte. Schon wieder dieses Ziehen im Unterleib. Verdammt. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich konnte bereits blind erahnen, dass er normal mit mir reden wollte. Aber wieso? Störte es ihm so sehr, dass wir wild herumgemacht hatten? Diesmal wurde ich rot vor Wut und nicht vor Beschämung. »Sag mir endlich, was dein gottbeschissenes Problem ist, Sasuke!« Er stand rückartig auf, der Stuhl flog prompt nach hinten, erzeugte ein ohrenbetäubenden Lärm und ließ mich schreckhaft zusammenzucken. »Mein gottbeschissenes Problem ist, dass ich dich beinahe …« Er verstummte, wandte sein Blick von mir ab und ließ mein Handgelenk sofort los. Mir gefror das Blut in den Adern, und schnell vergaß ich, weshalb ich so wütend auf ihn war. Sasuke hatte Bedenken gehabt, dass er mich beinahe … Ich vermochte nicht mal, das Wort auszusprechen. »Nein! Nein, verdammt, du hast mich nicht … Scheiße, ich habe es doch erwidert, also wäre es niemals ungewollt gewesen, du Idiot!« Er presste die Lippen aufeinander und brachte kein einzigen Ton heraus. Und erst jetzt wurde mir klar, was ich gerade gesagt hatte. Ich habe es doch erwidert. Immer und immer wieder hallte es in meinem Kopf. Plötzlich wurde mir heiß und kalt zugleich. War das jetzt ein indirekter Liebesgestädnis gewesen? Wusste Sasuke jetzt von meinen Gefühlen bescheid? Schnell schüttelte ich den Kopf, unterdrückte die ungleichmäßige Temperaturen in meinem Inneren und versuchte, meine Beschämung nicht anerkennen zu lassen. »Also, ich war ein wenig angetrunken, deshalb die Erwiderung«, log ich, ohne dabei rot zu werden. Klar, hatte ich auf der Party ein wenig getrunken, aber so ganz weggetreten wie Ino oder Sasuke war ich am Abend nicht. »Es tut mir leid.« Vier Worte. Vier kleine Worte, die mir solch ein elektrisches Ziehen im Unterleib verpasste, dass ich drohte, zusammenzuzucken. Aber ich tat es nicht, stattdessen zuckte mein Mundwinkel wie ein Irrer. »I-ist das wahr?« Langsam drehte er seinen Kopf zu mir um. »Ja, natürlich.« »Das heißt, du hast dich gerade bei mir entschuldigt?« »Sieht so aus.« »Und meinst es ernst?« »Das habe ich so eben bestätigt, ja.« »Und du nimmst es nicht wieder zurück?« »Weshalb sollte ich das tun?« Ich hätte ewig so weiter fragen können, aber allmählich bekam ich das Gefühl, Sasuke auf die Nerven zu gehen, also ließ ich es sein. Hatte er sich wirklich gerade bei mir entschuldigt? Wow. Dass ich das noch erleben durfte. »Du bist so überrascht.« Sasuke hob eine Augenbraue hoch. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu lachen. »Bin ich ja auch. Schließlich hört man es nicht täglich aus deinem Mund.« Seine topasbraunen Augen blitzten amüsiert auf, und beim Anblick seines Beinahe-Lächeln schmolz ich dahin. Wie konnte ein einziger Blick nur so viel Charme ausstrahlen? Wir beschlossen uns, Starbucks zu verlassen. Dass ich mir dabei völlig umsonst einen Kaffee bestellt hatte, schob ich erstmal beiseite. Viel wichtiger war die Tatsache, dass ich mich in Sasukes Nähe viel wohler fühlte und die Gedanken an meinem Bruder verschwinden ließ. - Ich kehrte ins Wohnheim zurück, wo bereits Ino auf mich wartete, und machte mir in der kleinen Küche einen Sandwitch. Nach dem kurzen Zusammentreffen mit Sasuke bekamen die trampelnden Elefanten in meinem Bauch einen riesigen Hunger. Ich konnte immer noch nicht glauben, was heute im Starbucks alles passiert worden war. Im Unterricht oder in den Kursen, wo wir zusammen hatten, war Sasuke immer der ruhigste in der Klasse und hatte nie ein Mucks von sich gegeben. Vom Verhalten her fand ich ihn immer so geheimnisvoll und cool, aber dies waren nicht die Gründe gewesen, weshalb ich ihn liebte. Es war einfach seine Art, Menschen auf seiner Weise zu helfen. Wie damals im Fußball-Club, wo er sich für Naruto eingesetzt hatte. Oder an dem Abend, wo er mich beschützt hatte, als großkotzige Männer mich angeschmachtet hatten. Er war da, als ich ihn gebraucht hatte. Auf Sasuke war schon immer Verlass gewesen. Anbeginn unserers Kennenlernes, war es nichts weiter als einfache Begeisterung gewesen, aber als ich ihn näher kennengelernt hatte, weil wir damals gut befreundet waren, hatte ich mich in seinen Charakter verliebt. Einfach in Sasuke Uchiha. Nicht der Coole, der Held oder der Schönling, sondern einfach nur er. Mein Handy vibrierte, und genau in dem Moment platzte Ino herein. Auf ihr Gesicht kennzeichnete sich Triumph auf. Aber warum? Ich grübelte nicht länger, sondern schnappte mir mein BlackBerry, um aufs Display zu schauen, und ich erstarrte. Eine Nachricht von Sasuke. Nachricht von Sohn des Aphrodite und Zeus. Am 15.06.2014, um 17:34 Uhr. Betreff: Freistunde. Kommst du morgen in die Bibliothek? Ich erwarte dich schon sehnsüchtig ;-) Sasuke. Und jetzt wurde mir klar, dass Ino die Übeltäterin war. Allein schon wie sie ihn eingespeichert hatte, verriert sie. Nicht mal wenn ich total betrunken wäre, hätte ich ihn so gespeichert. Bereits zum hundertsten Mal schüttelte ich den Kopf. Ich änderte nach Inos Jubelschrei den Namen zu Sasuke, einfach weil man das als normaler Mensch tat. »Du bist echt unverbesserlich, Ino«, schimpfte ich lachend. »Woher hast du überhaupt seine Nummer?« »Das, meine Liebe, bleibt ein Geheimnis.« Sie zwinkerte mir zu und schnappte sich einen roten Apfel im Obstkorb. »Dann wirst du mir auch mit Sicherheit nicht verraten, weshalb du einfach ungefragt mein Handy nimmst, richtig?« Ich schmunzelte. Statt mir eine Antwort zu geben, biss Ino in ihrem Apfel und verließ die Küche. Eigentlich wäre ich ausgeflippt, weil ich es gar nicht mochte, wenn man einfach ungefragt an meine Sachen ging, aber heute machte ich mal eine Ausnahme. Irgendwie war ich sogar total froh darüber. Immerhin hatte ich jetzt Sasukes Nummer. Jedenfalls hoffte ich, dass das seine Nummer war, denn seine Nachricht machte mich mulmig. Ich erwarte dich schon sehnsüchtig. Dann sollte er nicht zu lange warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)