Vielleicht irgendwann von Juju ================================================================================ 11. Kapitel, in dem Yamato kein Kind mehr ist --------------------------------------------- Seine Finger flogen ein letztes Mal über die Saiten der Gitarre, seine Stimme sang den letzten Ton, bevor es wieder still im Raum wurde und Yamato Takeru erwartungsvoll ansah. „Und? Wie findest du es?“ Takeru nickte ehrfürchtig, war in Gedanken noch vollkommen bei dem Song, den sein Bruder ihm gerade präsentiert hatte. Selbstgeschrieben und selbstkomponiert. „Ja, ich weiß, ist noch nicht so geil. Du musst dir natürlich auch das Schlagzeug und den Bass dazu vorstellen, damit das richtig wirkt. Damit werden wir dann in zwei Wochen beim Schulwettbewerb auftreten“, erklärte Yamato und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nein, ich finde es echt gut“, sagte Takeru und dachte automatisch an Hikari. Sie würde diesen neuen Song lieben. „Wirklich? Na dann haben wir ja vielleicht sogar ‘ne Chance“, erwiderte Yamato schief grinsend. „Klar habt ihr das.“ Takeru nickte zustimmend. „Würde mich wundern, wenn ihr das Ding nicht gewinnt.“ „Kommen du und Kari auch zugucken?“, fragte der Ältere der beiden Brüder und legte die Gitarre behutsam beiseite. „Ja, auf jeden Fall. Kari freut sich schon total drauf“, antwortete Takeru. Schon seit Wochen redete seine beste Freundin hin und wieder von dem Wettbewerb, der in der Schule ihrer älteren Brüder stattfand. Die Gewinner durften einen Radiosender besuchen, dort etwas über ihre Band erzählen und schließlich würde auch eines ihrer Lieder dort gespielt werden. Eine Chance also, entdeckt zu werden. „Na dann hoffe ich, dass sie auch kommt“, meinte Yamato und stand auf. „Los, lass‘ uns langsam mal anfangen. Wir wollen ja nicht, dass Papa sein Essen an seinem Geburtstag zu spät bekommt.“ Gemeinsam gingen sie in die Küche und machten sich an die Essensvorbereitung. Takeru schälte Möhren, während Yamato Champignons putzte. Heute war Hiroakis Geburtstag und zu seiner Überraschung würden Yamato und Takeru ihm zusammen das Abendessen kochen. Die Einzige, die fehlte, war Natsuko. „Ich hoffe, Mama kommt auch zum Bandwettbewerb“, sagte Takeru, während er sich darauf konzentrierte, nicht seine Finger zu schälen. „Ich glaube nicht, dass sie kommt. Sie mag mich doch eh nicht“, erwiderte Yamato betont gleichgültig. Takeru drehte sich zu ihm um, doch er hatte ihm den Rücken zugewandt und konnte sein Gesicht nicht sehen. „Natürlich mag sie dich“, wiedersprach er unwirsch. „Nein, tut sie nicht. Ständig hat sie irgendwas auszusetzen. Haare zu lang, Ohrlöcher zu groß, Klamotten zu schwarz, Noten nicht gut genug und natürlich die viel zu vielen Stunden, die ich mit der Band verbringe. Wahrscheinlich bereut sie es, dass sie damals dafür gestimmt hat, dass ich Gitarre lerne“, sagte Yamato mürrisch. Nun wandte Takeru sich langsam wieder den Möhren zu und dachte darüber nach, was sein Bruder gerade gesagt hatte. Ja, es stimmte, dass Natsuko sich ständig über etwas an Yamato beschwerte, am allermeisten über seine Band. Sie war der festen Überzeugung, er kümmerte sich zu wenig um die Schule und redete andauernd davon, wie er als Bettler in den Straßen Tokios Gitarre spielen und sich damit seinen täglichen Kaffee verdienen würde. Sie sah seine Zukunft in äußerster Gefahr. Aber all diese Ängste hatte sie doch nur, weil sie ihn liebte. Sonst wäre ihr das doch völlig egal. „Ich bin ganz froh, dass ich bei Papa lebe. Ihm macht es nichts aus, dass ich in der Band bin. Er sagt immer, solange ich die Schule nicht vernachlässige und glücklich bin mit dem, was ich mache, erlaubt er mir das“, redete Yamato weiter. „Ja, ich weiß. Er ist wirklich lockerer als Mama“, murmelte Takeru. Deswegen waren seine Eltern ja auch geschieden. Hiroaki war zu locker gewesen und sowieso zu selten zu Hause, um sich über irgendetwas, was mit den Jungs passierte, aufzuregen. Deswegen hatte Natsuko ihn irgendwann verlassen und hatte eigentlich beide Kinder mitnehmen wollen, doch Yamato hatte rebelliert. Wie bei allem. Er hatte sich heimlich auf den Weg gemacht, seinen Vater zu besuchen, sodass Hiroaki und Natsuko sich irgendwann darauf geeinigt hatten, dass Yamato bei ihrem Vater und Takeru bei ihrer Mutter blieb. Yamato rebellierte einfach gegen alles: seine Eltern, Lehrer, Konventionen, Pflichten, Verbote. Passenderweise hatte seine Band erst vor kurzem ihren Namen von Teenage Wolves zu Tokyo Rebels geändert. Es war, als wäre die Band mittlerweile ein Symbol für Yamatos Persönlichkeit. „Egal, lass‘ uns über was Anderes reden. Ist ansonsten alles okay bei dir? Hast du endlich mal ‘ne Freundin?“ Yamato grinste Takeru über die Schulter hinweg an, sodass dieser sich peinlich berührt wieder den Möhren zuwandte. „Ich bin dreizehn“, murmelte er. „Ich hatte mit dreizehn schon meine erste Freundin“, erzählte Yamato und ließ es fast wie einen Vorwurf klingen. „Ein bisschen knutschen ist da schon mal drin.“ Takeru verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Beim besten Willen konnte er sich nicht vorstellen, mit einem Mädchen rumzuknutschen. Schon gar nicht mit Zunge. Ihm fiel gar keine an, die er auch nur ansatzweise dafür in Betracht ziehen würde, außer vielleicht Hikari aus Übungszwecken. Klar gab es das ein oder andere Mädchen an der Mittelschule, das er hübsch fand, aber küssen? In dieser Richtung war er so ganz anders als sein Bruder. Yamato war schon in der Grundschule jemand gewesen, der die Mädchen angezogen hatte. Nicht nur sein Aussehen, sondern auch seine kühle und rebellische Art wirkte auf viele Mädchen wie Honig auf Ameisen. Bei Takeru war es ganz anders. Zwar hatte er das gleiche, auffallend blonde Haar wie Matt und auch die tiefseeblauen Augen, doch im Gegensatz zu seinem großen Bruder hatte er ein Gesicht voller roter Pickel, eine Zahnspange, einen schlaksigen Körper und war außerdem nicht annähernd so cool wie er, sondern eher der nette, höfliche Junge von nebenan. Ganz so, wie seine Mutter ihn erzogen hatte. „Und… wie sieht es im Moment aus?“, fragte Takeru, als er endlich seine Chance sah, seinen Bruder auf das Thema anzusprechen, über das er mit Hikari vor einer Weile gesprochen hatte. „Wie sieht was aus?“, fragte Yamato verwirrt und schnitt mit flinken Bewegungen Champignons in Scheiben. „Naja, hast du im Moment auch eine Freundin? Du hast doch letztens irgendwie was von einer Sora erzählt.“ Erneut warf Yamato ihm über die Schulter hinweg ein schiefes Grinsen zu. „Warum interessiert dich das denn?“ Betont gleichgültig zuckte Takeru mit den Schultern. „Nur so. Wollte nur mal wissen, wie sie so ist.“ „Sie ist süß“, antwortete Yamato. „Ziemlich ruhig. Spielt Fußball und Tennis, also echt sportlich. Fährt in den Ferien ins Trainingslager. Oh und ich hatte letztens mein erstes Mal mit ihr.“ Vor Schreck rutschte Takeru mit dem Schäler ab und schnitt sich in den Daumen. „Mist“, fluchte er und legte Schäler und Möhre aus der Hand, um den blutenden Daumen unter Wasser zu halten. Dass sein Bruder also keine Jungfrau mehr war, hatte ihn komplett aus der Fassung gebracht. Es war, als hätte Yamato nun das letzte bisschen Unschuld und Kindsein, das noch in ihm gesteckt hatte und sich über Prügeleien, Rauchen, Alkohol und Tunnel in den Ohren hatte retten können, endgültig verloren. Es fühlte sich so an, als wäre er ihm nun noch weiter voraus, als er es ohnehin schon war. Takeru beschloss, Hikari davon nichts zu erzählen. Er war sich sicher, das würde sie sehr verletzen, so oft wie sie in letzter Zeit von Yamato schwärmte. „Was erschreckst du dich denn da so?“, fragte dieser lachend. „Ich erschrecke doch gar nicht. Bin nur abgerutscht“, murmelte Takeru hastig und tupfte seine Wunde mit einem Küchentuch ab. „Dann seid ihr also fest zusammen?“ Yamato schien einen Moment zu überlegen. „Hm ja, könnte man so sagen.“ „Könnte man so sagen?“, wiederholte Takeru verständnislos. Das klang nicht sehr überzeugend, aber man konnte doch nicht mit jemandem schlafen, mit dem man nicht fest zusammen war. Das ging doch nicht. Sex war doch eine Sache, wofür man viel Vertrauen in den anderen brauchte. „Ja, wir haben halt noch nicht drüber geredet, aber glaub‘ schon, dass wir zusammen sind“, erklärte Yamato. Takeru nickte stirnrunzelnd. Wie sollte er das nur Hikari beibringen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)