Vielleicht irgendwann von Juju ================================================================================ 17. Kapitel, in dem Hikaris Herz gebrochen wird ----------------------------------------------- Das Konzert war unglaublich gewesen und Yamatos Band hatte für eine super Stimmung im ganzen Club gesorgt. Nach jedem Lied hatte es lauten Jubel und Beifall gegeben, Yamato und die Mitglieder seiner Band hatten sich angegrinst und am Ende sogar noch eine Zugabe gegeben, als diese verlangt wurde. Hikari war einfach hin und weg gewesen. Die ganze Zeit hatte sie Yamato angestarrt und ihn bewundert, wie er voller Leidenschaft ins Mikrofon sang, auf seiner E-Gitarre spielte und sich das schulterlange Haar mit wilden Kopfbewegungen aus dem Gesicht schüttelte. Er trug ein schwarzes T-Shirt der Band Nirvana, dazu eine Jeans und ein paar dünne Lederarmbänder um das Handgelenk. Auf seinem linken Oberarm prankte ein Tattoo einer unheimlichen Gestalt mit stechenden Augen und spitzen Zähnen, die ihm förmlich aus dem Arm zu springen schien. Die Tunnel in seinen Ohrläppchen waren mittlerweile so groß, dass ein kleines Kind einen Finger hindurchstecken könnte. Hikari hatte starkes Herzklopfen verspürt und ihre Knie waren immer weicher geworden, während sie ihn beobachtet hatte. Sie bereute es definitiv nicht, auch ohne Takeru auf das Konzert gegangen zu sein. Nun wartete sie hibbelig neben ihrem Bruder darauf, dass Yamato endlich zu ihnen stieß, doch die Band war im Moment noch damit beschäftigt, selbst erstellte CDs mit ihren Songs zu verkaufen. Hikari hatte leider nicht genug Geld dabei, um eine zu erstehen, doch das konnte sie sicher irgendwann nachholen. Zu Hikaris Freude entschuldigte sich Sora bei ihr und Taichi, da sie auf die Toilette musste, und wenige Minuten später stieß Yamato endlich zu ihnen. Es war perfekt. Er begrüßte Taichi mit einem Handschlag und warf Hikari einen überraschten Blick zu, bevor er sie umarmte. Ihr schlug das Herz bis zum Hals bei dieser unerwarteten Berührung. Verlegen versuchte sie, sich ihre übermütige Freude nicht ansehen zu lassen, als er sie wieder losließ. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du und Takeru dürft nicht hier sein?“ Yamato sah sich um, suchte scheinbar nach seinem kleinen Bruder. „Dürfen wir ja auch nicht. Takeru ist nicht hier, aber ich habe mich raus geschlichen“, antwortete Hikari grinsend. „Was im Ernst? Du?“ Yamato lachte und klopfte Taichi auf die Schulter. „Mann, Tai, du hast einen schlechten Einfluss sie.“ „Tja, ich schätze, sie wird langsam groß“, erwiderte dieser und kniff Hikari in die Wange, die daraufhin seine Hand wegschlug. Dennoch glaubte sie, ein bisschen Stolz in seinen Augen erkennen zu können. „Das Konzert war wirklich unglaublich!“, sagte Hikari zu Yamato und strich sich mit fahrigen Bewegungen eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich habe leider nicht genug Geld dabei, sonst würde ich mir die CD holen. Aber wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich auf jeden Fall…“ Sie hielt inne, denn Yamato hielt ihr plötzlich eine CD vor die Nase. „Hier. Ich schenk‘ sie dir.“ Verdutzt wanderte Hikaris Blick von der CD zu Yamato. „Was?“ „Na komm‘ schon, nimm sie. Wir kennen uns seit hundert Jahren, da passt das schon.“ Er zwinkerte ihr zu und Hikari nahm ihm freudestrahlend die CD aus der Hand, wobei sich ihre Hände flüchtig berührten. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. „Danke!“, rief sie. „Das ist so cool! Echt!“ „Krieg‘ dich wieder ein“, meinte Taichi spöttisch und tätschelte Hikari die Schulter, die ihm einen verärgerten Blick zuwarf. „Willst du kurz mit raus kommen ein bisschen frische Luft schnappen? Ist so stickig hier drin.“ „Gute Idee“, stimmte Yamato zu und fuhr sich durch die verschwitzten Haare. „Ich gehe nur noch schnell auf die Toilette, dann komme ich nach“, verkündete Hikari und huschte davon, so gut es in dem Club eben ging. Vor den Toiletten kam ihr Sora mit einem etwas genervten Blick entgegen, doch als sie Hikari erkannte, lächelte sie. „Die stehen ganz schön an. Hat Ewigkeiten gedauert, bis ich dran war“, warnte sie Hikari vor, doch diese zuckte nur mit den Schultern. Es nutzte ja nichts. Verkneifen wollte sie es sich nicht für den Rest des Abends. Das Stehen in der Schlange fühlte sich tatsächlich an wie eine Ewigkeit. Es ging kaum voran und Hikari trat, während sie wartete, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte so schnell wie möglich wieder zurück zu Yamato. Die Nacht war noch recht jung, sie konnte also noch viel Zeit mit ihm verbringen. Vielleicht ging Sora ja auch schon eher nach Hause. Vielleicht lief es zwischen den beiden ja auch gar nicht so gut, denn immerhin hatte Yamato ihr eine CD geschenkt. Ob er wohl doch an ihr interessiert war und sie nicht nur als kleine Schwester sah? Wen interessierte es schon, was Takeru geredet hatte? Von wegen keine Chance. Momentan sah es ganz anders aus. Allein beim Gedanken daran, eine Chance bei Yamato Ishida zu haben, machte Hikaris Herz Freudensprünge. Es war ihr egal, dass die Toiletten furchtbar schmutzig und unzumutbar aussahen. Gut gelaunt machte sie sich auf den Rückweg zu dem Platz, an dem sie bis vor einigen Minuten noch gestanden hatten. Sie hoffte, dass die anderen drei auf sie gewartet hatten und nicht schon draußen waren. Sie reckte den Hals, um Ausschau nach Yamato und Taichi zu halten, als sie bei dem Anblick, der sich ihr bot, wie angewurzelt stehen blieb. Sie war nur noch wenige Meter von ihrem Standort entfernt und hatte daher einen ausgezeichneten Blick aus Yamato und Sora, die sich gerade leidenschaftlich küssten. Hikaris Augen weiteten sich vor Schock. Hatte ihr Herz bis eben noch Luftsprünge gemacht, fühlte es sich nun so an, als würde es sich in der dunkelsten Ecke ihrer Brust verkriechen. Eng aneinandergedrängt standen sie dort und schienen um sich herum nichts mehr wahrzunehmen. Soras Hände lagen an seinen Wangen, während Yamato seine Hände in die Gesäßtaschen ihrer Jeans geschoben hatte. Beide hatten sie die Augen geschlossen und die Münder aufeinander gepresst. Einmal konnte Hikari sogar kurz ihre Zungen sehen. Ihr wurde schlecht und ein dicker Kloß schien sich in ihrem Hals zu bilden. Sie drehte sich weg von diesem Anblick und drängte sich durch die Menschen hindurch zum Ausgang. Plötzlich wollte sie nur noch weg. Weg aus diesem Schlamassel. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie angestrengt wegzublinzeln versuchte. Angenehm kühle Luft schlug ihr entgegen, als sie den Club verließ und schien ihre Augen zu trocknen. Sie rannte los Richtung Metro, sprang in die Nächstbeste, die in ihre Richtung fuhr und setzte sich auf einen freien Platz. Mit starrem Blick sah sie aus dem schwarzen Fenster, konnte jedoch nur das Spiegelbild dessen erkennen, was in der Metro geschah. Das Bild von Yamato und Sora erschien vor ihrem geistigen Auge, wie sie sich eng umschlungen inmitten von Menschen küssten. Erneut schossen ihr Tränen in die Augen und diesmal konnte Hikari sie nicht zurückhalten. Erbarmungslos bahnten sie sich einen Weg über ihre Wangen und Hikari wischte sich mit den Händen darüber, darauf achtend, sich nicht über die Augen zu wischen. Wie würde sie denn aussehen, wenn sie jetzt auch noch ihr Make-up quer über ihr Gesicht schmierte? Der Mann neben ihr warf ihr bereits verwirrte Blicke zu. Immer wieder fuhren ihre Hände über ihre Wangen, doch die Tränen wollten einfach nicht aufhören. Nicht einmal angestrengtes Blinzeln half. Sie stürmte aus der Bahn, als sie endlich ihre Haltestelle erreichte. Als sie jedoch die Station verließ, blieb sie unschlüssig stehen. Wohin sollte sie jetzt? Sie wollte nicht nach Hause. Sie wollte und konnte nicht nach Hause. Ihre Eltern würden sie hören und sie fragen, was los war, warum sie wieder nach Hause kam, warum sie so aufgebrezelt war und warum sie weinte. Dann würde sie ihre Lüge gestehen müssen und würde vielleicht Hausarrest bekommen. Es gab nur einen anderen Ort, an den sie jetzt gehen konnte. Zögerlich zückte sie ihr Handy, suchte nach der richtigen Nummer und hielt es sich ans Ohr. Es klingelte und klingelte, bis die Mailbox ansprang. Verzweifelt seufzend legte Hikari auf und versuchte es noch einmal, doch wieder erreichte sie nur die Mailbox. Ein letztes Mal wollte sie es noch versuchen. Sie wusste, dass er einen tiefen Schlaf hatte. Wenn er nun nicht aufwachte, konnte sie auch aufgeben. Erneut ließ sie es klingeln und kurz bevor die Mailbox ansprang, meldete sich endlich Takerus verschlafene Stimme. „Ja?“ „Keru? Ich bin’s“, wisperte sie mit rauer Stimme. „Hab‘ ich gesehen“, brummte er. Sie schluckte und wischte sich erneut mit der freien Hand über die Wangen. „Entschuldige, dass ich dich geweckt habe.“ Er schwieg einen Moment. „Sag‘ mal, weinst du?“ Zur Antwort schluchzte Hikari ins Handy und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. Wieder war das Bild von Yamato und Sora in ihrem Kopf erschienen, als hätte es sich eingebrannt. „Was ist passiert?“ Takeru klang auf einmal viel weniger abweisend, sondern eher besorgt. „Kann ich zu dir kommen?“, fragte Hikari zwischen einigen Schluchzern. „Es tut mir Leid, was ich heute zu dir gesagt habe. Das war nicht so gemeint. Ich meine…“ „Ja, klar. Wo bist du gerade?“, unterbrach er ihre gestammelte Entschuldigung. „An der Metro. Ich komme jetzt zu dir gelaufen“, antwortete Hikari schniefend und legte auf. Mit eiligen Schritten machte sie sich auf den Weg zu dem Haus, in dem Takeru wohnte. Als es in Sichtweite kam, konnte sie ihn schon im Licht einer Straßenlaterne erkennen, wie er in Jogginghose und T-Shirt gekleidet auf sie zukam. Sie rannte ihm entgegen und fiel ihm in die Arme, vergrub das Gesicht in seinem Shirt und schluchzte erneut los. „Mann, Kari, was ist denn los?“, fragte er verdattert und legte ungeschickt die Hände auf ihren Rücken. „Ich hasse mein Leben! Alles ist scheiße!“, presste sie zwischen ihren Schluchzern hervor. „Ähm… okay“, erwiderte Takeru verständnislos. „Wollen wir erst mal rein gehen?“ Sie nickte, ließ von ihm ab und folgte ihm in die Wohnung der Takaishis, wo sie in Takerus Zimmer gingen und sich auf seinem Bett niederließen. Der vertraute Geruch seines Zimmers ließ Hikari ein klein wenig zur Ruhe kommen und sie hörte auf zu schluchzen. „Ich hab‘ sie beim Rumknutschen gesehen“, sagte sie schließlich nach einigen Sekunden des Schweigens und schnäuzte sich geräuschvoll in ein Taschentuch, das er ihr reichte. „Und deswegen weinst du?“, fragte er verwirrt. Entgeistert sah Hikari ihn an, sodass er abwehrend die Hände hob und sich erklärte. „Naja, ich meine nur, du wusstest doch, dass sie zusammen sind. Ich hatte es dir doch gesagt.“ „Schon, aber ich dachte, vielleicht sind sie ja inzwischen nicht mehr zusammen oder so. Keine Ahnung. Und er war so nett zu mir, hat mich umarmt und mir eine CD geschenkt und… ich dachte, er ist vielleicht doch an mir interessiert“, antwortete sie und tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen. „Ach, Hika“, murmelte Takeru und legte ihr etwas hilflos einen Arm um die Schultern. „Es gibt noch so viele andere Jungs, die dich sogar ziemlich mögen. Also… die wissen das zu schätzen, dass du dich für sie interessierst, weißt du?“ „Ich will aber keinen anderen“, murmelte Hikari. „Matt ist so toll. Er sieht so gut aus und ist so lieb und…“ Sie seufzte tief und hatte ein Bild von Yamato und seinem unwiderstehlichen Lächeln vor Augen. „So toll ist er gar nicht“, erwiderte Takeru schulterzuckend. „Er ist ganz schön launisch, wird immer gleich gewalttätig, rastet schnell aus… weißt du noch, wie er dich mal vom Klettergerüst geschubst hat? Das macht man doch nicht.“ Hikari schnaubte. „Da war ich vier und er sieben oder so.“ „Trotzdem“, erwiderte Takeru bestimmt. „Oder wie er mal, weil er sich mit Tai gestritten hat, vor Wut gegen dein Puppenhaus getreten hat?“ Hikari dachte nach. Daran konnte sie sich noch gut erinnern, denn da war sie ungefähr acht gewesen und hatte ziemlich viel geweint. Yamato hatte sich zwar entschuldigt, doch das Puppenhaus war kaputt. „Oder wie er und Tai über dein neues Kleid gelacht haben?“ Oh ja. Da war Hikari wirklich sauer und sehr verletzt gewesen. Sie war zehn Jahre alt gewesen und ihre Mutter hatte ihr für die Hochzeit einer Cousine von ihr ein neues Kleid gekauft. Es war pink und mit Rüschen und Schleifchen versehen gewesen. Aus heutiger Sicht schämte sie sich natürlich selbst, einmal so ein Kleid getragen zu haben, doch damals hatte sie es wunderschön gefunden und vor Wut geheult, als Yamato und Taichi sie ausgelacht hatten. Sie presste die Lippen aufeinander und nickte langsam. „Siehst du? Er ist gar nicht so perfekt“, sagte Takeru, ließ seinen Arm sinken und stützte die Hände hinter sich auf dem Bett ab. Er streckte die langen Beine aus und legte die Füße übereinander. „Und du bist echt hübsch und nett und hilfsbereit und kümmerst dich immer um alle. Es gibt so viele Jungs, die was von dir wollen. Da brauchst du gar keinen Matt.“ Nun sah Hikari ihn leicht lächelnd an und tupfte sich die letzten Tränen von den Wangen. „Du bist echt süß, weißt du das? Ich wünschte, alle Jungs wären so wie du.“ Sie lehnte sich gegen seine Schulter und schloss die Augen. „Tut mir echt leid, was ich heute gesagt hab‘. Das war gemein.“ „Mir tut’s auch leid“, murmelte Takeru. Einen Moment lang saßen sie schweigend auf dem Bett, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Hikari hatte sich endgültig wieder beruhigt und fühlte sich besser. Zwar war sie noch immer zutiefst getroffen, doch Takeru hatte es tatsächlich geschafft, sie ein wenig aufzumuntern. „Deine Mutter hat übrigens hier angerufen“, berichtete er dann plötzlich. Hikari hob den Kopf und sah ihn ungläubig an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Echt? Scheiße!“ „Ja. Hab‘ ihr gesagt, dass du bei mir bist, aber gerade unter der Dusche stehst“, antwortete er. „Hat sie dir geglaubt?“, fragte Hikari bang. Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht so richtig. Hat noch ein bisschen geredet und ich hab so getan, als würde ich durch die Badtür mit dir reden, aber irgendwann hat sie dann aufgelegt.“ Hikari fiel ein Stein vom Herzen und erleichtert seufzend ließ sie sich nach hinten fallen. „Danke, du bist der Beste. Hast was gut bei mir.“ Hätte ihre Mutter herausbekommen, dass sie auf dem Konzert war, wäre sie erledigt gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)