Vielleicht irgendwann von Juju ================================================================================ 18. Kapitel, in dem Takeru unauffindbar ist ------------------------------------------- „Sag mal, Kari“, fing Yuuko in diesem ganz bestimmten Tonfall an, der Hikari vermuten ließ, dass jetzt eines dieser typischen Mutter-Tochter-Gespräche auf sie zukam. Innerlich stöhnte sie auf und hielt die Luft an. Nur, weil sie gerade gemeinsam Gemüse für das Abendessen klein schnitten, hieß das noch lange nicht, dass Hikari über ihr Leben plauderte. „In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass dich irgendwas bedrückt.“ Hikari hob die Augenbrauen und antwortete nicht, sah nicht einmal auf. Sie schnippelte einfach weiter die Möhren und hoffte, Yuuko würde bald aufhören zu reden. „Du bist irgendwie ruhiger geworden, isst weniger, machst andauernd ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter… ist irgendetwas nicht in Ordnung?“, fragte ihre Mutter und aus den Augenwinkeln bemerkte Hikari, dass sie sie musterte. „Klar, alles super“, erwiderte Hikari betont gelichgültig und zuckte mit den Schultern. „Hab‘ gar nicht gemerkt, dass ich anders bin. Ist keine Absicht.“ „Bist du sicher?“, hakte Yuuko argwöhnisch nach. „Ganz sicher.“ Nie im Traum würde Hikari daran denken, ihrer Mutter zu stecken, dass ihre schlechte Laune in letzter Zeit mit Yamato und der Tatsache zu tun hatte, dass sie sich geschlagen geben musste. Zwar waren die beiden schon seit einer Weile zusammen, doch Hikari hatte sie nie zusammen gesehen und all die Monate gehofft, das wäre sowieso nichts Ernstes. Immerhin kannte sie selbst Yamato doch viel besser als Sora, hatte schon so viel mit ihm erlebt. Doch seit sie den Kuss zwischen den beiden vor zwei Monaten beobachtet hatte, lagen ihre Hoffnungen, eines Tages selbst das Objekt Yamatos Begierde zu sein, auf dem Nullpunkt. Aktuell war sie dabei, zu versuchen, sich zu entlieben, was ihr viel zu schwer fiel. Yuuko setzte gerade zu einer weiteren Frage an, als es an der Tür klingelte. „Ich geh‘ schon“, sagte Hikari sofort, froh um die Ablenkung, die genau im richtigen Moment gekommen war. Sie ging zur Wohnungstür und öffnete sie schwungvoll, bereit, ihren Retter dankbar anzulächeln. Es war Natusko, die geklingelt hatte und Hikari etwas besorgt musterte. „Hallo“, begrüßte Hikari sie und trat einen Schritt zur Seite, um sie rein zu lassen. Yuuko war hinter Hikari getreten und begrüßte sie nun ebenfalls. „Wir machen gerade Essen. Möchtest du bleiben?“, bot sie ihr an. Natsuko machte keine Anstalten, die Wohnung zu betreten, sondern blieb mit unsicherem Blick im Türrahmen stehen. „Nein, danke. Ich bin eigentlich nur hier, weil ich fragen wollte, ob T.K. hier ist.“ Verwirrt schüttelte Hikari den Kopf. „Ist alles okay?“, fragte Yuuko skeptisch. Natsuko seufzte ernüchtert. „Ja. Nein. War er vielleicht vorhin hier oder so?“ „Kari ist erst vor einer Stunde vom Ballett nach Hause gekommen“, erklärte Yuuko und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und davor war er auch nicht hier.“ Stöhnend schlug Natsuko sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Das darf doch nicht wahr sein.“ „Willst du vielleicht hereinkommen und erzählen, was los ist?“, schlug Yuuko nun vor, die anscheinend ein Problem witterte. „Kari, setz‘ mal Tee auf.“ Genervt verzog Hikari das Gesicht und ging zurück in die Küche, um eine Kanne Tee zu kochen, während Yuuko und Natsuko sich an den Küchentisch setzten. „Das Problem ist, T.K. ist weg und ich hab‘ keine Ahnung, wo er sein könnte. Ich war schon bei seinem Vater, aber dort ist er auch nicht gewesen und da dachte ich, er könnte vielleicht hierher gekommen sein“, erklärte Natsuko langsam und stützte den Kopf auf den Händen ab. „Er ist weg? Oh mein Gott, wie meinst du das? Ist er nach der Schule nicht nach Hause gekommen?“, rief Yuuko alarmiert und auch Hikari spürte, wie sich ihr Herzschlag vor Angst beschleunigte. Takeru verschwunden? War er vielleicht entführt worden? „Doch, er war zu Hause. Aber es gab da ein kleines… Problem“, murmelte Natsuko. „Ein Problem?“, hakte Yuuko verständnislos nach. „Naja, er kam eher nach Hause. Ist bei euch heute was ausgefallen, Kari?“ Beide Frauen drehten sich zu Hikari um, die am Wasserkocher stand und nickte. „Die letzte Stunde ist ausgefallen, weil der Lehrer krank ist.“ „Ah. Deswegen kam er eher nach Hause. Ich war darauf nicht vorbereitet. Du weißt ja, ich hatte heute frei und war gerade noch… beschäftigt. Wenn du verstehst, was ich meine.“ Natsuko hustete gekünstelt. Hikari verstand nur Bahnhof, doch Yuuko schien zu wissen, wovon sie sprach. „Oh!“, rief sie. „Ach du… oh nein! Ist es das, was ich denke?“ Natsuko nickte langsam und senkte betreten den Blick. „Hä? Was ist denn passiert?“, fragte Hikari nun, die beiden Mütter mit gerunzelter Stirn beobachtend. Natsuko warf ihr einen kurzen Blick zu, doch Yuuko machte nur eine wegwerfende Handbewegung in ihre Richtung, um ihr zu signalisieren, dass sie den Mund halten sollte. Grummelnd wandte Hikari sich ab und goss das heiße Wasser in eine Kanne. „Ja, genau das. Er kam einfach rein geplatzt und ich hatte keine Chance mehr, noch etwas zu verhindern. Oh Gott, du hättest sein Gesicht sehen müssen. Es war so unangenehm. Er war völlig schockiert“, erzählte Natsuko weiter und vergrub das Gesicht in den Händen. „Er ist gleich wieder aus der Wohnung gerannt. Ich dachte, ich lasse ihn erst mal. Muss sich nur wieder einkriegen. Nach einer Stunde habe ich versucht, ihn anzurufen, aber er hat sein Handy zu Hause gelassen. Ich hab‘ noch eine Stunde gewartet und dann Hiroaki angerufen. Der Idiot hat erst einmal angefangen, mir Vorwürfe zu machen, als ich ihm die Situation erklärt habe.“ Sie schnaubte verächtlich. „Jedenfalls hat T.K. sich da auch nicht blicken lassen. Dann dachte ich, er wäre vielleicht hierher gekommen.“ Yuuko nickte langsam, während Hikari immer noch keine Ahnung hatte, wovon Natsuko sprach. Warum war Takeru aus der Wohnung geflohen? Und noch viel wichtiger: Wo war er jetzt? Sie stellte die Teekanne und drei Tassen mit Teeblättern auf dem Tisch ab und setzte sich auf einen der freien Stühle. „Hast du irgendeine Ahnung, wo T.K. sein könnte?“, fragte Natsuko nun an sie gewandt. „Irgendwelche Freunde, bei denen er untergekommen sein könnte?“ Hikari dachte nach, doch ihr fiel niemand ein. Wenn Takeru über irgendetwas reden wollte oder einfach keine Lust mehr auf sein Zuhause hatte, war er immer zu ihr gekommen, genau wie auch andersrum. Vorsichtshalber nannte sie ihm jedoch drei Jungen aus ihrer Klasse, die ihm recht nahe standen. Zu dritt suchten sie deren Telefonnummern aus dem Telefonbuch heraus und riefen dort an, doch Takeru hatte sich bei keinem der drei blicken lassen. „Nein, da ist er auch nicht“, sagte Yuuko kopfschüttelnd, als sie nach dem letzten Gespräch auflegte. Dass diese Telefonate nichts ergeben hatten, wunderte Hikari wenig. Natsuko seufzte resigniert. „Hast du keine Ahnung, wo er stecken könnte, Kari? So langsam mache ich mir echt Sorgen. Ich hoffe, ihm ist nichts passiert.“ Hikari dachte über Orte nach, an denen Takeru sich aufhalten könnte, wenn er allein sein wollte. Sie glaubte nicht, dass er gerade in einem Café saß. Nein, er würde irgendwo anders herumhängen, wo ihn niemand störte und er in Ruhe nachdenken konnte. Doch wo konnte das sein? Ein Ort fiel ihr ein. Ein Ort, an dem sie sich schon öfter getroffen hatten, wenn einer von ihnen Probleme hatte, weil er Ruhe ausstrahlte und das Denken anregte. Vielleicht war Takeru ja da irgendwo zu finden. „Ich wüsste vielleicht, wo er sein könnte“, sagte Hikari nach einigen Sekunden des Überlegens. Yuuko und Natsuko sahen sie erwartungsvoll an. „Vielleicht ist er am Meer.“ Die beiden Mütter sahen einander ratlos an, bis Natsuko sich schließlich wieder an Hikari wandte und das Wort ergriff. „Würdest du vielleicht nachsehen gehen? Vielleicht findest du ihn ja wirklich dort und ich denke, mit dir redet er eher als mit mir“, bat sie Hikari. „Klar“, sagte Hikari sofort. Sie wollte unbedingt wissen, was passiert war. Und natürlich wollte sie auch, dass Takeru unbeschadet wieder auftauchte. „Gut, Kari, du gehst zum Meer, aber nimm dein Handy mit. Und wenn du ihn in einer halben Stunde nicht gefunden hast, kommst du wieder zurück, klar?“, bestimmte Yuuko und sah Hikari streng an. „Und du gehst besser nach Hause, falls T.K. doch zurückkommt. Ich bleibe hier, falls er hier auftauchen sollte und wir bleiben alle in Kontakt.“ Natsuko und Hikari verließen die Wohnung und bogen vor dem Haus in verschiedene Richtungen ab. Eilig lief Hikari zum Meer. Sie hoffte inständig, dass sie ihn dort fand. Wenn er nicht dort war, würden ihr zwar noch ein paar andere Orte einfallen, an die er sich zurückgezogen haben könnte, doch die schienen ihr allesamt weniger wahrscheinlich. Falls sie ihn nicht am Meer fand, würde sie sich ernsthaft Sorgen machen. Sie kam am Strand an und sah sich um. Das Meer war ihr bei Nacht einfach nicht geheuer. Schwarz und bedrohlich rollten die Wellen über den dunklen Sand und schienen sich nach ihr auszustrecken. Obwohl es Hochsommer und daher alles andere als kalt war, fröstelte Hikari und hielt nach Takeru Ausschau. Je eher sie ihn fand, desto besser. Die Arme um den Oberkörper geschlungen stapfte sie durch den Sand, möglichst viel Abstand zum Wasser haltend. Sie hatte die irreale Angst, das Meer könnte sie tatsächlich zu sich ziehen, wenn die Wellen sie erreichten. Sie kniff die Augen zusammen, bemüht, in der Dunkelheit überhaupt etwas zu erkennen. Die Straßenlaternen waren zu weit weg, um ihren Weg zuverlässig auszuleuchten. Doch dann erkannte sie endlich etwas. Nein, jemanden. Dort saß jemand im Sand und starrte aufs Meer hinaus, doch handelte es sich bei diesem Menschen wirklich um Takeru? Hikari musste näher herangehen, um das beurteilen zu können. Wenn es nicht Takeru war, würde sie sich ziemlich zum Löffel machen. Vorsichtig näherte sie sich der Person Schritt für Schritt und schließlich wandte er ihr das Gesicht zu, als er sie bemerkte. „Puh, du bist es wirklich“, sagte Hikari erleichtert und hüpfte die letzten Schritte zu ihm, um sich neben ihn zu setzen. „Ich hatte schon Angst, das bist gar nicht du und ich quatsche einen Fremden an.“ „Hi“, grummelte Takeru statt einer Antwort. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Deine Mutter kam ganz verzweifelt zu uns“, klärte Hikari ihn etwas vorwurfsvoll auf. Takeru schnaubte nur verächtlich und warf im flachen Bogen einen Stein ins Wasser. „Die kann mich echt mal.“ „Was ist denn passiert?“, fragte Hikari, erschrocken über seine Ausdrucksweise. „Hat sie das etwa nicht erzählt?“ Takeru sah sie finster an. „Nur, dass du unerwartet früher nach Hause kamst und sie gerade beschäftigt war oder so“, meinte Hikari schulterzuckend. „Aber sie wollte nicht sagen, womit.“ „Manchmal stehst du ganz schön auf dem Schlauch“, erwiderte Takeru trocken. „Sie war gerade im Bett mit irgendsoeinem Kerl. Keine Ahnung, hab‘ den Typen noch nie gesehen. Spast ey.“ Es dauerte einen Augenblick, bis Hikari verstand, was er ihr da gerade erzählt hatte. Entsetzt riss sie die Augen auf, als der Groschen fiel. „Ach du Scheiße! Mit ‚im Bett‘ meinst du…“ „Ja, genau das, was du denkst“, brummte Takeru. „Oh Gott!“, rief Hikari und raufte sich das Haar. Sie kniff die Augen zusammen und bemühte sich, ihr Kopfkino auszuschalten. „Iiiiih! Das ist ja Horror!“ „Jap“, machte Takeru düster. „Ich hatte keine Ahnung, dass sie einen Typen hat. Und auch nicht, dass sie… du weißt schon.“ „Das hätte ich auch nie gedacht“, stimmte sie ihm zu, noch immer damit beschäftigt, nicht zu genau über das nachzudenken, was er ihr gerade erzählt hatte. „Oje und was machen wir jetzt?“ „Keine Ahnung“, murmelte er. „Wie ich sie kenne, wird sie versuchen, mir zu erklären, wer dieser Volltrottel ist.“ Er seufzte und legte die Stirn auf den Armen ab, die auf seinen angezogenen Knien lagen. Hikari hatte ihn selten so geknickt erlebt. „Hey“, sagte sie in einfühlsamem Ton. „Das kriegen wir schon hin. Irgendwie. Wir können sie einfach wieder auseinanderbringen.“ „Was ist, wenn mein Vater auch ‘ne Freundin hat, von der ich nichts weiß? Was, wenn sie sich beide auf einmal neu verlieben? Dann hab‘ ich gar keine Chance mehr“, sagte er resigniert, ohne den Kopf zu heben. „Keru“, murmelte Hikari besorgt. Sie legte die Hände um seinen Oberarm und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Mach‘ dir doch nicht so einen Kopf. Wir wissen doch, dass sie füreinander bestimmt sind und deswegen werden sie auch wieder zusammenkommen. Vielleicht versuchen sie einfach gerade, sich gegenseitig zu ersetzen und merken bald, dass es nicht klappt, weil sie nur mit dem jeweils Anderen wirklich glücklich werden können.“ So wirklich glaubte sie ihren eigenen Worten jedoch nicht. Takerus Eltern waren einfach schon zu lange getrennt. „Ich hoffe, du hast Recht“, nuschelte er. „Klar hab‘ ich das“, erwiderte sie bestimmt. „Und jetzt sollten wir zurückgehen, bevor unsere Mütter noch die Polizei rufen.“ „Glaubst du, es ist okay, wenn ich heute Nacht bei dir bleibe?“, fragte Takeru unsicher. „Hab‘ keinen Bock, nach Hause zu gehen.“ Hikari nickte. „Bestimmt. Dann können wir uns schon mal einen Plan ausdenken, wie wir deine Mutter und den Typen wieder auseinanderbringen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)