Die Dunkelheit in mir von phean ================================================================================ Kapitel 3: Licht verändert sich ------------------------------- „Karilein“, jemand rüttelte sanft an meiner Schulter, „Karilein, du musst aufstehen.“ Langsam öffnete ich meine Augen und sah in das strahlende Gesicht meines größeren Bruders. „Du musst dich fertig machen, sonst kommst du zu spät.“ Ich nickte und setzte mich auf. Ein Blick auf den Wecker sagte wirklich, dass ich hätte früher aufstehen müssen. Schnell war ich auf den Beinen und auch schon im Bad. Duschen und zurück ins Zimmer. Ich holte Shorts und ein Top aus dem Koffer – den müsste ich später noch ausräumen. Beides zog ich über und dann noch ein weit ausgeschnittenes Netzteil über mein Top. Die Handschuhe hatte ich schon im Bad wieder angezogen. Meine Haare band ich zu einem Zopf zusammen. Und dann stand ich mit Umhängetasche neben dem Küchentisch und nahm Tai seinen Toast aus der Hand. „Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät“, grinste ich. Er stockte, nahm sich einen anderen und war auch schon auf den Beinen. Als wir vor meiner Schule standen, hielt mich Tai nochmal kurz zurück. „Du bist wieder mit TK und Davis in der Klasse. Ken hat auch zu euch gewechselt“, klärte er mich auf, „Mum hat alles geregelt, also musst du nur kurz zum Lehrer.“ Er bedachte mich mit einem langen Blick, bis ich nickte, „ich würd in der Pause vorbei kommen, dann bist du nicht so allein.“ Ich lächelte ihn an. Dann verabschiedete er sich und ging weiter. Seine Schule war genau neben unserer. Mein Herz klopfte fest in meiner Brust, aber da musste ich jetzt durch. Ich würde wieder auf diese Schule gehen und meine alten Freunde wiedersehen, die ich nicht mehr sehen wollte. Wir hatten anscheinend den gleichen Lehrer, wie letztes Jahr. Er erinnerte sich auch sofort und fragte gleich, wie es war – wie jeder bis jetzt. So sagte ich ihm das Gleiche wie allen anderen. Bevor ich in das Klassenzimmer trat, herrschte ich mein Herz zur Ruhe und ging dann meinem Lehrer hinterher. „Seht wer nach einem Jahr wieder da ist“, sagte er lachend. Er wollte witzig sein? In mir zog es meine Kehle zu. So etwas wollte ich nicht. Ich lächelte in die Klasse, ohne wirklich jemanden zu sehen. Davis hörte ich bereits und TKs Blick spürte ich auch. Der Lehrer wies mir einen Platz zu, nachdem er mich noch der Form halber vorgestellt hatte. Etwas erleichtert ließ ich mich nieder und war dankbar für meinen Fensterplatz. Immer wieder versuchte ich aufzupassen, aber TK saß irgendwo hinter mir und starrte mir Löcher in den Rücken. Davis saß einige Plätze rechts von mir und flüsterte die ganze Zeit zu mir rüber. Und dann sah ich immer öfter zum Fenster hinaus. Als es dann endlich zur Pause gongte, war ich aus dem Zimmer ehe mich jemand aufhalten konnte. Draußen zog ich dann tief die Luft ein. Die Sonne blendete. Aber es war befreiend. Tai wartete bereits neben dem Schultor und winkte mir zu. „Na Kleines“, grinste er breit. Wir setzten uns nicht weit vom Tor auf eine Wiese. „Sind die Leute nett zu dir?“, fragte er mich, als er mir mein Bento reichte, welches er heute Morgen eingesteckt hatte. Ich zog die Stirn in Falten, „ich rekapituliere: Kari, lass uns doch in der Pause gemeinsam essen, dann bist du nicht allein“, ich machte eine künstlerische Pause, „Hey Kari, sind die Leute nett zu dir? Tai, ich bin sofort hierher, ich hatte keine Zeit mit nur einem einzigen zu reden.“ Er lachte und verschluckte sich fast an seinem Sandwich. Aber er stimmte mir zu und gab sich damit zufrieden. Wir aßen dann still weiter, bis der erste Gong zum Pausenende ertönte. Er meinte noch, dass er nach Schulschluss auf mich warten würde und verabschiedete sich dann erneut. Für einen kurzen Moment noch schloss ich die Augen und erlaubte meinem Gesicht seinen Normalzustand einzunehmen. Zu anstrengend war das ganze Lächeln und Grinsen den ganzen Tag. Wie sehr wünschte ich mich zurück. Denn dort, was ich ein Jahr lang mein Zuhause nannte, konnte ich sein wie ich war. Wie ich geworden bin, durch das was die Menschen hier mit mir gemacht hatten. Ich sah zu der Stelle, an der Tai verschwunden war. Straffte dann meine Mundwinkel und ging zurück in die Klasse. Ich kam kurz vor dem Lehrer zurück und so blieb keine Zeit für irgendwen, mich auch nur mit einem Wort anzusprechen. Abwesend starrte ich auf meinen Block und malte Linien darauf. Nur am Rande schrieb ich mit, was der Lehrer an die Tafel schrieb. Ich hatte einige Tage den Bonus, dass ich ein Jahr ausgesetzt hatte und den Stoff aufholen müsste. Es war sowieso schon ein Wunder, dass meine Mutter es geschafft hatte, dass ich durch das Jahr im Ausland eine Klasse aufgerückt war. Aber dort war ich genauso zur Schule gegangen wie hier – wenn auch anderer Stoff durchgenommen wurde. Als dann nach langer Zeit, nach Japanisch, Mathe und Erdkunde der Gong zum Schulschluss ertönte, packte ich eilig meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg. Ich drängte mich durch die Schülermenge und merkte, dass mir das zu viel war. Panik stieg in mir auf, doch dann war ich draußen. „Karii“, hörte ich Soras Stimme. Lachend wurde ich am Schultor in eine Umarmung gezogen. Schnell lachte auch ich und erwiderte. „Es ist schön, dass du wieder da bist. Aber wieso hast du nicht Bescheid gesagt, wir hätten dich doch vom Flughafen abgeholt“, machte Matt gleich mit der Umarmungsrunde weiter. Es war etwas befremdlich den Bruder desjenigen zu umarmen, der an dem Ganzen Schuld war. „Dafür musst du eine Willkommensparty über dich ergehen lassen“, plante Sora sogleich. Erschrocken hob ich den Kopf, „n...“ „Für so eine wollt ihr eine Willkommensparty schmeißen“, ertönte die aufgebrachte Stimme des Grundes, „du haust einfach ab, ohne Warnung, kommst wieder ohne ein Wort – jemand wie du soll dann auch noch eine Party bekommen?“, richtete er die letzten Worte an mich. Überrumpelt sah ich ihn an. „TK“, zischte Matt wütend und wollte mich gerade in Schutz nehmen und seinen Bruder zurechtweisen. „Nein“, sein Blick konnte töten, „und jetzt mach was du immer tust“, er lächelte verächtlich, „versteck dich hinter Tai – was anderes kannst du gar nicht.“ „Hör auf...“, fing Tai an und war auch auf 180. Er stellte sich neben mich und wollte mich schützend hinter sich schieben. „Lass es“, hielt ich ihn von seinem Plan ab, „wollte ich doch gar nicht“, ich lächelte, „keine Sorge, aber das nächste Mal, lass es doch einfach, wenn es dich so aufregt“, ich hielt kurz inne und drehte mich zu Tai, „ich geh noch kurz auf die Toilette.“ Ich machte mich wieder auf um zurück ins Schulgebäude zu gehen. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel atmete ich tief durch und sah schnell nach, dass auch ja niemand da war, ehe ich mich in einer Kabine einschloss. Es hatte mir gerade den Magen umgedreht und den Hals zugeschnürt, bei seinen Worten. Kraftlos fiel ich auf die Knie und beugte mich über die Schüssel, dann erblickte mein Essen von heute erneut das Licht der Welt. Mir war schlecht. Als es besser wurde lehnte ich mich zurück. Müde zog ich mich auf die Beine und ging zu den Waschbecken. Ich zog mir meine Handschuhe aus, wusch mir meine Hände und spülte dann meinen Mund aus. Mein Magen und die Speiseröhre brannten etwas von der Galle. Ich nahm noch einen Schluck, was nicht wirklich half. Dann mischten sich Tränen zu dem abfließenden Wasser. „Wieso konntest du mich nicht einfach in Ruhe lassen“, murmelte ich meinem Spiegelbild entgegen, „wieso musstest du dich unbedingt einmischen? Kaum bin ich wieder da, zerreißt du mein Herz erneut.“ Ich klammerte mich an meine Kette. Der Stein schmiegte sich in meine Hand und schließlich tropfte etwas Blut in das Waschbecken. Wie in Trance nahm ich den Stein wie ein Messer in die Hand und schnitt meinen Arm entlang, soweit es noch unter dem Stück Stoff versteckt werden konnte. Durch den Schmerz glitt eine Gänsehaut über meinen Rücken. Ich schüttelte mich. Dann sah ich in den Spiegel. Wieder sah mich eine fahle, müde Gestalt an. Als wäre sie in einem Jahr um viele Jahre gealtert. Es war anstrengender als gedacht, immer gut gelaunt zu sein. ► ▼ ▼ ◄ „Ist alles in Ordnung mit dir?“, Tai musterte mich misstrauisch. „Ja, wieso denn?“, grinste ich und lief an ihm vorbei. „Na“, er stockte, aber folgte mir, „wegen TK. Er war vorhin ...“ „Ach, er hat eben seine Ansichten“, wich ich aus und bemühte mich schnell nach Hause zu kommen. „Ok“, meinte er und lief still neben mir her. Ich schaffte es ohne eine weitere Unterhaltung nach Hause. Nachdem die Tür aufgeschlossen war, verzog ich mich gleich in mein Zimmer. Ich sah meine Schultasche durch und holte einige Sachen – wie Handy, Schlüssel, mein Notizbuch inklusive Stift und meinen Geldbeutel. Aus meiner Schublade holte ich noch eine kleine schwarze Tasche. Alles packte ich in eine Umhängetasche. Ein kurzer Blick verriet, dass ich alles hatte. „Ich geh nochmal raus“, sagte ich nur im Vorbeigehen zur Tür. „Aber Kari, du hast ja noch gar nichts gegessen“, rief mir meine Mutter hinterher. Ich seufzte, machte kehrt und holte mir einen Apfel. Schuhe an und die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Ich beeilte mich die Treppe runter und von der Wohnsiedlung weg. Ziellos lief ich durch die Straßen. Ich wollte einen ruhigen Platz haben. Mich zog es in Richtung Meer, zu dem Park, in dem ich öfters war. Aber auch dort waren mir zu viele Menschen. Sie saßen auf den Parkbänken, spielten Basketball oder spazierten Hand in Hand durch die Gegend. Als ich zu dem kleinen Waldstück kam, ging ich vom Weg runter und kämpfte mich durch die Büsche, bis ich am Rand einer Klippe stand und das Meer vor mir hatte. Nur wenige Schritte von mir entfernt stand eine Picknick-Sitzgruppe mit Tisch und Bank. Meine Tasche legte ich auf den Tisch und selbst setzte ich mich an den Rand der Bank. Ich zog den Apfel aus meiner Tasche. Gedankenversunken biss ich hinein. Die Sonne war dabei sich dem Erdboden entgegen zu neigen. Als ich das Stück Obst aufgegessen hatte, sah ich zu meiner Tasche, das schwarze Mäppchen – was es eigentlich war – war leicht heraus gerutscht. Wie in Trance nahm ich es in die Hand, öffnete es und zog das Klappmesser heraus. Ich legte es vor mich auf den Tisch, meine Arme davor und meinen Kopf darauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)