Die Dunkelheit in mir von phean ================================================================================ Kapitel 1: Hoffnung ohne Licht ------------------------------ Hoffnung ohne Licht   „Was soll das werden? Willst du dich jetzt wieder bei mir einschleimen? Was denkst du dir eigentlich dabei?“ Erschrocken sah ich in das Gesicht meines besten Freundes. Es war vor Wut rot angelaufen. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich wusste überhaupt nicht, was mit ihm los war. Eigentlich war ich mit dem Gedanken zu ihm gelaufen, dass wir – wie jeden Mittwoch – in unser Lieblingskaffee gehen würden. Aber plötzlich war er ausgerastet. Mein Mund öffnete und schloss sich, ohne das ein Wort heraus kam. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Erinnern konnte ich mich auch nicht. Ich hatte ihm nichts getan. „W-was?“, brachte ich dann doch irgendwie heraus. Meine Augen wurden bereits feucht. Und wieder stiegen Tränen in mir hoch, ohne das ich es eigentlich wollte. Dabei hatte ich mir doch geschworen nie wieder zu weinen. „Wie WAS?? Willst du jetzt wieder heulen, damit sich jeder um dich sorgt und hergesprungen kommt? DAS kannst du vergessen“, zischte er, drehte sich um und ging. Meine Unterlippe zitterte. Schluchzend fiel ich auf die Knie und sah ihm nach. Mein Körper bebte und ich fühlte mich völlig entkräftet. Das Einzige was ich sah war sein Rücken und seine blonden Haare die auf und ab wippten. Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont entgegen als ich mich beruhigte. Ich wischte mir mehrmals über die Augen. Diese waren mittlerweile verkrustet, da ich schon seit Stunden keine Tränen mehr hatte. Ich zog noch einmal die Nase kraus und sah mich dann um. Ich wollte nicht mehr weinen. Nie wieder. Gedankenverloren sah ich an die Stelle, wo er verschwunden war. Eigentlich wollte ich ihm sagen, dass ich ihn liebte, aber das hatte sich damit wohl erledigt. Da konnte ich grad so gut das Land verlassen. Es war niemand mehr auf dem Schulgelände, einzig die Sekretärinnen waren noch da. Ich schluckte und machte mich dann auf den Weg zu ihnen. ►     ▼      ▼     ◄   Seufzend setzte ich mich auf meinen Stuhl. In der Nacht hatte ich kaum geschlafen. Mich herumgewälzt und meinem Bruder beim Schnarchen zugehört. Um mich herum nahm ich nichts wahr. Erst als der Lehrer den Raum betrat, erwachte ich aus meiner Trance. Er stellte seine Sachen ab und ließ dann seinen Blick schweifen, während er uns einen guten Morgen wünschte. Ein Morgen war es, aber kein guter. Ich hielt meinen Mund, ich konnte nichts zurück wünschen, wenn es für mich nicht selber galt. Bei mir blieb schließlich sein Blick hängen, „Hikari“, sein Ton war auffordernd. Ich setzte mich gerade hin und hörte zu. Seinen Blick spürte ich von der Seite, er war fragend und leicht abschätzig. „Du weiß, dass dein Antrag gestern spät ein ging, aber es waren auch nur zwei Stunden, also hat man zugestimmt. Du sollst dich im Sekretariat melden.“ Er lächelte. Und damit stahl sich auch auf meine Lippen ein Lächeln. „Nimm deine Sachen mit, du bist für heute entschuldigt.“ Da ich sowieso noch nicht ausgepackt hatte, passte das. Ich nahm meine Tasche und stand auf. Er kam mir noch etwas entgegen und streckte mir seine Hand hin. „Dann wünsch ich dir viel Spaß und Erfolg in Sri Lanka.“ Ich erkannte an seinem Tonfall, dass er das wirklich meinte. Das waren die ersten Worte seit langem die ehrlich gemeint waren – so kam es mir vor. „Danke“, lächelte ich und drehte mich nicht noch einmal um. Ich hörte, wie mich meine Klassenkameraden aufhalten wollten. Davis rief meinen Namen und fragte mich, was das solle. Meine beste Freundin war ebenso verwirrt und stand schon auf. Aber ich wollte davon nichts wissen. Es zählte doch sowieso nicht, was ich zu sagen hatte. Ich würde doch nur wieder angeschrien werden. Darauf konnte ich verzichten, davon hatte ich gestern genug. Und nichts anderes hatte er gewollt. Er wollte das ich ging, jetzt ging ich! Kapitel 2: Licht braucht keine Hoffnung --------------------------------------- Müde sah ich aus dem Fenster. Ich hatte nicht wirklich schlafen können. Der Flug war mitten in der Nacht gegangen und die ganze Zeit hatte so eine Kröte von Kind, welches sich für besonders hielt, schreien müssen. Am liebsten wäre ich aufgestanden, hätte es angeschrien und ihm dann den Hals umgedreht. Als es sich dann endlich erbarmt hatte, waren wir auch schon fast da und ich total am Ende und viel zu müde um zu schlafen. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust nach Hause zurück zu gehen. Es war doch irgendwie ein befremdlicher Ort geworden. Ich fuhr mir durch meine Haare, die ein gutes Stück gewachsen waren. Sie gingen mir jetzt bis über die Schultern. Einmal hatte ich sie mir schneiden lassen und dann hatte ich gleich noch einen Pony bekommen, einen der quer über meine Stirn fiel und mir mehr ins Gesicht hing als mein alter. Schließlich landete das Flugzeug. Langsam erhob ich mich und holte mein Handgepäck aus dem Fach über mir. Ich folgte der Menge langsam in Richtung Ausgang. Kurz vor dem Gepäckband blieb ich nochmal kurz stehen, strich mir mein weißes Top glatt und zupfte meine braunen Shorts zurecht. Meine hellgrüne Jacke zog ich aus, es war doch wärmer hier als erwartet. Ich hatte meinem Bruder zwar gebeten am Ausgang zu warten, aber da ich ihn auch anders kannte, seufzte ich einmal tief und setzte mir dann ein Lächeln auf. Ich suchte schnell meinen Koffer und machte mich dann auf die Suche nach ihm. „Schwesterherz“, lachend kam er auf mich zu und drückte mich fest an sich. Er hatte überraschenderweise am Ausgang gewartet. Seine Haare waren etwas wilder als das Jahr zuvor und er roch nach einem typischen Männerparfum – oder Deo oder was es war. Ich drückte ihn auch. „Ich hab dich vermisst“, nuschelte er in meinen Hals und drückte mir schließlich einen Kuss auf die Haare. Ich lächelte, „ich dich auch.“ „Komm, lass uns gehen, du musst müde sein.“ Er nahm mir den Koffer ab und umfasste meine Hand. Verwundert hielt er inne. Ich trug Handschuhe, welche am ersten Fingergelenk aufhörten, dafür aber meinen halben Unterarm verdeckten. ► ▼ ▼ ◄ Wir liefen schweigend nebeneinander her. Mir war es ganz recht, ich hatte sowieso keine Lust zu reden, wobei ein kleiner Teil von mir schon wissen wollte, was in den letzten Monaten hier geschehen war. Ich bemerkte die immer wiederkehrenden neugierigen Blicke meines eigentlich geliebten großen Bruders. „Ich weiß ich sollte dich nicht gleich bedrängen, aber ich muss es wissen, wie war es?“ „Toll“, antwortete ich kichernd, kurz und knapp. „Und wieso sollte ich den anderen nicht erzählen, dass du heute wieder kommst?“, er musterte mich nachdenklich. Ich seufzte, lächelte aber immer noch, „ich wollte kein großes Aufsehen und früher oder später sehe ich sie ja immer noch.“ Er nickte, aber es schien ihn nicht wirklich zu befriedigen. „Wir sollten uns beeilen“, meinte er dann schließlich, „Mum wartet sicher schon mit dem Essen.“ „Super“, lachte ich und lief auch sogleich schneller. ► ▼ ▼ ◄ „Ich würde noch schnell duschen gehen“, sagte ich, nachdem ich eine zehn-minütige Umarmung hinter mir hatte und meine Mutter mich schon zum Tisch begleiten wollte. Sie nickte und so verschwand ich in meinem alten Zimmer, dass ich mir jetzt wieder mit Tai teilen würde. Ich stellte den Koffer vor den Kleiderschrank und wühlte erst einmal einige Minuten darin herum. Tai kam herein und sah mich neugierig an. Wortlos hielt ich ihm meine Hände entgegen. Verunsichert griff er nach dem kleinen Päckchen welches ich festhielt. Ich lächelte, schnappte mir einige Sachen und verschwand auch schon im Bad. Ich hatte ihm eine Kette mit einem Rubinanhänger mitgebracht. Den hatte ich eigenhändig – mehr oder weniger – gefunden, wenn es überhaupt ein Rubin war. In dem Päckchen war auch noch eine kleine Tonfigur. Es sollte ein Agumon darstellen, aber war etwas krumm geworden – leider. Hinter mir sperrte ich die Badtüre zu. Langsam entledigte ich mich meiner Kleidung und war froh, aus den verschwitzten Sachen raus zu sein. Ich betrachtete mich im Spiegel. Eine müde Gestalt sah mir entgegen. Leichte Augenringe waren zu sehen. Fahle Haut blitzte unter dem Makeup hervor. Die Mundwinkel zeigten nach unten und die Augen glanzlos. Ich seufzte und streifte mir dann die Handschuhe ab. Narben kamen zum Vorschein, welche ich ein paar Sekunden betrachtete. Vorsichtig wischte ich darüber und bekam leichte Gänsehaut bei dem Gefühl. Zuletzt zog ich mir die Kette über den Kopf. Ein spitzer Lavastein, welcher der Verursacher für die Narben war - zumindest von einigen. Ich schüttelte den Kopf und stellte mich dann unter die Dusche. Ich machte sie so kalt wie möglich. Zuerst wusch ich meine Haare und shampoonierte sie. Beim Auswaschen stellte ich die Dusche auf das heißeste was ging. Den Schmerz unterdrückend hielt ich es einige Sekunden aus und dann war ich fertig. Ich schüttelte mich kurz und wickelte dann ein Handtuch um meinen Körper. Wieder trat ich vor den Spiegel und betrachtete mich. Der Anblick wurde nicht besser. Eilig trocknete ich mich ab, rubbelte mit dem Handtuch meine Haare weitgehend trocken und hängte es wieder auf. Frische Unterwäsche und ein Kleid zog ich mir über. Wieder meine weißen Handschuhe und meine Kette. Bevor ich das Bad verließ bürstete ich noch meine Haare durch und schnappte mir einen Haargummi. Ein letzter Blick in den Spiegel sagte mir, dass das Lachen zurück musste. Meine Mundwinkel zogen sich widerwillig nach oben und ich ging zum Küchentisch. Ein dampfender Teller mit Curry stand bereits an meinem Platz und Tai hatte seinen schon fast leer. Ich merkte wie mich der Hunger überkam und fing auch an zu essen. Erwartungsvoll sah mich meine Mutter an. Mir war es etwas unangenehm, ich wollte immer noch nicht darüber reden und wich ihren Fragen mehr oder weniger mit kurzen Antworten aus. Es war toll. Ich hatte viel Spaß. Neue Freunde gefunden. Viel mit den Kindern gearbeitet. Bin brav dort zur Schule gegangen. Habe viel gelernt. Haben viel unternommen. Schwimmen und so. Irgendwann erbarmte sich Tai und sagte ihr, dass er nochmal mit mir rausgehen würde. Einfach etwas an der frischen Luft spazieren. ► ▼ ▼ ◄ Seit wir los waren, betrachtete er mich skeptisch. Dabei lächelte ich ihn nur an und strahlte die ganze Gegend zusammen. „Du bist irgendwie anders“, brachte er es auf den Punkt. „Wieso? Nur weil ich glücklich bin?“, fragte ich zurück und hakte mich bei ihm unter, „ich bin froh wieder da zu sein. Freust du dich etwa nicht?“ „Doch schon, aber so kenne ich dich nicht“, meinte er vorsichtig. Ich lachte, „ich dachte, ihr würdet euch freuen. „Schon, aber Kari, was ist passiert, dass du so plötzlich weg wolltest?“ Ich biss mir auf die Unterlippe, „darüber will ich nicht reden.“ „Hat es mit TK zu tun? Er hatte sich ganz plötzlich anders verhalten.“ „Ich will nicht darüber reden“, meinte ich erneut und wurde etwas scharf im Unterton. Tai schrak zusammen. Dann setzte ich wieder ein Lächeln auf, „sorry. Lass uns weiter gehen.“ Damit war für mich das Thema gegessen. Und ich wollte auch nur noch ins Bett. Wieder zuhause fiel ich auch sofort ins Bett und schlief ein. Traumlos lief ich durch die Dunkelheit. Ich fühlte mich wohl. Es war einfach ruhig und niemand ging mir auf die Nerven. So wachte ich mitten in der Nacht auf. Seufzend stand ich auf und lief etwas im Zimmer auf und ab und strich mir dabei über den Handschuh. Ich war müde, aber irgendwas hielt mich plötzlich vom Schlafen ab. So stellte ich mich vor das Fenster und starrte hinaus. Die Straßen waren ruhig. Die Straßenlaternen strahlten mir ihren Lichtkugeln und erhellten die Nacht. Darüber strahlten die Sterne. Wie sehr ich mir doch wünschte, dass beides erlischen würde. Ich wollte kein Licht mehr sehen. In der Dunkelheit war es ruhig und das erschien so hell. „Kari, wieso bist du denn wach?“, hörte ich einen verschlafene Tai. Ich weckte meine Mundwinkel und sie wanderten nach oben, „bin grad wach geworden und kann nicht mehr schlafen.“ „Soll ich mich zu dir legen? Wie früher?“, grinste er. „Da hattest du aber immer Angst“, erinnerte ich ihn. Das Monster unter dem Bett, wie er es gern genannt hatte. „Na los, Schwesterchen, du wolltest doch morgen wieder in die Schule, also schlaf noch ein bisschen.“ Ich nickte und legte mich wieder ins Bett, sofort kroch Tai mit unter die Decke und legte den Arm um mich. „Schlaf jetzt.“ Er schloss die Augen und war auch sofort wieder weg. Ein leises Grummeln kam ihm über die Lippen. Ich beobachtete ihn eine Weile und fuhr dann mit meinem Finger über seine Lippen. Sie waren so weich und bei der Berührung zog er seine Nase kraus. Ein ehrliches Lächeln huschte über mein Gesicht, dann schloss auch ich die Augen. Kapitel 3: Licht verändert sich ------------------------------- „Karilein“, jemand rüttelte sanft an meiner Schulter, „Karilein, du musst aufstehen.“ Langsam öffnete ich meine Augen und sah in das strahlende Gesicht meines größeren Bruders. „Du musst dich fertig machen, sonst kommst du zu spät.“ Ich nickte und setzte mich auf. Ein Blick auf den Wecker sagte wirklich, dass ich hätte früher aufstehen müssen. Schnell war ich auf den Beinen und auch schon im Bad. Duschen und zurück ins Zimmer. Ich holte Shorts und ein Top aus dem Koffer – den müsste ich später noch ausräumen. Beides zog ich über und dann noch ein weit ausgeschnittenes Netzteil über mein Top. Die Handschuhe hatte ich schon im Bad wieder angezogen. Meine Haare band ich zu einem Zopf zusammen. Und dann stand ich mit Umhängetasche neben dem Küchentisch und nahm Tai seinen Toast aus der Hand. „Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät“, grinste ich. Er stockte, nahm sich einen anderen und war auch schon auf den Beinen. Als wir vor meiner Schule standen, hielt mich Tai nochmal kurz zurück. „Du bist wieder mit TK und Davis in der Klasse. Ken hat auch zu euch gewechselt“, klärte er mich auf, „Mum hat alles geregelt, also musst du nur kurz zum Lehrer.“ Er bedachte mich mit einem langen Blick, bis ich nickte, „ich würd in der Pause vorbei kommen, dann bist du nicht so allein.“ Ich lächelte ihn an. Dann verabschiedete er sich und ging weiter. Seine Schule war genau neben unserer. Mein Herz klopfte fest in meiner Brust, aber da musste ich jetzt durch. Ich würde wieder auf diese Schule gehen und meine alten Freunde wiedersehen, die ich nicht mehr sehen wollte. Wir hatten anscheinend den gleichen Lehrer, wie letztes Jahr. Er erinnerte sich auch sofort und fragte gleich, wie es war – wie jeder bis jetzt. So sagte ich ihm das Gleiche wie allen anderen. Bevor ich in das Klassenzimmer trat, herrschte ich mein Herz zur Ruhe und ging dann meinem Lehrer hinterher. „Seht wer nach einem Jahr wieder da ist“, sagte er lachend. Er wollte witzig sein? In mir zog es meine Kehle zu. So etwas wollte ich nicht. Ich lächelte in die Klasse, ohne wirklich jemanden zu sehen. Davis hörte ich bereits und TKs Blick spürte ich auch. Der Lehrer wies mir einen Platz zu, nachdem er mich noch der Form halber vorgestellt hatte. Etwas erleichtert ließ ich mich nieder und war dankbar für meinen Fensterplatz. Immer wieder versuchte ich aufzupassen, aber TK saß irgendwo hinter mir und starrte mir Löcher in den Rücken. Davis saß einige Plätze rechts von mir und flüsterte die ganze Zeit zu mir rüber. Und dann sah ich immer öfter zum Fenster hinaus. Als es dann endlich zur Pause gongte, war ich aus dem Zimmer ehe mich jemand aufhalten konnte. Draußen zog ich dann tief die Luft ein. Die Sonne blendete. Aber es war befreiend. Tai wartete bereits neben dem Schultor und winkte mir zu. „Na Kleines“, grinste er breit. Wir setzten uns nicht weit vom Tor auf eine Wiese. „Sind die Leute nett zu dir?“, fragte er mich, als er mir mein Bento reichte, welches er heute Morgen eingesteckt hatte. Ich zog die Stirn in Falten, „ich rekapituliere: Kari, lass uns doch in der Pause gemeinsam essen, dann bist du nicht allein“, ich machte eine künstlerische Pause, „Hey Kari, sind die Leute nett zu dir? Tai, ich bin sofort hierher, ich hatte keine Zeit mit nur einem einzigen zu reden.“ Er lachte und verschluckte sich fast an seinem Sandwich. Aber er stimmte mir zu und gab sich damit zufrieden. Wir aßen dann still weiter, bis der erste Gong zum Pausenende ertönte. Er meinte noch, dass er nach Schulschluss auf mich warten würde und verabschiedete sich dann erneut. Für einen kurzen Moment noch schloss ich die Augen und erlaubte meinem Gesicht seinen Normalzustand einzunehmen. Zu anstrengend war das ganze Lächeln und Grinsen den ganzen Tag. Wie sehr wünschte ich mich zurück. Denn dort, was ich ein Jahr lang mein Zuhause nannte, konnte ich sein wie ich war. Wie ich geworden bin, durch das was die Menschen hier mit mir gemacht hatten. Ich sah zu der Stelle, an der Tai verschwunden war. Straffte dann meine Mundwinkel und ging zurück in die Klasse. Ich kam kurz vor dem Lehrer zurück und so blieb keine Zeit für irgendwen, mich auch nur mit einem Wort anzusprechen. Abwesend starrte ich auf meinen Block und malte Linien darauf. Nur am Rande schrieb ich mit, was der Lehrer an die Tafel schrieb. Ich hatte einige Tage den Bonus, dass ich ein Jahr ausgesetzt hatte und den Stoff aufholen müsste. Es war sowieso schon ein Wunder, dass meine Mutter es geschafft hatte, dass ich durch das Jahr im Ausland eine Klasse aufgerückt war. Aber dort war ich genauso zur Schule gegangen wie hier – wenn auch anderer Stoff durchgenommen wurde. Als dann nach langer Zeit, nach Japanisch, Mathe und Erdkunde der Gong zum Schulschluss ertönte, packte ich eilig meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg. Ich drängte mich durch die Schülermenge und merkte, dass mir das zu viel war. Panik stieg in mir auf, doch dann war ich draußen. „Karii“, hörte ich Soras Stimme. Lachend wurde ich am Schultor in eine Umarmung gezogen. Schnell lachte auch ich und erwiderte. „Es ist schön, dass du wieder da bist. Aber wieso hast du nicht Bescheid gesagt, wir hätten dich doch vom Flughafen abgeholt“, machte Matt gleich mit der Umarmungsrunde weiter. Es war etwas befremdlich den Bruder desjenigen zu umarmen, der an dem Ganzen Schuld war. „Dafür musst du eine Willkommensparty über dich ergehen lassen“, plante Sora sogleich. Erschrocken hob ich den Kopf, „n...“ „Für so eine wollt ihr eine Willkommensparty schmeißen“, ertönte die aufgebrachte Stimme des Grundes, „du haust einfach ab, ohne Warnung, kommst wieder ohne ein Wort – jemand wie du soll dann auch noch eine Party bekommen?“, richtete er die letzten Worte an mich. Überrumpelt sah ich ihn an. „TK“, zischte Matt wütend und wollte mich gerade in Schutz nehmen und seinen Bruder zurechtweisen. „Nein“, sein Blick konnte töten, „und jetzt mach was du immer tust“, er lächelte verächtlich, „versteck dich hinter Tai – was anderes kannst du gar nicht.“ „Hör auf...“, fing Tai an und war auch auf 180. Er stellte sich neben mich und wollte mich schützend hinter sich schieben. „Lass es“, hielt ich ihn von seinem Plan ab, „wollte ich doch gar nicht“, ich lächelte, „keine Sorge, aber das nächste Mal, lass es doch einfach, wenn es dich so aufregt“, ich hielt kurz inne und drehte mich zu Tai, „ich geh noch kurz auf die Toilette.“ Ich machte mich wieder auf um zurück ins Schulgebäude zu gehen. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel atmete ich tief durch und sah schnell nach, dass auch ja niemand da war, ehe ich mich in einer Kabine einschloss. Es hatte mir gerade den Magen umgedreht und den Hals zugeschnürt, bei seinen Worten. Kraftlos fiel ich auf die Knie und beugte mich über die Schüssel, dann erblickte mein Essen von heute erneut das Licht der Welt. Mir war schlecht. Als es besser wurde lehnte ich mich zurück. Müde zog ich mich auf die Beine und ging zu den Waschbecken. Ich zog mir meine Handschuhe aus, wusch mir meine Hände und spülte dann meinen Mund aus. Mein Magen und die Speiseröhre brannten etwas von der Galle. Ich nahm noch einen Schluck, was nicht wirklich half. Dann mischten sich Tränen zu dem abfließenden Wasser. „Wieso konntest du mich nicht einfach in Ruhe lassen“, murmelte ich meinem Spiegelbild entgegen, „wieso musstest du dich unbedingt einmischen? Kaum bin ich wieder da, zerreißt du mein Herz erneut.“ Ich klammerte mich an meine Kette. Der Stein schmiegte sich in meine Hand und schließlich tropfte etwas Blut in das Waschbecken. Wie in Trance nahm ich den Stein wie ein Messer in die Hand und schnitt meinen Arm entlang, soweit es noch unter dem Stück Stoff versteckt werden konnte. Durch den Schmerz glitt eine Gänsehaut über meinen Rücken. Ich schüttelte mich. Dann sah ich in den Spiegel. Wieder sah mich eine fahle, müde Gestalt an. Als wäre sie in einem Jahr um viele Jahre gealtert. Es war anstrengender als gedacht, immer gut gelaunt zu sein. ► ▼ ▼ ◄ „Ist alles in Ordnung mit dir?“, Tai musterte mich misstrauisch. „Ja, wieso denn?“, grinste ich und lief an ihm vorbei. „Na“, er stockte, aber folgte mir, „wegen TK. Er war vorhin ...“ „Ach, er hat eben seine Ansichten“, wich ich aus und bemühte mich schnell nach Hause zu kommen. „Ok“, meinte er und lief still neben mir her. Ich schaffte es ohne eine weitere Unterhaltung nach Hause. Nachdem die Tür aufgeschlossen war, verzog ich mich gleich in mein Zimmer. Ich sah meine Schultasche durch und holte einige Sachen – wie Handy, Schlüssel, mein Notizbuch inklusive Stift und meinen Geldbeutel. Aus meiner Schublade holte ich noch eine kleine schwarze Tasche. Alles packte ich in eine Umhängetasche. Ein kurzer Blick verriet, dass ich alles hatte. „Ich geh nochmal raus“, sagte ich nur im Vorbeigehen zur Tür. „Aber Kari, du hast ja noch gar nichts gegessen“, rief mir meine Mutter hinterher. Ich seufzte, machte kehrt und holte mir einen Apfel. Schuhe an und die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Ich beeilte mich die Treppe runter und von der Wohnsiedlung weg. Ziellos lief ich durch die Straßen. Ich wollte einen ruhigen Platz haben. Mich zog es in Richtung Meer, zu dem Park, in dem ich öfters war. Aber auch dort waren mir zu viele Menschen. Sie saßen auf den Parkbänken, spielten Basketball oder spazierten Hand in Hand durch die Gegend. Als ich zu dem kleinen Waldstück kam, ging ich vom Weg runter und kämpfte mich durch die Büsche, bis ich am Rand einer Klippe stand und das Meer vor mir hatte. Nur wenige Schritte von mir entfernt stand eine Picknick-Sitzgruppe mit Tisch und Bank. Meine Tasche legte ich auf den Tisch und selbst setzte ich mich an den Rand der Bank. Ich zog den Apfel aus meiner Tasche. Gedankenversunken biss ich hinein. Die Sonne war dabei sich dem Erdboden entgegen zu neigen. Als ich das Stück Obst aufgegessen hatte, sah ich zu meiner Tasche, das schwarze Mäppchen – was es eigentlich war – war leicht heraus gerutscht. Wie in Trance nahm ich es in die Hand, öffnete es und zog das Klappmesser heraus. Ich legte es vor mich auf den Tisch, meine Arme davor und meinen Kopf darauf. Kapitel 4: Rotes Licht ---------------------- Quälend langsam zog ich das Messer über meine Haut. Das Blut quoll an einigen Stellen hervor und bahnte sich langsam einen Weg nach unten. Fasziniert sah ich ihm dabei zu und setzte das Messer erneut an. Wie in Trance schnitt ich erneut durch meine Haut. Ob es schmerzte, wusste ich nicht, schon lange habe ich aufgehört etwas zu spüren. Nachdem der fünfte Schnitt zu sehen war und auch aus diesem Blut hervor trat, säuberte ich das Messer mit einem Taschentuch und steckte es zurück in seine Hülle. Als es weggepackt war, beobachtete ich weiter meinen Arm, er lag ruhig vor mir. Das Blut tropfte langsam auf den Tisch und hinterließ dunkle Flecken in dem sowieso schon abgenutzten Holz. Ohne jede Hektik tupfte ich das Blut ab, legte ein Stück von einem Tempo darauf und fixierte alles mit einem kurzen Verbandsstück. Zuletzt zog ich meinen Handschuh wieder an. Mein Blick wanderte von dem etwas gepolsterten Arm zu dem Tisch, welcher immer noch langsam das Blut auf sog. Fasziniert stupste ich einen Blutstropfen an, welcher sich teilte und etwas an meinem Finger hing. Ich schüttelte ihn leicht, während er weiter nach unten zeigte und ein Teil löste sich wieder davon. Es tropfte zurück auf den Tisch. Mein Handy vibrierte. Schnell wischte ich meinen Finger sauber und sah auf den Display. Eine Nachricht in der Gruppe von meinem Auslandsjahr. Ich öffnete die Gruppennachricht und las, dass sie heute Abend chatten wollten. Ich sagte, dass ich da sein werde und packte meine Sachen weg. Die blutigen Taschentücher warf ich in einen nahen Mülleimer und dann machte ich mich auf den Heimweg. „Bin wieder da“, rief ich fröhlich und fand meinen geliebten Bruder am Küchentisch vor. „Hey, na wars schön draußen?“, wollte dieser wissen und sah etwas schräg als ich lachend nickte. „Ich war unten am Meer und hab eine schöne Bank gefunden, die nahe am Meer steht, da unten ist es so schön friedlich“, verlor ich mich etwas und starrte in eine Ecke des Zimmers. Nach einigen Minuten löste ich meinen Blick und sah wieder zu dem Braunhaarigen, er lächelte müde und streckte seine Hände nach mir aus. Zögerlich griff ich danach und er zog mich zu sich. Er sah zu mir auf, während seine Hand langsam zu meinem Nacken und dann schließlich zu meinem Kopf wanderte. Er drückte ihn leicht nach unten und sich damit meine Stirn entgegen, auf die er einen Kuss hauchte. „Danke, dass du immer noch meine Schwester bist“, er grinste, „ich dachte schon ich hätte dich verloren, es war als hätte sich ein fröhlicher Parasit in dir eingenistet.“ „Willst du etwa nicht, dass ich fröhlich bin?“, eingeschnappt drehte ich mich weg. Aber doch war ich froh, dass ich es nicht sein müsste. „Doch“, beteuerte er mir. „Ich muss an den PC, ich chatte gleich noch mit den Leuten von ...“ „Sag doch einfach, dass ich dir nicht mehr gut genug bin und du dir neue Freunde gesucht hast.“ Überrascht sah ich mich um, er zwinkerte. Ich schenkte ihm ein letztes Lächeln und verschwand dann in meinem oder unserem Zimmer. Seufzend ließ ich die Schultern hängen und sah noch einmal zur Tür. Ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen und verschwand gleich wieder. Er wollte nicht, dass ich so extrem fröhlich war, aber ich konnte nicht zurück. Entweder komplett fröhlich oder gar nicht. Ich wusste was passierte, wenn ich nicht komplett fröhlich war. Dann kam sie wieder. Ein wohliges Gefühl umfing mich, als ich den Chat öffnete und sofort zehn Nachrichten erschienen. Erschöpft legte ich mich ins Bett und stellte den Laptop nur wenige Zentimeter vor mich hin. Es waren noch nicht alle da, aber es gab schon eine große Diskussion darüber, welches Land besser war. Ich verfolgte die Diskussion einige Zeit mit, bis mich Juan bemerkte und mich grüßte. Auch Sophie schien mich nun zu bemerken. Mehr oder weniger nahmen wir jetzt den Chat in Beschlag. Die Zwei waren mir die Liebsten gewesen. Sophie hatte mir mächtig geholfen, besonders mit Zuhören. Juan hatte immer alles zur Hand. Beide schrieben das sie mich vermissten. Sophie war immer noch da, sie kam eigentlich aus den USA. Juan hingegen kam von dort, hatte eine Ausbildung als Erzieher gemacht und hat dort gleich angefangen zu arbeiten, er war nur wenig älter als ich. 'Ich vermisse euch', tippte ich nach einer halben Ewigkeit. Lange sah ich wie beide tippten, dann kamen fast gleichzeitig die Nachrichten. 'Ich dich auch, ich brauche jemanden zum Reden', kam es von Sophie. 'Was ist denn los?', las ich bei Juan. 'Es geht genauso wieder los, wie es geendet hat', schrieb ich, 'es … es ist momentan zu viel auf einmal. Er fängt schon wieder damit an.' 'Hat er jetzt wenigstens gesagt weshalb?', erschien gleich Sophies Antwort. 'Nein. Natürlich nicht. Er meckert nur, aber niemand weiß weshalb.' 'Hast du einmal versucht mit ihm zu reden?', fragte Juan – ich konnte mir sein Gesicht vorstellen, wie es neugierig schaute und er dabei Gras rauchte und nicht wirklich bei Sinnen war. 'Nein, aber er sieht nicht so aus, als würde er mit mir reden wollen, ich weiß nicht, ich will hier wieder weg.' 'Ach Kari, das schaffst du, gib nicht gleich auf, er wird schon noch Ruhe geben', in Sophie kam die Mutter zum Vorschein. Ein mitfühlendes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, ja, vielleicht musste ich abwarten und er würde Ruhe geben. Wobei ich nicht wirklich daran glaubte. TK war nicht so. Er würde nicht so schnell vergessen – was es auch immer war. Seufzend tippte ich, dass ich schlafen gehen würde und verabschiedete mich von den Zweien. Tai war immer noch nicht im Zimmer, also zog ich mich schnell um und schlüpfte unter die Decke. Es war anstrengend gewesen. „Kari, schläfst du schon?“, fragte mich Tai, der im Türrahmen stand. „Nein, wieso?“, lächelte ich müde. „Es gibt Abendessen“, er zeigte Richtung Esszimmer. Ich überlegte. Mein Unterarm schmerzte etwas und eigentlich hatte ich gar keinen Hunger. Trotzdem mühte ich mich hoch und wollte ihnen wenigstens Gesellschaft leisten. Und bekam trotzdem etwas zu Essen. Quälend langsam aß ich und bekam nach der Hälfte nichts mehr runter. „Du musst mir mal die Stelle zeigen an der du heute warst“, mampfte mein Bruder. Ich nickte und grinste, „klar, mach ich.“ Hoffentlich würde er es vergessen, die Stelle gehörte mir, niemand sollte sie kennen, dann wäre ich dort ja nicht mehr alleine. Schnell verabschiedete ich mich, stellte noch meinen Teller in die Küche und verschwand im Bett. Meine Mundwinkel taten weh und die Lippen wurden von dem Lachen immer so trocken und rissen dann. Ich wandte mich der Wand zu und schlief zusammen gekugelt ein. Die nächsten Schultage schienen nicht zu vergehen. Ich spürte immer noch Tks Blicke. Er tötete mich. Und machte mich auch immer mit Worten fertig, brachte mich dazu im Klo zu verschwinden und dort zu weinen. Stille Tränen tropften immer wieder in das Waschbecken, genau wie rotes Blut. Der Lavastein war das Einzige was mir Halt gab, er war immer da, die Erinnerungen die darin lagen und die ich damit verband. Es war ein großes Abenteuer gewesen ihn zu finden - gemeinsam mit Sophie und Juan. Der Wunsch zurück wurde immer stärker. Ich fühlte mich einsam und alles um mich schien dunkel zu sein. Nirgendwo sah ich ein Licht. Mit Davis kam ich langsam wieder klar, aber er war mir zu fröhlich. Ich hielt es nie lange mit ihm aus. Die Anderen der Klasse verstanden, dass ich Abstand brauchte und bald saß ich allein in der Klasse. Es folgten sowieso sehr viele Tks Beispiel und mieden mich – aber sie beschimpften mich zumindest nicht. Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster. Unbewusst kaute ich auf meinem Stift herum. Ich hörte den Lehrer schon gar nicht mehr. Er redete und redete. Das Einzige was ich vernahm war ein Rauschen. Ein sanftes Meeresrauschen und es wirkte beruhigend. Kapitel 5: Das dunkle Licht in mir ---------------------------------- Ich war eine der Letzten heute die gingen. Gemütlich packte ich zusammen und genoss das Rauschen des Meeres in meinen Ohren. Ich hätte nur die Augen schließen müssen und ich wäre glücklich gewesen – oder eine Form davon. In völliger Routine versunken schloss ich meine Tasche und machte mich auf den Weg. Zu meiner Verwunderung stand Tai am Schultor und wartete auf mich. „Hey Schwesterherz“, lachte er. „Tai, was machst du denn hier?“, erwiderte ich sein Lächeln. „Darf ich nicht meine Schwester abholen und fragen, ob sie mit mir spazieren geht?“ Verwirrt musterte ich ihn. Spazieren? „Doch“, kam es mir zögerlich über die Lippen. Skeptisch folgte ich ihm, er sprach nicht weiter mit mir, aber er schien einen bestimmten Weg entlang zu laufen. Wo führte er mich hin? Während ich weiter überlegte, landeten wir schließlich in dem Park. Vor ein paar Tagen hatte ich ihm die Stelle gezeigt, welche mir so gut gefiel und er hatte gemeint, dass er es niemandem sagen würde. Ich irrte mich. Alle standen sie fast in Reih und Glied nebeneinander bei dem Tisch. Erschrocken blieb ich weit einige Meter davon entfernt stehen und sah meinem Bruder zu, wie er zu den anderen am Tisch ging. Langsam trat ich einige Schritte näher. Sie sahen komisch aus. Einige Schritte entfernt stand auch TK und betrachtete verärgert das Meer. „Was soll das hier?“, wollte ich von meinem Bruder wissen – in meinem Unterton schwang etwas bedrohliches mit. „Das würde ich auch gerne wissen, was soll ich hier mit der?“, keifte TK. Ich ignorierte es, doch wieder versetzte es mir einen Stich im Herzen. „Wir wollen dir nichts böses“, besänftigte mich Mimi. „Kari“, meinte Tai streng, „kannst du mir sagen, was das soll?“ Er war meine Messertasche auf den Tisch. Erschrocken betrachtete ich erst diese und dann ihn. „Was meinst du? Wieso hast du die?“ „Da hängt Blut dran“, wurde er lauter. „Ich habe mich halt geschnitten“, antwortete ich schnell. „Und dann das?“ Auch mein DigiVice landete auf dem Holz. Schwer schluckend sah ich es an. Seine Farbe hatte es bereits vor einem Jahr verloren. Nach diesem einen Tag, war das Rosa plötzlich verblichen und der Bildschirm wurde schwarz. Es hat nicht mehr reagiert. Ich hatte versucht damit in die Digiwelt zu reisen, doch das Tor öffnete sich nicht. „Wo hast du das her?“, wich ich aus. „Es lag im Mülleimer“, seine Stimme wurde lauter, „wieso lag es da?“ „Aber jetzt erklärt sich auch, wieso sie Gatomon noch nicht wieder gesehen hat“, schaltete sich Davis ein. Sofort wurde er aber von Matt zum Schweigen gebracht. „Wieso war es da?“ „WIESO WÜHLST DU IN MEINEM MÜLL?“, schrie ich ihn an. „Kari, was ist los?“, hörte ich eine sanfte Stimme. Gatomon trat hinter Cody hervor und musterte mich traurig. Erschrocken wich ich zurück. „Was soll das werden?“, murmelte ich, „wieso tut ihr das? ICH WILL DAS NICHT“, schrie ich. Ich drehte mich um und lief los, an der Küste entlang. Da hörte ich plötzlich wieder dieses Rauschen. Augenblicklich ertönte ein Schrei – Ken. Ich wurde langsamer. ► ▼ ▼ ◄ „Ken“, schrie Yolie auf und stürzte zu mir. Vor Schmerzen hielt ich mir den Kopf. Ich war auf die Knie gefallen und meine Augen waren weit aufgerissen. Ich hörte Meeresrauschen. Es war so laut. Es dröhnte ihn meinen Ohren. „Ken, Ken, was ist denn los?“ „Das Meer“, presste ich unter größter Konzentration hervor. „Das Meer?“, hörte ich Gatomon flüstern. ► ▼ ▼ ◄ Das Meer. Es hörte sich so verführerisch an. Als würde es seine Arme um mich legen. Mir eine Hand reichen und mich heran ziehen. Sich schützend vor mich stellen. Langsam drehte ich mich nach rechts. Dort war das Meer. Das Meer vor unserer Küste. Ich ging einige Schritte darauf zu. Es rief mich. Das Meer rief nach mir. ► ▼ ▼ ◄ Mein Kopf dröhnte immer noch. Mit zusammengebissenen Zähnen sah ich nach vorn. Kari stand dort, dem Meer zugewandt. Kurz vor der Klippe. Ihr Gesicht war ausdruckslos, sie starrte wie gebannt darauf. Dann plötzlich verlor alles seine Farbe. Verwirrt sahen sich die anderen um. Wieder hallte dieser Schmerz durch meinen Kopf und ich schrie auf. Es wirkte so trostlos. „Wo sind wir hier?“, hörte ich Mimi ängstlich. „Sind wir in der Digiwelt?“, fragte Davis, „doch, das müssen wir fast, aber wie sind wir hier her gekommen.“ „Das … ist nicht … die Digiwelt“, presste ich hervor. „Wir sind hier am Meer der Dunkelheit.“ „Das Meer der Dunkelheit“, Tai sah mich kurz an. „Seht mal da unten“, rief Joey aus. Wir folgten seinem Finger. Direkt am Ufer stand Kari. Aber bei uns oben an der Klippe stand Kari auch. „Endlich bist du wieder da“, hörten wir eine Frauenstimme, „ich habe dich vermisst, kleine Kari.“ Verwirrt sahen wir uns erneut um. Wieder ging die Kari oben auf der Klippe einige Schritte nach vorn. Dann hatte alles wieder seine Farbe und wir waren in der realen Welt. Doch Kari stoppte nicht. Niemand reagierte. In mir dröhnte immer noch der Ruf der Dunkelheit. „Kari“, rief Matt aus und stürzte nach vorn. Das Mädchen hielt immer noch nicht an und tat ihren ersten Schritt in die Luft. Sofort wurde sie nach unten gerissen und fiel. Matt hechtete zu ihr und griff nach ihr. Er schnaufte lange und nach einer halben Ewigkeit setzte er sich auf. Er hatte nur einen ihrer Handschuhe in der Hand. Kapitel 6: Licht der Dunkelheit ------------------------------- Immer noch sitzt Matt keuchend neben der Klippe. Dann springt Tai zu ihm. Aus seinen Augen traten Tränen. „Kariii“, schrie er und wollte ihm hinterher. Matt packte ihn an den Schultern, dass er nicht hinterher sprang. Izzy und Cody eilten ihm zu Hilfe. Davis und die Mädchen waren wie versteinert. Joey hielt sein Handy in der Hand und tippte mit zittriger Hand darauf herum. Und rief letztendlich einen Krankenwagen. Es brauchte einige Zeit, bis ich mich beruhigt hatte. Das Meer rief so stark wie nie zuvor. Yolei war bei mir geblieben, genauso wie Davis und Joey. Gatomon, Matt und Tai waren sofort zum Strand hinunter gerannt und hatte nach Kari gesucht. Auch wenn es nur vier oder fünf Meter gewesen sind, beim Aufprall ist der Sand so hart wie normaler Boden. Bald kam der Krankenwagen Cody und Izzy hatten ihnen gezeigt wo sie hin mussten. Mimi und Sora saßen währenddessen auf der Bank und konnten nicht mehr. Auch Yolei neben mir, wäre auch in Tränen ausgebrochen, wenn sie es gekonnt hätte. Aber sie blieb stark und unterdrückte die Tränen – und das alles nur, weil sie sah, in welcher Verfassung ich mich befand. Matt und Tai fuhren sofort mit und bis auf Yolei gingen alle hinterher. Es war bereits eine Stunde vergangen bis auch wir im Krankenhaus ankamen. Ich war immer noch etwas benommen. Auf dem Krankenhausflur blieben wir stehen. „TAI WAS HAST DU DIR EIGENTLICH DABEI GEDACHT?“, schrie seine Mutter den Jungen an. Er fixierte etwas und starrte nur den Punkt an. „DU SOLLST AUF DEINE SCHWESTER AUFPASSEN“, machte sie weiter. „WIE KONNTE DAS NUR PASSIEREN?? WAS HABT IHR DORT GEMACHT??“ Matt, TK und wir standen verdutzt daneben. Wobei ich mich sowieso fragte, was TK noch hier machte, wenn er doch sowieso nicht gut auf sie zu sprechen war. Ihre Eltern hielten von Tai ab, als der Arzt kam und sie beiseite schob. Grummelnd drehte er sich weg und sah aus dem Fenster. „ES IST ALLES DEINE SCHULD“, keifte er TK an, „Wärst du nicht gewesen, wäre sie nicht fortgegangen.“ „Was soll das denn? Ich hab nichts gemacht“, rechtfertigte dieser sich. „DOCH und wie du was gemacht hast.“ „Tai, jetzt lass ihn doch mal in Ruhe“, mischte sich Matt ein. „Ja, du hältst mal schnell die Klappe“, Tai drängte Matt gegen die Innenwand, „du hast nur ihren Handschuh gehalten.“ „WAS FÄLLT DIR JETZT EIN?? WENIGSTENS BIN ICH NICHT ZU EINER SALZSÄULE ERSTARRT WIE DU!!“, schrie der Blonde zurück. Der Brünette hielt inne und dann bemerkte er mich, „DU, du weißt doch sicher wie ich an das Meer kommen. Bring mich dort hin oder ich kann für nichts garantieren“, er packte mich grob am Kragen und zog mich zu sich hoch. „TAI!!“, rief Matt, „jetzt reichts aber!“, er redete nicht lange, sondern zog Tai an der Schulter zu sich und hieb ihn mit der Faust ins Gesicht. Dieser taumelte und schüttelte den Kopf. Dann sah er sich auf dem Gang um. Durch den Lärm sind ein paar Schwestern angelockt worden. Yolei strich mir das Shirt wieder glatt und giftete Tai mit bösen Blicken an. „Danke“, murmelte er und hielt sich die rote Wange. „Wie geht es ihr?“, wollte Yolei wissen. „Sie liegt im Koma und hat eine Platzwunde am Kopf, der Sand hat sich an mehreren Stellen in den Körper gebohrt und ihr Arm ist gebrochen“, antwortete ihr Matt. „Kann ich zu ihr?“, fragte sie tonlos auf den Schock. Die zwei Jungs nickten und wir folgten ihnen in das Zimmer, welches gleich neben unserem Kriegsschauplatz lag. Die Kriegerin des Lichtes lag blass in ihrem Bett, Gatomon saß neben ihr und streichelte behutsam ihre Schulter. Traurig sah sie auf sie herab. Mimi und Sora saßen nebeneinander auf einem Sessel und waren immer noch verweint. Izzy saß vor seinem PC und quälte ihn. Yolei riss schockiert ihre Arme in die Höhe und hielt sie sich vor den Mund. „Wir haben Cody und Davis nach Hause geschickt“, erklärte Izzy, „Cody wollten wir das nicht antun und Davis hat genervt.“ „Wo ist Joey?“, wollte meine Freundin wissen. „Er ist bei seinem Bruder. Dieser behandelt Kari.“ „Hast du etwas heraus bekommen?“, wollte Matt von dem Computer-Genie wissen. „Was heraus bekommen?“ „Die zwei Karis“, murmelte ich, „ihr glaubt, dass sie immer noch am Meer der Dunkelheit ist?“ „Du nicht?“, wollte Tai wissen. „Wir suchen einen Weg dorthin.“ „Ihr glaubt doch nicht, dass Ken dich dorthin bringen kann?“, wollte die Brillenträgerin wissen. „Nicht nur mich“, Tai sah ernst in die Runde, „Gatomon, Matt, TK und ihr zwei kommt auch mit.“ „WAS?“, rief TK aus, „ich hab doch nichts getan.“ TKs Ausruf wurde dezent ignoriert. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Ich wusste was sie von mir verlangten. Und der Schmerz kam zurück in meinen Kopf. In mir kämpften zwei Seiten. Die Eine wollte ihr helfen, die andere hatte Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Yolei wäre dagegen, aber anders war es nicht möglich. „Gut“, murmelte ich, „wir brauchen das Tor“, ich sah zu Izzy und schon meckerte Yolei los. ► ▼ ▼ ◄ Wie in Trance stand ich vor dem Meer. Ich sah es nicht wirklich, ich hörte nur das Rauschen. Es fühlte sich gut an. Allein zu sein. „Kari, komm zu mir“, säuselte eine weibliche Stimme betörend. Wie sehr würde ich dem nachgeben und einfach los lassen. „Dann lass los und komm zu mir“, ertönte erneut die Stimme, „ich kann dir helfen.“ Ein dunkler Griff legte sich um mein Herz und schützte es vor dem Schmerz. Dieser wurde weniger. Es fühle sich leichter an, als wäre alles fort. Langsam schritt ich auf das Meer zu. Das Wasser umspülte meine Beine. Egal wie tief ich hinein ging, es ging mir immer bis kurz über die Knie. Als wäre dort eine Barriere die mich nicht untergehen würde. „Genau“, lachte die Stimme. „Komm zu mir.“ Je weiter ich hinein ging, desto mehr umfing mich die Dunkelheit und desto weniger konnte ich meine Bewegung kontrollieren. Es war, als wäre ich nur noch eine Zuschauerin, aber es fühlte sich gut an. Der Schmerz war verschwunden. ► ▼ ▼ ◄ „Das ist das Meer der Dunkelheit?“, flüsterte Tai. „Kari“, rief Gatomon aus und zeigte auf das Wasser. Das Mädchen war uns zugewandt und blickte mit glasigen Augen dem Ufer entgegen. Erschrocken liefen Matt und Tai los und wollten ins Wasser springen. Kari stand etwa sieben Meter weit im Wasser. Als wäre es nicht tief, doch eigentlich war das Meer tief. „Stopp“, schrie ich hinterher, „ihr dürft es nicht berühren.“ Erschrocken stoppten sie und drehten sich zu mir um, „was? Wieso?“ „Es stiehlt dir etwas wichtiges, wenn du hinein gehst“, erklärte ich und schloss zu ihnen auf. „Stiehlt mir etwas wichtiges?“ „Ja, was dir am Herzen liegt“, erklärte ich. „Was ist dann mit Kari“, wollte Yolei wissen und sah ängstlich zu ihrer Freundin. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich leise. „Wir müssen ihr doch helfen.“ „Wieso denn?“, schrie TK das kleine Digimon an. „Genau, wieso denn?“, ertönte eine Stimme. Wir sahen zum Wasser, hinter Kari tauchte ein Digimon auf. Ihren rechten Arm legte sie über die rechte Schulter des Mädchens und ihren linken schlang sie um deren Hüfte. Ihren Kopf platzierte sie auf der anderen Schulter und grinste verschmitzt. „Wer bist du?“, schrie Tai. „Ich? Ich bin Nymphmon“, erklärte es. Sie war hatte ein mattes blau als Hautfarbe, welche einen leichten schwarzen Stich aufwies. Als Ohren hatte sie so etwas wie Flossen, die ab standen. An ihrer Hüfte begann eine große Schwanzflosse, deren Ende nicht zu sehen war. Sie trug etwas wie einen unscheinbaren Bikini, der nur eine Nuance unterschied zu ihrer Hautfarbe hatte. Lange schwarze Haare umspielten ihren Körper und an ihrer Hüfte hin ein schmaler Gürtel mit einem Messer. „Was ist mit Kari, was tust du mit ihr?“, knurrte ihr großer Bruder. „Sie hat endlich auf mein Rufen reagiert und deswegen gehört sie jetzt mir“, sie wandte sich dem Mädchen zu und fuhr mit ihren Lippen über deren Hals, „endlich, dafür habe ich ein Jahr gebraucht.“ „Ein Jahr?“, verwirrt sahen sich die zwei Ältesten an. „Ja, denn vor einem Jahr konnte ich endlich wieder in ihr Herz“, sie strich mit ihren Händen am Körper von Kari entlang. „Sie war so einsam und fühlte sich so hilflos als ihr Herz gebrochen wurde und sie weiß überhaupt nicht wieso. Sie war traurig und das Licht in ihrem Herzen wurde schwächer, denn das Licht klammerte sich an die Hoffnung und diese Hoffnung verschwand plötzlich“, sie säuselte immer weiter. „Das Einzige was blieb, war die Dunkelheit.“ Alle Blicke richteten sich auf TK „WAS war vor einem Jahr passiert?“, Tai betonte jedes Wort und kam TK bedrohlich näher. „Wieso?“, knurrte dieser. „Sag es uns jetzt einfach“, stimmte Matt mit ein und fixierte seinen Bruder. „TK“, bat Yolei. „Ja, sag es ihnen, Kari würde es auch gerne wissen. Die Arme saß doch noch am Tag zuvor mit dir in diesem Café und wartete auf dich“, Nymphmon drückte sich an das Mädchen, als wollte sie ihr Trost spenden, „und dann tauchte dieser Mann auf und flirtete mit ihr, was sie entschieden zurück wies. Und dann plötzlich warst du so. Was war also los.“ Tai lachte hysterisch auf und schnaubte, während er den Kopf schüttelte, „sag mir jetzt nicht, dass DAS der Grund war.“ Große Augen sahen den Kämpfer der Hoffnung an. Auch Gatomon war völlig aus der Bahn geworfen. Sie fand keine Worte. Mir wollte es auch nicht so ganz. „Was? Wieso?“, brachte TK aber nur hervor. „TK ist das der Grund?“, wollte sein Bruder wissen. „Natürlich ist das der Grund“, lachte Nymphmon, „und die kleine Kari wollte ihm nur ihre Liebe gestehen“, sie ließ von Kari ab und riss neben ihr ihre Arme in die Höhe. In TKs Gesicht war zu erkennen, wie es klick machte und er verstand, was er angerichtet hatte. Mit geweiteten Augen ließ er sich auf den Boden fallen. „Was hab ich getan?“, murmelte er erschrocken. „Jetzt ist es zu spät“, verwirrt schnellten unsere Augen zu Nymphmon. „Kari gehört mir und wenn sie hier stirbt, stirbt sie auch in eurer Welt“, wie in Zeitlupe zog sie ihr Messer aus der Scheide, „und welcher Tod wäre angebrachter als zu ertrinken“, sie schwamm wieder hinter Kari und zog das Messer quer über ihr Schlüsselbein. Sie löste sich von ihr und brachte Abstand zwischen sich und ihr, dann schien der Boden unter Kari wegzubrechen und sie ging unter. „KARI“, schrien Tai und Gatomon im Chor. „Scheiße“, schimpfte TK, zog sich sein Shirt und die Schuhe aus und lief zum Meer. „Nicht TK“, rief Yolei ihm hinterher. Ohne Umschweife hechtete er ins Wasser. Erschrocken sah ich ihm nach. Er wird etwas verlieren, genau, wie sie es schon verloren hat, ging es mir durch den Kopf. Dann war TK im dunklen Meer verschwunden. Einzig Nymphmons Lachen war noch zu hören. Kapitel 7: Kriegerin des Lichts ------------------------------- Wir hielten alle den Atem an. TK war schon lange verschwunden. Tai lief ungeduldig auf und ab. Nervös knabberte er an seinen Fingernägeln herum und konnte nicht beruhigt werden, egal was Matt sagte. Aber auch Gatomon schien aufgebracht und stand vor dem Meer. Seinen Blick konnte es nicht abwenden. Ich war kraftlos zu Boden gesunken und saß im Sand. Yolei neben mir, die ihre Arme um mich gelegt hatte, aber trotzdem besorgt aufs Meer sah. Das Meer. Der Ruf war etwas leiser geworden, doch mein Kopf schmerzte noch immer. Dann tauchte ein blonder Haarschopf im Wasser auf und schwamm mit gleichmäßigen Zügen dem Ufer entgegen. Als er stehen konnte sahen wir erst den zweiten Kopf. Er zog sie vor seinen Körper und trug sie auf beiden Armen. Erleichtert atmete Tai auf und lief ihnen entgegen. Zitternd hielt er seine Hände an ihren Körper und traute sich gar nicht seine Schwester anzufassen. Er sa zu TK und wieder zu ihr. Langsam waren wir zu ihnen getreten, aber Karis Brust hob und senkte sich. Sie lebte. Aus dem Schnitt an ihrem Schlüsselbein trat wieder Blut hervor. „Danke“, murmelte Tai. Matt legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes und lächelte TK an. „Lasst uns von hier verschwinden“, schlug Yolei vor, „dieser Ort ist gruselig und wir müssen Kari zu Kari bringen.“ Wir nickten. Überfragt standen wir im Krankenzimmer. Kari lag blass in ihrem Bett. Auch sie hatte eine Wunde am Schlüsselbein, aus der Blut hervor trat. Dann drängte sich TK an uns vorbei und legte die Meer-Kari zu der anderen. Sie verschmolzen zu einer. Nun schob sich Sora an uns vorbei und versuchte die Blutung zu stoppen. Mimi saß derweil überfordert in der Ecke. Sie wäre fast ausgerastet, als Kari plötzlich angefangen hatte zu bluten und sie überall nass war – hatte Izzy gesagt. Besagter holte gerade den Arzt. Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl nieder und versuchte das Rauschen aus meinem Kopf zu bekommen. Doch als der Arzt kam, scheuchte er uns wieder auf um Kari untersuchen zu können. Ungeduldig warteten wir draußen. „Was ist denn, TK?“ Erschrocken sahen wir zu den Brüdern. Matt hatte seinen kleinen Bruder an den Schultern gepackt und schüttelte ihn leicht. Dieser sah auf seine Hände und dann in die Augen des Älteren. „Was ist denn los?“, wollte Sora wissen. „Ich weiß es nicht“, Matts Stimme zitterte, er machte sich Sorgen, „er will etwas sagen, aber es kommt kein Ton.“ „WAS??“, schrie Mimi auf, die schon wieder völlig am Ende war. Sofort eilten Tai und Izzy zu ihr und versuchten sie zu beruhigen. „Das Wasser“, murmelte Yolei. Die Blicke richteten sich zuerst auf sie und dann auf mich. „Möglich“, meinte ich, „das Meer nimmt dir, was dir am Herzen liegt.“ „Seine Stimme liegt ihm am Herzen?“, Matt musterte mich ungläubig. Stille trat ein. Wirklich plausibel klang es nicht. Aber was für einen Grund sollte es sonst haben, dass er nicht mehr sprechen konnte. „Vielleicht“, überlegte Tai, „ist ihm nicht seine Stimme wichtig, aber sich mit Kari auszusprechen.“ „Du meinst, dass es ihm wichtig ist, dass er ihr etwas sagen möchte und es somit nicht mehr kann?“, sinnierte Yolei. Zögerlich nickte der Blonde. Sein Kopf war dem Boden entgegen gerichtet. Er bereute, was er getan hatte, das war ihm deutlich anzusehen. Ich verstand wie er sich fühlte, so hatte auch ich mich gefühlt, als ich erkannte, was ich getan hatte. ► ▼ ▼ ◄ Nebel. Nebel war um mich herum. Es schien, als würde ich schweben. Es fühlte sich komisch an, weder richtig noch falsch. Nicht gut und nicht böse. Und trotzdem war ich hier. Wo war ich? Weshalb war ich hier? Wer war ich? War ich überhaupt jemand? Ich wusste es nicht. Ich sah an mir herunter und ließ dann meinen Blick schweifen. Ich erkannte ein Licht vor mir, als ich mich umdrehte, war dort Finsternis. Ich war genau dazwischen. Beides zog mich gleichermaßen an. Ich konnte weder vor – noch zurück. „Vertraue auf das Licht in deinem Herzen und lass die Dunkelheit hinter dir“, hörte ich eine sanfte Stimme. „Wer bist du?“, flüsterte ich in den Nebel. „Ein Freund.“ „Freund?“ „Ja, ich war immer an deiner Seite.“ „Wieso?“ „Weil wir Freunde sind.“ „Und warum bist du nun hier?“ „Du bist verwirrt.“ „Kannst du mir sagen, wer ich bin?“ „Du bist die Kriegerin des Lichts.“ „...Licht...“ „Ja, das Licht in deinem Herzen strahlt heller und vertreibt jede Dunkelheit aus der Welt.“ „Das Licht in meinem Herzen?“ „Ja, und das Licht muss wieder erstrahlen. Du musst zurück.“ „Wohin zurück?“ „Nach Hause. Es wartet. Es wartet wieder nur auf dich.“ „Wer?“ „Gatomon.“ „Gatomon“, murmelte ich. „Ja, kleine Kriegerin. Du musst an meiner Stelle auf Gatomon aufpassen.“ Stille kehrte ein. Ich kannte diese Stimme. Sie kam mir so vertraut vor. „Wer bist du?“, hauchte ich ihm entgegen. „Ein alter Freund, der nicht mehr die Möglichkeit dazu hat, aber du." Kapitel 8: Vergessenes Licht ---------------------------- Langsam öffnete ich meine Augen. Mein Kopf schmerzte und auch mein Arm fühlte sich komisch an. Ich hatte den Geruch von Meer in der Nase. Salzig und sandig. Ich blinzelte mehrmals. Vor mir wollte nichts scharf werden. Ich erkannte nur verschwommene Umrisse, die sich mit der Zeit klärten. Erschrocken riss ich die Augen auf und drückte mich in das Kissen hinter mir. Ich lag in einem Bett oder lehnte halb – die eine Hälfte war etwas schräg. Verwirrt sah ich in die Gesichter vor mir. Neben mir waren ein Mann und eine Frau, welche weinte und mich lächelnd ansah. Rund um das Bett waren auch Jugendliche. Mein Herz pochte schneller und meine Atmung passte sich dem Tempo an. Meine Hände krallte ich ins Bett. „Oh Kari“, flüsterte die Frau und streckte ihre Hand nach mir aus. Davon abgeschreckt zuckte ich nach rechts und beobachtete die Hand panisch. Dann kam von links eine Stimme, „Kari, alles in Ordnung.“ Ein Junge mit braunen, zerstrubbelten Haaren. Ich rutschte in die Mitte des Bettes zurück und beobachtete ihn misstrauisch. Dann drängte sich ein Mann in einem weißen Kittel ans Bett. Auch er streckte eine Hand aus. Ich ging mit dem Kopf nach hinten, dann streiften seine Fingerspitzen mein Kinn und hielten mich damit etwas ruhig. Mit leicht geöffnetem Mund starrte ich sie an. Er zog ein Lämpchen heraus und leuchtete mir in die Augen, dann lehnte er sich auch schon wieder zurück. „Weißt du wo du bist?“, wollte er sachlich wissen. Ich schüttelte langsam den Kopf. Ich sah wieder in die Runde. „Wer seid ihr?“, ich begutachtete jeden einzeln. „Karii“, wieder kamen der Frau Tränen und sie schluchzte los. Verwirrt legte ich den Kopf schräg. „Das habe ich mir bereits gedacht“, sagte der im weißen Kittel, „sie hat eine leichte Amnesie.“ „Amnesie?“, wollte ein Mädchen mit rosa Haaren wissen. „Gedächtnisverlust“, erwiderte ein Junge mit blauen Haaren und Brille. Gedächtnisverlust? Verwirrt sah ich an das Fußende des Bettes. Dort standen zwei Jungen. Beide blond und irgendwie ähnlich. Der eine war größer und schien erwachsener. Der andere kindlicher und niedergeschlagener, aber trotzdem strahlte er eine Weisheit aus und er hatte etwas, was ich nicht beschreiben konnte. Er hielt ein weißes Plüschtier auf den Armen, mit lila Akzenten und einer Katze gleich. Sie sah süß aus. ► ▼ ▼ ◄ „Kari“, der braunhaarige setzte sich wieder an mein Bett, „ich bin Tai, dein Bruder“, versuchte er es erneut. Nach mehrmaligen Aufsagen war er aufgestanden, im Raum herum gelaufen und hatte sich nun wieder gesetzt, nur um gleich wieder aufzustehen. Interessiert beobachtete ich ihn dabei. Ich hatte einen Bruder? Das sagte er zumindest immer wieder. Das vorhin waren meine Eltern gewesen und alle anderen hier meine Freunde. Die mit den rosa Haaren hieß Mira und die andere Somi … nein … ich runzelte die Stirn. Die linke hieß Izzy … nein, auch nicht richtig, das war der Junge an dem PC. Mimi und Sora hatten sie gesagt. Die zwei Blonden waren Brüder der kleine war Matt und der große TK. Ich biss mir auf die Unterlippe. Nein, anders rum. Das Tier hatte auch angefangen zu sprechen, nachdem die Erwachsenen weg waren. Es ist Gotamon oder so ähnlich. Es sprach etwas von Partner und Freunden. „Ich kann mich an keinen erinnern“, murmelte ich und knüllte die Decke zwischen meinen Händen zusammen. „Kari“, der Braunhaarige seufzte und fuhr sich übers Gesicht. „Licht“, murmelte ich, „ich habe Licht und Dunkelheit gesehen“, ich sah aus dem Fenster, dann wanderte mein Blick zu … meinem Bruder, „eine Stimme sagte etwas von Kriegerin des Lichts. Wer ist das?“ Ich blickte ihn erwartungsvoll an. Er fing an zu grinsen, auch die anderen atmeten auf, „das bist du, liebste Schwester“, er setzte sich zu mir, zog ein Bein mit aufs Bett und strich mir über die Wange, „du bist das Licht“, er küsste mich auf die Stirn. Es war unangenehm. Er war so nah. „Was hat die Stimme noch gesagt?“, wollte das Tier wissen. „Dass Gatomon auf mich wartet“, murmelte ich, als ich es ansah, „wer ist Gatomon?“ Ein allgemeines Schnauben. Aber das Tier blieb ruhig und lächelte, „das bin ich“, es tippte sich auf die Brust. „Weißt du wer die Stimme war?“ Ich schüttelte den Kopf. Der mir mittlerweile zu zerplatzen drohte. Auch wenn ich diese Leute nicht kannte, es war ein befreiendes Gefühl so unwissend zu sein. Sie schienen nett zu sein. Aber etwas hielt mich davon ab, mich an sie zu erinnern. Als wäre etwas schlimmes passiert. Mein Blick glitt zu einem Jungen der an Tai heran trat. Er hatte dunkle Haare und hieß Ken. ► ▼ ▼ ◄ Vorsichtig war ich zu ihrem Bruder getreten. Sie sah mitgenommen aus. Aber auch zufrieden. „Tai“, flüsterte ich ihm ins Ohr, „ich wüsste vielleicht eine Möglichkeit, dass sie sich wieder erinnern könnte.“ Wie vom Blitz getroffen sah er mich an und war sofort auf den Beinen. Er packte mich am Arm und zog mich vom Bett weg, dabei winkte er den anderen zu, dass sie sich um Kari kümmern sollten. TK ging zögerlich zu ihr und setzte sich zu ihr. Er lächelte leicht und ließ immer noch den Kopf hängen. Er konnte immer noch nicht sprechen und sie konnte sich nicht an ihn erinnern. „Was meinst du?“, riss mich Tai zischend aus den Gedanken. Matt war zu uns getreten. Auch er sah mich auffordernd an. „Es scheint, als würde es ihr gefallen, sich an nichts erinnern zu können. Als würde sie sich selbst davor schützen wollen. Das muss ihr Nymphmon eingeredet haben, dass das gut für sie ist“, ich sprach leise und hoffte, dass sie mich nicht unterbrechen würden. „Was meinst du also sollten wir tun?“, wollte der blonde wissen. „Nun ja, momentan ist das das Wichtigste bei ihr.“ „Du meinst doch nicht, wir sollen sie wieder ans Meer der Dunkelheit bringen“, Tai packte mich unsanft an beiden Schultern und schüttelte mich leicht. „Beruhige dich“, Matt legte seinem Freund die Hand auf die Schulter, „vielleicht hat er recht, es ist nichts zu verlieren. Und vielleicht wurde ihr wirklich durch das Meer die Erinnerung genommen. Es war ihr doch immer so wichtig und du sagtest selbst, dass sie sich an weit vergangene Dinge erinnerte“, er machte eine Pause und sah zu seinem Bruder, „vielleicht hilft das auch TK.“ Tai ließ von mir ab und sah ebenfalls zum Bett. Seine Schwester musterte den Blonden neugierig. Sie fragte ihn etwas, doch er ließ nur den Kopf hängen und sah zu Gatomon, diese antwortete für ihn. Es war ein trauriges Bild. „Hoffnung und Licht“, murmelte der ehemalige Anführer. „Ja, vielleicht hilft es ihm auch“, er seufzte und lächelte seinen Freund müde an. „Versuchen wir es.“ Kapitel 9: Mein Licht --------------------- Mein Bruder hatte mich recht früh aus dem Bett gezerrt, ich war eine Nacht in meinem Zuhause gewesen. Er hatte mich dirigiert mich zu duschen und mir Klamotten in die Hand gedrückt, welche er aus dem Kleiderschrank gezogen hatte. Immer noch hatte ich Kopfschmerzen und konnte kaum Sachen alleine machen. Es schmerzte mit der Schiene zu schlafen, aber sie hielt mich ruhig. Wegen meinem Arm nahm ich teilweise immer noch Schmerzmittel und gleichzeitig halfen sie bei Kopfschmerzen. Nachdem ich etwas gefrühstückt hatte, hatte er mich auch schon aus dem Haus geschleust. Unsere Mutter war unterwegs und würde bald zurückkommen und unser Vater beim Arbeiten – hatte er gemeint. Verwirrt war ich ihm gefolgt. So wusste ich es doch nicht anders. Auch das weiße Tier war uns hinterher – Gatomon. Beide versicherten mir, dass mit mir nichts passieren würde. Trotzdem zogen sie mich durch die Straßen. Bis wir letztendlich in einem Park ankamen. Dort waren wieder … meine Freunde. Gequält sah ich ihre Gesichter an und erkannte ein paar Unbekannte. Das hier waren mir schon wieder zu viele Menschen. Ich hatte mich an das allein sein gewohnt. Es war schön. Ich liebte es schon fast. Es tat gut, dann nervte mich niemand. „Kari, wir möchten mit dir eine Reise machen“, sagte der Braunhaarige neben mir. „Eine Reise?“, ich legte den Kopf schräg. Panik stieg in mir hoch. Er sagte das irgendwie seltsam. „Du musst keine Angst haben“, ein braunhaariges Mädchen kam auf mich zu – Mimi erinnerte ich mich. „Kommst du auch mit?“, wollte ich von ihr wissen und sie nickte. Sie streckte die Hand nach mir aus, als ich nicht reagierte, kam sie näher und legte den Arm um mich. Tai lief währenddessen zu dem Jungen am Computer und wollte von ihm wissen, ob er so weit sei. „Wohin gehen wir und wie?“, fragte ich das Mädchen neben mir. „Durch den PC.“ „Komen alle hier mit?“, ich senkte den Kopf und versuchte sie nicht anzusehen. „Wenn du nicht willst, dann nicht“, lächelte sie sanft. Ich schüttelte den Kopf und sie gab Tai ein Zeichen. Dieser zählte ein paar Namen auf und entsprechende Personen traten näher. Das war fast … wie hieß das noch gleich … wie in der Armee. Tai nickte Ken zu und der ging mit einem kleinen schwarzen Gerät zu ihnen. Er hielt es auf den Laptop, welcher zu leuchten begann. Alle sahen mich erwartungsvoll an, dann schob mich Mimi sanft weiter. Wieder Panik. Ich sträubte mich leicht dagegen, aber schnell merkte ich die Schmerzen in meinem Arm wieder. Schließlich gab ich nach und machte die Augen zu, als ich in den PC gezogen wurde. Ich saß. Weich – wie ich feststellte. Langsam machte ich erst das eine Auge und dann das andere Auge auf. Ungläubig blinzelte ich. Ich war am Meer. Alles war grau und schwarz. Ich selbst saß im Sand. Das war nicht mehr der Park in dem wir zuvor waren. Mühsam rappelte ich mich auf die Beine. Ich rutschte immer ein kleines Stück weg. Ich drehte mich um und wusste nicht, ob ich mich erschrecken oder mich freuen sollte. Dort standen Tai, Matt, Mimi … ich grübelte … Ken und TK und natürlich Gatomon. Unschlüssig sah ich sie an. Sie standen zwei Meter entfernt und beobachteten mich. „W-was machen wir hier?“, flüsterte ich, „und wo sind wir?“ „Am Meer“, meinte Ken. Neugierig sah ich ihn an. Dass das ein Meer war, hatte ich auch schon bemerkt. Aber er schien verändert. Nicht so wie gestern oder vorhin noch. Es war nicht seine Haltung oder sein Tonfall – es war mehr in ihm, was sich verändert hatte. „Das Meer der Dunkelheit“, er kam ein Stück näher und sah auf das Wasser. Als er neben mir stand, drehte auch ich mich wieder um. Dann sah ich ihn an. Es war das Meer, was etwas bei ihm berührt hatte. Konnte er nicht schwimmen? Unterbewusst merkte ich, dass wir uns ähnlich waren. Ich konnte nur nicht sagen weshalb. Mein Blick wanderte wieder zu dem Meer vor mir. Das Rauschen klang zutraulich in meinen Ohren. Ich schloss die Augen und merkte wie es sich in mir einnistete und sich ausbreitete. Es füllte mich aus. Es beraubte mich meiner Sinne. Als ich die Augen öffnete, merkte ich erschrocken, dass ich knietief drin stand. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich in das Wasser und hatte aus Reflex die Hände auf Brusthöhe gehoben. Schnell stolperte ich zurück und landete im Sand. Mein Atem ging panisch und mein Herzschlag raste. Verwirrt sah ich, dass mein Arm eingegipst war. Ich versuchte alles zu realisieren und erinnerte mich. Ich war von der Klippe gefallen, das Meer hatte mich gerufen und dann war ich hier. Am Meer. Es hatte mich magisch in seinen Bann gezogen. Nymphmon. Nymphmon hatte es sich genannt. Sie hatte nach mir gerufen. Dann Wizardmon's Stimme. Es war alles da. Die Erinnerungen waren zurück. Alle hatten sie mich gerufen und nach mir gesucht. Neben mir tauchte ein blonder Haarschopf auf. Ich riss meinen Kopf herum und sah in die blauen Augen von TK. „Du“, zischte ich und war mit einem Satz auf den Beinen, „fass mich nicht an“, meine Augen verengten sich und ich trat etwas zurück. „Kari, es...“, hauchte er mir entgegen. „Kari“, warf Tai ein. „Hört mit eurem mitleidigen Kari auf“, ich stampfte mit dem Fuß in den Sand und merkte dann selbst, wie sinnlos das war. „Ich kann es nicht mehr hören.“ „Aber Kari...“ Mein Blick ging wieder zu dem Blonden. Erst schrie er mich an, machte mich fertig und was war das schon wieder für ein Versuch mich fertig zu machen? Ich konnte es langsam nicht mehr hören. Und ich hielt es langsam nicht mehr aus. Ich wandte mich an Ken, „bring mich nach Hause“, ich ging zu dem Dunkelhaarigen. „Kari … es tut mir leid, es war meine Schuld“, hörte ich noch leise hinter mir. Kapitel 10: Dein Licht ---------------------- Seit jenem Tag verkroch ich mich in meinem Zimmer. Die erste Woche konnte ich noch beruhigt Zuhause bleiben, ab der zweiten Woche musste ich wieder in die Schule. Wobei immer noch der Sportunterricht für mich ausfiel. Allein saß ich dort neben dem Spielfeld und sah den anderen zu. Als der Lehrer in seine Trillerpfeife blies rappelte ich mich auf und lief zum Ausgang. Meine Tasche hatte ich bereits um meine Schulter hängen, ich brauchte nur noch meine Schuhe. Ich hörte Davis bereits hinter mir herrufen, doch ich ignorierte ihn, ich brauchte Zeit für mich. Es war zu viel passiert. Und ich wusste nicht wohin mit meinen Gedanken. Mein Weg führte mich zu dem Park und der Klippe. Nachdem ich dort runter gefallen war, hatten sie dort relativ schnell eine Mauer gebaut, diese war noch nicht an allen Stellen fertig, daher war an diesen noch ein Metallgeländer. Hinter der Mauer war noch ein Platz von etwa zwei Meter zur Klippe. Mühsam hievte ich mich über die hüfthohe Barriere und setzte mich dort ins Gras. Stöhnend ließ ich die Tasche neben mich fallen und lehnte mich an die kühlen Steine. Es fühlte sich befreiend an, endlich allein, als wäre alles schreckliche hinter dieser Barriere verschwunden und könnte mich nicht mehr erreichen. Schnell kramte ich die kleine rechteckige Schachtel aus meiner Tasche und holte mir sofort einen Lungentöter heraus. Ich steckte ihn mir gleich in den Mund während ich noch nach dem Feuerzeug suchte. Als er angezündet war, zog ich den grausigen Geschmack tief ein, es füllte meine Lunge aus. Ich behielt den Rauch einen Moment in mir, ehe ich ihn langsam durch den Mund ausatmete. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Mauer und sah dem Horizont entgegen, es schien so weit. Ich nahm noch einen Zug. Bald musste ich zurück. Mama würde sich sonst Sorgen machen und Papa würde mir verbieten raus zu gehen und Tai würde zu meinem Bodyguard werden. Darauf hatte ich keine Lust. Aber ich wollte auch nicht wieder zu dem werden, was ich zuvor war. „Hey.“ Überrascht sah ich auf und sah den Blondschopf an, der lächelnd über die Mauer sah. Ich hustete den Rauch aus meiner Lunge. „Ich wusste, dass ich dich hier finde“, meinte er lächelnd, „darf ich mich zu dir setzen?“ „Klar“, murmelte ich und rutschte etwas zur Seite. Er kletterte über die Mauer und machte es sich neben mir bequem. Etwas verhalten sah ich zur Seite und überlegte, ob ich das Ding in meiner Hand noch möglichst unauffällig verschwinden lassen sollte. „Hast du noch eine?“ Mein Kopf schnellte zu ihm. Sprachlos blickte ich ihn an. Er zeigte währenddessen auf die Zigarette in meiner Hand. Ich reichte ihm die Schachtel, die Folie hing noch herum und in diese war das Feuerzeug geschoben. Er nahm sich eine raus und zündete sie sich an. "Keine Angst", er sah zu mir, "ich werds ihm nicht sagen, so lange du nicht zu viel davon rauchst." "Du rauchst doch selbst", konterte ich. Wir sahen uns lange in die Augen, dann lächelte er. Er hatte die gleichen Augen wie sein kleiner Bruder. "Wie geht’s dir?" "Jeder meint, er müsste sich um mich kümmern und sich um mich Sorgen, das geht mir auf die Nerven", knurrte ich das Meer an, "wieso kann ich nicht mal für einen Moment meine Ruhe haben? Die ganze Zeit werd ich kontrolliert und beobachtet. Wahrscheinlich bist du auch deswegen da." Ich sah abschätzend zur Seite und wartete auf eine Reaktion seinerseits. "Nein", er blies den Rauch der Sonne entgegen. "Aber ganz ohne Hintergedanken auch nicht." "Geht es um ..." "Ja!" "Ich will nichts davon hören." "Wieso?" "Erst schnauzt er mich an, dann zieht mich der doch so mutige aus dem Wasser und ist plötzlich wieder wie früher zu mir. WAS SOLL DAS?", betonte ich. "Er hat eingesehen, dass er falsch lag", Matt blieb ruhig. "Ach ja? Dann kannst du mich sicher sagen, was ich denn getan haben soll", frustriert zog ich an der Zigarette. "Irgendwas mit einem Typen in dem Cafè wo du auf TK gewartet hast." "Du meinst den, der sich einfach zu mir gesetzt hatte?" Er sah mich verwirrt an, "also dafür, dass du auf den Kopf gefallen bist, hast du ein gute Gedächtnis." "Pf", rümpfte ich die Nase. "Kari, ihm tut es wirklich leid", redete er weiter. "Ja, jetzt. Aber zuvor hatte er mich gar nicht ausreden lassen. Wie soll ich in so einen Menschen vertrauen, der ein einzige Mal an mir gezweifelt hatte?" "Indem du es einfach wieder tust. Hoffnung ..." "Ja, ja, ja. Hoffnung und Licht", unterbrach ich ihn, "könnt ihr auch mal was anderes?" "Ja, Licht und Hoffnung", grinste er, "Kari, jetzt musst du ein Mal hoffen. Und vertrauen. Er liebt dich!" Verwirrt sah ich ihn an und schnaubte, "als ob." "Doch, wirklich. Meine Mutter hat mich aus lauter Verzweiflung angerufen, er isst seit Tagen nicht richtig." Ich seufzte, "gut, ich rede mit ihm." Ich hatte darauf keine Lust mehr. So schob ich mich an der Mauer auf die Beine und legte meine Tasche darauf. Ich sah noch einmal zu dem Blonden und schwang mich dann über die Steine. Er folgte mich keine fünf Sekunden danach. "Du bist ein Engel", er zog mich in eine Umarmung. "Nein, das lassen wir", murmelte ich und löste mich von ihm, "ich bin kein Engel, ich bin nicht einmal das Licht, um es noch anzumerken." "Dein Wappen wird wieder, dann bist du wieder ganz die Alte." "Ich will nicht mehr die Alte werden", erwiderte ich. "Das ganze hat mich verändert und das ist gut so. Ich bereue nicht, was ich getan habe. Ich sage lediglich, dass ich solch eine Erfahrung nicht wieder machen möchte, aber ich werde nie wieder die Alte sein." "Hauptsache du verletzt dich nicht mehr." "Das nicht!" Ich spürte ein kleines Fünkchen Wärme in mir. Es hat geholfen zu sagen, dass ich das nicht mehr bin und nicht mehr so sein möchte. Und ich hoffte meine Freunde würden das verstehen. Ich schmunzelte. Ich dachte wirklich an 'die Anderen' als meine Freunde. "Du hast gelächelt", stellte Matt sichtlich zufrieden fest. "Habe ich nicht", hielt ich dagegen. "Doch, aber bitte rede jetzt mit TK." "Jetzt gleich?", bei dem Gedanken wurde mir etwas flau im Magen. Er hatte doch eigentlich damit angefangen. Er war es, der das Ganze ins rollen gebracht hatte. Aber … wir waren so viele Jahre Freunde gewesen. Und … ich liebte ihn … egal was ich versucht hatte, je mehr ich versucht hatte diese Gefühle zu verdrängen, desto stärker kamen sie zurück. Da hat auch der größte Schmerz nichts dagegen machen können. Und … es war TK. "Du lächelst wieder", grinste Matt. "Tu ich nicht!!", rief ich aus. Aber er hatte recht. Ich hatte es selbst gemerkt, dass ich es getan hatte. Bei dem Gedanken an TK. Nichts konnte an meinen Gefühlen für ihn etwas ändern. Kapitel 11: Unser Licht ----------------------- Matt hatte mich zu seinem jüngeren Bruder geschleift. Er hatte auf die Türklingel gedrückt und stellte sich etwas entfernt auf, falls ich die Flucht ergreifen wollte. Aber auch so, dass TK ihn nicht sehen würde – zumindest nicht, wenn er sich nicht aus der Tür lehnen würde. Ich konnte nicht in Gedanken fassen, wie ich mich gerade fühlte. Es war, als würde ich auf meine Hinrichtung warten. Meine Stirn lag in Falten und ich zog einen Schmollmund, während ich an Matt dachte, denn böse ansehen durfte ich ihn nicht. Ich hatte mich zum schmollen entschieden, da es einfacher war, als mit TK zu reden. Die Zeit verging. Eine Minute. Zwei. Vielleicht auch drei gingen vorüber. Ich starrte den unteren Teil der Türe an. Schritte waren von drin zu hören. Das war eindeutig TK. Er fluchte etwas von 'bescheuerte Schuhe' als er über jene stolperte. 'Wieso müsst ihr da auch so blöd stehen?', schimpfte er, seine Hand schlug gegen die Tür. Er knurrte. Mein Blick ging zu Matt, der mit dem Kopf zur Tür nickte. Seufzend sah ich wieder diese an. Quietschend öffnete sich die Tür und der Blonde sah mich völlig überrascht an. Ich sah ihm einen Moment in die Augen, dann glitt mein Blick an ihm runter und ich musterte die Umgebung. Ihm nur nicht in die Augen sehen. „Kari“, kam ihm leise über die Lippen, „wa-was machst du hier?“ Ich holte tief Luft und schnaubte, unauffällig sah ich zur Seite. Matt gestikulierte Kreise, damit ich weitermachen würde. „Kari“, versuchte er es erneut. Ich verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und überlegte, wie ich anfangen konnte. Ich fühlte immer noch etwas für ihn, aber wenn ich ihn jetzt schon wieder sah. „Kari?“, er beugte sich leicht nach vorn und wollte mir in die Augen sehen. Diese schloss ich für einen Moment, holte Luft und sah ich an. Meine Augen richtete ich verärgert auf ihn und aus meiner Kehle drang ein kurzes, leises Knurren. „WAS DENKST DU EIGENTLICH?“, schrie ich ihn an. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass nicht nur TK zusammenzuckte. „W-was?“, der Träger der Hoffnung trat einen Schritt zurück in die Wohnung. „Was glaubst du eigentlich?“, meine Stimme begann zu zittern und meine Augen wurden feucht. Die ersten Tränen sammelten sich und bahnten sich ihren feuchten Weg meine Wange hinab. „Du schnauzt mich zusammen, bist wütend auf mich, beleidigst mich und jetzt so was? Ist das dein ernst?“, brüllte ich weiter und schnaubte aufgebracht, „Was soll das werden? Du hast mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin“, meine Finger klopfte dabei gegen meine Brust. „Kari“, hauchte er mir entgegen. „Hör auf mit diesem 'Kari' ich kann das nicht mehr hören, auch dieses 'Hoffnung und Licht' geht mir auf die Nerven und daran bist du Schuld“, ich trat auf ihn zu, „ganz allein du, du hast mir alles mies gemacht“, ich pikste ihn mit meinem Zeigefinger in seine Brust. „Wegen dir bin ich hier weg. Wegen dir hatte ich ein Messer unter meinem Kopfkissen. Wegen dir kam die Dunkelheit in mein Herz. Nur wegen dir allein habe ich Albträume“, bei jedem Satz stach ich erneut mit meinem Finger zu und starrte ihn dabei finster von unten an. Die Tränen waren vorerst versiegt. „Und trotzdem ist das grausamste daran“, ich schniefte und die Tränen sammelten sich erneut, „dass, egal wie sehr du mir weh getan hast, mich beleidigt hast, wie oft du auch mein Herz in der Luft zerrissen hast oder darauf herumgetrampelt bist“, ich machte eine Pause, trat zurück und schniefte erneut. Ich versuchte den Klos in meinem Hals weg zu bekommen. Meine Wangen waren feucht. Vor TK waren die feuchten Flecke meiner salzigen Trauer noch zu sehen. „Trotzdem liebe ich dich immer noch“, meine Unterlippe vibrierte und ich konnte ihn nicht länger ansehen. Weinend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und ließ mich auf den Boden fallen. Ich fühlte mich so verletzlich. Ich hatte es ausgesprochen. All das, was sich in meinem Herzen befand und endlich heraus wollte – war nun draußen. „Kari“, hauchte er fassungslos. Ich spürte wie er neben mir in die Knie ging und eine Hand näherte sich meinem Rücken, das war wie eine Gabe. Ich zuckte etwas weg, „fass mich nicht an“, rief ich aus und starrte ihm verweint in die Augen. Mein gesamter Körper zitterte. „Kari“, hörte ich erneut, oder glaubte ich zu hören. „Was?“, ich hatte keine Kraft mehr. „Du liebst mich?“, er legte den Kopf auf die Seite. Entgeistert sah ich ihn an, „das ist das einzige was dich interessiert?“, ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. Er war sprachlos. Er bewegte seinen Mund stotternd, aber es kam kein Ton über seine Lippen. „Es war ein Fehler her zu kommen“, ich rappelte mich auf, „ich habs ja gesagt“, schrie ich in Matts Richtung. „Gott, was habt ihr beide für Probleme“, rief er zurück und trat näher. Erst da bemerkte TK seinen älteren Bruder. „Du hast gesagt, dass du ihn liebst und obwohl er ein Idiot war, hat er dich auch immer geliebt. Kari, er ist zwar ein totaler Vollidiot gewesen, weil er einfach total unüberlegt gehandelt hatte und nicht mal nachgefragt hatte, wer das war und dich damit in diese Dunkelheit getrieben hatte, liebt auch er dich.“ Er stockte, „doch eigentlich … ich bleib dabei, er ist ein Idiot. TK, du bist Schuld an ihren Narben. Kari, dich lass ich auch in Ruhe, ich zwing dich zu nichts. Ich halt mich wieder raus.“ Er ging ein paar Schritte zurück und presste seine Lippen aufeinander. Seine Hände rieb er gegeneinander und beobachtete uns aufmerksam, als wäre nichts gewesen. Mit leicht geöffnetem Mund sah ich ihn an. TK war dabei komplett verstummt und starrte seine Finger an. „Es tut mir Leid“, murmelte er. Ich zitterte immer noch. Ich kam mir so entblößt vor, so beobachtet. Ich hasste es so von anderen gesehen zu werden. Ich schüttelte den Kopf und stemmte mich auf die Beine. „Ich bin mal so frei“, nuschelte ich und trat an TK vorbei in die Wohnung. Ich brauchte gerade einen Moment für mich. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und ging ins Bad. Der Raum war kühl und fühlte sich toll auf der Haut an. Kraftlos stemmte ich mich auf das Waschbecken und ließ meinen Kopf hängen. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Doch nur einer blieb drin. Mein Körper schmerzte. Wie in Trance schälte ich mich aus meinem Shirt und starrte mein Spiegelbild an. Tiefe Augenringe waren zu sehen. Mein Körper war vernarbt. Die Narbe auf meinem Dekolletee prangte wie ein Mahnmal darauf. Sie schmerzte immer noch. Ich hatte schmerzen in meinem Herz. Mein Kopf platzte. Schniefend vergrub ich mein Gesicht wieder in meinen Händen. Dann ließ der Schmerz nach. Arme legten sich um meinen Körper. Sanft ruhte eine Hand auf meiner Hüfte und die andere an meinem Oberarm. Ein Kopf lehnte an meiner Schulter. Ich fühlte mich besser. „Ich war wirklich ein Idiot. Es ist nicht genug und wird nie genug sein – egal wie oft ich mich entschuldige. Was ich getan hatte war einfach herzlos und unverantwortlich. Ich verstehe, wenn du mich nie wieder sehen möchtest. Ich verstehe, wenn du einmal zuschlagen möchtest. Ich will dich nur nicht wieder so unglücklich sehen. Du kannst alles mit mir machen. Sag mir was ich tun soll.“ Ich mied den Blick in den Spiegel. Müde schloss ich die Augen und lehnte mich etwas zurück. Erneut liefen mir Tränen über die Wangen. Ich stand halbnackt in seinem Bad. Mein rechter Mundwinkel zog sich nach oben. „Dann bleib immer da. Liebe mich und vertreib die Dunkelheit in meinem Herzen, wie du es früher immer getan hast.“ „Nichts lieber als das.“ „Küss mich“, ich sah sein Spiegelbild an. Er drehte mich um. Seine Hand strich vorsichtig die lange Narbe entlang. Schmerz spiegelte sich in seinen Augen. Ich legte eine Hand an seine Wange, der er sich vorsichtig mit geschlossenen Augen entgegenstreckte. „Ich kann dir noch nicht verzeihen, aber noch viel weniger kann ich aufhören dich zu lieben.“ Er lächelte leicht, „das reicht mir vorerst.“ Seine Hand wanderte an meinen Hinterkopf, mit der er mich zu sich zog. Zögerlich legte er seine Lippen auf meine. In meinem Bauch machte sich ein wohliges Gefühl breit. Als seine Zunge in meinen Mund eindrang, krallte ich mich in sein Sweatshirt. Es löste ein prickeln in mir aus. Mein Herz machte einen Sprung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)