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Home is where my Heart is

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Da ich gerade Sommerferien habe und mir diese Idee schon seit Wochen im Kopf rum spukt, habe ich mich jetzt einmal an das erste Kapitel rangesetzt. Ich weiss leider noch nicht, ob ich meine andere FF jemals beenden werde...
Bitte entschuldigt mein Deutsch, es kann gut sein, dass einige Ausdrücke seltsam erscheinen, da ich seit vier Monaten kein Deutsch mehr gesprochen habe (abgesehen von ein paar wenigen Gesprächen).
Das Städtchen in Mie ist übrigens meiner Fantasie entsprungen, während die erwähnten Orte bzw. Objekte in Osaka wirklich existieren.
Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo :3 Hier wäre das zweite Kapitel! Ich hoffe, die Rechtschreibe- und Logikfehler halten sich in Grenzen.
Viel Spaß beim Lesen ^-^ Komplett anzeigen

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Der Fremde

Ein verdammtes Schokoladeneis. Das wäre jetzt genau das gewesen, was ich in dieser drückenden Hitze gebraucht hätte. Eines dieser Dinge, die zusätzlich weiße Schokoladensplitter und einen Hauch von Zimt enthielten. Ich leckte mir über die Lippen, doch alles, was ich schmeckte, war Schweiß, der mir in langen Bahnen das Gesicht hinunter lief. In meiner linken Hosentasche befanden sich zehn Yen, in meinem Schuh weitere fünf. Vielleicht konnte mir einer meiner Freunde etwas leihen, sodass es wenigsten für ein Billigeis reichte. Aber das würde nie der Fall sein, das wusste ich nur zu gut. Keiner von uns konnte sich sowas leisten und schon gar nicht Geld verleihen, das man  sowieso nie wieder zurückkriegen würde.
 

„Yuu, gibst du etwa schon auf?“, brüllte mir einer meiner Freunde zu. Kazuki. Ich musste nicht genauer hinsehen, um zu wissen, dass er ein breites Grinsen im Gesicht hatte. „Was denkst du denn?“, gab ich zurück, band mir mein schulternlanges Haar mit einer schnellen Bewegung geschickt zusammen und rannte auch schon los, soweit mich meine langen Beine trugen.
 

Fünf Minuten später fielen wir lachend nacheinander in den Sand. Sogleich stürzte ich mich auf meinen besten Freund und stopfte eine Handvoll des heißen Sandes unter sein T-Shirt. Er schrie auf und versuchte meine Handgelenke zu packen. Gerade, als er dies erfolgreich geschafft hatte, stießen drei weitere Jungs zu uns.
 

„Mann, habt ihr den Typen dort hinten gesehen? In vollem Anzug und mit Lackschuhen.“, berichtete Die, der kleinste der dreien und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Wahrscheinlich einer, der die Stadtluft satt hatte und nun in unserem Städtchen einen auf Ferien macht!“

„Einen langweiligeren Ort hätte er nicht wählen können.“, kommentierte Shinya, ein dürrer, großgewachsener Junge und ließ sich neben Kazuki und mir in den Sand fallen. „Hier gibt es nicht einmal einen verdammten Musikladen, nur Meer und ein paar Steine.“

„Ein paar Läden wären schon nicht schlecht, aber ich seh nicht ein, warum ich in eine Stadt ziehen soll, wo ich kein Schwein kenne und täglich zwanzig Treppen hochlaufen muss, nur um in mein ödes Apartment zu gelangen und danach vor dem Fernseher zu versauern.“ mischte sich nun Kazuki ein.

„In einer Stadt ist dafür die Chance geringer, dass sich der Typ mit dem man sich gerade angefreundet hat,  als Sohn des Mathematiklehrers herausstellt.“ Die kicherte, während Kazuki Shinya in die Schulter boxte. „Kann ich was dafür, wenn mein Vater dieses Formeln Zeug interessant findet?“
 

Inzwischen hatte sich alle hingesetzt und starrten nun auf das Meer. Auf die Schaumkronen auf den Wellen, die mich unwillkürlich an die eines Bieres erinnerten und ich lachte leise, während ich an den Geschmack dieses Getränkes dachte. Vor ein paar Monaten hatte Die es doch tatsächlich fertig gebracht, ein Bier aus dem Keller seines Onkels zu klauen und es mit an den Strand zu bringen. Stolz hatte er uns das Etikett mit dem Schriftzug „Asashi“ präsentiert und geschildert, wie er dabei beinahe erwischt worden wäre. Danach hatte jeder von uns einen vorsichtigen Schluck von dem befremdlichen Getränk genommen. Es hatte bitter geschmeckt. Verdammt bitter. So bitter, dass ich nur zu gerne das Gesicht gerne verzogen hätte. Aber eher würde ich im pinken Ballettkleid vor Mies größter Tankstelle tanzen, als  meinen Ekel vor Bier zu äußern.
 

Ich ließ mein Blick über meine Freunde wandern und schließlich zu besagtem Typ, der etwa zehn Meter von uns entfernt stand und telefonierte. Wenn ich mich nicht täuschte, mit einem dieser supermodernen Smartphones, die ich bereits  bei anderen Leuten in Osaka beobachtet hatte.  Ab und zu, allerdings nicht oft, kam es vor, dass Kazukis Vater durch seine Arbeit in die Nachbarpräfektur fahren musste und dabei gleich seine ganze Familie und seit ein paar Jahren auch mich mitnahm. Osaka als Großstadt war jedes Mal wieder ein Abenteuer für sich. Ich liebte es, an den zahlreichen Essständen vorbeizugehen und mir die kunstvoll dekorierten Gerichte anzuschauen, liebte, mich in  Namba, eines der Zentren Osakas, von der Menschenmenge mitreißen zu lassen und mir vorzustellen, auf der Hollywood Dream Achterbahn der Universial Studios zu reiten. Der Preis für einen Eintritt war allerdings himmelshoch und so würde dieser wohl ein Traum von vielen bleiben. Als Ausgleich lud uns Kazukis Vater  stattdessen in ein Okonomiyaki Restaurant ein, eine Spezialität aus Osaka, die nicht umsonst einen guten Ruf genoss.
 

„Woran denkst du?“ unterbrach mich Kazuki, während er mit seinem Finger Kreise im Sand zog.

„Osaka.“, sagte ich nur und folgte mit den Augen den Bahnen des entstehenden Musters.

Kazuki  nickte nur. Ich wusste, dass auch er gerne daran zurückdachte, Osaka war schließlich ein Paradies für Kinder wie uns, die nichts anderes als die Weiten von Wäldern, Feldern und dem Meer kannten und noch immer in tradtionellen Häusern mit Tatami Böden wohnten. Trotzdem war ich derselben Meinung wie mein bester Freund; Ich hätte Mie nie verlassen wollen, auch nicht, wenn ich dafür hundert Eintrittskarten für die Hollywood Dream  und lebenslanges Gratiseis bekommen hätte.
 

„Er kommt auf uns zu.“, sagte Die plötzlich.

„Wer?“

„Der Typ von vorhin.“
 

Und wirklich. Der Mann im Geschäftsanzug schien uns direkt anzusteuern. Schwerfällig erhebten wir uns  und blickten ihm entgegen, neugierig und etwas schüchtern zugleich.

„Hallo ihr.“, begrüsste uns der Mann, worauf wir flüchtige Blicke unter uns austauschen. „Guten Tag.“, übernahm Kazuki schliesslich die Führung des Gespräches und wir deuteten alle mit dem Kopf eine kurze Verbeugung an.

„Ich sollte meinen Sohn bei einem Geschäft namens ‘Baskin-Robbins‘ abholen“, begann  der Mann und ich erkannte sogleich an seinem Dialekt, dass er nicht aus der Kansai Region stammen konnte, „allerdings kenne ich mich hier alles andere als aus, wisst ihr zufällig, wo es sich befindet?“

Und ob wir das wussten. Das Geschäft verkaufte die beste Eiskreme der ganzen Kansai Region und das auch noch zu einem untererwartend niedrigen Preis.
 

„Ich kann Sie dorthin bringen, wenn Sie möchten.“, bot Kazuki an. „Das wäre nett, danke.“ Der Mann nickte und wischte sich mit einem Taschentusch den Schweiss, der sich in Form von kleinen Perlen zeigte, von der Stirn. „Kommst du mit Yuu?“, wendete sich mein bester Freund nun fragend an mich und ich nickte ohne lange nachzudenken. Die Neugier siegte über meine anfängliche Schüchternheit. Die, Shinya und auch Takeru, der fünfte im Bunde, entschieden sich hier zu bleiben, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob der Grund dafür ihre Faulheit oder Schüchternheit war.

Wir verliessen mit dem fremden Mann an unserer Seite den Strand und befanden uns schon bald an einer kleinen Kreuzung. Während wir auf das Signal der Ampel warteten, warf ich ihm einen verstohlenen Blick zu.

Aus welcher Präfektur er wohl stammen mochte? Ich hatte nie Dialekte aus anderen Regionen gehört, jedenfalls nicht bewusst wahrgenommen und so blieb ein großes Fragezeichen zurück.
 

Der Fremde hatte meinen Blick anscheinend bemerk t und öffnete nach einem kurzen Moment den Mund. „Ist heute echt heiß, was?“, begann er.  Kazuki und ich nickten synchron.
 

„Machen Sie hier Ferien?“, platzte mein bester Freund schließlich heraus. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. Hier war es ganz normal, dass man auch mal mit einem Fremden eine lockere Konversation begann, doch Außenstehende empfanden diese Neugier oftmals als aufdringlich und unhöflich. Das hatte mir jedenfalls unser Geschichtslehrer, der ursprünglich aus Shikoku stammte, erzählt.

Zu meiner Überraschung bejahte der Mann ohne zu zögern. „Ich bin gestern angekommen und mein Sohn sollte heute nachkommen.“

„War er es, mit dem Sie vorhin telefoniert haben?“ „Kazuki“, zischte ich peinlich berührt und warf dem Fremden einen entschuldigenden Blick zu, der nun einen leicht verwirrten Ausdruck aufgesetzt hatte. „Ja, woher auch immer du das weißt.“
 

Wir überquerten die Strasse, als das grüne Männchen an der Ampel aufleuchtete. „Er hätte eigentlich am Bahnhof warten sollen, aber natürlich hat er wieder einmal nicht auf mich gehört und sich nun irgendwo in diesem Städtchen verirrt. Dieser Junge hat einen unglaublich schlechten Orientierungssinn.“

„Das vermute ich auch, wenn er sich gleich  in so einem Kaff wie diesem Städtchen verirrt.“ Kazuki lachte heiter. Erneut ermahnte ich ihn, indem ich ihn in die Schulter boxte. Mein bester Freund entsprach nicht nur dem Klischee einer extrovertierten Kansai Person , vielmehr noch nahm er  selbst vor Fremden kein Blatt vor den Mund.
 

Wir folgten der Hauptstraße, die im Vergleich zu Osakas beinahe schon als Landstraße durchgehen konnte und bogen dann in das einzige Einkaufsviertel, das unser Städtchen zu bieten hatte, ab.

Die Mittagssonne brannten nun noch heißer auf unsere Köpfe herab und je näher wir dem Eiskreme-Geschäft kamen, desto grösser wurde mein Verlangen nach dieser Süßigkeit.
 

Schließlich erreichten wir das kleine Gebäude, welches seinen Platz zwischen unserem Supermarkt und der Post gefunden hatte. Davor stand ein Junge, dessen komplett schwarze Bekleidung einen extremen Kontrast zu seinem wasserstoffblond gefärbten Haar bildete. Er hatte klobig aber moderne Kopfhörer aufgesetzt und wippte seinen Kopf im Takt der Musik. Eine über groß wirkende Sonnenbrille verdeckte seine Augen.
 

„Da bist du ja!“, rief sein Vater, der Ärger in seiner Stimme war nicht zu überhören. Sein Sohn blickte überrascht auf, als wir uns vor ihn stellten und riss sich dann die Kopfhörer hinunter.
 

„Dad! Tut mir echt leid, ich dachte, ich würde das Hotel alleine finden.“, begann er in einer tiefen, überraschen wohlklingenden Stimme und drehte dann seinen Kopf in unsere Richtung. Er runzelte die Stirn.

„Die beiden haben mir hierher geführt.“, übernahm sein Vater auch schon die Erklärung. „Jetzt nimm diese Sonnenbrille runter, ich will dir gefälligst in die Augen sehen können, wenn ich mit dir spreche!“ Der Junge verschränkte nur die Arme. Kazuki und ich sahen uns unwohl an. Keiner von uns beiden hatte Lust, in einen Familienstreit zu geraten.
 

„Du brauchst deine Augen gar nicht zu verstecken“, fuhr der Mann, der neben dem kleingewachsenen Jungen wie ein Riese wirkte, fort, „ich weiß, dass du dich wieder geschminkt hast.“

„Das ist meine Sache.“, antwortete sein Sohn trotzig. „Aber ich bin dein Vater und du bist mein Sohn und nicht meine Tochter. Nun nimm sie schon ab oder du wirst einen Monat lang ohne deine Freunde auskommen müssen.“

Der Junge schnaubte, griff dann aber doch zum Bügel seiner Sonnenbrille und ließ sie langsam von seiner Nase gleiten. Darunter kamen stahlblaue Augen hervor. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen.

Morgendliche Begegnung

Sein Blick streifte mich nur den Bruchteil einer Sekunde, doch es reichte aus, um ein seltsames Gefühl in meinem Bauch zurückzulassen.
 

Sein Vater seufzte. "Ich sollte dir dieses Make-Up Zeug eigentlich schon lange weggenommen haben." Unzufriedenheit lag in seinen Augen, als er seinen Sohn musterte. Auch Kazuki und ich konnten nicht anders, als ihn anzustarren. Mir war durchaus bewusst, dass er Kontaktlinsen trug und trotzdem sass die Wirkung.

Ich hatte auf der Strasse noch nie jemanden mit einer anderen Augenfarbe als Braun gesehen. Sein Stil konnte man wohl unter 'Visual Kei' einordnen, der auch hier ab und zu zu sehen war. Ich hatte allerdings schon immer großen Respekt von diesen Leuten gehabt, vor ihrer dunklen, düsteren Kleidung, den Nieten und diesem Fremden, mit dem ich nicht wusste, wie umzugehen. Und jetzt stand ein solcher Typ vor mir und ich war nicht minder verunsichert.
 

Er klopfte ungeduldig auf seinen gigantischen Koffer, der mir erst jetzt auffiel. "Können wir jetzt zurück zum Hotel Dad?"

Besagter Vater nickte. "Gleich. Ich würde diesen Herren hier als Dank aber vorher aber gerne noch ein Eis spendieren. ", wandte er sich nun an uns und Kazuki und ich warfen uns einen kurzen, ungläubigen Blick zu. Keiner von uns hatte mit so einer Belohnung gerechnet, doch da stand der Mann, zückte auch schon seine Geldbörse. "Welche Eissorte hättet ihr gerne?"
 

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"Ihr hättet eben mitkommen müssen, dann hättet ihr auch eins bekommen." Mein bester Freund und ich waren inzwischen zu unseren Freunden an den Strand zurückgekehrt, die nun neidisch unser Eis betrachteten.

"Im Gegensatz zu euch, hätte ich auf keine Belohnung bestanden.", meinte Shinya tadelnd, "Bescheidenheit ist das, was wir brauchen. Anders gesagt, die Welt braucht einen Menschen wie mich!"

"Das war gerade sehr bescheiden von dir.", erwiderte Kazuki, nachdem gerade die Hälfte seines Erdbeer-Schokoladen Eises in seinem Mund verschwunden war. Wir lachten.
 

Am nächsten Morgen erwachte ich durch das schrille Schreien eines Babys. Ein langer Seufzer entglitt mir. Wieso musste meine Schwester auch gerade dann zu Besuch kommen, wenn ihr Kind das erste Mal zahnte? Sie war vor zwei Jahren mit ihrem Ehemann nach Nara gezogen und führte dort als Mutter und Firmenangestellte ein so beschäftigtes Leben, dass es ihr nur selten möglich war, uns zu besuchen. Jetzt hatte sie aber beschlossen, vier Tage Urlaub zu nehmen und diesen mit ihrem Kind in ihrer Heimatstadt zu spenden.
 

Mit einem genervten Blick auf meinen Wecker musste ich feststellen, dass wir gerade mal 5:23 hatten und es somit für mich noch lange nicht an der Zeit gewesen wäre, aufzustehen, doch mein Neffe ließ mir anscheinend keine andere Wahl. Langsam schälte ich mich aus der Fleecedecke und stand schwerfällig auf.
 

Meine Mutter befand sich bereits in der Küche und war gerade dabei, das Geschirr von gestern Abend spülen.

"Wieso können Babys ihr Schreien nicht auf eine spätere Stunde verschieben?", knurrte ich und trat zu ihr an die Küchentheke. "Guten Morgen erst mal.", begrüsste meine Mutter mich und warf mir einen alles sagenden Blick zu. "Morgen.", erwiderte ich deshalb brav die Begrüßung.

"Glaub mir, du wirst dich dann noch daran gewöhnen, wenn du selbst einmal Kinder hast."

Diesen Moment wollte ich mir noch gar nicht vorstellen. Kleine Kinder waren ja wirklich süß, doch so unschuldig, wie sie immer porträtiert wurden, waren sie dann doch nicht.
 

Meine Mutter stellte mir kurze Zeit später je eine Schüssel mit Reis, eine mit Miso Suppe und ein paar Behälter, die gekochtes und eingelegtes Gemüse enthielten, hin.

"Ich habe gestern vergessen, neuen Gerstentee aufzusetzen, du wirst dich wohl oder übel mit Schwarz- oder Grüntee abfinden müssen!"

"Was ist mit dem Lachs von gestern geschehen? Ich dachte, da wäre noch was übrig geblieben?", wollte ich wissen und sah auf das Frühstück, das heute weder Fisch noch Fleisch zu enthalten schien.

"Den hat dein Bruder vor dem Zubettgehen gegessen."

Ich grummelte. Dieser Morgen begann ganz und gar nicht so, wie ich es wollte. "Haben wir wenigstens noch Onigiri da? Ich wollte heute mit Kazuki und den anderen Surfen gehen und diese mitnehmen!"

"Heute?", meine Mutter zog eine Augenbraue hoch, "Für heute Abend haben sie in den Nachrichten einen Taifun angesagt, da werdet ihr mir sicher nicht surfen gehen! Sag nicht, du hast davon nicht gehört?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich setzte mich nur selten vor unseren alten Fernseher und schon gar nicht schaute ich die Nachrichten, die nur so vollgepackt mit schlechten Botschaften und langweiligem, politischen Zeug waren.

"Kann ich wenigstens nach dem Frühstück kurz ans Meer gehen?", bat ich meine Mutter.

"Wenn du dich vorher umziehst, ja?" Ich schaute an mir hinunter und wurde mir dadurch wieder bewusst, dass ich noch immer mein blau, weiß gestreiftes Pyjama trug.
 

Schon von weitem konnte ich das vertraute Rauschen der Wellen hören, das allerdings heute lauter war, als an anderen Tagen. Die bunten Kleidungsstücke auf den Balkonen der Leute tanzten im Winde, ein Hund bellte, als ich an einem modern wirkenden Haus vorbei lief, der Geruch von Salz hing in der Luft. Es war wohl wirklich besser, wenn wir heute auf Surfen verzichteten.

In der Ferne sah ich einen Fischer, der sein Boot sicher an Land zog und schließlich mit einer Plane bedeckte. Es war Yokoyama-san, ein etwa siebzigjähriger Fischer, der trotz des Alkohols, den er jeden Abend in derselben Kneipe konsumierte, jeden Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aufstand. Er hatte Kazuki, mir und den anderen schon die ein oder andere haarsträubende Geschichte erzählt, wobei niemand wirklich gewusst hatte, wie viel Wahrheit darin steckte.
 

Zu meiner Überraschung erblickte ich auch noch eine weitere Person. Der lange Mantel und der schlichte, schwarze Hut, auf den eine große, dunkelblaue Blume gesteckt worden war, waren alles andere, als unübersehbar. Es musste der Sohn des Fremden von gestern sein.
 

Er stand nur ein, zwei Meter vom Meer entfernt, den Rücken mir zugedreht. Neugierig näherte ich mich ihm, bis ich schliesslich nur noch eine armlänge Abstand von ihm hatte. Überrascht drehte er den Kopf. Wie auch schon gestern, hatte er eine Sonnenbrille auf, heute allerdings eine, die mich sofort an einen Piloten erinnerte. Zwischen seinen Fingern klemmte eine lange, schmale Zigarette. Er kniff die Lippen zusammen und nahm dann schließlich einen gedehnten Zug von ihr.

Ich musste zugeben, dass er dabei ziemlich cool wirkte. Wahrscheinlich machte er dies nicht einmal absichtlich.
 

"Frühaufsteher?", fragte ich, das erste Wort, das wir bis jetzt überhaupt gewechselt hatten. Er nickte nur und nahm einen weiteren Zug, ehe er sich dem Meer zuwendete. "Du auch wies aussieht."

"Normalerweise nicht, aber-"

"Aber?" er hatte sich wieder mir zugewendet. Ich sah mich selbst in seiner Sonnenbrille.

"Mein Neffe hat mich geweckt."

"Also hast du Geschwister...", schlussfolgerte er.

"Zwei ältere Brüder, eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Was ist mit dir?"

"Einzelkind.", kam es knapp. Danach war es wieder still, als wir beide auf die Wellen starrten . Nach einer Weile nahm er plötzlich seine Sonnenbrille ab und blickte wieder zu mir.
 

Das Stahlblau war aus seinen Augen verschwunden, stattdessen waren sie heute schlicht und einfach dunkelbraun. Auch von seinem Make Up war keine Spur mehr zu sehen. Seine Augen wirkten dadurch anders aber nicht minder.. ehrlich? Ja, irgendwie war dies das Wort, das mir als erstens in den Sinn kam, wenn ich in diese Augen blickte. Ehrlich. Unschuldig. Wie ein kleiner Edelstein.
 

"Ach so", sagte ich schnell und versuchte mich, auf einen anderen Punkt als seine Augen zu konzentrieren. Seit wann machte ich mir überhaupt Gedanken über solche Dinge? Braun war Braun, kein Grund für mich, die Augen jedes Menschen zu analysieren. Seine aber waren irgendwie anders, auch wenn ich letzteres Wort nicht im entferntesten definieren konnte.
 

"Sorry wegen gestern. Ich muss ziemlich asozial rüber gekommen sein, was?", sagte er, ein bitteres Lachen folgte. "Als würde mein Vater mir das nicht schon genug sagen." Er stemmte eine Hand in seine schmale Hüfte und nickte wie zu sich selbst.

Ich schwieg. Was sollte ich darauf auch antworten?
 

"Wie heißt du?", wechselte er das Thema

"Yuu. Und du?"

"Takanori oder Ruki, wie ich von Freunden genannt werde."

Takanori also. Ja, der Name passte zweifellos.

"Du... ähm, du scheinst nicht von der Kansai Region zu kommen", sprach ich schließlich etwas aus, was mich nicht gerade wenig interessierte . "Also wegen dem Dialekt und so..."

Takanori lachte, wobei seine Augen einen Moment belustigt aufblitzten. "Wahrlich nicht, ich komme aus Tokyo. Warst du schon mal da?"

"Tokyo?" Ich starrte ihn mit großen Augen an und schüttelte dann den Kopf. Er kam aus DEM Tokyo? Der östlichen Hauptstadt, die mir beinahe schon wie ein Mythos erschien.

Er biss sich auf die Lippe und nickte. "Ich wurde da geboren und habe seither nirgend anders gewohnt. Ihr habt es echt schön hier, ich wünschte, wir würden hier länger bleiben, als nur zwei Wochen...", Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte sie dann weg.
 

"Warum habt ihr euch ausgerechnet für Mie und dann auch noch dies Stadt entschieden?", wollte ich wissen.

"Ein ehemaliger Arbeitskollege meines Vaters hat uns diese Gegend empfohlen.", erklärte er "Raus aus der Stadt, weg vom Alltag, um...", ich hörte wie er zögerte "um unsere Beziehung zu verbessern und so."
 

Schnell senkte er seinen Kopf. Ich dachte schon, dass er hier eine Grenze ziehen und nicht weiterhin darüber sprechen würde, als seine Stimme auch schon wieder erklang, diesmal allerdings leise und rau.

"Mein Vater wurde vor einem Jahr mit Lungenkrebs in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert. Das hier sollten unsere letzte gemeinsamen Ferien werden bevor... bevor ihn vielleicht die Kraft, um zu reisen, ganz verlässt." Er hob den Kopf. Seine Augen waren nun mit Tränen gefüllt, was mir wie schon gestern, einen Stich versetzte. Ich hasste es, mit ansehen zu müssen, wie Menschen sichtlich litten, wer mochte das auch schon? Doch bei ihm spürte ich noch einen anderen Schmerz

"Seit ich mich erinnern kann", fuhr er fort, nun noch leiser als zuvor, "haben wir uns nur gestritten und selbst jetzt hat sich daran nichts geändert. Ich weiß echt nicht, ob wir uns je... verzeihen können..."
 

Sprachlos sah ich ihn an. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er gefasst und cool gewirkt. Dass er eine solche Last mit sich trug, hätte ich mir nie vorstellen können und machte mir bewusst, wie oft wir andere Menschen gleich nach ihrem Äußeren beurteilten.
 

"D-Das tut mir wirklich leid für dich.", stammelte ich schließlich, doch er schüttete - nun gefasster - den Kopf. "Braucht dir nicht leid zu tun. Mir tut es leid, dass ich dich gleich mit sowas überfallen habe." Wir schwiegen einige Sekunden.

"Ich... ich sollte wohl jetzt gehen.", sagte er plötzlich "Hab gehört, es sollte ein Taifun geben. War nett, dich kennen zulernen Yuu.", ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen, ehe er sich umdrehte und davonging.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eine kleine Anmerkung hätte ich noch bezüglich des Lungenkrebses: Ich habe die Informationen aus dem Internet bezogen, weshalb es möglich sein kann, dass in meiner FF mal ein Logikfehler oder ein falscher Fakt dabei sein kann - tut mir also echt leid, falls das passiert! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  C-y-n-o
2017-11-23T18:57:19+00:00 23.11.2017 19:57
Die Story ist echt süß, ein Logik Fehler ist mir aufgefallen, Rukis Vater sagte die blieben einen Monat und Ruki sagt zu Yu das sie nur zwei Wochen bleiben? Das verwirrt schon aber sonst wirklich toll^^.
Von: abgemeldet
2015-07-31T18:40:14+00:00 31.07.2015 20:40
Ich finde es nicht schlecht :-)


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