Revenge of Fire von Platan (The Reminiscence) ================================================================================ Kapitel 4: Verschleppt ---------------------- Myrneberg: Wagen Schwärze. Nichts als Schwärze. Teepos Geist war dieser unendlichen Dunkelheit schutzlos ausgeliefert. So lange, bis endlich wieder ein wenig Licht in die Schwärze eindrang, in die er gewaltsam hinein gerissen worden war und wo es keinerlei Platz für Träume gab. Es war nur ein schwaches, fernes Flackern, dieses Licht, doch es genügte, um ihn zu wecken. Langsam aber sicher kam Teepo zu sich, konnte nach und nach einigermaßen seinen Körper wahrnehmen. Eine Weile musste er dagegen ankämpfen, sich nicht nochmal in die Schwärze zurücktreiben zu lassen, sein Wille war aber stärker als dieses betäubende Gefühl in seinem Kopf. Schließlich riss er kurze Zeit später plötzlich die Augen auf, die für eine kaum vernehmbare Sekunde rot leuchteten, wie zwei winzig kleine Flammen. Nur eine weitere Sekunde später kehrte der weiche, braune Farbton zurück und erstickte das Feuer zwar, gänzlich löschen konnte er es allerdings nicht. Nervös atmete Teepo durch. Wie lange er außer Gefecht gesetzt gewesen war, konnte er nicht einschätzen. Vielleicht waren es mehrere Tage oder auch nur wenige Stunden, die er in Schwärze hatte verbringen müssen. Es kam ihm anfangs jedoch so vor, als hätte er nur einmal kurz geblinzelt, weswegen er im ersten Augenblick von Verwirrung heimgesucht wurde. Gerade eben hatte er sich noch auf dem Yrallweg befunden, jener Landstraße, die ihn nach Wyndia führen sollte. Mit nur einem Wimpernschlag fand er sich nun aber wie durch Zauberei in einem ihm unbekannten Raum wieder, zumindest kam es ihm wie solche vor. Die Erleuchtung ließ nicht lange auf sich warten. Schnell hatte er die letzten Ereignisse gedanklich wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt und somit das entscheidende Stück zur Vollendung gefunden. „Dieser Typ!“, knurrte Teepo ungehalten. „Der Besitzer dieses schäbigen Wagens!“ Richtig, er war von diesem Fremden ausgerechnet dabei erwischt worden, wie er sich gerade ohne Erlaubnis an dessen Hab und Gut zu schaffen machen wollte. Natürlich kannte Teepo ähnlich verärgerte Reaktion zur Genüge, denn er arbeitete schon lange genug als Dieb, und die des Wagenbesitzers konnte sogar noch als recht harmlos eingestuft werden, wäre da nicht ein bestimmter Punkt an dem Ganzen, der Teepo nicht gefallen wollte. ... Diese Nadel. Irgendetwas muss sie mit mir angestellt haben. Natürlich hatte er Gerüchte darüber aufgeschnappt, dass einige Leute bloß mit einer einzigen, feinen Nadel immensen Schaden anrichten konnten, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie so etwas möglich sein sollte. Ganz offensichtlich schienen diese Erzählungen doch zu stimmen, jetzt hatte er es am eigenen Leibe erfahren. Gab es vorgegebene Punkte am Körper die man treffen musste, um solch eine Wirkung wie bei ihm zu erzielen? Tränkte man die Nadelspitzen mit irgendeinem Mittel? Oder war es schlicht Magie? Wie diese Technik auch funktionieren mochte, Teepo konnte nicht leugnen, dass er es ungeheuer faszinierend fand. Trotzdem, so was lasse ich mir garantiert nicht gefallen! Der wird es noch bitter bereuen, mich so gedemütigt zu haben. Leider musste er rasch feststellen, dass diese Demütigung, mit einer einfachen Nadel kampfunfähig gemacht worden zu sein, noch größer war, als er annahm: Er konnte sich kaum bewegen und war deutlich in seiner Freiheit eingeschränkt. Nicht mal ein Blick war nötig, um zu verstehen, was der Grund dafür war. Ich bin gefesselt?! Jemand hatte ihn an Händen und Füßen mit einem Seil sorgsam gefesselt und so dafür gesorgt, dass er nicht abhauen konnte. Hatte dieser Typ mit der Nadel ihn etwa entführt? Allein bei dem Gedanken hätte Teepo am liebsten laut losgebrüllt, damit sich die Wut nicht in ihm anstaute – seit seinem Erwachen am Baumhaus konnte er sie noch kein einziges Mal richtig loslassen. Hierbei handelte es sich um eine weitere Sache, die er nicht ausstehen konnte. Neben übertriebener Fürsorge, falschem Mitleid und wie ein Kind behandelt zu werden, stand Freiheitsberaubung ebenfalls weit oben auf seiner Liste der verhassten Dinge. Statt zu schreien hielt Teepo sich ausnahmsweise zurück und machte sich mit den Augen ein genaueres Bild von dem Raum, in dem er sich aufhielt. Durch ein schmales Fenster oben in der Wandseite zu seiner Rechten drang von außen etwas Licht herein, das eindeutig von einem nahegelegenen Lagerfeuer stammen musste. Das vermutete Teepo anhand der Farbgebung sowie der Art und Weise, wie es flackerte. Heißt das, es ist schon wieder Nacht? War ich so lange nicht bei Bewusstsein? Diesen Gedanken verdrängte er und schenkte seine Aufmerksamkeit vorerst nur der Erkundung des Raumes mit den Augen. Wände, Boden und Decke waren aus Holz. Direkt neben ihm lagen mehrere Säcke, von denen teilweise ein starker Geruch nach Kräutern ausging. In den anderen Ecken ließen sich weitere Taschen finden – sah wie Reisegepäck aus – sowie ein zerknitterter Schlafsack, der zwischen all dem Zeug fehl am Platz wirkte. Ob hier tatsächlich jemand seine Nächte verbrachte oder dieser mobile Schlafplatz nur zur Dekoration dort herumlag, war Teepo herzlich egal. Der Größe des Raumes nach zu urteilen nahm er an, sich in diesem alten Wohnwagen zu befinden, dem vom Yrallweg, denn passen würde es. Nachdem diese Frage also geklärt war, stellte sich ihm gleich die nächste: Warum sollte der Besitzer ihn entführen? Nur weil er vorgehabt hatte, dessen Wagen auszurauben? Der Idiot ist doch selbst schuld, wenn er ihn unbeaufsichtigt stehen lässt! Normalerweise hatte er sich bisher nur ellenlange Predigten anhören müssen und ja, auch öfters Prügel kassiert, aber noch nie war er wegen seiner Raubzüge entführt worden. Was wollte der Entführer denn mit ihm anstellen? Ihn an den König von Wyndia übergeben, damit dieser ihn einsperren ließ? Zur Hauptstadt im Osten wollte er sowieso, nur waren seine Pläne anders. Für einen Aufenthalt im Kerker hatte er keine Zeit. Ich muss Rei und Ryu finden, damit wir zusammen diese Pferdegesichter aufspüren und büßen lassen können. Nahezu wie auf Stichwort durchfuhr ihn ein weiterer, völlig neuer Gedanke. Natürlich! Diese Pferdegesichter! Möglicherweise war dieser Wagenbesitzer ein Komplize von ihnen und sollte ihn nun aus dem Weg schaffen, weil sie bereits ahnten, dass er sich an ihnen rächen wollte und ihnen gefährlich werden könnte. Ja, genau so musste es sein. Das mit dem herrenlosen Wagen auf dem Yrallweg war eine Falle, darauf hätte er auch viel früher kommen können. „Na wartet“, flüsterte Teepo mit bebender Stimme. „So leicht werde ich es euch nicht machen.“ Hass sowie Zorn hatten in ihm wie ein Vulkan zu brodeln begonnen und machten ihn blind. Ihm war überhaupt nicht bewusst, wie voreilig er seine letzte Schlussfolgerung gezogen hatte, ohne nochmal gründlich darüber nachgedacht zu haben. Die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Falle handelte, stellte sich für ihn nicht, davon war er einfach auf Anhieb überzeugt. Sein Gefühl, das von allerlei negativen Stimmungen beeinflusst wurde, wollte keinen Irrtum akzeptieren. Schon längst wusste er, wie sein nächster Schritt aussah. Er sollte diesen Wagen regelrecht pulverisieren, mit Magie. Das würde eine geradezu explosive Eröffnung für seinen Rachefeldzug abgeben und da irgendwer dort draußen ein Lagerfeuer gemacht hatte, standen bereits auch schon die nötigen Zuschauer dafür bereit. Grinsend schloss er die Augen und fing an sich zu konzentrieren. Magie wirken zu können war eine Fähigkeit, die sich nicht leicht beherrschen ließ und nur wenige konnten von sich behaupten, sie in sich zu tragen. Zwar gab es Mittel und Wege, sie zu lernen, angeboren war sie jedoch am stärksten. Teepo selbst war schon immer dazu fähig, Angriffsmagie zu wirken, hauptsächlich die Elemente Feuer und Eis. Man musste die Magie mit seinem Willen zu leiten wissen, aus dem Inneren seines Körpers. Aus seiner Seele hinaus, um sie nach außen fließen zu lassen, wo sie anschließend entsprechend nach dem jeweiligen Nutzen geformt werden sollte, damit sie Verwendung fand. Wenn man nicht über einen gewissen Grad an Selbstbeherrschung verfügte, konnte Magie sich auch gegen einen selbst wenden oder ungeahnte Ausmaße erreichen. Das größte Risiko war, dass jeglicher Nutzen von Magie, je nach Art der gewählten Form, stets eine gewisse Menge an Energie benötigte, die sie sich direkt aus dem Körper ihres Nutzers abzweigte. Falls man in einem geschwächten Zustand magische Kräfte nutzte, konnte unter Umständen bleibende, gesundheitliche Schäden die Folge sein, schlimmstenfalls sogar der Tod. Wäre Teepo nicht so besessen von dem Gedanken der Rache gewesen, hätte er erst entscheiden müssen, ob er seinem Körper den Nutzen von Magie derzeitig auch zumuten konnte. Immerhin hatte der Kampf mit den zwei Pferdegesichtern ihre Spuren hinterlassen, doch daran dachte er nicht. Inzwischen hatte er den Kopf gesenkt und atmete flach, spürte die Magie durch seinen Körper fließen, die wesentlich stärker zu sein schien, als er es gewohnt war. Da er im Umgang mit dieser Fähigkeit schon reichlich Erfahrung gesammelt hatte, floss der magische Strom bald nach außen und zeigte sich in Form einer dunklen Aura, von der er eingehüllt wurde. Dadurch, dass ab und zu zwei Ströme gegeneinander rieben, entstand ein Luftwirbel, der mit seinen langen Haaren spielte. Erneut riss Teepo schlagartig die Augen auf, in denen das feurige Rot zurückgekehrt war, und stieß einen lauten Schrei aus. Gleichzeitig zog der finstere Schein um seinen Körper sich zu einer Kugel zusammen, nur um sich im nächsten Atemzug in ein Feuer zu verwandeln, das sich wieder rasend schnell auseinander dehnte und alle Hindernisse dabei aus dem Weg räumte. Eine Explosion. Hitze erfüllte die Atmosphäre. Flammen schlugen samt einer Druckwelle zwischen den Splittern hervor. Das Holz, aus dem der Wagen bestand, zersprang förmlich. Knisterte. Es folgte ein ohrenbetäubender Knall. Man konnte das aufgeregte Wiehern von Pferden hören. Hufeisen donnerten über den Boden. Ein verbrannter Geruch erfüllte die Luft. Asche regnete herab. Stille kehrte ein. Alles geschah so schnell, dass jeder normale Mensch erst eine gewisse Zeitspanne benötigt hätte, um realisieren zu können, was gerade geschehen war. Sogar Teepo brauchte eine Weile, bis er sich orientieren und die Situation erfassen konnte, obwohl er es war, der diese Magie benutzt hatte. Über ihm erstreckte sich ein sternenklarer Nachthimmel und offenbar hielt er sich gerade am Fuße eines Berges auf, der neben ihm mit seiner Spitze in der Dunkelheit verschwand. Überall um ihn herum flogen einige glühende Holzsplitter von weit oben herab zu Boden, wie Glühwürmchen. Teepo lag mitten zwischen den kläglichen Resten des Wagens, von dem so gut wie nichts mehr übrig geblieben war, und hustete schwer. Sein Körper zitterte, jedoch nicht vor Erschöpfung wegen der feurigen Explosion, sondern vor Kälte. Für den Frühling war es eine ganz schön kühle Nacht. Langsam richtete er sich auf – auch seine Fesseln waren in der Explosion verbrannt – und betrachtete das Werk der Zerstörung, das er angerichtet hatte. Erstaunt weiteten sich seine Augen. „Wow.“ Seit wann ist meine Magie denn so stark? Ich habe bei weitem nicht mit so viel Kraft gerechnet. In der Tat hatte es den Wagen in sämtliche Einzelteile zerrissen, auch die Ladung im Inneren, sehr zum Leidwesen des Besitzers, dessen Stimme auch sofort in der Nähe ertönte. „Sag mal, spinnst du?“, sagte er, für Teepos Geschmack, in einem viel zu ruhigen Ton, obwohl doch ein winziger Hauch von Verzweiflung zu hören war. „Das Teil war nicht gerade billig. Und die Ware ...“ „Hm?!“ Sofort suchte sein Blick nach dem Wagenbesitzer und er fand ihn auch schnell, denn dieser stand nur knapp fünf Meter entfernt bei einem Lagerfeuer, wie Teepo also richtig vermutet hatte. Dass diesem Typen trotz der Explosion von eben nichts zu fehlen schien und alles weitere in seinem Umkreis heil geblieben war, nahm er nicht wahr, noch nicht. Zunächst musterte er ihn nun endlich mal genau. Bei dem Entführer handelte es sich nur um einen Jungen, der höchstens zwei bis drei Jahre alter als Rei sein konnte. Sein dunkelblaues Augenpaar begutachtete gerade den Schaden, den Teepo angerichtet hatte, und wirkte wie ein tiefer, ruhiger See, in dem viel zu viele Geheimnisse verborgen lagen. Seufzend strich sich der andere mit einer Hand durch sein kurzes, zerzaustes Haar, das exakt die gleiche Farbe besaß wie seine Augen. Von der Kleidung her, die in schwarz und rot gehalten war, machte er einen schlichten, praktisch veranlagten Eindruck und wirkte dadurch beinahe harmlos. Dieses Bild wurde aber durch ein Schwert, das er auf dem Rücken gebunden bei sich trug, ein wenig vernichtet. Ehrlich gesagt hatte Teepo etwas anderes erwartet. Jemand eindrucksvolleren, einen richtigen Gegner eben. Dieser Junge kam nicht gerade so rüber, als wäre er ein Krimineller oder jemand, der für solche Leute Aufträge ausführte. Und das Schwert auf seinem Rücken? Wie sollte Teepo ihn einschätzen? „Gute Güte, die Ware ...“ Abermals glitt dem Fremden ein Seufzen über die Lippen. „Und die Pferde haben sich auch aus dem Staub gemacht. Wie soll ich denen das nur erklären?“ „Hey!“, forderte Teepo empört seine Aufmerksamkeit. „Wen kümmert schon das blöde Zeug, das da drin war? Beantworte mir lieber meine Fragen! Warum hast du mich entführt?!“ Wenig interessiert schielte sein vermeintlicher Entführer zu ihm rüber, mit den Gedanken sichtlich nach wie vor bei der verlorengegangenen Ladung. „Du brauchst nicht so zu schreien, ich verstehe dich auch, wenn du normal mit mir sprichst.“ „Bitte?! Du hast mich verschleppt, also habe ich ja wohl einen guten Grund wütend zu sein!“ „Ich etwa nicht?“, erwiderte der Junge, weiterhin gefasst. „Erst willst du in meinen Wagen einbrechen und dann jagst du ihn regelrecht in die Luft. Hörst du mich deswegen rumbrüllen? Das würde mir meine Ware auch nicht zurückholen, oder? Also beherrsch dich mal ein wenig.“ Fassungslos starrte Teepo diesen Kerl an. Versuchte er ihn etwa gerade zu belehren? Was für ein Spielchen sollte das werden? Diese Art, wie er mit ihm sprach ... Irgendwie sorgte sie dafür, dass er sich wie ein kleines Kind fühlte, das zwar etwas wirklich Schlimmes angestellt hatte, statt mit Schelte aber nur mit ernsten Worten überschüttet wurde. Genau das war es, was ihn störte. Der Typ verhielt sich ihm gegenüber wie ein autoritärer Erwachsener bei einem Kleinkind, nicht wie ein verärgerter Fremder, der einen Dieb erwischt hatte. Teepo wollte gerade der Kragen platzen, doch da erhob der andere zuerst das Wort. „Ich muss sagen, ich habe nicht erwartet, dass du über solch ausgeprägte Magie verfügst. Das ist beeindruckend.“ „Hm ...“ Wie von selbst legte sich seine schlechte Laune nach diesen Worten ein bisschen. Zufrieden mit dieser Aussage und auch geschmeichelt, stimmte er dem nickend zu. „Ja, ich bin eben was Besonderes.“ „Leider scheinst du dir über das Ausmaß deiner Fähigkeiten nicht wirklich bewusst zu sein.“ Und da kehrte die Empörung auch schon zurück. „Hä? Was laberst du da?! Das war eine hervorragende Vorstellung! Das soll mir erst mal einer nachmachen.“ Über diese Worte musste der ehemalige Wagenbesitzer amüsiert schmunzeln, wodurch er nicht an Sympathie gewann, im Gegenteil. In seinen Augen funkelte eine Erkenntnis, als er die Arme verschränkte und Teepo mit einem Lächeln eindringlich ansah. Im Zusammenhang mit dem folgenden Satz sorgte dieser im Grunde freundliche Gesichtsausdruck dafür, dass Teepo doch ein bisschen nervös wurde. „Ich sehe schon. Ein Kind wie du würde sich auf dem Schwarzmarkt gut verkaufen.“ „W-Was?“, wiederholte er ungläubig, als hätte er sich nur verhört. „Schwarzmarkt?“ ... Wer war dieser Kerl? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)