Magisch von -Moonshine- (Old Souls) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eigentlich war Natsuki nicht abergläubisch. Eigentlich. Sie glaubte zum Beispiel nicht daran, dass schwarze Katzen Unglück brachten. Oder dass man sieben Jahre lang Pech hatte, wenn man unter einer Leiter hindurchging. Diese Dinge schienen ihr viel zu banal, viel zu einfach, als dass sie sich überhaupt Gedanken deswegen machen wollte. Zumindest im Gegensatz zu den Dingen, an die sie glaubte. Sie glaubte an Magie. Nicht an Zaubertricks, wie den Hasen aus dem Zylinder, der Taube aus dem Hut, Kartentricks. Sondern echte, wahre Magie. So genau erklären konnte sie es nicht. Es war nicht rational - natürlich nicht. Aber sie hatte einfach schon immer gefühlt – nein, gewusst -, dass da etwas war; dass es etwas Besonderes gab in dieser Welt, das nur wenige Menschen erleben durften. Und sie war einer dieser wenigen Menschen. Davon war sie fest überzeugt. So etwas wie Magie gab es. Etwas wie eine Seele vielleicht, die die Jahrhunderte durchwanderte und immer etwas zurückließ, aber auch immer etwas mitbrachte. Irgendetwas Magisches war da draußen, und sie fühlte sich, als wäre es ein Teil von ihr. Nein, als wäre sie Teil davon. Wie sonst sollte sie sich den immer wiederkehrenden Traum erklären, in dem es stets nur um ihn ging? Verschwommen, wie weichgezeichnet, sah sie ihn in ihren Träumen, fühlte seine Verzweiflung, ihre Sehnsucht nach ihm. So intensiv, dass sie sich manchmal fragte, wie solche Gefühle überhaupt möglich sein können. So sehr sie sich aber auch anstrengte, seine Worte zu verstehen, oder sein Gesicht zu sehen, es blieb immer nur bei undeutlichen Bildern, murmelndem Flüstern, grellem Flackern. Manchmal träumte sie auch einfach nur von einem Regen aus schwarzen Federn – doch sie war überzeugt, auch das hatte etwas mit ihrem Ursprungstraum zu tun. "Er spricht zu mir", hatte sie einmal ihrer Mutter erklärt. "Er ruft nach mir... vielleicht." "Vielleicht", hatte diese ausweichend geantwortet. Natsuki war sich sicher, Marron glaubte ihr nicht so recht, wollte es aber nicht offen zugeben. "Glaubst du denn, so etwas ist überhaupt möglich?", hatte sie trotzdem wissen wollen. "So was wie ein früheres Leben vielleicht?" Marron überlegte, während sie sich langsam die Haare kämmte. "Ich kann es mir gut vorstellen", antwortete sie dann vorsichtig. "Es gibt ja auch Menschen, die dank Hypnose einen Einblick in ihr früheres Leben erhalten konnten. Was hältst du davon?" Ihre Mutter zögerte. "Was hältst du denn davon?" Natsuki hatte mit den Schultern gezuckt. Die Unterhaltungen mit Marron verlief nicht gerade nach ihrem Wunsch. Je mehr sie sie fragte, je mehr sie ihre Meinung hören wollte, desto weniger Antworten bekam sie. Sie hätte genauso gut Selbstgespräche führen können. "Vielleicht. Man weiß bei solchen Sachen nie, was Einbildung ist und was real." Dann war sie gegangen. Aber die Vorstellung hatte sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Nicht, dass sie vorgehabt hätte, sich hypnotisieren zu lassen – das war ein Teil des Aberglaubens, den sie so ablehnte -, aber sich darüber Gedanken zu machen, zu grübeln, in ihre Fantasie abzuschweifen und sich verschiedenste Szenarien auszudenken, das wollte sie sich nicht nehmen lassen. Wer war dieser Mann, von dem sie träumte? Und warum hegte sie im Traum so starke Gefühle für ihn? Das alles ging ihr durch den Kopf, während sie im Bett lag und an die Decke starrte. Wie jeden Morgen wurde sie schon vor ihrem Wecker wach und hing den immergleichen Gedanken nach. Es klopfte und Marron steckte den Kopf durch die Tür. "Guten Morgen, bist du schon wach?" Natsuki richtete sich auf. "Mhm", nickte sie. "Ich muss leider schon los. Ein Klient hat angerufen. Aber das Frühstück steht in der Küche, ja?" "Okay", murmelte Natsuki. Obwohl sie schon so lange wach war, fühlte sie sich dennoch verschlafen. "Holt Shinji dich zur Schule ab?", wollte Marron noch wissen. Aha, dachte Natsuki. Ihr Vater musste anscheinend auch schon im Krankenhaus sein. Zumindest würde Marron diese Frage sonst nicht so offen aussprechen, denn Chiaki und Shinji verband eine Art... Hassliebe. Natsuki war sich nicht sicher, ob es das richtige Wort war, aber sie waren definitiv wie Hund und Katz. "Weiß nicht. Ich habe immer noch keinen rechten Überblick über seine Kurszeiten." Natsuki zuckte mit den Schultern. Weil er auch nach eigenem Belieben zur Uni geht, fügte sie im Stillen hinzu. Kurszeiten interessierten Shinji nicht. "Na gut. Bis nachher. Soll ich auf dem Weg nach Hause etwas zum Abendessen holen?" "Ja, gerne." Endlich fühlte sich Natsuki ein bisschen wacher und ihr Gesicht begann zu leuchten. "Und vergiss nicht den Nachtisch." Marron lächelte. "Wie könnte ich? Bis dann, Liebes." "Bis dann, fahr vorsichtig, Mama." Natsuki lauschte den sich entfernenden Schritten, bis die Tür hinter ins Schloss fiel. Dann bequemte sie sich langsam aus dem Bett. Sie hatte noch genug Zeit, um den Tag in Ruhe anzugehen, sich fertig zu machen, zu duschen und zu frühstücken. Und ihre Mutter hatte ihre Gedanken in eine vollkommen neue Richtung gelenkt, mit denen sie sich, einmal mehr, beschäftigen konnte. Shinji. Der Nachbarsohn gab ihr lauter Rätsel auf. Schon seit sie denken konnte, war er in sie verknallt gewesen. Als sie noch ein Kind war, hatten sie viel zusammen gespielt. Es hatte sie stolz gemacht, einen weitaus älteren Jungen als Freund zu haben, der sie wie seinesgleichen behandelte. Jedes Kind sehnt sich danach, von älteren Spielkameraden, die es anhimmelte, beachtet zu werden. Auch jetzt fühlte sich sich immer noch geschmeichelt, jedoch war ihr sein Interesse oft auch einfach nur lästig, wenn er sein Hofieren mal wieder übertrieb. Trotzdem war Shinji ein guter Freund. Klar, er schwänzte oft den Unterricht und sein Basketballtraining, aber seinen Freunden und ihr gegenüber war er immer loyal und aufgeschlossen. Ein vertrauenswürdiger und zuverlässiger Kerl, was die Menschen um ihn herum anging. Seine Noten waren im durchschnittlichen Bereich, er ließ die Dinge manchmal schleifen und nahm nichts so wirklich ernst, während Natsuki ein ehrgeiziger, zielstrebiger Mensch war. Sie waren so verschieden wie zwei Seiten einer Medaille. Aber auch, wenn Shinji manchmal so aufdringlich war, dass sie am liebsten grob werden würde, gab es etwas an ihm, das sie sehr schätzte: manchmal hatte sie das Gefühl, dass er sie ganz genau verstand. Auch, wenn sie nie mit ihm explizit über ihre Träume gesprochen hatte, ahnte sie doch zu wissen, dass er genauso wie sie an dieses etwas Magische glaubte, das die Menschen umgab. Sie stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch, wo sie nach ihrer Bürste griff. Ihr Blick fiel auf ihr Schmuckdöschen, in dem sich einige Ohrringe und Anhänger befanden. Unter anderem auch der Ohrring, der ihr seltsamerweise so viel bedeutete, ohne, dass sie es sich erklären konnte. Ihre Mutter hatte ihr die haarsträubende Geschichte erzählt, dass Natsuki mit diesem Ohrring in der Hand geboren wurde. Als Kind war das eine von diesen besonderen Vorstellungen gewesen, aber mittlerweile wusste sie, dass das praktisch natürlich unmöglich war. Trotzdem zog etwas an diesem Ohrring sie an. Jedes Mal, wenn sie ihn in der Hand hielt, hatte sie das unbestimmte Gefühl, etwas vergessen zu haben. So ähnlich, wie wenn man auf der Suche nach etwas war, durch eine Tür ging und plötzlich total verloren im Raum herumstand, weil man nicht mehr wusste, weshalb man dort gekommen war. Das waren also nun schon zwei Mysterien in ihrem Leben, die sie sich - noch - nicht erklären konnte, und ein weiterer Beweis dafür, dass etwas Magisches sie umgab. Natsuki schüttelte den Kopf. Daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie schnappte sich ihre Schuluniform, die über der Stuhllehne hing, und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Plötzlich hörte sie einen Schlüssel, der im Schloss herumgedreht wurde. Hatte ihre Mutter etwas vergessen? Sie hechtete in den Flur, um nachzusehen, aber es war nur Shinji, der sich vermutlich wieder den Ersatzschlüssel ausgeliehen hatte, der eigentlich nur für Notfälle bei den Minazukis deponiert war. Natsuki rollte mit den Augen. "Der Schlüssel ist nicht dafür da, dass du hier einfach so rein schneist, wann immer du Lust dazu hast", mahnte sie ihn, aber ohne wirkliche Strenge." Shinji grinste. "Das mache ich auch gar nicht, wann immer ich Lust habe. Ich muss immer erst warten, bis Chiaki weg ist, sonst kann ich mir die Mühe sparen." Seitdem Shinji in die Pubertät gekommen ist, hatten er und Chiaki ein gespanntes Verhältnis zueinander. Sie schienen sich im Grunde gut zu verstehen, aber sobald Shinji auch nur in die Nähe von Natsuki kam, brannten bei Chiaki alle Sicherungen durch. Von ihren Freundinnen hatte Natsuki sich sagen lassen, dass das ein absolut normales väterliches Verhalten war. "Du bist ja noch im Schlafanzug", stellte Shinji fest. "Musst du nicht zur Schule?" "Musst DU nicht zur Uni?", stellte Natsuki kokett die Gegenfrage. "Ich hab schließlich noch Zeit." "Beeil dich trotzdem", sagte er und grinste dann. "Sonst bleibt dir nichts mehr vom Frühstück." Sie schüttelte halbwegs amüsiert den Kopf. "Das hier ist kein Büffet für dich, weißt du?" Ohne eine Antwort abzuwarten – und auch, weil Shinji bereits auf dem Weg zur Küche war, um die Hälfte ihres Frühstücks zu verspeisen -, verschwand sie endlich im Bad, um sich ausgiebig ihrer Morgenwäsche zu widmen. Kapitel 2: ----------- Shinji hatte ihr tatsächlich einen Großteil des Frühstücks übrig gelassen, was Natsuki überrascht feststellen musste. Sie hatte sich den Rest eingepackt, um ein bisschen früher zur Schule gehen zu können. Die Morgenzeit genoss sie immer sehr. Die Geschäftigkeit in den Straßen, die frische Luft, und die Zeit, die sie für sich selbst hatte, bevor der Alltag begann. Es machte ihr nichts aus, dass Shinji sie an einigen Tagen zur Schule begleitete. Meistens benahm er sich und sie unterhielten sich über Belangloses, oder sie neckten sich. Tatsächlich erwischte sie sich immer öfter dabei, wie sehr sie die Zeit morgens mit ihm genoss, und sie schob es darauf, dass sie beide noch entspannt waren, bevor der Tag sich entfalten konnte, und frei vom alltäglichen Stress. "Wie schaffst du es bloß immer, genau den richtigen Moment abzupassen, in dem Papa das Haus verlässt?", wollte Natsuki belustigt wissen. Shinji hielt ihr beiläufig die Eingangstür des Wohngebäudes auf, seinen Rucksack lässig über die Schulter geschwungen. "Ich bin eben ein Genie." Natsuki lachte laut auf. "Du bist kein Genie, nur größenwahnsinnig." Shinji nickte. "Das sind die besten Genies." Sie schüttelte amüsiert den Kopf. "Du bist so überzeugt von dir selbst. Hast du es schon mal mit Bescheidenheit versucht? Ich denke, das könnte dir gut stehen." Er blickte sie von der Seite an. "Ach so? Und ich dachte, ihr Mädchen steht auf selbstbewusste Männer?" Natsuki verzog zweifelnd das Gesicht. Es gefiel ihr nicht ganz, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelte. "Ist das so?" "Sag du es mir, immerhin bist du eins." "Woher soll ich denn wissen, was andere Mädchen attraktiv finden? Ich bin schließlich kein Kollektiv, sondern eine einzelne Person." "Dann... sag mir, was du attraktiv findest", sagte Shinji leise mit dunkler Stimme. Natsuki lief ein Schauer über den Rücken und sie wich seinem Blick aus. Sie wollte dieses Gespräch beenden und so viel Abstand zwischen sich und Shinji bringen wie möglich, fühlte sich aber gleichzeitig von ihm angezogen, wenn er so mit ihr sprach. Sie schluckte. "Das, äh..." "Da sind wir", unterbrach Shinji sie und nickte mit dem Kopf Richtung Schulgebäude. Obwohl er sie oft in peinliche Situationen brachte, ließ er sie dennoch nie lange zappeln. Sie atmete etwas auf. "Deine Freunde warten schon." Natsuki folgte seinem Blick und winkte Sarah und Taki zu - Zwillinge und ihre besten Freunde -, die zu ihr hinüberschauten. Taki drehte sich demonstrativ weg - er konnte Shinji nicht ausstehen -, aber Sarah kam fröhlich zu ihnen herübergelaufen. "Guten Morgen", flötete sie. "Hallo Shinji." Sie drängte sich zwischen Natsuki und Shinji und hakte sich mit jeweils einem Arm bei beiden ein. "Worüber habt ihr so angeregt geredet eben?" Natsuki stöhnte innerlich auf. Sie wollte dieses Thema wirklich nicht hier in Anwesenheit von Sarah und Taki ausbreiten, und eigentlich auch überhaupt nicht darüber reden. "Nichts", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und beschwor alle Götter - oder Geister, oder wasauchimmer -, ihr beizustehen. Vergeblich. "Ich hatte Natsuki gerade gefragt, was sie an einem Mann attraktiv findet", erklärte Shinji freimütig - und mit Sicherheit auch, weil er ihr eins auswischen wollte. Oder sie in Verlegenheit bringen wollte. Oder... wasauchimmer! Sarah kicherte. "Tja, ich will dich nicht enttäuschen, aber für Natsuki gibt es nur den mysteriösen Unbekannten aus ihren Träumen." Natsuki schloss vor lauter Qual die Augen und spürte, wie ihre Wangen zu brennen anfingen. Danke, Sarah - möglicherweise-nicht-mehr-beste-Freundin. Shinji sah sie forschend an, doch sie vermied seinen Blick. "Noch immer dieser mysteriöse Kerl", seufzte er theatralisch. "Dabei hast du ihn schon lange nicht mehr erwähnt." Da er diese Aussage an Natsuki direkt richtete, war sie ihm wohl oder übel eine Antwort schuldig. "Das ist gar nicht so", murmelte sie peinlich berührt. "Ich..." "Da hast du wohl keine Chance", unterbrach Sarah sie fröhlich, sprach aber wieder mit Shinji, und zwinkerte ihm zu Natsukis Entsetzen sogar zu! "Du solltest stattdessen mich um ein Date bitten." Empört schaute Natsuki auf und betrachtete die Szene verwirrt. Zu allem Überfluss grinste Shinji Sarah schief an. "Ich werd es mir überlegen." Diese sah ihn beschwörend an. "Oder", schlug sie vor, "du könntest auch einfach das Gegenstück zu Natsukis schwarzem Ohrring finden - vielleicht wärst du dann deinem Ziel näher?" Natsuki gefiel die Intensität der Blicke, die die beiden austauschten, überhaupt nicht. Sie schnaubte laut. "Entschuldigung? Ich bin noch hier!" Sarah lachte gleichmütig. "Entschuldige, wir albern doch nur herum. Sollen wir zu Taki rübergehen, bevor ihm roter Rauch aus den Ohren kommt?" Natsuki nickte, immer noch leicht beschämt und verwirrt. Sie sah Shinji an und er sie. "Bis dann", murmelte sie ungewohnt schüchtern. "Danke fürs Begleiten." Auch Sarah verabschiedete sich, stets gut gelaunt. Er nickte knapp. "Klar. Macht's gut." Als sie genügend Abstand zwischen sich und Shinji gebracht hatten und Natsuki sich sicher war, dass er sie nicht mehr würde hören können, blieb sie stehen, griff nach Sarah's Arm und wandte sich ihrer besten Freundin zu. "Was sollte das denn?", wollte sie empört wissen. "Wieso plauderst du alles aus, was ich dir jemals erzählt habe?" Sarah sah kein bisschen beleidigt aus. "Tut mir leid. Ich war mir sicher, Shinji weiß von deiner Schwärmerei für diesen Traummann. Und na ja, ehrlich gesagt tut er mir leid. Er bemüht sich wirklich. Er hat sogar schon aufgehört, dich ständig zu belästigen, aber du gibst ihm noch immer keine Chance." Taki, der sich mittlerweile wieder zu ihnen gesellt hatte, äugte misstrauisch in die Richtung, in die Shinji gegangen war, und wandte sich dann ab. "Bist du sowieso nicht zu jung für ihn?", wollte er wissen. Taki stichelte gegen Shinji, wann immer er die Gelegenheit dazu fand. Nur in Shinji's Gegenwart war er etwas sparsamer mit seinen gehässigen Kommentaren, was vermutlich daran lag, dass Shinji vier Jahre älter war und ihn lässig in die Tasche stecken konnte. "Ich bin gar nicht-" "Unsinn! Jedes Mädchen braucht einen älteren Freund. Ihr Gleichaltrigen seid viel zu unreif. Ihr lacht ja noch darüber, wenn jemand einen Unterarmpups macht!", antwortete Sarah statt Natsuki und bohrte ihren Finger anklagend in Taki's Brust, der sie mit einem genervten Blick bedachte und ihre Hand wegwischte. "Was auch immer", murmelte er schlecht gelaunt. "Natsuki kann doch für sich selbst entscheiden. Und wenn sie Shinji nicht will, dann muss er sich damit abfinden, und du auch. Gehen wir jetzt rein?" "Er ist heute mit dem falschen Fuß aufgestanden", flüsterte Sarah Natsuki zu, als sie in einigem Abstand zu ihrem Bruder in Richtung Schulgebäude gingen. "Was ist jetzt mit Shinji? Willst du ihm nicht langsam eine Chance geben? Er wird nicht immer verfügbar sein, weißt du?" "Darum geht es doch gar nicht", verteidigte Natsuki sich hilflos. Aber worum es ging, das wusste sie auch nicht genau. "Shinji ist nur... ein guter Freund." "So einen 'nur' Freund hätte ich aber gerne", spöttelte ihre Freundin. "Er sieht gut aus und ist zudem ein Genie. Was willst du mehr?" Natsuki verdrehte genervt die Augen. Hatten denn all ihre Mitmenschen eine Art Wahrnehmungsstörung entwickelt heute Morgen? "Er ist kein Genie! Er spielt lediglich gut Basketball und das war's!" "Aber", nickte Sarah, als hätte Natsuki ihre Theorie geradezu bestätigt, "darin ist er ziemlich genial." Ein paar Meter vor ihnen schnaubte Taki, ohne sich zu ihnen umzudrehen. "Habt ihr Hühner auch ein anderes Thema auf Lager als diesen Möchtegern-Casanova?", rief er ihnen mit Verachtung zu. "Durchschnittsspiel, höchstens", murmelte er dann, aber laut genug, dass die Mädchen es hören konnten. "Achte nicht auf ihn", wisperte Sarah nun noch leiser. "Er ist immer noch pikiert wegen deiner Abfuhr letzten Sommer. Aber bezüglich deines unbekannten Helden? Ich hab Neuigkeiten! So etwas gibt es nur im Märchen. Shinji hingegen ist real, und er ist hier, zum Greifen nahe." Ernüchtert von den Worten ihrer Freundin wandte Natsuki sich ab und blickte nachdenklich auf ihre Schuhspitzen, die mal links, mal rechts von unter ihr her auftauchten. Sarah wusste ja gar nicht, wie sehr sie mit ihrer Behauptung ins Schwarze getroffen hatte. Der große Unbekannte. Wer war er nur? Und warum war anscheinend sie diejenige, die dazu auserkoren war, ständig von ihm zu träumen? War er wirklich der Grund dafür, warum sie scheinbar kein Interesse an anderen hatte? Sie schüttelte den Gedanken ab. "Warum interessiert dich das überhaupt?", wollte Natsuki nicht zum ersten Mal wissen. "Er tut mir einfach leid", wiederholte Sarah und machte ein Gesicht, als spräche sie von einem herrenlosen, streunenden Hund. "Und du magst ihn doch auch. Oder?" Natsuki wand sich ein bisschen. "Vermutlich", gab sie dann geschlagen zu. "Ha! Ich habe dein Gesicht gesehen, als ich ihm vorgeschlagen habe, mich um ein Date zu bitten." Sarah sah ziemlich zufrieden aus mit sich selbst. "Na also. Worauf wartest du dann noch?" Ich warte auf Klarheit, sagte Natsuki sich mit einem mulmigen Gefühl. Was war, wenn da draußen noch jemand anderes auf sie wartete...? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)