Fest der Feuer von Alaiya (Pop-Centric) ================================================================================ Ein unerwartetes Treffen ------------------------ Sanae drehte sich um. »Kommst du, Pop?« Die angesprochene hatte gar nicht bemerkt, dass sie stehen geblieben war, und sah nun auf und seufzte. »Ja«, antwortete sie matt. Noch immer erreichten einige der Strahlen der untergehenden Sonne die Straßen Kyotos, während die drei Studentinnen sich auf den Weg zum Norden Marutamachis machte, von wo sie die Daimonji Feuer ansehen wollte. Denn auch wenn sie auch zur Zeit beinahe täglich Proben hatten, waren doch Ferien und eigentlich wollte sich niemand von ihnen das Event entgehen lassen. Und weil das Feuer das letzte Ritual des kyotoer Obon-Festes war, trugen sie alle drei Yukata und Getasandalen, ganz wie es Tradition war. Doch während die Augen ihrer Kommilitoninnen vor lauter Vorfreude leuchteten, seufzte Pop nur und sah zur tief orangen Sonne, die im Westen zwischen den Bergen unterging. »Was ist jetzt eigentlich mit Shoji?«, fragte Hibiki nun Sanae, die lachte. »Frag doch lieber, was mit Kenta ist«, erwiderte sie. Hibiki errötete etwas. »Sei nicht so!« Erneut lachte Sanae auf. Sie holte ihr Smartphone hervor. »Shoji sagt, er wird gegen sieben kommen und ja, Kenta und Uncho werden wohl mitkommen.« Sie seufzte. »Aber auch Shos Quälgeist von kleiner Schwester.« »Mayu? Ich finde sie eigentlich ganz niedlich«, meinte Hibiki. »Niedlich? Die Kleine ist hyperaktiv!«, grummelte Sanae. »Wetten, dass wir sie am Ende aus dem Fluss fischen dürfen?« Hibiki lachte, schien sie doch zu verstehen, dass Sanae vorrangig scherzte. »Sie ist halt ein Kind.« So ging es eine Weile weiter, während Pop drei Schritte hinter ihnen lief und ihren eigenen Gedanken nachhing, die nichts mit dem Obon-Fest, dem Feuerwerk oder »den Jungs« zu tun hatten. Sie hatte ganz andere Sorgen und über diese Sorgen wollte sie auch mit ihren Freundinnen hier nicht sprechen. Hätte jedoch eine von ihnen ihre Gedanken hören können, wären diese etwa so geklangen: »Blöde Doremi. Blöder Kimitaka. Blöde Doremi. Blöder Kimitaka.« Denn um diese beiden Personen drehten sich ihre Gedanken vorrangig, denn auf beide war sie sauer. Wieso ließen sie sie einfach im Stich? Doch weder Sanae, noch Hibiki waren fähig Gedanken zu lesen und so scherzten die beiden noch eine Weile weiter, während sie durch die Straßen gingen. Es war beinahe halb sieben und wenn es keine Probleme mit dem Bus gab - eine Hoffnung, die in Kyoto zugegebener Maßen, mehr als nur etwas optimistisch war - würden sie gegen sieben am Ofer des Kamogawa sein, von wo aus sie die Daimonji-Feuer ansehen wollten. Es war erst kurz bevor sie die Busstation erreichten, dass Hibiki sich umdrehte. »Alles in Ordnung, Pop?« »Was?« Erneut schreckte Pop aus ihren Gedanken auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, alles in Ordnung.« Hibiki, deren braunes Haar zu einem ordentlichen Zopf gebunden war, sah sie mit leichter Besorgnis auf ihren Zügen an. »Du wirkst etwas niedergeschlagen...« »Das bildest du dir nur ein«, meinte Pop und schüttelte den Kopf. »Es ist alles bestens!« Ganz zufrieden schien Hibiki nicht mit der Antwort zu sein, so dass Pop sich gezwungen sah, das Thema zu wechseln: »Und? Willst du heute mit Kenta reden?« »Wie, mit ihm reden?« Erneut errötete Hibiki. Pop knuffte sie in die Seite. »Na, ihn nach einem Date fragen oder so etwas.« »Das kann sie doch nicht so einfach!«, erwiderte Sanae. »Wenn sollte er sie fragen.« »Wenn du auf den wartest, wird das für den Rest des Studiums nicht«, meinte Pop zu Hibiki. Diese seufzte nur. »Du hast gut reden. Du hast doch deinen Freund.« Beinahe wäre Pop zusammengezuckt. Zumindest gerade war dies ein empfindlicher Punkt. »Ja, mein Freund in Sapporo...« »Aber ihr schreibt euch doch«, meinte Sanae. »Und er kommt dich besuchen.« Noch einmal seufzte Hibiki. »Außerdem hattet ihr es einfach. Ihr wart doch schom im Kindergarten zusammen oder so.« Dieses Gespräch verlief in eine ganz andere Richtung, als Pop es beabsichtigt hatte. Sie verdrehte die Augen. »So ein Unsinn. Er hat in der Grundschule mal gesagt, dass er mich mag, aber da war er doch noch ein Kind und ein totaler Idiot!« »Du solltest so nicht über deinen Freund sprechen«, meinte Hibiki leise. »Aber es ist doch wahr«, grummelte Pop. Dann fügte sie leiser hinzu: »Und er ist noch immer ein Idiot...« Hibiki seufzte schon wieder. »Es ist ja aber doch etwas anderes...« Doch zumindest schien sie zu bemerken, dass dies nicht das beste Thema war, um mit Pop zu reden und begann so mit etwas anderem. »Sagt mal, bringen die Jungs Feuerwerk mit?« Das Thema der Abendgestaltung hielt bis zur Bushaltestelle, ehe sie über die anstehende Aufführung sprachen. Irgendwie schafften sie es also, das Thema Kimitaka aus dem Gespräch rauszuhalten, bis der Bus - mit über einer Viertelstunde Verspätung - ankam. Doch auch am Thema der kommenden Aufführung war Pop wenig gelegen. Es war nicht so, dass sie nervös war, doch sah sie dem Konzert auch nicht mit derselben Vorfreude entgegen, wie vor einigen Wochen noch. Immerhin war ihr Grund zur Vorfreude nicht nur das Konzert selbst gewesen... Zumindest schien es niemanden zu stören, dass sie nach einer Weile wieder ruhiger wurde, und anstatt sich am Gespräch zu beteiligen, im Bus aus dem Fenster schaute, und das langsam dunkel werdende Kyoto vorbeiziehen sah. Natürlich war es schon fast halb acht, als sie am Kamogawa ankamen. Auf Decken sitzend hatten hier bereits viele kleine Grüppchen ihr Lager aufgeschlagen. Es waren Familien, die mit ihren Kindern hergekommen waren, teilweise aber auch Schüler- und Studentengruppen. Die Lager verteilten sich auf eine breite Strecke am Rand des Flusses, sowohl am steinigen Ufer, als auch auf den anliegenden Wiesen. Pop seufzte. Sie wusste selbst, dass es nicht ihre Art war, melancholisch zu sein... Und doch... Sie hatte sich so gefreut. Und nun? »Wo sind die Jungs?«, fragte Hibiki zurückhaltend, woraufhin Sanae nur mit den Schultern zuckte. »Keine Ahnung.« Wieder hatte sie ihr Handy in der Hand und schrieb offenbar eine Nachrricht. Während sich die anderen Passagiere des Busses, von denen viele mit ihnen ausgestiegen waren, sich am Ufer verteilten, blieben die drei Mädchen hier stehen und sahen sich um, in der Hoffnung ihre Kommilitonen, mit denen sie sich hatten treffen wollen, zu sehen. Nun, da die Sonne untergegangen war und sie aus der Innenstadt heraus waren, war die Temperatur angenehmer, hatte sich die Stadt doch wieder einmal über den Tag aufgeheizt. Es war einer jener heißen Augusttage gewesen, an denen Pop Misora vermisst hatte. Denn auch wenn sich die Luft auch in Misora hatte aufheizen können, war die Lage der kleinen Stadt in relativer Breite um eine Bucht herum im Sommer oftmals vorteilhaft gewesen, da der Meereswind zumindest für etwas Abkühlung sorgte. Sanaes Handy klingelte und als sie draufsah, hatte sie offenbar eine Nachricht von Shoji bekommen. »Sie sind ein Stück weiter Flussaufwärts auf den Wiesen«, teilte sie den beiden anderen mit. »Kommt.« Und so liefen sie die Straße entlang, bis sie bereits Uncho - der eigentlich Umita Ryo hieß, aber diesen Spitznamen offenbar schon seit der Grundschule hatten - winken sahen. »Takashi, Harukaze, Mitsugawa!«, rief er zu ihnen hinüber. Sie winkten zurück und machten sich auf den Weg zu ihnen hinüber. Auch die Jungs hatten eine Campingdecke mitgenommen, auf der sie nun saßen. Nun, eigentlich saß nur Kenta, da Uncho zu ihnen hinübergelaufen war und Shoji hinter seiner Schwester herlief, die mit einer Wunderkerze in der Hand herumlief. »Da seid ihr ja endlich!«, meinte nun auch Kenta und stand auf, um sie zu begrüßen. »Der Bus«, erwiderte Sanae entschuldigend – und da sich jeder von ihnen schon oft genug über die schlechten Busverbindungen geärgert hatte, war dieses Wort Erklärung genug. »Was ist da drin?«, fragte Uncho, während er sie zur Campingdecke begleitete und den Korb, den Hibiki mit sich trug, entdeckte. Hibiki lächelte schüchtern. »Bento.« »Oh, dass trifft sich sehr gut! Ich bin am verhungern!«, verkündete Uncho. »Krieg ich was ab?« Das Mädchen lachte leise. »Ja, ich habe etwas für alle mitgebracht.« Offenbar hatte auch Mayu – wie sie es auch immer geschafft hatte, während sie lachend zwischen anderen Gruppen hindurch gerannt war – dies mitbekommen. »Ich habe auch Hunger! Hast du Oktowürstchen gemacht?« Und so war es nicht wirklich verwunderlich, dass die kleine Gruppe bald schon um die ausgepackten Bentoboxen herum saß und ihr Picknick genoss. Sie würden ohnehin noch eine Weile warten müssen, da die Feuer nie vor Acht angezündet wurden. Pop aß nur wenig, auch wenn das Essen, das Hibiki vorbereitet hatte, gut schmeckte. Dennoch hatte sie nicht wirklich Appetit und wieder begannen ihre Gedanken zu kreisen, während sie auf den Fluss hinab sah, ohne ihn wirklich anzusehen. Sie hatte gehört früher hätte es hier viele Glühwürmchen gegeben, doch seit weite Teile des Flusses in ein Kanalbett eingefasst waren, fand man solche nur noch selten. Sie fragte sich, ob es im Wald außerhalb der Stadt noch Glühwürmchen gab, doch sie konnte ja auch nicht einfach alleine losgehen. Außerdem würden die Feuer bald angezündet werden. »Hey, Harukaze«, ließ Unchos Stimme sie nun aufschrecken. Sie sah ihn an. »Hmm?« »Du wirkst so gedankenverloren«, meinte er und lächelte sie an. »Und du hast kaum gegessen.« Wieder ließ Pop ihren Blick zum Fluss wandern. »Ich habe mich nur gefragt, ob es im Wald noch Glühwürmchen gibt.« »Oh, Glühwürmchen!«, rief Mayu aus und sah sie mit großen Augen an. »Ich möchte Glühwürmchen fangen!« Shoji lachte und hielt seine Schwester fest, als diese aufspringen wollte. »Ich dachte, du wolltest die Feuer sehen.« Das kleine Mädchen seufzte. »Stimmt. Wieso haben sie die Feuer noch nicht angesteckt.« »Warte noch ein wenig«, meinte Kenta. Mayu sah auf ihre Füße, ehe sie auf einmal wieder aufsprang. »Sho-nii-san! Kann ich noch eine Wunderkerze haben?« »Klar«, erwiderte ihr Bruder nachgiebig und holte eine weitere Wunderkerze aus einer Tüte. »Aber lauf dieses Mal nicht so wild herum.« »In Ordnung«, meinte das Mädchen scheinheilig und lief natürlich – kaum dass die Wunderkerze angefangen hatte, Funken zu sprühen – wild durch die Gegend. Wenn sie so etwas gemacht hatte, als sie noch klein war, hatte Doremi ihr immer die Wunderkerze weggenommen, bis sie angefangen hatte zu weinen. Dann hatte ihre Mutter meistens mit Doremi geschimpft. »Doremi... Idiotin...«, murmelte sie, als sie daran dachte. »Was ist?«, fragte Uncho. Schnell winkte Pop ab. »Nichts. Nichts.« Sie stand auf. »Ich... Ähm... Ich muss mal wohin«, log sie rasch. Sie wollte ihren Freunden keine Sorgen machen, doch irgendwie schaffte sie es an diesem Tag nicht die negativen Gedanken zu verdrängen. Sie sah sich um, ob es hier vielleicht wirklich eine öffentliche Toilette gab. Vielleicht würde eine Hand kaltes Wasser im Gesicht helfen, wieder ein wenig mehr zu sich zu finden. Mit dem Gedanken wanderte sie die Wiese entlang und sah sich um. Unten am Ufer des Flusses, wo es erlaubt war, hatten einige der Familien kleine Lagerfeuer angezündet, so dass kleine, noch glühende Aschepartikel über den Fluss flogen, wo sie irgendwann erloschen. Beinahe wie Glühwürmchen, dachte sich Pop. Doch dann, sie wusste nicht genau, wie es dazu kam, wurde ihr Blick von etwas anderem angezogen. Ein Motorrad, das am Rand der schmalen Straße stand. Vielleicht war es auch die Frau, die neben dem Motorrad stand, die Pops Blick auf sich gezogen hatte. Sie sah nicht wie eine Japanerin aus. Ihr blondes Haar wurde von einem Haarband aus ihren Gesicht gehalten. Die Motorradjacke, die sie trug, hatte sie aufgemacht und sie sah nun zum Daimonjiyama hinauf. »Ahs« und »Ohs« gingen durch die Menge, als das erste Feuer auf dem Berg entzündet wurde und nach und nach das »Daimonji« Zeichen zu leuchten begann. Auch Pop sah zum Feuer, dass nun auf dem Berg entfacht war und für einen Moment zog es die Aufmerksamkeit Pops ganz auf sich. Doch nach einigen Sekunden – vielleicht war es auch eine Minute – wurde ihr Blick wieder wie magisch von der Frau angezogen. Magisch... Dieses Wort, dass ihr auf einmal in den Sinn gekommen war, weckte eine Erinnerung in ihr und da sah etwas auf der Brust der Frau glitzern. Es war eine Kette, eine Art Kristall und die Form weckte eine Erinnerung in Pop. Ein Hexenkristall! »Eine Hexe!«, flüsterte Pop. Ihr Herz raste. Wie lange war es her, dass sie das letzte Mal eine richtige Hexe gesehen hatte? Wie lange war es her, dass Majo Rika und Hana-chan in die Hexenwelt zurückgegangen waren? Seit sie aus Misora fortgezogen war, hatte es immer wieder Tage gegeben, an denen sie angefangen hatte zu zweifeln, ob all das wirklich passiert war, ob sie wirklich Ojamajos gewesen waren. Aber dieser Kristall... Diese Frau musste eine Hexe sein! Sie musste es einfach sein! Und in diesem Moment sah die Frau sie an und – bildete sie sich das nur ein? – es schien, als würde ein Erkennen in ihren Augen aufleuchten. Die Frau wandte sich wieder ab und machte Anstalten ihren Helm wieder aufzusetzen, als Pop loslief. Der Yukata und die Sandalen machten es schwer zu laufen, doch sie wollte unbedingt mit dieser Frau sprechen. Als sie am Rand der Straße ankam zögerte sie. Denn noch immer fuhren Autos, selbst wenn die meisten Fahrer aufgrund des Gedränges, das hier herrschte, langsamer fuhren. Sie wollte nicht überfahren werden, doch machte die Frau gerade den Verschluss ihres Helms zu. »Warten Sie!«, rief Pop und bemerkte, dass ihre Stimme verzweifelt klang. Die Frau sah sie an, schwang aber ein Bein über ihr Motorrad. »Bitte warten Sie«, rief Pop noch einmal, als sie stolperte und fiel. Ein Riemen ihrer Sandalen war gerissen. Überrascht stellte sie fest, dass Tränen in ihren Augen brannten. Dabei hatte sie schon lange nicht mehr geweint. Sie hatte nicht geweint, als Doremi ohne sie weggefahren war. Sie hatte nicht geweint, als Kimitaka gesagt hatte, er könnte nicht zum Konzert kommen. Und doch liefen nun Tränen über ihre Wange. »Steh auf, Mädchen«, meinte eine sanfte Frauenstimme und eine Hand erschien in ihrem Blickfeld. Pop sah auf. Es war die Frau mit den blonden Haaren, die ihren Helm nun wieder unter dem Arm trug und ihr eine Hand anbot. Zögerlich ergriff Pop die ausgestreckte Hand und ließ sich von der Frau, die - obwohl sie europäisch wirkte - nicht größer war, als sie selbst. »Danke«, stammelte sie und sah zu Boden. Schnell wischte sie sich mit dem Ärmel ihres Yukatas die Tränen fort. Die Frau seufzte und sah sie matt lächelnd an. »Du bist Doremis Schwester, oder?« Überrascht sah Pop sie an. »Sie kennen Doremi?« Daraufhin nickte die Frau. »Ja. Ich habe sie vor vielen Jahren kennen gelernt.« Pop wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie zog die Sandale aus und betrachtete den Schaden. Der Stoff war am Knoten zwischen den Zehen gerissen. »Ich kann das reparieren«, meinte die Frau. »Mit Magie?«, fragte Pop, doch die Frau schüttelte nur den Kopf. »Komm mit«, erwiderte sie und ging zu ihrem Motorrad hinüber. Pop zögerte für einen Augenblick. Dann zog sie auch die zweite Sandale aus, um der Frau barfuß zu folgen. Am Motorrad angekommen, schob die Frau das Gefährt ein Stück die Straße entlang, vorbei an der Menschenmenge, die sie nicht zu beachten schien. Erneut waren »Ahs« und »Ohs« zu hören, als auch das zweite Feuer angezündet wurde. Doch für dieses hatte Pop keine Augen, während sie der Frau die Straße entlang folgte. Sie beschleunigte ihren Schritt, um die Frau einzuholen. »Wie heißen Sie?« Die Frau sah sie an. »Man hat mich einst Majo Ran genannt. Aber in dieser Welt bin ich Ran Aogawa.« Pop sah sie an und senkte dann den Blick, während sie am Rand der Straße entlang lief. »Ich dachte, es gäbe keine Hexen mehr in Japan... Majo Rika und Yuki-sensei... Sie sind alle gegangen.« »Ich bin keine Hexe«, erwiderte die Frau. Überrascht sah Pop sie an. »Aber...« Sie zögerte. Natürlich war die Frau eine Hexe. Sie hatte einen Kristall. Aber konnte sie einfach danach fragen? Sie war sich nicht sicher, also schwieg sie. »Hier ist gut«, meinte Majo Ran, als sie eine Stelle am Ufer erreicht hatten, wo sich die Menge etwas ausgedünnt hatte, da man den Higashi-yama von hier aus nicht mehr gut sehen konnte. Sie begann in dem Transportfach des Motorrads zu kramen und holte eine kleine Tasche daraus hervor. »Gib mir deine Sandale.« Zögerlich gab Pop ihr die kaputte Sandale. Ran setzte sich neben ihr Motorrad und machte die kleine Tasche auf. Offenbar beinhaltete sie ein kleines Notfallnähset. Geschickt und trotz der Dunkelheit ohne große Probleme fädelte sie einen Faden in eine Nadel ein und begann den gerissenen Stoff wieder zusammenzunähen. Pop hockte sich neben sie. »Warum nutzen Sie keine Magie?«, fragte sie, während sie beobachtete, wie geschickt die Frau die Sandale pflickte. »Weil ich keine Hexe bin«, erwiderte die Frau nur wieder. Pop zog ihre Augenbrauen zusammen. Sie verstand das nicht. Wenn die Frau »Majo Ran« hieß, einen Hexenkristall hatte und Doremi kannte, dann war sie sicher eine Hexe. »Warum bist du nicht in die Hexenwelt gegangen?«, meinte die Frau, nachdem sie Pop einen Seitenblick zugeworfen hatte. Seufzend lengte Pop das Kinn auf ihre Knie. »Weil ich meine Freunde und meine Familie nicht allein zurücklassen wollte. Und Doremi wurde ja auch keine Hexe... Es wäre nicht richtig gewesen.« Der Gedanke daran, beinahe unsterblich zu sein, machte ihr auf gewisse Weise Angst. »Wenn es dir hilft: Ich denke, du hast die richtige Entscheidung getroffen«, erwiderte Majo Ran. Überrascht sah Pop auf. »Ich wollte nie eine Hexe sein, weißt du?«, meinte Ran. »Ich bin in dieser Welt großgezogen worden und hatte viele menschliche Freunde. Doch irgendwann haben sie uns gemieden und verachtet, weil wir ihnen mit unserer Magie nicht geholfen haben. Dabei hätte ich ihnen helfen wollen... Und nun sind sie alle tot.« Unsicher senkte Pop wieder den Blick. »Das tut mir leid.« »Aber ich mag diese Welt«, sagte die Hexe dann. »Ich bin froh, dass ich hier sein kann. Und zumindest manchmal kann ich mich wie ein Mensch fühlen.« Sie schnitt den Faden ab und reichte Pop den Schuh. »Hier, bitte.« Man sah noch, wo der Riemen gerissen war, doch es sah ganz so aus, als würde der Schuh erst einmal halten. »Sei vorsichtig«, meinte Ran und stand auf. »Warte!«, rief Pop aus. Nun war es die Hexe, die sie überrascht ansah. »Bist du alleine hier? Das hätte ich nicht von der Schwester Doremis gedacht.« Pop verzog das Gesicht. »Nein, ich bin nicht alleine hier.« »Dann solltest du zu deinen Freunden zurück«, meinte Ran. »Ich will auch weiterfahren.« »Wohin?«, fragte Pop. »Wohin mich die Straße führt«, erwiderte Majo Ran und lachte, ob Pop verdutzten Ausdrucks. »Seit ich aus der Hexenwelt verstoßen wurde, reise ich durch diese Welt, lerne neue Menschen und schöne Orte kennen.« »Sie wurden verstoßen?« Wieder war Pop überrascht. »Ja, ja... Aber ich glaube, die Hexenkönigin hat es nur getan, um mich zu befreien«, erwiderte Ran mit einem weiten Lächeln auf dem Gesicht. Eine kräftigere Windböe wehte die Straße entlang und hob das Haar der beiden leicht an. Darauf wusste Pop wieder nichts zu erwidern und schwieg, den Blick gesenkt. »Sei nicht so bedrückt, kleine Ojamajo«, meinte Ran. »Na ja, klein bist du nicht mehr und Doremi wahrscheinlich auch nicht.« »Doremi wird wahrscheinlich bald heiraten«, murmelte Pop. »Und ist nur noch mit ihrem blöden Freund oder ihrem Job beschäftigt.« »Das freut mich zu hören.« »Deswegen lässt sie mich allein«, fuhr Pop fort. Wieso sagte sie das überhaupt Majo Ran? Sie hatte doch nichts damit zu tun. »Sie kommt nicht einmal zu meinem Konzert.« Die Antwort Rans allerdings überraschte sie noch mehr, als die vorherigen Worte der Hexe: »Konzert? Du spielst Musik?« »Ja. Ich spiele Klavier. Ich... Ich will eine professionelle Pianistin werden«, sagte Pop etwas verlegen. »Dann hoffe ich, dass du viele Menschen mit deiner Musik glücklich machen kannst«, erwiderte Majo Ran und legte ihr eine Hand auf den Kopf. Sie lachte leise. »Obwohl Musik ein so zentraler Aspekt der Hexenwelt ist, konnte ich nie viel damit anfangen. Ich glaube, ich war auch eine echte Ojamajo.« Pop sah sie an, sagte aber nichts. »Sei deiner Schwester nicht sauer«, sagte Majo Ran. »Ich bin mir sicher, sie ist trotzdem stolz auf dich.« »Aber...«, setzte Pop an, schwieg dann aber. Sie wusste nicht, warum es sie so wütend machte, immerhin war Doremi auf so vielen Konzerten von ihr gewesen. Doch dieses, das erste Konzert an der Universität... Es war eigentlich etwas besonderes gewesen. Da klingelte ihr Handy und als sie es aus dem kleinen Beutel, den sie mit sich trug, geholt hatte, sah sie, dass sie eine Nachricht von Sanae bekommen hatte: »Wo bist du? Ist irgendetwas passiert?« Majo Ran lächelte. »Siehst du? Deine Freunde warten auf dich.« Pop seufzte und schrieb eine Antwort: »Ich habe jemanden getroffen. Komme gleich zurück.« »Du solltest zurückgehen«, meinte Ran nun und ging zu ihrem Motorrad, wo sie das Nähtäschchen verstaute. Für einen Moment zögerte Pop. »Wenn du in dieser Welt bleibst«, begann sie dann leise, »werden wir uns dann irgendwann wiedertreffen?« Majo Ran lächelte sie an und etwas an dem Lächeln wirkte melancholisch. »Vielleicht.« Sie setzte ihren Helm wieder auf. »Grüß deine Schwester und ihre Freundinnen von mir, ja?« Mit einem Seufzen nickte Pop. »Und Majo Ran? Danke.« Sie verbeugte sich leicht. Die einzige Antwort war ein Nicken, ehe Majo Ran ihr Visier herunterklappte und das Motorrad startete. Und es dauerte nicht lang, bis sie hinter der nächsten Biegung der Straße verschwunden war. Pop sah noch eine Weile auf die Biegung der Straße und fragte sich schon beinahe, ob sie das gerade geträumt hatte. Doch dann wurde sie sich dessen bewusst, dass sie noch immer die reparierte Sandale in den Händen hielt. Als sie sich umsah wurde ihr klar, dass alle fünf Feuer brannten. Hatte sie wirklich so lange neben Majo Ran gesessen? Was wohl gewesen wäre, wenn sie eine Hexe geworden wäre? Doch sie wusste, dass es nicht das richtige gewesen wäre. Ihr Platz war hier, in dieser Welt, bei ihrer Familie, auch ihrer blöden Schwester, und bei dem blöden Kimitaka. Selbst, wenn diese nicht zu ihrem Konzert kommen konnten. Sie seufzte und wandte sich dann von der Straßenbiegung ab, um zu ihren Freunden zurückzugehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)