So nah von robin-chan ================================================================================ Kapitel 1: ... und doch ungreifbar. ----------------------------------- Der dreizehnte Distrikt. Jener Distrikt, der laut der Propaganda des Kapitols vor Jahrzehnten dem Erdboden gleich gemacht worden ist. Ein Zeichen um die Widerstände der hungernden und unterdrückten Bevölkerung zu mindern, zu erdrosseln. Dem war nicht so, tief vergaben unter der Erde, ruhte der monströse Bau, schlafend. Von außen, aber nicht von innen, denn das Innere lebte. Wie ein Ameisenbau, wo jedem eine Aufgabe zu Teil geworden war. Niemand blieb unnütz. Geleitet von einer starken Hand, die mitunter wusste, wie sie selbst ihre kleinen Ameisen unter Kontrolle behielt. Ein interessanter Ort, der sich bei mehrmaligem Hinsehen, oft gar nicht allzu sehr vom Kapitol unterschied. Selbst hier, wo die große Revolte eingeleitet wurde, gab es Hierarchien, bloß anders verpackt, die keinen Ausreißer duldeten. Alles musste dem geregelten Ablauf Folge leisten. Sie, Johanna Mason, einstige Siegerin der 67. Hunger Games befand sich inmitten der tiefreichenden Festung. Grund zur Beschwerde gab es eigentlich keinen, denn waren es Coins Soldaten, die ihrer Gefangenschaft ein Ende bereitet hatten. Männer, die für ihre Rettung das eigene Leben riskiert hatten, dennoch, wirklich frei fühlte sie sich auch hier nicht. Wer wusste schon, ob selbst eine gewonnene Revolution eine Änderung einbrachte. Ein tiefes Schnaufen durchschnitt die Ruhe. Fingerkuppen strichen über die langsam wachsenden Haare. Johanna durfte nicht länger hier bleiben, ohne Gefahr zu laufen sich Ärger einzuheimsen. Nachts herrschten strikte Regeln, aber hatte sie eine Ablenkung gebraucht. Wie so oft, wenn Albträume sich einschlichen und sie dem Ertrinken nahe stand. Nicht nur in ihrer Fantasie, nein, direkt nach dem Erwachen igelte sie sich ein, der Druck in der Brust unterband jeden geregelten Atemzug. In den schlimmen Nächten spürte sie gar die Nässe auf ihrer Haut. Ein Kampf, der nie ein Ende fand. Auf Dauer musste sie aufstehen, einen Rundgang machen, der die aufgewirbelten Gedanken und Gefühle sortierte. Auf leisen Sohlen und wachsamen Umhersehen, kehrte Johanna in ihr Zimmer zurück, welches sie nicht alleine bewohnte. Ausgerechnet mit dem Mockingjay durfte sie ihre Unterkunft teilen. Katniss Everdeen, das Aushängeschild der Revolution. Dieses junge Ding, das sie durch Entscheidungen oft auf die Palme brachte. Dieses junge, starrsinnig Ding, das Johanna Mason, die Frau, die dachte alles verloren zu haben, ins Herz geschlossen hatte. Mehr als ihr lieb war. Unmöglich, aber wahr, sie hegte tiefgehende Gefühle für den Mockingjay. Zu dumm, dass sich Katniss‘ Herz anderweitig entschieden hatte. Alles drehte sich um den Bäckersjungen, den das Kapitol geschickt einsetzte um Katniss‘ Willen zu brechen. Einen Status, der ihr niemals zu Teil werden würde, ganzgleich, wie sehr sich Johanna das wünschte. Für diese Frau war sie eine Leidgenossin, obwohl sie mittlerweile durchaus von einer Freundschaft sprechen konnten. Die Tage auf der Station und nun in der gemeinsamen Unterkunft, hatte sie enger zusammen geschweißt. Nie hatte sie Katniss näher gestanden, und doch war sie dieser so unsagbar fern. Vorsichtig schlüpfte sie durch den Spalt, schloss die Türe so tonlos wie möglich. »Feuer zieht dich an, oder?« Johanna hob den Kopf, ihre Mundwinkel zuckten in die Höhe. Und wie sie dem folgte. Angezogen vom Feuer, das die Macht besaß, sie in jeder unaufmerksamen Sekunde zu erfassen; wann immer sie wollte, konnte es sie verbrennen. Johanna fand kein Mittel dagegen und so ließ sie es stets von neuem auf das Spiel ein. In jeglicher Form. Umherwandern in der Nacht, wenn längst eine Sperre verhängt war, war das geringere Übel. Katniss Everdeen galt als ein Feuer, das eine weitreichende Anziehungskraft auf die gebrochene Frau aus Distrikt 7 ausübte. Bereits im Laufe der 75. Hunger Games, dem sogenannten Quarter Quell, hatte es Johanna gespürt. Nach der Befreiung aus Snows Gewalt hatte es rapide zugenommen. Sie suchte nach jeder erdenklichen Möglichkeit, den befreienden Flammen nahe zu sein. Katniss Everdeen war wahrhaftig das Mädchen, das in Flammen stand, sie war Johannas wärmespendende Rettung. Nur wusste die andere nichts davon, denn Johanna behielt diese Gedanken für sich, tief in ihrem Herzen begraben. »Dem kann ich nicht widersprechen. Keine Sorge, Brainless, ich hab aufgepasst.« Im Dunklen tastete sich Johanna vor. Großräumig konnte sie ihre Unterkunft nicht nennen, alles funktionstüchtig eingerichtet. Jeder Platz musste genutzt werden und so war die Einrichtung eng beieinander und irgendwo dagegen laufen, und so eine Kirsche auf das Sahnehaupt ihrer beschissen Nacht zu geben, wollte sie partout vermeiden. »Hab ich dich geweckt?«, hinterfragte sie, mit einem leicht entschuldigendem Unterton, Katniss Wachsein und legte sich wieder zurück ins Bett, das nicht gerade als das bequemste galt, in dem sie je in ihrem Leben schlafen durfte; aber auch hierbei hatte sie bereits schlimmeres erlebt. »Nein, da warst du schon unterwegs«, entgegnete Katniss, gefolgt von einem tiefen Atemzug. »Mal wieder ein Albtraum«, setzte sie wesentlich leiser nach. »Wir sind schon abgefuckt, was?«, lachte Johanna und rieb sich die Augen. Jemand, der nie in die Spiele involviert war, war nicht in der Lage die Geschehnisse und die daraus resultierenden Empfindungen zu verstehen. Wie hieß es so schön, niemand verließ die Arena als Sieger, man war bloß ein Überlebender, der einen Weg finden musste, mit all dem zu leben. Bis zu ihrem Tod trugen sie die Last. Als ob diese Erinnerungen nicht schon für ein gesamtes Leben ausreichten, kamen für Johanna noch die Folterungen des Kapitols hinzu. »Erzähl, welcher hübsche Traum hat es dir heut‘ angetan?« Bei ihr blieb der Schlaf noch aus, wie immer, danach brauchte es mehr als ein Durchschnaufen, mehr als ein bisschen die Beine vertreten. Vielleicht erging es Katniss ähnlich, so konnten sie doch wenigstens ein wenig miteinander reden. Ein paar Minuten trat vollkommene Stille ein und Johanna dachte bereits, die andere war tatsächlich wieder eingeschlafen oder wollte keine Antwort geben, als sie doch die Stimme vernahm, der sie gerne lauschte. »Die vergangenen Spiele. Wie ich in den Dschungel rannte, auf der Suche nach Prim. Das Füllhorn. Der Moment, in dem sich unsere Hände lösten, ich ins Wasser fiel und nicht mehr wusste, ob ich je aus dem Strudel heraus komme.« »Dein Pech, Brainless. Wäre deine Hand nicht so glitschig gewesen oder hättest du ein wenig geholfen, ich hätte dich halten können«, erwiderte Johanna sogleich und grinste zur Decke hoch. Daran erinnerte sie sich noch sehr gut, denn für einen kurzen Wimpernschlag hatte ihr Herz ausgesetzt gehabt. Trotz der Einweihung in den Plan und dem Wissen, man brauchte Katniss lebend, hätte der Sturz fatale Folgen haben können. »Da bin ich mir sicher«, seufzte die andere, »wie habe ich bloß ohne deine schmeichelnden Kommentare überlebt?« »Du hast genügend Menschen, die dir das Leben versüßen. Da darf ich ruhig anders mit dir umgehen.« »Gleiches Recht, erzähl«, lenkte Katniss ab, denn eine passende Antwort fand sie nicht. Dieses Gefühl hatte sie in letzter Zeit selten, da alles ineinander zusammenbrach. Einzig ihre Schwester zauberte ihr jedes Mal ein Lächeln auf die Lippen, aber dieser wollte Katniss nicht ihre Last auferlegen. Viel hielt sie zurück, obwohl ihr Verstand kaum zur Rast kam und genügend Gefühle sie übermahnten. Prim hörte ihr zu und anschließend würde sie ihr liebevoll zureden, doch was brachte ihr das, wenn sie sich ab einem gewissen Punkt voneinander trennten? Und ausgerechnet derjenige, nach dessen Nähe und Einfühlvermögen sie sich sehnte, hielt ihre Anwesenheit nicht aus. Peeta war nicht da. »Komm schon«, säuselte Katniss, da ihr keine Antwort gegeben wurde und sie drohte neuerlich in Gedanken vorzustoßen, die ihr nicht gut taten. »Wasser.« Ein Wort, laut genug ausgesprochen, damit es Katniss hören konnte; es hören musste. Jede einzelne Faser in Johannas Körper war angespannt, einer Zerreißprobe gleich kommend. Seit sie hier war, da hatte sie niemandem von ihrer Tortur erzählt, von den Ärzten abgesehen. »Wasser?«, wiederholte der Mockingjay langsam, zog nachdenkend die Augenbrauen zusammen. Einen Reim darauf, den konnte sie sich nicht machen. »Johanna …« »Wären wir heute in der Arena, ich könnte nicht sagen, wie ich mich verhalten würde. Vermutlich würde ich am Podest warten, bis sie mich in die Luft jagen.« Die Zeit im Kapitol hatte nach und nach Risse entstehen lassen und irgendwann war die Mauer, die sie über Jahre hinweg vorsorglich aufgebaut hatte, eingestürzt. »Sie mochten Wasser. Jedes gottverdammte Mal. Nur den Kopf … den ganzen Körper. Wasser … überall Wasser, bis ich das Bewusstsein verlor. Ich hab auf den Tod gewartet. Die Schweine haben nie einen beschissenen Fehler gemacht, immer bin ich in der Zelle zu mir gekommen. In nassen Klamotten.« Johanna schloss die Augen, unbewusst griff sie an ihren Hals, ein Kloß hatte sich gebildet. Die Erinnerungen schwappten über. Unzählige Male hatte sie nach Luft gerungen, das grausame Aufbersten ihrer Lungenflügel. Unmengen an Wasser geschluckt. »Nachts wache ich auf und ich fühle dasselbe. Selbst meine Haut fühlt sich kalt und feucht an. Nicht nach salzigem Schweiß sondern nach purem, klarem Wasser.« Katniss schluckte schwer. Langsam hatte sie sich auf die Seite gedreht und jedes einzelne Wort aufgenommen. Sie hatte gewusst, dass die gefangen genommenen Tribute gefoltert worden sind, hatte es bei Peeta am eigenen Leibe erfahren, aber Johannas Erzählung war eine weitere Geschichte im großen Ganzen. Eine andere Weise einem Menschen physisch wie psychisch zu zusetzen. »Johanna, es tut mir leid, ich wusste nicht …« »Wie auch, Brainless! Euch gegenüber habe ich nie davon erzählt. Die Ärzte bilden die Ausnahme, darüber ist Coin bestimmt informiert worden. Denkst du, ich posaune freiwillig mein Einbrechen hinaus?« Johanna nahm tiefe Atemzüge. Das half und ein weiteres Mal in dieser Nacht wollte sie nicht in den Gefühlen versinken. »Vielleicht kann ich dir helfen.« »Komm, lass mal. Wir alle tragen eben unser Päckchen.« »Rutsch rüber«, vernahm sie Katniss‘ Stimme nun deutlich näher. Johanna registrierte den Körper der anderen in nächster Nähe. Dieser stand tatsächlich direkt an ihrem Bett. Nein, sie war definitiv nicht die einzige Person hier, die sie schleichend fortbewegen konnte. »Was wird das, Brainless?«, stieß sie überrascht aus. »Rutsch rüber oder ich steige drüber.« Nach einer kurzen Überlegung, ob sie dem nachgeben oder tatsächlich auf eine dementsprechende Erklärung beharren sollte, gehorchte Johanna in gewissem Maße und machte unbeholfen Platz. Katniss lächelte sacht in sich hinein, sank neben die andere und schlüpfte unter die Decke. »Noch habe ich niemanden gebissen, komm her.« »Ich brauche kein Mitleid«, sprach Johanna abwehrend dagegen. Ja, sie sehnte sich nach der Nähe, der Wärme der jungen Frau, sehr, aber sie wusste, dass sie hiermit an eine Grenze stieß. Sie konnte förmlich sehen, wie nahe sie an den verheerenden Flammen stand, fühlte bereits das Brennen auf ihrer Haut. Gab sie nach, dann würde sie sich verbrennen und nicht zurück können. »Kein Mitleid, versprochen. Weißt du, ich spreche aus Erfahrung, nach solchen Albträumen tut es gut, jemanden bei sich zu haben. Jemanden, der dich hält und einfach da ist. Und ich bin hier und bleibe.« Bis der Tag anbricht, lag Johanna auf der Zunge, aber mussten die Worte unausgesprochen bleiben. »Johanna.« Da war er, der Moment. Johanna Mason gab sich geschlagen. Eng schmiegte sie sich an den wohlig warmen Körper, den Kopf auf der Schulter gebettet, einen Arm um den Bauch geschlungen. »Wie Peeta mir immer geholfen hat, bin ich für dich da«, murmelte Katniss, hielt die anderen bei sich, während eine Hand sacht Johannas Rücken entlang strich. Diese verfiel hingegen in Schweigen. Für diese eine Nacht, da wollte sie die Nähe genießen, die ihr tatsächlich eine Liderung verschaffte und ihr jegliche Kälte nahm. Eindrücke, die sie aufnehmen und nicht vergessen würde. Morgen, in der Früh, wenn sie aufstanden und dem vorgefertigten Tagesablauf nachgingen, da würde sie sich damit auseinandersetzen. Die verheerende Nähe der Nacht würde der schmerzenden Ferne des Tages weichen, und nie würde Katniss davon erfahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)