Ginny Weasley von Liliputh (Wie fühlt es sich an, besessen zu sein?) ================================================================================ Kapitel 6: Angst und Macht -------------------------- Die Stimmung im Gemeinschaftsraum war angespannt und gedrückt. Neben den vielen Schülern, die Hausaufgaben machten, ging Percy auf und ab, sorgenvoll aus dem Fenster sehend. Ginnys Kopf schmerzte so stark, dass sie sich kaum imstande fühlte, auch nur die Aufgabenstellung zu erfassen. Die Aufgaben von Professor Flitwick entsprachen eher durchschnittlichem Niveau, sodass Ginny selten Schwierigkeiten hatte, sie zu bearbeiten. Doch heute schien alles anders. Drei Tage waren nach dem Angriff auf Mrs Norris vergangen. Drei Tage, in denen Ginnys Angst ständig den Siedepunkt erreichte. Jedes kleinste Geräusch, jede Bewegung ließ sie zusammenfahren. Angestrengt die Stirn runzelnd, las sie die Zeilen zum fünften Mal: 1) Wie heißt die Zauberformel, die dazu benötigt wird, Dinge schweben zu lassen? 2) Welches sind die häufigsten Fehler, die man in der Umsetzung machen kann? Resigniert ließ Ginny die Feder über dem Pergament sinken und folgte dem auf- und abschreitenden Bruder mit dem Blick. Am strahlend blauen Himmel flog eine schneeweiße Eule vorbei. Ginny biss sich auf die Lippen. Noch ehe sie sich davon abhalten konnte, huschte ihr Blick zu Harry hinüber. Das Dreiergespann saß wie üblich etwas abseits von den Anderen. Hermine redete eindringlich auf ihren Bruder und Harry ein. Beide nickten. Die Eifersucht versetzte Ginny einen Stich. Wie gerne wäre sie an Stelle Hermines. Obwohl sie die Ältere doch so mochte. Es wird Zeit, dass jemand diesem Schlammblut zeigt, wo es hingehört. Dieses altehrwürdige Schloss zu besudeln! „Na du?“ Ginny erschrak so sehr, dass sie beinahe das Tintenfass umkippte. Mit einem lässigen Schlenker seines Zauberstabes brachte Percy es zum Stehen und sah sie prüfend an. „Kommst du voran?“ Ginny atmete tief durch, um ihr klopfendes Herz zu besänftigen und zuckte die Achseln. „Ich kann mich nicht konzentrieren. Meine Kopfschmerzen sind so stark“, klagte sie. „Lass mal sehen.“ Percy zog einen der letzten freien Sessel an den Tisch, nahm Ginnys Pergament in die Hand und beugte sich darüber. „Das ist doch gut.“ „Ich kann das aber nicht. Mag sein, dass es nicht schwer ist, aber ich bekomme es nicht hin.“ Percy lächelte. „Alles gut, Kleine. Deine Antworten sind super, nur keine Aufregung. Professor Flitwick wird zufrieden sein.“ Erschrocken öffnete Ginny den Mund und streckte automatisch den Arm aus. Fassungslos starrte sie auf die Schrift. Es war eindeutig ihre, doch wann hatte sie diese Antworten aufgeschrieben? Der Gemeinschaftsraum war dunkel, es dämmerte bereits. „Ginny?“ Percy legte ihr die Hand auf den Arm, doch sie zuckte davor zurück. „Lass uns zum Abendessen gehen, okay?“ Der Vertrauensschüler klang beklommenen wie selten. Er klingt so, wie ich mich fühle, dachte Ginny. Sie spürte, wie ein Beben durch ihren Körper lief. Schon rannen ihr die Tränen über das Gesicht. „Wenn ich nur wüsste, was mit dir los ist...“ Percy schien mehr zu sich denn zu seiner Schwester zu sprechen. Ginny schniefte. „Ich hab so Angst wegen Mrs Norris.“ Sie schlang die Arme um Percy. Dieser nickte düster. „Sie werden diese Verrückten kriegen, glaube mir. Aber jetzt lass uns essen gehen, okay?“ Er wollte sich erheben, doch Ginny ließ es nicht zu. „Und Harry und die anderen… werden nicht mehr beschuldigt?“ Energisch schüttelte Percy den Kopf. „Nein! Bestimmt nicht.“ Getröstet folgte Ginny ihm. Auf den Korridoren ging es zu wie immer. Gruppenweise drängten sich die Schüler zur Großen Halle und wieder zurück. Kein Schüler schien den Mut zu haben, alleine durch das Schloss zu gehen. Ein triumphierendes Grinsen breitete sich auf Ginnys Gesicht aus. Sieh sie dir an, die kleinen, ängstlich tapferen Gryffindors. Hütet euch! Nur wer reinen Blutes ist, mag sich dieser Tage allein sicher fühlen. Doch Geduld: Seltene Angriffe, wenn niemand damit rechnet, sind der allgemeinen Hysterie weitaus förderlicher, als erwartbare. „Der Trank von Madame Pomfrey ist dir doch gut bekommen, oder? Du dürftest eigentlich nicht dauerhaft so blass und fahrig sein, es sei denn...“ Ginny sah Percy an, wie eine Erscheinung. Hastig wandte dieser den Blick ab, spießte sich ein viel zu großes Stück Kartoffel auf die Gabel und verschluckte sich prompt. Ginny fragte sich nicht einmal, wie sie in die Große Halle gekommen war. Verwirrt schlug sie dem Vertrauensschüler auf den Rücken und nickte dann, traute sich jedoch nicht, ihm zu antworten. Womöglich habe ich mir die Frage nur eingebildet. Besser, wenn Percy nichts davon mitbekommt. Er merkt sowieso zu viel von diesen Zuständen. Sie sprang auf und zwang sich zu einem gut gelaunten Lächeln. „Schlaf gut, Perce.“ Mit hochrotem Kopf und leicht hustend erwiderte Percy den Gruß. Diesmal lag der Gang wie ausgestorben vor ihr. Leises Unbehagen stieg in Ginny auf, doch zugleich und dem ersten Gefühl komplett entgegengesetzt, ein Gefühl berauschender Macht. Eine unsichtbare Kraft zog Ginny zum Portal, in die Nacht hinaus. Kein Zweifel: Hier gab es einen Auftrag, der erledigt werden musste. Es zog sie zum Stall von Hagrid. Leises Scharren war zu hören. Knarrend öffnete sich die Tür. Der ermordete Hahn war ersetzt worden. Voll kalter Wut zückte das Mädchen den Zauberstab, ein grüner Lichtblitz erhellte die schwarze Nacht, ein Brausen erklang und der Körper des Tieres fiel in sich zusammen. Diesmal war kein empörtes Schreien zu hören, Ginny hatte leise, kaltblütig und effektiv gehandelt. Lediglich einige Hennen flatterten aufgeregt herum. „Das wird dir eine Lehre sein“, zischte Ginny und sah zu der im Schatten gelegenen Hütte des Wildhüters. „Der Erbe Salazar Slytherins duldet keine Hähne, solange der König der Schlangen das edle Werk ausführt.“ Grimmig steckte sie den Zauberstab in die Tasche und ging auf das hell erleuchtete Portal zu. Rasch legte sie den Desillusionierungszauber über sich. Das Tagebuch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß. Ginny zitterte so sehr, dass ihre Handschrift unleserlich wurde. Tränen rollten ihre Wangen hinab. „Lieber Tom, ich glaube, ich verliere mein Gedächtnis. Auf meinem Umhang sind schon wieder überall Hühnerfedern und ich weiß nicht, wie das kommt. Lieber Tom, ich kann mich nicht erinnern, was ich in der Nacht von Halloween getan habe, aber eine Katze wurde angegriffen und ich war hinterher überall mit Farbe bekleckert. Ich möchte wissen, was mit mir passiert.“ Die Tinte verschwand, doch nur einen Wimpernschlag später erschienen neue Worte. Liebe Ginny, du wirst sehr bald mehr verstehen, als dir lieb ist... -- Wenn euch das Kapitel gefallen hat und ihr es euch gerne anhören würdet, könnt ihr das hier tun: https://youtu.be/4R2zeeP5vOs Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)