Until I see you again... von CharleyQueens ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Jack Frost?“ Ihre Mutter Gothel blickte verwundert zu dem zehnjährigen Mädchen, dass mit schwärmendem Blick ihr neuestes Buch an sich presste. „Wer soll das sein?“ Das kleine Mädchen zog schmollend eine Schnute, ehe sie zu ihrer Mutter hintapste und ihr das Buch entgegenhielt. Desinteressiert blätterte Gothel durch die Seiten des Buches und gähnte dann gelangweilt. „Und was soll jetzt so interessant an diesem Jack Frost sein? Ein Junge, der den Schnee beherrscht, aber von niemandem gesehen werden kann? Rapunzel, so etwas gibt es nicht. Du bist jetzt zehn Jahre alt, also werd‘ erwachsen. Märchen gibt es nicht.“ Sie setzte sich auf die Fensterbank und warf das Buch auf einen Sessel. „Ich werde jetzt wieder gehen. Sei also artig, hast du verstanden?“ Rapunzel nickte und lächelte dann noch einmal zum Abschied, ehe ihre Mutter den Turm verließ. Sie hangelte sich an dem dicken Efeu herunter und war dann schließlich aus ihrem Blickfeld verschwunden. Seufzend griff Rapunzel wieder nach dem Buch und kletterte auf den großen Sessel. „Mir egal, was sie sagt“, flüsterte sie und strich über den dunkelblauen Einband. „Ich bin mir sicher, dass es dich gibt, Jack Frost.“   *   Jack Frost blickte neugierig nach oben und fragte sich, weshalb man einen Turm versteckt im Wald baute. Er hatte keine Tür finden können und nur an der Turmspitze war ein Fenster angebracht. Ob da oben jemand lebte? Es war ein dummer Gedanke – wer sperrte sich schon freiwillig in solch einen Turm ein? – trotzdem ließ sich Jack von dem Wind nach oben treiben. Er stützte sich auf seinem Stab ab und blickte dann durch das Turmfenster. Ein kleines Mädchen, gerade einmal zehn Jahre alt saß dort schlafend in einem großen Sessel. Überrascht kletterte Jack durch das Fenster. Hatte man ein Kind hier eingesperrt? Er sah sich um, während das Mondlicht durch das Fenster schien. Er konnte Bücher entdecken und das Mädchen sah auch nicht vernachlässigt aus. Sie trug ein sauberes Nachthemd und ihre langen Haare waren gepflegt und gekämmt. Erstaunt blickte Jack sich um. Ihre Haare waren ja wirklich lang. Neugierig folgte Jack den goldblonden Strähnen, die den ganzen Boden zu bedecken schienen, ehe er zu dem schlafenden Mädchen trat und ihr vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht strich. Und dann schlug sie die Augen auf. Überrascht stolperte Jack nach hinten, doch dann beruhigte er sich wieder. Sie konnte ihn nicht sehen. Das kleine Mädchen blickte sich nun verwundert an und ihre großen, grünen Augen blickte ihn an – nein, sie blickten durch ihn hindurch. Jack lächelte und ging dann wieder Richtung Fenster. Die Kleine sollte schlafen und er wollte sie nicht stören. Vielleicht würde er später noch einmal zurückkehren. Verwundert bemerkte er, dass der Blick des kleinen Mädchens ihm aufmerksam folgte. Er legte den Kopf schief und ließ dann ein paar Schneeflocken tanzen. Das Mädchen lachte bei dem Anblick der weißen Flocken, die zu schmelzen begannen, als sie auf dem Boden landeten und dann zeigte sie mit dem Finger auf ihn. „Du bist Jack Frost!“, erklärte sie lächelnd und ihm fiel vor Schreck der Stab aus seiner Hand. „Du kannst mich sehen?“, fragte er vorsichtig und trat dann näher. Das kleine Mädchen kletterte von dem Sessel und kam auf ihn zu. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus und berührte sein Knie. Überrascht trat Jack einen Schritt nach hinten und beugte sich dann zu ihr runter. Er lebte nun schon seit vielen Jahren, hatte viele Menschen getroffen, doch niemand hatte ihn bisher sehen können. Niemand hatte ihn berühren können. Und jetzt war da dieses kleine Mädchen mit diesem warmen Blick. „Weshalb sollte ich denn nicht sehen können?“, fragte sie verwundert. „Niemand kann mich sehen“, erklärte Jack ihr und legte den Kopf schief. „Das tut mir leid“, meinte sie und lächelte aufmunternd. „Dann haben wir etwas gemein. Seitdem ich denken kann, bin ich in diesem Turm und mich kann hier auch niemand sehen. Bis auf meine Mutter.“ „Nun, warum verschwindest du dann nicht einfach?“, fragte Jack nach und bereute sofort seine Frage. Wie sollte sich ein so kleines Mädchen denn zurechtfinden da draußen? „Mutter würde dann traurig sein“, erklärte sie ihm. Sie hatte also eine Mutter, registrierte er. Aber hier war sonst niemand. Das konnte nur bedeuten… „Meine Mutter ist unterwegs um Essen zu holen“, erklärte sie ihm. „Sie wird erst morgen Abend zurückkommen.“ „Also hätten wir genug Zeit.“ Er sprang auf und hielt ihr seine Hand entgegen. „Wie sieht es aus, Kleine? Lust auf einen Ausflug?“ Doch sie trat kopfschüttelnd nach hinten und schüttelte den Kopf. „Ich darf nicht nach draußen gehen“, erklärte sie ihm. „Mutter wäre sehr böse.“ „Deine Mutter ist aber nicht hier, oder? Und wir sind rechtzeitig wieder zurück, versprochen.“ Trotzdem schüttelte sie den Kopf. „Mutter sagt, da draußen sind Männer, die mir etwas Böses antun wollen. Wegen meinen Haaren.“ Sie deutete auf ihre lange Mähne und Jack fragte sich, was so wertvoll an diesem Haar sein sollte. Abgesehen davon, dass es lang war, konnte er nichts Wertvolles daran entdecken. „Und außerdem…“ Sie umwickelte eine Haarsträhne um ihren kleinen Finger. „… außerdem fürchte ich mich vor dem, was da draußen ist.“ „Also gut.“ Jack seufzte und setzte sich wieder auf den Boden. „Hast du irgendwelche interessanten Spiele hier?“, fragte er und das Mädchen nickte aufgeregt.   *   Und zwischen diesen beiden Menschen, die auf den ersten Blick so unterschiedlich waren, entstand eine tiefe Freundschaft. Jeden Abend blickte Jack Frost durch das Turmfenster und wenn Rapunzel alleine war, dann verbrachten sie die Nacht miteinander. Jack erzählte ihr von den Orten, die er besucht hatte und Rapunzel fragte ihn nach allen möglichen Details. Sie wollte so vieles wissen. Jedes ihrer Gespräche begann damit, dass Jack sie fragte, ob er ihr nicht heute die Welt außerhalb des Turms zeigen könnte. Und jedes Mal verneinte sie seine Frage. Die Zeit verstrich und das kleine Mädchen wuchs zu einer jungen, hübschen Frau heran. Mit ihr wuchsen auch ihre Haare, die inzwischen nun nicht mehr nur den Boden bedeckten. Jack selbst alterte nicht. Doch Rapunzel fragte nicht nach dem Grund. Sie fragte auch nie danach, weshalb Jack Eis und Schnee kontrollieren konnte, sondern akzeptierte es einfach. Und er liebte ihr Lächeln, wenn er den Winter in ihr Zimmer brachte und tausende von Schneeflocken von der Decke fielen und sie sich eine wilde Schneeballschlacht lieferten. Das Chaos, das sie hinterließen, mussten sie hinterher zwar immer wieder aufräumen, damit ihre Mutter keinen Verdacht schöpfte, doch trotzdem liebte Jack die Nächte, die er bei ihr verbrachte. Er liebte ihren Blick, wenn sie seinen Erzählungen lauschte. Er liebte ihre fröhliche Art und ihre liebliche Gesangsstimme. Sie war ein so wunderbarer Mensch. Und immer noch war sie der einzige Mensch, der ihn sehen konnte. Die Zeit verstrich und schließlich wurde Rapunzel achtzehn Jahre alt. Zwei Wochen lang war Jack nicht bei ihr gewesen, er hatte die Länder durchquert auf der Suche nach einem passenden Geschenk für sie. Und schließlich war ihm die Idee gekommen, seine süße Rapunzel zu den fliegenden Lichtern zu bringen. Er würde mit ihr zu den schwebenden Lichtern fliegen, auch wenn Rapunzel sich sicherlich wehren würde. Aber es wurde Zeit, dass sie diesen trostlosen Ort endlich verließ. Jack war sich sicher, dass sie gemeinsam eine Lösung finden würden. Solange sie nur zusammen waren.   *   „Rapunzel? Lass uns die Welt entdecken!“ Sie lächelte, als seine Stimme an ihr Ohr drang und schüttelte dann den Kopf. „Mutter würde böse sein“, erklärte sie und öffnete eines ihrer Augen. So wie immer stand Jack Frost auf der Fensterbank und stützte sich grinsend auf seinem Stab ab. Sie schlug die Bettdecke weg und streckte sich, ehe sie sich aufsetzte. „Warum nicht?“, fragte er nach und Rapunzel hielt inne. Er hatte diese Frage so lange nicht mehr gestellt. „Deine Mutter wird nie erfahren, dass du weg gewesen bist. Gib mir nur eine Nacht, in der ich dir die Welt zeigen kann.“ „Aber draußen gibt es Menschen, die mir böses wollen“, gab Rapunzel zögernd zurück. Sie wünschte sich so sehr, endlich diesem tristen und trostlosen Turm zu entkommen. Selbst wenn es nur für eine Nacht war, sie wollte die Welt dort draußen so gerne sehen. „Dann werden wir hoch genug fliegen, sodass niemand uns sehen kann“, erwiderte Jack und sprang schließlich doch von der Fensterbank. „Ich will dir die Welt zeigen, Punzie, und ich werde nicht ruhen, bis du nicht mit mir kommst.“ „Jack, ich…“ Wie immer, wenn sie nervös war, spielte Rapunzel mit ihren Haaren. Sie blickte auf ihre nackten Füße und fragte sich, wie es wohl war, über Gras zu laufen. Über Steine, die von der Sonne erwärmt wurden. Hier im Turm war es eigentlich immer kühl. Sie wollte so gerne durch ein kühles Flussbett springen. Sie wollte nur einmal nach draußen. Weshalb also zögerte sie noch? „Du bist manchmal ziemlich stur, weißt du das?“ Überrascht registrierte sie, wie Jack ihr Kinn anhob. Seine blauen Augen funkelten schelmisch und noch ehe sie etwas sagen konnte, hatte er schon seine Lippen auf ihre gelegt und küsste sie sanft. Endlich!, schrie es in Rapunzel und sie legte ihre Arme um ihn. Wie lange hatte sie sich das schon gewünscht? Jedes Mal, wenn er kam, hatte sie sich vorgenommen, ihm ihre Gefühle zu gestehen und war doch nie über ihren Schatten gesprungen. Zu groß war die Angst, dass er selbst nichts für sie empfinden könnte. Doch jetzt spürte sie seine warmen und weichen Lippen, der Schnee, der schon immer auf seinem blauen Pulli lag, kühlte ihre Haut und seine Hände hielten sie fest. Rapunzel hatte sich immer gefragt, wie es sich wohl anfühlen würde und jetzt wusste sie es. Es war magisch. Beinahe so als würde sie fliegen. … Abrupt unterbrach Rapunzel den Kuss und blickte auf den Boden. Doch da war kein Boden mehr. Alles, was sie unter sich sehen konnte, war die Spitze des Turms und rundherum ein riesiger Wald. „Du Vollidiot!“, schrie sie aufgebracht und versuchte ihr Gleichgewicht zu halten. Jack grinste nur und drückte sie enger an sich. „Das hab‘ ich dir nicht erlaubt!“ „Ich weiß, Punzie. Aber anders konnte ich dich nicht aus dem Turm herauskriegen. Und jetzt vertrau mir einfach. Wir reiten mit dem Wind!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)