Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI ) von LennStar ================================================================================ LMMI 4 Kapitel 2 ---------------- Kapitel 2 "Hallo Merle!" Die helle Stimme ließ Merles Katzenohren zucken. Überrascht drehte sie sich um. "Millerna! Dryden! Allen! Das ist aber schön! Habt ihr es doch noch geschafft!" Merle sprang näher, und beäugte Millerna neugierig. "Du bist ein ganzes Stück gewachsen Merle." Bemerkte Dryden. Merle nickte, und deutete enttäuscht auf Millernas Bauch. "Du aber nicht." Die ehemalige Prinzessin und jetzige Königin lachte und legte Merle die Hand auf die Schulter. "Da musst du noch ein bisschen warten. Ist ja erst der dritte Monat." Merle zog einen Schmollmund, besann sich aber rasch ihrer Pflichten. "Van ist leider zu sehr beschäftigt, aber ich kann euch den neuen Gebäudeteil zeigen. Ihr werdet staunen, was für ein schönes Zimmer ich habe." Da fiel Merle wieder ein, dass dort ja auch noch etwas anderes war. "Das hatte ich ja ganz vergessen!" murmelte sie erschrocken, und Millerna fragte neugierig. "Was denn?" "Ach nichts!" wiegelte Merle ab und schüttelte heftig den Kopf. "Da ist wirklich nichts." "Na wenn du meinst. Du musst es uns ja nicht verraten." Merle fauchte Dryden böse an, und spielte dann die Beleidigte. "Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden..." sagte sie, und stolzierte davon. "Autsch! Jetzt ist sie beleidigt." Kommentierte Dryden, und seine Frau tadelte ihn scherzhaft "Pass auf, sonst beschwörst du noch einen diplomatischen Zwischenfall zwischen Asturia und Fanelia herauf." Allen winkte ab und fügte mit unschuldiger Mine hinzu "Den schwatzt er doch locker vor dem Frühstück wieder weg. Dryden könnte Merle glatt ein Hundehalsband aufschwatzen." Merles Fauchen ließ sie alle in lautes Gelächter ausbrechen bevor sie sich wortreich bei ihr entschuldigten. Einigermaßen versöhnt zeigte Merle ihnen dann den neuen Flügel. Den geheimnisvollen Gast bekam sie aber auch dieses Mal nicht zu sehen. So verging der Tag unmerklich, und mit einem Mal wurde es Abend. Die Sonne versank in einem famosen Untergang hinter dem Horizont und die hohen Herrschaften versammelten sich langsam einer nach dem anderen im Ballsaal. Nur die Bediensteten hasteten durch die Gänge, und natürlich auch Merle, die solche Ereignisse auf den Tod nicht ausstehen konnte. »Dieser Mistkerl! Dabei hatte er es hoch und heilig versprochen! Jetzt ist er schon über eine halbe Stunde zu spät und...« "Merle! Tut mir leid, dass ich..." Merle fuhr fauchend herum, und ließ ein Donnerwetter auf den zu spät gekommenen los. "Blinx! Du Musterexemplar einer Schnecke! Was fällt dir ein, mich hier warten zu lassen? Häh? Ich stehe mir hier die Beine in den Bauch, während da drin die Leute feiern, und der einzige, der nicht kommt, bist du!" "Mir ist etwas dazwischen gekommen..." "Ach Unsinn! Etwas dazwischen gekommen! So etwas gibt es doch nicht!" "Außerdem verabscheust du solche Bälle, weil alle fragen, ob du eine Maske trägst oder immer so aussiehst." "Das wäre mir heute egal gewesen!" erwiderte Merle mit typisch weiblicher Unlogik. "Damit du es weißt, du kannst gleich wieder umdrehen! Ich lasse mich doch nicht mit jemanden blicken, der nicht mal pünktlich kommen kann." "Na, wenn du meinst. Ich bin auch nicht gerne auf solchen Bällen." Der Katzenjunge drehte sich um und ging davon. Doch kurz bevor er um die Ecke biegen konnte, rief ihn Merle zurück. "Warte Blinx!" "Ja, ist noch was?" Merle scharrte verlegen mit dem Fuß auf dem Boden herum. "Bleib hier. Bitte. Ich will da nicht allein rein. Van hat keine Zeit und Thana schwirrt immer noch irgendwo herum und beaufsichtigt die Diener. Millerna und Dryden sind mit sich selbst beschäftigt, und Allen ist noch nie eine Stimmungskanone gewesen. Vor allem nicht, seit dem seine Schwester krank ist." "Ach ja, ich habe davon gehört. Ich dachte, sie erholt sich wieder?" "Schon. Aber die Ärzte wissen ja nicht einmal, was den Anfall ausgelöst hat. Falls er sich wiederholen sollte, verläuft es vielleicht nicht noch einmal so glimpflich." Blinx nickte betrübt. Er wusste bloß, dass Serena eines Morgens ohne Vorwarnung umgekippt und drei Tage bewusstlos gewesen war. "Also gut. Ich komme mit rein." Merle nickte, packte ihn bei der Hand, funkelte Blinx dann aber unversöhnlich an. "Glaube nicht, dass ich dir verziehen habe. Das ist nur, weil ich nicht allein sein will. Du bist sowieso nur zweite Wahl, da Van nicht kann." "Schon klar." Blinx seufzte. Eigentlich hatte er Merle ja ganz gern, aber ihre trotzigen Anfälle waren zum Verzweifeln. "Schöner Ball." Merle freute sich über Millernas Lob. "Danke. Wir haben auch hart dran gearbeitet. Wenn ich nur dran denke, was mit den Kerzen passiert ist! Man hat eine Wagenladung über Nacht draußen stehen lassen, als es so heftig geregnet hatte, und dann waren sie alle verklebt." Millerna unter ihrer Eulenmaske lachte. "Ich dachte, Kerzen schmelzen nur, wenn es warm wird." "Das dachte ich eigentlich auch." Stimmte Dryden ihr zu. "Aber da wir schon beim Thema schmelzen sind: Wo sind denn unsere Frauenschwärme? Ich sehe sie gar nicht mehr." Millerna, Blinx und Merle blickten sich suchend um. Allen war nirgendwo zu entdecken. "Van ist da hinten! Mit Thana." meldete Blinx schließlich, der die Drachenmasken entdeckt hatte. In der Tat stand Van mit Thana in einer Ecke, und redete auf sie ein. Thana schüttelte mehrmals den Kopf. Offenbar sprach er sehr leise, und so musste er sich oft wiederholen. "Hoffentlich gibt es kein Problem." Sagte Blinx. "Bloß nicht!" rief Merle erschrocken. "Bis jetzt lief doch alles so gut. Blinx, sei nicht immer so pessimistisch!" Anscheinend hatten Van und Thana die Sache jetzt geklärt, denn Thana nickte und verschwand durch eine Seitentür. Das nahm eine der maskierten Frauen zum Anlass, sich mal wieder um Van zu kümmern. "Würden mir eure Hoheit diesen Tanz schenken?" wurde Van von einer Frau mit Rabenmaske gefragt. Van seufzte leise und drehte sich um. "Aber natürlich, meine Dame. Kommt." Er bot ihr die Hand an, und führte sie dorthin, wo sich auch schon die anderen Paare drehten. Die Musik wechselte gerade wieder zu einem langsamen Paartanz. Van merkte nicht, wie die Augen der Frau ihn durchdringend musterten, während ihre Füße über das Parkett schwebten. Seine Gedanken waren woanders. Wie würde sich das Leben jetzt ändern? Er hatte sich nie wirklich vorgestellt, wie es war, verheiratet zu sein. War es überhaupt richtig? Er würde kaum Zeit für Hitomi haben, und Hitomi selbst Pflichten, von denen sie wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung hatte. Hatte er sie zu etwas gedrängt, dessen Konsequenzen keiner von ihnen beiden einschätzen konnte? "Was bedrückt dich so, Van?" fragte die Frau, und riss Van aus seinen trüben Gedanken. Wieso sprach sie ihn so vertraut an? Dann erkannte er mit einem Schlag die Stimme wieder. "Asuna!?" "Natürlich. Was dachtest du denn? Wer außer mir würde eine Rabenmaske tragen, den Boten des Unglücks und des Todes." Jetzt erst wurde sich Van der Symbolik ihrer Maske bewusst. "Ja... Was machst du überhaupt hier?" fragte er verwundert. "Tanzen." Antwortete Asuna lachend, und leiser "Ich bin natürlich auch eine von den Prinzessinnen, die es auf dich abgesehen haben." "Stimmt. Ich hatte vergessen, dass man dir tatsächlich die Herrscherwürde anvertraut hat." "Aber nur, weil niemand sonst sie haben wollte. Zaibacher sind im Moment nicht gern gesehen." Van nickte schweigend. Das war auch eines der Probleme, die ihn beschäftigten- die Feindschaften, die der letzte Krieg hinterlassen hatte. Es genügte, jemanden "Zaibacher" zu nennen, und schon bildete sich ein mordlüsterner Mob. Dabei war es unerheblich, ob die Person wirklich aus Zaibach stammte, oder nicht. Davon abgesehen, dass der durchschnittliche Zaibacher auch nicht viel für den Krieg konnte. Er hatte einfach nur Befehle befolgt, und die meisten der Zaibacher Soldaten waren sicher nicht froh gewesen, in den Krieg zu ziehen. Auch sie hatten schließlich eine Familie. "Wie kommst du zurecht?" fragte er Asuna. "Ich habe mich leider viel zu wenig mit Zaibach beschäftigt." "Eigene Probleme, was?" meinte Asuna verständnisvoll, und lächelte einer anderen Frau freundlich zu, die ihr anscheinend das "intime" Gespräch mit Van neidete. Dabei war sie die letzte, die versuchen würde ihn um den Finger zu wickeln. Obwohl sie dem Rat in Zaibach gegenüber natürlich etwas anderes gesagt hatte. Schließlich würde eine Verbindung ausgerechnet dieser beiden... "Eigentlich geht es ganz gut voran, wenn man bedenkt, dass Zaibach der Schuldige ist... und was noch wesentlich schlimmer ist, der Verlierer. Wir bekommen keine Unterstützung von anderen." "Tut mir leid, aber ich habe wirklich nicht..." versuchte Van sich zu rechtfertigen, wurde aber von Asuna unterbrochen. "Ach hör auf Van! Ich habe mir die Protokolle der Friedensvertragsverhandlungen angesehen. Wenn du dich nicht für Zaibach ausgesprochen hättest, wäre es viel schlimmer geworden. Allein dafür schulde ich dir eine Menge. Eigentlich schulde ich dir alles." Sie blickte beschämt zu Boden. Auch nach einem dreiviertel Jahr fiel es ihr schwer, ihre Gefühle auszudrücken. "Was du und Hitomi damals für mich getan habt... Ich kann es immer noch nicht begreifen. Jeder andere hätte mich in den tiefsten Kerker geworfen oder hingerichtet. Und zu Recht. Ich habe schreckliche Dinge getan, und noch viel schlimmeres hätte passieren können..." "Das reicht!" sagte Van und funkelte einen Herrn an, der sich näher schleichen wollte. Dem Blick nach, den eine junge Dame dahinter diesem Mann zuwarf, war er ihr Vater, der seiner Tochter den Weg frei räumen wollte. Van hatte aber keine Lust, sich ausgerechnet jetzt unterbrechen zu lassen. Und Asuna war ihm noch tausend mal lieber als diese hirnlosen Gören. "Van! Schau nicht so mürrisch! Was sollen denn die Leute denken! Das hier ist ein Fest." Mühsam zwang sich Van zu einem Lächeln. "Daran musst du noch arbeiten." Meinte Asuna, und zeigte ihm ein strahlendes Lächeln, das wahrscheinlich einigen der Anwesenden die Zornesröte ins Gesicht trieb. Van lachte kurz, wurde aber schnell wieder Ernst. "Du brauchst dir keine Vorwürfe mehr machen. Was mich angeht, ist die Sache von damals vergessen." Wehmut lag in seiner Stimme, als er weitersprach "Wie könnte ich dir böse sein, bei dem, was mein Bruder getan hat. Ich habe ihn verziehen, soweit man eine solche Tat verzeihen kann. Wie könnte ich dir keine Rücksicht entgegenbringen." "Ach Van. Ich wünschte, ich könnte dir helfen." Asuna unterdrückte den Impuls, Van tröstend in die Arme zu nehmen. Wenn sie allein gewesen wären, vielleicht. Er hätte sie wahrscheinlich zurück gewiesen, aber mit Zeit hätte er die Geste verstanden. Sie verstand besser, als er glaubte. Er konnte sagen, dass er Folken verziehen hatte, aber in seinem Herzen würde immer der Schmerz seines Verrates und die Gesichter der vielen Toten bleiben. "Darf ich dich etwas fragen Asuna?" "Sicher." "Denkst du manchmal, dass du eine falsche Entscheidung getroffen hast, als du dich bereit erklärt hast, als Prinzessin aufzutreten?" "Oh ja, oft. Ich habe seitdem kaum eine Nacht durchgeschlafen vor Sorge." Van seufzte. "Aber ich habe es nie bereut. Jemand muss die Aufgabe übernehmen, und wenn man mir mit Wut und Abscheu und Misstrauen entgegentritt, dann kann ich mir sagen, dass es bei mir gerechtfertigter ist als bei den armen einfachen Menschen. Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen, und ich gedenke es so gut es geht zu nutzen, auch wenn es schmerzhaft ist. Ich sehe es als eine Art Buße an." Van nickte sorgenschwer. Das waren so ziemlich seine Gedanken. Er wollte nicht, dass Hitomi litt, nur weil er sie bei sich haben wollte. Ihr würde als Königin Fanelias nicht solcher Hass entgegenschlagen, aber leicht war es mit Sicherheit nicht. Und im Gegensatz zu ihm war sie nicht ihr ganzes Leben darauf vorbereitet worden. Wahrscheinlich war jeder hier in diesem Raum besser vorbereitet als sie, selbst Asuna und Merle. "Könntest du mit ruhigem Gewissen jemand anderem deine Aufgabe überlassen? Ich meine, ohne dir um ihn Sorgen zu machen?" fragte er zögernd. "Nein!" kam die entschiedene Antwort, und als Van zusammenzuckte fügte, Asuna hinzu. "Niemand kann sich ohne Probleme so aufopfern. Jeder bekommt Probleme und Selbstzweifel, das ist ganz natürlich. Der Dumme ist immer sicher, der Weise immer voller Zweifel." Van musste laut lachen. "Dann reicht meine Weisheit für drei!" "Und meine für fünf!" übertrumpfte ihn Asuna, bevor sie für eine Weile schwiegen und sich im Tanz wiegten. "Du bist zu allein, Van." Meinte Asuna schließlich, und schreckte Van auf. Selbst mit der Maske konnte Asuna erkennen, wie er rot wurde. Hatte sie unbewusst seine Gedanken erraten? Rasch führte sie sich noch einmal das Gespräch vor Augen, und eine Ahnung stieg in ihr auf. "Du denkst an Hitomi, oder? Deshalb hast du das alles gefragt!" "Sei still!" zischte Van. "Du hast Angst, sie kommt nicht mehr zurück? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Du glaubst, es könnte ihr später leid tun, bei dir zu bleiben, ist es das?" Van nickte. Einen Moment fragte er sich, warum er dieses Gespräch ausgerechnet mit Asuna führte. "Ich habe Angst, dass ihr das Königin sein zu schwer fällt. Sie hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt. Und ich will sie nicht leiden sehen. Vor allem nicht wegen mir." Asuna seufzte und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Van, du bist ein Dummkopf." "Das sagt Thana auch immer." Asuna lächelte. "Dann solltest du auf sie hören. Sie kann immerhin deine Gefühle lesen. Deshalb weiß sie sicher auch, dass du ohne Hitomi nicht leben kannst. Und sie nicht ohne dich. Weißt du, wann sie wiederkommt?" In dem Moment, wo Asuna die Frage stellte, kannte sie die Antwort. "Was rede ich da. Das ist der Grund, warum du dich in Selbstzweifeln ergehst. Weil sie wieder da ist." Van konnte nur noch nicken. Asunas Gedanken dagegen rasten. "Wieso ist sie dann nicht hier?" "Ich dachte, es wäre eine gute Idee. Heute früh in der Sitzung haben sie mich mal wieder gedrängt, eine Braut auszuwählen, und mitten drin habe ich gespürt, wie Hitomi nach Gaia gekommen ist. Ich habe mich so gefreut, dass ich gesagt habe, ich würde heute auf dem Ball meine Entscheidung bekannt geben." "Dann verstehe ich gerade nicht, warum sie nicht hier ist." Van lächelte. Asuna hatte weniger Zweifel als er, was er getan hatte, und wie Hitomis Antwort ausgefallen war. Sie war sich so vollkommen sicher, dass ihr eine andere Möglichkeit gar nicht in den Sinn kam. "Ich wollte ihre dummen Gesichter sehen wenn sie es erfahren." Asuna wunderte sich. "Das klingt mir aber nicht gerade politisch klug. Andererseits ist es wirklich Zeit, dass du ihnen auf die Finger schlägst." "Meinst du wirklich?" fragte Van überrascht. "Ja. Sie mischen sich viel zu sehr ein." In diesem Moment betrat eine junge Frau hinter der Maske eines Nachtsängers den Saal oben auf der Balustrade. Asuna erkannte sie sofort. Und genau wie bei ihr war ihre Maske sehr symbolisch. Der Nachtsänger war der einzige Vogel, der in der Nacht sang, und es hieß, wer einen der extrem seltenen Vögel hörte, traf einen lange vermissten, geliebten Menschen wieder. "Aber das können wir ein anderes Mal bereden, wenn du noch Lust dazu hast Van. Jetzt verlangt eine andere Person deine Aufmerksamkeit." Asuna deutete auf Hitomi und beobachtete Van, der sich fragend umdrehte. *** Merle hatte ihre Neugier nicht überwinden können und sich unter einem Vorwand davon gemacht. Es musste ja nicht jeder wissen, dass sie so neugierig war. Zu ihrer Verärgerung schien Blinx aber genauso neugierig zu sein wie sie und war ihr gefolgt. "Buh!" rief Merle aus ihrem Versteck hinter einer Säule, und freute sich diebisch über Blinx erschrockenes Gesicht. "Himmel, was fällt dir ein? Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben." "Du hättest mir ja nicht nachschleichen brauchen." "Habe ich ja gar nicht!" Verteidigte sich der Katzenjunge und machte ein verärgertes Gesicht. "Ich wollte lediglich mit Thana sprechen. Woher soll ich wissen, dass du das auch vor hast? Oder was willst du hier?" "Das geht dich doch wohl nichts an. Schließlich wohne ich hier, und kann hingehen wo immer ich will. Was willst du überhaupt von..." Merle beendete ihren Satz nicht, denn was sie hinter Blinx sah, verschlug ihr den Atem. Eine Sekunde später fühlte sich Blinx von Schraubstockhänden gepackt und hinter die Säule gezerrt. "Gut. Sie haben uns nicht gesehen." Murmelte Merle, die kurz an der Säule vorbei schielte. "Was ist de..." Merles Hand auf seinem Mund hinderte Blinx an weiteren Fragen. Resigniert wartete er, bis Thana in Begleitung eines anderen Mädchens an ihnen vorbei gegangen war. Das Mädchen kam ihm irgendwie bekannt vor, auch wenn er sie nicht einzuordnen wusste. Die Maske gab ihm allerdings zu denken. Wer würde denn die Maske eines Nachtsängers tragen? "Wer war das?" fragte er Merle als er wieder sprechen konnte. Merle warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der seine Intelligenz irgendwo in der Nähe von Plattwürmern ansiedelte. Dabei hatte sie selbst Hitomi nur so schnell erkannt, weil Thana ihr gerade die Maske aufgesetzt hatte, und deshalb hatten die beiden sie auch nicht gesehen. "Das wirst du schon früh genug erfahren, vorausgesetzt du hältst den Mund und kommst mit." Merle zog Blinx mit sich fort, nach draußen und über den Garten wieder zurück zum Ballsaal. Unterwegs stießen sie noch auf Allen. "Was machst du hier?" kreischte Merle überrascht, als sie in ihn hineinschlitterte. "Es war mir zu langweilig." Antwortete Allen und schob sie von sich um wieder aufzustehen. Auch Merle rappelte sich eiligst wieder hoch. "Dann komm lieber mit. Du verpasst sonst die Überraschung des Jahres." Das letzte Wort wurde schon von den Dornen der Hecke zerrissen, um die Merle gerannt war. "Welche..." "Keine Ahnung!" rief Blinx ihm die Antwort auf seine Frage zu, bevor auch er hinter der Hecke verschwand. Mit einem Fluch setzte Allen sich in Bewegung. Er kam gerade noch rechtzeitig an um zu sehen, wie eine elegante Frau, die gerade mit Van getanzt hatte, auf jemanden auf der Treppe am anderen Saalende zeigte. Allen blickte in die Richtung, in die sie wies, und erstarrte. "Das ist doch..." hörte er Millernas überraschte Stimme neben sich. Er blickte nach links und sah, wie auch Dryden vor Überraschung der Kiefer nach unten klappte, als er die Frau auf der Treppe sah. "Da hol mich doch der..." Allen drehte sich wieder um und sah Van, der wie ein Betrunkener durch den Saal ging ohne etwas wahrzunehmen. "Wer ist das denn nun?" Wollte Blinx wissen. "Wie, du erkennst sie nicht? Also Blinx, wirklich." Thana, die in der Minute des Schocks unbemerkt herangetreten war, schüttelte missbilligend den Kopf. "Seit wann ist sie wieder hier, und wieso hast du mir nichts gesagt?" wollte Merle von ihr wissen." "Seit heute Vormittag. Van wollte, dass es bis heute Abend niemand etwas erfährt. Und wenn ich mir eure Gesichter so ansehe muss ich sagen, die Überraschung ist gelungen." "Das kannst du laut sagen!" meinte Millerna und stürzte das Glas in ihrer Hand mit einem Zug herunter, was ihr ein bestürztes "Millerna!" von ihrem Mann einbrachte. Auch Allen und Merle schauten verdutzt. Doch dann richteten sich die Blicke aller wieder auf Van, der gerade die Treppe erreicht hatte, und nun Hitomi entgegenstieg. *** "Jemand anders?" wollte Van fragen, doch noch während er sich herumdrehte wusste er, wer gemeint war. Und dort auf der Treppe stand sie und sah in den Ballsaal. Van glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Sie sah einfach umwerfend aus. Das Haar hochgesteckt und in einem Kleid wirkte sie auf einmal ganz anders, majestätisch, wie es Van unweigerlich in den Kopf schoss. Wie eine Königin. Wie von selbst setzten seine Füße sich in Bewegung, und jetzt erkannte er auch, was ihn gewundert hatte. Er kannte das Kleid, das sie anhatte. Sie hatte das gleiche von Millerna bekommen, als sie das erste Mal nach Pallas kamen. Er wusste noch ganz genau, wie er sie angestarrt hatte, als er sie das erste Mal darin gesehen hatte. Wunderschön hatte sie damals ausgesehen, genau wie jetzt. Das Licht brach sich schillernd im Stoff ihres Kleides und quer durch den Saal sah er ihre funkelnden grünen Augen. Ihre Maske ließ Van lächeln. Sicher hatte Thana sie ausgewählt. Sie liebte solche Dinge mit Symbolen und Legenden und scheinbaren Zufällen, und würde es sich nicht nehmen lassen ein deutliches, aber dennoch subtiles Zeichen zu setzten. Wie im Traum schritt er auf sie zu, merkte nicht, wie er jemandem auf den Fuß trat und wie ihn die Leute anguckten. Eine Frau fiel in Ohnmacht, als er an ihr vorbeiging. Wenn er es bewusst mitbekommen hätte, wäre Van vielleicht eingefallen, dass es die Frau war, die sich vor zwei Nächten in sein Zimmer schleichen wollte. So aber erreichte er die Treppe ohne die Umgebung wahrzunehmen, und schritt langsam auf Hitomi zu, die ihm während seiner Wanderung durch den Saal entgegen gekommen war. Van bewunderte, wie sie scheinbar ungerührt auf ihn zukam, obwohl ihr Herz doch genauso heftig schlagen musste wie seines. Sicher kam sie ihm Stufe um Stufe entgegen, bis sie sich trafen, Van auf der fünften Stufe, Hitomi auf der sechsten. Einen Augenblick fragte Van, ob sie wusste, was das bedeutete. Dann verneinte er diesen Gedanken. Selbst wenn, hätte sie sich nie absichtlich dort hin gestellt. Dazu war sie viel zu schüchtern, egal welchen Eindruck sie in diesem Moment vermittelte. Die fünfte Stufe, auf der Van stand, symbolisierte die fünf Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Geist. Bei Staatszeremonien standen dort die traditionell fünf Minister, die die Weisheit dieser Elemente symbolisierten. Über ihnen stand dann der König, die Einheit dieser Elemente und ihrer Weisheit. Und nun stand der König von Fanelia auf der fünften Stufe, und schaute hinauf zu jemand anderem. Wirklich ein bedeutendes Sinnbild. Doch das konnte heute keiner mehr wissen. Schon sein Vater hatte es nicht gewusst. Er selbst hätte es wohl kaum gewusst, wenn er nicht einmal als kleines Kind seine Mutter gefragt hatte, warum seine Eltern immer auf der selben Treppenstufe standen, obwohl sie weiter oben doch besser gesehen werden konnten. "Und außerdem..." hatte seine Mutter der Erklärung ernst aber lächelnd hinzu gefügt "außerdem sollte ein Herrscher niemals von oben auf sein Volk herabschauen, denn ohne die Menschen ist sein Reich nichts weiter als ein ödes Stück Land." Ja, seine Mutter war weise gewesen, weise und voll von altem Wissen. Und genauso schön wie Hitomi. Er verstand, warum sein Vater sie gegen jeden Widerstand geheiratet hatte. Warum hatte er nicht eher daran gedacht? Dann hätte er sich seine schweren Gedanken sparen können. Auch seine Mutter hatte es schwer gehabt, aber sie war in ihrer Ehe glücklich gewesen. Warum traute er Hitomi weniger Stärke zu? Er hob die Hand und mit leiser Stimme fragte er seine Angebetete "Würdet ihr mir diesen Tanz schenken?" Hitomi hinter ihrer Maske nickte und ergriff seine dargebotene Hand. "Sehr gerne Majestät." Die Hände aufeinander gelegt schritten sie die Treppe herab, während die Musiker einen weiteren langsamen Tanz anschlugen, einen Tanz der fast- aber nur fast- unsittlich war für einen solchen Ball, da er sehr eng getanzt wurde. Thana bei den Musikern zwinkerte ihm zu, und Van konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. Sie liebte es wirklich, solche Dinge zu arrangieren. "Nur Mut." Flüsterte Van Hitomi zu, als sie sich zum Tanz aufstellten. "Du hast gut Reden. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen muss. Thana hat bloß gesagt, sie sorgt dafür, dass ich mich nicht blamiere, und das wars." Van drückte ihre Hand und umfasste mit der anderen ihre Hüfte. "Keine Sorge. Verlass dich ganz auf mich. Lass dich einfach nur tragen." Der Tanz begann, und langsam entspannte Hitomi sich. Wie Van ihr geraten hatte, ließ sie sich von ihm führen, von den kleinen, fast unmerklichen Berührungen, die sie mal in die eine, mal in die andere Richtung schoben. Der Tanz endete nach einer langen, viel zu kurzen Zeit. Van lächelte Hitomi an. "Was meinst du, ist jetzt der richtige Zeitpunkt?" Er brauchte nicht zu erklären, wozu. Es war beiden klar. Hitomi nickte. "Wenn du willst." *** Aufmerksam wurden Van und Hitomi beobachtet, doch nicht nur von ihren Freunden. "Seht euch die an!" sagte Millerna belustigt, und wies mit den Augen auf eine der Frauen, die sich heute ganz besonders eifrig um die Kunst des Königs bemüht hatten. Sie hatte eine Blume an ihrem Kleid angesteckt, welche sie nun mit den Fingern zerquetschte. Ein gelblich-grüner Fleck kennzeichnete die Missachtung der Natur. "Ich schaue mir lieber Van und Hitomi an." Meinte Thana lächelnd. "Sind sie nicht süß?" Dryden lachte schallend. "Du bist ja eine Romantikerin. Hätte ich gar nicht erwartet." "Jede Frau ist Romantikerin. Wenn ihr das nicht wisst, tut mir die eure aber leid." Gab Thana mit funkelnden Augen zurück. "Sie beschwert sich nicht. Das traut sie sich nicht." Konterte Dryden. "Ich glaube, das liegt eher daran, dass ihr Mann ihr egal ist." "Das reicht jetzt!" unterbrach Millerna die beiden. "Wenn ihr euch schon im Lästern übertreffen wollt, dann nicht über mich, und vor allem nicht, wenn ich dabei bin." "Aber Schatz." versuchte Dryden sie zu beruhigen. "Wir spielen doch nur!" "Ja. Wie die kleinen Kinder." Dryden sah sie überrascht an, blickte dann fragend zu Thana, die nach einigem Zögern nickte. Dryden drehte sich wieder zu Millerna. "Schatz, so ungern ich es zugebe, aber du hast gewonnen. Wir geben auf. Das ist nicht mehr zu überbieten." Dryden wich dem Schlag seiner Frau aus, und deutete dann in den Saal, froh über die Ablenkung. "Schau mal, ich glaube, Van will etwas verkünden." Tatsächlich konnten sie erkennen, dass er zielstrebig auf die große Treppe zuging, Hitomis Hand dabei in seiner. "Ich glaube, ich weiß was kommt." Murmelte Millerna, und sah nach Allen, der die ganze Zeit das glückliche Paar schweigend betrachtet hatte. Wie würde er es auffassen? Millerna war sich nicht im klaren darüber, wie genau seine Gefühle für Hitomi aussahen, und was nach diesem dreiviertel Jahr noch davon übrig war. Doch in dem Moment, in dem sie ihn anblickte entspannte sich seine steife Haltung. Millerna atmete auf. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Van, der sich gerade die Maske abnahm, sich herumdrehte und die Hand hob. Schweigen breitete sich im Saal aus, unterbrochen nur von dem erregten Gezischel derjenigen, die über Hitomi herzogen. »Es ist doch immer und überall das selbe.« Dachte sich Millerna. »Keiner gönnt dem anderen sein Glück. Neid und Missgunst überall. Aber zum Glück sind die beiden anders. Sie könnten ein gutes Vorbild sein.« "Verehrte Gäste!" rief Van nun und ließ die Hand sinken. "Ehrenwerte Damen und geschätzte Botschafter." Millerna bewunderte, wie es Van gelang dabei nicht einen Muskel zu rühren. Sie selbst konnte ihre Gesichtszüge nur sehr schwer unter Kontrolle halten. Ein doppeltes Schnaufen und ein lautes "Pah!" neben ihr verrieten ihr, dass sich weder Merle noch Thana oder Dryden ähnlich unter Kontrolle hatten. Wobei sie allerdings ziemlich sicher war, das Thana das "Pah!" nicht nur entschlüpft war. Als sie aber die wütenden Blicke sah, die Thana zugeworfen wurden, konnte sie ein Grinsen nicht unterdrücken. "Und vor allem unsere Freunde aus Pallas." Vans Stimme klang wesentlich wärmer als vorher. Millerna konnte sehen, wie Hitomi zusammenzuckte, und verstohlen den Saal nach ihnen absuchte. Anscheinend hatte sie ihre alten Bekannten noch gar nicht bemerkt. »Nur Augen für einen.« dachte Millerna und lächelte Hitomi zu, die sie endlich entdeckt hatte. "Nur Mut!" sagten ihre Lippen lautlos, und die dankbare Hitomi nickte ihr fast unmerklich zu. "Einige werden es vielleicht schon wissen. Für die, die es noch nicht gehört haben, möchte ich es noch einmal wiederholen. Ich habe heute Früh den Botschaftern bekannt gegeben, dass ich heute Abend meine Entscheidung treffen werde, wer die zukünftige Königin von Fanelia wird." Das Raunen, das darauf hin folgte, war nicht das einer Menge, die eine vollkommen überraschende Neuigkeit erfährt. Es klang eher wie eine Menge, die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Wenn der König das sagte, während ein Mädchen neben ihm stand... Deutlich hörte Millerna, wie der Botschafter Asturias seinen Nachbarn fragte "Wer ist dieses verdammte Gör?" und nahm sich vor, ihn bei Gelegenheit zu versetzten, falls er diese Meinung auch noch haben sollte, wenn er wusste, wer dieses Gör war. Selbst so war es eine Unverschämtheit. "Meine Entscheidung ist gefallen." Verkündete Van, drehte sich zu Hitomi um und ließ sich auf die Knie sinken. Dann blickte er zu ihr auf, und selbst quer durch den Raum konnte Millerna die Aufrichtigkeit in seiner Stimme und in seinen Augen erkennen. "Seit vielen Monaten war ich allein. Meine Freunde waren da, ich habe mit ihnen gelacht und doch fühlte ich mich einsam. Meine Tage waren erfüllt mit Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und doch wollten meine Gedanken an dich mich nie verlassen. Ich habe dich vermisst, dein Lachen, deine Augen, deine Gegenwart die mir so viel Ruhe und Kraft gegeben hat. Mein Herz zerriss beinahe vor Sehnsucht. Und jetzt bist du da. Niemals werde ich diesen Tag vergessen, an dem du wieder vor mir gestanden hast." Während seiner Rede hatte Van Hitomis Hände ergriffen. Nun küsste er sie, stand auf, nahm ihr langsam die Maske ab und sah ihr in die Auge. Sie strahlten heller als die Sonne, und eine kleine Freudenträne hatte sich im Winkel ihres rechten Auges verfangen. Von den Leuten im Saal kamen überraschte Laute, als diejenigen, die Hitomi begegnet waren sie erkannten. Einigen von ihnen war vielleicht schon bei der Rede ihres Königs der Verdacht gekommen, wer sich hinter der Nachtsängermaske verbarg, aber ihn bestätigt zu sehen war doch ein Schock. "Und weil ich nicht ohne dich leben kann, frage ich dich, Hitomi Kanzaki, willst du meine Frau werden?" Sekundenlang herrschte Totenstille im Ballsaal. Diejenigen, die jetzt erst erfuhren wer sie war, erstarrten vor Überraschung, die anderen, will sie auf eine Antwort warteten. Von draußen hörte man die Grillen zirpen und die klackernden, verzerrten Geräusche eines Pferdes, die vom Schlosshof herüberhallten. Das Licht der unzähligen Kerzen schien auf einmal nur die beiden anzustrahlen. Irgendwo in den Bäumen sang ein Vogel in der Dunkelheit. Überrascht erkannte Millerna, dass es ein Nachtsänger war. Eine beinahe religiöse Ehrfurcht erfüllte sie. »Kann das noch Zufall sein?« fragte sie sich und erschauerte. Dann setzte Hitomi zur Antwort an und die Stille wurde noch leiser, als jeder den Atem anhielt. "Ja, ich will. Es gibt nichts, das ich mir mehr wünsche." Sie streckte sich Van entgegen, und die beiden küssten sich sanft. Millerna war die erste, die mit Klatschen anfing. Teilweise zögernd folgte ihr der restliche Saal. Van und Hitomi drehten sich wieder der Menge zu, doch aus den Augenwinkeln beobachtete Hitomi Van. Sie sah die feinen, glänzenden Tropfen aus Vans Stirn und erinnerte sich an das leichte Zittern in seiner Stimme. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, ihr vor allen Leuten seine Liebe zu gestehen. Eine tiefe Wärme erfasste sie. "Nehmt die Masken ab und feiert!" rief Van. "Feiert und seid fröhlich, denn heute ist ein Tag der Freude!" Stolz schritt er die Treppe hinab, während die Musik erneut ansetzte. Die Masken wurden abgenommen, und die Leute fanden sich erneut zu Paaren zusammen. Jetzt begann der weniger steife Teil des Balles. "Hast du Lust zu Tanzen, Millerna?" fragte Dryden seine Frau. "Das fragst du noch?" gab sie zurück und hakte sich bei ihm ein. Doch bevor sie ihren Mann in den Raum ziehen konnte, stand auf einmal eine Frau mit langen blonden Haaren vor ihr, ihre Rabenmaske in der Hand. "Asuna? Dann warst du das bei Van! Und ich habe mich schon gefragt, mit wem er so lange tanzt." Rief Millerna überrascht, die die Zaibacherin genauso wenig erkannt hatte wie die anderen. "Wir hatten das ein oder andere zu bereden." Antwortete Asuna lächelnd. "Ich bin froh, dass Hitomi da ist." "Wirklich? Bist du das?" Asuna lachte. "Das fragst ausgerechnet du, Thana?" Die beiden jungen Frauen nickten sich respektvoll zu. "Du müsstest doch eigentlich spüren können, was ich empfinde, oder hast du deine Gabe verloren. "Gabe, Fluch..." Thana zuckte mit den Schultern. "Im Moment spüre ich nichts. Ich habe das Gegenmittel eingenommen, es wäre sonst viel zu "laut" hier. Asuna nickte verstehend. "Entschuldigt uns." Sagte Millerna. "Aber ich möchte die Gelegenheit ausnutzen. Wenn Dryden schon mal fragt, ob ich tanzen möchte..." Sie zwinkerte den beiden zu, und schob Dryden weg. "Ihr solltet euch auch amüsieren." Sagte Thana nun zu Blinx und Merle. "Ich bin sicher, ihr beide seid ein hervorragendes Tanzpaar." Sie schob die beiden sich wehrenden Katzenmenschen auf die Tanzfläche, und ließ sie dann allein. Verlegen standen sie sich gegenüber. "Na ja, wenn wir schon mal hier stehen..." meinte Blinx schüchtern. Merle sah sich unbehaglich um, aber niemand schien auf sie zu achten. "Na schön. Aber nur den einen Tanz, und dann verschwinden wir." Ungeschickt und zögerlich begannen sie, wurden aber schnell ernsthafter, als sie merkten, dass sie beide nicht für den Tanz geboren waren. Und schließlich waren Katzenpfoten gepolstert, da war es nicht so schlimm wenn man dem Gegenüber auf die Zehen trat. Asuna lachte. "Keine Empathie mehr, was? Dafür war das eben aber ziemlich gut." Auch Thana lachte. "Ach, die beiden sind nur schüchtern. Wie unser anderes Pärchen." "Da wir gerade beim Thema sind- wer ist das, der Van und Hitomi die ganze Zeit so komisch ansieht." "Das ist Allen." "Allen Shezar?" Asuna riss überrascht die Augen auf und musterte ihn erneut. Sie brummte leise und legte den Kopf schief. "Sieht aus, als ob er auf andere Gedanken kommen sollte." "Ja. Seine Schwester ist krank, und das geht ihm sehr nahe. Außerdem..." Thana beugte sich verschwörerisch vor "Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, er und Van haben mal um Hitomi gekämpft." "Gekämpft? Du meinst richtig gekämpft?" Thana nickte zur Antwort. "Und jetzt?" fragte Asuna nach. "Ganz gut. Die beiden sind etwas distanziert, aber ich glaube nicht, dass es noch ein Problem ist. Ich glaube auch nicht, dass es Allen Hitomi wirklich geliebt hat. Ich glaube, verehrt trifft es eher." "Da hat er auch allen Grund dazu." Meinte Asuna in Gedanken an ihre letzte und einzige Begegnung mit Hitomi. "Ich kann zwar nicht sagen warum, aber bei ihr..." hilflos zuckte Asuna mit den Schultern und Thana lachte. "Ich weiß was du meinst. Hitomi ist etwas ganz besonderes. Man muss sie einfach gern haben." Asuna nickte. "Meinst du, Allen hätte etwas dagegen, wenn ich ihn auffordere?" "Sicher. Aber mach es trotzdem. Er muss auf andere Gedanken kommen." Asuna nickte Thana zu, und ging zu Allen. "Herr Ritter? Würdet ihr mir die Ehre erweisen?" "Verzeiht, aber ich tanze nicht." Asuna trat einen Schritt zur Seite, so dass sie jetzt genau in Allens Blickrichtung stand. Langsam kam er in die Wirklichkeit zurück. "Keine Widerrede. Ihr könnt mich doch nicht zurückweisen!" Allen richtete seine Augen auf Asuna, und blinzelte. Er schloss kurz die Augen und sah sie noch einmal an. Er schluckte. "Was ist nun?" fragte Asuna ungeduldig, und mit erhobener Augenbraue. Das sollte der berühmte Allen Shezar sein? Er wirkte eher wie ein Geistesgestörter. Langsam setzte sich der Geistesgestörte in Bewegung. "Verzeiht. Natürlich werde ich mit euch tanzen. Verzeiht, aber ich war mit meinen Gedanken woanders." "Das habe ich gemerkt." Sagte Asuna mit etwas Schärfe in der Stimme und schämte sich sofort. Wenn er sich Sorgen um seine Schwester machte, konnte sie ihm das doch nicht vorwerfen. Erstaunt sah sie, wie Allen rot wurde. Schämte er sich etwa? »So, und was mache ich jetzt?« fragte sich Thana, als sie sah, dass Asuna den Ritter überredet hatte. Da fiel ihr Blick auf Allens Stellvertreter, der wie der Rest der Crusador-Besatzung zur Wache eingeteilt war. Sie ging zu ihm. "Hallo Gades. Habt ihr Zeit?" "Nun, ich muss Wache stehen. Also könnte man sagen ja, wenn ihr nur reden wollt." "Nicht reden, tanzen." "Uh. Nein, lieber nicht. Das gibt bloß Ärger wenn ich meinen Posten verlasse." "Wieso Posten verlassen? Ihr passt nur besonders gut auf mich auf. Also kommt!" Thana zog ihn schmunzelnd zum Tanzen. "Vorsicht, es scheint, sie hat eine scharfe Zunge. Schneide dich nicht!" rief Kio und lautes Gelächter folgte ihnen. *** "Also, ich weiß nicht, ob das so gut ist." Bemerkte Gades und Thana schüttelte lachend den Kopf. "Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt euch darum keine Gedanken machen. Ihr seid auf meinen Befehl hier, und damit fertig. Der Abend ist viel zu schön, um ihn zu verschwenden. Mag sein, dass der Ball zu Ende ist, aber das ist kein Grund, schon ins Bett zu gehen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls nicht müde, aber ich habe auch keine Lust, allein in meinem Zimmer zu hocken. Merle ist mit Blinx verschwunden, und Van und Hitomi wollen bestimmt nicht gestört werden. Also ziert euch nicht so und kommt rein." Thana schob Gades in ihre Gemächer, wo er mit offenem Mund stehen blieb. "Was ist los?" "Na ja. Ich habe nicht gedacht, dass es so aussieht." Thana sah sich in ihrem Zimmer um. Auf dem großen Tisch lagen Landkarten ausgebreitet und an den Wänden hingen ebenfalls Karten, allerdings zwischen Bildern von Blumen und Wasserfällen. In einer Ecke stand eine Staffelei, an der Wand daneben ein Schwert. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Tisch, der eindeutig für Kriegspläne gedacht war. Figuren von Soldaten und Guymelefs standen sich in Formationen gegenüber. Es war nicht gerade das typische Zimmer einer Frau. Thana drehte sich um, und musterte Gades. "Ich bin eine Frau. Das schließt nicht aus, dass ich auch andere Interessen als Nähen habe." "So habe ich das nicht gemeint." Wehrte Gades heftig ab. "Es ist nur... Das Durcheinander. Es scheint alles nicht zusammen zu gehören. Und es ist nicht sehr ordentlich. Verzeiht, wen ich das so sage." Thana winkte ab. "Da gibt es nichts zu verzeihen. Ihr habt Recht. Ich habe nicht oft Besuch, darum kümmert es mich nicht besonders, wie aufgeräumt es ist. Und die Diener haben die eindeutige Anweisung, alles so zu lassen, wie es ist. Ich finde immer, was ich suche." Sie nahm eine der Lampen, ging zum Fenster und öffnete die Flügeltüren. "Aber ich habe auch nicht vor, im Zimmer zu bleiben. Die Nachtluft ist viel zu schön." Gades folgte ihr immer noch verwundert und erschauerte. Es war trotz allem eine Frühlingsnacht und nicht besonders warm. "Wir sollten doch lieber wieder rein gehen. Es ist ziemlich kalt." Schlug er vor, doch Thana hörte gar nicht was er sagte. Sie beugte sich gerade über die Brüstung des Balkons, um in das Nachbarzimmer zu schauen. Die Lampe, die sie auf den kleinen steinernen Tisch gestellt hatte warf tanzende Schatten von ihr auf die Wand. "Was macht ihr da?" fragte Gades verwundert, und errötete bei Thanas Antwort. "Ich sehe nach, was Van und Hitomi machen." "Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt." Meinte er, und Thana schaute ihn verwirrt an, bis sie verstand, was er dachte. Sie kicherte und schüttelte heftig den Kopf. "Sie sitzen da und erzählen sich wahrscheinlich gerade, wie sehr sie einander vermisst haben. Nicht, was ihr denkt." Thana trat vor ihn und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Obwohl ich glaube, ich weiß wie ihr auf diesen Gedanken kommt." Sie machte einen Schritt nach vorn, bis nur noch Zentimeter die beiden trennten. "Ihr seid hier allein mit mir..." flüsterte sie "die Sterne funkeln am Himmel, und die winzige Lampe taucht alles in ein ungewisses, zartes Licht. Eine wirklich romantische Stimmung." "Äh..." Gades schluckte und trat einen Schritt zurück. Thana sah ihn mit funkelnden Augen an und ohne Vorwarnung trat sie nach vorne und stieß ihn an. Überrascht stolperte Gades nach hinten und landete wenig elegant auf der Steinbank. Thana musste ein lautes Lachen unterdrücken und ging an ihm vorbei. Sie stützte sich auf der Brüstung ab, hob den Kopf nach oben und schloss die Augen. "Hört ihr es auch?" fragte sie leise. "Hört ihr das Rauschen der Bäume, den Wind, wie er an den Wänden des Schlosses vorbeistreicht? Hört ihr das leise Rascheln unten im Garten, wenn eines der kleinen Tierchen durch die Blumenbeete huscht?" Sie drehte sich wieder zu Gades um. Der wehmütige Ausdruck in ihren Augen überraschte ihn und er hielt den Atem an. Er hatte das Gefühl, dass er sie sah wie sie nur selten war. Ohne irgendwelche Masken, ihre Seele weit ausgebreitet vor ihm. Thana drehte sich wieder um und wies mit einer unbestimmten Geste dorthin, wo der Wald ist. "Manchmal gehe ich des Nachts einfach los. Ich schleiche durch den Wald und lausche dem Atem der Natur. Sie kann demjenigen der zuhört viel erzählen. Und ich bin dort allein. Keine Menschen, die Gefühle ausstrahlen. Und wenn doch mal einer kommt kann ich ihm leicht ausweichen. Das ist hier nicht der Fall." Gades stand unsicher auf. Er hatte keine Ahnung, was er entgegnen sollte. Ob er überhaupt etwas sagen sollte. Er trat neben sie. Thana sah ihn an. Ihr Gesicht war ganz entspannt, nur um die Augen lag ein winziger, angespannter Zug. "Und jetzt?" "Nichts." Antwortete Thana. "Aber nur, weil ich die Drogen eingenommen habe. Da draußen ist das anders. Es ist nicht das leere Nichts, das die Drogen verursachen. Ich kann dort immer etwas spüren, aber nichts von Menschen. Nur Tiere mit ihren unbestimmten Strömungen." "Willst du damit sagen, auch Tiere haben Gefühle?" Ohne es zu merken war Gades zum vertrauten du gewechselt. Auch Thana blieb dabei. "Habe ich dir das nicht gerade gesagt?" fragte sie belustigt und lehnte sich an ihn. Gades legte unwillkürlich den Arm um sie. "Nicht so wie Menschen. Man kann es nicht Gefühle nennen, aber sie empfinden schon so etwas wie Hunger, Durst oder auch Zufriedenheit, wenn beides fehlt. Oder Schmerz, wenn sie sterben. Auch das kann ich spüren. Es ist immer alles da, kaum wahrnehmbar. Doch wenn man hinhört, genau lauscht... Es ist schrecklich und wunderschön zugleich." Gades erschauerte so heftig, dass Thana überrascht von ihm abrückte. "Habe ich dich erschreckt? Das tut mir leid. Ich wollte nicht..." "Nein, es ist nichts. Es ist nur so kalt." "Lügner." Erwiderte Thana mit sanftem Lächeln. "Es ist wirklich kalt." Bekräftigte Gades und Thana lachte nur leise. "Frierst du nicht?" fragte er verwirrt. "Nein. Ich bin ganz andere Temperaturen gewöhnt. Ich spüre kaum etwas davon. Es ist eine Sache der Atmung und des inneren Gleichgewichtes. Ich habe es schon als kleines Kind gelernt. Aber wenn dir kalt ist... warte einen Moment." Sie ging rasch in ihr Zimmer und kam nach ein paar Sekunden mit einer Decke wieder heraus. Eine Hälfte breitete sie auf der kalten Steinbank aus und schob Gades darauf. Dann setzte sie sich dicht neben ihn, legte die Decke um sie beide und kuschelte sich an ihn. "Wärmer jetzt?" fragte sie. Gades nickte schwach. "Ja." Er wollte nicht sagen, wie warm ihm auf einmal wurde. Er fühlte den schlanken Körper, der sich an ihn schmiegte mehr als deutlich, genauso wie den schwachen Duft ihres Haares, der sich mit dem schweren Geruch des Tannenwaldes mischte, den der Wind heranwehte. "Manchmal im Winter bin ich hinaus gegangen." Begann Thana leise zu erzählen, und ihre Stimme klang dabei so entfernt, als sei es keine Erinnerung, sondern als ob sie aus der Vergangenheit selbst erzählen würde. "Nur mit einer Robe bekleidet, barfuss, und bin bis zum See gelaufen. Wie die alten Priesterinnen. Dann bin ich auf das Eis gegangen und habe die Stille genossen. Nur das Eis unter meinen Füßen, der kalte Wind in meinem Gesicht. Es ist wunderschön." Gades erschauerte bei der Vorstellung. Thana kicherte. "Ich bin nicht erfroren, aber selbst mir war danach dann ziemlich kalt und ich habe ein langes, heißes Bad gebraucht, bis ich wieder aufgetaut war." Thana wandte Gades ihr Gesicht zu und hob eine Hand, um über seine Wange zu streicheln. "Es war schön, aber auch einsam. Heute Nacht will ich nicht einsam sein. Und du?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)