Wüstenblume von ChocolateChip ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wüstenblume     Als die ersten Töne der Ud erklangen, war dies das Stichwort anzufangen. Wie eine Raubkatze setzte er einen Fuß nach dem anderen auf den kalten Steinboden, der im ganzen Palast verbaut worden war. Barfüßig schritt er auf die Mitte des Raums zu, alle Augen auf ihn gerichtet. Ein smaragdgrüner Schleier, gewoben mit glitzernden Fäden als Umrandung, der um seinen Kopf gewickelt war, verbarg sein langes, goldenes Haar vor den neugierigen Blicken, doch er wusste, dass dies nicht lange anhalten würde. Dies gehörte zum Tanz. In den ersten Bewegungen würde er sich entschleiern und mit dem leichten Stoff spielen, als wäre er mit ihm geboren worden. Als die Musiker dann anfingen auf der Darbukka zu spielen, kam Leben in seinen schlanken Körper. Elegant nahm er den Schleier von Kopf und Gesicht und wirbelte damit herum und ließ den Stoff wie im Winde wehen und um seinen Körper streicheln wie eine Feder. Seine Haare bewegten sich, wie das Tuch, mit seinen eleganten Bewegungen mit. Sein freier Oberkörper wurde nur durch eine Kette verziert, die seinen Hals verdeckte und die mit jedem Schritt zur Musik mit klimperte, genau wie die Ketten, die um seine schmalen Hüften gelegt worden waren und durch einen Ring in seinem Bauchnabel festgehalten wurden und nicht herunter rutschten. Unzählige Armketten mischten sich mit in die unzähligen Klänge, die seinen Tanz ausmachten und die Menschen um sich herum zu hypnotisieren schien. Seine Beine waren umschlungen von einem tiefen, blauen Stoff, der seine schlanken, hellen Beine umschlang, und ihn bei jeder Umdrehung um sich selbst aussehen ließen wie eine Blume, die sich öffnete und wieder schloss. Gehalten wurde der Rock von einem lilafarbenen Gürtel und in beiden Stoffen – Rock wie Gürtel – war derselbe glitzernde Faden verarbeitet, der bei jeder Bewegung und mit Berührung des Lichts aufleuchtete und die Stoffe so wirken ließ, als seien sie ein klarer Sternenhimmel. Fußketten aus Gold, umschlangen die Fußknöchel und verdeutlichten wie schmal die Gelenke des Tänzers waren. Die grünen Augen waren halb geschlossen und schienen in eine Welt zu blicken, die nur dem Tänzer bekannt zu sein schien. Dieser Tanz gehörte nur ihm. Yuri Plisetsky gehörte einer Tanzgruppe an, die von Stadt zu Stadt reiste, und sich nur für kurze Zeit niederließ. Die Nomaden verdienten sich daran, an Höfen und Banketts zu tanzen und ihre Pracht dem jeweiligen König oder Adligen darzubringen. Ihr Ruf war ihnen bereits meilenweit vorausgeeilt und als der König, in dessen Stadt sie gegenwärtig residierten, von ihrer Ankunft gehört hatte, bat er sie sofort an einigen Festen in seinem Palast teilzunehmen. Doch der König schien immer nur einen Tänzer sehen zu wollen, und das war nicht Yuri. Sondern ein anderes Mitglied seiner Familie, der den selben und doch anders klingenden Namen trug, wie der junge Tänzer, der gerade dabei war, die Gäste des Königs in seinen Bann zu ziehen. Yuuri Katsuki, obwohl er kurzes, schwarzes Haar hatte, war dank seiner Augen eben so exotisch wie Yuri, mit seinem goldenen Haar und grünen Augen. Vor einigen Jahren, als Yuri noch ein Kind gewesen war und sie wie so oft die Wüste aus weißem Sand durchquert hatten, hatten sie den anderen, älteren Yuuri gefunden, alleine und fast verdurstet. Die Tanzgruppe, die aus so vielen verschiedenen Mitgliedern bestand und eine Familie bildete, hatte den jungen Mann bei sich aufgenommen und wollte ihn eigentlich in der nächsten Stadt zurücklassen. Doch Yuuri hatte sein Talent für den Tanz gezeigt, wenn auch noch etwas unsicher und unvollständig. Von Stadt zu Stadt, von Palast zu Palast, von Auftritt zu Auftritt hatte sich Yuuri verbessert und wurde sicherer. Bis jetzt. Die Anführerin der Tanzgruppe hatte sich geweigert immer nur einen Tänzer auftreten zu lassen, egal wie sehr der König drum gebeten hatte, und als sie drohte ohne Tanz wieder abzureisen, hatte sich der König erweichen lassen und gestattete anderen Tänzern aufzutreten. So konnte die Gruppe sich als Ganzes zeigen und in ihrer vollen Pracht auftreten. Nur die talentiertesten durften die Zuschauer alleine beglücken und Yuri - wenn auch der Jüngste in der Truppe - hatte das Privileg, sein Können unter Beweis zu stellen. Yuri war besser als Yuuri, beweglicher, graziler und schöner, und doch schien der König nicht ihn sehen zu wollen. Yuri wusste wieso. Der König hatte in den Tagen, in denen die Tanzgruppe in der Stadt verweilte, sein Herz an den dunkelhaarigen, tollpatschigen Yuuri verloren. Da konnte Yuri noch so gut sein, er würde dem König nie genügen. Anfangs hatte er seinen Bruder dafür gehasst, doch nun war es ihm egal. Denn er tanzte nicht für den König. Während seines Tanzes suchten seine Augen immer wieder den Kontakt mit den braunen Augen, in denen er selbst sich verloren hatte. Jeder Schritt, den seine Füße taten, jede noch so anreizende Bewegung seiner schmuckbehangenen Hände, jedes noch so betörende Kreisen seiner schmalen Hüften, galten den braunen Augen, von denen er sicher war, dass sie nur auf ihm ruhten. Der König war ihm völlig gleichgültig, egal wie schön der Mann auch sein mochte mit seinen blauen Augen und seinem langen, silbernen Haar. Yuri gehörte den braunen Augen, in die er immer blicken würde, wenn er könnte. Der Besitzer dieser Augen, Otabek Altin, war ein Mitglied der Palastwache des Königs und hatte ihm am ersten Tag seiner Ankunft vor aufdringlichen Verkäufern auf dem Markt beschützt. Auch wenn sie sich nur ein paar Tage kannten, so vertraute der junge Tänzer dem Soldaten, der so anders war als die Meisten, die er auf seinen Reisen gesehen hatte. Es hatte ihn wie ein Schlag getroffen, als er festgestellt hatte, dass er sich in die Palastwache verliebt hatte. So schnell wie die Musik sein konnte, zu der er tanzte, so schnell hatte er aber seine Gefühle akzeptiert. Während seines Auftrittes hatte er sich seines Schleiertuches entledigt, das er wie zufällig fast vor Otabeks Füße hatte fallen lassen. Da er jedoch nicht unweit des Königs stand, konnte man diese Geste auch so interpretieren als sei sie für den jungen Regenten. Doch die Tänzer wussten es alle besser. Yuri beherrschte seine Schleier wie kein zweiter und nur die Zuschauer, die nicht tagtäglich mit dem Tanz zu tun hatten, dachten, es wäre unbeabsichtigt gewesen. Doch einen Blick auf den König verriet ihnen, dass auch dieser wusste, was Yuri andeuten wollte und ein Lächeln zierte Viktor Nikiforovs schmale Lippen. Da er so wenig an dem Tänzer interessiert war, wie der Tänzer an ihm, ließ er ihn aber gewähren und wurde nicht für seine Frechheit bestraft. Als die Trommeln immer schneller wurden, wurden auch Yuris kreisende Hüftbewegungen schneller, einladender. Als er vorhin mit dem Schleier noch viele Kunststücke gezeigt und die Beweglichkeit seiner ganzen Körpers gezeigt hatte, so brachte er einen verträumten Blick der Zusehenden in dessen Gesichter, als er auf der Stelle und mit Bauch und Hüften tanzte. Der junge Tänzer mit dem goldenen Haar hatte seine Arme über seinem Kopf zusammengeschlungen, damit man einen freien Blick auf den freien Oberkörper hatte. Er drehte sich auf der Stelle damit man – hauptsächlich Otabek – ihn von allen Seiten bewundern konnte. Nur wenn die Trommeln etwas langsamer wurden und die Ud das Tempo vorgab, bewegte er sich wieder mehr, und tanzte und sprang und drehte sich durch den Raum. Immer wieder ließ er die Blume erblühen, als er sich um sich selbst drehte, bis die Musiker das Ende des Tanzes einleiteten und er sich seinen Schleier wieder nahm und die letzten Schritte tanzte. Zum Schluss lag er auf dem Boden, zugedeckt von Schleier, der Rock um ihn herum ausgebreitet in seiner vollen Pracht. Yuri hatte dabei die Augen geschlossen. Beifall belohnte ihn für seine Darbietung und mit einer von ihm verlangten Verbeugung den Zusehenden und vor allem den König gegenüber, bedankte er sich für deren Beifall. Selbst der König schien beeindruckt zu sein, denn ein wohlwollendes Lächeln zierte seine Lippen. Auch wenn er nicht für ihn der richtige Yuuri war, so hatte er ihm Unterhaltung geboten. Und sein Tanz war auch perfekt gewesen. Keine falschen Schritte. Weder zu schnell noch zu langsam. Und vor allen hatte er sein Herz in den Tanz gelegt, da er Otabek auf diesem Wege zeigen wollte, was er für ihn empfand. Und er hoffte sehr, dass seine Palastwache verstand und akzeptierte, auch wenn er die gleichen Gefühle wohl nicht erwidern würde.   Mit wild schlagendem Herzen fand sich Yuri zwischen den Gästen wieder, während die nächsten Tänzer sich für ihre Darbietung bereit machten. Eine Gruppe von Frauen war an der Reihe, doch Yuri achtete nicht auf seine Schwestern. Nach ihnen wäre Yuuri im Einzeltanz dran und dieses Elend wollte er sich auch nicht ansehen. Er fragte sich was mit seinem neuesten Bruder los war, damit dieser seine Tänze so in den Sand setzte, aber den König schien es nicht zu stören. Musste bei beiden das Verlangen nach einander sein. Auch Yuri trieb das Verlangen. Sein Blick suchte den seiner Palastwache, doch Otabek stand pflichtbewusst auf seinem Posten. Wie es schien durfte er nicht gehen bevor das Bankett fertig war. Der junge Tänzer bedauerte dies sehr, denn er hatte gehofft sich mit ihm unterhalten zu können. Doch weit konnte er auch nicht gehen, da noch andere Gruppentänze geplant waren, in denen er auch mittanzte.     * ~ * ~   *   ~ * ~ *     Der Abend dauerte lange und als der Auftritt der Tanzgruppe vorbei war, konnten sie sich zwischen die Gäste mischen und Spaß haben. Yuri hatte sich lediglich nur einen kleinen Bissen zu essen gegönnt. Hunger hatte er nicht wirklich welchen und sein Körper schrie viel eher nach Wasser, das er ihm dann auch gönnte. Wein mochte er nicht, weswegen er sich ihm fernhielt. Als es ihm unter den Menschen zu warm wurde, wagte er es unter den strengen Augen der Wachen nach draußen in den Garten zu gehen und sich abzukühlen. Die Nacht war bereits hereingebrochen und gab den dunklen Sternenhimmel frei. Yuri suchte sich einen abgelegeneren Platz, wo er sich hinsetzte und zu den Sternen blickte. Die Nacht war eiskalt und er hatte vergessen einen Umhang um seine Schultern zu legen, also versuchte er sich etwas zu wärmen, indem er seine Arme um sich selbst schlang und über seine nackten Arme streichelte. Er wollte sich zwar abkühlen, aber nicht erfrieren! Doch nach drinnen ging er auch nicht wieder. Dafür war es viel zu ruhig und schön draußen.   Er wusste nicht wie lange er da saß und zitternd in den Nachthimmel blickte, als auf einmal etwas um seine Schultern gelegt wurde. Erschrocken wirbelte er herum, nur um in die braunen Augen zu schauen, in die er sich so sehr verliebt hatte.   „Otabek!“, sagte er überrascht.   „Du solltest zumindest einem Umhang mitnehmen, wenn du schon hier draußen bist“, antwortete er nur und setzte sich zu dem Tänzer.   Erst jetzt bemerkte Yuri, dass Otabek seinen eigenen Umhang ausgezogen und ihn ihm um die Schultern gelegt hatte. Er war noch schön warm, gewärmt von Otabeks Körper, und er roch noch herrlich nach dem anderen Mann. Yuri wagte er kurz daran zu riechen, als er sich besser darin einwickelte.   „Danke“, meinte er dann und sah Otabek an, der seine Augen auf den Himmel gerichtet hatte. „Was machst du hier? Hast du nicht Wache drinnen? Nicht, dass ich mich nicht freue, dich hier zu sehen“, fügte er hastig hinzu.   Yuri spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg und seine Wangen sicherlich rosa färbten. Aber im Garten war es dunkel. Die Fackeln, die die Eingänge zum Palast erleuchteten, befanden sich in einiger Entfernung in ihrem Rücken. Nur der Mond erhellte das Dunkel etwas, so dass man zumindest Umrisse erkennen konnte.   „König Viktor hat mich den Rest des Abends freigestellt“, erklärte Otabek nur knapp.   „Okay…“   Yuri wusste auf einmal nicht was er sagen sollte. Vorher, bevor er sich seiner Gefühle bewusst gewesen war, hatte er keine Probleme gehabt sich mit dem Soldaten zu unterhalten. Jedoch nagte es an ihm nicht zu wissen, was Otabek von seinem Tanz hielt. Dem Tanz, den er nur ihm gewidmet hatte, mit dem er seine Gefühle ausgedrückt hatte, weil er keinen anderen Weg gewusst hatte. Er setzte an etwas zu sagen, aber der sonst so stille Mann kam ihm zuvor.   „Dein Tanz vorhin… Als du alleine getanzt hast… Es war atemberaubend.“ Otabek sah nun vom Himmel zu dem jungen Tänzer neben ihm.   Yuri sah ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen an, doch Otabek sagte nichts weiter. Durch den Mangel an Licht konnte er nicht sehen, welchen Gesichtsausdruck Otabek hatte. Wahrscheinlich wie immer, aber seine Augen waren sonst immer so ausdrucksstark und ein Hilfsmittel für Yuri um zu erkennen wie der andere Mann fühlte. Aber nun tappte er in der Dunkelheit.   „Otabek…“   „Und so wunder, wunderschön…“, murmelte die Palastwache und nun konnte Yuri etwas Unsicherheit in seiner Stimme erkennen.   Hitze flammte erneut in Yuris Wangen auf, doch er senkte den Blick nicht. Er hoffte etwas zu erkennen, sobald seine Augen sich daran gewöhnt hatten, doch er konnte Otabek immer noch nicht genau erkennen. Das erste Mal, seit er im Garten war, verfluchte er seine Auswahl von einem Platz. Am liebsten hätte er den Mann vor sich irgendwohin gezerrt, wo er ihn besser sehen konnte, besser aus seinen Augen lesen konnte. Er wartete darauf, ob er noch mehr sagen würde. Yuri musste wissen, ob er irgendwie verstanden hatte, was er sagen wollte. Er brauchte eine deutliche Antwort des anderen. Entweder eine Zustimmung oder eine Abfuhr. Er musste wissen woran er war. Doch es kam nichts mehr. Etwas enttäuscht nahm Yuri seinen Blick von Otabek und schaute in den Himmel.   „Ich… Danke…“, sagte er dann und versuchte zu lächeln, aber selbst er nahm die Enttäuschung in seiner Stimme wahr.   „Yuri…“   Doch Yuri wagte es nicht sich zu Otabek zu drehen, aus Angst der Mond würde sich in seinen Tränen spiegeln und ihn verraten. Es kam Wind auf, der um sie herumspielte und Yuris Haare in sein Gesicht fallen ließen. Der Tänzer jedoch schob sich die Strähnen nicht wieder hinters Ohr sondern ließ sie, wo der Wind sie hin geweht hatte. Sie halfen ihm dabei seine Enttäuschung zu verbergen.   Eine Hand, die sich nach den goldenen Strähnen ausstreckte, ließ ihn vor Schreck etwas zusammenfahren, da er nicht damit gerechnet hatte. Sanft wurden ihm die Strähnen aus dem Gesicht und hinters Ohr gestrichen. Während Otabek das gemacht hatte, hatte Yuri seinen Kopf wieder zu der Palastwache gedreht und sah ihn mit großen, überraschten Augen an. Kurz streichelte der Mann die zarte Wange des Tänzers, ehe er seine Hand wieder sinken ließ. Doch damit waren die Berührungen noch nicht vorbei. Mit beiden Händen ergriff er die schmuckbehangenen, schlanken Finger des Tänzer und hob so dessen Hände.   Mit wild schlagenden Herzen ließ Yuri dies mit sich geschehen und beobachtete was Otabek nun tun würde.   „Ich bin nicht gut mit Worten. Es tut mir Leid, sollte ich dich irgendwie verletzt haben. Das war nicht meine Absicht“, durchbrach Otabek die Stille, die zwischen ihnen entstanden war.   „Oh! Nein! Es ist schon gut!“, versuchte Yuri zu sagen. Er konnte die Schuld, die in Otabeks Stimme mitschwang nicht ertragen. Bei jedem anderen hätte er nun wie ein Seemann geflucht und sie vielleicht sogar zum Weinen gebracht und die Schuldgefühle weiter verstärkt. Aber nicht bei Otabek. Niemals Otabek.   „Nein ist es nicht!“ Otabek hatte zum ersten seit sie sich kannten – auch wenn es nicht lange war – seine Stimme erhoben und man konnte fast sowas wie Verzweiflung darin hören.   „Bitte…“, flehte er dann und Yuri wusste nicht um was er bat.   Der junge Mann wusste nicht wie er sich ausdrücken sollte, also hob er Yuris Hände, die er immer noch hielt und hob sie an seine Lippen. Sanft drückte er einen Kuss auf die Fingerknöchel. Yuris Mund wurde bei dieser Geste trocken und sein Herz drohte aus seiner Brust zu springen. Sicherlich hörte Otabek wie schnell es nur für ihn schlug. Nach diesem Kuss senkte Otabek die kleineren Hände und sah zu Yuri. Er ließ ihn los, doch seine Hände – rau und schwielig vom Schwerttraining – legten sich auf die Wangen des anderen und hoben seinen Kopf so, dass er ihn ansehen musste , ob er wollte oder nicht. Doch Yuri hätte seine Augen nie von Otabek nehmen können. Nicht in diesem Moment. Der Mann mit den dunklen Haaren, der äußerlich so sehr im Kontrast zu Yuri stand, beugte sich nach vorne, soweit, dass Yuri dessen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.   „Du bist schön wie eine Wüstenblume. Du bewegst dich als würde der Wind dich leiten, aber du bist nicht so schwach und zierlich wie du auf dein Umfeld wirkst. Auch wenn du schön bist, hast du die Ausstrahlung einer Kriegers. Das habe ich in deinen Augen gesehen, als ich dich das erste Mal habe tanzen sehen. Vom ersten Moment an hattest du mein Herz gestohlen.“   Schon fast atemlos hörte er Otabek gespannt zu. Seine Augen füllten sich mit Tränen, aber diesmal nicht vor Enttäuschung, sondern vor Freude.   „Otabek…“, hauchte Yuri.   Er wollte das letzte bisschen Abstand zwischen ihnen verringern, doch Otabek tat dies bereits und legte seine Lippen auf die Yuris. Instinktiv schloss Yuri seine Augen und genoss nur das Gefühl des anderen Lippenpaars auf seinen. Es war deutlich zu spüren wie unerfahren beide waren, doch es machte ihnen nichts aus. Die Liebe in dieser Berührung der Lippen war deutlich zu spüren und das machte diesen unbeholfenen Kuss zu dem schönsten, den die beiden Männer haben konnten. Der Kuss dauerte nicht lange an und als sie sich voneinander lösten, liefen Yuri die Tränen über die Wangen und Otabeks Hände, doch das Lachen, das man vom Tänzer hören konnte, beruhigte die Palastwache. Er legte seine Stirn an die Yuris und ein Lächeln zierte seine Lippen.   „Aber auch wenn du mein Herz hast, so bin ich nicht ganz herzlos, da ich deines habe. Und ich werde mich sehr gut darum kümmern“, versicherte er und Yuri konnte nicht anders als über diese Worte zu lachen.   Sie taten seinen Ohren und seinem Herzen gut, aber sie färbten seine Wangen erneut rosa und er war sich sicher, dass Otabek, die Hitze spüren konnte, da er Yuri immer noch nicht losgelassen hatte.   „Das will ich auch sehr für sich hoffen. Sonst bleibt mir nichts anderes übrig als ein anderes Körperteil von dir als Pfand zu nehmen“, neckte Yuri, auch wenn er seine Worte nie in die Tat umsetzen würde. Otabek sah es wohl genauso, denn er lehnte sich wieder nach vorn und schmeckte die süßen Lippen seiner Wüstenblume mit den Augen eines Kriegers.     * ~ * ~   *   ~ * ~ *     Eine Woche später brach die Tanzgruppe auf, um ihre Reise fortzusetzen und um in einer neuen Stadt aufzutreten. Der König hatte der Gruppe angeboten dauerhaft in seinem Palast zu leben und nur noch für ihn aufzutreten, aber die Gruppe hatte abgelehnt. In ihrem Blut lag die Reiselust und sie konnten nicht lange an einem Ort verweilen. Diese Entscheidung schien gleich vier Herzen auf einmal zu brechen. Eine Nacht vor Abreise hätte Yuri am liebsten weinen können, so wie sein Bruder Yuuri es getan hatte, doch keine einzige Träne verließ seine Augen. Er hatte die ganze Nacht lang wachgelegen und seinem Bruder bei seinem Herzschmerz zugehört und er hatte sich vorgestellt, dass er für ihn mit Tränen des Schmerzes vergossen hatte.   Am Morgen der Abreise konnte man den beiden Tänzern ansehen, dass sie eine der schlimmsten Nächte durchgemacht hatten, die sie je erlebt hatten. Und die Gruppe hatte durch das Reisen durch die Sandwüste vieles erlebt. Die beiden versteckten sich zwischen ihren Geschwistern, da sie nicht gesehen werden wollten. Yuri hätte sich am Abend davor noch mit Otabek treffen sollen, doch er war feige gewesen. Er wollte den Schmerz in den Augen seines Liebsten nicht sehen und er wollte nicht, dass Otabek sah wie ihm das Herz brach. Er hätte es vorher wissen müssen. Es war nur mit Leid verbunden gewesen, sich in jemanden zu verlieben, der eine feste Heimat hatte.   Yuri wagte es nun nicht den Blick zu heben, aus Angst, dass Otabek neben dem König stehen würde und ihn wie einen Verräter ansehen würde. Die Anführerin der Gruppe stand vor dem König, um noch einmal letzte Worte mit ihm auszutauschen.   „Yuuri!“, hallte ihre strenge Stimme dann zu ihnen herüber und beide hoben ihre Köpfe. Doch es war der ältere Yuuri gemeint. Yuri ließ seinen Blick umherwandern doch Otabek war nicht zwischen den anderen Palastwachen zu sehen.   „Was ist, Meisterin Lilia?“, fragte der dunkelhaarige Yuuri.   Die Anführerin hatte sich zu ihrem neuesten Schützling umgedreht und sah ihn mit strengen Augen an. Die anderen Tänzer und Musiker wussten nicht was sie ausgerechnet jetzt von dem jungen Mann wollte, und Unsicherheit war in der Gruppe zu spüren gewesen.   „Ab heute bist du kein Mitglied meiner Gruppe mehr. Deine Tanzeinlagen die letzten Tage genügen nicht, um weiterhin mit uns mitzutanzen. Nimm deine Sachen und verlasse uns!“, befahl sie streng und ein Raunen des Entsetzens ging durch die bunt zusammengewürfelte Familie.   Yuri blickte zu seinem Bruder und sah wie ihm der Schock ins Gesicht geschrieben war. Aber das war auch zu verstehen gewesen. Noch nie hatte Lilia jemanden aus der Gruppe geworfen. Das war einfach unmöglich und so schlecht war Yuuri nie gewesen. Yuri wirbelte zu Lilia um und wollte sich für Yuuri einsetzen doch ihr Gesicht ließ ihn inne halten. Ihre strengen Lippen zierte ein Lächeln und König Viktor, der hinter ihr stand, sah aus als hätte er den größten Schatz der Welt erhalten. Und Yuri verstand. Lilia gab zumindest einem ihrer beiden, verliebten Tänzer die Chance, glücklich zu werden und ihre Wahl war auf Yuuri gefallen. Sie konnte sich nur von einem ihrer Tänzer lösen und Yuuri hatte zumindest einen König, der ihn mit offenen Armen empfing.   Yuri legte Yuuri eine Hand auf den Rücken und gab ihm einen kräftigen Ruck Richtung König und Lilia.   „Mach dass du weg kommst. Bei uns ist nur Platz für einen Yuri!“, bellte er den älteren Mann an und die anderen Tänzer sahen Yuri entsetzt an.   „Wenn du bettelst nimmt der König einen so jämmerlichen Tänzer wie dich vielleicht sogar bei sich auf!“, fügte er laut hinzu.   „Ich wünsch dir alles Gute, Bruder“, flüsterte er dann und Yuuris Augen weiteten sich als er endlich verstand. Ein Lächeln, das dem Strahlen der Sonne glich, zierte seine Lippen, als er zu seinem König lief.   Nachdem Yuuris Habseligkeiten abgeladen worden waren, brach die Tanzgruppe auf. Yuri freute sich für seinen Bruder, aber sein eigenes Herz lag gleichzeitig in Scherben. Er hatte bereits mit dem Gedanken gespielt ebenfalls zu bleiben, aber er würde mit der Zeit nur eingehen. Er kannte seit seiner Geburt nur das Reisen und egal wie sehr er Otabek liebte, er konnte nicht bei ihm bleiben und somit für immer in einer einzigen Stadt. Und von Otabek konnte er nicht verlangen, sein Leben, das er sich hier aufgebaut hatte, zurückzulassen.   Als sie die Stadtmauern erreichten, sah Yuri von weiten einen Reiter hoch zu Ross, der scheinbar auf die Gruppe gewartet hatte. Yuri selbst ritt auf einem der vielen Kamele, die ihre Besitztümer trugen, doch er konnte nicht erkennen, wer die Person war. Gewänder verhüllten seine Gestalt und schützten ihn vor der kräftigen Wüstensonne. Auch wenn die Person auf einem Pferd saß, hatte sie etwas sehr vertrautes und Yuri glaubte eine Fata Morgana zu erblicken. Er rutschte geschickt vom Rücken des Kamels und lief auf die Person zu. Das konnte doch nicht wahr sein. Außer Atem hielt er vor dem Reiter, der nun ebenfalls vom Rücken des Pferdes geglitten war und vor Yuri stand. Seine braunen Augen musterten den Tänzer ganz genau.   „Was machst du hier!?“, schimpfte Yuri und trommelte auf seiner Brust herum. „Du hast doch deine Arbeit im Palast! Dein Leben hier in der Stadt!“   Otabek nahm Yuris Hände in die seinen und hielt sie fest.   „Ich wollte schon immer reisen, nur hat sich die Gelegenheit nie ergeben. Und egal wo wir sein werden. Meine neue Heimat wird immer bei dir sein und ich konnte nicht einfach zurückbleiben.“   „Idiot! Du bist ein Idiot!“, schimpfte Yuri weiter, doch sein Herz schlug wild in seiner Brust und Tränen fanden ihren Weg in seine grüne Augen. Doch es waren Tränen des Glücks.   „Aber ich bin dein Idiot“, murmelte Otabek und nahm den weinenden Yuri in seine Arme.   Hinter dem Paar befand sich die Tanzgruppe, die das mit angesehen hatte. Später, als Lilia ohne Umschweife akzeptierte den Soldaten in die Gruppe aufzunehmen, auch wenn er nicht tanzen konnte, erfuhr Yuri, dass alles von Anfang an so geplant gewesen war. Yuuri wurde durch Otabek ausgetauscht. Es war eine Art Handel mit dem König gewesen, einen Handel, dem jeder zugestimmt hatte und mit dem jeder glücklich war. Otabek hätte Yuri früher vom Plan erzählt, wenn er zu ihrem Treffen gekommen wäre, aber so hatte er den Moment der Überraschung auf seiner Seite gehabt.   Mit einem neuen Mitglied im Gepäck, setzte die Tanzgruppe ihre Reise fort. Yuri saß vor seinem Liebsten mit auf dessen Pferd. Die Besitztümer des Soldaten wurden auf Yuris Kamel geladen und so konnte das junge Paar ganz nah beisammen sein. Yuri wusste nicht woher er sie hatte, aber irgendwann hatte Otabek ihm eine Wüstenblume ins Haar gesteckt und er hatte überglücklich gelächelt. Wie es schien hatte er auch ein glückliches Ende und niemand würde es ihm je wieder wegnehmen können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)