Sanfte Sehnsucht von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Neujahr ------------------ Feuer. Es loderte überall. Die Flammen schlugen höher und höher. Es roch nach Verbranntem. Fleisch. Plastik. Überall spürte sie die sengende Hitze. Es war kaum auszuhalten. Sie lief und lief. Immer weiter. Die Treppen nach unten, links, den Flur entlang zur Tür. Die Flammen breiteten sich weiter aus. Hastig ergriff Jodie den Türknauf. Der Schmerz durchfuhr ihre Hand, die Hitze bohrte sich in die freie Fläche. Sie wich einen Schritt nach hinten und blickte sich um. Das Feuer kam immer näher. Jodie schluckte. Sie hatte keine Chance. Sie würde nicht überleben, wenn es so weiter ging. Sie musste handeln. Schnell. Entweder ihre Hand oder ihr Leben. Die Entscheidung war einfach und schnell getroffen. Erneut umfasste Jodie den Türknauf und öffnete die Tür. Der Schmerz ebbte ab bis er vollständig verschwunden war. Im anderen Raum gab es keine Flammen, keine Hitze. Nichts. Sie befand sich in einem langen Flur. Auf dem Boden lag ein roter Teppich, an der Wand hingen zwei Bilder sowie eine Uhr. Ein Spiegel war ebenfalls aufgestellt. Jodie kannte den Ort nur zu gut. Sie schritt den Flur entlang und blieb stehen, als sie ihr Spiegelbild erblickte. Jodie öffnete den Mund, konnte aber kein Wort sagen. Sie war klein. Ein kleines Mädchen. 7 Jahre alt. Sie trug ein rosa Nachthemd und hielt ihren Teddy in der Hand. Jodie wusste genau worauf das ganze hinaus lief und trotzdem setzte sie ihre Schritte fort. Zaghaft stieß sie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „D…ad…? D…addy…?“ Langsam ging sie auf ihn zu. Er saß auf dem Boden, lehnte an den Schreibtisch und hatte die Augen geschlossen. Ihr rannten die Tränen über die Wange. „Papa…Bitte…bitte mach die Augen auf“, wisperte sie leise und ließ sich auf die Knie fallen. Das Feuer setzte wieder ein. Die Gardine fing Feuer. Es breitete sich schnell aus. Viel zu schnell. Jodie konnte sich kaum bewegen. Sie legte ihren Kopf auf den Schoss ihres Vaters und schloss die Augen… Die FBI Agentin schreckte aus ihrem Traum hoch. Sie atmete schwer und schwitzte. Ihr Herz raste. Früher wurde sie täglich von diesem Traum verfolgt und immer wieder nahm er ein anderes Ende. Mal versuchte sich aus dem Haus heraus zu kommen, mal wollte sie ihren toten Vater mit sich schleifen, jetzt gab sie auf. Noch immer atmete Jodie schnell. Sie versuchte sich selbst zu beruhigen, atmete tief ein und aus. Immer wieder. Ihr letzer Traum war Monate her. Es durfte nicht wieder anfangen und in schlaflose Nächte gipfeln. Das monotone Schnarchen riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Blick ging sofort zu ihrem Partner. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Jodie legte sich wieder nach hinten. Sie zog die Decke enger an sich und strich mit ihrer Hand über sein langes, schwarzes Haar. Sie waren erst ein paar Wochen zusammen. Es waren die glücklichsten in ihrem Leben. Trotzdem konnte sie ihm noch nichts über ihre Vergangenheit erzählen. Noch nicht. Jodie schmiegte sich an ihn. Sie legte ihren Kopf auf seinen Brustkorb und lauschte seinem gleichmäßigen Atem. Er beruhigte sie. Sie schloss ihre Augen und schlief wieder ein. Stunden später wachte Jodie alleine im Bett auf. Sie setzte sich auf und streckte sich. Verschlafen blickte sie sich um. Er war wieder vor ihr wach und lief wahrscheinlich bereits um den Wohnblock. Früher war sie hoch motiviert was den Morgensport anging – seit sie nun aber auch nächtlich aktiv war – kam sie morgens nur schwer aus dem Bett. Sport zählte auch zu ihren Vorsätzen für das neue Jahr. Eigentlich hätte sie am heutigen Tage damit beginnen müssen. Eigentlich. Aber sie hatte schließlich noch die vergangenen 364 Tage vor sich. Jodie stand auf und streckte sich ein weiteres Mal. Irritiert sah sie sich um. Sie roch Rauch, Feuer, Verbranntes. Nein, das kann nicht…das ist ein Traum… Es konnte nicht brennen. Nicht hier, nicht in ihrer Wohnung. Es gab nur zwei Möglichkeiten für ihre Wahrnehmung. Traum oder Einbildung. Jodie kniff sich in den Arm. Es passierte nichts. Du bildest dir das alles ein…du wirst verrückt…irgendwann musste es ja so kommen, sagte sie zu sich selbst. Jodie schüttelte den Kopf und versuchte die negativen Gedanken zu verscheuchen. Irgendwas in ihr traute dem Ganzen nicht. Jodie öffnete die Schlafzimmertür und ging den Flur entlang. Der Rauch war schon dicht. Dunkel und schwarz. Unweigerlich musste Jodie husten. Ihr Körper zitterte. Es war weder Traum noch Einbildung. Es war real. Jodie stand vor ihrem Wohnzimmer. Der Raum brannte lichterloh. Das Feuer übertrug sich auf die angrenzenden Räumlichkeiten. Jodie wich nach hinten. Sie hustete. Zuerst in großen Abständen, dann in immer Kürzeren. Ihre Lunge fing an zu brennen. „Shu!“, rief sie und bekam keine Antwort zurück. Wurde er vom Feuer überrascht und befand sich im Wohnzimmer? Oder war er wirklich draußen. Jodie hustete erneut. „Shu.“ Sie lief, kam an der Küche vorbei und starrte in die Leere. Angst. Sie hatte Angst. Nicht um ihr Leben. Um seins. „Shu!“ Wieder erhielt sie keine Rückmeldung. In Jodies Kopf drehte sich alles. Die Bilder verschwammen. Sie war nicht mehr Herr über ihren Körper, taumelte hin und her und stieß schließlich gegen jemanden. Sie nahm ihn kaum wahr. Sein Gesicht verschwamm und schließlich wurde alles schwarz. *** Jodie öffnete langsam ihre Augen. Sie sah an die weiße Decke. Ihre Lunge tat noch weh und die Sauerstoffmaske störte sie. Was war passiert? Jodies Erinnerungen waren konfus. Sie blickte sich um. „Hey. Du bist wieder wach.“ Jodie öffnete den Mund um etwas zu sagen. Sie fühlte sich gerädert und versuchte mit der rechten Hand an die Sauerstoffmaske zu kommen. Sie bemerkte den Verband an der Hand. „Ganz langsam.“ Shuichi stand auf und half ihr aus der Maske. Er legte sie zur Seite und sah Jodie besorgt an. „Kannst du atmen?“ Jodie nickte. „Was…“ Sie hörte sich heiser an. „Was…ist…passiert?“, wollte sie leise wissen. „Es hat gebrannt“, antwortete Akai. Die Panik überkam Jodie. Feuer. Sie hatte es wieder geträumt. Und es war eingetreten. Jodies Herz raste. Es fing wieder an. Sie dachte an die Frau von damals. Sie hatte sie gesehen. Und jetzt wollte sie ihr Werk vollenden. Jodie wusste, dass sie weg musste. Auch wenn sie für das FBI arbeitete, war sie doch erst seit einigen Monaten richtig im Dienst. Sie hatte kaum Erfahrung und hing an ihrem Leben. „Sie…bringt…mich um…“ Jodie rang um Luft. „Ganz ruhig, Jodie“, wies er sie an. „Es ist alles in Ordnung. Du musst keine Angst haben.“ Er legte seine Hand an ihre Wange. „Hörst du? Es ist alles in Ordnung.“ Jodie spürte seine Berührung. Sie war so warm und sie fühlte sich geborgen. Wie neu geboren. Sie war froh, dass er an ihrer Seite war und sie beschützte. Jodie atmete wieder ruhiger. „Erzähl…mehr…bitte…“ Shuichi schenkte ihr ein Lächeln. „Die Nachbarskinder wollten das restliche Feuerwerk aufbrauchen. Sie fingen an mit ein paar Knallerbsen, gingen dann aber mit einer Kiste Feuerwerkskörper auf den Balkon. Bei den ersten Würfen ist nichts passiert. Danach waren sie weniger vorsichtig und dumm. Sie zündeten einen Knallkörper in der Kiste an, sodass der Rest ebenfalls aktiv wurde. Die Wucht dieser Explosion führte zum Brand. Die Etage über dir sieht grauenvoll aus. Alle Fenster sind zerstört, die Wände schwarz und leider trat das Feuer auch in deine Etage über“, erzählte sie. Jodie schluckte. „Wo…warst du?“ „Ich hab draußen nach meinem Auto gesehen. Als ich wieder kam, war das Feuer in vollem Gange. Die Feuerwehr hat den Brand mittlerweile gelöscht. Es wird allerdings noch ein paar Wochen dauern, ehe du in deine Wohnung kannst. Der Vermieter muss erst einmal alles soweit Sanieren.“ „Verstehe“, murmelte Jodie leise. Sofort überkam sie die Erleichterung. Keiner war hinter ihrem Leben her. Es war nur ein Unfall. Und als solchen musste sie das Ereignis sehen. Shuichi räusperte sich. „Black wollte wissen, warum ich so früh in der Nähe deiner Wohnung war.“ „Und was hast du…gesagt?“, fragte Jodie. „Die Wahrheit.“ Jodie sah ihn schockiert an. „Einen Teil der Wahrheit. Es ist nichts dabei, wenn zwei Kollegen Silvester zusammen verbringen. Schließlich waren wir gestern noch relativ lange im Büro und sind ein paar Akten durchgegangen. Danach sind wir zu dir, haben auf das neue Jahr angestoßen und sind dort eingeschlafen.“ „Okay…das ist…nicht verwerflich…“ Sie lächelte. Leider war es beim FBI verboten mit seinem Arbeitspartner eine private Beziehung zu führen. Es brachte nur Probleme, weil man den anderen nicht mehr in Gefahr sehen wollte und je nach Auftrag durchdrehte. Akai musterte sie. „Kommen wir jetzt zu dir“, begann er. „Als du vom Feuer gehört hast, hattest du Angst, dass dich jemand umbringt. Was ist passiert, Jodie?“ „Ich…“, sie schluckte. „Mein Vater ist ermordet worden. Sie waren es. Es war eine Frau. Ich hab sie gesehen und sie mich. Sie hat mir erzählt, dass mein Vater nur schlafen würde. Ich sollte warten bis er aufwacht. Ich bin aber raus gelaufen und wollte für meinen Vater Saft kaufen gehen“, sprach Jodie. „Als ich zurück kam, stand das Haus in Flammen. Die Zeitung berichtete darüber. Wenn ich die Frau wäre, hätte ich in der Zeitung verfolgt ob mein Plan aufging. James brachte mich anschließend in Sicherheit. Ich dachte, sie hätte mich nach so vielen Jahren gefunden und versucht jetzt ihr Werk von damals zu vervollständigen.“ „Jodie…“, entgegnete er leise. „Dir passiert nichts. Ich bin bei dir und ich passe auf dich auf. Du musst keine Angst haben.“ „Danke“, wisperte sie leise. Sie glaubte es ihm sogar. Shuichi beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Und jetzt ruh dich aus.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)