Sanfte Sehnsucht von Varlet ================================================================================ Kapitel 9: 1. Arbeitstag ------------------------ Jodie zählte die Stunden. Sie war aufgeregt und konnte keine fünf Minuten still sitzen. Andauernd schweiften ihre Gedanken ab. Sie dachte an damals – ihre Kindheit, ihre Jugend und jetzt an die Zeit als erwachsene Frau. Allerdings fühlte sie sich manchmal mit ihren 23 Jahren nicht erwachsen. Sie wurde gezwungen es schon früh zu sein. Trotz allem hatte sie nur wenig von der Welt gesehen. Seit sie denken konnte, hatte sie den gleichen Freundeskreis, die gleichen Bekannten und lebte in der fast gleichen Umgebung. Dennoch hatte sie immer nur auf zwei Ziele hingearbeitet: 1. FBI-Agentin werden 2. Den Mörder ihrer Familie finden und zur Strecke bringen Ihr erster Lebenstraum war nun endlich in Erfüllung gegangen. Seit sie ein kleines Mädchen war, wollte sie nur eines – wie ihr Vater zum FBI gehen. Jetzt hatte sie es geschafft. Entgegen der Hoffnungen von James Black, dem Mann der sie nach dem Tod ihrer Eltern aufnahm und aufzog – qualifizierte sie sich für das FBI-Ausbildungsprogramm in Quantico. Wochen später machte sie mit Gleichgesinnten ihren Abschluss und durfte sich FBI-Agent nennen. Während ihrer Ausbildung konnten sie und die anderen Jungagenten in die Büros der anderen Standorte hinein schnuppern. Jodie war aber von klein auf, auf die Niederlassung in New York getrimmt. Dort war sie aufgewachsen – zumindest bis zu einem Alter von sechs Jahren. Dann wurde ihr das Leben dort genommen. Nachdem James‘ sie bei sich aufnahm, schickte er sie fort. Colorado. Seine Heimatstadt. Anfangs versuchte sie noch mit dem Zug zurück in die Großstadt zu kommen. Nach zahlreichen Fehlversuchen und dem Heimbringen von Polizei oder FBI, fand sie sich mit ihrer neuen Heimat ab. Es kam ihr schon fast wie ein Wunder vor, nun wieder zu Hause zu sein. Die Niederlassung in New York wollte sie und es war egal, ob ihr Name beziehungsweise ihr Vater als Türöffner fungierte. Hauptsache sie war am Ziel. Das war am Ende das Einzige was zählte. Jodies Umzug von Colorado nach New York ging schnell von statten. Das FBI stellte ihr eine kleine Übergangswohnung zur Verfügung, die sie innerhalb von drei Monaten verlassen musste. Es blieb genug Zeit um sich auf die Suche nach einer größeren Wohnung zu machen. Mit einem guten Job sollte das allerdings kein Problem darstellen. Jodies Aufregung war auf einem neuen Level angekommen. Eigentlich war es eher untypisch für sie. Jodie sah auf die Uhr. Noch acht Stunden. Wie hatte sie die restliche Zeit nur herumbekommen? Und dann war da noch die Nacht. Dabei war sie nicht einmal annähernd müde. Aber sie wusste, würde sie nicht schlafen, würde die Müdigkeit im Laufe des Tages einsetzen. Und das konnte sie nicht zulassen. Was für einen Eindruck hätte sie dann bei den neuen Kollegen gemacht? Leider oder glücklicherweise kümmerte sich nicht James um die Einarbeitung. Natürlich wollte Jodie keine Extrabehandlung, aber ein bekanntes Gesicht konnte nicht schaden. Jodie musste sich ablenken. Egal wie. Sie ging in ihrer kleinen Wohnung umher, putzte eine Weile und stellte sich dann mit mehreren Kleidern vor den Spiegel. Eigentlich machte sie sich nicht so viel aus dem äußeren Erscheinungsbild, aber morgen musste alles perfekt sein. Zu Beginn hielt sie die Sachen vor den Körper, dann zog sie sich auch um, um so einen besseren Eindruck von sich selber zu erhalten. Wie viele Frauen trug auch sie gerne Röcke und Kleider, aber das musste sie erst einmal aus dem aktiven Dienst verbannen. Am Ende entschied sich Jodie für eine blaue Stoffhose, eine weiße Bluse und einen passenden Blazer. Mit ihren Schuhen und einer Handtasche war ihr Aussehen komplett. Die Sachen für den nächsten Tag legte sie sich bereit und ging dann Duschen. Die halbe Nacht lag Jodie wach. Als sie schließlich einschlief, war es lange nach Mitternacht. Jodie schlief einen traumlosen Schlaf bis schließlich ihr Wecker klingelte. Sie wollte ihn erschlagen. Es war früh. Sehr früh. Viel zu früh. Aus dem Augenwinkel sah sie auf die Zahlen des Weckers. Sofort war ihre Energie wieder da. Abrupt setzte sie sich auf. Jodie streckte sich und stand auf. Schnell eilte sie in das Badezimmer und machte sich fertig. Mit einem Lächeln auf den Lippen kämmte sie ihre Haare, während sie parallel dazu wieder zurück ins Schlafzimmer ging. Schnell zog sich Jodie um und betrachtete sich im Spiegel. So konnte sie sich sehen lassen. Jodie schnappte sich ihre Handtasche und schlüpfte in die Schuhe, ehe sie ihre Wohnung verließ. Leider war sie noch auf die öffentlichen Verkehrsmittel abhängig, aber auf längerer Sicht musste sie sich um ein Auto kümmern. Abgehetzt eilte Jodie in das große Gebäude. Vor einigen Tagen wirkte es groß und beachtlich. Nun kam sie nicht umher nichts von den äußeren Einflüssen zu bemerken. Sie hatte keine fünf Minuten um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Jodie kannte zwar die Verkehrsmittel und sie wusste, dass genug Puffer notwendig war. Leider meinte es der Verkehr nicht gut mit ihr. Zuerst blieb der Zug über eine halbe Stunde lang stehen und dann musste sie einen ganzen Block laufen. Wenigstens kam sie auf die letzte Sekunde in der Niederlassung an. Jodie passierte die Kontrolle und sah den diensthabenden Agenten an. „Jodie Starling“, stellte sie sich vor. „Ich soll hier von Agent Grayson abgeholt werden.“ „Warten Sie bitte hier.“ Der Agent wies auf eine Stuhlgruppe an der Seite und zog sein Handy hervor. Jodie nickte und setzte sich. Sie fühlte sich angekommen und atmete tief durch. Mit den Händen fuchtelte sie sich Luft unter die Achseln zu. Immer wieder blickte sie zu den ankommenden Agenten. Mit wem sie wohl zusammenarbeiten würde? „Starling?“ Jodie sah nach oben und sprang sofort auf die Füße. „Ja, Jodie Starling.“ Sie reichte ihm die Hand. „Sie müssen Agent Grayson sein. Es freut mich sehr.“ Der Mann nickte. Er war älter, Ende 30 und trotz allem wirkte er noch gut in Form. „Ebenfalls. Das ist Ihrer“, sprach er und reichte ihr einen Ausweis. „Danke.“ „Kommen Sie mit.“ Jodie folgte ihm nach oben in die dritte Etage. Sie durchquerten zunächst ein Großraumbüro welches für zehn, maximal zwölf Mitarbeiter konzipiert war. Je zwei Tische standen sich gegenüber. Computer, Stühle…alles wirkte zusammengepfercht, so als könnte man gar nicht arbeiten. „Einige Agenten, vor allem jene die sich im verdeckten Einsatz befinden, arbeiten von hier aus. Die festen Agenten haben ihre eigenen vier Wände. Je nach Lage finden sie zwei bis vier Personen pro Raum.“ Jodie war erleichtert als sie vor dem ersten Büro standen. Ihr Name war bereits an der Tür angebracht worden. „Mich finden Sie in der siebten Etage. Nachher erhalten Sie noch eine Führung.“ Er wies schließlich auf die Tür. „Agent McKnight wird Sie von hier an weiter einarbeiten. Sie werden für die nächste Zeit miteinander klar kommen müssen. Wenn Sie dennoch Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.“ Agent Grayson klopfte kurz an die Tür und trat ein. „…du weißt, dass ich damit richtig liege.“ Shanna McKnight seufzte. „Es ist trotzdem schwer machbar. Hör zu, Akai, ich rede mit Halden. Aber wenn er nicht seine Zustimmung gibt, dann ist daran nichts mehr zu rütteln…oh Sir…“ Shanna stand auf. Grayson sah zwischen den beiden Agenten hin und her. „McKnight, Akai.“ Er nickte den Beiden zum Gruß zu. „Sir…“, antwortete Akai. Dann sah er wieder zu Shanna. „Gut, melde dich, wenn du Neues weißt.“ Shuichi steckte die Hände in die Hosentasche und schritt auf die Tür. „Einen Moment noch.“ Grayson machte einen Schritt zur Seite und ließ nun auch Jodie hineinkommen. „Unser Team bekommt Verstärkung. Agent McKnight, Sie werden Agent Starling für die nächsten Wochen betreuen.“ „Natürlich.“ Shanna ging auf Jodie zu. „Shanna McKnight. Freut mich.“ „Jodie Starling, mich auch“, lächelte sie. Shuichi Akai verengte die Augen und musterte Jodie. Bei dem Namen Starling hatte es geklingelt. Shuichi war auch nicht ohne Hintergedanken zum FBI gegangen. Wenn er eine freie Minute übrig hatte, wälzte er alte Unterlagen. Starling war ein vor mehr als 20 Jahren ermordeter Agent. Aus den Berichten konnte er entnehmen, dass der Agent eine Tochter hinterließ, die zur gleichen Zeit von der Bildfläche verschwand. Sie hatte das Massaker überlebt und wurde von da an geschützt. Ob er nun vor dieser stand? „Akai, Shuichi. Wir sehen uns nachher noch.“ Shuichi ging an Jodie vorbei und verließ den Raum. „Machen Sie sich nichts draus. Akai ist immer so. Das werden Sie später auch noch kennen lernen.“ Jodie nickte stumm. Sie war beeindruckt. Irgendwie konnte sie die ganze Zeit ihren Blick nicht von ihm lassen. Er faszinierte sie auf eine bestimmte Art und Weise. Sie wusste nicht warum, aber als sich ihre Blicke trafen, spürte sie eine Vertrautheit. Sie erkannte den gleichen Schmerz und das gleiche Ziel. Gemeinsam konnten sie die Welt vielleicht verbessern und von einer schlimmen Plage befreien. Und vielleicht würden sie auch einander gut tun. Wer wusste schon, was in der Zukunft auf sie wartete? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)