Sanfte Sehnsucht von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Neujahr ------------------ Feuer. Es loderte überall. Die Flammen schlugen höher und höher. Es roch nach Verbranntem. Fleisch. Plastik. Überall spürte sie die sengende Hitze. Es war kaum auszuhalten. Sie lief und lief. Immer weiter. Die Treppen nach unten, links, den Flur entlang zur Tür. Die Flammen breiteten sich weiter aus. Hastig ergriff Jodie den Türknauf. Der Schmerz durchfuhr ihre Hand, die Hitze bohrte sich in die freie Fläche. Sie wich einen Schritt nach hinten und blickte sich um. Das Feuer kam immer näher. Jodie schluckte. Sie hatte keine Chance. Sie würde nicht überleben, wenn es so weiter ging. Sie musste handeln. Schnell. Entweder ihre Hand oder ihr Leben. Die Entscheidung war einfach und schnell getroffen. Erneut umfasste Jodie den Türknauf und öffnete die Tür. Der Schmerz ebbte ab bis er vollständig verschwunden war. Im anderen Raum gab es keine Flammen, keine Hitze. Nichts. Sie befand sich in einem langen Flur. Auf dem Boden lag ein roter Teppich, an der Wand hingen zwei Bilder sowie eine Uhr. Ein Spiegel war ebenfalls aufgestellt. Jodie kannte den Ort nur zu gut. Sie schritt den Flur entlang und blieb stehen, als sie ihr Spiegelbild erblickte. Jodie öffnete den Mund, konnte aber kein Wort sagen. Sie war klein. Ein kleines Mädchen. 7 Jahre alt. Sie trug ein rosa Nachthemd und hielt ihren Teddy in der Hand. Jodie wusste genau worauf das ganze hinaus lief und trotzdem setzte sie ihre Schritte fort. Zaghaft stieß sie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „D…ad…? D…addy…?“ Langsam ging sie auf ihn zu. Er saß auf dem Boden, lehnte an den Schreibtisch und hatte die Augen geschlossen. Ihr rannten die Tränen über die Wange. „Papa…Bitte…bitte mach die Augen auf“, wisperte sie leise und ließ sich auf die Knie fallen. Das Feuer setzte wieder ein. Die Gardine fing Feuer. Es breitete sich schnell aus. Viel zu schnell. Jodie konnte sich kaum bewegen. Sie legte ihren Kopf auf den Schoss ihres Vaters und schloss die Augen… Die FBI Agentin schreckte aus ihrem Traum hoch. Sie atmete schwer und schwitzte. Ihr Herz raste. Früher wurde sie täglich von diesem Traum verfolgt und immer wieder nahm er ein anderes Ende. Mal versuchte sich aus dem Haus heraus zu kommen, mal wollte sie ihren toten Vater mit sich schleifen, jetzt gab sie auf. Noch immer atmete Jodie schnell. Sie versuchte sich selbst zu beruhigen, atmete tief ein und aus. Immer wieder. Ihr letzer Traum war Monate her. Es durfte nicht wieder anfangen und in schlaflose Nächte gipfeln. Das monotone Schnarchen riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Blick ging sofort zu ihrem Partner. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Jodie legte sich wieder nach hinten. Sie zog die Decke enger an sich und strich mit ihrer Hand über sein langes, schwarzes Haar. Sie waren erst ein paar Wochen zusammen. Es waren die glücklichsten in ihrem Leben. Trotzdem konnte sie ihm noch nichts über ihre Vergangenheit erzählen. Noch nicht. Jodie schmiegte sich an ihn. Sie legte ihren Kopf auf seinen Brustkorb und lauschte seinem gleichmäßigen Atem. Er beruhigte sie. Sie schloss ihre Augen und schlief wieder ein. Stunden später wachte Jodie alleine im Bett auf. Sie setzte sich auf und streckte sich. Verschlafen blickte sie sich um. Er war wieder vor ihr wach und lief wahrscheinlich bereits um den Wohnblock. Früher war sie hoch motiviert was den Morgensport anging – seit sie nun aber auch nächtlich aktiv war – kam sie morgens nur schwer aus dem Bett. Sport zählte auch zu ihren Vorsätzen für das neue Jahr. Eigentlich hätte sie am heutigen Tage damit beginnen müssen. Eigentlich. Aber sie hatte schließlich noch die vergangenen 364 Tage vor sich. Jodie stand auf und streckte sich ein weiteres Mal. Irritiert sah sie sich um. Sie roch Rauch, Feuer, Verbranntes. Nein, das kann nicht…das ist ein Traum… Es konnte nicht brennen. Nicht hier, nicht in ihrer Wohnung. Es gab nur zwei Möglichkeiten für ihre Wahrnehmung. Traum oder Einbildung. Jodie kniff sich in den Arm. Es passierte nichts. Du bildest dir das alles ein…du wirst verrückt…irgendwann musste es ja so kommen, sagte sie zu sich selbst. Jodie schüttelte den Kopf und versuchte die negativen Gedanken zu verscheuchen. Irgendwas in ihr traute dem Ganzen nicht. Jodie öffnete die Schlafzimmertür und ging den Flur entlang. Der Rauch war schon dicht. Dunkel und schwarz. Unweigerlich musste Jodie husten. Ihr Körper zitterte. Es war weder Traum noch Einbildung. Es war real. Jodie stand vor ihrem Wohnzimmer. Der Raum brannte lichterloh. Das Feuer übertrug sich auf die angrenzenden Räumlichkeiten. Jodie wich nach hinten. Sie hustete. Zuerst in großen Abständen, dann in immer Kürzeren. Ihre Lunge fing an zu brennen. „Shu!“, rief sie und bekam keine Antwort zurück. Wurde er vom Feuer überrascht und befand sich im Wohnzimmer? Oder war er wirklich draußen. Jodie hustete erneut. „Shu.“ Sie lief, kam an der Küche vorbei und starrte in die Leere. Angst. Sie hatte Angst. Nicht um ihr Leben. Um seins. „Shu!“ Wieder erhielt sie keine Rückmeldung. In Jodies Kopf drehte sich alles. Die Bilder verschwammen. Sie war nicht mehr Herr über ihren Körper, taumelte hin und her und stieß schließlich gegen jemanden. Sie nahm ihn kaum wahr. Sein Gesicht verschwamm und schließlich wurde alles schwarz. *** Jodie öffnete langsam ihre Augen. Sie sah an die weiße Decke. Ihre Lunge tat noch weh und die Sauerstoffmaske störte sie. Was war passiert? Jodies Erinnerungen waren konfus. Sie blickte sich um. „Hey. Du bist wieder wach.“ Jodie öffnete den Mund um etwas zu sagen. Sie fühlte sich gerädert und versuchte mit der rechten Hand an die Sauerstoffmaske zu kommen. Sie bemerkte den Verband an der Hand. „Ganz langsam.“ Shuichi stand auf und half ihr aus der Maske. Er legte sie zur Seite und sah Jodie besorgt an. „Kannst du atmen?“ Jodie nickte. „Was…“ Sie hörte sich heiser an. „Was…ist…passiert?“, wollte sie leise wissen. „Es hat gebrannt“, antwortete Akai. Die Panik überkam Jodie. Feuer. Sie hatte es wieder geträumt. Und es war eingetreten. Jodies Herz raste. Es fing wieder an. Sie dachte an die Frau von damals. Sie hatte sie gesehen. Und jetzt wollte sie ihr Werk vollenden. Jodie wusste, dass sie weg musste. Auch wenn sie für das FBI arbeitete, war sie doch erst seit einigen Monaten richtig im Dienst. Sie hatte kaum Erfahrung und hing an ihrem Leben. „Sie…bringt…mich um…“ Jodie rang um Luft. „Ganz ruhig, Jodie“, wies er sie an. „Es ist alles in Ordnung. Du musst keine Angst haben.“ Er legte seine Hand an ihre Wange. „Hörst du? Es ist alles in Ordnung.“ Jodie spürte seine Berührung. Sie war so warm und sie fühlte sich geborgen. Wie neu geboren. Sie war froh, dass er an ihrer Seite war und sie beschützte. Jodie atmete wieder ruhiger. „Erzähl…mehr…bitte…“ Shuichi schenkte ihr ein Lächeln. „Die Nachbarskinder wollten das restliche Feuerwerk aufbrauchen. Sie fingen an mit ein paar Knallerbsen, gingen dann aber mit einer Kiste Feuerwerkskörper auf den Balkon. Bei den ersten Würfen ist nichts passiert. Danach waren sie weniger vorsichtig und dumm. Sie zündeten einen Knallkörper in der Kiste an, sodass der Rest ebenfalls aktiv wurde. Die Wucht dieser Explosion führte zum Brand. Die Etage über dir sieht grauenvoll aus. Alle Fenster sind zerstört, die Wände schwarz und leider trat das Feuer auch in deine Etage über“, erzählte sie. Jodie schluckte. „Wo…warst du?“ „Ich hab draußen nach meinem Auto gesehen. Als ich wieder kam, war das Feuer in vollem Gange. Die Feuerwehr hat den Brand mittlerweile gelöscht. Es wird allerdings noch ein paar Wochen dauern, ehe du in deine Wohnung kannst. Der Vermieter muss erst einmal alles soweit Sanieren.“ „Verstehe“, murmelte Jodie leise. Sofort überkam sie die Erleichterung. Keiner war hinter ihrem Leben her. Es war nur ein Unfall. Und als solchen musste sie das Ereignis sehen. Shuichi räusperte sich. „Black wollte wissen, warum ich so früh in der Nähe deiner Wohnung war.“ „Und was hast du…gesagt?“, fragte Jodie. „Die Wahrheit.“ Jodie sah ihn schockiert an. „Einen Teil der Wahrheit. Es ist nichts dabei, wenn zwei Kollegen Silvester zusammen verbringen. Schließlich waren wir gestern noch relativ lange im Büro und sind ein paar Akten durchgegangen. Danach sind wir zu dir, haben auf das neue Jahr angestoßen und sind dort eingeschlafen.“ „Okay…das ist…nicht verwerflich…“ Sie lächelte. Leider war es beim FBI verboten mit seinem Arbeitspartner eine private Beziehung zu führen. Es brachte nur Probleme, weil man den anderen nicht mehr in Gefahr sehen wollte und je nach Auftrag durchdrehte. Akai musterte sie. „Kommen wir jetzt zu dir“, begann er. „Als du vom Feuer gehört hast, hattest du Angst, dass dich jemand umbringt. Was ist passiert, Jodie?“ „Ich…“, sie schluckte. „Mein Vater ist ermordet worden. Sie waren es. Es war eine Frau. Ich hab sie gesehen und sie mich. Sie hat mir erzählt, dass mein Vater nur schlafen würde. Ich sollte warten bis er aufwacht. Ich bin aber raus gelaufen und wollte für meinen Vater Saft kaufen gehen“, sprach Jodie. „Als ich zurück kam, stand das Haus in Flammen. Die Zeitung berichtete darüber. Wenn ich die Frau wäre, hätte ich in der Zeitung verfolgt ob mein Plan aufging. James brachte mich anschließend in Sicherheit. Ich dachte, sie hätte mich nach so vielen Jahren gefunden und versucht jetzt ihr Werk von damals zu vervollständigen.“ „Jodie…“, entgegnete er leise. „Dir passiert nichts. Ich bin bei dir und ich passe auf dich auf. Du musst keine Angst haben.“ „Danke“, wisperte sie leise. Sie glaubte es ihm sogar. Shuichi beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Und jetzt ruh dich aus.“ Kapitel 2: Todestag ------------------- Jodie stand in ihrem Schlafzimmer. Im Spiegel ihres Kleiderschranks beobachtete sie ihr eigenes Spiegelbild. Jodie setzte ein falsches Lächeln auf. Ob man es ihr abkaufte? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Sie würde es nachher sehen. Jodie verspürte keine Lust zur Arbeit zu gehen. Nicht heute. Sie kannte die Blicke. James und Camel würden Rücksicht auf sie nehmen. Sie würde das Mitleid in den Augen der beiden Männer erkennen. In ihrem Kopf hörte sie noch immer seine letzten Worte. Sie durchlebte die Situation erneut. Zuerst hatte er sie wegen dem Datum – Freitag, der 13. – gewarnt und sie hatte gelächelt. Ich scher mich nicht um Aberglauben. In Wahrheit machte sie sich doch ihre eigenen Gedanken. Aber wie hätte sie es den Kollegen sagen sollen, ohne selbst belächelt zu werden? So verschwand sie um Camel zur Hilfe zu kommen und bekam Stunden später die Hiobsbotschaft. Eine Nachricht die alles veränderte. Shuichi Akai war tot. Weg. Verschwunden. Ausgelöscht. Verbrannt in seinem Wagen. Getötet durch einen Schuss in den Kopf. Sie wollte und konnte es nicht glauben. Wochen später ging es ihr immer noch schlecht. Sein Tod setzte ihr zu. Jeden Abend weinte sie sich in den Schlaf und zwang sich am nächsten Morgen wieder zur Arbeit. Sie wollte sich verkriechen und alleine sein, durfte sich aber nicht dem Schmerz hingeben. Manchmal hörte er auf, manchmal verdrängte sie ihn, schob ihn einfach beiseite und fixierte sich auf die Arbeit. Kaum dass sie alleine zu Hause war, riss die Wunde auf. Am Abend schleppte sie sich in ihre Wohnung und wusste, was passieren würde. Entweder sie setzte sich auf ihr Sofa oder sie ging ins Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf. Nachdem sie erschöpft in den Schlaf fiel, wachte sie am nächsten Morgen ausgelaugt wieder auf. Der Zyklus begann von Neuem. Je mehr Zeit verging, desto schlechter ging es ihr. Sie wurde blass und unglücklich. Erst das Auftauchen von Narben-Akai gab ihr wieder Hoffnung. Mit einem Mal war er aufgetaucht. Sie ahnte nicht einmal, dass es sich um einen Trick der Organisation handelt. Ihr Auftrag war wie vergessen. Es zählte nur noch eines: Shuichi Akai finden. Sie suchte ihn, sog jeden Hinweis auf und schließlich lohnte sich ihre Mühe. Sie selbst fand auch wieder zurück ins Leben, hatte wieder eine Aufgabe und einen Sinn entdeckt. Und dann kam er zurück. Zu ihr. Trotz allem hegte sie noch immer einen Groll gegenüber jeden 13. im Monat. Lag dieses Datum noch auf einem Freitag war sie fast nicht mehr zu halten. Ihre Erinnerungen und Wunden lebten und rissen wieder auf. Und nun ein Jahr späte – am 13. Januar - jährte sich der Tag. Hätte er damals keinen Plan in der Hinterhand, wäre es sein Ende gewesen. Sie hätte ihn nie wieder gesehen. Jodie schluckte. Sie wollte ihn nicht verlieren. Genau so wenig wollte sie an ihm hängen wie eine Klette. Sie musste ein gesundes Maß finden. Jodie atmete tief durch. Sie durfte sich den heutigen Tag nicht anmerken lassen. Und wenn sie in bei der Arbeit traf, durfte sie auf gar keinen Fall wie eine durchgeknallte Ex-Freundin wirken. Sie war nur noch eine Arbeitskollegin. Beim Rausgehen aus dem Zimmer warf Jodie noch einen kurzen Blick auf ihr Spiegelbild und verschwand in den Flur. Auf dem Weg zur Küche klingelte es an ihrer Haustür. Irritiert ging sie zu dieser. Sie erwartete keinen Besucht, sodass sie den Hörer der Freisprechanlage in die Hand nahm und diesen an ihr Ohr führte. „Ja, bitte?“ Es folgte Stille. Nach einer Weile legte Jodie den Hörer wieder zurück und begab sich in die Küche. Kaum dass sie die Kaffeemaschine startete, klingelte es erneut. Sie wiederholte das Spiel. Auch diesmal gab es keine Rückmeldung. Instinktiv spähte die Agentin durch das Guckloch an der Tür. Als sie keine Person sah, öffnete sie die Tür langsam und blickte sich um. Auf dem Boden befand sich eine DVD. Langsam griff sie nach dieser, hob sie auf und ging verwundert in ihr Wohnzimmer. Obwohl Jodie nicht wusste, was sie erwartete, war ihre Neugier erwacht. Sie startete ihren DVD Player und legte die DVD ein. Nachdenklich nahm sie die Fernbedienung in die Hand und startete das Programm. Der Bildschirm blieb eine ganze Weile schwarz. Gerade als sie abschalten wollte, sah sie eine Straße. Sie war leer und dunkel. Der Wind rauschte. Jodie spürte eine ganz bestimmte Anspannung in der Luft. Die Atmosphäre war aufgeladen. Wenige Minuten später war ein Auto zu sehen. Jodie kannte die Marke nur zu gut. Oft saß sie in dem Wagen. Chevrolet C-1500. Sein Wagen. Er hatte ihn geopfert um die Organisation zur Strecke zur bringen. Jodie schluckte. Sie sah, wie er aus seinem Auto stieg und einige Worte mit der Person auf der anderen Seite der Kamera wechselte. Sie erkannte die Stimme sofort. Kir. Rena Mizunashi, die auch als Hidemi Hondo bekannt war. Jodie ahnte bereits was nun auf sie zu kam. Sie sah angespannt auf den Bildschirm. Dann hörte sie das Geräusch. Eine Kugel. Ein Schuss. Sie sah Blut. Es lief an seinem Mund entlang und er hielt sich die verletzte Stelle. Es war die Lunge. Jodie konnte es deutlich erkennen. Sie schluckte. In dem Bericht von Takagi war kein Lungenschuss erwähnt. Es hätte sie misstrauisch machen sollen, hätte sie gewusst, wie sich die Situation in Wahrheit abspielte. Jodies Hand zitterte. Sie wollte – sie konnte - nicht weiter sehen und dennoch gelang es ihr nicht das Video zu unterbrechen. Shuichis Blick hielt der Kamera stand. Er war stark und zeigte keine Angst. In seinen Augen war Kampfgeist zu sehen. Das ist also mein Ende. Eine Gänsehaut legte sich auf Jodies Körper und die erste Träne lief ihr über die Wange. Ein weiterer Schuss fiel. Jodie sah wie er zu Boden ging und auf dem Rücksitz seines Wagens lag. Das Blut sickerte in den Sitz und ihre eigenen Tränen liefen wie Wasserfälle an ihrer Wange herab. Kir hatte sich abgewandt ehe sie eine Bombe im Wagen platzierte. Dann sah sie wieder die Straße und hörte einen Knall. Jodie erinnerte sich, dass das Feuer an dieser Stelle einsetzte. Und der Bildschirm wurde schwarz. Sie zitterte. Selbst in ihren schlimmsten Albträumen lief die Szene ganz anders ab. Jetzt war sie dabei. Live und in Farbe. Es war schlimmer als angenommen. Sie wusste nun, dass er viel Gluck hatte. Hätte sich Kir nicht umgewandt, hätte er nicht verschwinden können. Dann wäre er verbrannt und nicht mehr bei ihr. Jodie sackte in sich zusammen. Sie hatte keine Kraft mehr. Das Video gab ihr den Rest. Zu sehen wie ihre große Liebe starb, war schmerzvoll. Viel schmerzvoller als alles, was sie bisher in ihrem Leben erlebte. Die Bilder setzten sich in ihrem Kopf fest. Sah sie zur Seite, sah sie sein Gesicht. Schloss sie die Augen, sah sie seinen leblosen Körper vor sich. Immer wieder tauchte er auf. Tot. Jodie brauchte lange um ihre Tränen unter Kontrolle zu bringen. Trotzdem zitterte sie noch immer am ganzen Leib und versuchte mit der Situation klar zu kommen. Durch ein weiteres Klingeln an der Haustür schreckte sie hoch. Nicht noch ein Video. Das durften sie ihr nicht antun. Nicht an diesem Tag. Jodie erhob sich nur langsam von ihrem Platz und schlurfte zur Tür. Es klopfte. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Sie blickte durch das Guckloch, wich dann einen Schritt zurück und sah in den Spiegel im Flur. Ihre Augen waren rot unterlaufen und man sah ihr an, dass etwas Passiert war. Jodie hatte aber keine andere Wahl als die Tür zu öffnen. Sie atmete tief durch und drückte die Klinke herunter. „Shu“, wisperte sie leise. Es war wieder da. Das mulmige Gefühl. Obwohl sie es nicht wollte, kämpfte sie ein weiteres Mal mit den Tränen. „Geht’s dir gut?“ Sie nickte zaghaft, während er eintrat und sie von oben bis unten musterte. „Du bist heute nicht gekommen.“ „Gekommen?“, wiederholte sie. „Geht’s dir wirklich gut?“ Ein besorgter Unterton legte sich in seine Stimme. „Du siehst krank aus.“ „Shu…“, murmelte sie leise. „Ich…“ „Ja?“ „Sie…sie…“ „Was ist los? Was ist passiert?“ Er wurde ernst. Jodie schluckte. „Ich weiß…was vor einem…Jahr passiert ist…“ „Das weiß ich“ sprach er. Sie schüttelte den Kopf. „Nein…ich weiß…genau was…passiert ist…Sie haben…mir ein…Video...“ Shuichi schnellte nach vorne und packte sie an der Schulter. „Wann waren sie hier?“ Jodie schwieg. „Jodie? Wann waren sie hier?“ Er sah sie eindringlich an. „Was haben sie getan?“ „Ich…“ Sie sah zur Seite. „Kurz bevor ich los wollte…“, fing sie leise an. „Es lag vor meiner Wohnungstür.“ Shuichi verengte die Augen. „Mehr nicht?“ „Sie haben…mich sonst in Ruhe gelassen…nur das Video.“ „Und du hast es dir angeschaut.“ „Das hab ich…“, wisperte sie. „Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.“ Natürlich wollte sie immer wissen, wie es passierte. Aber nun wo sie die Wahrheit kannte, wünschte sie sich Unwissenheit. Akai nickte. „Bitte…versprich mir eins, Shu…“ Sie sah zu ihm hoch. „Pass auf dich auf. Wenn sie wissen, dass du noch lebst, werden sie es weiter versuchen. Und vielleicht werden sie dann Erfolg haben. Ich…ich will dich nicht verlieren…das halte ich nicht aus…“ Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Sie musste es ihm sagen. Er sollte ruhig wissen, wie sehr sein Tod schmerzte, wie viel es zerstörte. „Bitte…versprich es mir…“ Shuichi lächelte leicht. „Versprochen. Und jetzt zieh nicht so ein Gesicht.“ „Ach, Shu…“ Jodie konnte nicht einfach. Sie fiel ihm in die Arme und weinte darauf los. Kapitel 3: Valentinstag ----------------------- Aufgeregt lief Jodie in ihrer Wohnung von einem Raum in den nächsten. Sie kontrollierte mehrfach ihr Äußeres im Spiegel und war doch nicht zufrieden. Bereits zweimal hatte sie sich bereits umgezogen und doch war sie von dem was sie trug noch nicht begeistert. Sie wollte eine Kombination – einerseits wollte sie seriös wirken und andererseits auch atemberaubend. Jodie musterte ihr eigenes Spiegelbild und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Hätte Jodie mehr Zeit, hätte sie sich noch ein weiteres Mal umgezogen. Aus dem Augenwinkel sah sie zur Uhr und seufzte. Warum war der Morgen so gegen sie? Sie war bereits spät dran, schnappte sich ihre Tasche und verließ ihre Wohnung. Mit schnellen Schritten brachte sie die Treppen hinter sich und lief zu dem blauen Wagen auf der Straße. Sie öffnete die Tür der Beifahrerseite und stieg ein. „Tut mir leid. Ich weiß, ich bin zu spät, aber ich musste noch etwas erledigen.“ Die Agentin – fünf Jahre älter und erfahrener im Dienst als Jodie – sah ihre Kollegin an. „Schwamm drüber. Vielleicht bin ich diejenige die Morgen zu spät kommt.“ Jodie schmunzelte. „Führt dich dein Mann heute Abend aus?“, wollte sie wissen. Shanna war seit dem Abschluss im Quantico verheiratet. Ihren Mann lernte sie damals bei einer verdeckten Operation zu Übungszwecken kennen und lieben. „Vielleicht“, antwortete Shanna und startete den Motor. „Und was ist mit dir?“ Obwohl sie erst seit einem halben Jahr zusammen arbeiteten, war Shanna so eine Art ältere Schwester. Sie passte auf Jodie auf und beschützte sie wenn es notwendig war. Die Partnerschaft war längerfristig angelegt, da sich Jodies ehemaliger Partner – Shuichi Akai – inmitten einer Scharfschützenausbildung befand und deswegen erstmals andere Prioritäten hatte. „Was soll mit mir sein?“ „Du siehst heute so schick aus.“ Jodie errötete. „Ist das so offensichtlich?“ „Kommt drauf an für wenn. Agenten die dich nicht kennen, werden es nicht bemerken. Für mich ist es außerdem offensichtlich, dass du gut aussehen willst. Man könnte sich jetzt auch die Frage stellen für wen du dich so angezogen hast.“ „Ich…“, murmelte Jodie leise. Ihre Hände lagen in ihrem Schoss und ich Blick wandte sich dorthin. „Wie ich es mir gedacht habe. Es ist der Japaner, nicht wahr? Wie hieß er nochmal? Shi…Sho…“ „Shuichi.“ „Ah, ja stimmt. Shuichi Akai. Er ist doch momentan mit seiner Scharfschützenausbildung beschäftigt.“ Jodie nickte. „Er trainiert jeden Tag mit seinen Kollegen.“ Sie lächelte. „Er sagt, er ist schon richtig gut geworden und trifft jedes Ziel das weiter als 300 Meter liegt. Aber das reicht ihm noch nicht.“ „Oh ho. Du schwärmst ja richtig von ihm.“ „Shanna!“ „Stimmt doch. Lass dich bloß nicht im Büro damit erwischen.“ Sie zwinkerte. „Aber wenn er im Trainingsgebäude bei den anderen Schützen ist, wird er wohl kaum ins Büro kommen.“ „Das ist unterschiedlich. Manchmal muss er auch noch Berichte abgeben oder einer der Vorgesetzten möchte mit ihm sprechen.“ „Verstehe.“ Sie musste kichern. „Du hoffst also, dass er heute rein kommt. Und dann möchtest du natürlich hübsch für ihn sein. Du weißt, du musst eure Beziehung irgendwann melden.“ Jodie seufzte leise auf. Beziehungen zwischen Agenten waren Verboten. Das wurde ihnen bereits in der ersten Woche in Quantico mitgeteilt. Aber es gab Ausnahmen. Waren Beziehungen gemeldet und von den höheren Vorgesetzten befürwortet, stand einem Paar nichts mehr im Wege. „Ich weiß. Aber wir sind noch gar nicht so lange zusammen…warum soll ich dann das FBI schon darüber informieren? Es ist alles noch sehr frisch…wir müssen uns erstmal richtig kennen lernen. Und außerdem warum soll das FBI über meine Beziehungen entscheiden. Das ist doch Irrsinn. Wenn er ein Außenstehender wäre, müsste ich es auch nicht sagen.“ „So sind eben die Regeln.“ Shanna tippte auf dem Lenkrad rum. „Ein Außenstehender wird auch überprüft, aber pscht…das weißt du nicht von mir.“ „Wenn es die Regeln sind, warum meldest du mich dann nicht einfach?“ „Das müsste ich wirklich“, antwortete Shanna. „Aber ich tu es nicht, weil ich weiß, dass du diese Entscheidung selbst treffen musst.“ Jodie sah aus dem Fenster und dachte nach. Wann war alles so schwer geworden? Warum durfte sie sich ihren Gefühlen nicht einfach hingeben? „Wir melden es…wir wollen allerdings noch ein wenig Zeit für uns haben. Es ist auch irgendwie aufregend.“ „Glaub ich dir.“ Shanna fuhr auf den Parkplatz vor dem Gebäude und stellte den Motor ab. „Habt ihr für heute Abend etwas geplant?“ „Nein, bisher noch nicht. Wie du gesagt hast, er ist gerade in der Scharfschützenausbildung und weiß nicht, ob er es heute Abend schafft. Aber er versucht es und ich bin guter Hoffnung.“ „Na dann.“ Shanna stieg aus und holte ihre Tasche vom Rücksitz. „Weiß er eigentlich um die Bedeutung vom Valentinstag hierzulande?“ Irritiert sah Jodie ihre Kollegin an. „Hast du darüber gar nicht nachgedacht? In Japan gibt es doch bestimmt andere Bräuche. Haben sie eigentlich auch einen Valentinstag?“ „Danke, Shanna“, murmelte Jodie beunruhigt. Sie ging in das Gebäude, zeigte ihren Ausweis vor und nahm die Hürde durch die Detektoren. Als sie endlich in ihrem Büro war, startete sie den Computer und setzte sich ran. Auf ihren morgendlichen Kaffee verzichtete sie – vorerst. „Alles in Ordnung, Jodie?“ „Ja…alles gut…“, kam es von der Agentin. Was wenn Shanna recht hatte? Vielleicht feierte er gar keinen Valentinstag. Sie würde leer ausgehen und enttäuscht sein. Oder sie würde ihn enttäuschen. Jodies Finger juckten. Sie musste auf Nummer sicher gehen. Sobald der Computer hochgefahren war, öffnete sie die Internetsuchmaske und gab die Begriffe ein. Valentinstag in Japan Sie sah auf die zahlrechen Ergebnisse, wählte aber das erste davon aus. „Mhmmm…“, kam es nach einer Weile von ihr. „Hast du was Interessantes entdeckt?“ Jodie sah nach oben. Sie hatte fast vergessen, dass Shanna auch im Raum war. „Ich…“ Sie hasste es zu lügen. Vor allem wenn sie wusste, dass die Lüge auffliegen würde. „Ich lese gerade einen Artikel über den Valentinstag in Japan.“ „Und?“, wollte Shanna neugierig wissen. „Wie machen sie es?“ „Hier steht, dass es in Japan zwei Arten von Schokolade gibt, die in Japan verschenkt wird. Eine wird honmei-Schokolade genannt und sie wird nur dann verschenkt, wenn sie vom Herzen kommt. Es ist die Schokolade für den Menschen, den man liebt. Wow…Es gibt sogar spezielle Kochkurse für Frauen. Oh Gott…sie muss selbst gemacht werden…“ Jodie sah ihre Kollegin hilfesuchend an. Jodie konnte alles andere als Kochen. Die Küche in die Luft jagen unter anderem. „Dann besorg doch die zweite Art der Schokolade.“ „Das geht nicht.“ Jodie schluckte. „Die andere Schokolade ist die giri-choco-Schokolade und ist eher eine Pflichtschokolade. Man schenkt sie den Freunden, Bekannten, Verwandten und dem eigenen Chef.“ Jodie biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß doch gar nicht wie man Schokolade macht. Und ich bezweifel, dass hier Kochkurse angeboten werden.“ Shanna schüttelte nur den Kopf. „Kauf doch einfach welche im Laden. Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen.“ „Du hast leicht Reden. Vielleicht legt er Wert auf diesen Brauch.“ Sie seufzte. „Und ich kann ihn nicht einmal fragen, ohne dass er etwas ahnt.“ „Jetzt mach dich mal nicht verrückt. Was bekommen eigentlich die Frauen geschenkt?“ „Nichts.“ „Wie nichts?“, wollte sie wissen. „Hier steht, dass der Valentinstag der Tag ist, an dem Frauen Männern etwas schenken. Männer machen es dann einen Monat später.“ „Das ist doch Schwachsinn. Du willst mir also sagen, dass du heute wohl nichts bekommst?“ Jodie zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Wenn er sich an den Brauch hält, geh ich leer aus. Falls er überhaupt kommt.“ Jodie machte früher Feierabend. Sie fuhr mehrere Läden ab und entdeckte erst im letzten die Reste der Schokolade. Auch wenn im Internet immer von Vollmilchschokolade geschrieben wurde, nahm sie extra Zartbitter – eine Sorte die er aß. Zu Hause öffnete Jodie die Verpackung und richtete sie auf einem Teller nett an. Jodie sah auf ihr Kunstwerk und seufzte. Verzweifelter kann man nicht sein, sagte sie zu sich selbst. Zum Glück hatte sie noch das eigentliche Geschenk in der Hinterhand. Als es an der Haustür klingelte, erstarrte sie. Sie brauchte mehrere Sekunden ehe sie an die Tür trat und diese öffnete. Augenblicklich musste sie lächeln. „Happy Valentine`s Day“, sprach sie. „Dir auch.“ Shuichi trat nach vorne und legte seine Arme um sie. Er drückte Jodie an sich und küsste sie. „So stürmisch heute?“, wollte er wissen als sie den Kuss lösten. „Ich hab dich lange nicht mehr gesehen.“ Sie strich ihm sachte durch das lange Haar. „Ich hab was für dich.“ Jodie zog ihm am Arm in das Wohnzimmer und hielt ihm anschließend den Teller mit der Schokolade hin. „Für dich…uns…zum Essen. Das eigentliche Geschenk wartet im Schlafzimmer auf dich.“ Er lächelte. Anfangs normal, später erregt. „Hört sich gut an“, hauchte er gegen ihre Lippen. „Worauf hast du heute Lust? Wollen wir uns einen Film ansehen? Ich kann uns auch etwas zum Essen bestellen.“ Shuichi küsste sie einfach. Sekunden später löste er wieder. „Du bist wieder in Redelaune.“ Jodie suchte nach einer passenden Antwort. Als sie sie fand, baumelte auch schon ein Medaillon mit Herzanhänger vor ihrer Nase. „Für dich.“ Kapitel 4: White Day -------------------- Ungeduldig blickte Jodie auf ihr Handy. Es lag neben ihr auf dem Tisch und immer wieder warf sie einen kurzen Blick darauf. Der Klingelton war auf Vibration eingestellt und dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie eine mögliche Nachricht verpasste. Er ließ sie warten – absichtlich oder unabsichtlich. Es war egal. Jodie tippte mit ihren Fingern auf dem Tisch herum. Die Situation war heikel und Verzögerungen konnten sie nicht brauchen. Einer seiner vielen Kontakte hatte neue Informationen, möglicherweise sogar zur Organisation. Jodie wusste nicht viel, da sich Akai in Schweigen hüllte. Jetzt saß sie hier, wartete und wartete. Als hätte sie nichts Anderes zu tun. Aber es war wie immer. Er rief und sie sprang. Wie oft hatte er das schon gemacht? Und wie oft war sie sofort aufgesprungen und kümmerte sich um diese Belange? Einmal rief er an, damit sie ihr Tablet vorbeibrachte. Sie wechselten einige Wörter, er sah auf das Tablet, murmelte etwas vor sich hin, gab es ihr wieder zurück und verschwand zurück ins Gebäude. Erst später erfuhr sie, dass er in einen Fall verwickelt war. Sie war wie ein Hund der auf das Rufen seines Herrchens wartete. Und obwohl sie sich jedes Mal darüber ärgerte und sich vornahm nie wieder sofort auf so was zu reagieren, kam sie zurück in diese Situation. Sie konnte nicht anders. In ihrem Kopf lief dann ein eigener Film. Sie sah, dass er dringend ihre Hilfe brauchte, in Gefahr war oder die Aufgabe sonst nicht zu einem Abschluss bringen konnte. Das schlimmste war die Gefahr. Die Angst, dass er dabei sterben würde, war viel zu groß. Und deswegen reagierte sie immer auf seine Nachrichten. Die Wahrheit war anders. Sie war einfach der bequemste Weg. Verärgert nahm sie den Strohhalm ihres Orangensaftes in den Mund, pustete kurz gegen die Flüssigkeit und trank dann. Es dauerte eine ganze Weile bis sie wieder Orangensaft trinken konnte. Es war die Lieblingssorte ihres Vaters – das Getränk das ihr das Leben rettete. Hätte sie damals nicht ein Saftpäckchen für ihren Vater holen wollen, wäre sie im Feuer umgekommen. Sobald sie anschließend Orangensaft sah, fing sie immer wieder an zu weinen. Erst als sie erwachsen wurde, hörte es auf. Und jetzt konnte sie ihn sogar trinken. Jodie sah kurz aus dem Fenster und beobachtete die Menschen. Sah man ihr die Langeweile an? War er irgendwo draußen und beobachtete sie? Wollte er sich vergewissern, dass ihnen die Organisation nicht auf der Spur war? Vielleicht wusste er sogar, dass sie sich langweilte. Dabei war es nur die halbe Wahrheit. Die Suche nach der Organisation ging nicht so schnell von statten wie erhofft. Seit einiger Zeit waren alle Mitglieder still. Kir meldete sich nicht und auch Bourbon war nicht mehr so häufig anzutreten wie zuvor. Jodie ließ ihren Blick im Café Poirot schweifen. Das Café gehörte zu den vielbesuchten Lokalitäten in Beika, aber heute war vergleichsweise wenig los. Azusa stand an der Theke und bediente einen anderen Kunden. Bourbon glänzte mit seiner Abwesenheit. Die FBI-Agentin seufzte. Sie blickte wieder auf ihr Handy und strich über die Oberfläche. Jodie überlegte einen Moment und drückte dann auf den Button mit der Kurznachricht. Habe keine Zeit mehr. Ruf mich nachher an. J. schrieb sie. Mehrere Sekunden sah sie auf die Nachricht und seufzte erneut auf. Auch wenn sie es wollte, sie konnte sie nicht abschicken. Zumindest jetzt nicht. „Shu, ich hoffe, du hast einen guten Grund mich warten zu lassen“, murmelte sie zu sich selbst. Scheinbar war sie dabei ein wenig lauter oder machte den Eindruck, dass sie irgendwas wollte. Azusa kam an ihren Tisch. „Darf ich Ihnen noch etwas Bringen?“ Jodie sah zu ihr. „Nein, danke“, sagte sie ruhig. Sagen Sie mal, ist heute irgendein besonderes Ereignis oder warum sind hier kaum Menschen?“ „Hmm?“ Azusa sah sich um. „Ach so…heute ist White Day.“ „Ja, klar…wie konnte ich das vergessen“, murmelte die Agentin. „Oh. Entschuldigung“, kam es sogleich von der Kellnerin. „Der White Day ist wie der Valentinstag. Am Valentinstag verschenken die Frauen und Mädchen hier Schokolade an ihre Herzensmänner. Am White Day ist es genau anders herum. Die Männer, die zum Valentinstag Schokolade bekamen, schenken den Frauen die sie mögen Schokolade. Bei Paaren wird es dann auch etwas mehr als Schokolade. Naja…“ „Stopp, stopp“, entgegnete Jodie sofort. „Es tut mir leid, ich hab mich eben falsch ausgedrückt. Ich weiß, was der White Day ist. Ich hatte nur vergessen, das der Tage heute anliegt.“ „Verstehe. Dann bin ich etwas übers Ziel hinausgeschossen.“ Jodie sah wieder aus dem Fenster. „Manchmal beneide ich diese Mädchen dort draußen. Sie sind noch so unschuldig und glauben an die eine, wahre Liebe.“ „Da sagen Sie was.“ Jodie musterte die Kellnerin. „Bekommen Sie heute etwas geschenkt?“ Azusa schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht wissentlich. Und Sie?“ „Sieht auch eher schlecht aus“, antwortete Jodie ruhig. Sie hatte nur ein einziges Mal etwas zum White Day bekommen. „Wissen Sie was? Ich nehm noch einen Kaffee.“ „Bring ich Ihnen sofort.“ Jodie sah erneut aus dem Fenster. Die Mädchen liefen aufgeregt nebeneinander her. Manche hielten Schokolade in der Hand als wollten sie zeigen, dass sie begehrt wurden. Andere unterhielten sich miteinander. Eine weitere Gruppe von Mädchen ließ den Kopf hängen und wieder andere wollten schnell nach Hause. Scheinbar erwartete sie dort ein Geschenk. Wie Jodie bereits erwähnte, beneidete sie diese Mädchen. Sie waren noch unschuldig und hatten ihr ganzes Leben vor sich. Ihr Herz war heil und sie waren offen für die große Liebe. Und was war mit ihr selbst? Obwohl bereits Jahre vergangen waren, hing ihr Herz noch immer an diesem einen Mann. Er ließ sie nicht los egal was sie machte. Immer wenn sie dachte, darüber hinweg zu sein, sah ihn und befand sich erneut im Strudel der Gefühle. Jodie wusste, dass es keine Absicht war und dennoch passierte es immer wieder. Sie seufzte leise. Obwohl der Auftrag wichtig war und sie die Organisation genau so dringend festnehmen wollte wie die anderen Agenten, stellte sie manchmal alles in Frage. Wäre die Organisation nicht gewesen, wäre sie möglicherweise noch immer mit Shu zusammen. Er hätte sich nicht von ihr getrennt – zumindest nicht mit seinen Beweggründen. Kein anderer Auftrag wäre so wichtig gewesen, dass er seine Gefühle hinten angestellt hätte. Auf der anderen Seite wusste Jodie aber auch nicht, ob sie überhaupt mit Shu zusammen gekommen wäre. Ohne Organisation würde ihr Vater vielleicht noch leben. Eventuell hätte sie auch einen ganz anderen Beruf erlernt. Keiner wusste, wie sich die Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft auswirkte. Konnte die Änderung einer Situation alles ändern? Jodie schüttelte den Kopf. Die Vergangenheit konnte keiner rückgängig machen. Jetzt stand die Zukunft im Vordergrund. Auch wenn sie dieses Jahr nicht mehr die Liebe erlebte, konnte es im nächsten Jahr anders aussehen. Vielleicht fand sie einen Weg. Sie musste nur daran glauben und lange genug durchhalten. Und selbst wenn es keine Liebe war, ein kleines Geschenk in Form von Schokolade wäre auch nicht schlecht gewesen. Gerade jetzt konnte es ihr Selbstvertrauen nur stärken. Sie erinnerte sich noch immer gern an den ersten und letzten gemeinsamen Valentinstag mit Shu. Damals befand er sich mitten im Training als Scharfschütze. Nicht nur, dass sie ihre Beziehung geheim hielten, sie hatten auch so gut wie gar keine Zeit füreinander. Am 14.2 machte er es aber möglich. Am Abend kam er zu ihr und sie verbrachten die Zeit bis zum nächsten Morgen in ihrem Schlafzimmer. Und trotz allem ließ es sich der Agent nicht nehmen und überraschte seine Freundin mit einer Kette. Und Jodie wäre nicht sie selbst, wenn sie sich nicht mit den Bräuchen der japanischen Kultur auseinander gesetzt hätte. Da sie es nicht schaffte zum Valentinstag Schokolade selbst zu machen, versuchte sie sich am White Day daran – und scheiterte. Mit einer Waffe konnte sie umgehen, aber in der Küche war sie nicht einsetzbar. Manchmal wünschte sie sich die Anfänge ihrer Beziehung zurück. Mit einem Lächeln, gepaart mit einem Hauch Traurigkeit blickte sie auf ihr Handy. Warum hatten die schönen Momente in ihrem Leben immer einen bitteren Nachgeschmack? Nachdenklich blickte Jodie wieder auf ihr Handy. Sie hatte noch immer keine Nachricht – wahrscheinlich hatte er sie vergessen oder ihm war etwas Wichtigeres dazwischen gekommen. Jodie seufzte leise auf. Sie hatte über eine halbe Stunde gewartet. Aber nun reichte es. Azusa kam wieder an ihren Tisch. „Ihr Kaffee“, sprach sie. „Kann ich Ihnen auch etwas zu Trinken bringen?“ Irritiert sah Jodie auf den Platz gegenüber. Sie blinzelte und war überrascht ihn zu sehen. „Seit wann…bist du hier?“ „Eine Weile“, antwortete Shuichi ruhig und sah zur Kellnerin. „Kaffee, schwarz, bitte.“ Jodie steckte das Handy in die Tasche. „Du hast mich warten lassen“, meinte sie dann. „Ich musste sichergehen, dass sich die Informationen nicht als falsch erweisen oder als Falle.“ Jodie musterte ihn. Sofort spannte sich ihr Körper an. „Und?“ „Keine Falle“, sagte er ruhig. „Aber der Hinweis hat sich als Fehlschlag entpuppt. Einer meiner Informanten sah eine Gestalt auf die die Beschreibung der Organisation passt. Ich war heute dort. Die mögliche Zielperson ist Bestatter. James überprüft ihn gerade. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir uns keine Sorgen machen müssen.“ Jodie seufzte. „Na toll“, murmelte sie. „Dann stehen wir wieder bei Null.“ „Tja…“ Akai zuckte mit den Schultern. „Machen wir das Beste draus.“ „Und wie soll das aussehen?“ Jodie überlegte gespielt. „Ich weiß. Du kannst damit anfangen, dass du mich zum Essen einlädst.“ Kapitel 5: Ostern ----------------- Jodie lief die Straße entlang. Aufmerksam nahm sie ihre gesamte Umgebung war. Links. Rechts. Wieder links. Dann erneut rechts. Sie lief weiter und weiter. Je näher Jodie den Menschenmassen kam, umso beunruhigter wurde sie. Es konnte alles passieren, wenn sie nicht aufpasste und die Situation unter Kontrolle brachte. Jodie drängte sich durch die Menschenmassen und hielt weiterhin Ausschau nach der Zielperson. Warum musste es ausgerechnet dieser Tag sein? Warum inmitten von tausenden Menschen? Ähnliche Trainings machte das FBI oft. Sie wählten eine Zielperson aus, gaben den Rekruten wenig Informationen und ließen sie die Zielperson finden und aufhalten. In jedem gespielten Szenario ging es um Entführungen, Bombenanschläge, Mordanschläge, Selbstmordattentate und Geiselnahme, allerdings gab es dabei nie Opfer. Die Zielpersonen wussten Bescheid und hatten ganz bestimmte Anweisungen erhalten. Auch nach der Ausbildung wurden solche Trainings durchgeführt. Die Agenten mussten immer in Übung bleiben und für den Ernstfall vorbereitet sein. Aber Übungen waren ganz anders als die Realität. In den Übungen konnte Jodie immer glänzen. Heute – im Ernstfall – hatte sie bereits erste Probleme. Es lag an allem. Sie wussten wenig über die Zielperson. Ihre einzige Angabe war, dass der Mann eine rote Kappe auf dem Kappe auf dem Kopf und eine blaue Jacke trug. Mehr konnten die anderen Agenten nicht herausfinden. Jodie war zu Hause als ihr Handy klingelte. Eigentlich hatte sie einen freien Tag, aber unter bestimmten Voraussetzungen konnte sie in den Dienst beordert werden. Nach dem Eingang der ersten Bombendrohung bei der Polizei, wurde das FBI involviert. Sie besaßen mehr spezialisierte Agenten und konnten ein breiteres Feld abdecken. Dennoch Waren sie zu spät als die erste Bombe in einer Kirche hochging. Danach wurden all jene mobilisiert, die noch in keinem Einsatz feststeckten. Jodie kam gerade am Tatort an, als die Zielperson an ihr vorbei lief. Hätte sie schneller gehandelt, wäre der Mann bereits gefasst. Aber zu dem Zeitpunkt besaß sie noch nicht alle Informationen und achtete unglücklicherweise nicht auf ihre Umgebung. Nun musste sie ihm nachlaufen und als die erste Beschreibung kam, ahnte sie welchen Fehler sie beging. Jodie wusste nur noch, dass ihr keine Person auffällig erschien. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt um an Fehler zu denken. Sie musste sich konzentrieren und die Menschen schützen. Ostern wurde in New York nie besonders groß gefeiert. Die Geschäfte waren an allen Wochentagen geöffnet, die Menschen arbeiteten normal weiter. Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag hatten keine weitere Bedeutung. Das Osterfest selbst war eher für Kinder und Touristen gedacht. Ostersonntags wurden viele Eier in der Stadt versteckt und von den kleinen Bewohner der Stadt gesucht. Dazu konnte man auch vorher zu bestimmten Kursen gehen und Ostereier in einer Gruppe bemalen. Oder man ging in die Kirche und ließ das Fest auf sich wirken. Was Jodie an Ostern mochte, war die Osterparade. Schon als Kind hatte sie sie geliebt. Jedes Jahr war es ein bunter Auflauf von Menschen. Viele trugen Kostüme: Tiere, Uniformen, Comicfiguren…alles war dabei. In diesem Jahr wollte sie mit Shu durch die Straßen ziehen – zumindest theoretisch. Shus Ausbildung zum Scharfschützen war abgeschlossen und er erwartete die ersten Aufträge, weswegen er häufig unterwegs war und durch ihre eigenen Arbeitszeiten sahen sie sich wenig. Jodie zog ihr Funkgerät heraus. „Bin in der Fifth Avenue. Brauche hier dringend Verstärkung. Die Osterparade hat bereits begonnen. Hier sind viel zu viele Menschen. Ich fürchte, ich verliere die Zielperson bald.“ Wieder drängte sie sich durch. Und Jodie wusste, dass sie schlechte Karten hatte. Sie war alleine und drohte die Zielperson zu verlieren. Abner wenn sie nicht bald aufholte und eine Möglichkeit bekam, jene Person zu entwaffnen, sah es schlecht aus. Jodie hasste Menschenaufläufe, wenn sie einen nicht durchließen. Sie versperrten einem immer den Weg und wenn man irgendwie versuchte durchzukommen, bekam man einen bösen Blick. Da der Auftrag allerdings viel zu wichtig war, hatte Jodie nicht einmal Zeit um sich zu entschuldigen. Und es brachte nichts. Die Massen wurden dichter. Die Straße belebter. Sie zog erneut das Funkgerät hervor. „Habe Zielperson verloren. Ich wiederhole: Habe Zielperson verloren“, sagte sie seufzend. Er war einfach so verschwunden. Abgetaucht. Jodie sah weder die rote Kappe noch die blaue Jacke. Er war weg. Einfach so. Sie ärgerte sich. Fast hätte sie ihn gehabt. Und nun war es zu spät- Sie biss sich auf die Unterlippe und blieb stehen. Wo bist du? Jodie sah sich um. Er konnte unmöglich auf die andere Straßenseite gewechselt sein und er konnte auch nicht einfach so umgedreht haben. Sie hätte ihn gesehen. Da war sie sich ganz sicher. Das hieß auch, dass er sich irgendwo versteckt hielt. Menschen konnten nicht einfach so verschwinden. Und Jodie spürte, dass er in der Nähe war. Vorsichtig blickte sie in die Schaufenster der Läden. Einige waren geschlossen, andere nutzten die Gunst der Stunde und versuchten Profit zu machen. Er konnte in jedem sein. Jodie pirschte sich an die Schaufenster heran. Nur in einige bekam sie eine gute Sicht. Aber das musste nichts heißen. Die Zielperson war gefährlich und es konnten Geiseln im Spiel sein. „Verdammt“, murmelte Jodie. Es war vorbei. Ihr Einsatz war eindeutig zu Ende. Dennoch ging sie noch einige Meter weiter und hielt vor einer Gasse. Sie spähte hinein. Die Mülltonnen standen an der Seite, die Deckel waren zugeklappt und die Feuerleitern hörten in der ersten Etage auf. Gassen waren ein beliebtes Versteck für Täter. Sie fühlten sich unbeobachtet und konnten in Ruhe zuschlagen, während keiner etwas bemerkte. Jodie warf einen Blick nach oben. Die Sonne schien und Anspannung lag in der Luft. Ein weiteres Mal nahm sie ihr Funkgerät hervor. „Sehe mich in der Gasse neben der Boutique Amore um“, sprach sie. Wenn man alleine war, musste wenigstens die Zentrale wissen, wo man steckte. Zur Sicherheit zog Jodie ihre Waffe. „Das würde ich bleiben lassen.“ Jodie hielt inne. Aus dem Augenwinkel sah sie nach rechts. Eine Waffe – möglicherweise eine Browning – wurde ihr an die Wange gehalten. Die Statur passte zu der Stimme. Dunkel und zu allem bereit. Jodie verengte die Augen. Jetzt sah sie auch die rote Kappe. Jodie war sich sicher gewesen, er hatte sie die ganze Zeit über bemerkt und hier erwartet. Sie war dumm und töricht. „Was wollen Sie?“ „Das, was wir alle wollen. In Ruhe leben.“ „Dann sollten Sie aufhören unschuldige Menschen zu töten“, warf sie ein. „Das hat sich einfach so ergeben“, antwortete er kühl. „Natürlich“, murmelte sie. „Und? Was haben Sie jetzt mit mir vor?“ „Hm…das ist eine sehr gute Frage. Was könnte ich nur mit dir anfangen“, sprach er. „Ich würde sagen, du bist mein Weg nach draußen. Wenn du brav bist, lass ich dich gehen.“ „Und was muss ich dafür machen?“, wollte sie wissen. „Nimm dein Funkgerät und sag deinen Kollegen, dass du gesehen hast, wie ich Richtung Süden gelaufen bin. Dann kann ich in Ruhe verschwunden. Du solltest keinen Unsinn machen. Wenn du versuchst deinen Kollegen auch nur den geringsten Tipp zu geben, dann hast du ganz schnell die Kugel im Kopf“, entgegnete er. „Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?“, kam es dann von ihr. „Immerhin habe ich Ihr Gesicht gesehen. Deswegen werden Sie mich kaum leben lassen.“ Er lächelte. „Du bist ja eine ganz Schlaue. Aber wo du Recht hast, hast du Recht. Wenn du kooperierst, mach ich es weniger schmerzvoll für dich. Also? Bist du ein braves Mädchen?“ Jodie knurrte leise. Sie musste einen Ausweg finden. Irgendwie. „Wie du willst.“ Und trotzdem musste sie versuchen ihren Kollegen einen Hinweis zu geben. Aber welchen. „Sehr schön. Und jetzt nimm ganz langsam das Funkgerät. Keine zu schnellen Bewegungen. Ich will die ganze Zeit deine Hände sehen.“ Jodie tat was er verlangte. Gerade als sie in das Gerät sprechen wollte, sackte der Mann vor ihr zusammen. Sein Blick war starr. Er lag auf dem Boden und Jodie erkannte den Grund dafür. Zwischen seinen Augen befand sich ein Loch. Prompt verschanzte sie sich an der Wand und blickte in die Richtung aus der der Schuss kam. Wenn sie nicht bald eine Lösung fand, wäre sie die Nächste. In der Gasse war sie schutzlos. Es gab wenig verstecke und in die Mülltonne wollte sie auf gar keinen Fall kriechen. „Jodie.“ Es war eine vertraute Stimme. Die Angesprochene blickte auf ihr Funkgerät. Sie lächelte. Auf ihre Umgebung achtend, führte sie das Funkgerät an den Mund. „Bin immer noch in der Gasse. Hier gab es einen Schusswechsel. Unsere Zielperson ist tot. Ich wiederhole: Er ist to. Ich weiß nicht wer dafür verantwortlich ist. Aber wer auch immer es ist, er läuft hier noch frei herum.“ „Das war ich.“ Jodie wirkte überrascht, ließ aber im nächsten Moment die Schultern hängen. Die Anspannung wich, das Adrenalin verschwand aus ihrem Körper. „Wir treffen uns in 20 Minuten vor dem Einsatzwagen.“ Jodie marschierte an ihren Kollegen vorbei. Die Leiche der Zielperson wurde von der Gerichtsmedizin abgeholt und wegtransportiert. „Was machst du hier?“, wollte sie wissen, als sie vor Shuichi stand. „Wir haben auch die Meldung bekommen“, antwortete er. „Überall auf den Dächern waren Scharfschützen positioniert. Nachdem die Bombe gezündet wurde, behielten wir die Straße der Parade im Auge. Sie war ein mögliches Ziel“, erklärte er. Jodie lächelte erleichtert. „Gut zu wissen. Aber hättet ihr das nicht vorher irgendwann ins Funkgerät sagen können?“ „Wenn er in der Nähe unserer Männer gewesen wäre, hätte er das mit angehört. Und so wärst auch du darauf vorbereitet gewesen. Unter diesen Umständen hättest du anders gehandelt, als er dir die Waffe an den Kopf hielt. Wenn er gesehen hätte, dass du noch ein Ass im Ärmel hast, hätte er dich gleich erschossen.“ „Verstehe“, murmelte sie. „Ich bin froh, dass die Sache doch noch ein gutes Ende nahm. War es dein erster…ich mein…“ „Mein erster Einsatz als Scharfschütze bei dem ich jemanden erschießen musste?“, beendete er den Satz. „Ja.“ „Und? Wie fühlst du dich damit?“ Akai zuckte mit den Schultern. „Normal. Ich weiß, warum ich es getan habe und das ich es tun musste. Ich hätte ihm natürlich auch in den Arm schießen können, aber was ich gesehen habe, hat mir gereicht. Der Kerl gehört nicht zu der zimperlichen Sorte. Er wäre nur aufgebracht gewesen und hätte weitere Unschuldige in den Tod gerissen. So blieb mir keine andere Wahl als ihn auszuschalten.“ „Ist es schlimm, dass ich froh bin, dass du es gewesen bist, der mich gerettet hat?“ „Ganz und gar nicht.“ Shuichi schenkte ihr ein seichtes Lächeln. „Meld dich ab, wir gehen nach Hause.“ Kapitel 6: Geburtstag --------------------- Der Raum war hell, die Nacht kurz. Jodie öffnete die Augen. Wieder war ein Jahr vergangen. Schnell. Unaufhaltsam. Jodie seufzte leise auf. Aus dem Augenwinkel sah sie auf die Uhr. 7:00 Warum musste sie unbedingt aufwachen? Wo waren die Zeiten hin, als sie erst zur Mittagszeit wach wurde? Selbst wenn Jodies Abende lang waren, sobald das Zimmer hell wurde, war es mit dem Schlaf. Im Winter ging es zeitlich gesehen noch. Jodie tastete mit der Hand nach ihrer Brille und setzte diese auf. Dann nahm sie das Handy in die Hand und blickte mehrere Sekunden auf das Display. Sollte sie? Sollte sie nicht? Die Agentin schüttelte den Kopf. Wie konnte es soweit kommen? Jetzt lieferte sie sich schon Blickduelle mit ihrem Telefon. Eigentlich konnte ihr egal sein, ob jemand eine Nachricht hinterließ oder nicht? Jodie legte das Handy zurück auf den Nachttisch und kuschelte sich wieder in ihre Bettdecke. Erst gestern hatte sie das Bett frisch bezogen – heute kam es ihr aber so unwirklich vor. Seit Wochen war es ruhig gewesen. Die Organisation hielt die Füße still, was wiederum dazu führte, dass sie täglich vor ihrem Laptop saß und die internationale Suchfunktion verwandte um auch nur eine kleine Spur zu erhalten. Eigentlich stellte die Arbeit beim FBI keine Routinetätigkeit dar, doch seit Wochen machte sie nur das gleiche. Aufstehen, frühstücken, die gleichen Anfragen recherchieren und schlafen. Jodie schloss die Augen und fiel in einen seichten Schlaf. Zwischendurch hörte sie den Klingelton ihres Handys, fühlte sich aber zu müde um darauf zu reagieren. Wenn es wichtig war, würde sich die Person nochmal melden. Zwei Stunden später wachte sie auf. Jodie fühlte sich gerädert. Nur mühsam hielt sie ihre Augen offen. Der kurze Schlaf hatte ihr eindeutig nicht gut getan. Schlaftrunken schleppte sich Jodie ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Das kalte Wasser welches ihren Körper zuerst benetzte, machte sie sofort wacher. Das warme Wasser direkt danach war ein Segen. Jodie konnte abschalten. Ungern stieg sie aus der Dusche raus, trocknete sich ab und sah in ihr Spiegelbild. „Happy Birthday, Jodie“, murmelte sie zu sich selbst. So glücklich fühlte sie sich allerdings nicht. Früher konnte sie es nicht erwarten älter zu werden. Volljährig zu sein, war toll. Auch die Jahre danach waren kein Problem. Aber je weiter die „2“ voranschritt und zur „3“ wurde, desto lieber wollte sie wieder jünger werden. Bislang waren weder ihre Wünsche noch ihre Träume in Erfüllung gegangen. An oberster Position stand die Organisation. Sie sollte fallen, allen voran Vermouth. Vielleicht wurde es doch noch im nächsten Lebensjahr wahr. Vielleicht aber auch nicht. Keiner konnte es vorhersehen. Und der Rest? Jodie träumte, wie jede andere Person von einem annähernd normalen Leben, von einer Familie…einem Mann, einer Liebe und einer gemeinsamen Zukunft. Noch immer stand sie alleine da. Und selbst wenn sich irgendwas anbahnte, am Ende war sie doch wieder alleine. Jodie seufzte auf. „Nicht heute“, sprach sie während sie sich anzog und anschließend die Haare kämmte. Vielleicht sollte sie etwas Neues ausprobieren. Lang wachsen lassen oder färben. Jodie verzog das Gesicht. Option eins lag noch im Bereich des Möglichen. Option zwei hingegen konnte sie sich gar nicht vorstellen. Sie selbst mit braunen Haaren? Oder gar mit schwarzen Haaren? Hastig schüttelte sie den Kopf. Die Vorstellung war grauenhaft. Langsam bemühte sich Jodie zurück ins Schlafzimmer und nahm das Handy vom Nachttisch. Sie ging ihre Kurzmitteilungen durch. Drei waren bereits eingegangen. Die erste kam von James in der Frühe. Die zweite war von einer Bekannten und Nummer drei stammte von Camel. Wenigstens zwei der drei wichtigsten Personen in ihrem Leben erinnerten sich an ihren Jubeltag. Sowohl James als auch Camel wollten sich mit ihr treffen. Ob es zur Mittagszeit oder am Abend war, durfte sie selbst entscheiden. Jodie mochte große Feierlichkeiten. Bereits als Kind kam sie in diesen Genuss. Ihre Eltern ließen sich zu jedem Jahr etwas Besonderes einfallen. Nach dem Tod ihrer Eltern ließ sie mehrere Geburtstagsfeiern ausfallen, da sie sich Fröhlichkeit verbat. Erst als sie in James trauriges Gesicht blickte, ließ sie sich doch darauf ein. Und schon war es wieder eine Art Tradition geworden. Dennoch lag auch hier ein Schatten über den Festlichkeiten. Große Feiern – gerade wenn sie mit Kollegen waren – konnten eine tickende Zeitbombe darstellen. Das FBI hatte in der Vergangenheit bereits Erfahrungen damit gemacht. Unter gewissen Umständen wurden die Orte der Feierlichkeiten von den Feinden aufgesucht und in eine bomben Stimmung versetzt. Viele Agenten verloren ihr Leben oder waren auf ewig gezeichnet. Gerade jetzt in Japan durfte Jodie den Einsatz nicht gefährden. Die Organisation konnte immer zuschlagen. Trotzdem fühlte es sich nicht richtig an. Jodie wollte wenigstens mit ihren Kollegen essen gehen oder in ihrer eigenen Wohnung etwas Trinken. Natürlich hätte sie das auch gedurft. Es musste nur zufällig aussehen. Da ihr der Tag allerdings bisher keine Freude bereitet hatte, war ihr diese List nicht angemessen. Jodie steckte ihr Handy weg. Sie würde sich überlegen, wie sie welchem Treffen zustimmte. Gewiss war aber, dass es heute anders werden sollte. Sie wollte keinen normalen Arbeitstag erleben. Etwas Besonderes musste her. Jodie ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Während ihr Wasserkocher bereits am Arbeiten war, versank sie in Gedanken. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie das Klingeln an der Haustür erst viel zu spät bemerkte. Aus dem Augenwinkel sah Jodie auf die Uhr in der Küche. 10:15 Vielleicht hatte ein alter Freund ihr irgendwas geschickt. Oder das FBI. In Amerika wusste niemand über ihren Aufenthaltsort Bescheid. Sollte es Geschenke geben, hätten diese erst einmal das Büro durchlaufen müssen. Dann wäre es nach Japan geschickt worden. Mittlerweile hatte sie aber auch mehrere Kontakte in Japan. Es klingelte erneut. Jodie schob ihre Gedanken bei Seite und ging zur Haustür. Sie blickte durch das Guckloch und öffnete anschließend die Haustür. „Guten…“ Er schob sich direkt an ihr vorbei und verschloss die Tür. Verwirrt blinzelte Jodie den Agenten an. „Alles in Ordnung?“, wollte sie wissen. Sofort war sie hellhörig. War die Organisation tätig? Shuichi nahm das Basecap vom Kopf und strich sich durch die Haare. „Die Organisation ist ruhig“, sprach er. „Kein Hinweis auf Aktivität.“ „Das ist gut…naja nicht gut…aber wenigstens bringen sie gerade keine Menschen um.“ „Keine von denen wir wissen“, entgegnete der Agent. Jodie nickte. „Du weißt, was ich meinte. Wir brauchen wieder einen Hinweis auf ihre aktiven Geschäfte.“ „Das wird nicht einfach sein. Kir kann uns nicht helfen, da sie immer noch beobachtet wird. Bourbon wird ebenfalls beschattet.“ Jodie sah ihn fragend an. „Wirklich?“ „Wirklich.“ Shuichi sah sich kurz um. „Bist du alleine?“ „Keiner da“, antwortete Jodie. „Gut.“ Akai schlenderte in ihre Küche. „Eh…Shu…?“ Verwirrt sah sie ihm nach, folgte ihm aber kurz darauf in die Küche. „Was wird das?“, wollte sie wissen. „Frühstück.“ Shuichi stellte die Tüte, die Jodie erst jetzt in seiner Hand erblickte, auf den Tisch und packte die Sachen aus. „Das…seh ich…“, murmelte sie. „Du kannst mir ruhig helfen.“ Jodie kniff sich in den Arm. War das ein Traum? Konnte so etwas wirklich Realität sein? Oder stand Vermouth vor ihr? „Shu?“ „Hmm?“ „Bist du…also ich mein…es ist früh und du…“ „Ich komm von einer Beschattung“, sagte der Agent. „Camel hat mich abgelöst. Ruf ihn ruhig an. Oder stell mir Fragen, die nur ich beantworten kann.“ Jodie schluckte. War sie so leicht durchschaubar? „Tut mir leid, Shu, aber es ist für dich total untypisch, dass du…“ „Dass ich an deinem Geburtstag so früh vor der Tür stehe“, beendete er ihren Satz. Jetzt konnte es nicht anders sein. Sie musste träumen. „Jodie?“ Die Agentin schüttelte kurz den Kopf. „Tut mir leid, ich bin grad ein wenig – sagen wir es so, es ist noch früh.“ „Von mir aus.“ Shuichi goss das Wasser in die Kaffeetassen und nahm einen ersten Schluck. Das Getränk lief an seinem Hals herunter und fühlte sich wohltuend an. „Hast du heute sonst noch was vor?“ „Nach dem Frühstück fahr ich zurück in die Villa und setze die Beschattung fort. Yukiko Kudo kommt heute Abend wieder zu Besuch.“ „Verstehe“, murmelte Jodie und setzte sich an den Tisch. Sie erinnerte sich noch sehr genau an die Frau. Für ihr Alter war sie jung und sehr fidel. Und sie schien mit Shuichi zu flirten – was ihr selbst nicht passte. Aber was hatte sie schon zu sagen? Sie war nur eine Kollegin, die Ex-Freundin. „Willst du dein Geschenk auspacken?“ Fast hätte sich Jodie an ihrem Kaffee verschluckt. „Ge..geschenk?“ Shuichi sah sie unverblümt an und zog aus der Frühstückstüte noch eine kleine Packung heraus. Er stellte sie auf den Tisch. „Happy Birthday.“ Jodie war verblüfft. Sie nahm die Packung und öffnete vorsichtig das Geschenkpapier. Zu Vorschein kam eine quadratische Schatulle. Schmuck? Langsam öffnete Jodie die Packung. Sie lächelte. Es war doch ein schöner Tag geworden. Kapitel 7: Hochzeit ------------------- Jodie gähnte. Es war ein Morgen wie immer. Fast immer. Heute – an einem Freitag - musste sie nicht arbeiten. Theoretisch hätte sie ausschlafen können. Leider sah die Realität anders aus. Der Wecker klingelte bereits um 7 Uhr und dieses Mal wünschte sie ihm den Tod. Wie gern hätte sie ihn gegen die Wand geworfen und es wie einen Unfall aussehen lassen. Jodie wusste nicht mehr, wann ihr letzter freier Tag gewesen war. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Seit sie in den aktiven Dienst versetzt wurde, hatten sich ihre Prioritäten verlagert. Sie wurde zum Workaholic. So auch am Tag zuvor. Sie hatte bis spät in der Nacht im Büro gesessen, Akten gewälzt und ihre E-Mails beantwortet. Und warum? Weil alle Kollegen aus ihren Löchern gekrochen kamen und sie mit Aufgaben überschütten wollten. Es war, als konnten sie ihren Urlaub riechen. Da Jodie allerdings keine E-Mail unbeantwortet lassen wollte, zog sich der Feierabend immer weiter in die Länge. Unglücklicherweise hatte sie auch verdrängt, dass es am nächsten Morgen früh aus den Federn ging. Jodie blickte verschlafen auf die Uhr. Warum musste es nur so früh sein? Aber sie hatte keine andere Wahl. Ihre beste Freundin aus Kindertagen heiratete und da durfte sie einfach nicht fehlen. Sie würde nicht nur ihre beste Freundin wiedersehen, auch deren Bruder – ihr erster Schwarm – sowie die Eltern würden dort sein. Und sicher würden alle wissen wollen, was aus ihr wurde und vor allem was mit ihrem Freund war. Leider hatte Jodie angegeben, dass sie nicht allein kommen würde. Und jetzt…jetzt musste er möglicherweise Arbeiten. Jodie schleifte sich ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht. Mit ein wenig Schminke würde sie wieder vorzeigbar aussehen. Und wenn Shuichi da war, würde er seinen Blick nicht von ihr lassen können. Wenn. Er wollte zwar arbeiten, versprach ihr aber es wenigstens zu versuchen und zur Feier zu erscheinen. Wie sehr hätte sie sich später in der Kirche an ihn gelehnt und kurz die Augen geschlossen. Es hätte so romantisch werden können. Jodie schüttelte den Kopf und versuchte den Gedanken loszuwerden. Früher war sie nicht so. Sie war auf ein Ziel fokussiert und hatte nicht einmal zu träumen gewagt den Mann fürs Leben zu finden. Hin und wieder schwärmte sie für den einen oder anderen, es war aber nie etwas Ernstes. Heiraten kam für sie auch nicht in Frage. Warum auch? Es hätte wie bei ihrer Familie im Tod enden können. Und dann kam doch alles anders. Dann lernte sie ihn kennen. Es war nicht nur Liebe auf den ersten Blick, er war der Richtige für sie. Ihr Mann fürs Leben. Derjenige mit dem sie alt werden wollte. Unweigerlich musste Jodie bei dem Gedanken lächeln und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Dort zog sie ihr neues Kleid an. Blau, obenrum mit Pailletten und unten rum leicht gewellt. Außerdem betonte es den Bereich um die Brust und die Taille. Jodie war zwar nicht dick, brauchte aber dennoch eine Weile um ein passendes Kleid zu finden. Keines zuvor hatte ihr gefallen oder passte zu den Feierlichkeiten. Dann aber lief alles magisch ab. Ehe sie sich versah, hatte sie sich in das Kleid verliebt, kurz darauf fand sie die passende Tasche, passende Schuhe und einen passenden Bolero. Es hätte nicht besser laufen können. Dennoch wusste sie, dass irgendwo ein Haken kommen würde. Fertig angezogen betrachtete sich Jodie im Spiegel. Später würde er sie so sehen und ihr die Sachen vom Leib ziehen. Allein bei dem Gedanken wurde ihr warm. Minuten später machte sie sich dann aber auch auf den Weg. Die Fahrt zur Kirche dauerte über eine Stunde – die Feier fand außerhalb von New York statt. Ihren Wagen parkte sie direkt am reservierten Hotel, da es von dort nur ein fünf Minuten Fußmarsch zur Kirche war. Jodie sah nach oben in den Himmel. Wenigstens spielte das Wetter mit, was ein gutes Zeichen war. Kaum sah sie sich um, erblickte sie die ersten Gäste der Hochzeit. Manchmal war Jodie auf ihre Freunde und auf die Kollegen neidisch. Sie hatten ihre Familie und waren nicht alleine. Der Vater ihrer besten Freundin würde diese an den Altar führen und später den bekannten Vater-Tochter-Tanz mit ihr bestreiten. Jetzt wusste Jodie nicht, ob die Hochzeit nicht eine Karussellfahrt der Gefühle werden würde. Die Chance war groß. Sie würde dauernd zwischen Freude und Trauer schwanken, verbot sich aber selbst Tränen der Trauer. „Jodie?“ Die Angesprochene drehte sich um. Matt – der Bruder ihrer besten Freundin – musterte sie mit seinen blauen Augen. „Hi, Matt. Wie geht’s dir?“, wollte sie von ihm wissen. Er lächelte zaghaft. „Gut und dir? Cath hat mir erzählt, dass du deinen Freund mitbringst. Wo steckt der denn?“ „Ich kann nicht klagen“, antwortete Jodie. „Der wurde noch bei der Arbeit aufgehalten. Aber er kommt zur Feier ins Hotel.“ Eine halbe Lüge war schließlich erlaubt. „Das will ich ihm auch geraten haben“, gab Matt von sich. „Wir sind schon gespannt wie er so ist.“ „Ihr werdet euch noch gedulden können. Die Hochzeit sollte im Vordergrund stehen.“ „Ja, ich weiß.“ Matt seufzte. „Mom und Dad drehen am Rad. Heut morgen waren sie der Meinung, ich müsste schon um 6 Uhr aufstehen…dabei muss ich gar nichts machen.“ Du sollst eben nicht zu spät kommen“, schmunzelte Jodie. „Und jetzt komm, sonst schaffen wir es wirklich nicht rechtzeitig in die Kirche. „Von mir aus“, murmelte Matt und bewegte sich mit Jodie auf die Kirche zu. Überraschenderweise hatte Jodie in der Kirche ihre Tränen nicht unterdrücken können. Die Zeremonie war schlicht gewesen, hatte aber das gewisse Etwas. Die Stimmung und die ausgewählte Musik passte z u diesem Tag. Und dann wurde ihr Herz schwer. Sie wurde überwältig von all den Emotionen und wünschte sich Shu an ihrer Seite. Innerlich hatte Jodie die winzige Hoffnung, dass er noch käme, aber immer wenn sie einen Blick nach hinten wagte, sah sie die gleichen Gäste. Nachdem sie der Braut gratulierte, wurden Fotos gemacht. Erst danach ging es wieder zum Hotel. Das Brautpaar hatte extra einen Raum gemietet. Nachdem Jodie ihren Platz einnahm, wurde der erste Gang des Essens ausgeteilt. Die ganze Feier war genau zeitlich abgestimmt. Es gab zuerst das Essen und zwischendurch ein paar Kleinigkeiten. Der engagierte DJ – der auch für die Unterhaltung zuständig war – führte durch die Spiele und ehe sich Jodie versah, waren einige Stunden vergangen. Während alle anderen ihren Spaß hatten, saß sie wie ein Tröpfchen Elend auf ihrem Platz. Sie vermisste ihn, wollte unbedingt mit ihm tanzen und sich an ihn schmiegen. Aber wenn es so weiter ging, blieb sie heute alleine. Aus ihrer Tasche zog Jodie das Handy heraus. Er hatte sich nicht gemeldet und auf keine Nachricht von ihr reagiert. Innerlich seufzte sie und wenn sie hochblickte, fühlte sie sich von den anderen Gästen beobachtet. Sie war die Einzige, die alleine war und deren rechter Platz unbesetzt war. Wieso hatte sie sich auch Hoffnungen gemacht? Sie hatte ihm nicht gesagt, wie sehr sie sich seine Anwesenheit wünschte. Deswegen durfte sie jetzt nicht bedrückt sein. Jodie zuckte zusammen als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie blickte nach hinten. „Shu?!“ „Tanzen?“ Die Angesprochene nickte. Sie nahm seine Hand, stand auf und ging mit ihm auf die Tanzfläche. Kapitel 8: Erkältet ------------------- Jodies Kopf dröhnte. Ihre Glieder taten weh. Sie konnte kaum richtig atmen. Ihr Körper fühlte sich träge an. Sie brauchte ein Bett. Ganz dringend. Jodie fühlte sich wie ein Häufchen Elend. Nur mit Mühe war sie heute Morgen aus dem Bett gekommen. Schon am Abend zuvor spürte sie die anfänglichen Halsschmerzen und trank vorsorglich eine heiße Tasse Tee. Bei jedem Schlucken fühlte sie den Schmerz. Obwohl das Wetter draußen angenehm war, trug sie warme Kuschelsocken und hatte ihren plüschigen Bademantel um den Körper geschlungen. Hätten doch bloß die Vorsorgemaßnahmen geholfen. Letzen Endes lag Jodie zitternd im Bett und wünschte sich noch mehr Wärme herbei. Und als sie am frühen Morgen wach wurde, waren die starken Halsschmerzen noch immer nicht verschwunden. Ihre Augen waren gerötet, die Nase geschlossen und dann waren da noch die Gliederschmerzen. Jodie fühlte sich ausgelaugt. Fix und fertig. Dennoch musste sie sich aus dem Bett quälen und sich für die Arbeit fertig machen. Natürlich wäre eine Krankmeldung in Ordnung gewesen, allerdings konnten die Auswirkungen verheerend sein. Hätte sie einen normalen Job, wäre es kein Problem. Aber sie hatte nun einmal keinen normalen Job. Sie war FBI-Agentin und in Japan im Dienst. Meistens stand sie für ihre Kollegen auf Abruf bereit. Und wenn dies nicht der Fall war, recherchierte sie selbst. Entweder sie ging alte Akten durch oder sie suchte nach einer neuen Spur die zur Organisation führte. Es war nicht einfach und sie fanden selten einen Anhaltspunkt. Dennoch war es wichtig, dass sie nicht mit der Suche aufhören. Die Organisation arbeitete gern in der Versenkung und genau so gern liebten sie das Töten. Eine Auszeit konnte sich das FBI nicht leisten. Vor allem dann nicht, wenn nur wenig Agenten im aktiven Dienst waren. Betrachtete es man genau, waren es nur vier Agenten - Jodie, Camel, James und Akai. Die restlichen in Japan stationierten Agenten, saßen auf der Ersatzbank und wurden erst aktiviert, wenn man sie brauchte. Es durfte schließlich nicht zu auffällig werden. Selbst wenn die Organisation um ihre Arbeit wusste, sollte die wahre Identität der Agenten geheim bleiben. Sie durften nicht infiltriert werden. Und auch die japanische Polizei durfte keinen Zweifel hegen. Allein die Tatsache, dass mindestens drei FBI-Agenten in Japan waren, hätten sie stutzig machen sollen. Stattdessen aber schluckten sie die Lügen. Nur wollte das FBI dennoch kein Risiko eingehen. Je weniger die Polizei wusste oder ahnte, desto besser war es. Nur mühsam schleppte sie sich in das Badezimmer und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser fühlte sich gut auf ihrer Haut auf und für einen winzigen Moment konnte sie ihre Erkältung vergessen. Kaum das sie aus der Dusche herausstieg und sich anzog, wurde ihr wieder kalt. Mit ein wenig Schminke sah Jodie wieder einigermaßen vorzeigbar aus. So konnte sie sich wenigstens draußen blicken lassen. Jodie wusste, dass sie so eigentlich lieber nicht in ihr Auto steigen sollte, aber anders kam sie nicht vom Fleck. Zumindest nicht schnell. Gerade wenn ihre Kollegen sie brauchten, musste sie sich auf Konstitution und ihren Wagen verlassen können. Jodie stieg ein und legte den Gurt um sich. Mit etwas Musik im Hintergrund fuhr sie schließlich los. Penibel achtete sie auf die Umgebung und versuchte jedes Hindernis zu umschiffen. Es dauerte zwar ein wenig länger, doch sie kam heil am Haus der Kudos an. Noch immer lief ihr ein merkwürdiger Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht daran denken wie Shuichi seinen Tod vortäuschte. Und dann lebte er noch als Subaru Okiya ganz in der Nähe. Gerade die Person die er nun spielte, war so anders. Unbekannt. Irgendwann aber würde sie darüber hinweg kommen. Es brauchte nur seine Zeit. Jodie parkte den Wagen und stieg aus. Sie blickte auf das große Haus. Er hatte so viele Zimmer für sich alleine und dennoch wollte er keinen Besuch empfangen. Außer es ließ sich nicht vermeiden. Und selbst dann sollte sie darauf achten, dass keiner sie sah. Dumm nur, dass ihr Wagen unverkennbar war. Langsam schritt sie auf die Villa zu. An der Haustür betätigte sie die Klingel und wartete ab. Wenige Sekunden später ging die große Tür auf. Und da stand er. Subaru Okiya. „Komm rein.“ Jodie tat wie ihr aufgetragen wurde und zog sich im Flur die Stiefel aus. Dann schlüpfte sie in ein paar Hausschuhe und sah zu ihm hoch. Shuichi war einen Kopf großer als sie und wenn sie ehrlich war, gefiel ihr das Hochblicken. „Du wolltest mich sprechen?“ Ihre Stimme war belegt. Erst jetzt bemerkte Jodie, dass sie fast heiser war. Shuichi legte den Kopf schief. „Bist du krank?“ „Nur heiser“, log die Agentin. „Das geht wieder weg.“ Shuichi musterte sie, nickte dann. „Komm mit.“ Er ging auf das Wohnzimmer und wies auf das Sofa. „Setz dich. Willst du einen Kaffee?“ „Ich würde lieber einen Tee nehmen.“ Shuichi nickte und verschwand kurz darauf in der Küche. Jodie hörte das Teewasser kochen und wartete. Das Sofa war wirklich weich. Sie konnte verstehen, wie man es in einer großen Villa aushalten konnte. Sie schloss kurz die Augen, öffnete sie aber wenige Sekunden später wieder. „Danke“, sprach sie leise und nahm den Tee, den Akai auf den Couchtisch stellte zu sich. „Also…warum wolltest du mich sprechen?“ Akai setzte sich auf den Sessel und sah sie besorgt an. „Ich habe mit den Kudos telefoniert“, begann er. „Ich finde es immer noch nicht gut, dass wir Außenstehende in unsere Probleme mit der Organisation einbeziehen, aber wir haben keine andere Wahl. Die Kudos befinden sich momentan in Vancouver bei einer Buchvorstellung. Sie haben mir erzählt, dass…“ Shuichi blickte auf Jodie. „Jodie?“ Sie rührte sich nicht. Jodies Augen waren geschlossen, ihre Hände ruhten auf ihrem Schoss und sie atmete gleichmäßig durch den Mund ein und aus. Shuichi stand auf und trat näher an sie heran. Sie schlief. Ruhig und friedlich. Im ersten Moment blickte er sie ungläubig an. Er war nicht darüber erfreut und presste die Zähne aufeinander. Der Agent wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch sein. Nur heiser…bestimmt sagte er sich selbst und schüttelte den Kopf. Jodie war ihm nicht unähnlich. Auch er wäre mit einer Erkältung oder Grippe zum Dienst erscheinen. Genau so hätte er sich komplett ausgepowert und wäre am Abend so gut wie tot ins Bett gefallen. Jodie war es nur viel früher so ergangen. Langsam legte Shuichi seine Hand auf die Stirn seiner Kollegin. Sie glühte und doch konnte er ihr keinen Vorwurf machen. Auch er wäre mit Fieber gekommen, wenn sie ihn brauchte. Ob er wollte oder nicht, er musste lächeln. Und dann wieder Seufzen. Manchmal machte sie es ihm wirklich schwer. Vorsichtig legte Shuichi Jodies Arm um seinen Hals, dann hob er sie hoch. Wenn sie schlief, war sie wie ein Stein. Manchmal war es gut, da sie sich dann richtig ausruhte. Andererseits war es in einer Gefahrensituation nicht von Vorteil. Shuichi versuchte nicht an die Gefahr zu denken und trug sie nach oben in das Zimmer welches er bewohnte. Langsam legte er Jodie in das Bett und legte die Decke über sie. Dann verließ er den Raum. Jodie öffnete langsam die Augen. Sie spürte einen kalten Lappen auf der Stirn und sah sich um. Wo war sie? Was war passiert? Warum erinnerte sie sich nicht in diesen Raum gekommen zu sein? Und warum lag sie in einem fremden Bett? Fremdes Bett? Sofort richtete sich Jodie auf und zog die Bettdecke von sich runter. Sie begutachtete sich selbst und war erleichtert, dass sie ihre Sachen noch an hatte. Der kalte Lappen fiel nach vorne und sie beäugte diesen misstrauisch. Jodie fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Sie war etwas feucht, sonst aber im normalen Temperaturbereich. Komm schon, Jodie, erinnere dich. Was ist passiert? Du bist zu Shu gefahren. Und dann? Alles was dort passierte, war weg. Sie erinnerte sich an das Sofa und dann war alles schwarz. Vielleicht war sie noch in der Villa. Langsam stand Jodie auf. Ihr Kopf dröhnte. Wie lange hatte sie geschlafen? Ihr Blick ging sofort zum Fenster. Die Dunkelheit hatte bereits begonnen, die Villa aber war erhellt. Jodie schritt den langen Flur entlang. Als sich eine Tür öffnete, wich sie erschrocken nach hinten. „Shu, Herrgott…willst du mich zu Tode erschrecken?“, wollte sie von ihm wissen. Shuichi musterte sie. Zur Abendstunde sah er wieder aus wie der Agent den sie kannte. „Du bist auf dem Sofa eingeschlafen.“ Jodie überlegte. „Das war…heute…Morgen?“, wollte sie wissen. Akai nickte. „Du hast den ganzen Tag geschlafen.“ „Den ganzen Tag“, wiederholte Jodie leise. „Geh zurück ins Bett. Du brauchst noch Erholung.“ „Es geht mir gut.“ Shuichi trat zu ihr heran. Er war nur wenig Millimeter von ihr entfernt. Er war so nah. Dicht. Sie spürte seinen Atem und starrte ihn an. Jodie fühlte sich komisch. Ihre Beine zitterten, in ihrem Magen wurde alles flau und ihr Herz raste. Nur die Erkältung…das ist deine Erkältung…, wies sie sich selbst an, wohlwissen, dass es nicht daran lag. Jodie durfte es nicht wieder zulassen. Nicht jetzt. Shuichi legte seine Hand auf ihre Stirn. Genau so, wie er es in der Frühe tat. „Nur noch leichtes Fieber.“ Kapitel 9: 1. Arbeitstag ------------------------ Jodie zählte die Stunden. Sie war aufgeregt und konnte keine fünf Minuten still sitzen. Andauernd schweiften ihre Gedanken ab. Sie dachte an damals – ihre Kindheit, ihre Jugend und jetzt an die Zeit als erwachsene Frau. Allerdings fühlte sie sich manchmal mit ihren 23 Jahren nicht erwachsen. Sie wurde gezwungen es schon früh zu sein. Trotz allem hatte sie nur wenig von der Welt gesehen. Seit sie denken konnte, hatte sie den gleichen Freundeskreis, die gleichen Bekannten und lebte in der fast gleichen Umgebung. Dennoch hatte sie immer nur auf zwei Ziele hingearbeitet: 1. FBI-Agentin werden 2. Den Mörder ihrer Familie finden und zur Strecke bringen Ihr erster Lebenstraum war nun endlich in Erfüllung gegangen. Seit sie ein kleines Mädchen war, wollte sie nur eines – wie ihr Vater zum FBI gehen. Jetzt hatte sie es geschafft. Entgegen der Hoffnungen von James Black, dem Mann der sie nach dem Tod ihrer Eltern aufnahm und aufzog – qualifizierte sie sich für das FBI-Ausbildungsprogramm in Quantico. Wochen später machte sie mit Gleichgesinnten ihren Abschluss und durfte sich FBI-Agent nennen. Während ihrer Ausbildung konnten sie und die anderen Jungagenten in die Büros der anderen Standorte hinein schnuppern. Jodie war aber von klein auf, auf die Niederlassung in New York getrimmt. Dort war sie aufgewachsen – zumindest bis zu einem Alter von sechs Jahren. Dann wurde ihr das Leben dort genommen. Nachdem James‘ sie bei sich aufnahm, schickte er sie fort. Colorado. Seine Heimatstadt. Anfangs versuchte sie noch mit dem Zug zurück in die Großstadt zu kommen. Nach zahlreichen Fehlversuchen und dem Heimbringen von Polizei oder FBI, fand sie sich mit ihrer neuen Heimat ab. Es kam ihr schon fast wie ein Wunder vor, nun wieder zu Hause zu sein. Die Niederlassung in New York wollte sie und es war egal, ob ihr Name beziehungsweise ihr Vater als Türöffner fungierte. Hauptsache sie war am Ziel. Das war am Ende das Einzige was zählte. Jodies Umzug von Colorado nach New York ging schnell von statten. Das FBI stellte ihr eine kleine Übergangswohnung zur Verfügung, die sie innerhalb von drei Monaten verlassen musste. Es blieb genug Zeit um sich auf die Suche nach einer größeren Wohnung zu machen. Mit einem guten Job sollte das allerdings kein Problem darstellen. Jodies Aufregung war auf einem neuen Level angekommen. Eigentlich war es eher untypisch für sie. Jodie sah auf die Uhr. Noch acht Stunden. Wie hatte sie die restliche Zeit nur herumbekommen? Und dann war da noch die Nacht. Dabei war sie nicht einmal annähernd müde. Aber sie wusste, würde sie nicht schlafen, würde die Müdigkeit im Laufe des Tages einsetzen. Und das konnte sie nicht zulassen. Was für einen Eindruck hätte sie dann bei den neuen Kollegen gemacht? Leider oder glücklicherweise kümmerte sich nicht James um die Einarbeitung. Natürlich wollte Jodie keine Extrabehandlung, aber ein bekanntes Gesicht konnte nicht schaden. Jodie musste sich ablenken. Egal wie. Sie ging in ihrer kleinen Wohnung umher, putzte eine Weile und stellte sich dann mit mehreren Kleidern vor den Spiegel. Eigentlich machte sie sich nicht so viel aus dem äußeren Erscheinungsbild, aber morgen musste alles perfekt sein. Zu Beginn hielt sie die Sachen vor den Körper, dann zog sie sich auch um, um so einen besseren Eindruck von sich selber zu erhalten. Wie viele Frauen trug auch sie gerne Röcke und Kleider, aber das musste sie erst einmal aus dem aktiven Dienst verbannen. Am Ende entschied sich Jodie für eine blaue Stoffhose, eine weiße Bluse und einen passenden Blazer. Mit ihren Schuhen und einer Handtasche war ihr Aussehen komplett. Die Sachen für den nächsten Tag legte sie sich bereit und ging dann Duschen. Die halbe Nacht lag Jodie wach. Als sie schließlich einschlief, war es lange nach Mitternacht. Jodie schlief einen traumlosen Schlaf bis schließlich ihr Wecker klingelte. Sie wollte ihn erschlagen. Es war früh. Sehr früh. Viel zu früh. Aus dem Augenwinkel sah sie auf die Zahlen des Weckers. Sofort war ihre Energie wieder da. Abrupt setzte sie sich auf. Jodie streckte sich und stand auf. Schnell eilte sie in das Badezimmer und machte sich fertig. Mit einem Lächeln auf den Lippen kämmte sie ihre Haare, während sie parallel dazu wieder zurück ins Schlafzimmer ging. Schnell zog sich Jodie um und betrachtete sich im Spiegel. So konnte sie sich sehen lassen. Jodie schnappte sich ihre Handtasche und schlüpfte in die Schuhe, ehe sie ihre Wohnung verließ. Leider war sie noch auf die öffentlichen Verkehrsmittel abhängig, aber auf längerer Sicht musste sie sich um ein Auto kümmern. Abgehetzt eilte Jodie in das große Gebäude. Vor einigen Tagen wirkte es groß und beachtlich. Nun kam sie nicht umher nichts von den äußeren Einflüssen zu bemerken. Sie hatte keine fünf Minuten um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Jodie kannte zwar die Verkehrsmittel und sie wusste, dass genug Puffer notwendig war. Leider meinte es der Verkehr nicht gut mit ihr. Zuerst blieb der Zug über eine halbe Stunde lang stehen und dann musste sie einen ganzen Block laufen. Wenigstens kam sie auf die letzte Sekunde in der Niederlassung an. Jodie passierte die Kontrolle und sah den diensthabenden Agenten an. „Jodie Starling“, stellte sie sich vor. „Ich soll hier von Agent Grayson abgeholt werden.“ „Warten Sie bitte hier.“ Der Agent wies auf eine Stuhlgruppe an der Seite und zog sein Handy hervor. Jodie nickte und setzte sich. Sie fühlte sich angekommen und atmete tief durch. Mit den Händen fuchtelte sie sich Luft unter die Achseln zu. Immer wieder blickte sie zu den ankommenden Agenten. Mit wem sie wohl zusammenarbeiten würde? „Starling?“ Jodie sah nach oben und sprang sofort auf die Füße. „Ja, Jodie Starling.“ Sie reichte ihm die Hand. „Sie müssen Agent Grayson sein. Es freut mich sehr.“ Der Mann nickte. Er war älter, Ende 30 und trotz allem wirkte er noch gut in Form. „Ebenfalls. Das ist Ihrer“, sprach er und reichte ihr einen Ausweis. „Danke.“ „Kommen Sie mit.“ Jodie folgte ihm nach oben in die dritte Etage. Sie durchquerten zunächst ein Großraumbüro welches für zehn, maximal zwölf Mitarbeiter konzipiert war. Je zwei Tische standen sich gegenüber. Computer, Stühle…alles wirkte zusammengepfercht, so als könnte man gar nicht arbeiten. „Einige Agenten, vor allem jene die sich im verdeckten Einsatz befinden, arbeiten von hier aus. Die festen Agenten haben ihre eigenen vier Wände. Je nach Lage finden sie zwei bis vier Personen pro Raum.“ Jodie war erleichtert als sie vor dem ersten Büro standen. Ihr Name war bereits an der Tür angebracht worden. „Mich finden Sie in der siebten Etage. Nachher erhalten Sie noch eine Führung.“ Er wies schließlich auf die Tür. „Agent McKnight wird Sie von hier an weiter einarbeiten. Sie werden für die nächste Zeit miteinander klar kommen müssen. Wenn Sie dennoch Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.“ Agent Grayson klopfte kurz an die Tür und trat ein. „…du weißt, dass ich damit richtig liege.“ Shanna McKnight seufzte. „Es ist trotzdem schwer machbar. Hör zu, Akai, ich rede mit Halden. Aber wenn er nicht seine Zustimmung gibt, dann ist daran nichts mehr zu rütteln…oh Sir…“ Shanna stand auf. Grayson sah zwischen den beiden Agenten hin und her. „McKnight, Akai.“ Er nickte den Beiden zum Gruß zu. „Sir…“, antwortete Akai. Dann sah er wieder zu Shanna. „Gut, melde dich, wenn du Neues weißt.“ Shuichi steckte die Hände in die Hosentasche und schritt auf die Tür. „Einen Moment noch.“ Grayson machte einen Schritt zur Seite und ließ nun auch Jodie hineinkommen. „Unser Team bekommt Verstärkung. Agent McKnight, Sie werden Agent Starling für die nächsten Wochen betreuen.“ „Natürlich.“ Shanna ging auf Jodie zu. „Shanna McKnight. Freut mich.“ „Jodie Starling, mich auch“, lächelte sie. Shuichi Akai verengte die Augen und musterte Jodie. Bei dem Namen Starling hatte es geklingelt. Shuichi war auch nicht ohne Hintergedanken zum FBI gegangen. Wenn er eine freie Minute übrig hatte, wälzte er alte Unterlagen. Starling war ein vor mehr als 20 Jahren ermordeter Agent. Aus den Berichten konnte er entnehmen, dass der Agent eine Tochter hinterließ, die zur gleichen Zeit von der Bildfläche verschwand. Sie hatte das Massaker überlebt und wurde von da an geschützt. Ob er nun vor dieser stand? „Akai, Shuichi. Wir sehen uns nachher noch.“ Shuichi ging an Jodie vorbei und verließ den Raum. „Machen Sie sich nichts draus. Akai ist immer so. Das werden Sie später auch noch kennen lernen.“ Jodie nickte stumm. Sie war beeindruckt. Irgendwie konnte sie die ganze Zeit ihren Blick nicht von ihm lassen. Er faszinierte sie auf eine bestimmte Art und Weise. Sie wusste nicht warum, aber als sich ihre Blicke trafen, spürte sie eine Vertrautheit. Sie erkannte den gleichen Schmerz und das gleiche Ziel. Gemeinsam konnten sie die Welt vielleicht verbessern und von einer schlimmen Plage befreien. Und vielleicht würden sie auch einander gut tun. Wer wusste schon, was in der Zukunft auf sie wartete? Kapitel 10: Verfolgt -------------------- Jodie zog den braunen Mantel enger um ihren Körper. Der Wind peitschte ihr blondes Haar in ihr Gesicht. Sie strich sich die Strähnen aus dem Gesicht. Das Wetter in Japan spielte momentan verrückt. Tags zuvor war es noch relativ warm, doch jetzt lachte ihr das Wetter ins Gesicht. Warum konnte es nicht einfach einheitlich bleiben? Zumindest hätte sie dann eine Sorge weniger. Kaum hatte sie sich für ein Outfit entschieden, musste sie es wieder wechseln. Entweder sie war viel zu warm angezogen oder sie trug zu wenig und würde frieren. War sie mit dem Wagen unterwegs oder arbeitete direkt im Büro konnte sie das kurzzeitige Frieren ertragen. Musste sie allerdings eine längere Zeit draußen arbeiten, mögliche Personen beschatten oder Orte beobachten, wollte sie nicht frieren und schon gar nicht wollte sie schwitzen ohne Ende. Jodie ging zu ihrem Wagen. Ihr Parkplatz befand sich glücklicherweise in der Nähe ihrer Wohnung, sodass die morgens immer nur wenige Meter hinter sich bringen musste. Auch am Abend war ein naher Parkplatz von Vorteil. Sie konnte schnell zurück in die Wohnung und im Falle einer Verfolgung oder eines Angriffs schnell fliehen. Ihren Wagenschlüssel hielt sie bereits in der linken Hand in der Manteltasche und behielt ihre Umgebung im Auge. Als FBI-Agentin wurde sie vor einiger Zeit enttarnt und trotzdem gab es keinen Anschlag auf ihre Wenigkeit – zumindest wenn man die Scharade von Vermouth beiseiteließ. Wie oft die blonde Schauspielerin wohl noch in der Rolle der FBI-Agentin glänzte? Wusste Jodie überhaupt von allen Malen in denen sie nachgemacht wurde? Allein bei dem Gedanken fuhr Jodie ein kalter Schauer über den Rücken. War sie so einfach nachzumachen? Fiel es wirklich keiner Person auf? Bei Zivilpersonen konnte Jodie es noch verstehen, aber FBI-Agenten und ihren Freunden oder näheren Bekannten hätte es auffallen müssen. Andererseits war auch schon Camel auf das Schauspiel hereingefallen. Wäre es nur bei dem einen Mal geblieben oder bei einem zweiten…aber Jodie hatte das Gefühl, dass es bei Weitem häufiger gewesen war. Die Agentin schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht daran denken, durfte sich nicht von Vermouth fertig machen und in die Irre führen lassen. Seit sie Vermouth in Aktion sah, hatte sie das Blitzen in ihren Augen gesehen. Vermouth wollte sie unbedingt unter den Toten sehen und sie ließ keinen Zweifel daran, alles zu tun was dafür nötig war. Sie hassten einander und freuten sich, wenn der andere einen Fehler machte. Jetzt ertappte sie sich wieder dabei wie sie an Vermouth dachte. Jodie musste die Frau eindeutig aus ihren Gedanken verbannen. Es war nur so schwer. Egal was Vermouth tat, Jodie fühlte sich danach nicht so Selbstbewusst wie sie eigentlich sollte. Nach außen hin zeigte sie die Verletzung nicht, aber im Inneren brodelte es richtig. „Jetzt denk nicht daran“, sagte Jodie zu sich selbst und öffnete die Tür ihres Wagens. Sofort stieg sie ein und steckte den Schlüssel in das Zündschloss. Kaum dass der Motor des Wagens lief, spürte sie den warmen Dunst der Heizung auf ihrem Körper. Jodie lockerte ihren Mantel und schob das Handy in die dafür vorgesehene Halterung der Freisprechanlage. Erst da fiel ihr der briefähnliche Icon auf der oberen Seite des Displays auf. Jodie drückte mit dem Finger darauf. Du wirst von Bourbon verfolgt. Achte auf denen Weg. Irritiert sah Jodie auf die Kurzmitteilung. Verfolgt? Die Agentin sah mehrfach von einer Seite zur anderen. Dabei hatte sie extra auf ihre Umgebung geachtet. Ein Verfolger war ihr allerdings entgangen. Doch woher wusste er, dass sie verfolgt wurde? Verfolgte er sie ebenfalls oder war das nur ein guter Rat? Außerdem warum sollte ausgerechnet Bourbon so verfolgen? Sie standen auf der gleichen Seite und konnten füreinander nützlich sein. Jodie runzelte die Stirn. Es brachte nichts sich darüber Gedanken zu machen. Jodie warf einen kurzen Blick nach hinten ehe sie mit dem Wagen aus der Parklücke ausscherte. Jetzt war es an ihr. Sie durfte nicht zu auffällig sein und aus ihrem Muster fallen. Aber irgendwas musste sie sich einfallen lassen. Ursprünglich wollte sie zur Villa der Kudos. Aber nun war es nicht ratsam einen möglichen Verfolger mitzubringen. Jodie musste schnell eine alternative Route finden. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus den Gedanken. Wieder war eine Kurzmitteilung eingegangen. Jodie drosselte das Tempo und blieb an einer roten Ampel stehen. Dort drückte sie auf das Icon am Handy. Fahr zur Bäckerei in der Nähe des American Diner und hol für das Frühstück Brötchen. Mach dich danach ohne Umwege auf den Weg zu James. Jodies Irritation wuchs. Woher wusste er nun, dass sie sich Gedanken über eine Alternative machte? Es war schon fast unheimlich. Seine Idee war allerdings gut. Vor geraumer Zeit hatten sie einen American Diner mitten in Tokyo gefunden. Direkt in dessen Nähe lag eine Bäckerei die amerikanische Spezialitäten anbot. Ab und an holte aßen sie dort und besprachen einige Punkte. *** Jodie stieg aus dem Wagen und nahm die Tüte der Bäckerei. Sie sah zum Wohnkomplex in dem James seit einigen Monaten wohnte. Der Treffpunkt war eine gute Idee. Vom Treppenhaus kam man direkt in den Keller sowie in die Tiefgarage und konnte von dort verschwinden. Es gab verschiedene Ausgänge und egal was Bourbon tat, er konnte sie nicht alle gleichzeitig beobachten. Und aus irgendeinem Grund war sich Jodie sicher, dass der Mann dieses Mal alleine arbeitete. Jodie steckte das Handy noch schnell ihre Manteltasche und machte sich auf den Weg zur Haustür. Bei den Klingeln musste sie wenige Sekunden warten und fuhr anschließend mit dem Aufzug in die siebte Etage. Jodie schlenderte auf James‘ Wohnung zu. Sobald sie klingeln wollte, wurde die Tür geöffnet und ihr Chef ließ sie rein. „Morgen.“ „Guten Morgen, Jodie.“ James lächelte. „Die Anderen warten bereits im Wohnzimmer.“ Jodie nickte, schlüpfte aus ihren Schuhen und folgte James in das Wohnzimmer. Die Wohnung war teilweise sehr spartanisch aufgebaut. James besaß alle notwendigen Möbel, aber weder Fotos noch Dekoration standen in den Räumen. Ein Vorteil den er zumindest beim Putzen hatte. Außerdem konnte es ihm Jodie nicht verübeln. Manchmal flog der ältere FBI-Agent mehrmals im Monat in die Staaten zurück. Und bei dem, was die Organisation tat, konnte man nie wissen, ob die Wohnung bei der Heimkehr noch immer stand. Außerdem konnten die Vorgesetzten in Amerika auch entscheiden, dass James dort blieb. „Morgen“, sagte sie zu den anderen beiden Agenten. Ohne es wirklich geplant zu haben, musterte sie Akai. Er gefiel ihr besser, wenn er unter seiner richtigen Identität vor ihr stand und nicht als Subaru Okiya. Subaru Okiya und seine Handlungsweise waren Jodie schon von Anfang an suspekt – eigentlich erst seit sie wusste, wer er war. Okiya war nett und zuvorkommend. Er war das komplette Gegenteil von Shuichi. Und dennoch bewunderte sie ihn für die Fähigkeit, sich so schnell in eine neue Persönlichkeit einzufinden. Shuichi spielte ihn perfekt. Manchmal zu perfekt. „Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass mich Bourbon verfolgt?“, wollte sie sogleich wissen. „Er ist doch auf unserer Seite.“ „Eigentlich schon“, sprach der Agent. „Bourbon wird momentan von der Organisation beobachtet. Rum ist wohl mit seinem Vorgehen nicht einverstanden, möglicherweise ist auch seine Tarnung in Gefahr. Bourbon muss jetzt handeln und braucht für den Notfall einen Trumpf im Ärmel.“ „Und das sollst du sein?“ „Das wäre nicht undenkbar.“ Akai fixierte sie mit seinen tiefgrünen Augen. „Bourbon weiß, dass ich am Leben bin und behält es für sich. Wir wissen alle, dass es zu seinem Plan gehört. Aber, im Falle dass ihn die Organisation unter Druck setzt, könnte er meine weitere Anwesenheit auf Erden verraten. Aber Behauptungen kann jeder Aufstellen, daher muss er herausfinden, wo ich mich momentan aufhalte. Durch das Schauspiel von Yusaku Kudo konnten Subaru Okiya und Shuichi Akai gleichzeitig an zwei Orten agieren. Solange meine verdeckte Identität weiter aufrecht erhalten bleibt, sollten wir ihn nicht auf eine Fährte führen.“ Jodie nickte verstehend. Und wenn dann noch heraus kommt, dass ein anderer Okiya darstellte…er wird alles daran setzen um herauszufinden, wer diese Person war.“ Teilweise sprach Jodie schon mit sich selbst. „Und dann geraten die Kudos in das Visier der Organisation.“ „So sieht es aus. Solange von Bourbon keine Sicherheit ausgeht, treffen wir uns nur noch hier oder an einem anderen sicheren Ort. Ich habe da schon etwas im Auge. Spätestens heute Abend schicke ich euch eine Liste mit allen Örtlichkeiten.“ Jodie war nicht überrascht, dass er bereits vorab alle möglichen Lokalitäten auskundschaftete. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er nie ohne einen Plan B – manchmal auch C bis G – seine Wohnung verließ. Kapitel 11: Halloween --------------------- Als Jodie am frühen Morgen ihre Wohnung in New York verließ, hoffte sie auf einen ruhigen Arbeitstag. Seit zwei Monaten war sie nun für das FBI in der Niederlassung New York tätig und schon stand wieder einmal Halloween vor der Tür. Leider nahmen es manche Amerikaner viel zu ernst mit diesem Feiertag. Es war die Nacht der Geister und der Verkleidungen. In Wahrheit aber war es der Tag der Partys und der Irren und Verrückten. Zudem konnte man diese nicht voneinander unterschieden. Als Kind mochte sie den Tag. Sie liebte es sich jedes Jahr zu verkleiden. Prinzessin, Fee, Lamm und noch vieles mehr. Ihr Vater blockierte sich den Tag immer im Kalender und ging so jedes Jahr mit ihr auf die Jagd nach Süßem oder Saurem. Nach dem Tod ihrer Eltern wollte James mit ihr durch die Straße ziehen, aber Jodie hatte immer seltener Lust darauf. Je älter sie wurde, desto mehr mied sie die Zwanghaftigkeit an diesem Tag. Alle Welt erwartete, dass sie sich verkleidete und auf die Feier der Mitschüler ging. Nicht selten kam sie sich dort fehl am Platz vor und ließ sich später wieder abholen. Als Erwachsene war sie manchen Partys entkommen und je mehr sie in die Berufswelt kam, desto weniger Wert wurde auf eine Verkleidung gelegt. Zum Glück blieb das FBI von jedem Feiertag unberührt und es herrschte keine Kleiderordnung. Andererseits stellte sie sich trotz allem die Frage, wie manche Kollegen dieses Problem gelöst hätten. Aber das würde sie am Abend selbst herausfinden können. Jedes Jahr gab es eine kleine Feier im Gebäude – unglücklicherweise mit Kostümpflicht. Was sollte sie anziehen? Jodie wusste es einfach nicht. Vielleicht würde sie sich aus einem Laden einen Haarreif mit Teufelchen-Hörnern oder einen Heiligenschein besorgen und eine moderne Spezies darstellen. Wie oft sah man das im Fernsehen? Der Teufel oder ein Engel trug ganz normale Alltagskleidung und keiner hinterfragte dies. Aber ehe es soweit war, musste sie herausfinden wie ihre Kollegen am Abend kommen würden. Trugen sie richtige Kostüme oder zogen sie sich leger an? Je nachdem wie es werden würde, musste sie sich anpassen. Auf ihrem Weg zur Arbeit beobachtete Jodie die Passanten. Einige trugen bereits Kostüme, doch es hielt sich in Grenzen. „Das kann ja noch heiter werden“, sagte Jodie zu sich selbst. Halloween war neben Silvester ein Tag mit einer hohen Kriminalitätsrate. Es tummelten sich immer viel zu viele Menschen auf einem Platz. Die Gefahr mit einer Bombe die ganze Horde auszulöschen war groß. Außerdem floss massenweise Alkohol, der zu mehr verführte. Menschen wurden brutal, schlugen aufeinander ein oder überfielen sich gegenseitig. Vor allem für Frauen waren solche Tage die Schlimmsten. Man musste immer auf der Hut sein, sein Glas beobachten und Fremden schon aus Prinzip misstrauen. Leider machten viele Frauen genau das Gegenteil und wurden nachher von etwas Besserem belehrt. Von Ruhe würde heute weder FBI noch Polizei sprechen können. Jodie war froh, dass ihre Partnerin auf ein Kostüm während der Arbeit verzichtete. „Guten Morgen“, sprach die Agentin und stellte ihre Tasche auf den Schreibtisch. „Morgen.“ Shanna blickte auf. „Alles in Ordnung?“ „Hmm? Klar“, antwortete Jodie. „Heute wird nur ein anstrengender Tag werden.“ „Das kannst du laut sagen. Vor allem die Party am Abend.“ Jodie verzog das Gesicht. „Wir müssen da wirklich hin? Du kennst keine Möglichkeit damit wir doch noch drum herum kommen?“ „Es gibt kein Entkommen“, scherzte Shanna. „Außer du musst mit deiner Familie auf Süßigkeitenjagd gehen. Das wäre natürlich etwas Anderes.“ Shanna musterte sie. „Es wird schon nicht so schlimm werden. Du hättest mal letztes Jahr erleben müssen. Grayson war als Cowboy verkleidet und McAllister als Elfe. Es war wirklich sehr amüsant. Apropos Verkleidung, als was gehst du?“ „Ich habe keine Ahnung“, gestand Jodie. „Wahrscheinlich eine moderne Version eines Engels oder Teufels.“ „Mhm…“, murmelte Shanna. „Eigentlich würde ein Engel zu dir passen. Aber wenn du meine Meinung wissen willst, finde ich das ein wenig lahm. Engel kann jeder und bei einer FBI Agentin ist das auch nichts Neues. Zu Halloween muss schon eine Veränderung her. Besorg dir doch eine rote oder schwarze Perücke und geh als Teufel. Ich kann dich auch passend dazu schminken.“ Jodie lächelte leicht gezwungen. „Danke, das Schminken schaff ich schon. Das ist das kleinste Übel.“ *** Wütend schlug Shanna die Tür des Büros zu. „Dieser…dieser…argh…Idiot.“ Jodie sah hoch. „Alles in Ordnung?“ „Akai“, knurrte Shanna. „Wir hatten vor einiger Zeit zusammen an einem Fall gearbeitet. Die Sache war klar, der Bericht fertig und unterschriftsreich. Und was macht er? Er stellt jetzt alles in Frage.“ „Hat er dafür einen Anhaltspunkt?“, wollte Jodie wissen. „Natürlich nicht. Außer du gewichtest sein Bauchgefühl hoch.“ „Wie oft hatte sein Bauchgefühl denn Recht?“, fragte Jodie nach. Shanna knurrte leise. „Leider viel zu oft. Aber darum geht es nicht. Er ist erst seit einem Jahr hier und hält sich für sonst wer. Wie kann er einem höher stehenden Agenten sagen, dass etwas am Fall nicht stimmt? Er ist das, was wir als Grünschnabel bezeichnen.“ Jodie sah sie irritiert an. „Du bist das Küken“, antwortete die Agentin. „Akai meint immer alles besser zu wissen.“ Jodie wollte etwas erwidern, aber Shanna fiel ihr direkt ins Wort. „Untersteh dich.“ „Ich hab nichts gesagt.“ Jodie beobachtete ihre Kollegin. „Ihr versteht euch nicht sonderlich, oder?“ „Merkt man das so sehr?“ Shanna seufzte. „Eigentlich ist er ja ganz in Ordnung. Aber sag ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe. Manchmal ist er einfach so…argh…besserwisserisch und bringt mich damit auf die Palme. Ich weiß nicht, wie es sein Partner mit ihm aushält. Das Schlimme ist, er hat sehr häufig auch noch Recht.“ „Ist es nur das?“, wollte Jodie wissen. „Was sollte es sonst sein?“, kam es gleich von Shanna. „Oh…oh…du denkst doch nicht…er und ich…oh nein, nie, nein…er ist auch gar nicht mein Typ.“ „Wirklich?“ Jodie wurde hellhörig. Seit sie Akai das erste Mal traf, interessierte sie sich für ihn. Obwohl sie bisher kaum eine richtige Unterhaltung führten, fühlte sie die Anziehung zwischen ihnen. Aber wie sollte sie ihm nur näher kommen? Gerade beim FBI hatte sie es schwer genug. Und James wäre sicher auch nicht begeistert, wenn sie mit Akai zusammen käme. „Glaubst du mir etwa nicht?“, kam es von Shanna. Sie wirkte etwas angefressen. „Schau dir mal meinen Verlobten an, dann erkennst du schon noch warum ich nie etwas von Akai wollen würde.“ Du bist verlobt?“ „Hab ich das noch gar nicht erwähnt? Ja, ich bin verlobt.“ Sofort legte sich ein Grinsen auf ihre Lippen. „Ich trage den Ring als Kette um meinen Hals. Das ist einfach sicherer.“ Jodie fiel ein Stein vom Herzen. Wenigstens musste sie sich jetzt wegen Shanna keine Sorgen machen. Ihre Partnerin hatte so oft irgendeinen Streit mit Akai, dass es schon nach Was sich neckt, das liebt sich aussah. Aber nur weil Shanna kein Problem war, hieß es nicht, dass Shuichi Single war. Vielleicht gab es da draußen doch eine Frau. *** Jodie sah sich um Raum um. Irgendwie kam sie sich merkwürdig vor. Viele Agenten trugen ausgefallene Kostüme – so wie Shanna es prophezeite. Sie selbst hatte sich eine rote Perücke mit langen Haaren besorgt und sich etwas geschminkt. Mit ihren roten Kleidern und dem Haarreif mit Teufelchen-Hörner komplettierte sie ihr Outfit. Auf den dazu passenden Teufel-Schwanz verzichtete sie, schließlich brauchte sie keine dummen Anmachen die auf das männliche Geschlecht anspielten. Jodie holte sich ein Glas Punch und sprach mit diversen Kollegen. Immer wieder ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und dann sah sie ihn. Ihr Herz klopfte höher. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Auf einmal fühlte sich Jodie beobachtet. Sie wandte den Blick ab, versuchte aber trotzdem immer wieder zu ihm zu sehen. „Gib dir einen Ruck“, sagte sie zu sich selbst. Motivation war schließlich alles. Und wie Jodie an seinem Kostüm erkannte, hielt er nicht viel von solchen Veranstaltungen. Jodie leerte ihr Glas mit einem Zug, atmete tief durch und ging dann zu ihm. „Hi“, fing sie an. „Und? Wenn stellst du dar?“ Oh Gott, hatte sie das gerade wirklich gesagt? Warum konnte sie sich nichts Besseres überlegen? Jodie hoffte, dass es nur ein Traum war oder eine Vorstellung in ihrem Kopf…aber sie wurde eines Besseren belehrt. „Erkennt man das nicht?“, fragte Akai. Jodie musterte ihn und versuchte die Röte im Gesicht zu verstecken. Akai trug kein Kostüm. Wie immer waren seine Sachen schwarz. Jodie zuckte fragend mit den Schultern. Auf Akais Lippen legte sich ein Lächeln. „Ich bin der schwarze Mann.“ Ein Schauer durchfuhr Jodies Körper, als er sich zu ihr runter beugte. „Und du bist mein Auftraggeber, der Teufel.“ Kapitel 12: Verletzung ---------------------- Jodie fühlte sich benutzt. Wann immer er eine Mitfahrgelegenheit, ein Handy oder ein Tablet brauchte, ließ er sie antanzen. Und sie war auch noch so blöd und kam sofort angelaufen. Dummerweise schrieb Shu jedes Mal, dass es dringend war. Er wusste genau, welche Knöpfe er zu drücken hatte, damit sich ihr schlechtes Gewissen meldete. Selbst wenn Jodie daran dachte, nicht zu kommen, sah sie das Grauen vor sich. Was wenn etwas schief ging? Was wenn er sie gerade in diesem Augenblick ganz dringend brauchte? Das konnte sie nicht mit sich vereinbaren. Aber sobald sie vor Ort war, ärgerte sie sich über ihre eigene Naivität. Shuichi musste nur nach ihr rufen und sie kam wie ein Hund angedackelt. Es war bereits ein Wunder, dass er den Anschlag auf sein Leben überlebte – ob inszeniert oder nicht war nicht von Belang. Selbst jedes geprobte Stück konnte irgendwann scheitern. Jodie kannte es zu genüge. Man machte immer das gleiche und dann ohne Vorwarnung änderten sich die Begebenheiten. Das Wetter spielte nicht mit oder eine Person mit der man nicht rechnete, kam dazu. Jodie stieg aus dem Wagen, drückte die Tür zu und lehnte sich gegen diese. Jodie schloss kurz die Augen und überlegte, welcher Grund jetzt vorlag. Was wollte er unbedingt von ihr? Andererseits sollte es sie wohl freuen, dass er immer nur sie rief und keinen anderen Agenten. Jodie öffnete die Augen und sah sich um. Sie versuchte möglichst unauffällig zu sein, was aufgrund ihrer Herkunft schwer war. Als Amerikanerin in Japan stach sie aus der Menge heraus und da sie blond war, war der Kontrast noch stärker. Es gab zwar wenig blonde Japaner bei denen es an den Genen lag oder aber auch diejenigen, die sich die Haare färbten. In ihrer Zeit als Lehrerin lernte Jodie sehr schnell, dass vor allem die weiblichen Schülerinnen ihre Haare blond färbten um exotischer zu wirken. Jodie rieb ihre Hände aneinander. Langsam merkte man die Kälte in Japan. Jodie wünschte sich, sie hätte etwas anderes angezogen oder besser sich wärmer angezogen. Ihre Strumpfhose war eindeutig zu dünn und demnächst würde sie auch Handschuhe brauchen. Komm schon, Shu, sagte sie zu sich selbst. Warum ließ er sie so lange warten? Sonst war er doch immer relativ früh vor Ort. Die Sorge legte sich auf Jodies Gesicht. Eine erste Falte befand sich auf ihrer Stirn. Jodies Anspannung elektrisierte die Umgebung. Sie wollte von einem Bein auf das andere hüpfen, ermahnte sich aber selbst, dies zu unterlassen. Dann endlich sah sie eine Silhouette auf sich zu kommen. Jodie versteifte sich. Aufmerksam und beobachtend. Als die Person näher kam, traute Jodie ihren Augen nicht. Shuichi sah aus, wie nach einem harten Kampf. Sein Gesicht war gezeichnet von einigen Schrammen und einige Stellen seiner Sachen waren zerrissen. Erst jetzt wurde der Agentin bewusst, dass er sie dieses Mal mit einem guten Grund anrief. Wäre sie nicht gekommen, wäre es möglicherweise schief gelaufen. Vielleicht war derjenige, der ihm das antat noch hinter ihm her. „Shu“, wisperte sie leise. „Was ist…“ „Lass uns fahren“, fiel er ihr ins Wort. Akai ging sofort auf die Beifahrertür zu und öffnete diese. Er stieg ein, schnallte sich an und verschränkte die Arme. Jodie schluckte. Sie beobachtete jeden seiner Schritte und stieg schließlich auch ein. Sie schnallte sich an und startete den Motor. Dann sah sie zu Shu. „Zur Villa?“, wollte sie wissen. „Ja.“ Akai schloss die Augen. Es war ein Déjà-vu. In einer ähnlichen Pose saß er vor einigen Jahren und teilte ihr die Trennung mit. Jodie fuhr los. Immer wieder versuchte sie aus deinem Augenwinkel einen Blick auf ihn zu erhaschen bis sie sich schließlich zur einzig relevanten Frage durchrang. „Was ist passiert, Shu?“ „Eine kleine Rauferei mit Bourbon.“ Wie immer musste man ihm gewisse Informationen aus der Nase ziehen. „Bourbon“, wiederholte Jodie leise. „Ich dachte, er wäre auf unserer Seite. Warum…“ „Wut, Hass, Schmerz…such es dir aus.“ Jodie seufzte. „Und was passiert jetzt? Verrät er dich an die Organisation?“ Jodie musste schlucken. Es wäre der schlimmste Fall, der nur eintreffen konnte. „Sicherlich nicht“, antwortete Akai. „Bourbon weiß, dass es für alle sinnvoller ist, wenn sie nichts von mir wissen und weiter im Glauben leben, ich sei damals gestorben.“ Jodie schluckte bei den Worten. Es fiel ihr immer noch schwer damit klar zu kommen. „Was hast du jetzt vor?“ „Nichts. Wir warten erst einmal ab.“ „Okay“, murmelte sie. Jodie fuhr in die Einfahrt zur Villa. Sie parkte ihren Wagen und stieg aus. Shuichi tat es ihr gleich und ging direkt auf die große Haustür zu. Er züchte den Schlüssel, öffnete und trat ein. Nachdem er sicher ging, dass Jodie ihm folgte, setzte er seinen Weg ins Wohnzimmer fort und ließ sich auf das Sofa fallen. Er atmete tief durch. Ein Kampf war nicht schlimm, aber Bourbon hatte gute Treffer gelandet. Und er würde sie auch noch die nächsten Tage spüren können. Jodie stand in der Tür und musterte ihn von oben nach unten. „Hast du einen erste-Hilfe-Kasten?“ „Müsste im Badezimmer sein.“ Jodie sah nach hinten. „Erste Etage, dritte Tür links.“ „Ich bin gleich wieder da“, sagte sie und lief los. Nach wenigen Minuten kam sie wieder ins Wohnzimmer. Den Kasten stellte sie auf den Tisch und öffnete diesen. Zuerst begutachtete sie den Inhalt, dann kurz seine Verletzungen ehe sie das Desinfektionsmittel heraus nahm. „So, dann lass mich mal schauen.“ „So schlimm bin ich nicht verletzt“, entgegnete er. „Mir war klar, dass du genau das sagst.“ Jodie musste lächeln. „Ich möchte trotzdem gucken.“ „Von mir aus. Du wirst wohl eh nicht locker lassen“, sprach er. „Richtig.“ Jodie tupfte die Wunde an seiner Stirn erst mit einem Taschentuch etwas sauber, dann kam das Desinfektionsmittel drauf, gefolgt von einem Pflaster. Anschließend nahm Jodie seinen Arm und schob den Ärmel nach oben. „Sieht unverletzt aus“, murmelte sie, drückte aber trotzdem keinen die Haut. Akai gab keinen Mucks von sich. Erst als Jodie seinen Oberkörper abtastete, zuckte er leicht zusammen. Als hätte sie es geahnt, schob sie nun seinen Pullover hoch. Die Stelle an seinem Bauch war bereits bläulich verfärbt. „Autsch.“ „Ich werds überleben“, sagte der Agent. „Du willst nicht zur Sicherheit in ein Krankenhaus fahren?“, wollte Jodie wissen. „Vielleicht hast du dir eine Rippe gebrochen oder innere Blutungen.“ „Das hätte ich schon gemerkt“, sprach er. „Es ist nur eine Prellung und heilt in den nächsten Tagen aus.“ „Aber Shu…“, murmelte Jodie. „Ich kenn meinen Körper am besten, Jodie.“ Die Agentin seufzte und nickte. „Ist gut…ich kann dich eh nicht umstimmen.“ „Richtig.“ Jodie musterte ihren Kollegen. „Im Gesicht solltest du auch keine Narbe zurück behalten.“ „Von mir aus.“ Jodie schmunzelte und strich über das Pflaster. „Morgen bist du fast wieder wie neu. Aber du solltest dich trotzdem ein paar Tage ausruhen und es nicht übertreiben.“ Jodie sah ihn an. „Und sag jetzt nicht, dass du das tust. Ich kenn dich, Shuichi Akai, wenn du könntest, würdest du dich gleich wieder in die nächste Rauferei mit Bourbon stürzen.“ Ein kleines Lächeln setzte sich auf seine Lippen. Kapitel 13: Weihnachtsfeier --------------------------- Shanna kam in das Büro. „Bald ist Feierabend“, sagte sie. „Naja, fast.“ Sie starrte Jodie an. „Ziehst du dich noch um?“ Die Gefragte sah an sich herunter. „Wieso?“, wollte Jodie wissen. Sie trug eine schwarze Hose und dazu einen blauen Rollkragenpullover. Der Winter in New York konnte kalt sein und wenn es abends länger wurde, waren dickere Sachen besser. „Ach nur so…“ „Shanna?“ Jodie seufzte. „Du bist bereits die Dritte die mich das fragt. Als ich dich vor einigen Tagen gefragt habe, was in den letzten Jahren zu den Weihnachtsfeiern angezogen wurde, hast gesagt, dass ich mich ganz normal kleiden soll. Jetzt bin ich ganz normal angezogen und mich fragen alle nach Wechselsachen.“ „Ja, schon…“, murmelte Shanna. „Aber sonst trägst du doch auch immer Kleider oder so was in der Art. Ich dachte, du würdest das auch heute so machen.“ „Mhm…da es heute recht spät werden wird, hab ich mich dazu entschieden wärmere Sachen anzuziehen“, entgegnete Jodie. „Ist ja auch kein Problem. Wirklich. Mach dir nicht so viele Gedanken darüber.“ Jodie seufzte. „Meinst du? Ich hab zwar Wechselsachen da, aber…vielleicht sollte ich mich wirklich noch umziehen.“ „Musst du wissen.“ „Das ist nicht hilfreich.“ Shanna grinste. „Immer wieder gerne.“ Nachdem Jodie mehrere Agenten beim Umziehen beobachtet hatte – manche in ihren Büros, andere auf der Toilette – zog sie sich auch um. Von wegen ganz normal. Viele hatten sich richtig gemausert und aufgetakelt. Daher tauschte sietauschte die Jeans und den Pullover gegen einen knielangen Rock inklusiver Strumpfhose und ein schickeres Oberteil ein. Jodie ging neben zwei Agenten die Straße entlang. „Ich liebe Weihnachtsmärkte“, kam es von Shanna. „Allein die ganze Atmosphäre dort. Die Menschen rücken irgendwie näher zusammen, lachen, trinken…das ist doch schön.“ „Mhm...“, murmelte Jodie. „Ich mach mir eher Sorgen, dass irgendwas passiert bei den Menschenmassen.“ „Ach Jodie“, seufzte Shanna. „Sei doch nicht immer so ernst. Klar, kann immer was passieren, aber wir sind jetzt hier um etwas Spaß zu haben. Das haben wir uns auch verdient.“ „Von mir aus.“ „So, also wer möchte Eggnog?“ „Ich nicht“, entgegnete Jodie. „Na gut. Ich genieße es dennoch“, entgegnete Shanna und holte sich einen Eggnog. Jodie ließ sich von den anderen Agenten mitziehen, bis sie irgendwann an dem gebuchten Restaurant ankamen. Sie traten ein und bekamen direkt von dem Kellner ein Glas Sekt in die Hand gedrückt. Jodie sah sich im Raum um, während Shanna direkt zu ihr kam. „Noch ist er nicht da.“ „Mhmm? Wenn meinst du?“, wollte Jodie wissen. „Ach, das weißt du doch“, kicherte Shanna. „Akai.“ „Nach dem halte ich gar nicht Ausschau.“ „Jaja“, schmunzelte Shanna. „Ich seh dir doch an, dass du bis über beide Ohren in ihn verliebt bist“, flüsterte sie leise. „Aber pass auf, das FBI sieht es nicht so gern, wenn zwei Agenten eine Liebschaft miteinander eingehen.“ Jodie wurde rot. „Das hatte ich nicht vor“, sagte sie fix. „Jaja“, grinste Shanna. „Keine Sorge, ich verrate nichts, Ehrenwort.“ „Okay“, murmelte Jodie leise. „Aber falls es dich doch interessiert: Er kommt sicher später. Im letzten Jahr ist er nicht erschienen und wurde dafür gerügt. Der Boss hat ihn daher in diesem Jahr frühzeitig daran erinnert, dass er heute kommen soll. Und jetzt stürzen wir uns ins Getümmel.“ „Ja, doch“, antwortete Jodie und mischte sich unter die Menge. Trotz allem behielt sie die Tür die ganze Zeit über im Auge. „Fühlst du dich wohl?“ Jodie sah zu dem Mann. „Ja, ist sehr schön hier.“ „Ich meinte im Allgemeinen beim FBI“, entgegnete James. „Ich kann nicht klagen. Alle Kollegen sind nett zu mir, mit meiner Partnerin komm ich auch gut zurecht. Am Anfang lief es natürlich etwas zäh, aber ich wurde gut eingearbeitet. Wenn im nächsten Jahr neue Fälle dazu kommen, kann ich sicher den einen oder anderen übernehmen“, erzählte Jodie. „Am besten natürlich, wenn ich irgendwann an den Fällen von bestimmten Personen arbeiten kann. Du weißt schon, wen ich meine.“ James seufzte. Er machte sich Sorgen um Jodie. Sorgen, dass sie sich in etwas verrannte. Die Spur zur Organisation war lauwarm. Jetzt noch einen frischen Agenten daran anzusetzen, konnte wegen des Elans hilfreich sein. Oder es machte alles noch viel schlimmer, wenn Jodie Dinge sah, die gar nicht da waren. „Jetzt guck doch nicht so“, warf sie ein. „Ich weiß schon was ich tu. Und ich verspreche, dass ich keinen Unsinn anstellen werde.“ „Das hab ich nie behauptet“, meinte James ruhig. „Versuch dich aber wenigstens heute etwas zu entspannen. Wir sind auf einer Feier, die das FBI nur einmal pro Jahr organisiert. Es ist ihnen wichtig, dass alle Agenten einmal abschalten können und die Arbeit zumindest für den Abend in den Hintergrund rückt.“ „Das weiß ich doch. Mach dir keine Sorgen, ich hab alles im Griff. Aber trotzdem Danke.“ Jodie gab ihm einen Kuss auf die Wange und entfernte sich dann von ihm. Einerseits war es ein Vorteil ihn zu kennen, aber auf der anderen Seite kannte James fast all ihre Geheimnisse. Jodie ging zu ihrer Partnerin und legte ihre Jacke über einen der Stühle. Ein weiterer Platz war noch frei. Kaum, dass sie an ihn dachte, ging die Tür auf und Shu trat ein. Jodies Herz machte einen kleinen Hüpfer. Das Glas Sekt, welcher der Kellner schon zückte, nahm sie ihm direkt ab und ging zu Shu. „Willkommen Fremder.“ Sie reichte ihm das Glas. „Du hast also doch noch hergefunden. Es liefen schon die ersten Wetten.“ Akai sah sie an. „Ich tue meine Pflicht.“ „Sag das nur nicht zu laut. Sonst kriegst du von der obersten Stelle eine Standpauke über die Wichtigkeit solcher Feierlichkeiten.“ „Da spricht wohl jemand aus Erfahrung.“ „Schuldig im Sinne der Anklage.“ Jodie kicherte. „Komm, setz dich zu uns, sonst ist der einzig freie Platz der neben den Bossen.“ „Dann sollte ich mein Glück lieber nicht herausfordern“, antwortete Akai und folgte der Agentin. Jodie setzte sich auf ihren Platz, während Shu sich ihr Gegenüber setzte. Es hatte fast den Anschein an ein Date. Aber auch nur fast. Und obwohl das FBI den ganzen Abend durchgeplant hat, war es am Ende doch ganz nett geworden. Anfangs hielten die hohen Tiere eine Rede über die Arbeit, kollegialen Zusammenhalt und ihren Wünschen für das nächste Jahr. Direkt danach wurde das Essen serviert: Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch. Jeder der wollte, konnte sich zusätzliche Getränke bestellen – alles auf Kosten des Büros. Jodie hatte es sich steifer vorgestellt. Aber es war ein gelungener Abend. Einige Kollegen saßen in der Lounge und unterhielten sich, andere waren im Raucherbereich, wieder andere standen draußen und ein paar Agenten waren bereits gegangen. Jodie zog sich ihre Jacke an und ging nach draußen. Die Kälte hatte es zu der späten Stunde in sich und sie verfluchte Shanna, weil sie sich doch umzog. „Schon müde?“ Akai warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. „Geht. Und selbst?“ „Nicht wirklich. Ich verschwinde trotzdem gleich. Die Bosse haben meine Anwesenheit lange genug bestätigt.“ Jodie lächelte. „Dann hast du ja dein Ziel erreicht.“ „Was ist mit dir?“, fragte er. „Mhmm?“ Jodie dachte nach. „Ich geh auch gleich.“ „Ich kann dich mitnehmen und zu Hause absetzen, oder du kommst direkt mit zu mir.“ Die Agentin hob die Augenbraue. „Nur wenn du willst. Und wir sehen, wo uns der Abend noch hinführt.“ Jodie schmunzelte. „Die Nacht, Mister Akai.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)