Erst ich, dann du von Juju ================================================================================ Prolog: Ende ------------ Es war, als würde das Wetter draußen ihre Stimmung widerspiegeln und die Wut, die sie aufeinander hatten, nur noch anfachen. Der Wind ließ den Regen gegen das Fenster peitschen, sodass man kaum sein eigenes Wort verstand. „Es ist immer das Gleiche! Jedes Mal!“, warf Mimi ihm vor und ließ das Geschirrtuch achtlos auf den Tisch fallen. „Immer, wenn irgendein wichtiges Ereignis ansteht, redest du dich raus, weil wieder irgendwas mit Fußball ist.“ „Irgendwas mit Fußball?“, wiederholte Taichi ihre Worte entgeistert. „Entschuldige mal, es geht bei dem Spiel um den Aufstieg, das habe ich doch schon gesagt. Die Mannschaft braucht mich, ich kann da nicht fehlen.“ „Die Mannschaft, wenn ich das schon höre!“ Sie schnaubte verächtlich. „Und was ist mit mir? Ich brauche dich vielleicht auch.“ „Aber wozu denn?“, erwiderte er verständnislos und breitete die Arme aus. „Es ist doch deine Familie, nicht meine. Du hast doch da genügend Leute.“ Mimis Augenbraue zuckte gefährlich. „Ist das gerade dein Ernst?“ Er zögerte, trat einen Schritt zurück, wohl wissend, etwas Falsches gesagt zu haben. „Naja, ich meine doch nur…“ „Ja, mein Cousin heiratet, richtig. Es ist meine Familie und nur meine Familie wird dort anwesend sein und ich habe genug Leute um mich herum, ja. Du hast vollkommen Recht, Taichi. Was bin ich nur für ein selbstsüchtiges, egozentrisches Ding, dass ich gern meinen Freund dabei haben wollte? Manchmal weiß ich wirklich nicht, was gerade in mich gefahren ist!“, fauchte sie, bevor er sich erklären konnte. „Mimi, warum verstehst du mich nicht? Wir können…“ „Weil es immer nur um Fußball geht und ich einfach nicht verstehe, wie dir dieser bescheuerte Sport wichtiger sein kann als ich!“, rief sie aufgebracht. „Lässt du mich vielleicht mal ausreden?“ Auch Taichi wurde nun lauter, verlor allmählich die Geduld. Feindselig starrte Mimi ihn an und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust, obwohl sie eigentlich gar nicht hören wollte, was er zu sagen hatte. „Kannst du mal versuchen, dich in meine Lage hineinzuversetzen? Falls ich nicht dabei bin und wir das Spiel nicht gewinnen, werde ich mir auf ewig die Schuld dafür geben. Es ist wirklich wichtig für mich, dort dabei zu sein. Ich kann doch nach dem Spiel zur Hochzeit kommen.“ „Wow, nach dem Spiel. Dann wärst du frühestens um acht da und wenn ihr verliert, weiß ich auch ganz genau, was für eine Laune du den Rest des Abends haben wirst. Dann brauchst du auch gar nicht zu kommen!“, entgegnete sie schnippisch. „Oh, bitte, fang‘ gar nicht erst damit an“, erwiderte er und sah sie genervt an. „Womit soll ich nicht anfangen?“ „Mich schon vor dem eigentlichen Tag wie den letzten Trottel hinzustellen, ohne zu wissen, wie es sein wird!“ „Meine Erfahrung sagt mir, dass es ganz genau so sein wird! Die letzten vier Jahre unserer Beziehung haben mir gezeigt, dass deine täglichen Launen hauptsächlich vom Fußball abhängen, egal, ob du selbst spielst oder nur deinem blöden F.C. Tokyo zusiehst!“ „Fußball ist nun mal mein Hobby, das habe ich dir schon tausend Mal gesagt! Du hast…“ „Ein Hobby ist dazu da, um zu entspannen und sich ein bisschen die Zeit zu vertreiben und nicht, um dein Leben zu bestimmen! Das ist bei dir kein Hobby mehr, sondern eine Sucht!“ „Dir geht es überhaupt nicht um diese bescheuerte Hochzeit, oder? Du suchst nur mal wieder einen Grund, meine Fußballleidenschaft zu kritisieren!“ „Du tust ja gerade so, als würde ich dich immer nur kritisieren wollen!“ Inzwischen redete keiner der beiden mehr in einem ruhigen Tonfall, sodass sicher auch ihre Nachbarn schon mitbekamen, dass die Fetzen flogen. Bis vor ein paar Minuten hatten sie noch gemeinsam die Küche aufgeräumt und nun warfen sie sich gegenseitig Anschuldigungen an den Kopf. „Genau das tust du ja auch!“, rief Taichi ungeduldig. „Ich habe das Gefühl, du bist andauernd damit beschäftigt, auf eine Gelegenheit zu warten, mir mal wieder meine angebliche Fußballsucht vorzuwerfen und…“ „Dann verhalte dich doch einfach nicht so, als wärst du süchtig!“ „Hörst du endlich auf, mich ständig zu unterbrechen, wenn ich etwas sagen will?!“, rief er nun und klang dabei so wütend, dass Mimi erschrocken zusammenzuckte. „Wieso kannst du nicht wenigstens einmal versuchen, mich zu verstehen?“ „Ich habe es mehr als einmal versucht, aber für solchen Schwachsinn will ich gar kein Verständnis haben!“, feuerte Mimi zurück. „Schwachsinn?“ „Du versuchst auch nie, mich zu verstehen! Ich will auch nicht ständig überall allein hingehen, nur weil du mal wieder wegen Fußball unterwegs bist! Ich hab‘ darauf echt keine Lust mehr!“ „Du könntest auch einfach mal mitkommen, wenn ich ein Spiel habe, das übrigens nur neunzig Minuten dauert, falls dir das nicht aufgefallen ist! Wann warst du das letzte Mal bei einem Spiel dabei, das mir wichtig war? Kannst du dich überhaupt noch erinnern?“ Einen Augenblick überlegte Mimi. Sie konnte sich tatsächlich nicht mehr erinnern, wann das gewesen war. „Siehst du! Du interessierst dich anscheinend genauso wenig für mich, wie ich mich deiner Meinung nach für dich interessiere! Wie kannst du es dann also wagen, mir genau das vorzuwerfen, wenn du kein Stück besser bist?“ „Du willst es einfach nicht einsehen, oder? Du bist so ein unglaublicher Dickschädel, dass ich ausrasten könnte, wenn ich dich nur ansehe!“ „Dass diese Worte ausgerechnet aus deinem Mund kommen!“, spottete Taichi und wandte sich von ihr ab. „Kehrst du mir jetzt den Rücken zu, weil dir die Argumente ausgehen, Mister Ich-stelle-Fußball-über-meine-eigene-Freundin-und-gebe-es-noch-nicht-mal-zu Yagami?“ „Du hörst mir überhaupt nicht zu, oder?“, rief Taichi und drehte sich wieder zu ihr um. „Warum führen wir dieses Gespräch hier überhaupt? Das hat genauso viel Sinn wie all die anderen Gespräche! Als würde man mit einer Wand reden!“ „Wenn du das so siehst, kann ich ja auch gehen!“, fauchte Mimi. „Geh‘ doch! Ist eh schon lange überfällig!“ Einige Sekunden starrten sie einander an, bevor Mimi sich schließlich wortlos umdrehte und ins Schlafzimmer lief. Während sie ein paar Klamotten aus dem großen Kleiderschrank in ihre Tasche beförderte, hörte sie, wie Taichi im Wohnzimmer fluchte und gegen irgendetwas trat. Wenig später verließ sie mit ihrer übervollen Tasche in der Hand das Schlafzimmer wieder und eilte zur Wohnungstür. „Wohin gehst du?“, fragte Taichi. „Kann dir doch egal sein! Ich verschwinde einfach und dann kannst du dein blödes Fußball heiraten!“, zischte sie mit Tränen in den Augen, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. „Was soll das denn jetzt? Willst du mich verarschen?“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn aus tränenverschleierten Augen an. „Nein, es ist vorbei! Ich habe keinen Bock mehr!“ Er schnaubte. „Ja, mach‘, was du am besten kannst, und lauf‘ davon!“ Eine Sekunde später knallte Mimi die Tür hinter sich zu. Begegnung --------- Gelangweilt schlenderte Taichi mit Yamato und Sora, seinen beiden besten Freunden, die schon seit zwei Monaten unzertrennlich aneinanderklebten und allen mit ihrem Liebesglück auf die Nerven gingen, zum schwarzen Brett der Schule. Es war der erste Schultag des zweiten Jahres der Oberschule und Taichi war so demotiviert wie noch nie. Noch zwei ganze Jahre Schule lagen vor ihm, bevor er diesem Alptraum endlich entfliehen und das richtige Leben anfangen konnte. Zwei lange Jahre. „Glaubst du, wir sind wieder in einer Klasse?“, fragte Sora gerade an Taichi gewandt, als sie sich zwischen den Schülermengen hindurch quetschten. Viele bekannte aber auch viele unbekannte Gesichter. Vor einem Jahr waren sie an dieser Schule selbst die Neulinge gewesen. „Keine Ahnung, wir werden es gleich sehen. Aber ich hoffe es“, antwortete er und versuchte, die Liste zu erkennen, doch sie waren noch zu weit weg und ein paar Köpfe besonders groß geratener  Jungs versperrten ihm die Sicht. „Ich hoffe es auch. Immerhin sind wir seit der Grundschule fast jedes Jahr alle drei in einer Klasse gewesen“, erwiderte Sora lächelnd und ihre Augen funkelten. Auch Taichi erinnerte sich gern an damals zurück. Damals in der Grundschule, als das Leben noch so einfach war und man keine Sorgen hatte. Endlich kamen sie dazu, einen Blick auf die Liste zu werfen. „Sora Takenouchi zwei-zwei“, las Sora vor. „Ich bin auch zwei-zwei“, verkündete Yamato und die beiden lächelten sich triumphierend an. „Und Tai ist…“ „Tai ist auch zwei-zwei“, erwiderte Taichi grinsend. Sora jubelte fröhlich. „Ein weiteres Jahr mit meinen zwei Lieblingsmännern in der gleichen Klasse. Los, lasst uns in den Raum gehen. Wir wollen ja nicht ganz vorn sitzen.“ Zu dritt machten sie sich auf den Weg zum Klassenraum. Während Sora und Yamato überlegten, wie sie den Rest des Tages nach der Schule verbringen würden, beobachtete Taichi die Menschen, die ihnen entgegen kamen. Schnatternde Schüler, missmutig dreinblickende Schüler, gelangweilt aussehende Schüler. Und dann kam eine Schülerin vorbei, die seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Langes, haselnussfarbenes Haar, das ihr in sanften Wellen über die Schultern fiel. Große dunkle Augen, volle Lippen und einen Ausdruck im Gesicht, der Taichi vermuten ließ, dass dieses Mädchen genau wusste, was für einen Eindruck sie auf andere machte. Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite und strich sich mit einer Hand das Haar über die Schulter nach hinten. Dabei fing sie Taichis Blick auf, sah jedoch eine Sekunde später wieder weg, schien sich keinen Deut um ihn zu scheren. Taichi drehte sich um, um ihr nachzuschauen. Der kurze Rock der Schuluniform schmeichelte ihren schönen, wohlgeformten Beinen. „Was ist los?“, fragte Sora, die bemerkt hatte, dass Taichi sich nach jemandem umsah. „Ähm… nichts.“ Er tauschte einen vielsagenden Blick mit Yamato. Offensichtlich hatte auch dieser das Mädchen bemerkt, das soeben vorbeigeschlendert war. In einem stillen Abkommen beschlossen sie, einfach so zu tun, als hätten sie beide kein Mädchen bemerkt.   Die folgenden zwei Stunden verbrachten sie in ihrem neuen Klassenraum, wurden im neuen Schuljahr willkommen geheißen und über das neue Schuljahr informiert, sodass Taichis Gedanken weg von dem Mädchen wanderten. Als er mit Yamato und Sora nach zwei Stunden den Raum wieder verließ, hatte er sie sogar schon wieder komplett vergessen. Zu voll war sein Kopf mit neuen Informationen. Plaudernd machten sich die drei Freunde auf den Weg aus dem Schulgebäude, um in einem Café einen Snack zu verdrücken. Schule machte immer hungrig. Dann, als sie gerade das Foyer durchquerten, sah er sie erneut. Sie lehnte an der Wand und tippte auf ihrem Handy herum, wirkte völlig entspannt. Anscheinend spürte sie, dass Taichi sie anstarrte, denn plötzlich hob sie den Kopf und erwiderte seinen Blick. Einige wenige Sekunden sahen sie sich in die Augen, dann musste Taichi sich abwenden, da er sonst vermutlich mit einem anderen Schüler zusammenlaufen würde. Dieses Mädchen faszinierte ihn. Sie sah einfach perfekt aus. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Perfektion in einem Menschen vereint gesehen zu haben. Bildhübsches Gesicht, wunderschöne Haare, unglaublicher Körper. Doch das war nicht alles. Mehr als ihr Aussehen noch zog ihn der Ausdruck in ihrem Gesicht an. Gleichgültig, leicht überheblich, völlig von sich selbst überzeugt. Genau die Sorte Mädchen, die erst einmal umfassend beeindruckt werden wollte, bevor sie sich überhaupt dazu herabließ, mit einem zu reden. Genau die Sorte Mädchen, die in Tai irgendetwas weckte. Vielleicht würde das Schuljahr ja doch nicht so furchtbar langweilig werden. Das Wetter hätte nicht besser sein Können. Der Himmel war blau und klar, die Sonne schien vom Himmel und die Temperaturen waren frühlingshaft warm. Taichi, Yamato und Sora suchten sich ein Café, das Tische draußen anbot, um das schöne Wetter zu genießen. Sie bestellten sich Sandwiches und Yamato und Sora plauderten fröhlich über das kommende Schuljahr. Anfangs lauschte Taichi dem Gespräch der beiden noch halbherzig, doch während er dort saß, seine Cola schlürfte und geistesabwesend die vorbeigehenden Menschen auf der Straße beobachtete, wanderten seine Gedanken zu dem Mädchen. Es war, als hätte sich ihr glühender Blick in sein Gehirn eingebrannt. Würde ihn jemand danach fragen, er könnte genau ihre Augenfarbe beschreiben. Und die Form ihrer Lippen. Dabei hatte er sie erst zweimal kurz gesehen. „Und du, Tai?“ Ob sie wohl einen Freund hatte? Wenn nicht, dann war sie bestimmt gerade frisch getrennt. Sie sah nicht gerade wie die Sorte Mädchen aus, die lang und gern Single waren. Wahrscheinlich brauchte sie nur mit den Fingern schnippen und schon hatte sie die freie Auswahl zwischen zehn Jungs. Ob Taichi wohl in der Lage war, da mitzuhalten? Dank seiner aufgeschlossenen und humorvollen Art war er nicht unbeliebt bei den Mädchen, jedoch auch kein wirklicher Mädchenschwarm. Diese Rolle hatte er Yamato mit seiner Band und seiner meist eher kühlen Art. Doch der war ja nun erst einmal vom Markt und stellte für Taichi keine Gefahr dar. „Hallo? Tai?“ Was dachte er hier eigentlich? Das Mädchen war völlig neu an der Schule und er überlegte schon, wie seine Chancen standen, sie als Freundin zu bekommen! Das war doch lächerlich. Schließlich wusste er nicht einmal, ob sie überhaupt nett war. Vielleicht war sie ja eine arrogante Tussi und keinen Gedanken wert, den er gerade an sie verschwendete. „Hey!“ Er schüttelte den Kopf und sah in die verdutzten Gesichter seiner beiden Freunde. „Woran denkst du?“, fragte Sora skeptisch und runzelte die Stirn. „An nichts“, log Taichi hastig. „Ja, klar. Du warst gerade mit deinen Gedanken ganz woanders.“ „Ich habe nur geträumt“, murmelte er ausweichend und genehmigte sich einen Riesenschluck Cola. Er fing Yamatos Blick auf, der ihn seltsam musterte. Ahnte er etwa, woran – oder besser gesagt an wen – Taichi gerade gedacht hatte? Zum Glück wurden in dem Moment ihre Sandwiches gebracht und sie waren abgelenkt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)