Blinded By You von Yuugii (Kaiba/Yuugi) ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Nachdem er die Intensivstation verlassen hatte, stieß er einen langen Seufzer aus. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Scharf sog er die Luft wieder ein und versuchte wieder auf klare Gedanken zu kommen. Trotzdem quälte ihn das Bild von Yuugi, von hellen Neonlicht umgeben, seine amethystfarben Augen unter einem Verband versteckt und verletzlich auf seinem Bett liegend. Er hatte zwar gehört, dass es nicht so rosig aussah, aber das hier überstieg seine kühnsten Vorstellungen. Zum ersten Mal fühlte Kaiba Reue. Verdammt. Er blieb stehen und senkte seinen Blick, kniff die Augen zu und versuchte alles um sich herum auszublenden. Reue war nicht sein Stil. Es gab jetzt nur eines, das er tun musste. Wenn die besten Männer der Polizei selbst nur im Dunkeln tappten, dann war es eben Kaiba Seto selbst, der diesen Fall lösen würde. Es war ohnehin nicht so, dass er zu wenig Geld hatte. Wenn überhaupt hatte er davon zu viel. Er hatte sogar eine Raumstation gebaut, einzig und allein, um seine Virtual Reality weltweit auszuweiten und sein Datenwerk auszubauen. Mit seinem Überwachungsnetzwerk hatte er seine Augen überall. Es war die Kaiba Corporation die ein Monopol errichtet hatte. Wenn es um Hightech ging, Hologramme und alles was dazu gehörte, konnte ihm niemand das Wasser reichen. Sein Netzwerk erfasste bereits jetzt Unmengen an Daten. Wenn er wollte, könnte er jede Person ausfindig machen. Vor ihm konnte sich niemand verstecken und er würde alles daran setzen, um denjenigen zu schnappen, der es gewagt hatte seinem kostbaren Rivalen ein Haar zu krümmen. Auch das hier stellte nur ein kleines Hindernis auf seinem Weg dar. Eines, das er schnell aus seinem Leben bannen musste, damit er wieder alles in die richtigen Bahnen lenken konnte. Damit er möglichst bald wieder das Feuer in seiner Brust spüren konnte. „Nii-sama!“, hörte er Mokubas Stimme, die ihn ruckartig aus seinen Gedanken riss. Mokuba hatte in der Zwischenzeit mit dem Oberarzt gesprochen. Er wollte seinen Bruder und Yuugi nicht stören. Immerhin war dieser Moment besonders für beide. „Mokuba... du bist zurück.“ „Huch? Du wirkst so verändert? Ist etwas Gutes passiert?“, fragte Mokuba nach. In Kaibas Augen loderte Feuer. Er würde nicht mehr wanken und alles daran setzen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan werden konnte. Niemand durfte seinen Namen beschmutzen. Noch viel weniger Menschen verletzen, die ihm etwas bedeuteten. Auch wenn er nicht allzu häufig Kontakt mit Yuugi hatte, so hatte er diesen über die Jahre hinweg liebgewonnen und respektierte seine Fähigkeiten als Game Genie. Wer auch immer glaubte, er müsste sich in ihr Duell einmischen, hatte die Rechnung nicht mit ihm gemacht. Und er würde sein blaues Wunder erleben. „Überhaupt nicht“, antwortete der großgewachsene Mann trocken. Er strahlte seine übliche kalte Aura aus, die den meisten Menschen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mokuba grinste nur breit. „Scheinbar hat Yuugi deine Lebensgeister wieder geweckt. Ich habe übrigens mit dem Chefarzt gesprochen. Es sieht schlecht aus.“ „Wie schlecht genau?“, fragte Kaiba und wandte sich zum Gehen. Gemeinsam bewegten sie sich in Richtung Ausgang der Intensivstation. Noch länger hier zu bleiben, machte keinen Sinn. Es gab ohnehin nichts, das sie tun konnten und Kaibas Terminplaner verriet, dass er am Nachmittag eine weitere Pressekonferenz abhalten musste. Nichts, worauf er sich sonderlich freute. Aber wenn er jetzt kniff, würde das Image seiner Firma und sein Ruf nur noch mehr leiden. „Der Duel-Disk ist sauber pulverisiert worden. Winzige Stücke des Gerätes sind in Yuugis Augen gelangt. Zu klein, um sie einfach zu entfernen. Die Partikel haben die Linsen und die Hornhaut stark angegriffen, wodurch die Nerven nicht mehr richtig verbunden sind. Und sein Arm...“ Mokuba wagte es nicht, diesen Satz auszusprechen. Sein Atem stockte. „Ich habe es gesehen. Aber auch darum werde ich mich kümmern. Ich wäre nicht Kaiba Seto wenn ich nicht für jedes Problem eine Lösung finden würde.“ „Trotzdem wird er Narben beibehalten.“ „Die Narben eines Mannes machen ihn nur attraktiver. Die KC selbst wird sämtliche Kosten seiner Behandlung übernehmen.“ „Dir ist das ziemlich wichtig, oder?“ Mokuba lächelte sanft. Er brauchte eigentlich keine Antwort. „Was seine Augen anbelangt habe ich mir ebenfalls bereits Gedanken gemacht. Ich werde den besten Spezialisten der Welt nach Japan einfliegen lassen oder – wenn nötig – bringe Yuugi selbst zu ihm.“ Mokuba strahlte. Sein Bruder war einfach eine Wucht! Wie schön, dass Kaiba wieder normal war und voller Eifer und Selbstbewusstsein nur so strotze. Jetzt konnte niemand mehr die Brüder aufhalten. „Soll ich das Yuugis Opa auch sagen? Seine Familie ist bestimmt am Boden zerstört.“ „Nicht nötig. Ich werde es ihm selbst sagen.“ „Nii-sama...?!“ Mokuba blieb kurz stehen und betrachtete seinen älteren Bruder, der unentwegt weiter ging und ohne weiter auf die Thematik einzugehen, die Treppen zum Hubschrauberlandeplatz hochging. Es war das erste Mal, dass sein Bruder sich selbst um so etwas kümmern wollte. Zwischenmenschliche Beziehungen waren überhaupt nicht seines. Hoffentlich ging das mal gut. Nicht, dass sein Bruder irgendetwas Falsches sagte... Mokuba schluckte hart und zwang sich selbst dazu, die Treppen hochzusteigen. Wenn es etwas gab, das Seto nicht ausstehen konnte, dann war es warten gelassen zu werden. „Mokuba, wie viel Zeit bleibt mir bis zur Pressekonferenz?“ „Oh Moment...“ murmelte Mokuba, während er sein Smartphone iKaiba rausholte und mit den Fingern wild über den Bildschirm huschte. „Noch eine Stunde. Warum?“ „Flieg mich zum Kame Game Shop.“ Die Bäume um den Kame Game Shop raschelten leise, als ein Windstoß aufkam. Ein kleines Schild auf der Ladentür verriet, dass geschlossen war. Es war ohnehin nicht so, dass der altmodische Spielladen sonderlich viele Kunden hatte, aber manchmal verirrten sich doch ein paar Schüler auf dem Weg von der Schule nach Hause hierher. Die alten, analogen Spiele interessierten nur noch wenige, so dass viele der Brettspiele und Kuriositäten, die hier angeboten wurden, bereits seit Jahren verstaubten. Mit der zunehmenden Konkurrenz hatte es der Kame Game Shop nicht einfach mitzuhalten. Zumindest waren ihre Umsatzzahlen an Duel Monsters Karten und Duel-Disks konstant, was einzig und allein daran lag, dass ein gewisser berühmter Duellant hier lebte und arbeitete. Immer wieder kamen irgendwelche Amateure in den Laden gestürmt, die ernsthaft glaubten, dass sie sich Yuugis Titel einfach so unter die Nase reißen konnten. Nein, Yuugi war besonders. Er liebte Spiele nicht nur, er lebte sie auch. Aber das liegt in der Vergangenheit. Mein lieber, kleiner Yuugi...! Sugorokou schniefte und legte sein Gesicht in seine Hände, während weiterhin ungehindert Tränen seine Wangen hinabflossen und auf dem Tresen landeten. Die Tür hatte er nicht einmal abgeschlossen. Aufzustehen strengte ihn zu sehr an. Es hatte weder die Kraft noch die Motivation den Laden zu öffnen und gar Kunden mit einem Lächeln zu begrüßen. Er hatte einfach nur das Schild umgedreht und versucht nicht daran zu denken, was geschehen war. Es schmerzte ihn so sehr. Yuugi hatte wie immer das Haus mit einem breiten Lächeln verlassen. Er winkte zum Abschied. Es war ein Tag wie jeder andere auch. Wie hätte Sugorokou denn ahnen können, dass es anders kommen würde? Dass sein kleiner Enkel nicht mehr nach Hause kommen würde? Dass ihr Alltag an diesem Tag ein jähes Ende finden würde? Die Bilder verfolgten ihn. Der alte Mann hatte seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen. Seiner Schwiegertochter ging es ähnlich. Sie weigerte sich das Krankenhaus zu verlassen und wartete dort nun auf ihren Sohn. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Jalousien hochzuziehen. Der Großteil des Hauses war im Dunkeln. Absolute Stille lag in der Luft. Sein einziger Enkel würde hier nicht mehr arbeiten. Heute Morgen hatten sie hier angerufen und ihm gesagt, dass Yuugi aus dem Koma erwacht war. Sugorokou war stolz auf seinen Enkel, vollkommen egal, was Kaiba für neue Tricks aus dem Ärmel schüttelte, so war er stets in der Lage zu kontern und seinem Gegner einen Schritt voraus zu sein. So kannte er Yuugi. Freudig jubelte er und sprang aufgeregt auf, als Yuugi einmal mehr schaffte, die Lebenspunkte seines Kontrahenten zu verringern. „Siehst du?! Er ist großartig!“, rief er mit lauer Stimme und klatschte in die Hände. „Er ist dir so ähnlich. Du warst früher auch so.“ „Nicht umsonst hat man mich als König der Spiele gefürchtet!“, lachte der alte Mann und grinste breit, während ihm deutlich anzusehen war, dass er sich auf seinen früheren Titel ganz schön etwas einbildete. Seine Nase ragte beinahe an die Decke, während er seine Hände in die Hüften stemmte. „Was bin ich froh, dass Yuugi auch dieses Talent im Blut hat!“ Die Frau kicherte leise und legte dann den Kopf schief. „Ach komm, hör auf! Du hast dir den Namen doch ausgesucht, weil du genau wusstest, dass er diese Leidenschaft mit dir teilen würde. Außerdem hast du auch als Baby mit ihm gespielt. Da ist es doch kein Wunder, dass er ein Händchen für so was hat.“ „Hey, als er noch ein Baby war, konnte ich ja nicht wissen, dass er so gut werden würde. Da ist der Name eben Programm.“ „Manchmal bestimmt ein Name das Schicksal, hm?“ Sie zog ungläubig eine Augenbraue hoch. Die Skepsis war ihr anzusehen. Dass es viel mehr an dem prägenden Eindruck lag, den Sugorokou bei seinem Enkel hinterlassen hatte, war wohl mehr als nur offensichtlich. Beide lachten und schenkten daraufhin wieder ihre Aufmerksamkeit dem Bildschirm. Sugorokou war in einem Alter, in dem er mit den großen Menschenmassen, die sich bei Duellen ansammelten, nicht mehr so gut zurechtkam. Außerdem wollte er seinen Laden nicht unbewacht zurücklassen. Da das Duell weltweit übertragen wurde, konnten sie das Duell wenigstens live verfolgen. Plötzlich brach das Bild ab und es dauerte einige Sekunden, bis wieder etwas übertragen wurde. Sugorokou riss die Augen auf. Seine Kehle war ganz trocken. Sein Hals schmerzte so sehr. Woher dieser Schmerz? Erst als die ersten Tränen seine Wangen hinabflossen, realisierte er, dass er in seiner Angst geschrien hatte. Yuugis lebloser Körper, das Feuer und der ganze Qualm. Das war nicht wahr. Diese vier Worte wiederholte er wie ein Mantra in seinem Kopf immer und immer wieder. Kraftlos sackte er zu Boden. Nichts drang mehr zu ihm. Auch dass seine Schwiegertochter vor lauter Panik aufgestanden war und an seiner Schulter rüttelte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. In diesem Moment war alles andere unwichtig. Sugorokou wusste genau, was für kranke Dinge Kaiba imstande war zu tun, wenn es um seine Ehre und seinen Ruf als König der Duelle ging. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass Kaiba so weit gehen würde, doch wenn er daran dachte, dass er nicht einmal davor zurückschreckte, einen alten, zerbrechlichen Mann zu entführen, um ein Duell zu bekommen, konnte er den Gedanken, dass Kaiba Yuugi ein für alle Mal ausschalten wollte, umso weniger abschütteln. Im Krankenhaus ließen die Pfleger und Schwestern ihn nicht weiter als bis zur Rezeption. Keine Besuche möglich. Sie täten, was in ihrer Macht stünde. Die Angst davor seinen einzigen Enkel zu verlieren, machte ihn taub für Vernunft. Obwohl er genau wusste, dass er Yuugi nicht sehen konnte, da dieser operiert wurde, wimmerte er dennoch wie ein getretener Hund dessen Namen. Erst als seine Schwiegertochter ihm eine Ohrfeige verpasste und ihn daran erinnerte, dass er jetzt stark sein musste, verstummte sein Gejammer. Auch sie war am Ende ihrer Kräfte. Immerhin war es ihr eigenes Fleisch und Blut, ihr geliebtes Kind, das sich im Operationssaal befand und um sein Leben kämpfte. Am nächsten Morgen hieß es, dass Yuugi keine Besucher empfangen konnte. Sie durften ihn aus dem Nebenzimmer heraus sehen. Hinter dem Glasfenster bot sich ihm ein Anblick, von dem er sicher war, dass dieser ihn bis zum Ende seines Lebens verfolgen würde. Dass das sein süßer, liebenswerter Enkel sein sollte, wollte er nicht verstehen. Eventuell hatte sich der Oberarzt geirrt, zumindest wünschte er sich in diesem Moment nichts anderes mehr, als dass das hier eine Verwechslung war. Yuugis Kopf war vollständig in Verband gehüllt, lediglich die Beatmungsgeräte ließen vermuten, dass sich unter der Menge an Stoff ein Mensch befand, während sein linker Arm besonders gestützt wurde. Auch jetzt noch war Blut an den frischen Verbänden zu erkennen. Sugorokou stockte der Atem. Er schluckte hart. Das schnelle Schlagen seines Herzens drang bis zu seinen Ohren. Auch seine Schwiegertochter sagte nichts, sie kämpfte lediglich gegen die Tränen. Erst die Stimme des Arztes holte ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand zurück. „Er wird vorerst nicht aufwachen. Wir haben ihm die höchstmögliche Dosis an Schmerzmitteln und Stoffwechselfördernden Medikamenten gegeben. Er hat eine Menge Blut verloren, aber sobald sich sein Zustand verbessert, rufen wir an.“ „Er kommt durch, oder?“ Seine Stimme nur ein leises, ersticktes Flüstern. „Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Wir haben ihn in ein künstliches Koma gelegt, damit er von den Schmerzen so wenig wie möglich mitbekommt. Es wird einige Tage dauern, bis er einigermaßen stabil ist. Die Verbrennungen sind schwer. Ich möchte Ihnen keine falsche Hoffnungen machen, Mutou-san“, begann er und sah die beiden mit festen Blick an, ehe er in aller Ruhe weitersprach. „Wir können von Glück im Unglück reden, dass der Explosionskörper relativ alt war und nicht mehr die originale Zündkraft hatte. Sein Arm hat Verbrennungen des vierten Grades erlitten, aber die anderen Wunden werden mit Sicherheit gut abheilen, auch wenn Narben zurückbleiben werden. Der junge Mann ist ein Kämpfer.“ Er legte seine Hand auf Sugorokous Schulter, lächelte sanft und verließ dann den Beobachtungsraum. Sugorokou stand noch einige Minuten vor dem Glasfenster, das diesen Raum mit dem anderen trennte. Zitternd legte er eine Hand auf das kühle Glas. Die Kälte beruhigte ihn. Sie ließ ihn wieder zu klaren Gedanken kommen und er atmete noch einmal tief durch. Der Arzt riet ihm, nach Hause zu gehen und zu schlafen, was eigentlich so viel bedeutete, dass der alte Mann im Weg war und die Behandlungen störte. Da er selbst einsah, dass er hier nichts ausrichten konnte, verließ er das Krankenhaus. Seine Schwiegertochter weigerte sich zu gehen und bestand darauf, warten zu dürfen. Er verübelte es ihr nicht. Immerhin war Yuugi ihr einziger Sohn. Sicher würde es Yuugi guttun beim Aufwachen zuerst das Gesicht seiner Mutter zu sehen. Gedankenverloren starrte er das Telefon in seiner Hand an. Er wartete darauf, dass es endlich einen Ton von sich gab und er Gewissheit bekam. Er war beinahe jeden Tag ins Krankenhaus gekommen und sprach Yuugi Mut zu und bat ihn darum, nicht aufzugeben. Nach drei Tagen hatten sie endlich die Erlaubnis in seine Nähe zu gehen. Yuugis bewegungsloser Körper und all die Geräte, die sicherstellten, dass seine Organe nicht versagten, ließen den alten Mann unbewusst schlucken. Keine Zeit für Schwäche. Vorsichtig hatte er seine Wange gestreichelt und mit ihm gesprochen. Der Arzt hatte gemeint, dass es durchaus sein könnte, dass er trotz des Komas etwas von seiner Umgebung wahrnahm und er die Stimmen seiner Familienangehörigen hören könnte. Mit Tränen in den Augen hatte er seinen kleinen Enkel angestarrt und ihm Mut zugesprochen. „Alles wird gut. Jii-chan ist ja da“, hatte er ihm zugeflüstert. Diese Worte hatte er so oft ausgesprochen. Immer wenn Yuugi als kleiner Junge weinend nach Hause kam, weil die Jungs ihn in seiner Klasse aufgrund seiner Körpergröße auslachten, hatte er seinen Enkel liebevoll in den Arm genommen und ihn getröstet. Diese Worte hatten damals etwas Magisches an sich, denn sobald er dem kleinen Jungen versichert hatte, dass alles gut werden würde, hatte dieser sich beruhigt und die Tränen waren vergessen. Auch jetzt hoffte der alte Mann, dass diese Worte ihre Magie entfalteten und seinen geliebten Enkel erreichten. Eine Woche war bereits vergangen. Sieben Tage voller Bangen und Angst. Kaiba, der ebenfalls in der Nähe des Explosion war, hatte sich in den Medien rar gemacht. Überall Berichterstattungen und Gerüchte. Nervige Reporter, die vor seiner Ladentür herumlungerten. Erst als er die Polizei verständigt hatte, hatten sich diese widerlichen sensationsgeilen Reporter zurückgezogen. Jeder einzelne von ihnen hatte eine Abmahnung bekommen. Immer noch hielt er das Telefon in seiner Hand und betete zu Buddha, dass doch endlich der Klingelton ertönen mochte und gute Nachrichten ihn erreichten. Er hatte nicht einmal den Ton wahrgenommen, sondern spürte zuerst das Vibrieren des Telefons. Hastig nahm er ab. Er wollte keine Sekunde mehr warten. „Mutou-san, Ihr Enkel ist aus dem Koma erwacht“, hieß es. „Aber erwarten Sie nicht zu viel. Ihr Enkel sagt, er möchte niemanden sehen.“ Ungläubig legte der alte Mann auf und machte sich auf den Weg. Auch wenn sie eine Familie waren und es ihnen wichtig war, Yuugi zu sehen, so mussten sie jedoch einsehen, dass es keinen Sinn machte, gegen das Personal anzukämpfen. Yuugi hatte ausdrücklich den Wunsch geäußert, keine Besucher zu empfangen. Das einzige, was man ihnen gab, waren die Worte: »Ich möchte jetzt niemanden sehen. Bitte gebt mir Zeit.« Seitdem saß er gedankenverloren in seinem kleinen Laden, ließ all die schönen Erinnerungen Revue passieren. Yuugi war immer interessiert an den neuen Spielen, insbesondere wenn sein Großvater wieder etwas aus dem Ausland mitgebracht hatte, das er noch gar nicht kannte. Yuugi war sehr schüchtern und auch wenn er es nie offen ausgesprochen hatte, wusste der alte Mann, dass Yuugi in der Schule gemobbt wurde. Nie brachte er Freunde mit. Nie sprach er über seine Klassenkameraden. Yuugi war immer sehr ruhig und viel zu nett. Sugorokou hatte sich lange Zeit um ihn gesorgt, doch als sein Talent als Duellant sogar von Pegasus J. Crawford anerkannt wurde, kamen immer mehr Menschen und Begegnungen in sein Leben. Yuugi hatte endlich Menschen, mit denen er seine Leidenschaft für Spiele teilen konnte. Einer davon war Kaiba. Sugorokou glaubte, dass Menschen, die Spiele liebten, im Grunde ihres Herzens gute Menschen waren. Meist hatten sie schlimme Dinge erlebt, versuchten durch die Freude des Spiels das zu kompensieren, was ihnen das Unglück im Leben geraubt hatte. Spiele füllten eine Lücke im Herzen der Menschen, deshalb wollte er nicht akzeptieren, dass Kaiba grundsätzlich ein schlechter Mensch war. Spiele gaben einen ein gutes Gefühl und ließen einen sogar die Realität vergessen. Sie eröffneten neue Welten und ebneten Wege. Yuugi hatte nie schlecht über Kaiba gesprochen. Ihn immer nur gelobt, geradezu von diesem Mann geschwärmt, wie ein aufgeregter Bursche, der zum ersten Mal verliebt war. Gerade weil Yuugi diesen Mann so sehr schätzte, hatte Sugorokou ihm verziehen. Kaiba hatte sich geändert, daran wollte er so sehr glauben. Die Entführung nagte zwar an Sugorokous Stolz, da er ein Duell so oder so nicht abgelehnt hätte, aber er hatte all diese Fehlschritte als Fehler der Jugend abgetan. Immerhin hatte Sugorokou in seiner besten Zeit auch viel Mist gebaut. Sogar vor Spielen der Finsternis oder verfluchten Brettspielen hatte er keinen Halt gemacht. Eigentlich gab es kein Spiel, das Sugorokou nicht kannte. In seinem Wahn jedes Spiel der Welt einmal gespielt zu haben und als Sieger hervorzugehen, hatte er die Welt bereist. Er hatte sich geschworen, erst dann in seine Heimat zurückzukehren, wenn er alles entdeckt hatte, was es zu entdecken gab. Sein Stolz als Gamer und seine Leidenschaft führte jedoch auch dazu, dass er seine Familie vernachlässigte und ihnen nicht so viel Zeit widmen konnte, wie es ein aufrichtiger Familienvater hätte tun sollen. Manchmal quälten ihn die Gewissensbisse, wenn er daran dachte, dass er Frau und Kind zurückgelassen hatte, nur um seinen eigenen egoistischen Träumen hinterherzujagen. Als er von einem unlösbaren Rätsel im Tal der Könige hörte, hatte er keine Sekunde gezögert und mutig diese Herausforderung angenommen. Mit zwei Führern betrat er die antike, unterirdische Grabstätte. Er hatte viele Jahre bei Ausgrabungen geholfen und verstand die ägyptischen Zeichen an den Wänden. Einige seiner besten Freunde waren Archäologen. Jede Wand hatte eine Warnung eingemeißelt, die Unbefugten das Eintreten strengstens untersagte. Die Worte warnten vor den Prüfungen und dem Zorn des Pharaos, erwähnten jedoch auch einen Auserwählten, der die Macht der Finsternis und das goldene Artefakt, das sich in den Tiefen des Grabes befand, eines Tages sein Eigen nennen würde und gemeinsam mit dem Sohn der Götter die Finsternis verbannen würde. Grinsend hatte Sugoroku diese Wandmalerei beäugt. Dieser Herausforderung hatte er sich gestellt. Es gab kein Spiel, das er nicht für sich entscheiden konnte. Er war es gewohnt, stets zu gewinnen und sein Übermut ließ ihn die Gefahr nicht erkennen. Mit großer Anstrengung hatte er die Prüfungen bestanden. Bis zu dem Zeitpunkt als seine Führer sich als Schwindler und Räuber entpuppten, seinen Anweisungen nicht mehr folgten und auf eigene Faust agierten. Einer von ihnen starb während der Prüfung. Der andere hielt ihn eine Waffe an die Schläfe und bedrohte sein Leben, zwang ihn dazu, ihn zum Schatz zu führen. Vor ihm befand sich ein riesiger Abgrund und in der Mitte des Raumes ein kleiner schmaler Weg. Steinplatten, auf denen die Bilder antiker Geister und Monster abgebildet waren. Sugoroku war vorsichtig vorangegangen und nichts geschah. Als der Räuber glaubte, dass der Weg sicher war, schoss er seinem Begleiter hinterhältig in den Rücken. Sugorokou ging zu Boden und schwor, dass wenn er lebend aus dieser Grabstätte kam, er seine Reise beenden und nach Hause zurückkehren würde. In diesem Moment bereute er, dass er seinem Sohn nicht gesagt hatte, wie lieb er ihn hatte. Reue, weil er nur an sich selbst gedacht hatte. Reue, weil er kein Teil seiner Familie war und seinen Träumen hinterherjagte, anstelle für seine Frau und seinen Sohn da zu sein. Ich möchte sie noch einmal sehen, bevor ich sterbe. Lass das nicht mein Ende sein, hatte er gedacht und um zweite Chance gebeten. Er würde seine Karriere als König der Spiele an den Nagel hängen und den Ruf des Abenteuers nicht mehr folgen. Er würde ab jetzt für seine Familie da sein. Keine Risiken mehr eingehen, sondern sich wie ein anständiger Vater seinen Pflichten widmen. Das war sein Einsatz gewesen. Noch ehe er sein Bewusstsein verlor, hatte er ein gleißendes Licht gesehen und die Silhouette eines jungen Mannes, der ihm helfend eine Hand hinhielt und ihn aus seiner misslichen Lage befreite. Er hatte die goldene Kiste und die Teile des Millenniumspuzzles an sich genommen und war in seine Heimat zurückgekehrt, hatte seiner Vergangenheit den Rücken zugewandt. Stattdessen hatte er geschworen, dass er dieses Mal alles richtig machen würde, damit er niemals wieder bereuen musste. Sein Sohn hatte ihm nicht verziehen, dass er nie für ihn dagewesen war. Sugorokou wusste, dass er nicht das Recht hatte, um Vergebung zu beten, denn er hatte diese Chance verpasst. Erst als seine Frau krank wurde und ihrer Krankheit erlag, verbesserte sich sein Verhältnis zu seinem Sohn. Sein Sohn hatte geheiratet und schon bald erreichten ihn die guten Neuigkeiten. Sugorokou schwor, dass er seinen Enkel beschützen würde und alles daran setzen würde, dass dieser sich geliebt und geschätzt fühlte. Dieses Mal würde er nicht denselben Fehler begehen. Vom Tag seiner Geburt bis zum heutigen Tag war er immer für Yuugi da gewesen. Als Baby hielt er ihn in seinen Armen und behütend hatte er seine Hände über sein Kind ausgebreitet, wachte über ihn und schenkte ihm all seine Zeit. Er schwor, Yuugi zu beschützen und immer für ihn da zu sein. Vielleicht war es sein verlorener Traum, die Aufgabe seiner eigenen Wünsche und Pläne für die Zukunft, das ihn dazu brachte, Yuugi ungewollt zu seinem Nachfolger auszubilden. Yuugi lebte für die Spiele. Sein Name war sein Schicksal. Wenn Yuugi nicht einmal mehr Duel Monsters spielen konnte, würde er den Sinn in seinem Leben verlieren. Dass Yuugi ein emotionales Wrack werden könnte, das seine größte Leidenschaft aufgeben müsste, schmerzte ihn mehr als alles andere. Er wäre bereit sein Leben zu opfern, damit Yuugi wieder gesund werden würde. Leider war er zu alt, um tatsächlich an solchen Hokuspokus zu glauben und zu denken, dass Gedanken wie diese irgendetwas verändern konnten. Einmal mehr verspürte er Reue. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)