Skrupelliebe von Zaizen ================================================================================ Kapitel 3: Couchsurfing ----------------------- Im Nachhinein fragte Kurogane sich, was ihn eigentlich geritten hatte. Normalerweise hielt er sich für einen Mann mit wunderbar rationalem Denkvermögen, der nur das tat, was von ihm verlangt wurde. Alles darüber hinaus war entweder Eigennutz oder ein Freundschaftsdienst. Zu diesem Zeitpunkt, als Kurogane entgeistert Fye in seinem Gartenschuppen anstarrte, war der Andere weder ein Freund, noch hatte es für Kurogane irgendeinen Nutzen gehabt, dass er seinen zukünftigen Mieter nicht hochkant aus seinem Schuppen und seinem Leben geschmissen hatte. Er erklärte sich diesen Aussetzer seiner kognitiven Fähigkeiten mit der Dreistigkeit des Blonden. Sich einfach in seinen Schuppen zu schleichen und dort unerlaubt zwei Tage zu nächtigen, gewann seiner Ansicht nach den Hauptpreis in Sachen Respektlosigkeit. Die Spitze des Eisbergs war jedoch, dass der Kerl hier eine Straftat beging und sich dann auch noch darüber beklagte, dass sein kleiner Schuppen 'unordentlich' war. Unordentlich. So etwas gab es in Kuroganes Leben nicht. Womöglich füllten die Masse der Geräte das mögliche Schuppenvolumen beinahe aus und eventuell es wirkte dadurch etwas beengt. Allerdings hatte alles seinen angestammten Platz. Der Rasenmäher stand beispielsweise in der rechten Ecke neben den Gießkannen und nicht achtlos beiseite geschoben, um einem blonden Schmarotzer eine Rückenlehne zu bieten. Nachdem er Fye diesen Umstand sehr deutlich und erklärt hattet und noch einige weitere, weniger nette Äußerungen von sich gab, war es im Schuppen still geworden. Während blaue Augen auf eine Reaktion warteten, stierten Rotbraune stumm zurück. Schlussendlich spuckte der zusammengekniffene Mund darunter etwas aus, dass Kurogane im Nachhinein vermutlich selbst für geistige Umnachtung halten würde. „Komm halt mit rein“,brummte er und ignorierte das Jubelgeschrei des Einbrechers. Alles war besser, als diese Gefahr für die Menschheit unbeaufsichtigt in seinem Schuppen zu lassen. Wer wusste schon, auf welche dummen Ideen der Typ als nächstes kommen würde. Zudem sah er so noch jämmerlicher aus als er es eh schon war. Eine heißes Getränk und fließendes Wasser würden dem Kerl gut tun. - Vollkommen zufrieden mit sich und der Welt saß Fye de Flourite in Kuroganes dunklem Ledersessel im Wohnzimmer und nippte an einer Tasse Tee. Diese hatte eben jener Sesselbesitzer unter Fluchen irgendwo hervorgekramt. Danach setzte er sich dem Teeschlürfer missmutig gegenüber. „Ich will nochmal von dir wissen, was du da in meinem Schuppen gemacht hast“,presste Kurogane zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Angesprochener seufzte tief und bugsierte seinen Riecher über die Teetasse. „Wie ich dir jetzt schon zum dritten Mal erkläre, Mister Brummbär, ich habe dort übernachtet.“ Die zusammengebissenen, weißen Kauwerkzeuge rieben hörbar aneinander, als ihr Besitzer den Kiefer anspannte. Gegen diese gerade-heraus-Logik kam selbst er nicht an. Wie konnte ein Mensch sein sonderbares Handeln so offensichtlich verpacken und einem dabei den letzten Nerv rauben? „Warum hast du da übernachtet“,fragte Kurogane Fye und betonte jede Silbe wie bei einem Kleinkind. „Na, weil ich doch morgen hier einziehe und da wir morgen so viel zu tun haben, wollte ich möglichst nah an meinem neuen Zuhause schlafen.“ - „Wir?“ - „Ja aber natürlich. Ich brauch' doch die großen, starken Kuro-Arme, die mir morgen beim Umzug helfen müssen.“ Gedanklich war dies der Zeitpunkt, an dem Kurogane schreiend aufsprang und Blondie an die Kehle ging. In der physischen Realität jedoch bleib der große Mann wo er war und trank verbissen einen großen Schluck Kaffee. Diese Antwort war gelogen. So viel stand fest. Kurogane sah es ganz deutlich in den blauen Augen des anderen. Fye de Flourite - falls das überhaupt sein richtiger Name war - war ein riesengroßer Lügner. Kurogane hätte ihn damit konfrontieren können, hätte ihn rausschmeißen und sich selbst überlassen sollen. Doch irgendwas an eben jenen undurchdringlichen Augen zog ihn an. „Siehst du was, dass dir gefällt?“,neckte Fye ihn und klimperte spielerisch mit den langen Wimpern. Kurogane ließ sich nicht aus der Reserve locken und schnaubte genervt. Niemals würde er zugeben, dass Fye auf seine ganz eigene Weise recht hatte. Es war nicht sein Aussehen, sondern das Geheimnis, das sich dahinter verbarg. Die Neugier, hinter die Lügen und die grinsende Maske zu blicken, hielt Kurogane davon ab, Fye rauszuschmeißen. Das und das Geld natürlich, sagte er sich und meinte es vielleicht auch so. „Warum kannst du eigentlich Schlösser knacken? Ich bin mir sehr sicher, dass dort ein Vorhängeschloss angebracht war“,fragte Kurogane und ging gar nicht erst auf die Stichelei ein. Erneut erntete er ein Schulterzucken. „YouTube“,lautete die simple Antwort, woraufhin der Größere es genervt dabei beließ und das Verhör damit beendete. Zum wiederholten Mal seufzte Kurogane. „Du kannst auf der Couch schlafen. Dann gehe ich zumindest sicher, dass du nicht wieder in meinen Gartenschuppen einbrichst...“,bot er dem anderen an, der daraufhin strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Prima! Jetzt aber husch husch ins Bettchen Kuro-Grummel, morgen wird ein langer Tag“,flötete Fye, trank seinen Tee aus und tänzelte durch den Raum. „Nenn' mich verdammt nochmal nicht so! Oder du fliegst doch noch!“,brüllte der unfreiwillige Gastgeber, erhob sich und stapfte in sein Schlafzimmer, um ein Kissen sowie eine Bettdecke für den ungebetenen Gast zu holen. In einem hatte Fye recht; es würde ein langer, anstrengender Tag werden. Für sie beide. - Kurogane erwachte zu dem Geruch von Eiern und Speck. Vollkommen desorientiert, richtete er sich auf und starrte durch sein Schlafzimmerfenster, hinter dessen Scheiben die Sonne bereits am Himmel stand. Ein Blick auf den altmodischen Wecker auf seinem Nachtisch bestätigte, dass es bereits nach acht Uhr war. Nachdem sein Hirn für einen kurzen Moment nach dem Grund für sein spätes Aufstehen kramen musste, fand es in der hinteren Ecke seines Gedächtnisses die Ereignisse des gestrigen Abends. Somit klärte sich auch der ungewohnte Essensgeruch auf und machte Fye zu seinem Urheber. Noch unschlüssig, was er von diesem Frühstücksüberfall halten sollte, bugsierte er seinen trägen Körper aus dem Bett. Als sein Kreislauf die Arbeit wiederaufgenommen hatte, öffnete er endlich die Schlafzimmertür, um sich seinem ungebetenen Gast und dem Rest dieses vermutlich, grauenvollen Tages zu stellen. Heute würde Fye den Mietvertrag unterschreiben und sich in der Wohnung über ihm einquartieren. Von da an gab es kein Entkommen und erst recht keine Ruhe mehr. „Guten Morgen, du Schlafmütze“,begrüßten ihn ein breiter, zum Grinsen verzogener Mund. Schweigend betrat Kurogane die Küche, beäugte Fyes Kochaktion mit kritischem Blick und ging dann an dem Blonden vorbei zur Kaffeemaschine, die anscheinend noch nicht in Betrieb genommen worden war. Der Schuppen-Einbrecher von gestern Nacht schien zumindest diesen Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen und hielt die Klappe, bis Kurogane eine Tasse Kaffee in der Hand hielt. Mit Argusaugen beäugte Kurogane den in der Pfanne brutzelnden Speck und die stockenden Eier, in die anscheinend Schnittlauch aus seinem Garten gemischt worden war. Bisher waren beide Lebensmittel weder verbrannt, noch ertranken sie in Fett, was dem Blonden zumindest für den Moment einige lebenswichtige Pluspunkte zusicherte. „Essen ist gleich fertig. Du könntest schon mal den Tisch decken“,kommandierte der selbsternannte Chefkoch den Wohnungsbesitzer herum, indem er ihm mit dem Kochlöffel vor seiner Nase herumwedelte. Als Antwort erhielt er nur ein tiefes Grummeln und eine Rückenansicht Kuroganes, welcher der 'Bitte' nachkam. Für einen morgendlichen Wutausbruch war er eindeutig zu hungrig. Während Kurogane schweigend den Tisch deckte, neuen Kaffee aufsetzte und versuchte, Fyes Gesprächsversuche geflissentlich zu ignorieren, arbeitete sein Hirn die letzten Tage auf. Es war gerade mal zwei Tage her, dass dieser blonde Möchtegern-Einbrecher und Miet-Terrorist in sein Leben oder viel eher vor seine Haustür getreten war. Zwei Tage, in denen der blonde Geheimniskrämer bereits eine Straftat begangen, auf seiner Couch übernachtet und unerlaubt Frühstück gemacht hatte. Das war keine gute Prognose für die folgenden Wochen, Monate oder gar Jahre. Allein der Gedanke, Fye könnte sich wirklich und wahrhaftig niederlassen und ihn mit seiner direkt-indirekten Art über Jahre in den Wahnsinn treiben, ließ Kurogane in kalten Schweiß ausbrechen. Doch noch war es nicht zu spät. Noch war genug Zeit den Vertrag zu zerreißen und ihn niemals in diese blassen Hände fallen zu lassen, die jetzt den Griff der heißen Pfanne umklammert hielten. Kurogane fragte sich, warum er diesem Wahnsinn hier nicht schon gestern ein Ende gesetzte hatte. „Ich habe mir übrigens schon die Freiheit herausgenommen, den Mietvertrag zu unterschreiben, den du netterweise vorbereitet hattest. Nur die Bankverbindung habe ich ausgelassen, da ich dich ja bar bezahle“, flötete Fye, während er Ei und Speck auf Kuroganes Teller lud. Irgendwo in Kurogane fiel ein Tor mit der Aufschrift 'Ruhiges Leben' zu und verschloss sich vermutlich für immer. „Warum warst du in meinem Arbeitszimmer?“,wollte Kurogane wissen, obwohl er die Antwort schon längst kannte. Bei der Bargeld-Sache fragte er schon gar nicht mehr nach. „Ich habe die Toilette gesucht und bin durch Zufall da gelandet. Dann dachte ich mir, wir sparen uns Zeit, wenn ich bereits alles in Ruhe durchlese und unterschreibe“,log Fye leichthin. Dass der Lulatsch vermutlich in seinen Sachen herumgeschnüffelt hatte, lag auf der Hand. Da es für diese Behauptung jedoch nur Kuroganes Instinkt und keine stichhaltigen Beweise gab, beließ der Schwarzhaarige es bei 'In Dubio Pro Reo' – sein Übermieter durfte weiterleben. Immerhin war das Essen gut. Denn was danach kam, brachte Kurogane auf die Beine wie das HB-Männchen kurz vor seiner erlösenden Zigarette. Grund dafür war Fyes Offenbarung seiner heutigen Pläne, die Kurogane – wie er bereits befürchtet hatte – involvierten. Allerdings bezogen sie den Größeren in einem derartigen Umfang ein, dass selbst er sich fragte, wann der Gipfel von Fyes Dreistigkeit erreicht war. „Wir tuen was?“,fragte Kurogane zum dritten Mal in Folge, sich noch immer in der leisen Hoffnung wiegend, er habe sich die Male davor gewaltig verhört. „Wir fahren ans andere Ende der Stadt, um mein Sofa abzuholen“, erklärte Fye ihm mit einer Engelsstimme und -geduld. „Warum ist es am anderen Ende der Stadt?“ - „Weil ich es gerade erst geschenkt bekommen habe.“ Für Kurogane passte diese Aussage etwa so gut zu seiner Frage wie ein Schnabeltier zu einer Dinnerparty. Vermutlich sprach sein verwirrter und an Fyes geistigem Zustand zweifelnder Gesichtsausdruck Bände, weswegen der Schmalhans nachsetzte:„Jemand verschenkt auf Ebay-Kleinanzeigen ein kleines Sofa. Ist das nicht großzügig? Und weil diese Person so nett ist, holen wir es natürlich ab.“ Spätestens jetzt fühlte Kurogane sich in einer Filmszene von 'Täglich grüßt das Murmeltier' gefangen: „Wir?“ - „Ja aber natürlich. Ich brauch' doch die großen, legendären Kuro-Arme... und ein Auto.“ Auf die drohende, pulsierende Ader auf Kuroganes Stirn hob Fye nur beschwichtigend die Hände und lächelte großzügig. „Wir können unterwegs natürlich beim Dönerladen halten. Und ich bezahle dir selbstverständlich das Benzin.“ Jegliche Beschimpfungen, die daraufhin aus Kuroganes Mund brachen, gingen in der sich überschlagenden Stimme und der Verfolgungsjagd durch die Wohnung unter. - „Du sagtest, es sein ein kleines Sofa“,sagte Kurogane in möglichst neutralem Tonfall und ohne auch nur einen Gesichtsmuskel zu verziehen. Dabei starrte er unentwegt gerade aus auf das gemeinte Sitzmöbel und ignorierte den grinsenden Vollidioten neben sich. Dieser verschränkte spielerisch die Arme und legte den Kopf schief, als ob er wirklich darüber nachdenken würde, ob seine Vorstellung von 'klein' allgemeingültig war. „Ist es doch auch. Klein, niedlich, in gutem Zustand und uuuuuunglaublich bequem!“,rechtfertigte er sich. Erneut wurde das arme Sofa einer scharfen Musterung Kuroganes unterzogen. „Es passt aber nicht ins Auto. Daher ist es zu groß“,entschied er fachmännisch und wandte sich zum Gehen um. Für ihn war die Sache geklärt. Das Sofa war zu groß, es würde also hier bleiben müssen. Mit oder ohne seinen neuen Besitzer. „Hey! Warte doch mal. Uns fällt bestimmt was ein“,stoppte ihn der Blonde und verstellte ihm mit seiner Steichholzstatur den Weg. Kurogane fing mit jeder Sekunde an zu kochen, die der Strich in der Landschaft nicht zur Seite trat. Sein selbstauferlegter Fluch in Form von Fye de Flourite hatte es schon geschafft, ihn überhaupt an diesen gottverlassenen Ort zu fahren. Allein das war ein Wunder, welches Kurogane noch nicht ganz zu begreifen wusste. Normalerweise war er willensstark wie ein Ziegenbock. Doch irgendwie hatte der Blonde es durch eine Mischung aus Dreistigkeit und Wortgewandtheit geschafft, Kurogane an eine Wand zu drängen, an der er schlussendlich eingeknickt war. Das würde ihm hier nicht passieren. „Das Sofa bleibt hier“,entschied er eisern und verschränkte nun auch die Arme vor der Brust. Allerdings wirkte es bei ihm eher wie die Geste eines bockigen Kindes, als wie die eines logisch denkenden Erwachsenen. Diese Schwäche erkannte Fye sofort und verringerte den Abstand zwischen ihnen. Jetzt konnte er den leichten Duft von Zitronenmelisse wahrnehmen, der von dem anderen Ausging. „Aber ich kann es doch nicht wieder zurückgeben, du hast doch gesehen, wie sehr sie sich gefreut haben, dass es einen neuen, liebenden Besitzer bekommt“, jammerte Fye und deutete einen Schmollmund an. Mit 'sie' meinte er selbstverständlich die Vorbesitzer ihres jetzigen Möbelproblems. Dabei handelte es sich um eine Wohngemeinschaft aus realitätsfernen Hippies, die anscheinend nach mehrmaligen Drohungen ihres Vermieters, eben jenes Sofa aus ihrem Vorgarten verbannen mussten. Folglich war der 'gute Zustand' des Sofas eine ernste Ansichtssache. Kurogane war sich sicher, dass dieses Ding einmal eine glanzvolle Zeit in einem gepflegten Wohnzimmer genossen hatte. Nur war eben jene Zeit etwa zwanzig Jahre, drei Brandlöcher und einige Grasflecken her. Kurogane vermutete, dass die Ausgangsfarbe der Couch einmal weiß gewesen war. „Dann schmeiß es auf den Müll, da gehört es eh hin. Auf jeden Fall kommt es nicht in das Auto und erst recht nicht in die Wohnung“, knurrte Kurogane und blickte Fye drohend an. Langsam hatte er die Grenzen seiner Beherrschung erreicht. Zu allem Übel schien Fye sich jetzt auch noch dazu entschieden zu haben, eine filmreife Szene hinzulegen. Japsend schlug er sich die Hände vor den Mund und starrte Kurogane mit derart entsetztem Blick an, dass dieser sich nicht mehr sicher war, ob es sich hier um ein Sofa oder Fyes Erstgeborenes handelte. „Wie kannst du nur die Gefühle des armen Mokona verletzten?! Siehst du nicht die Geschichten, die es zu erzählen hat? Die Erinnerungen, die in seinem Polster verwoben sind? Dieses Sofa hat mehr Wert als wir jemals aufbringen könnten!“ „Es ist ein namenloses Sofa“,erwiderte Kurogane unbeeindruckt und glaubte, Fye beinahe zum Weinen zu bringen. „Es ist ein Freund!“,rief dieser verzweifelt. Nun war sich Kurogane sicher, dass Fye sämtliche Sicherungen durchgebrannt waren. Sicherheitshalber erweiterte er wieder den Abstand zwischen ihm und dem verrückten Sofa-Liebhaber. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. „Ich brauche Kaffee.“,murmelte er, drehte sich um und ließ Fye, das Sofa und sein Auto stehen. Irgendwo musste es an diesem gottverlassenen Fleckchen voller Hirnakrobaten doch ein anständiges Café oder eine bereits geöffnete Bar geben. Die hinter ihm ertönenden Rufe des Verrückten ignorierte Kurogane gekonnt. Immerhin folgte er ihm nicht. - Im Nachhinein hätte Kurogane schon beim Weggehen Verdacht schöpfen müssen. Allein die Tatsache, dass Fye nachzugeben schien, indem er dem grummeligen Riesen nicht hinterher gerannt war, hätte Kurogane in Alarmbereitschaft setzen müssen. Letzterer Instinkt schien in den vergangenen Tagen jedoch den Geist aufgegeben zu haben, wenn man die Tatsache bedachte, dass dieses ganze Mietverhältnis auf zwielichtigen Informationen und Zahlungen basierte. Warum Fye sich nicht einfach wie jeder normale Mensch irgendwo ein Sofa kaufte und dieses bequem liefern ließ, war nur eine der vielen Fragen, die sich um den blonden Schönling rankten. Stattdessen kämpfte er mit allen Mitteln darum, dieses mottenzerfressene Vorkriegsmöbel in seine neu erworbene – und teuer bezahlte – Wohnung zu verfrachten. Zu eben jenem Gedanken wollte Kurogane Fye befragen, als er mit Kaffee bewaffnet zurück zu seinem Auto marschierte. Dass es dazu aber gar nicht erst kam, lag vor allem an dem Umstand, dass sich der Grund ihrer ganzen Odyssee jetzt nicht mehr im Vorgarten, sondern auf dem Dach seines Autos befand. Bei diesem entsetzlichen Anblick ließ der Besitzer des Personenkraftwagens beinahe seinen lebenswichtigen Kaffee fallen. Die eben noch gemütlichen Schritte beschleunigten ihr Tempo und rasten auf die lange Gestalt zu. Diese hatte ihren dürren, verräterischen Rücken der herannahenden Naturgewalt zugewandt, sodass sie heftig zusammenzuckte, als eine kräftige Bratpfannenhand den Streichholzarm umschloss und zu sich herumriss. Mit geübtem Griff, und ohne den Kaffee zu verschütten, bugsierte Kurogane Fyes Gesicht so nahe an das seine, dass er jede Wimper einzeln zählen konnte. „Was soll der Scheiß?!“, brüllte Kurogane den Blonden an, der sich nach der ersten Schrecksekunde jedoch wieder zu fangen schien. Die Panik verschwand aus den Augen und an ihrer Stelle bildeten sich perfekte Lachfältchen im Gesicht des anderen. „Ich habe unser Problem gelöst“, war die einfache Antwort, die Kurogane nur noch mehr in den Wahnsinn trieb. Er fing an, Fye heftig zu schütteln. Vielleicht würde dann mal eine vernünftige Erklärung aus dessen Mund purzeln. „Du hattest vollkommen recht – mein geliebtes 'Mokona' war viiiiel zu groß für dein kleines Auto. Daher dachte ich mir, dass ihr ein bisschen Fahrtwind nicht schaden würde. Die perfekte Lösung für unser kleines Platzproblem, nicht wahr? Und danach können wir es direkt in meine Wohnung tragen, ohne dass es deine mit seiner Präsenz beglücken muss. Genial, oder?“,erklärte Fye freudig. An diesem Punkt konnte Kurogane zwischen zwei Optionen wählen. Die Erste war ein mächtiger Wutanfall, gefolgt von einer körperlichen Auseinandersetzung, die vermutlich ein Polizeiaufgebot und eine Anzeige mitsichziehen würde. Die zweite Möglichkeit war die der stillen Kapitulation und das Eingeständnis einer Niederlage vor dem blonden Teufel. Nach mehrmaligem Überlegen siegte der rationale Teil seines Verstandes über den wütenden. Niemandem war geholfen, wenn er jetzt seinen neuen Mieter krankenhausreif schlug und wieder von vorn beginnen durfte. (Insbesondere nicht seinem Lebenslauf und Portmonee. Somit entschied Kurogane Suwa sich widerwillig für Option zwei und schwor sich, aus seinen Fehlern zu lernen. Ganz nach dem Credo seines Großvaters lebend, würde er die Niederlage einstecken und es nie wieder soweit kommen lassen. Es würde das letzte Mal sein, dass er sich von seinem Untermieter in eine derartige Bredouille bringen ließ.Wenigstens hatte die blonde Manie daran gedacht, dass Sofa halbwegs auf dem Dach festzuschnallen, dachte Kurogane resigniert, als er einstieg und einfach nur betete, dass dieser Alptraum bald ein Ende haben würde. Er startete den Motor, legte den Gang ein und fuhr langsamer an, als er es in seiner ersten Fahrstunde getan hatte. Für einen kurzen Moment bildete er sich ein, das Sofa auf seinem Dach würde bedrohlich wackeln, doch Fye hatte bereits das Fenster heruntergekurbelt und stabilisierte das Möbelstück mit der rechten Hand. Mit der anderen fummelte er am Radio herum und verstellte munter Kuroganes Musiksender. Mit dreißig Kilometer pro Stunde tuckerten sie durch die kaputten Straßen der Stadt, wobei Kurogane es vermied näher ins Zentrum zu fahren. Lieber nahm er einen größeren Umweg in Kauf, als irgendwo auf eine Streife zu treffen, die ihnen ein saftiges Bußgeld aufdrücken würde. Im Radio dudelte ein nerviger Popsong nach dem nächsten und Fye sang kräftig mit. Man würde meinen, der Schönling hätte eine engelsgleiche Stimme oder würde mit melodischem Summen der Melodie folgen, doch wie so oft trog der Schein. Statt Sirenengesängen bekam Kurogane die volle Ladung schiefer Töne und falsch gesungener Liedpassagen in sein rechtes Ohr gedrückt und wäre beinahe freiwillig gegen einen Baum gefahren. Auf eine geknurrte Bitte hin, dass der Sofa-Freund neben ihm die Klappe halten sollte, sang dieser nur noch lauter und schiefer und gab vor, Kuroganes Gemecker gar nicht zu hören. Nach weiteren zehn Minuten der akustischen Folter nahm Kurogane endlich wieder die Radio-Macht an sich. Während er mit der einen Hand das Lenkrad festhielt, hämmerte er mit der anderen ungeduldig auf den Radioknopf ein. Das arme Funkgerät, das bereits einige Jahre des guten Dienstes auf seinem Rücken trug, kam schwerfällig der Bitte nach und wechselte von Radio-Interview auf klassisches Konzert, bis hin zu einem unbekannteren Sender, der keine Hits rauf und runter dudelte. Zufrieden seufzte der Fahrer und schlug seinem Nebenmann auf die Finger, als dieser sich gegen das Radio-Dekret erheben wollte. Irgendwann entspannte sich der Popsong-Foltermeister jedoch auch und ließ sich von den dahinplätschernden Gitarrenklängen berieseln und Kurogane konnte sich wieder voll und ganz auf die Straße konzentrieren. Mittlerweile war der Asphalt wieder soweit intakt, dass er sich sogar eine Geschwindigkeit von fünfzig Kilometer pro Stunde zutraute. Das Sofa blieb, wo es war. Das nächste Lied, was das Radio von sich gab, war ebenso ruhig wie seine Vorgänger, wurde zu Kuroganes großer Freude aber von einer dunklen, säuselnden Männerstimme begleitet. Eben jene Stimme sang in angenehmen Tonfall von einem lebenden Toten, einem Fehler und einem Urteil. Während Kurogane endlich entspannt mit dem Finger zum Takt auf das Lenkrad schlug, versteifte sich der Körper neben ihm mit jeder Zeile. Zu gerne hätte Kurogane seinen Beifahrer prüfend angeschaut, um festzustellen, was genau diese Reaktion ausgelöst hatte. Da er jedoch ein pflichtbewusster Fahrer war, hielt er seine Augen auf die Straße gerichtet. Die lockere Atmosphäre verschwand und an ihre Stelle trat eine Stille, die nur von dem Lied des singenden und laufenden Toten begleitet wurde. Kurogane wurde mehr als nur unangenehm in seiner Haut und so drückte er auf das Gaspedal, um die letzten drei Straßen bis zu ihrem Haus so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Er war sich nicht sicher, ob Fye etwas gesehen hatte oder ob es an dem Lied lag, dass sich dessen Stimmung so schlagartig verändert hatte. Kurogane konnte noch nicht einmal sagen, ob der Blonde es überhaupt mitbekam, dass er jede Muskelfaser angespannt hatte. Die Unwissenheit nicht mehr aushaltend, drehte Kurogane den Kopf zu Fye herum, um das Gesicht des anderen zu studieren. Was er dort sah, überraschte und schockierte ihn zugleich. Die Augen, die sonst so kontrolliert und undurchlässig waren, wirkten dunkler und bedrohlicher, als er es jemals für möglich gehalten hatte. Der Kiefer war angespannt und stach deutlich unter der bleichen Haut des anderen hervor. Fye blickte Stur geradeaus und schien mit sich und irgendetwas zu kämpfen, was Kurogane nicht benennen konnte. Dann drehten sich der verkrampfte Kiefer und die tiefen Augen zu ihm herum und es kehrte wieder Normalität ein. Fye erkannte die Lücke in seiner Deckung und schloss sie so schnell, dass Kurogane im Nachhinein nicht mehr wusste, ob er sich das alles nur eingebildet hatte. In Sekundenschnelle war die blaue Phototapete wieder an ihrem Platz und das Zahnarztlächeln zog sich in die Breite. „Was ist?“, fragte Fye betont fröhlich und gelassen. Kurogane schüttelte den Kopf, richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße - und legte eine Vollbremsung hin. Mit weit aufgerissenen Augen, einem „Oh, Scheiße!“, auf den Lippen und einem schnellen Fuß auf der Bremse, brachte er das Auto in Sekunden und mit quietschenden Reifen zum Stehen. Gerade rechtzeitig, um der schwarzen Katze, die jetzt mächtig Fersengeld gab, nicht in einen Pfannkuchen zu verwandeln. Auf der einen Seite schien Fortuna gnädig mit Kuroganes Unaufmerksamkeit gewesen zu sein, da niemand hinter ihm gefahren war und somit einen Auffahrunfall verursacht hätte können. Auf der anderen Seite schien sie ihm eine Sekunde später den Mittelfinger zu zeigen, da das angeblich gesicherte Sofa wie einen Kanonenkugel vom Dach schoss. Es hatte gerade noch genug Schwung, um Kurogane nicht auf die Motorhaube zu brettern. Stattdessen setzte es kurz dahinter auf und verlor mit einem ohrenbetäubenden Krachen das rechte Vorder- und Hinterbein. In Schieflage schlitterte es noch wenige Meter über den Asphalt, ehe es wieder zum Stehen kam. Kurogane und Fye starrten mit aufgerissenen Augen das Sofa an, während die Katze schon hinter der nächsten Hausecke verschwunden war. Der Gestank von verbranntem Gummi breitete sich in der Fahrerkabine aus. Im Radio wurde der Klaviercover eines Popsongs gespielt. „Das war knapp. Wir sind echte Glückspilze heute“, stellte Fye vergnügt fest und provozierte einen erneuten Wutanfall seitens Kurogane. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)