Bedrohte Bestimmung von Varlet ================================================================================ Kapitel 10: Rückblende: Begegnung mit Nick Marone ------------------------------------------------- Als Jodie am frühen Morgen ihre kleine Wohnung in New York verließ, hoffte sie auf einen ruhigen Arbeitstag. Aber was hieß schon ruhig? Sie arbeitete bereits seit zwei Monaten in der FBI Niederlassung in New York und hatte nur eine Woche Welpenschutz genießen dürfen. Danach wurde voller Einsatz von ihren Kollegen erwartet – egal wie. Und jetzt stand Halloween vor der Tür. Jodie hatte diesen Feiertag schon immer gemacht. Als Kind liebte sie die vielen Verkleidungen und sie selbst war schon als alles Mögliche nach draußen gegangen: Prinzessin, Fee, Drache, Lamm, Vampir und und und. Jodie lächelte bei dem Gedanken an die Vergangenheit. Ihr Vater nahm sich jedes Jahr den Abend frei und ging mit Jodie durch die Straßen um nach Süßem oder Saurem zu fragen. Und auch wenn sie während ihrer Schulzeit keine Freunde hatte, hielt sie an dieser Tradition in ähnlicher Form fest. Sobald es dunkel wurde, zog sie ihr Kostüm an und ging raus. Hatte sie genug Schminke aufgetragen, sodass man sie gar nicht mehr erkannte, besuchte sie auch die ein oder andere Party ihrer Klassenkameraden…und verschwand wenige Minuten später wieder. Das Niveau sank weiter, als Jodie zu ihrer ersten Halloween-College-Party von Shu mitgenommen wurde. Danach besuchte sie keine mehr. Zum Glück blieb das FBI von solchen Feiertagen größtenteils unberührt. Eine Kostümpflicht an Halloween wie bei ihrer letzten Stelle herrschte glücklicherweise nicht. An sich hatte Jodie nichts dagegen, aber bereits am Morgen verkleidet rumsitzen, an Meetings teilnehmen, mit Fremden oder Besuchern sprechen und rausgehen, war zu viel des Guten. Und wie sollten die Bürger New Yorks sie ernst nehmen, wenn sie an jenem Tag als alle möglichen Gestalten rumliefen? Trotzdem stellte sie sich die Frage, wie manche ihrer FBI Kollegen mit einer Kostümpflicht umgegangen wären – gerade dann, wenn sie im Sommer und Winter immer nur ein langes weißes Hemd, eine schwarze Hose und ein passendes Jackett trugen. Wenn Jodie an den Abend dachte, bekam sie ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Wie jedes Jahr lud das FBI zu einem kleinen Umtrunk ein. Wie sollte sie sich verhalten, wenn sie Shuichi über den Weg lief? Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie sich in den letzten zwei Monaten noch nicht begegnet waren. Sie waren zwar im gleichen Gebäude tätig, hatte aber ihre Büros in unterschiedlichen Etagen. Von ihrem Vater wusste sie, dass sie die Etage über ihrem Büro meiden sollte. Dabei nahm sich Jodie dauernd vor, einfach nur kurz Hallo zu sagen. Aber noch immer war sie nicht dazu bereit. Was wenn er eine Erklärung für den Morgen nach der Hochzeit wollte? Jodie dacht noch oft an die Nacht zurück und ließ in ihrem Kopf verschiedene Szenarien laufen. Jedes Szenario zeigte wie es weitergegangen wäre, wenn sie blieb und sie Stunden später zusammen aufgewacht wären. Aber es endete immer mit einer schmerzhaften Trennung – schmerzhaft für sie. Jodie seufzte, aber die Arbeit würde sie ablenken. Da viele Amerikaner Halloween und seine Bräuche viel zu ernst nahmen, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei das FBI zur Verstärkung rief. Halloween war vielen nicht nur als Nacht der Geister und Verkleidungen bekannt, es war der Tag der Partys, der Irren und Verrückten. Eine Unterscheidung zwischen gut und böse, nett und schlecht, war einfach nicht mehr möglich. Auf ihrem Weg beobachtete Jodie die Passanten. Einige trugen bereits ihre Kostüme, doch es hielt sich noch in Grenzen. „Das kann ja heiter werden“, murmelte sie zu sich selbst. Halloween war neben Silvester der Tag mit der höchsten Kriminalitätsrate. Viel zu viele Menschen tummelten sich auf einem Platz und nahmen keine Rücksicht auf den anderen. Die Gefahr mit einer Bombe die Masse auszulöschen, war enorm. In Kombination mit Alkohol wurden die Menschen nicht nur locker sondern auch brutal, schlugen aufeinander ein oder überfielen einen Fremden. Einfach aus Spaß. Vor allem für Frauen waren solche Tage kaum zumutbar. Man musste immer auf der Hut sein, sein Glas beobachten und Fremden misstrauen. Leider taten viele genau das Gegenteil und mussten anschließend mit den Konsequenzen leben. Schulen, öffentliche Einrichtungen, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes warnten jedes Jahr vor diesen speziellen Feiertagen und trotzdem hörte man am Tag danach in den Nachrichten von den verheerenden Folgen. Sobald Jodie das Gebäude betrat, reihte sie sich in die Schlange der Agenten ein. Es war normal, dass Besucher und Agenten durchleuchtet wurden. Als Jodie an der Reihe war, zog sie ihre Jacke aus und legte diese zusammen mit ihrer Tasche in eine kleine Transportbox. Während sie im Dienst war, verzichtete Jodie auf Schmuck. Lange Ohrringe und Ketten waren immer ein Sicherheitsrisiko, wenn ein Täter diese zu fassen bekam. Ringe konnten unter Umständen auf die private Situation hindeuten und einen Hinweis auf Verletzlichkeit geben. Der Sicherheitsmann betätigte einen Knopf vor sich und die Box rollte in den Scanner. „Okay, Agent Starling, Sie können jetzt durchgehen.“ Jodie nickte. Sie war froh, dass man sie nicht mit einem Spitznamen wie Starling junior, mini Starling, kleine Starling betitelte, um sie und ihren Vater auseinander zu halten. Andererseits führte es auch zu Verwirrung, wenn sie mit ihrem Vater im Raum war und einer von beiden angesprochen wurde. Da ihr Vater der Dienstälteste war – und in den meisten Fällen auch der Angesprochene– achtete Jodie darauf, dass er als erstes das Wort ergriff. Ihr Vater ging ebenfalls respektvoll mit ihr um und wartete bis die Agenten definierten, wen sie meinten. „Danke“, sagte Jodie und betrat den Metalldetektor. Sie streckte die Arme aus und spreizte die Beine, während das Gerät eine Aufnahme machte. Der Sicherheitsmann sah auf den Bildschirm. „In Ordnung, Sie können durch.“ „Danke“, sagte Jodie erneut und nahm ihre Jacke aus der Box. Mittlerweile hatte sie sich an die ständigen Kontrollen gewöhnt und ihren Sinn auch nie in Frage gestellt. Allerdings waren auch diese Kontrollen ein Grund dafür, warum die Agenten ihre Räumlichkeiten nur selten verlassen wollten. Jodie schmunzelte. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Erst die Bestätigung, dass sie im Ausbildungslager in Quantico aufgenommen wurde und dann die Bestätigung für die Niederlassung in New York. Seit zwei Monaten konnte sie sich endlich FBI Special Agent nennen. An ihrem ersten Arbeitstag war sie nervös und aufgekratzt zugleich. Glücklicherweise waren die neuen Kollegen nett und freundlich. Keiner ging davon aus, dass sie die Stelle nur wegen der familiären Beziehung bekam. Und ihr Partner? Sie hätte keinen besseren bekommen können – außer ihren Vater. Special Agent Kai Grayson würde sie in ihrer 20-monatigen Probezeit nicht aus den Augen lassen. Er war erfahren und vertrauenswürdig, zudem hatte er bereits mehrere Anfänger während ihrer Probezeit begleitet und wusste genau was auf ihn zu kam. Momentan arbeitete sie nur ihrem Partner zu, damit er seine Fälle abschließen konnte und für neue Aufgaben wieder offen war. Jodie war schon ganz heiß darauf, denn es würde auch bedeuten, dass sie ihren ersten großen Fall bekommen würde. „Schönen Tag noch, Agent Starling“, gab der Sicherheitsmann von sich und holte Jodie aus ihren Gedanken. „Äh…ja Ihnen auch“, antwortete sie. „Tschuldigung?“ Der Sicherheitsmann ging auf den Fremden zu und beobachtete diesen skeptisch. Sein Blick blieb schließlich bei den vielen Unterlagen in der Hand des Fremden hängen. „Sir, dürfte ich Sie um Ihren Ausweis bitten?“ „Ich brauche einen Agenten. Sie müssen mich zu einem Agenten bringen.“ Der Sicherheitsmann räusperte sich. „Sir! Ihren Ausweis!“ „Äh…ja…natürlich…“, gab Marone von sich. Er öffnete seine Jacke und griff in die Innentasche. Bei dem Versuch seine Geldbörse herauszuholen, fielen einige Blätter zu Boden. „Oh nein!“, stieß er aus und kniete sich sofort hin. „Sir! Bitte, der Ausweis.“ Nick sortierte die Blätter hektisch in die Unterlagen ein. „Ja, ich hab ihn gleich.“ Mit zittriger Hand holte er seine Geldbörse und anschließend seinen Ausweis heraus. „Hier, da ist er.“ „Danke.“ Der Sicherheitsmann nahm den Ausweis und ging an seinen Computer. Dort tippte er die Nummer des Ausweises sowie den darauf stehenden Namen in das Suchfeld ein. „Zu wem wollen Sie?“ „Vollkommen egal. Ich nehm den nächsten freien Agenten.“ Er seufzte. „Sir, ich bin Sicherheitsmann, kein Sekretär. Wenn Sie keinen Termin haben, muss ich Sie oben anmelden und Sie warten auf einen Agenten.“ „Kein Problem. Heute ist mein freier Tag. Ich habe alle Zeit der Welt.“ Der Sicherheitsmann seufzte erneut. Hilfesuchend sah er sich um und er hatte Glück. Jodie hatte die Begegnung mit Nick Marone beobachtet. „Sie haben nicht zufällig etwas Zeit?“ Jodie sah zu dem fremden Mann. „Prüfen Sie ihn in Ruhe und ich nehm ihn gleich mit nach oben.“ „Danke. Sie werden es nicht bereuen“, gab Nick von sich. Jodie nickte und zog ihr Handy aus der Handtasche. Besucher in 15 Minuten im Büro. Jodie, informierte sie ihren Partner. Zusätzlich zur Kontrolle die Jodie durchlief, wurde Nick mit einem Hand-Metalldetektor gescannt und einer Körperkontrolle unterzogen. „Gut, Sie können ihn mitnehmen.“ Nick sah zu Jodie. „Nochmal Danke. Vielen Dank. Ich muss unbedingt mit einem Special Agent reden. Es geht um meinen Boss. Er-“ „Nur die Ruhe“, unterbrach ihn Jodie. „Wir gehen erst einmal nach oben in mein Büro und treffen dort meinen Partner. Oben können Sie uns dann die ganze Geschichte erzählen.“ „Ja, natürlich. Entschuldigung, ich bin doch noch etwas Nervös“, antwortete er und folgte Jodie in die dritte Etage. Jodie öffnete die Tür und ging rein. „Guten Morgen“, fing sie an. „Da sind wir.“ Grayson nickte. Dann stand er auf und reichte Nick die Hand. „Guten Morgen. Ich hab schon gehört, dass Sie kommen würden, Mr.?“ „Marone. Nick Marone.“ „Willkommen bei uns, Mr. Marone“, sagte Grayson. „Ich bin Special Agent Grayson, neben Ihnen steht Special Agent Starling. Bitte, setzen Sie sich.“ „Danke.“ Nick nahm Platz und Jodie setzte sich an ihren Schreibtisch. „Was führt Sie zu uns, Mr. Marone?“ Nick legte die Zettel auf den Tisch. „Ich arbeite für die Firma CMP - Cane Med Pharma . Wir sind ein Pharmaunternehmen und beliefern sowohl Drogerien als auch Apotheken mit Arzneimitteln und Medizinprodukten. Ich selbst arbeite dort im IT-Bereich und habe dementsprechend auch im Anschluss an den Feierabend Zugang zu den Räumlichkeiten. Bei einem Sicherheitsbackup fielen mir ein paar Ungereimtheiten auf. Ich habe ihnen zunächst keine große Aufmerksamkeit geschenkt, aber ein paar Sachen ließen mir einfach keine Ruhe. Ich weiß, ich sollte meinem Boss vertrauen und ihm nicht nach spionieren, aber die Sache kam mir so suspekt vor.“ „Was genau meinen Sie?“, wollte Grayson wissen und tippte ein paar Stichwörter mit. „Nun ja“, fing Nick an. „Wir haben quartalsweise Meetings in denen unter Anderem die momentanen Verkaufszahlen vorgestellt werden. Unser Chef geht sehr offen mit uns um. Auch wenn ich in der IT-Abteilung arbeite, bin ich bei den Meetings eingeladen und höre sie mir auch gerne an. Einfach um das große Ganze zu sehen. Die Zahlen sind auch immer gut, aber beim letzten Backup hatten sie eine ganz andere Dimension. Also hab ich mir die täglich archivierten Zahlen aus dem Markt angesehen. Das Ergebnis passt vorne und hinten nicht. Deswegen habe ich mir noch ein paar Mails angesehen.“ „Okay, einen Moment“, unterbrach ihn Grayson. „An dieser Stelle muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie nichts sagen müssen, was Sie selbst belastet.“ „Bitte?“ Nick sah ihn fragend an. „Oh, nein, ich habe mich in keine Accounts gehackt. Wir in der IT haben auf jedes E-Mail Postfach Zugriff. Das ist allen Mitarbeitern bekannt.“ „Verstehe. Wurden Sie fündig?“ „Das kann man so sagen.“ Nick schob dem Agenten die Ausdrucke hin. „Ich glaube, mein Boss betreibt Geldwäsche. Ich kann nicht zur Polizei gehen, weil er dort Bekannte hat. Deswegen müssen Sie mir helfen.“ Grayson sah auf Nick. „Mr. Marone, ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nichts versprechen. Wir werden Ihr Anliegen mit unserem Vorgesetzten eruieren und uns bei Ihnen melden.“ Nick schluckte. „Sie tun nichts weiter?“ „Wir können jetzt nichts überstürzen. Wir werden Ihrem Verdacht nachgehen und uns etwas Überlegen. In der Zwischenzeit dürfen Sie nichts tun, was die möglichen Ermittlungen gefährdet. Verhalten Sie sich wie immer und gehen zur Arbeit. Machen Sie Ihre Aufgaben und egal was passiert, sprechen Sie weder Ihren Boss noch Ihre Kollegen darauf an. Ich weiß, so etwas ist leicht gesagt, aber Sie müssen jetzt wirklich die Füße still halten. Wir werden uns zeitnah bei Ihnen melden.“ Grayson schob ihm ein Blatt Papier zu. „Bitte schreiben Sie Ihre Kontaktdaten auf.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)