Bedrohte Bestimmung von Varlet ================================================================================ Kapitel 22: Auf der Suche ------------------------- Richard saß in seinem Arbeitszimmer und hatte seinen Kopf nach unten gesenkt. Mit den beiden Zeigefingern massierte er seine Schläfen - Kreise im Uhrzeigersinn, dann Kreise gegen den Uhrzeigersinn. Er seufzte. Cane schloss seine Augen. Die Katastrophe hatte seinen Lauf genommen und alles wegen einem dummen Fehler. Nachdem er sämtliche Mitarbeiter der Firma über die aktuelle Lage aufklärte und eine Art bezahlten Zwangsurlaub vollstreckte, versuchte er selbst ein wenig zu arbeiten und die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Cane hatte nicht mit seiner eigenen Neugier gerechnet. Gefühlt prüfte er alle fünf Minuten die neusten Einträge im Internet. Wie erwartetet stürzten sich viele Reporter, Freiberufler und Hobby-Blogger auf die Ereignisse und hauten ordentlich in die Tasten. Das Internet konnte sich vor Spekulationen nicht mehr retten. Es wurden alte Geschehnisse, Feierlichkeiten und Artikel wieder hervorgeholt und alles in Frage gestellt. Eine Fraktion hielt den Geschäftsführer und die gesamte Firma für den Auslöser des Übels, die anderen hatten nur Mitleid mit ihnen und den Familien der Opfer. Richard hatte jeden dieser Artikel und die Kommentare darunter mit Bedacht gelesen und malte sich verschiedene weiterführende Szenarien aus. Sie alle würden zum Ende der Firma führen und unschuldigen Mitarbeitern den Arbeitsplatz nehmen. Aber nicht nur das: Er würde alleine da stehen – keine Firma, kein Geld, kein Haus, keine Frau mehr. Das totale worst-case-Szenario. Und dann war da noch das Telefon. In jeder freien Sekunde klingelte es. Anfänglich war er noch rangegangen, aber jetzt ließen die Reporter – die weder seine Handy noch seine private Nummer haben dürften – Kunden und Investoren nicht locker. Die Letzteren zu beschwichtigen, gestaltete sich zunehmend schwerer. Sie wollten weder Ausreden noch Entschuldigungen hören. Nur die Wahrheit war ihnen wichtig, aber was sollte er sagen? Ja, er wollte Marone und Saintemillion los werden, dachte dabei aber an Bestechung und nicht an Mord. Aber dann müsste er sie über die Geldwäsche und Korruption aufklären und würde alles nur noch viel schlimmer machen. Und Schweigen? Schweigen würden viele als Schuldeingeständnis werten. Es war also egal für was er sich entschied. Er würde nicht mehr heil aus der Sache herauskommen. Richard schüttelte den Kopf. Er durfte nicht so negativ denken und sollte nicht immer vom Schlimmsten ausgehen. Nur ein Sündenbock konnte ihn jetzt noch retten. Wenn das FBI einer falschen Spur nachging, würden sie früher oder später auch einen falschen Täter dingfest machen. Sein Geschäftspartner kümmerte sich sicherlich schon darum. Immerhin waren auch seine eigenen Geschäfte in Gefahr. Als es an der Tür klopfte, sah Cane hoch. „Herein“, rief er und seine Frau Emily betrat das Zimmer. Richard musterte sie und als sein Blick am Tablett mit der Kanne Tee und der Zuckerdose fiel, lächelte er. In den schweren Stunden seines Lebens war sie es, die ihm Halt gab. „Ich dachte, du möchtest vielleicht einen Tee zur Beruhigung“, sagte sie. „Danke, Emily“, antwortete der Geschäftsmann. „Was würde ich nur ohne dich machen?“ „Das möchtest du nicht wissen, mein Lieber.“ Emily kicherte und ging an seinen Schreibtisch. Sie stellte die Teekanne, die Tasse und die Zuckerdose ab. „Vorsicht, er ist noch heiß“, fügte sie an und schenkte den Tee in die Tasse ein. „Ist alles in Ordnung?“ „Ich hab nur etwas Kopfschmerzen.“ „Soll ich dir eine Tablette bringen?“, wollte Emily wissen. „Ist nicht nötig“, entgegnete Richard. „Ich brauch nur eine Pause von dem Ganzen hier?“ „Ist es so schlimm?“ Cane nickte. „Die Telefone stehen kaum noch still. Ich weiß gar nicht woher die Reporter die Nummern haben.“ „Kannst du die Telefone nicht einfach auf stumm stellen?“ „Leider nicht.“ Cane seufzte. „Wenn nicht gerade ein Reporter in der Leitung ist, ist es ein Kunde oder ein Investor. Jeder will von mir eine Erklärung haben. Dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, ist ihnen egal. Das Schlimmste ist aber, dass sie damit drohen, die Firma nicht mehr zu unterstützen.“ „Oh nein“, gab Emily bestürzt von sich. „Was hast du jetzt vor?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete Richard. „Wir müssen so schnell wie möglich ein Statement rausschicken, aber…ich glaube es wird bei einigen Kunden und Investoren besser sein, wenn ich ein direktes Treffen ausmache.“ „Dann mach das doch. Fahr zu ihnen. Beschwichtige sie und überzeug sie von deiner Unschuld.“ Cane schüttelte den Kopf. „Das ist nicht so einfach. Ich müsste unter anderem nach Canada fliegen. Und ich glaube nicht, dass ich während der laufenden Ermittlungen das Land verlassen sollte. Es könnte so aussehen, als wollte ich untertauchen.“ Emily überlegte. „Sprich doch mit Dr. Maddock. Als unser Anwalt kann er dir bestimmt helfen. Vielleicht legt er bei den Ermittlungsbehörden ein gutes Wort für dich ein.“ „Mhm…“, murmelte Richard nachdenklich. „Das könnte ich machen…“ „Überleg es dir, Liebling, wenn die Lage so ernst ist wie du sagst, musst du versuchen jeden Kunden und Investor zu halten.“ Emily stellte sich hinter ihren Mann und legte ihre Arme um ihn. „Wir schaffen das schon.“ „Du hast ja Recht.“ Richard lächelte. „Ich ruf ihn an.“ Shuichi kam der Leiche von Cort Beckster näher und kniete sich hin. Der Mann war nun keine Gefahr mehr. Und auch wenn er es nicht zugab – und Grayson richtig gehandelt hatte - ärgerte er sich über diesen Ausgang. „Agent Newman“, begann Laura. „Geht es Ihnen gut?“ Der junge Agent nickte. „Es tut mir leid.“ „Gehen Sie auf die Krankenstation und lassen sich durchchecken.“ „Ich möchte gerne helfen und meinen Fehler von eben wieder gut machen.“ Laura schüttelte den Kopf. „Es war kein Fehler. Und Sie helfen uns am meisten, wenn Sie auf die Krankenstation gehen.“ Agent Newman seufzte leise. „Natürlich, Agent McKnight.“ Newman sah noch einmal auf seinen Peiniger, ehe er den Flur verließ. Akai drehte Beckster auf den Rücken und durchsuchte sämtliche Innen- als auch Außentaschen seiner Kleidungsstücke. „Keine Brieftasche oder Notiz.“ „Verflucht“, murmelte Laura. „Ich kümmer mich um die Abfrage beim Meldeamt.“ „Lass das einen anderen Agenten machen“, kam es sofort von Grayson. Er sicherte seine Waffe und steckte sie zurück in sein Schulterholster. „Aber…“ „Grayson hat Recht“, fing Akai an. „Ich glaube nicht, dass wir so einfach die Adresse herausfinden werden. Entweder er lebt bei einem Partner, einen unschuldigen Dritten oder hat sich unter einem falschen Namen eine Wohnung angemietet. Wir fahren zusammen zum Krankenhaus und suchen seinen Wagen. Glücklicherweise…“ Shuichi schmunzelte. „…haben wir seinen Wagenschlüssel.“ Er sah wieder zu Grayson. „Wenn Sie die Überwachungsbänder von CMP prüfen, achten Sie auf einen Jaguar. Ich gehe allerdings davon aus, dass das Kennzeichen gestohlen wurde.“ Grayson nickte. „Ich kümmer mich darum. Und ich verständige den Gerichtsmediziner und die Spurensicherung über die Leiche.“ „Danke.“ Laura verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum hat er seinen Wagenschlüssel so offensichtlich deponiert?“ „Ein Rettungsanker falls er doch geschnappt wird. Wenn er fliehen muss, hat er keine Zeit den Schlüssel aus einem anderen Raum oder aus anderen Kleidungsstücken zu holen. Was mich viel eher wundert, warum wurde der Schlüssel bei der Leibesvisitation nicht gefunden?“ „Ich nehme an, dass unsere Leute den Fokus auf Waffen gelegt haben“, antwortete sie. „Und da man auf den Schlüssel nur draufdrücken muss, kann er nicht als Waffe verwendet werden. Die meisten von uns sind seit über 24 Stunden auf den Beinen und hatten keine Möglichkeit ein paar Stunden zu schlafen.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Sowas sollte trotzdem nicht passieren.“ „Da hast du Recht, aber darüber sollten wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Seine Leiche wird gleich weggebracht und wir müssen los.“ Laura setzte sich in Bewegung. „Vielleicht haben wir Glück und er steht doch auf dem Krankenhausparkplatz. Mit dem Schlüssel finden wir ihn schneller.“ Akai folgte ihr nachdenklich. „Wenn ich er wäre, würde ich nicht auf dem Krankenhausparkplatz parken. Andererseits muss er für den Plan, Jodie zu erledigen, nicht viel Zeit gehabt haben. Gerade bei solch kurzfristigen Angelegenheiten sind Fehler oftmals nicht wegzudenken. Außerdem macht es mich skeptisch, dass er den passenden Moment gefunden hat, wo Jodie alleine im Zimmer war. Ihre Eltern haben sich im Zimmer abgewechselt, aber er schafft es sie zu überfallen, wenn ihr Vater im Büro ist und ihre Mutter kurz zum Duschen nach Hause fuhr.“ „Das heißt…“, murmelte Laura. „…er könnte doch auf dem Parkplatz gestanden haben.“ Laura kam am Wagen an und stieg ein. „Nicht unbedingt. Er kann schon als anderer Pfleger in ihrem Zimmer gewesen sein…oder ein Abhörgerät versteckt haben.“ Sofort startete Shuichi den Motor und fuhr in Richtung des Krankenhauses. „Wir sollten nachher auch noch mit der Spurensicherung reden, die sich Jodies Zimmer vornahm.“ „In Ordnung.“ Nachdem sie auf dem Krankenhausparkplatz ankamen, stieg Akai aus und drückte auf den Knopf am Schlüssel. Keines der geparkten Autos gab einen Ton von sich oder ließ die Lichter aufleuchten. „Hätte klappen können…“, kam es leise von Laura. „Schauen wir uns in den Seitenstraßen um“, entgegnete er. Laura nickte und zog ihr Handy heraus. „Grayson hat uns eine Nachricht geschickt“, fing sie an. „Die Überwachungsbänder zeigten in der Nähe von CMP einen roten und einen blauen Jaguar.“ „Besser als nichts“, gab Akai von sich und ging vom Parkplatz runter. „Ich hab auf dem Weg hierher weitere Agenten zur Suche abstellen lassen. Sie werden sich die Straße im Umkreis von fünf Kilometer vornehmen, so wie du vorgeschlagen hast.“ Shuichi nickte und ging weiter. Erst als sie drei Seitenstraßen hinter sich brachten, leuchteten die Lichter eines Wagens auf. „Da.“ Shuichi trabte zu dem Auto. Es war ein blauer Jaguar. Dennoch zögerte er. „Was ist?“, wollte Laura wissen. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Wagen gefahrlos öffnen können.“ „Du glaubst…?“ Akai nickte. „Wir wissen, dass Beckster immer für eine Überraschung gut ist und können keine Bombe am Wagen ausschließen.“ Er zog sein Handy hervor. „Lassen wir es zur Sicherheit prüfen.“ Ungeduldig warteten die Agenten abseits der Straße. Neben der Spurensicherung befand sich auch der Leiter des Bombenentschärfungskommandos am Wagen. „Akai?“ „Mhm?“ Der Agent sah Laura an. „Was ist?“ „Das wollte ich dich gerade fragen. Ist alles in Ordnung?“ Er nickte. „Starling hat sich gemeldet. Die Operation ist vorbei und Jodie ist wieder in ihrem Zimmer. Sie warten darauf, dass sie aufwacht. In der Zwischenzeit hat er mit einem Kollegen aus der Spurensicherung gesprochen. In einem der Blumensträuße für Jodie befand sich eine Wanze.“ „Willst du lieber zu ihr fahren?“, wollte die Agentin wissen. „Wir müssen erst herausfinden, ob Cane wirklich Jodies Tod will. Neben ihrem Vater sind noch zwei weitere Agenten im Krankenhaus. Dort ist sie erst einmal in Sicherheit.“ „Das war kein Nein“, kam es dann von Laura. „Aber ich kann dich gut verstehen.“ „Agent Akai, Agent McKnight.“ Die beiden Agenten blickten auf den Leiter des Bombenentschärfungskommandos. „Wie sieht es aus?“ „Sie hatten Recht“, fing der Mann an. „Wir haben eine Bombe an der Unterseite des Wagens gefunden.“ Shuichi verengte die Augen. „Wie ist der aktuelle Stand?“ „Die Bombe besaß ein Tastenfeld zur Deaktivierung. Daher gehen wir davon aus, dass Beckster sie selbst angebracht hat. Die Bombe wäre bei jeder noch so kleinen Bewegung hochgegangen. Wenn Sie sich beim Durchsuchen des Wagens auf den Fahrersitz gesetzt hätten, wäre dies schon ausreichend gewesen.“ „Verstehe“, murmelte Akai. „Wir können den Wagen jetzt durchsuchen?“ „Ja, Sir. Ihre Spurensicherung wartet auf weitere Anweisungen.“ Shuichi sah zu Laura. „Dann wollen wir mal. Hast du Handschuhe dabei?“ Die Agentin nickte und zog ein Paar heraus. „Dann wollen wir mal“, sagte sie leise, zog die Handschuhe über und ging auf den Wagen zu. Zusammen durchsuchten sie sowohl das Innere als auch das Äußere des Wagens. „Hast du was gefunden?“, wollte Laura wissen. „Nein.“ Er ging wieder zum Kofferraum und sah in diesen. „Hast du ein Messer?“ „Moment.“ Laura ging zu einem Kollegen der Spurensicherung und ließ sich ein Messer aushändigen. Nachdenklich beobachtete sie ihren Partner und reichte ihm das Messer. „Was hast du vor?“ „Ich schau mir das Innenleben genauer an“, antwortete er und schlitzte den Saum im Kofferraum auf. „Und?“, wollte Laura neugierig wissen. „Wie ich es mir gedacht habe“, antwortete der Agent und zog eine kleine Kiste heraus. Da diese nicht mit einem Schloss gesichert war, öffnete er sie problemlos. Shuichi betrachtete die verschiedenen Ausweise und Reisepässe. „Nett.“ Laura schluckte. „Er hat…er hat so viele Identitäten?“ „Wundert mich nicht. Er wird einige Personen in der Unterwelt kennen und sich für jeden Fall gewappnet haben.“ Shuichi sah die einzelnen Ausweise durch. „Auf jedem Ausweis steht eine andere Adresse.“ Laura seufzte. „Dann haben wir keine Wahl und müssen jede Wohnung abklappern.“ „Mhm…“, gab Akai von sich. „Hast du eine bessere Idee?“ „Nein, schick ein paar Agenten los. Wir sehen uns in der Wohnung um, die zu diesem Ausweis gehört.“ „Wieso ausgerechnet diese?“ Laura nahm ihm den Ausweis ab. „Bert Terscock?“ „Zum einen kann man meinen, dass sich Cort und Bert ähneln und zum anderen…“ Shuichi schmunzelte. „…solltest du dir beide Namen genau anschauen. Bert Terscock ist ein Anagramm von Cort Beckster. Ein nettes Spielchen, wenn du mich fragst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)