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und dann war alles anders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Tag Verspätung!
Sorry, aber die Arbeit ... T.T Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ja, ich weiß, ich habe eigentlich versprochen immer dienstags und Freitags ein Kapitel online zu stellen... Aber wie es halt so ist: Real-Life is a Bitch...

Ich versuche mich wieder zu bessern T.T Komplett anzeigen

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Prolog

Liebes Tagebuch…

Gott, wie abgedroschen klingt das denn?

Wer hat sich eigentlich ausgedacht, dass man Tagebucheinträge mit solch einer Phrase beginnen sollte? Ich finde das affig – so, nun ist es raus!

Ich würde dir ja einen Namen geben, aber an solch einen Käse glaube ich nicht…

Für mich bist und bleibst du einfach ein Notizbuch, bei dem ich mich auskotzen kann.

Über meinen Vater, meine Freunde – wobei die ja eigentlich immer sehr handzahm sind – und vor allem über meinen hirnlosen Bruder.

Wie sehr ich ihn hasse! Wenn ich schon seinen Namen höre: Marco…

Aber ich schätze du wirst schon bald selbst erkennen, was das für ein Ekelpaket ist.

Wer kann sowas schon übersehen?

Er hasst mich, nur weil ich geboren wurde. Wirklich! Das ist kein Scherz!

Unser Vater hat als junger Mann eine Firma gegründet für innovative Technologien und künstliche Intelligenz. Wie du dir unschwer vorstellen kannst, hat er damit ein „kleines“ Vermögen zusammengetragen…

So klein, dass er es sich leisten kann, dass seine zwei Kinder in einer Strandvilla auf Hawaii leben und von Angestellten hofiert werden, während er in der Weltgeschichte herumreist – alles natürlich rein geschäftlich…

Wer ‘s glaubt wird selig…

Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass er so ein braves Arbeitstier ist, das seinen Kindern jeden Wunsch von den Augen abliest, denn Marco und ich sind nicht nur gleichalt – bis auf wenige Monate Unterschied – wir haben auch unterschiedliche Mütter.

Marcos Mutter war die Ehefrau unseres Vaters. Eine schwarzhaarige Schönheit mit dunklem Teint und von herausragender Intelligenz.

Meine Mutter dagegen war ein junges Dienstmädchen im Haus, naturblond und dennoch gebleicht und so dumm wie Stulle…

Vater hatte eine Affäre mit ihr und sie wurde nur unwesentlich nach der Hausherrin schwanger.

Lange Rede kurzer Sinn: Kurz nach meiner Geburt erkannte Vaters Ehefrau, dass ich seine Tochter war. So schwer war das auch gar nicht zu sehen! Bei all seinen Verfehlungen kann man ihm zumindest nicht vorwerfen, dass er sich nicht um seine Kinder kümmern würde…

Auch wenn er nie da ist und wir ihn nur selten sehen und noch seltener sprechen, bin ich mir absolut sicher, dass er uns liebt.

Doch Marco und ich…

Seine Mutter hat ihn verlassen und bei unserem Vater und meiner Mutter zurückgelassen. Plötzlich war sie weg und hinterließ nur einen Zettel, dass sie die Scheidung wolle.

Wenn meine Mutter ihm nun die seine ersetzt hätte, wäre es vielleicht in Ordnung gewesen, aber Vater wurde ihrer schnell überdrüssig und sägte sie ab.

Was genau passiert ist weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht. Ich habe keine Erinnerungen an diese Frau und vermutlich ist das auch ganz gut so.

Während unser Vater also um die Welt reiste und sein Vermögen weiter anhäufte, wurden wir von einer Nanny aufgezogen und waren immer umringt von drei oder vier Bediensteten, die uns alles hinterhertrugen.

An sich ein schönes Leben, oder?

Nur eines fehlt für mich: Eine Familie. Ich habe meinen Bruder, aber diesen Titel würde ich ihm niemals zugestehen.

Er ist allenfalls ein Arschloch, mit dem ich zufällig ein Dach teilen muss.

Wir streiten unaufhörlich, gönnen einander gar nichts und die Hausangestellten verzweifelten jedes Mal aufs Neue, wenn wir uns einander „Ich hasse dich!“ und „Ich wünschte du seist tot!“, an den Kopf werfen.

Ich persönlich habe eigentlich nichts gegen ihn. Ich hätte es viel schöner gefunden, wenn wir miteinander großgeworden wären, anstatt gegeneinander… naja, du weißt schon was ich meine…

Er dagegen gibt mir die Schuld daran, dass seine Mutter das Weite gesucht hat.

Vielleicht hat er damit sogar Recht?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass ich drei Kreuze mache, sobald dieses letzte Schuljahr vorbei ist. Wenn ich meinen High School Abschluss habe, mache ich mich vom Acker und ich muss ihn niemals wiedersehen…

Doch das dauert noch einige Zeit, das letzte Schuljahr steht erst bevor…

Sonntag, 5. August 2018

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Montag, 6. August 2018 – Vormittag

Der erste Schultag meines letzten Jahres in der High School begann – wie sollte es anders sein – mit einem extrem fetten Kater!

Mir war schlecht, mein Schädel dröhnte und die Hitze und Sonne draußen machten es nicht gerade besser. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich in das Schuljahr mit meinem „Lieblingsfach“ starten durfte: Mathematik.

Mein Schädel!

Ich rieb mir die Schläfe und dankte Gott für die Erfindung der Sonnenbrille.

„Serena, nimm bitte die Brille ab.“ – das war ja so klar. Mr Byrd gönnte mir mal wieder gar nichts. Weder Spaß noch Linderung der Schmerzen.

Grummelnd nahm ich das Gestell von der Nase und kniff sofort die Augen zusammen.

Warum war Sonnenlicht nur so verflucht hell?

Unter dem missbilligenden Blick unseres Lehrers und dem schadenfrohen Gesichtsausdruck meines Bruders fing der gesamte Kurs an zu kichern. Mehr als die Hälfte von ihnen war wohl ebenfalls bei der Party am Vortag gewesen und konnte sich mit Sicherheit an mehr erinnern als ich.

„Hier Mausi, trink das.“

„Dank dir, Süße…“, murmelte ich und nahm den heißen Kaffeebecher von Grace entgegen. Sie grinste als sie mir dabei zusah, wie ich angewidert das Gesicht verzog. Sie liebte das Gebräu schwarz, ich war mehr für extra viel Milch.

„Ein wenig über die Stränge geschlagen?“, quetschte mich die Blonde weiter aus, während Mr Byrd mit dem Unterricht fortfuhr.

„Muss wohl, ich weiß gar nichts mehr. Und ihr habt Schuld!“

„Wir?“, fragte Grace verdutzt.

„Ja ihr! Ich wollte eigentlich was mit meinen besten Freunden unternehmen und dann seid ihr nicht da.“

Ich wollte sauer klingen, führte mich aber wohl eher wie ein bockendes Kleinkind auf, was Grace zum Lachen brachte. Gegen so etwas war sie immun.

„Ja, wir haben alle mitbekommen wie pissig du warst.“, verkündete sie.

„Alle?“, och nein… Das hieß wohl ich musste mir wieder eine große Entschuldigung einfallen lassen.

„Na ja, wir kommen damit klar, aber Lavinia hat ziemlich schiss vor dir bekommen.“

Ich grummelte. Ok, die war absolut egal. Wie viel Mitgefühl sollte ich mit einer haben, die sich einfach so in meine Clique drängte?

Grace sah mich weiterhin kichernd von der Seite an, während ich die Beine übereinander schlug und meinen kurzen Rock richtete.

„Also, schon irgendwelche Pläne für Sport heute?“, fragte Grace weiter. „Oder wirst du dich mit Elli wieder vor dem Lehrer verstecken?“

„Hundert pro verstecken!“, entschied ich. „Sehe ich so bekloppt aus zu Sport zu gehen? Heute ist Fußball dran! Vergiss es!“, ich winkte ab und lehnte mich zurück…

Was laberte unser Lehrer eigentlich an der Tafel?

Wie immer hatte ich nichts begriffen…

Wie sehr ich die Schule hasste!

„Ich gehe jede Wette mit dir ein, dass ich dieses Schuljahr wiederholen muss.“, verkündete ich wenig erfreut. „Mein Vater wird mich killen!“

„Wenn du ihn umgehen willst: Zieh doch ins Wohnheim! Ist ganz lustig bei uns.“

Ich lachte sarkastisch.

„Nein, ganz sicher nicht. Elli sieht furchtbar aus, seit sie da wohnt.“

„Serena, Grace, störe ich euch vielleicht?“, fragte Mr Byrd seufzend. „Vielleicht möchte eine von euch diese Aufgabe gerne an der Tafel lösen?“

„Nein Danke.“, Grace Lächeln war zum dahinschmelzen. „Aber würden Sie es uns noch einmal erklären? Das wäre gut. Aber bitte so, dass es auch verständlich ist.“

Das war sichtlich nicht die Antwort, die Mr Byrd hören wollte. Er seufzte erneut, während die Klasse zu Kichern begann – aber ob wegen seiner Reaktion, ihren frechen Worten oder weil sie sich über uns lustig machten konnte ich nicht sagen. Schließlich reichte Mr Byrd die Kreide an Kathrin weiter, die Klassenstreberin aus der ersten Reihe.

„Kathrin, bitte erkläre es doch noch einmal für alle.“, bat er und setzte sich frustriert auf einen Beistelltisch unter dem Fenster.

Grace rollte die Augen.

„Ich sagte verständlich.“, knurrte sie zu mir rüber und ich musste grinsen. Kathrin konnte tatsächlich nicht erklären. Sie war wohl sehr gut – sie und mein Bruder waren Klassenbeste – aber an sich plapperte sie nur jedes Wort nach, das der Lehrer bereits gesagt hatte.

„Das ist traurig.“, erklärte ich grinsend.

„Das ist Folter!“

„Apropos Folter, weißt du denn, was mit Elli ist? Hat sie dir inzwischen gesteckt, warum sie ins Wohnheim gezogen ist?“

Grace schüttelte den Kopf.

„Nicht ein Wort, sorry… Aber dass ihr Verhältnis zu ihrer Mutter irgendwann eskaliert war ja klar, oder?“

Ich zuckte nur die Schultern.

Leicht getroffen hatten wir es wohl alle nicht…

„Und du? Hast du diese Ferien mal deine Eltern gesehen?“, Grace wollte gerade antworten, als es zur Pause klingelte.

Endlich.

Eilig griffen wir unsere Materialien und wollten gerade flüchten, als Mr Byrd erneut das Wort an uns richtete.

„Grace, Serena, wartet bitte noch einen Augenblick.“

„Na toll, jetzt gibt es Ärger.“, grummelte ich in Graces Richtung, aber sie beachtete mich gar nicht – starrte lediglich Mr Byrd an.

Was war das denn für ein Ausdruck in ihren Augen…?

Ich runzelte die Stirn, doch ehe ich sie aus ihrem Traum reißen konnte war sie schon auf den schwarzhaarigen Mann mit den asiatischen Wurzeln zugetreten. Ich folgte wenig begeistert.

Mr Byrd steckte seine Utensilien in eine Tasche und setzte sich dann auf den Tisch. „Mädels, ihr braucht dringend Nachhilfe.“, verkündete er sichtlich enttäuscht.

Ich dagegen stöhnte gefrustet auf. Na toll, als ob wir nicht schon genug Zeit unseres Lebens in der Schule verschwendeten.

„Vielleicht sollten Sie einfach den Stoff besser erklären?“, verkündete Grace hart und ich sah sie überrascht an. Sie schien wirklich verletzt von seinem Entschluss. „Und es hilft ganz sicher nicht diese kleine Streberin Kathrin an die Tafel zu schicken.“

„Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass ein Schüler es den anderen oft besser erklären kann.“, konterte er mit leicht überraschtem Unterton – ihre scharfe Zunge überhörte er gekonnt.

„Ja, vielleicht, aber nicht bei Kathrin. Die wiederholt doch lediglich Ihre Worte.“

„Ok, was haltet ihr dann von Marco?“, schlug er unschuldig vor und sah uns beide an.

„Aber nur wenn sie mir vorher einen Kopfschuss verpassen.“, entschied ich.

Niemals! Nie würde ich freiwillig mit diesem Typen lernen.

Mr Byrd seufzte frustriert.

„Man Mädels, ihr macht es mir echt nicht leicht. Fakt ist, dass das so nicht weiter geht. Ihr seid die letzten beiden Jahre nur gerade so durchgekommen und dieses Jahr wird nicht gerade einfacher. Besonders was die Prüfungen angeht.“

„Dann erklären Sie es halt besser, damit wir es auch verstehen!“, forderte Grace erneut und er sah sie einen Moment an.

Einen Moment, in dem Grace leicht rot wurde?

Mr Byrd seufzte schließlich.

„In Ordnung. Wärt ihr damit einverstanden bei mir Nachhilfe zu nehmen?“, fragte er dann.

Ich wollte schon protestieren – ich hatte wirklich keine Lust noch mehr Zeit in der Schule zu verbringen – als Grace schon verkündete: „Das wäre wundervoll!“

Entsetzt sah ich in ihr freudiges Gesicht.

War die noch ganz bei Trost?

Doch es war schon zu spät. Unser Lehrer nickte und nahm seine Tasche.

„In Ordnung. Ich schaue mir meinen Plan an und dann reden wir nachher in Chemie.“, bot er an.

„Das klingt gut!“

Grace strahlte so sehr, dass ich ihr am liebsten Links und Rechts eine geklebt hätte, damit sie wieder zur Vernunft kam…

Es klingelte und Mr Byrd sah auf.

„Na dann los, Mädels, auf zum Unterricht. Wir sehen uns nachher.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich ergriff sofort die Flucht und ging eigentlich davon aus, dass Grace mir folgen würde, aber als ich mich auf dem Flur nach ihr umsah stand sie noch immer im Klassenzimmer neben Mr Byrd und unterhielt sich mit ihm.

Verständnislos betrachtete ich diese Szenerie.

Seit wann war sie so sehr darauf versessen sich bei ihm einzuschleimen? Nur wegen des Abschlusses?

Als sie ihn endlich den Raum abschließen ließ und er sich eilig davon machte, um zu seiner nächsten Klasse zu gelangen, sah ich Grace fassungslos an.

„Können wir?“, fragte sie breit grinsend und unschuldig.

„Nachhilfe? Echt jetzt?“, fragte ich sie entsetzt, aber sie zuckte nur die Schultern: „Bei ihm ist das doch in Ordnung, oder?“

Ich seufzte.

Na ja ok, sie hatte ja Recht. Wir brauchten bessere Noten und: „Zumindest nicht mit Marco. Ich meine, geht ’s noch? Der muss doch wissen, dass wir uns nicht verstehen und dann will er, dass er uns Nachhilfe gibt?“

Grace kicherte. „Es wird schon nicht soweit kommen.“

„Hoffen wir es!“

Wir schoben die Tür zum Treppenhaus auf und eilten die Stufen hinauf in die Etage, wo unser Geschichtsraum war.

Als wir die Tür aufstießen, sahen uns die ganze Klasse und der Lehrer Mr Graham entgegen.

„Hups, sorry“, sagte ich grinsend und ging zu meinem Platz neben Elli. „Wir wurden von Mr Byrd aufgehalten.“

„Aha“, machte der große muskulöse Footballtrainer nur und musterte uns wenig überzeugt. Er hasste es, wenn jemand seinen hoch wichtigen Unterricht störte.

Als ich meine Sachen auf meinem Tisch ablegte streifte mein Blick den von Marco.

Beinahe angewidert sah er mich an…

Ich verkniff mir jedes Kommentar und wollte mich gerade setzen, als ich einen pinken Haarschopf erblickte…

Moment, Pink? Wer bitte hatte denn so wenig Geschmack, dass er pinke Haare trug?

Zwei Plätze neben mir saß ein Mädchen, das ich noch nie gesehen hatte. Da Nahele zwischen uns saß war mir sofort klar: Das musste diese Lavinia sein.

Seine Cousine.

Na klasse…

Schlagartig hatte ich wieder schlechte Laune und ließ mich auf meinen Platz fallen, während Mr Graham sich herumdrehte, seine langen brünetten Haare zusammenband und dann weiter an der Tafel schrieb.

„War Mathe so schlimm, dass ihr länger bleiben musstet?“, fragte Nahele neben mir neckend.

„Nicht ganz, er will, dass wir Nachhilfe nehmen.“

Er zog scharf die Luft ein.

„Oh nein! Der Weltuntergang“ – ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er verarschte mich schon wieder.

„Und bei wem?“, fragte Elli und warf kurz einen Blick zu Marco etwas weiter hinter uns. Sie war zwar in einem anderen Kurs, aber sie wusste, dass er einer der Besten des Jahrganges war.

„Nein, der zum Glück nicht.“

Sie stieß erleichtert die Luft aus, da stupste mich wieder Nahele an. Er lehnte sich weit zurück, sodass seine Cousine zaghaft an ihm vorbei lächeln konnte.

Och nö, musste das sein?

Ich wollte mich jetzt nicht mit der Neuen befassen. Ich hatte genug andere Probleme – sie war zwar eines davon, aber deswegen musste ich doch nicht mit ihr Kommunizieren, oder?

„Hi, ich bin Lavinia.“, raunte sie mir zu.

Ja doch, das wusste ich schon! Und ich hatte absolut null Interesse daran sie kennen zu lernen.

Ich schätze, dass sie es merkte, denn ich musterte sie einmal abschätzig von oben bis unten.

Süß, unschuldig… aber PINK als Haarfarbe?

Nein, sie war mir alles andere als sympathisch.

Spöttisch zog ich eine Augenbraue nach oben und wandte mich dem Unterricht zu.

Montag, 6. August 2018 – Nachmittag

Ganztagsunterricht bei diesem strahlenden Wetter war schon immer ein Graus gewesen – meine Meinung…

Vermutlich die Meinung jedes vernünftigen Schülers!

Umso besser also, dass gleich am ersten Tag nach den Ferien bekannt wurde, dass die Leiterin unseres Theaterkurses in der vergangenen Woche einen Unfall hatte.

Also natürlich war das furchtbar!… Rein menschlich betrachtet…

Aber von der Seite eines Schülers konnte ich wegen des Ausfalls nur jubeln!

Ich genoss die Fahrt in meinem fabrikneuem, sandfarbenen Aston Martin DB11 Volante zur Villa – wohl wissend, dass mein Bruder an diesem Tag Footballtraining hatte.

Musik laut, Wind in den Haaren, so ließ es sich leben.

Freiheit!

Voller Tatendrang hatte ich mich mit meinen Hausaufgaben an den Pool gesetzt.

Doch schon bald war der Alptraum persönlich in mein ruhiges Leben getreten: Mein Bruder zusammen mit der halben Footballmannschaft. Wenn sie wenigstens Nahele – ihren Quarterback – mitgebracht hätten, aber mit dem kamen diese unnötig aufgepumpten Hornochsen nur auf dem Spielfeld aus…

Seufzend zog ich die Beine an, richtete die große Sonnenbrille auf meiner Nase und versteckte mich hinter meinem Block.

„Hi, Serena“, rief Marco und ich bemühte mich so auffällig wie möglich mit den Augen zu rollen, um ihm zu zeigen wie wenig ich von davon hielt, dass er mich ansprach. Dass der mich aber auch nie in Ruhe lassen konnte!

„Meinst du nicht, dass es unsinnig ist deine hohle Nuss mit Wissen zu füllen? Sobald du dich hinlegst läuft doch wieder alles aus den Ohren raus!“

Ich hasste ihn so abgrundtief, dass es nicht zu beschreiben war.

„Halt die Fresse, Sackgesicht.“, kommentierte ich wenig taff. Ich wusste aber auch nicht, was ich auf so etwas antworten sollte. Das fanden wohl auch seine Kumpels, denn sie lachten sofort über mich.

Warum musste Marco in der Schule auch besser sein als ich?

Warum konnte auf ihn nicht einfach das Klischee des dummen Athleten zutreffen?

Da sich die Jungs nicht wieder beruhigten von dem Lachanfall, schielte ich kurz zu ihnen hinüber.

Keine gute Idee, meine Laune sank sofort noch weiter, als ich Dean zwischen ihnen feiern sah.

Naja, ich wollte es ihm nicht zum Nachteil auslegen. Es ging hier immerhin um seine Kumpels! Vor denen musste er doch cool wirken, oder nicht?

Ich wandte mich wieder meinem Buch für Englisch zu und wollte mir ein paar Notizen machen, als Marco erneut das Wort ergriff: „Ok, ok, tut mir leid.“ – ja klar, seit wann tat ihm bitte was leid? Nur der dümmste Mensch konnte darauf reinfallen – besonders dann, wenn man sein hämisches Grinsen unter den zackigen Augenbrauen sah…

„Also, willst du mir erzählen was Mr Byrd heute Morgen von dir wollte?“

„Lass mich in Ruhe, Marco, ich habe kein Bock mit dir zu kommunizieren.“, rief ich über den Pool zu ihnen hinüber.

„Was soll ein notgeiler Sack wie Mr Byrd schon von unserer Party-Schlampe wollen? Er wollte mal einen wegstecken!“, verkündete einer seiner Kumpels und alle jubelten und feierten ihn, als er mit dem Becken die typische Sexbewegung nachahmte.

Was für Affen!

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Das konnte ich doch nicht einfach so auf mir sitzen lassen!

Aber was hätte ich tun sollen? Es zu dementieren hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Ich kannte diese Freaks doch zu genüge!

Also entschied ich mich dämlicher Weise für die Wahrheit: „Wenn ihr es genau wissen wollt: Er will, dass Grace und ich Nachhilfe in Mathe nehmen!“

„Was denn? Mit deinem Spatzenhirn? Du kannst dir ja nicht mal deine eigene Telefonnummer merken. Die einzigen Zahlen, die bei dir im Gedächtnis bleiben, ist die vierstellige Pin deiner Kreditkarte.“, erklärte Marco.

„Nein, nein! Du hast das falsch verstanden! Mathe-Nachhilfe“, erklärte einer seiner Teamkollegen und kassierte nur verständnislose Blicke der anderen. „Na ganz einfach: Mr Byrd addiert sich mit den Mädels, subtrahiert ihre Kleidung, teilt ihre Beine und nimmt sie dann mal.“

Erneutes Gewieher unter den Hirnakrobaten.

Gott, der Witz war alt… Und noch nicht mal besonders originell!

Aber für die Jungs reichte es wohl.

„Für sowas ist Serena ja immer gut!“, brüllte Marco und fiel vor Lachen fast von der Liege.

Das reichte mir.

Ich schlug mein Buch zu, nahm meine Sachen und trat den Rückzug an.

Wieso war er nur immer so blöd zu mir?

Was konnte ich denn dafür, dass seine Mutter abgehauen war?

Ja, schon klar, sie hatte das Wissen nicht ertragen, dass Vater ihr fremdgegangen war, aber wo war das verdammt noch mal meine Schuld?

Hatte ich meine Eltern etwa dazu gezwungen?

Hatte ich aus Vaters Sack gebrüllt: Alter, ich will geboren werden! Beeil dich gefälligst und treib es mit der Schnepfe von Hausmädchen?

Nein!

Ich knallte mein Buch wütend auf den Kaffeetisch im Salon und warf mich auf die Couch.

Dieser miese, kleine…

Ich wagte es nicht bis zum Ende zu denken. Irgendwann würde ich mal mit einem Messer hinter ihm herrennen.

Was fiel ihm eigentlich ein?

Ich hörte die schwere Eingangstür des Raumes auf und wieder zugehen.

Man, nicht schon wieder. Immer wenn man denkt man ist ihn los.

Ich nahm den Arm von den Augen und wollte ihm gerade meinen ganzen Hass entgegen schreien, als ich nur noch eine schwarze Gestalt dicht vor mir sah.

Heiße Lippen drängten mich an meinen eigenen zurück aufs Polster.

Ein wohl bekannter Geruch von einem leckeren Herrenduschbad stieg mir in die Nase und ich lächelte breit.

„Dean…“, hauchte ich verliebt. Meine ganze Wut war augenblicklich wie weggeblasen. Wie schaffte dieser Typ es nur immer wieder mich so zum Schmelzen zu bringen?

Jedes Mal, wenn er mich nur ansah erblühte die Welt und alle Sorgen waren wie weg geblasen.

Ich liebte ihn so unendlich!

„Hey Baby, alles klar?“, flüsterte er lächelnd – und wie süß sein Lächeln doch war. Er sah richtig verliebt aus, wie er auf meine Lippen starrte.

Ich nickte.

„Jetzt ja… Mir dir bei mir ist doch immer alles klar…“, lächelte ich und sah selbst auf seinen Mund… Diese köstlichen Lippen…

Ich wusste sofort was ich wollte und er ebenso. Es war immer pure Leidenschaft und endlose Anziehung zwischen uns…

Wir mussten einfach zusammengehören, wenn er sich auch noch dagegen sträubte. Er musste es doch auch spüren, dieses Lodern und Knistern…

Er senkte den Kopf wieder und küsste meinen Hals, während er langsam über mich stieg.

„Nimm dir das Gelaber von den Idioten dort draußen nicht so zu Herzen, ja?! Mein Baby ist so ein wundervolles Mädchen.“

Ich lachte leise.

Macho!

Wie die anderen auch…

Aber so süß!

Ich war wie Wachs in seinen Händen.

Ich war der Wachs und er der heiße Docht, der mich weich werden ließ…

Er schob meine Beine auseinander und strich mit einer Hand unter den Stoff meines Bikiniunterteils. Dreckig begann er zu grinsen, als selbst ich das leise schmatzen hörte.

„Wow Baby… Das ging schnell…“

Ich befeuchtete meine Lippen mit der Zunge und grinste.

„Wir können ja noch etwas spielen…“, flüsterte ich und er lachte amüsiert.

„Glaubst du nicht, dass das etwas auffällig ist? Ich habe den anderen gesagt ich gehe nur mal kurz pissen…“

Ich lachte bei dieser Wortwahl und das steckte ihn wohl an.

„Dann müssen wir uns wohl wirklich beeilen!“, entschied ich.

Es war ja so erregend. Eine heimliche Affäre. Mit Dean.

Ich drückte mich mit ihm hoch und drehte ihm mein Hinterteil zu. Hier waren wir doch gestern stehen geblieben!

Er beugte sich vor und küsste meine Lendenwirbelsäule, meine Taille und mein Gesäß, während er sich die Hose runter zog. Ich warf einen Blick nach hinten und bekam wie immer leuchtende, große Augen. Seine Erektion war hart und schier gigantisch. Jedes Mal wunderte ich mich, dass er überhaupt in mich hinein passte und gelegentlich war es tatsächlich etwas schmerzhaft – aber auf die positive Art.

Er schob den Slip meines Bikinis beiseite und im nächsten Moment stöhnte ich lustvoll auf.

Hart drückte ich mich ihm entgegen, während er immer wieder in mich stieß.

Er packte meinen Brustkorb und zog mich in die Senkrechte, was die Reibung nur noch intensivierte. Immer lauter wurden mein Stöhnen und mein Drängen.

Seine Hände glitten über meinen Bauch und meine Brüste – eine fuhr tiefer zwischen meine Beine und rieb mich fest.

Ich spürte wie er immer näher kam, der lang ersehnte Orgasmus.

Ich quietschte förmlich Deans Namen, sein Druck erhöhte sich und plötzlich hielt er inne.

Frustriert stieß ich die Luft aus.

Was machte er denn? Ich war doch so kurz davor…

Doch ein Zucken in meiner Hüfte verriet mir: Er war bereits gekommen… Er ergoss sich in mir.

Ich hörte ihn regelrecht lächeln und das erfüllte mein Herz mit unendlich viel Wärme. Er genoss es und das war alles, was für mich zählte.

Mit einem Blick zurück, als ich mich wieder vorn über beugte auf die Lehne der Couch, erkannte ich noch, wie er mir über den Rücken strich und sich dann zurückzog.

„Das war gut Baby, aber ich muss jetzt wieder zu den anderen.“

„Ja, ich weiß.“, flüsterte ich verliebt und setzte mich vor ihm hin. Er betrachtete mich grinsend, als ich mich wieder hinlegte und mir über den Bauch strich.

„Du bist echt heiß!“, versprach er und beugte sich noch einmal zu mir runter.

„Du viel mehr!“, wir küssten uns kurz und er verließ den Salon.

Selig vor mich hin lächelnd rekelte ich mich noch etwas, ehe ich meinen Bikini wieder richtete.

Jetzt ein schönes Bad und dann…

Erneut öffnete sich die Tür und ich sah bereits freudestrahlen auf. Ich erwartete ja Dean doch es war nur ein anderer Kumpel von Marco… Wie hieß er noch gleich?

„Hi Süße“, sprach er mich an und mir wurde sofort schlecht.

Ich wandte mich wieder ab und nahm meine Bücher hoch. Gerade als ich gehen wollte packten zwei große Hände meine Hüfte und zogen mich zurück.

„Hi, hast du Bock mir einen zu Blasen?“

„Nein?!“, warf ich ihm angewidert an den Kopf. „Willst du mich verarschen?“

Verwirrt lockerte er seinen Griff um mich und ich konnte gehen.

Was sollte das bitte?

Ok, ich konnte mich… Dunkel daran erinnern, dass ich irgendwann einmal vor langer Zeit mit ihm geschlafen hatte – auch wenn ich seinen Namen nicht wusste… Aber das war ein One Night Stand auf einer dieser endlosen Partys meines Bruders gewesen! Das war was ganz anderes. Was glaubte der eigentlich wer er war?

Ich schüttelte den Kopf und ließ den Typen stehen.

Sicher, ich wechselte den Lover wie andere ihre Unterhose, aber außerhalb von Partys schlief ich niemals so kurz hintereinander mit verschiedenen Kerlen. Ein paar Prinzipien musste man sich ja erhalten in dieser beschissenen Welt, oder?

Ich kam gerade in meinem Zimmer an, warf meine Bücher achtlos in eine Ecke und wollte mich für ein wohltuendes Bad ausziehen, als ich den nächsten Spinner in meinem Türrahmen entdeckte.

„Verflucht noch eines! Das hier ist nicht Tag der offenen Tür!“, fuhr ich ihn an und hielt gerade so mein Schnüroberteil fest, ehe es fiel.

Der Footballspieler grinste schräg.

„Warum so schüchtern? Das habe ich alles schon mal gesehen.“, erklärte er mir und ich rollte mit den Augen.

„Verpiss dich.“, knurrte ich ihn an. Was war denn los? Tag des Arschlochs?

Ich ging davon aus, dass er tat was ich sagte und wandte mich wieder von ihm ab. Schnell knotete ich den Bikini im Nacken zu. Ich hatte beschlossen mich doch erst im Bad zu entblättern und vorher die Tür hinter mir abzuschließen.

Doch nichts da. Erneut fuhren zwei große Hände um mich, über meinen Bauch und langsam tiefer über meine Hüfte.

„Zieh dich ruhig weiter aus. Das macht mir nichts aus.“, säuselte er in mein Ohr.

„Alter, ich hab gesagt verpiss dich!“, ich stieß seine Hände weg. Am liebsten hätte ich ihm noch einen tritt in den Hintern verpasst – oder eher in die Eier, da er schon wieder näher kam.

„Man, hörst du mir nicht zu oder was geht in deinem Spatzenhirn vor sich?“, fuhr ich ihn an, als er erneut nach meiner Taille griff.

„Mr Frey, verlassen Sie sofort das Zimmer von Ms Matthews.“, hörte ich da die strenge Stimme unserer fünfzigjährigen Haushälterin donnern.

Erleichtert atmete ich aus, als sie ihn am Ohr packte.

Winselnd folgte er ihr, während sie ihm eine Predigt hielt: „Junger Mann, wenn eine Lady „Nein“ sagt, dann heißt das auch „Nein“ und nicht „Erobere mich!“. Haben Sie das verstanden?“

„Ja doch! Ja!“, stammelte der Typ und die Frau verschwand mit ihm – das Ohr noch immer zwischen zwei Finger geklemmt – um die Ecke.

Ich grinste.

Auf Nana war doch immer noch verlass.

Ich seufzte erleichtert, fasste mir ein Herz und ging zu meiner Zimmertür.

„Serena, warte!“, erschrocken sah ich auf und stöhnte entnervt.

Noch so einer!

Eilig knallte ich die Tür zu, schloss ab und wandte mich nun endlich meinem privaten Badezimmer zu.

Freiheit!
 

Nachtrag:

Ich habe eine komische Beobachtung gemacht.

Es war schon spät, als ich mir etwas von diesem köstlichen, selbstgemachten Eis unserer Angestellten holen wollte. Ich wollte die große Freitreppe hinunter und dann in Richtung Küche, als ich im Eingangsbereich Marco entdeckte, der seine Kumpels verabschiedete.

Sie alle standen dort und lachten lautstark, doch über was genau sie sich unterhielten, konnte ich nicht verstehen. Ihre Stimmen hallten furchtbar in der Marmorhalle – besonders da sie alle durcheinander reden mussten… oder lag es an den hohlen Birnen dieser Affenbande?

Plötzlich hielt Marco Dean auffordernd seine ausgestreckte Hand entgegen.

Der Größere lachte gequält und zog kopfschüttelnd sein Portmonee hervor, um einige Scheine auf den ihm dargebotenen Fingern abzuzählen.

Als er fertig war lachte die Bande erneut auf.

„Was macht man nicht alles für ein paar Tüten.“, verstand ich nur gerade so – wobei ich viel Fantasie aufbringen und einen Moment nachdenken musste, um es wirklich zu verstehen…

Und dennoch: So viel zu meinem perfekten Brüderchen!

Mit Sicherheit waren mit „Tüten“ Joints gemeint. Mein Bruder dealte nun also mit Drogen.

Er ist echt das Allerletzte.

Sollte ich das Vater erzählen?

Vielleicht bekommt dann endlich einmal Marco den Ärger, anstelle von mir?!

Dienstag, 7. August 2018

Dienstagmorgen und schonwieder Mathe – wer hatte sich nur diesen Stundenplan ausgedacht?

Ich kratzte mit meinem Fingernagel auf dem Tisch herum, als sich auch endlich Grace neben mir fallen ließ.

„Einen wunderschönen guten Morgen, mein Sonnenschein.“, sang sie gut gelaunt. Ich beäugte sie misstrauisch.

„Du hast Augenringe.“, verkündete ich ohne drum herum zu reden und richtete mich etwas auf, um mich auf dem Stuhl zu ihr zu drehen. „Schon wieder. Kommst im Wohnheim wohl doch nicht so gut klar, was?“

Sie seufzte, zog ihr Telefon heraus und besah sich in der Kamera. Schnell begann sie ihre Abdeckcreme unter den Augen neu zu verteilen, sodass die Schatten langsam verblassten.

„Eigentlich hab ich ganz gut geschlafen.“, gestand sie. „War nur etwas zu lange auf.“

Nun grinste sie wieder breit.

„Und du, bessere Laune als gestern?“

„Na ja…“, murmelte ich missmutig. Die Hackfresse meines Bruders erschien in der Tür und gefolgt von einer schnatternden Traube Mädchen lief er im Slalom zu seinem Platz.

So unnötig!

Scheiß Angeber!

Ich rollte entnervt mit den Augen.

„Marco geht mir einfach tierisch auf den Sack, das ist alles. Dazu noch seine Kumpels, aber du kennst sie ja.“, ich winkte ab, öffnete versteckt eine Box von Dunkin Donuts und verschlang mit drei großen Happs meinen Schokodonut.

Grace begann schallend zu lachen.

„Waff denn?“, fragte ich mit vollem Mund.

„Du siehst aus wie ein süßer Hamster mit deinen aufgeplusterten Wangen.“

Nun musste ich ebenfalls grinsen und würgte die halb gekaute Süßspeise runter, ehe ich mich daran verschluckte.

„Du bist doof.“, kommentierte ich doch sie sah mich nur glücklich an.

„Aber hey, du lächelst wieder! Ich dachte gestern schon du läufst Amok.“

„Ich war verkatert!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen. „Und außerdem ist da noch eine pinke Pest, die…“

„Ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit.“, verkündete Mr Byrd von vorne. Notgedrungen zogen wir die Köpfe auseinander.

Ich legte die Beine übereinander, nahm einen Bleistift und spielte mit dem auf meinem Block herum.

Gedanken verloren begann ich zu kritzeln. Was der Lehrer zu sagen hatte, ging wie immer zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus… Eigentlich war ich mir immer sicher gewesen, dass ich doch Hirnmasse dazwischen hatte – auch wenn mein Bruder das bestritt – aber in Mathe war ich mir da nie so sicher…

Was hatte der Typ vor einer Minute gesagt?

„… den Sitzplan etwas umstellen.“

Sekunde… WAS?

Entsetzt sah ich zu Grace, deren Farbe komplett ihrem Gesicht entwichen war.

„Kathrin, bitte tausche doch deinen Platz mit Egon. Es wäre mir lieber, wenn er weiter vorne sitzt und Jessie nicht mehr ununterbrochen ablenkt. Und Marco“ – reflexartig wandte ich meinen Kopf, sodass ich über die linke Schulter zu meinem Bruder sehen konnte – „Tausche bitte deinen Platz mit Eric – dahinten in der Ecke stört er mit seinen Faxen nicht mehr die ganze Klasse.“

Marcos dunkelbraune Augen wanderten zu mir rüber und ich sah lieber wieder zu Grace.

Zum Glück, er hatte uns nicht voneinander getrennt…

Ich wollte mich gerade zurücklehnen und erleichtert ausatmen, als ich eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm.

Mein Banknachbar raffte seine Unterlagen zusammen und mir ging ein Licht auf…

Eric saß mit mir an EINEM Tisch!

Mir wurde heiß und kalt zu gleich.

Das konnte doch nicht wahr sein.

Meine Laune sank schon wieder ins Bodenlose, als sich Erik erhob und Marco sein Buch auf den Tisch fallen ließ, sodass dieser erbebte.

Ich rollte mit den Augen.

Wollte er mir jetzt auch noch vorhalten, dass ich mir das ausgesucht hatte, oder wie?

Ich rückte etwas ab von ihm, als er sich auf seinen neuen Stuhl sinken ließ und diese Bewegung von mir Spiegelverkehrt kopierte.

Als ich den Rand meiner Hälfte erreichte und fast auf Graces Schoß landete, warf ich einen hasserfüllten Blick zu ihm, den er nur zu gerne mit nicht geringerer Verachtung erwiderte.

„Ich könnte kotzen.“, knurrte ich zu meiner Freundin rüber, die kein Stück mehr begeistert war, dass unsere Jahrgangsschleimerin ihren rosageplüschten Schnellhefter ausbreitete.

„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“, fuhr sie plötzlich lautstark unseren Lehrer an und ich musste zugeben, dass selbst ich von dieser Reaktion schockiert die Augen aufriss.

Grace und vorlaut?

„Grace? Du möchtest etwas sagen?“, fragte auch Mr Byrd sichtlich verblüfft.

„Ja?! Ich will nicht neben der hier sitzen?“, sie wies auf Kathrin. „Und dass sie den da“ – sie wies auf Marco – „zu Serena gesetzt haben, ist ja wohl das allerletzte. Jeder hier weiß doch, dass die sich hassen! Das können Sie doch gar nicht übersehen haben.“

Mr Byrd atmete einmal ruhig aber seufzend ein und aus und sah sie dann sanft an. „Grace, bitte, können wir das nach dem Unterricht bereden? Versuche es doch erstmal für diese eine Stunde und über alles andere unterhalten wir uns anschließend. Vielleicht könnt ihr diese Gelegenheit auch als Chance begreifen. Ich bin mir sicher, dass Marco und Kathrin euch beide gut während des Unterrichts unterstützen werden.“

Dass er damit unsere Noten andeutete verstand wohl jeder, denn der Kurs begann zu kichern.

Plötzlich schnellte Kathrins Hand in die Luft.

Mr Byrds Blick wanderte nach einigem Zögern von Grace zu der Brünetten und er rief sie auf: „Bitte, Kathrin“

„Also ich habe kein Problem damit neben Grace zu sitzen.“, verkündete sie zuckersüß und schenkte meiner Freundin ein umwerfendes Lächeln. „Im Gegenteil! Ich sehe das als Herausforderung und möchte mich für diese Chance bei Ihnen bedanken. Ich möchte selbst einmal Lehrerin werden.“

Oh Gott, das war peinlich.

Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut los zu lachen und zog mir eine Haarsträhne vor das Gesicht, damit keiner meinen verkrampften Blick wahrnahm.

Grace funkelte mich sauer an.

„Sag doch was!“, bettelte sie, aber ich schüttelte nur verzweifelt den Kopf. Wenn ich jetzt den Mund aufmachte, wäre ich wohl vor Lachen über den Boden gerollt.

„Mr und Ms Matthews – Marco, Serena – wollt ihr auch noch etwas dazu sagen?“, fragte Mr Byrd resigniert und ich warf kurz einen Blick zu meinem Bruder.

Er hielt sich eine Hand vor den Mund, aber von der Seite erkannte ich ein ebenso breites und spöttisches Grinsen wie ich es mir versuchte zu verkneifen.

Hey! Eine Gemeinsamkeit!

Ich war stolz auf meinen Bruder! Er bewies Humor.

„Nein, Sir, mir ist es herzlich egal wo ich sitze.“, verkündete er dann nach einem Räuspern völlig ernst und sah stur geradeaus. „Nur helfen werde ich dem Spatzenhirn hier nicht. Das ist vergebliche Lebensmühe.“

Ich rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf, während ich zu Grace sah. Natürlich kicherten die Mädchen los – jede erhoffte sich dadurch Chancen bei diesem aufgeblasenen Windbeutel. Selbst einige der Jungs lachten auf. Aber den Meisten von ihnen ging die Diskussion wohl – Gott sei Dank – am Allerwertesten vorbei.

Mr Byrd stöhnte theatralisch auf.

„Ok, dann können wir ja endlich anfangen.“, er fischte sein Buch vom Tisch. Während er sich umdrehte und das heutige Thema an die Tafel kritzelte, spielte ich weiter mit meinem Bleistift, bis Marco plötzlich sein Lehrbuch aufschlug und darin blätterte. Er hatte sich so schräg auf die Bank gefläzt, dass es quer liegend auch meinen Bereich einschränkte.

Sauer zog ich die linke Schulter an und funkelte zu ihm rüber.

Gelangweilt sah er auf, bis ich sein Buch unsanft zu ihm rüber stieß.

Unter seinem kritischen Blick zog ich mit dem Bleistift eine dicke Linie, wo in etwa die Hälfte des Tisches war. Wieder und wieder zog ich diese Grenze zur Extrabetonung nach.

Als ich ihn erneut wütend musterte, hob er amüsiert einen Mundwinkel.

„Du hast die Artillerie vergessen, Schatz.“

Schatz?

ARSCHLOCH!
 

Nach Mathe stand ich alleine gelangweilt vor einem Getränkeautomaten und besah mir den Inhalt.

Ich hatte furchtbaren Durst, aber gleichzeitig das Gefühl, dass ich Wasser gerade nicht runterbekam und der ganze Rest in diesem Kasten war einfach zu süß…

Klarer Fall: Das „Schatz“ aus Marcos Mund zu hören saß mir gehörig quer.

Wie konnte er es eigentlich wagen mich als „Schatz“ zu bezeichnen?

Ich schob sauer das Geld in den Schlitz und zog mir einfach eine Cola. Was Besseres fiel mir nicht ein und mich in der Mensa für einen Kaffee anzustellen erschien mir nicht gerade lohnenswert – dazu war es einfach zu voll…

Als ich einige Schritte beiseite ging, damit sich der Nächste eine Dose Zucker ziehen konnte, viel mein Blick auf den Aushang unseres Jahrgangs.

Eine Traube von Schülern hatte sich gebildet, aber ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was dort so besonderes war. Der Vertretungsplan halt, na und?

Ich lehnte mich gegen die Schließfächer und erkannte, dass auch Elli und Nahele in der Menge standen.

Und – oh welche Wunder! – natürlich war auch Lavinia dabei.

Ich beobachtete, wie Naheles Hand auf ihrem Rücken lag – viel zu tief für meinen Geschmack. War das spießig? Ausgerechnet von mir?

Er zeigte ihr etwas, erklärte was und lachte, als Ellis Blick zu mir hinüber glitt.

Sofort machte sie die anderen beiden auf mich aufmerksam.

Freudig wandte sich Nahele mir zu und folgte unserer kleinen pummeligen Freundin in meine Richtung.

Lediglich Lavinia bekam einen seltsam verweinten Gesichtsausdruck und sah den beiden hinterher.

Ja! Richtig so! Leide, wie ich leiden musste, nur weil du mir meine Freunde weggenommen hast, Bitch!

„Sera“, rief Elli und zog meinen Namen extra in die Länge.

„Hi Leute, was gibt es da zu sehen?“, fragte ich und nickte zum Aushang.

„Na die Listen für die Projektwoche.“

Verdattert sah ich Nahele an.

„Projektwoche? Was für eine Projektwoche?“

Er schüttelte seufzend den Kopf.

„Sera, hör auf Alkohol zu trinken. Das macht dich weich im Hirn.“

Ich musste schmunzeln bei seinem verzweifelten Blick und boxte ihm gegen die Schulter.

„Hi, das nächste Mal sauf einfach mit und alles ist gut!“

Er lachte leise und sah sich zu seiner Cousine um, die noch immer Abseits stand, aber langsam immer näher rückte.

Bei ihrem Anblick verschlechterte sich meine Laune erneut und ich funkelte sie böse an.

Sie sollte schön weg bleiben!

Das verstand sie wohl, denn sie stoppte und sah zu Boden. Ehe Nahele mich erneut für dieses Verhalten rügen konnte – er hatte das Schauspiel natürlich sofort realisiert und spannte bereits seine Kaumuskeln sauer an – wandte sich Elli an mich: „Na gestern wurde doch gesagt, dass wir gleich nächste Woche an Projekten zum Thema „saubere Umwelt“ arbeiten werden.“

Sie packte gut gelaunt wie immer meine Hand und zog mich zu dem Aushang hinüber.

„Nahele und Lavinia wollen unbedingt tauchen gehen mit Mr Byrd. Wie ich Grace kenne wird sie sich sicher auch dafür eintragen wollen, aber ich will nicht.“, erklärte sie mir und ich lächelte.

„Man, Elli, du brauchst wirklich keine Angst vor einem Badeanzug zu haben.“, sagte ich liebevoll und legte ihr einen Arm um. „Du bist wunderschön! Ich wünschte ich hätte etwas mehr auf den Knochen!“

Sie lächelte verliebt und wurde rot.

„Danke Sera…“, murmelte sie und ich gab ihr ein Küsschen aufs Ohr. „Aber ich kann das echt nicht. Du weißt ich liebe das Meer, aber mit unseren Mitschülern?“

Sie sah sich paranoid um.

Ich seufzte und legte eine Wange auf ihren Scheitel, während ich sie fest umarmte.

„Ist gut, dann gehen wir beide halt nach der Schule schwimmen und du musst nicht zum Tauchen… was willst du machen?“

„Wattwandern und die Strände vom Müll befreien mit Coach Graham.“, erklärte sie und ich lachte.

Ja, das sah ihr ähnlich. Elli fand immer die wunderlichsten Sachen im Schlick und sammelte Muscheln, aus denen sie zum Beispiel Windspiele und Mobiles bastelte.

Als ich endlich an die Zettel herankam, besah ich mir die einzelnen Gruppen.

„Hm…“, machte ich. „Also eigentlich würde ich am liebsten Tauchen gehen…“, murmelte ich und sah entschuldigend zu Elli. Sie stieß die Luft aus und nickte verstehend.

Jetzt fühlte ich mich schlecht. Wir alle gingen tauchen, nur sie musste alleine am Strand rumrennen?

Ich sah noch einmal auf den Zettel und überflog die Namen. Direkt unter Lavinia stand der meines Bruders: Marco Matthews.

Ich zog einen Flunsch.

Na toll, war ja klar gewesen… Aber wenigstens fiel mir damit die Entscheidung zwischen meiner Freundin und dem was ich lieber machte nicht mehr so schwer.

„Weißt du was? Ich komme doch mit dir mit.“, erklärte ich und nahm einen Stift.

„Wirklich?!“, Elli klatschte sofort in die Hände und sah mir mit leuchtenden Augen dabei zu, wie ich meinen Namen in die Liste von Mr Graham eintrug.

„Oh Sera, das wird so toll!“, rief sie begeistert und schlang die Arme fest um meine Brust. Ich musste lachen.

„Elli, bitte, werde doch mal erwachsen!“

„Niemals!“, ihr Lächeln war so zuckersüß wie sie selbst.

Ich liebte dieses Mädchen einfach abgöttisch. So wie ich alle meine Freunde liebte:

Elli war die Süße, Nahele der vernünftige Beschützer und Grace… tja, sie war einfach nur Grace, meine dritte große Liebe neben den anderen beiden. Wir hatten uns gesehen und sofort gefunden.

„Boa ich hasse diesen Mann!“, fauchte die Blonde da gerade neben uns, nahm einen Stift und kritzelte ihren Namen schwungvoll auf die Liste von Mr Byrd.

„Wen meint sie?“

„Mathe“

Elli nickte verstehend und ich wandte mich wieder an Grace: „Warum trägst du dich dann bei ihm ein?“

„Hallo? Tauchen? Am Riff?“

Ich lachte und legte einen Arm um ihre Schultern, den anderen ließ ich um Ellis Nacken.

„Wisst ihr was? Ich habe euch vermisst.“, gestand ich strahlend.

So sollte es sein!

So war es immer gewesen.

Nur wir drei und …

Mein Blick wanderte zu unserem Footballspieler.

„Was zum…?“, machte Elli und wir drei blieben abrupt stehen.

„Das ist nicht wahr.“, hauchte auch Grace.

„Ich fasse es einfach nicht…“, murmelte ich hinterher.

Völlig geschockt beobachteten wir, wie sich Lavinia mit niemand anderes unterhielt als Marco.

Sein schleimiges Grinsen verriet uns dreien sofort: Er war am Flirten.

Und ihr schüchterner Blick und die roten Wangen machten deutlich: Ihr gefiel das auch noch!

Damit war sie bei mir endgültig unten durch.

Freundschaft?

Niemals!

Selbst dann nicht, wenn ich mich mit ihr anfreunden müsste, um mein Leben zu retten.

Nahele war wohl genauso verstört wie wir, doch er stand nur daneben, die Arme verschränkt, der Blick finster. Mit durchgedrücktem Rücken beobachtete er Marco, wie er seine Cousine anbaggerte. Gelegentlich warf er etwas ein – eindeutig unfreundlich – doch Lavinia lachte nur und gab ihm mit einem Klapps in den Bauch zu verstehen, dass er ruhig sein sollte, ehe sie sich wieder meinem Bruder zuwandte.

Auch der lachte kurz und sah triumphierend zu Nahele, ehe er weiter flirtete, einen Schritt näher trat und dem Objekt seiner Begierde über das Kinn strich. Sie wurde noch röter und erlag scheinbar sofort seinem Charme.

„So, jetzt ist Ende! Ich zerreiße dieses Miststück in der Luft!“, fuhr ich hoch, aber Elli schlang sofort die Arme um meinen Bauch und Grace baute sich vor mir auf, um mich an den Schultern fest zu halten.

„Alles gut! Ruhig atmen!“, sprach die Blonde auf mich ein, doch ich sah an ihrem Ohr vorbei zu Nahele, der nun seine Cousine am Unterarm packte und von Marco weg zog.

Wütend warf er ihm etwas über die Schulter hinweg zu und zerrte Lavinia in unsere Richtung.

„Tief ein und aus – ein und wieder aus.“, betete Grace und ich atmete tatsächlich einmal tief durch.

„Was ein Wichser! Was ein Schleimscheißer!“, fluchte Nahele aufgebracht und schob seine Cousine vor sich in der Hoffnung so den Blickkontakt der beiden zu unterbinden. Lavinia dagegen schielt an seinem Bauch vorbei.

Wir folgten ihrem Blick.

Marco schlug gerade mit seinen Kumpels ein und schenkte der Pinken noch ein verführerisches Lächeln.

„Also ich finde ihn sehr nett! Und heiß!“, kicherte Lavinia eindeutig geschmeichelt von so viel Aufmerksamkeit und sah uns Mädchen an: „Was sagt ihr?!“

Die Verliebtheit kroch ihr aus jeder Pore. Mein Blick wanderte von ihr noch einmal zu meinem Bruder. Ich wünschte ich könnte allein durch Blicke töten.

Er bemerkte mich und quittierte mein Starren mit einem hämischen Gesichtsausdruck.

„Du solltest dich von Marco fernhalten.“, entschied Nahele missmutig, doch sie lachte erneut.

„Ach was! Er ist doch so süß! Der ist sicher sehr lieb, oder?“, erneut warf sie einen Blick zu uns, aber Grace Besorgnis, Ellis Angst und meine Wut nahmen ihr wohl jeden Wind aus den Segeln.

„Nicht?“

„Marco ist Serenas Bruder. Ich habe dir von den beiden erzählt.“, klärte Nahele auf und Lavinias Augen wurden größer… Und mitfühlend?

Scheiße! Ich wollte ihr Mitleid nicht!

Sie konnte es sich sonst wo hin schieben!

Und überhaupt, was ging sie mein Verhältnis zu Marco an? Warum hatte Nahele aus dem Nähkästchen geplaudert?

„Das tut mir leid!“, sagte sie dann aufrichtig verzweifelt. „Das wusste…“

Ich machte ein abweisendes Geräusch und sie zog wieder den Kopf ein – drückte sich an ihren Cousin, der schützend die Arme um sie legte.

Ich dagegen riss mich von meinen Mädchen los.

„Lasst sie doch ihre Erfahrungen mit diesem Arsch machen! Sie will es doch nicht anders.“

„Serena“, jammerte Elli meinen Namen.

Ich warf ihr einen wütenden Blick zu und sie knirschte missmutig mit den Zähnen.

„Schlampe“, knurrte ich ein letztes Mal mit dem Blick auf die Neue – nein, auf den Ersatz für mich in dieser Clique – und wandte mich ab.

„Meine Fresse, Serena!“, bellte Nahele sauer.

„Lass sie“, murmelte Grace seufzend. „Das wird schon wieder.“

Ich schnaubte.

Da konnten sie aber lange warten!

Ich ließ die vier einfach stehen.

Mein Leben - Eine Katastrophe

Wie ich sie hasste!

Auch wenn die anderen immer sagten, dass ich sie nur besser kennenlernen solle, denn wir würden uns prächtig ergänzen: Nein! Niemals!

Diese pink gefärbte Lavinia war der Albtraum meines Lebens.

Ok, nein, Marco war der Alptraum meines Lebens, aber sie kam definitiv an zweiter Stelle.

Hätte sie denn nicht einfach in der Versenkung bleiben können, in der sie war?

Ich wusste wirklich nicht was die anderen an ihr so toll fanden.

Sie war einfach nur strunz dumm und unfreundlich.

Kontinuierlich fiel sie einem von uns ins Wort. Ja, Nahele meinte, dass es ihr mit der Fremdsprache schwer fiele und sie deshalb immer fragte, aber hallo?

Dann sollte sie halt ihre übergroßen Ohren zumachen. Was ich mit Elli und Grace beredete, oder auch mit Nahele, das ging sie absolut gar nichts an.

Allgemein musste sie sich in alles einmischen und überall dazwischen drängen.

Dabei fragte ich doch noch nicht mal nach ihrer Meinung!

Nichts funktionierte ohne sie.

Überall musste Nahele sie mit hinschleppen.

Und selbst wenn er nicht in der Nähe war oder verhindert, dann konnte man davon ausgehen, dass sie an Ellis oder Graces Rockzipfel hing.

Wie es mich ankotzte.

Ich vermisste meine Zeit mit meinen Freunden. Einfach mal unbeschwert sein. Stattdessen fuhr ich inzwischen, seit Lavinia da war, freiwillig nach der Schule nach Hause und damit in die Arme meines Kotzbrockens.

Ich vermissete die unbeschwerten Momente mit ihnen. Es war so lange her, dass wir einfach zusammensitzen konnten, ein Eis essen und uns amüsieren oder einander anvertrauen.

Aber nein, Lavinia war in mein Leben geschneit und hatte es tatsächlich geschafft mir meine Freunde streitig zu machen.

Sie waren doch die einzige Familie, die ich hatte!

Und nun war ich alleine…

Vermutlich hätte ich kein Problem mit Lavinia gehabt, wenn ich sie mir selbst als Freundin hätte aussuchen dürfen. Doch stattdessen wurde sie mir einfach serviert.

Zum einen mit der Ansage, dass sie nun zu uns gehörte und zum anderen mit den Worten: Sorry, wir haben keine Zeit für dich, wir sind auf der Nachbarinsel.

Für Lavinia.

Alles versaut!

Alles hinüber!

Ich wollte heulen, irgendwas kaputt schlagen und mich danach so sternenhagelzusaufen, dass ich nie, nie wieder aufwachte.

Nahele, Grace und Elli waren einfach alles für mich.

Meine Familie – Nein, mein gottverdammtes Leben!

Warum passierte mir sowas?

Was hatte ich in meinem früheren Leben verbrochen, dass ich nun so gestraft wurde?

Meine Mutter – weg.

Mein Vater – wohnte wegen seiner Arbeit im Ausland.

Marco – … warum konnte er sich nicht wie mein Bruder verhalten?

Unsere Nanny – inzwischen bei einer anderen Familie damit beschäftigt deren Kindern Liebe zu schenken.

Nun habe ich nur noch Nana, unsere Haushälterin…

Aber auch sie ist doch nur eine Angestellte.

Sollte das etwa mein Leben sein?

Erkaufte Liebe?

Ich konnte nicht mehr.

Ich packte es einfach nicht mehr.

Und dann endlich finde ich Freunde und was passiert? Sie ersetzen mich durch ein pinkfarbenes Flittchen, das meinen Bruder ebenfalls bezirzt.

Ich verstand das nicht. Warum konnten alle Liebe und Familie haben nur ich nicht?

Meine Hoffnungen und Träume begrub ich endgültig.

Genug mit meiner grenzenlosen Naivität.

Es wurde Zeit für Serena Matthews erwachsen zu werden.

Freunde kamen und gingen nun mal...

Familien in die man hineingeboren wurde waren genauso katastrophal…

Aber was sollte ich nun tun?

Meine Noten waren so miserabel, dass ich immer nur mit Mühe und Not in die nächste Stufe versetzt wurde.

An ein College konnte ich damit auf keinen Fall…

Und dann war da noch die Sache mit der Einsamkeit.

Wenn ich mich umsah… Ich hatte einfach alles.

Geld, ein riesiges Haus, Angestellte, ein nettes Auto…

Aber eigentlich wollte ich das doch gar nicht. Ich kam mir wie alleine in einer eiskalten Welt vor.

Bin ich vielleicht doch daran Schuld?

Aber bitte, warum sagte mir keiner was ich getan habe?

Warum machte mein Bruder mich unser Leben lang fertig?

Warum ersetzten mich meine Freunde ohne mit der Wimper zu zucken?

Was hatte ich ihnen allen denn angetan?

Ja, ich bin die letzte Woche wirklich ein Kotzbrocken gewesen, aber…

Aber wie sollte ich mich denn verhalten?

Dieses Mädchen kam hier an und würfelte mein Leben durcheinander, das ich gerade halbwegs sortiert hatte.

Gerade als ich lernte mit dem ganzen Scheiß klarzukommen, kam sie und haut mir dazwischen.

Ich wollte meine Freunde wieder…

Ich wollte mich auch mit meinem Bruder verstehen, so wie sie…

Warum nahm mich keiner in den Arm und sagt mir, dass er mich brauchte?

Und warum verstanden meine Freunde nicht, dass ich sie brauchte?

Ich wollte kein Geld. Ich wollte keinen ununterbrochenen Sex mit irgendwelchen Typen. Ich wollte…

… Ich wollte doch einfach nur, dass mich jemand liebte.

Ich wäre sogar in einem Pappkarton glücklich, wenn ich wüsste, dass es dort draußen jemanden gäbe, der sich um mich sorgt und sich um mich kümmert.

An mich denkt.

Mich liebt.

Vater ließ mich mit Marco alleine. Er lässt sich zwar regelmäßig von Nana über unsere Leben unterrichten, aber interessierte es ihn überhaupt? Er ließ uns ja nicht einmal an seinem teilhaben, selbst dann nicht, wenn wir ihn explizit auf seine Nervosität und seinen traurigen Blick ansprachen…

Marco gab mir für unsere zerstörte Familie die Schuld und dass er seine Mutter wohl niemals kennenlernen würde und…

… und selbst meine Freunde ersetzten mich einfach.

Warum war ich so überflüssig?

Wie ich sie vermisste. Ich wollte heulen.

Warum musste mein Verhältnis mit meinem Bruder so kompliziert sein?

Warum musste er mir an Dingen die Schuld geben, die ich doch gar nicht heraufbeschworen hatte?

Wenn ich doch nur endlich Achtzehn wäre, dann konnte ich einen Neuanfang wagen.

Nur womit?

Kein Geld, keine Begabung, miese Noten…?

Eigentlich hatte ich doch nur…

Mich?

Meinen Körper?

Ich hatte genug von allem.

Wenn das mein Leben war, dann wollte ich es nicht länger führen…

Samstag, 11. August 2018 - Abend

„Samstag? Oh je… das ist ungünstig…“, hatte Nahele verlegen lachend erklärt und sich im Nacken gekratzt.

„Wir haben Lavinia versprochen mit ihr zu kochen und anschließend wollten wir ins Kino und danach vielleicht noch eine Runde Billard spielen…“

Schon wieder sie!

Schon wieder Lavinia.

Ewig gingen mir die Worte meiner Freunde… meiner Bekannten… meiner Mitschüler… was waren sie eigentlich für mich?

Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall gingen mir ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf.

Und auch der Schmerz in meiner Brust wollte einfach nicht verschwinden.

Frustriert lies ich mich auf die Couch im Aufenthaltsraum des Wohnheims unserer Schule fallen und sah durch den dünnen Flaschenhals die Reste meines Wodkas an, den ich anschließend exte.

Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen kullerten.

Die Musik war so laut, dass der Bass den Rhythmus meines Herzens veränderte. Überall waren dicht gedrängt die Schüler meiner Schule und doch: Ich war völlig allein.

Ohne halt, ohne Stütze…

Und schon wieder betrank ich mich hemmungslos.

Hey – immerhin konnte ich stolz auf mich sein: Ich hatte noch mit keinem Kerl gevögelt.

Aber selbst wenn mich einer angemacht hätte, ich hätte keine Lust gehabt.

Ich hatte furchtbaren Liebeskummer.

Liebeskummer und Sehnsucht, nach meinen vormals besten Freunden.

Nach meiner ehemaligen Familie.

Meine Nase begann zu Laufen und ich wischte einmal mit dem Arm darüber.

Ich war ja so jämmerlich.

Saß hier und heulte einer Bande von Verrätern nach, die mich offenkundig nie geliebt hatten… Sonst hätten sie mich doch nicht einfach so ersetzt…

Nun Schluchzte ich doch und zog meine Beine an. Als ich meine Stirn auf meine Knie legte entglitt mir die leere Wodkaflasche und fiel zu Boden.

Was machte ich hier eigentlich? Ich gehörte unter meine Bettdecke, dort konnte ich in Ruhe heulen, aber doch nicht hier.

Obwohl mir gar nicht nach feiern war, als die Nachricht über ein spontanes Saufgelage in der WhatsApp-Gruppe einiger Partypeople unserer Schule durchgegeben wurde, war ich dennoch gekommen. Ich hatte einfach nicht gewusst wohin mit mir an diesem Samstag.

Die Alternative war alleine in meinem Zimmer zu hocken…

Aber war diese Party eine bessere Idee?

Hier war ich zwar umringt von anderen Leuten, aber noch immer genauso einsam.

Und vermutlich tat ich genau das Gleiche, wie ich zuhause gemacht hätte: Heulen.

Als ich mir dessen erneut bewusst wurde, legte ich beide Hände an mein Gesicht.

Ich hoffte so sehr, dass jemand meine Verzweiflung mitbekäme und mich tröstete, aber was sollte ich erwarten?

Die meisten verstanden aufgrund der Musik ja nicht mal ihr eigenes Wort.

Doch dann: „Hey, Hey Baby, nicht weinen! Deine schönen blauen Augen…“

Hoffnungsfroh sah ich auf und begegnete dem absolut perfekten, starken Gesicht von Dean.

Sofort versank ich in dem unendlichen schwarz seines Blickes.

„Oh, Dean…“, seufzte ich verzweifelt und streckte die Arme nach ihm aus wie ein kleines Kind, das hochgenommen werden wollte.

Natürlich, wie hatte ich nur diesen perfekten Mann vergessen können?

Vielleicht konnte er mich ja lieben? Ich hoffte es so wahnsinnig…

Sanft zog er mich in seine Arme und ließ sich dann auf die Couch fallen, sodass ich rittlings auf seinem Schoß saß…

Doch irgendwie störte es mich in diesem Moment ungemein, dass seine Hände direkt meinen Hintern fanden und er mein enges Minikleid einfach hochzerrte, bis er meine blanke Haut packen konnte.

„Soll Daddy dich wieder glücklich vögeln?“, fragte er grinsend und wollte mir einen Rhythmus diktieren.

Mir ging augenblicklich ein Licht auf.

Er war auch nicht anders.

Er liebte nicht mich, er liebte meinen Körper und meine Gefügigkeit in seinen Händen.

Ich lachte leise, als mich diese Erkenntnis mit einem Schläger traf… Doch auch diesmal: Mein Herz verkrampfte furchtbar und ich spürte eine neue Welle an Tränen über mich rollen.

Ich war ja so kaputt…

Er freute sich schon, als ich seine Hände griff und neben seinen Kopf drückte.

Mit einem dunklen Lachen glaubte er, dass ich ihn einfach festpinnen wollte und mich an ihm austoben – sicher hätte ihm das gefallen – aber stattdessen erhob ich mich, richtete mein Kleid und wandte mich ab.

„Hey!“, er stand auf und hielt mein Handgelenk fest. „Was wird das jetzt?“

Doch ich machte mich los.

„Ich bin nicht in Stimmung, Dean. Such dir eine andere.“, damit wandte ich mich ab.

Drehte sich die Erde schon immer so schnell?

Brach gerade der Vulkan aus?

Ich tapste unbeholfen hinüber zu der provisorischen Bar, suchte eine noch ungeöffnete Flasche – mir doch egal welchen Inhaltes – und fand einen süßen Obstschnaps.

Ja, der würde ordentlich knallen. Süßes trank sich immer wie Wasser und machte sich erst nach einiger Zeit bemerkbar, dann aber mit einem Paukenschlag.

Ich wollte gerade den Deckel abschrauben, als mir jemand die Flasche entzog.

„Hey!“, brüllte ich und folgte dem Gefäß, nur um gleich darauf in das spöttische Gesicht meines Bruders zu blicken.

„Meine Fresse, du hast wirklich null Geschmack.“, verkündete er herablassend.

„Gib mir meine Flasche wieder!“, giftete ich und wollte mit viel zu viel Schwung meine Erlösung erreichen – was nur dazu führte, dass ich gleich darauf in seinen Armen lag.

„Woa, Puh!“, machte er angewidert und zog seine stützenden Glieder unter mir weg.

Ich segelte zu Boden, während er sich mit einer Hand angewidert vor der Nase wedelte und diese dann zuhielt.

„Scheiße Mann, wie viel hast du schon wieder gesoffen?“, fluchte er und sah abfällig auf mich hinab.

„Noch nicht genug um deine Hackfresse zu ertragen!“, keifte ich zurück und stand mit wackeligen Beinen wieder auf.

Erneut drehte sich alles um mich herum.

Kurz wurde die Musik Dumpf in meinem Kopf.

Weiterhin verächtlich musterte mich mein Bruder von oben herab.

„Jetzt gib mir meine verfickte Flasche!“, befahl ich erneut und ehe ich wieder gegen ihn taumelte und er sich abermals die Nase zuhalten musste, gab er mir das gewünschte Gesöff lieber freiwillig.

„Du bist so armselig.“, schnaubte er und sah dabei zu, wie ich den Verschluss endlich aufbekam.

„Und doch bin ich lieber ich als du.“, verkündete ich lallend und setzte an.

Plötzlich wurde mir bewusst: Nein, stimmt nicht. In Wahrheit war ich sogar rasend eifersüchtig auf Marco. Viele Freunde, ein gewisses Ansehen, ein vorzeige Sohn… Wobei letzteres nur der Fall war, weil er Nana seine wahre Seite nicht zeigte, sodass sie nichts Negatives an unseren Vater zu berichten hatte… Außer vielleicht, dass wir uns nach all den Jahren nicht leiden konnten…

Vielleicht sollte ich Vater wirklich petzen, dass Marco jetzt mit Drogen dealte!

Und dennoch: Ich wollte lieber er sein…

Ich nahm die Flasche runter und sah hinein. Das Gebräu war nicht gut. Ich wollte die Wahrheit nicht sehen! Es sollte mich all diese Dinge vergessen lassen und stattdessen sah ich umso klarer, wie es meiner Seele ging…

Als ich aufsah, blickte ich in etwas, das ich noch nie gesehen hatte: Marco musterte mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Besorgnis…

Und plötzlich wurde mir klar: Scheiße! Ich hatte laut zugegeben, dass ich lieber er sein wollte…

„Serena, wie viel trinkst du hier schon?“

„Geht dich einen feuchten Furz an.“

„Du hast geweint.“, stellte er weiter fest.

„Und auch das ist nichts, was dich zu interessieren hat.“, spukte ich ihm voller Verachtung entgegen und der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde augenblicklich wieder so kaltherzig wie sonst.

„Bitte, aber ins Koma säufst du dich nicht solange ich dabei bin. Das würde Nana das Herz brechen!“, verkündete er sauer und wollte mir meine Flasche entreißen.

„Lass mich in Ruhe!“, quengelte ich gestresst. Wir rangelten um die Flasche… und schon war es geschehen: Die rote, klebrige Flüssigkeit verteilte sich auf seinem schwarzen Hemd.

„Boa Fuck! Bist du total bekloppt? Das Zeug geht nie wieder raus!“, fluchte er und sah an sich runter.

Ich grinste süffisant und trank provokativ einen Schluck aus meiner Flasche… oder zumindest hatte ich das vor – scheinbar hatte sie sich komplett über ihm ergossen.

Grummelnd knallte ich die Flasche auf den Tisch neben mir und verlor fast das Gleichgewicht, doch ich konnte mich noch immer an der Kante bis zu dem Alkohol ziehen.

Warum war es so warm in diesem Haus?

Diesmal war ich nicht so wählerisch und griff einfach irgendeine Flasche.

„Jetzt hör endlich auf zu trinken!“, schrie Marco mich noch einmal an.

„Du hast mir gar nichts zu sagen, Arschgesicht! Verpiss dich endlich und lass mich in Ruhe!“

Er sah mich vor Wut schnaubend an und schüttelte seine Hände aus, von denen es ebenso rot tropfte wie von seinem Hemd.

„Bitte, kill dich halt. Hab ich ein Problem weniger.“

Er rauschte davon und ich rief ihm nach: „Ein lang gehegter Traum wird endlich wahr, was? Daddys Millionen nur für dich! Du musst so stolz auf mich sein, dass ich endlich unter die Erde wandere! Juhuuuu“, ich sang beinahe, da war sein schwarzer Haarschopf schon verschwunden.

Komisch… irgendwie fühlte ich mich jetzt schlecht.

Egal.

Was macht man gegen ein schlechtes Gefühl?

Tipp: Ich hielt die Lösung bereits in der Hand!

Ich wollte die neue Flasche öffnen und ansetzen, als auch diese mir entzogen wurde.

Warum konnte sich denn niemand seinen eigenen Alkohol beschaffen?

Wütend folgte ich meinem Getränk und sah gleich darauf entsetzt in die dunklen Augen von Elli.

Verzweifelt versuchte sie den Verschluss zu öffnen und setzte an, als sie es endlich packte.

Schlagartig sah ich wieder eine Nuance klarer.

„Oh mein Gott, Elli, Süße, was tust du da?!“, fragte ich panisch und wollte ihr die Flasche wegnehmen, aber sie schlug nur mit der freien Hand nach mir und verzog angeekelt das Gesicht, als sie den Alkohol schmeckte.

„Lass mich! Das ist meiner!“, meckerte sie und schüttelte sich. „Boa, wie widerlich!“

„Du hasst Alkohol!“, erinnerte ich sie und wollte ihr die Flasche erneut entreißen.

„Na und? Ab heute nicht mehr!“

„Was ist denn passiert?“

Elli setzte noch einmal verzweifelt an und trank gierig einen großen Schluck.

Als sie absetzte wankte sie leicht und sah mich mit rollenden Augen an.

Im Normalfall hätte ich gesagt sie hätte schon mindestens drei Flaschen intus, aber nicht meine Elli! Elli war die Unschuld in Person!

Kein Sex, keine Drogen, kein Alkohol, keine Partys…

„Elli was ist mit dir? Warum bist du nicht im Kino mit den anderen?“

„Ich war müde und bin nachhause gekommen.“

Ich sah mich um.

Wir standen im Lichthof des Wohnheimes vor dem Hinterausgang zum Strand, nicht aber in ihrem Zimmer.

„Ja und? Warum schläfst du nicht?“

Sie sah mich zweifelnd an.

„Echt jetzt? Das fragst du noch bei diesem Lärm? Außerdem haben irgendwelche Schweine mein Zimmer aufgebrochen und drehen dort gerade einen Porno!“

„Was? Nicht dein Ernst!“

„Doch, da treibt es ein Kerl mit zwei Weibern und ein anderer steht daneben und hält das Handy drauf.“

Ich verzog mitfühlend das Gesicht.

„Das tut mir leid, mein Herz, aber Alkohol ist doch auch keine Lösung.“

„Wenn du das machst, dann kann ich das auch!“, nun endlich musterte sie mich. „Du hast geweint.“ Stellte sie fest, doch ich schüttelte den Kopf.

Ich wollte ihr nicht sagen wie benutzt und verletzt ich mich fühlte, weil die anderen lieber mit Lavinia ins Kino gingen, als mit mir Lagerfeuer am Privatstrand unserer Villa zu machen.

Außerdem war Elli gerade wichtiger.

Sie durfte sich nicht so gnadenlos betrinken.

„Ich weine, weil du trinkst. Komm, gib mir die Flasche, ja?“

„NEIN!“, sie fauchte mich fast an und ich wich zurück.

So hatte ich mein kleines Pummelchen noch nie erlebt.

Verzweifelt blickte sie zu mir auf.

„Ich bin so furchtbar müde, Sera, und hier ist es immer so laut und erdrückend und… und ich bekomme seit Tagen kein Auge zu.“

Was hätte ich nur tun können?

Sie zu mir fahren?

Aber dazu war auch ich definitiv nicht mehr in der Lage. Alleine wäre ich wohl gefahren – mein Leben war mir dank der vergangenen Stunden relativ egal – aber doch nicht mit Elli!

Wenn ihr nun was wegen mir passiert wäre – nein, so betrunken konnte ich nicht sein, um meine Freunde in Gefahr zu bringen.

„Geben wir uns zusammen die Kante, ja? Und dann sitzen wir morgen mit Sonnenbrille und verkatert am Strand.“, schlug sie witzelnd vor, doch ihr Gesicht wurde schon blass…

Ich war mir absolut sicher, dass ihr gleich wieder das wunderbare Abendessen, das Nahele ihnen gekocht hatte, hochkam.

„Gehen wir einen Augenblick raus? Mir ist so schwindlig…“, heulte sie dann, griff meine Hand und zerrte mich mit sich – ich nutzte die Gelegenheit ihr den Alkohol wegzunehmen und in meinem Magen in Sicherheit zu bringen…

Samstag, 11. August 2018 - Nacht (Teil 1)

Im Nachhinein musste ich zugeben, dass es ein absolutes Wunder war, dass ich mich überhaupt noch an alles – oder zumindest das Meiste – so gut erinnerte.

Ein Blick auf Elli jedoch verriet mir, dass sie sich wohl am Sonntag nicht mehr darüber im Klaren war, was auf der Party im Wohnheim geschah.

Wie sie in mitten der tanzenden Schüler stand und ihre Hüfte und Haare umher warf bezweifelte ich sogar, dass sie sich überhaupt daran erinnern würde die Party betreten zu haben.

Ich lächelte. Schön fand ich es nicht, dass meine süße Maus sich so betrank, aber es schien ihr besser zu gehen. Sie amüsierte sich prächtig und flirtete gelegentlich, war jedoch artig und ließ nicht zu, dass die Typen sie irgendwie berührten.

Das war meine Elli.

Grace würde vermutlich immerhin mit ihnen knutschen und Nahele mit den Mädchen sowieso noch mehr…

Was Lavinia alles mit sich machen lassen würde, das wagte ich nicht zu überlegen. Vermutlich legte sie sich direkt hin und machte die Beine breit…

… Was wohl in etwa meiner Vorgehensweise entsprach…

Ich wandte mich von meiner tanzenden Freundin hab und exte den letzten Rest meiner Flasche, als mein Blick auf Marco fiel, der mich missmutig musterte.

Seine Zähne malten und seine Brustmuskeln hoben und senkten sich schwer bei jedem Atemzug, den er tat.

Vermutlich war er fuchsteufelswild wegen seines Hemdes, das er inzwischen hatte ausziehen müssen, damit mein klebriger Alkohol nicht seine ach so perfekte Haut beschmutzte.

Ich grinste ihn süffisant an und warf ihm einen Kuss durch die Menge hinweg zu, was seine Wut nur noch weiter anfachte.

Hätte er gekonnt, dann hätte er mich wohl in diesem Moment umgebracht, doch stattdessen wurde er von einem angeheiterten Typen angerempelt, als dieser sich an die Wand neben ihm lehnte.

Was auch immer er sagte, es schien Marco nur noch mehr auf die Palme zu bringen und er baute sich mit einem kurzen hasserfüllten Blick zu mir vor dem Kerl auf, der noch immer freudestrahlend auf ihn ein plapperte.

Da mich nun jemand beim nerven meines Bruder würdig vertrat, wandte sich mich wieder der tanzenden Meute zu…

Verwirrt blickte ich mich um.

Da ließ man Elli für drei Sekunden aus den Augen und schon war sie weg.

Wie vom Erdboden verschwunden…

Für gewöhnlich wäre ich nun wohl in Panik geraten und hätte nach der kleinen Schwarzhaarigen gesucht, aber nicht mit was weiß ich wieviel Promille im Blut.

Immerhin: Dieses Gebäude war ihr Zuhause. Vielleicht hatte sie sich einfach nur genug Mut angetrunken, um diese Perverslinge aus ihrem Zimmer zu verbannen und anschließend in einem tiefen Schlaf ihren Rausch auszupennen.

Grinsend sah ich mich um, als der Beat der Musik schon wieder Umschwang.

Grölend hüpfte die Menge in die Luft, sodass es fast an ein Wunder grenzte, dass das Haus nicht zusammenstürzte.

Als mich dann aber ein Typ anzutanzen versuchte, entschied ich, dass es Zeit für ein neues Fläschchen war.

Baby hatte Durst – und davon eine Menge.

Ich ließ ihn also stehen und schob ein Pärchen auseinander, die mir den schwankenden Weg zur Bar versperrten, als einer der Spieler vom Footballteam mein Handgelenk packte und mich zu sich zog.

„Los, Serena, tanz für uns!“, schrie er mir über die laut hämmernde Musik entgegen. Seine Augen glänzten allein bei der Vorstellung, dass ich das tun würde.

Und warum auch nicht?

Um ihn herum begannen mehrere Typen zu grölen und mich anzufeuern.

Beachtung.

Aufmerksamkeit.

All das schenkten sie mir auf einmal.

Ich war beliebt bei ihnen für das was ich tat.

Sie LIEBTEN mich!

Und ich wusste was ich zu tun hatte, wenn ich diese – zugegebener Maßen zweifelhafte – Liebe behalten wollte: Ich musste ihnen ihre Wünsche und Erwartungen erfüllen.

Sie wünschten sich, dass ich tanzte.

Sie erwarteten, dass ich strippte.

Ich lachte mich beinahe in Trance, als mich der Footballspieler auf den Tisch hob und ich in die erwartungsvollen Gesichter der Anderen um mich herum sah.

Sie jubelten und schrien meinen Namen, als ich mich zu bewegen begann – gespreizte Beine, schwingende Hüfte…

Ich spürte ihre Blicke auf mir und ihre Hände, die nach meinen Beinen griffen. Es schien wie eine Ehre für sie zu sein einmal meinen Knöchel, meine Wade oder gar meinen Oberschenkel zu berühren.

Sie himmelten mich an…

Das war es doch, was ich wollte!

Beachtung.

Liebe.

Zuwendung…

Sollte ich sie nur so bekommen?

Vermutlich.

Dies war das Einzige was ich konnte und dafür wurde ich gefeiert.

ICH!

Ich warf die Hände in die Luft und legte den Kopf in den Nacken. Dabei bemerkte ich kaum, dass jemand von hinten nähergekommen war und den Reißverschluss meines Kleides öffnete. Gleich darauf rutschte der Stoff zu Boden und ich präsentierte das letzte, das ich trug: Mein schwarzes Spitzenhöschen.

Der Jubel wurde lauter und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

Ich fühlte mich so begehrt…

Total betrunken verhedderten sich meine Füße in meinem Kleid und ich verlor das Gleichgewicht in meinen High Heels.

Die Jungs um mich herum lachten (dreckig) als ich auf sie fiel und sie sich regelrecht darum stritten, wer mich auffangen durfte. Wo überall die vielen Hände auf meinem Körper waren, darüber wollte ich gar nicht nachdenken.

Nur… Sie mochten mich so sehr, dass sie sich um mich stritten und um das Privileg, wer mich halten durfte.

In diesem Augenblick war ich so glücklich.

Sie liebten mich.

Sie liebten mich…

Scheinbar hatte nun endlich einer die anderen bezwungen, denn zwei starke Arme schlangen sich um mich und zogen mich auf die Hüfte ihres Besitzers, der mich mit gierigen, grünen Augen anfunkelte.

Ich schlang die Arme um seinen Hals, während er mich bereits in Richtung Treppe trug. Wir suchten uns nun wohl ein Zimmer, in dem er mir zeigen konnte wie sehr er mich liebte…

Plötzlich war alles vorbei.

Mit einem Schlag war alles finster um uns herum und die Musik hörte auf zu spielen. Anfängliche Verwirrung unter den Anwesenden wich purer Empörung, als sich alle auf die Suche danach machten, warum ihre Feier denn so rüde unterbrochen wurde.

Fluchend ließ das Grünauge mich los und ich fiel. Unsanft landete ich auf meinen Füßen, brach mir dabei jedoch einen der hohen Absätze ab und hielt mich gerade so am Geländer der Treppe fest, ehe ich stürzen konnte.

Irritiert sah ich mich um.

Es war stockfinster.

Nur einige hatten ihre Smartphones herausgeholt, um sie als Taschenlampe zu benutzen. Doch die ersten freuten sich bereits über diesen Stromausfall, denn lautstarke Rufe verlangten danach, dass das Licht weiterhin komplett gelöscht bliebe. Dem Kichern und Quietschen einiger Mädchen nach zu urteilen war der Grund wohl erotischer Natur…

Ich versuchte mich hinzustellen und tappte mit dem kaputten Schuh ins Leere.

Plötzlich prasselte erneut die Einsamkeit auf mich ein.

Keiner beachtete mich mehr.

Niemand kümmerte sich noch um mich.

Ich sah mich um, doch erkennen konnte ich nur ein paar Silhouetten, die Menschen darstellten…

Doch ich wusste nicht wer sie waren.

Ich war erneut allein in einer großen Menge.

Ich griff die Stange des Treppengeländers fester und legte nun auch die zweite Hand daran, als ich schonwieder diese heißen Tränen spürte, die sich über meine Wangen ergießen wollten.

Ich fröstelte – obwohl es in diesem Foyer so heiß und stickig war – und realisierte, dass ich beinahe nackt vor allen Schülern dieser Schule getanzt hatte – zwar nicht zum ersten Mal, aber ich kam mir plötzlich so schäbig und dreckig dabei vor.

Ich schluchzte verzweifelt auf und sackte in die Knie. Das Gerüst vom Geländer war das einzige, was mich noch hielt.

Tief holte ich Luft und stieß sie zitternd aus, als sich plötzlich ein Lichtkegel grell auf mich richtete.

Erschrocken kniff ich die Augen zusammen und versuchte sie vor der plötzlichen Helligkeit abzuschirmen.

Ein ungutes Gefühl beschlich mich und ich presste die Arme schützend vor meine Brüste.

Ein von der Sonne gebräunter, muskulöser Arm erschien aus dem Licht.

Ich wehrte mich nicht, jammerte aber plötzlich widerwillig auf, als er nach meinem Arm griff und mich ruppig in die Senkrechte zurückzog.

Samstag, 11. August 2018 – Nacht (Teil 2)

Ein ungutes Gefühl beschlich mich und ich presste die Arme schützend vor meine Brüste.

Ein von der Sonne gebräunter, muskulöser Arm erschien aus dem Licht.

Ich wehrte mich nicht, jammerte aber plötzlich widerwillig auf, als er nach meinem Arm griff und mich ruppig in die Senkrechte zurückzog.
 

„Oh ja, Bro! Guter Plan! So sehen wir sie wenigstens wieder! Heißes Gerät!“, sagte jemand zu meiner linken.

Mein Herz begann zu rasen. Diese Art von Liebe wollte ich nicht. Nicht unter Zwang…

Das schien der Gast mit dem Licht wohl ebenso zu sehen, denn er schob sein Telefon kurz in seine Hosentasche und dann sah ich nur noch eine kaum wahrnehmbare große Silhouette, die ausholte und einer zweiten mitten ins Gesicht schlug.

Als das Licht erneut aufleuchtete sah ich eine tiefsitzende, verwaschene Bluejeans über deren Rand eine Celvin Klein Unterhose hervorlugte. Darüber stark definierte Bauchmuskeln. Mehr konnte ich leider nicht ausmachen, da mich das Licht noch immer blendete.

Ein Blick nach links und ich entdeckte einen blonden Typen, der sich jammernd über den Boden kugelte.

Mein Retter – Konnte ich ihn denn so nennen? – scherte sich nicht weiter um die jämmerlich winselnde Gestalt, sondern zog nun einen hellblauen Stoff in mein Sichtfeld.

Mein Kleid!

Erschrocken hob ich den Blick dorthin, wo wohl sein Gesicht sein musste.

Was war das bitte für ein Typ?

Fast hektisch schüttelte er mein Kleid mit einer Hand auf, als wollte er wissen, wo er welches Ende platzieren sollte, dann ging das Licht seines Telefons aus.

Erschrocken hob ich den Blick.

Sein Schatten war noch da.

Was tat er nun?

Ich blinzelte einmal, da war er weg.

„Nein! Nein, warte! Mein Kleid!“, jammerte ich und streckte die Arme aus. Sofort traf ich auf dichtes, volles Haar, weich und warm.

Ein Kopf...

Kniete er vor mir?

Warum?

Ich hielt mich an seinem Kopf fest und wollte eben etwas sagen, da griff plötzlich eine große, warme Hand in meine Kniekehle. Erschrocken sackte ich vor und griff an seine Schulter – breit, fest, durchtrainiert… Kein Zweifel, er musste zur Footballmannschaft gehören…

Aber wer?

Dean war er auf keinen Fall – der war schwarz, der Typ vor mir nur gebräunt…

Was etwa auf dreiviertel der Mannschaft zutraf…

Ich spürte, wie er meinen Fuß durch den Stoff führte und als ich sicher stand half er mir auch mit dem zweiten Bein zurück in die Kleidung.

Mächtig wie ein Bär – und mindestens genauso gefährlich – richtete er sich wieder auf, wobei er mein Kleid mit hoch zog. Meine Hände wanderten gezwungener Maßen von den Schultern zu seiner starken Brust.

Ich schluckte.

Sein Herz schlug etwas schneller, als wohl normal. Aber gut, er hatte eben jemanden niedergeschlagen und wer weiß was er zuvor getan hatte.

Ich spürte, wie er mir den hautengen Stoff über die Hüfte schob, bis er als Ring auf meiner Hüfte ruhte.

„Wer bist du?“, fragte ich vorsichtig. Man, ich kannte einfach alle Footballspieler. Jeden einzelnen – außer Nahele – hatte ich ihm Bett gehabt. Meinen Bruder klammerte ich hier einfach mal aus.

Anstatt mir jedoch zu antworten drehte er mich herrisch – wenn auch überraschend sanft – um, sodass ich mit dem Rücken zu ihm stand.

Erschrocken hielt ich mich am Geländer der Treppe fest und keuchte schwer.

„Was tust du?“, flüsterte ich erstickt, doch er griff nur erneut an den Stoff und zog ihn über meine Brust.

Ich war so verwirrt. Nie hatte mich ein Mann angezogen, nur aus… Warum tat er das also?

Seine Finger betteten den Stoff meines Kleides über meine Brust. Dabei streiften sie sanft meine Haut. Augenblicklich überkam mich ein wohliger Schauer, der Gänsehaut auf meinen Armen hinterließ.

Weiter folgten seine Berührungen dem Saum meiner Kleidung, als er die Enden auf meinem Rücken zusammenführte und mit einem Ruck den Reißverschluss hoch zog.

Ich biss mir auf die Unterlippe und schloss die Augen. Seine kraftvollen, einschüchternden Bewegungen ließen meine Knie zittern und meinen Bauch kribbeln.

Was war das nur für ein Gefühl, dass meinen Körper durchfuhr und mich langsam wieder wärmte?

Er fuhr mit den Händen an meinem Rücken hinab bis zur Taille, wo der Rest des Kleides noch immer aufgerollt hing. Vermutlich unbewusst fuhren seine Finger über meine Haut. Wo er mich berührte, schien meine Haut zu kribbeln.

Langsam öffnete sich mein Mund.

Er zerrte leicht an mir, als er den Stoff endlich runter zog – über meine Hüfte und meinen Hintern.

Ein kurzes Keuchen entfuhr mir und ich schloss die Augen. Genießend biss ich mir auf die Unterlippe.

Was war das?

Er zog mich doch nur an! Er entkleidete mich nicht um mich nackt zu sehen, er bedeckte mich. Verdammt noch mal, warum machte mich diese Geste so an?

Seine Hände fuhren über meine Schenkel und nach vorn zu meiner Mitte. Er hatte keine Absichten, er wollte nur den Stoff ordentlich richten.

Seine Finger glitten wieder zurück und über meinen Hintern.

Erneut entfuhr mir ein seliges Keuchen.

Seine Berührungen waren so wunderbar…

So wärmend…

So…

Intensiv…

Instinktiv reckte ich ihm meinen Hintern etwas entgegen.

Vielleicht wollte er ja belohnt werden? Zu gerne dürfte er mich nehmen.

Doch der Fremde hielt einen Augenblick inne, als er meine Bewegung registrierte.

Zittrig stieß ich die Luft aus.

Nein, natürlich wollte er mich nicht, wie dumm war ich eigentlich?

Wenn er mich gewollt hätte – wenn er mir etwas Zuneigung hätte schenken wollen – dann hätte er mich nicht angezogen, dann hätte er mir auch noch meine Unterwäsche entriss und sich zwischen meine Beine gedrängt.

Er liebte mich genauso wenig wie die anderen.

Ich atmete tief ein und sah überflüssiger Weise über meine Schulter – ich konnte ja ohnehin nichts erkennen.

„Vielen Dank für deine Hilfe“, flüsterte ich und merkte selbst, wie zerbrochen meine Stimme klang.

Jede Bewegung seinerseits gefror.

Seine kaum spürbare Berührung brannte sich in meine Hüfte… Wobei, vermutlich berührte er mich schon lange nicht mehr… vielleicht stand er nicht einmal mehr hinter mir?

Ich wandte mich wieder dem Geländer zu und senkte den Kopf.

Ein furchtbar leeres Gefühl entstand in meinem Magen und kämpfte sich vor bis in mein Herz.

„Marco hat so recht… Ich bin so dumm und nutzlos… Ich will nicht mehr leben…“, flüsterte ich und versank noch tiefer in meiner Verzweiflung. Leicht bewegten sich die brennenden Stellen die der Typ an meiner Haut hinterlassen hatte. Ich begann zu lachen, als mein törichtes Herz sich wünschte, dass er noch bei mir wäre – doch nach nur zwei Sekunden flossen erneut meine Tränen.

Warum weinte ich an diesem Abend nur so viel?

Nur weil ich endlich begriff, dass ich mutterselenallein auf dieser Welt war? Und der Alkohol tat wohl sein Übriges…

Ich musste unbedingt lernen mich zusammen zu reißen.

Ich legte eine Hand an mein Gesicht und griff mit der anderen das Geländer fester.

Langsam sank ich auf die Knie…

Oder wollte es zumindest.

Ich sah auf.

Noch immer in vollkommener Dunkelheit kicherten und johlten die Anwesenden ohne Unterlass.

Doch nun schoben sich auf einmal zwei Arme von hinten um meine Taille und drückte mich fest an einen trainierten Körper.

Mein Atem ging stockend. Er war doch noch nicht gegangen? Er hatte mich angezogen und stand noch immer hinter mir, anstatt mich einfach fallen zu lassen wie die anderen?

Mein Körper, der sich anfühlte wie in Eiswasser gebadet – so sehr zitterte ich – schmiegte sich willentlich an seine Hitze, die sich wie ein Schutz um mich legte.

Ich wollte den Kopf zu ihm drehen, doch da legte er das Gesicht bereits auf meiner Schulter ab.

Der Geruch eines herben, würzigen Aftershaves stieg mir in die Nase und gab mir etwas Vertrautes. Eindeutig, ich kannte ihn. Er war definitiv einer der Footballer…

Meine Neugier stieg immer mehr, besonders, als ich etwas Feuchtes an meiner Haut spürte.

Kein Kuss, sondern eine Träne…?

Warum sollte er Tränen vergießen? Welcher dieser Machos war dazu überhaupt in der Lage?

Etwa…

Nahele?

Nein, unmöglich, der war doch mit den anderen im Kino und Billardspielen…

Verwirrt registrierte ich, wie sich seine Arme fester um mich zuzogen.

„Du… bist… noch hier?“, fragte ich verwirrt und hoffte inständig, dass er mit mir reden würde. Ich hätte ihn sofort erkannt, da war ich mir sicher.

Doch entgegen jeder Erwartung nickte er schlicht und drückte mich noch fester.

Dann war plötzlich alles vorbei.

Er löste sich von mir und augenblicklich war es wieder unbeschreiblich kalt. Verwirrt starrte ich noch immer in die Finsternis vor mir.

Da war so ein Gefühl in mir… Eine kleine Flamme, die ich nicht zuordnen konnte… Was war das?

Mein ganzer Körper kribbelte und meine Beine wurden weich.

Er war so zärtlich zu mir… Viele waren zärtlich zu mir, aber nicht so wie er…

Irgendwas war… anders?

Und warum spürte ich seine Anwesenheit noch immer mit jeder Faser meines Körpers? Ich hatte das Gefühl eine Wünschelrute zu sein, die nach ihm ausschlug…

„Wo bist du?“, flüsterte ich über die Schulter und drehte mich bereits halb herum, als seine Arme erneut meinen Körper fanden.

Sein Duft stieg in meine Nase, so war ich sicher, dass er es war der mir mit seiner Umarmung Halt gab.

Er schlang die Arme um meine Schultern und zog mich an seine Brust.

Das Schlagen seines Herzens war wie Balsam für meine Seele und ich lächelte leicht, als ich das Ohr an seine Brust legen durfte.

Fest presste er mich an sich. Eine Hand vergrub sich zusammen mit seiner Nase in meinem Haar, die andere fuhr meinen Rücken hinab.

Sanft schob ich meine Arme um seine Taille. Meine Finger strichen über seine Haut und für einen Moment machte sein Herz einen Schlag mehr.

Dankbar für diese unbekannten Gesten, die er mir schenkte, hielt ich ihn ebenso stark fest, wie er mich.

Sanft fuhr ich mit den Fingern seine Wirbelsäule entlang, bis er sich von mir löste.

„Nein! Bitte! Nicht weggehen!“, hauchte ich beinahe panisch und er stockte einen Moment.

Wollte er wirklich einfach gehen?

Aber ich wusste doch noch immer nicht wer er war!

Sanft strichen seine Hände bis zu meinem unteren Rippenbogen. Eine Sekunde verweilten sie dort und massierten mich mit sanftem Druck in einem langsamen Rythmus. Beinahe wie das sanfte schlagen eines Herzens.

Ich schluckte schwer und legte die Hände auf seine Arme. Langsam fuhr ich an ihnen hinauf, über seine muskulösen Oberarme, seine breiten Schultern, zu seiner steinharten Brust.

Mein Herz setzte aus – Der Unbekannte kam mir näher.

Seine Arme schlossen sich hinter meinem Rücken, seine Stirn legte sich sanft an meine, seine Nasenspitze berührte meine beinahe schüchtern.

Ich wollte nicht, dass er diese Bewegung hier endete.

Alles in mir schrie danach ihn zu küssen. Ich wollte seine Lippen schmecken.

Sanft fuhr ich mit der rechten Hand wieder an ihm hinauf und trat dichter an ihn.

Meine Finger folgten sanft seiner Halsschlagader bis zu seinem Kiefer.

Er musste sich frisch rasiert haben. Seine Gesichtshaut war so unglaublich weich…

Ich folgte einem kräftigen Kiefer bis hin zu einem ebenso breiten, markanten Kinn.

Er stieß die Luft aus. Sein heißer Atem roch leicht nach Alkohol, doch viel konnte er nicht getrunken haben.

Er behandelte mich also nicht aufgrund eines Rausches so, oder?!

Und noch wichtiger: Er genoss meine Nähe… Nicht nur körperlich wie die anderen, sondern es schien, als würde er mich viel intensiver spüren.

Mir wurde schon wieder so warm. Der Boden unter meinen Füßen schien sich zu bewegen.

Verflucht, wer war er?!

Ich strich seine Wange hinauf.

Unter meinen Fingern bewegte sich die kräftige Muskulatur seines Kiefers, als er ihn angestrengt zusammenpresste und ich spürte eine nasse Spur von Tränen.

Ein Mann mit Gefühlen…

Mein Herz schlug schneller.

Hatte er wegen mir Tränen vergossen? Schlagartig wollte ich ihm noch näher sein. Ein unstillbares Verlangen brannte in mir auf. Kein sexuelles, es war… anders …

Seltsam… Bisher hatte nur Dean in mir den Wunsch nach Nähe ausgelöst, doch dieser hier vor mir war so…

Das Gefühl war so ganz anders.

Es war warm und kribbelig und liebkoste mich von innen heraus.

Das kleine Flämmchen in mir wuchs und wärmte mich langsam.

„Du hast geweint… wegen mir?“, flüsterte ich erstickt und spürte, wie er sich lösen wollte.

Natürlich – die ganze Mannschaft bestand nur aus harten Kerlen und der größte Teil davon waren die dämlichen und idiotischen Freunde meines Bruders. Sicher wollte er sich nicht als Softy outen.

Voller Angst griff ich in seinen Nacken.

Seine Haare waren kurz und unglaublich dick, aber das hatte ich ja schon mal bemerkt...

Er musste ein Adonis sein, wenn er vor einem stand…

Er hielt inne und sah wohl eine Weile in meine Richtung – wenn doch nur das Licht an wäre…

Schließlich gab er sich geschlagen. Er zog mich wieder mit einem Arm enger an sich. Die Finger der anderen Hand berührten plötzlich ganz sanft meine Wange.

So viel Gefühl und Liebe habe ich noch nie gespürt wie in dem Moment, da er seine große Hand um mein Ohr legte und mit dem Daumen unter meinen Augen rieb.

Er wusste es, das war mir sofort klar. Er wusste wie einsam ich war… und er litt für mich…

Vor Freude und Verzweiflung schlug mein Herz höher. Ich wollte wissen wer er war.

Das Gefühl wie in diesem Moment wollte ich nie wieder verlieren.

Ich hob auch meine zweite Hand zu seinem Gesicht und strich ihm über die markanten Kieferknochen.

Ich wollte etwas sagen, ihn anbetteln mir zu sagen wer er war, aber ich traute mich nicht. Vielleicht hätte ich ihn verscheucht… Und ich wollte ihn unbedingt bei mir halten.

Sanft strich seine Nase an meiner entlang.

Ich zitterte.

Er machte sich wirklich Sorgen um mich.

Was war das? Was machte er mit mir?

Warum fühlte ich mich so komisch?

Ich trat noch etwas dichter an ihn heran und überbrückte aus Reflex die Distanz.

Scharf zog er die Luft ein, als ich meinen Mund auf seinen presste.

Wollte er das nicht? War ich nun zu weit gegangen?

… Erschreckend wie viele Gedanken ich mir trotz des vielen Alkohols noch machen konnte!

Ich spürte unter meinen Fingern wie er hart schluckte, als ich meinen Kopf zurückzog. Ich strich seinen Hals hinab und über seine Brust.

Seine Hand bewegte sich.

Sein Daumen zitterte leicht, als er mir über die Unterlippe strich.

Mein Herz wurde schwer. Jetzt würde er gehen…

Nein! Das ging mir viel zu schnell! Ich wollte ihn noch etwas bei mir halten und krallte die Hände an seinen starken Hals.

Plötzlich schnellte er vor.

Heiß verschmolzen unsere Lippen miteinander.

Ich seufzte leise in den Kuss.

Verlangend, aber vor allem als würde er mir Schutz bieten wollen, schlang er seine Arme fester um mich und setzte kurz ab, nur um gleich darauf meine Unterlippe sanft einzusaugen.

Ich musste keuchten.

Jede Berührung war so intensiv.

Es schmatzte leicht, als wir uns erneut voneinander trennten und dann strich seine Zunge über meine Oberlippe.

Ich zog die Arme fester um seinen Nacken und ließ ihn ein.

Er war so zärtlich. Jede seiner Bewegungen war fordernd und verlangen, aber zeitgleich so gefühlvoll, wie ich es noch nie erlebt hatte.

Er wollte mich nicht rumkriegen.

Vermutlich hatte er nicht mal geplant mich zu küssen, als er mich wie ein Kleinkind einfach in mein Kleid zwang, aber ich konnte spüren, dass er nun genauso unsere Empfindungen genoss wie ich.

Ein wohliges Geräusch drang aus seiner Kehle.

Als er sich von mir löste hielt ich die Augen weiter geschlossen. Ich hatte das Gefühl zu schweben…

Wer war er nur?

Ich hätte alles für ihn aufgegeben. Die Partys, den Alkohol, den schnellen bedeutungslosen Sex…

Einfach alles.

War das die Liebe?

Wir seufzten beide leise und küssten uns noch ein letztes Mal beinahe unschuldig.

Ich strich ihm noch einmal über das Brustbein, als mir eines klar wurde: Dies war sowohl unser „Hallo“, als auch unser „Lebe wohl“.

Ein weiteres Mal würde es nicht passieren.

„Ich… will heim…“, flüsterte ich und kämpfte erneut mit den Tränen.

Er legte seine Stirn erneut an meine und nickte leicht.

Ein Schluchzen kam über mich.

„Aber ich will dich nicht… verlieren…“, jammerte ich verzweifelt. „Bitte… du… hilfst mir…“

Er atmete tief durch, dann schüttelte er den Kopf.

Sofort schlang ich meine Arme um ihn und hielt ihn fest.

„Lass mich nicht los!“, flüsterte ich, aber er strich nur ein letztes Mal über meinen Rücken, über die Wange und entfernte mit dem Daumen meine Tränen.

Plötzlich trat er zurück, sodass ich keine andere Wahl hatte, als ihn loszulassen…

Und dann entglitt er mir.

Die Welt um mich herum wurde wieder dumpf.

Die Geräusche der anderen Schüler drangen wieder an mein Ohr, aber ich wollte gar nicht wissen, was sie alle trieben in der Dunkelheit des Wohnheims.

Verloren und schluchzend taumelte ich über sie hinweg oder drückte mich durch sie hindurch, bis ich endlich das Gebäude verließ und sofort auf dem Parkplatz stand.

Ich sah mich um.

Mir war so kalt.

Wo war nur mein Unbekannter, der mich hielt?

Ich taumelte gegen eine Laterne. Die Kraft verließ meine Beine. Um mein jämmerliches Heulen vor den anderen zu verbergen legte ich mir beide Hände vor den Mund.

Plötzlich bohrten sich aggressiv die Finger einer großen Hand in meinen Oberarm.

Erschrocken sah ich auf und blickte in die sauer blitzenden Augen meines Bruders.

„Was willst du, Marco?!“, jammerte ich verzweifelt. „Ich habe keine Lust mehr auf dich!“

Er schnaubte nur und zerrte mich zu seinem Wagen – der gleiche wie meiner, nur in schwarz.

„Halt deine Klappe und steige ein. Ich fahre dich nach Hause. Du hast so viel gesoffen, du killst dich nur selbst.“

Er öffnete gar nicht erst die Tür, sondern hob mich einfach hoch wie ein Kleinkind, um mich auf den Beifahrersitz zu werfen.

Hart schlug ich auf, aber das war mir gerade egal.

Ich wollte doch nur zu IHM zurück…

„Anschnallen nicht vergessen!“, knurrte mich Marco an und warf mir sein dreckiges Hemd um die Ohren. „Und halt das fest.“

Montag, 13. August 2018

Gedankenverloren saß ich auf einer halbhohen Mauer vor der Schule und baumelte mit den Füßen.

Meine Gedanken waren weit, weit weg bei dem, was Samstagnacht mit mir passiert war.

Und bei diesem Footballer, den ich einfach nicht erkennen konnte…

Grace neben mir beobachtete mich aufmerksam von der Seite und schlurfte ihren Kakao. Nahele auf der anderen Seite hatte eine Hand auf den Backstein aufgestützt und tat es ihr gleich.

„Oh mein Gott.“, sagte er plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Verwirrt sah ich ihn an: „Danke, Serena reicht.“

Doch er grinste breit.

„Was ist?“

„Ich hätte es NIE für möglich gehalten, dass ausgerechnet du dich mal verliebst.“

Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

„Verlieben? Ich?“, fragte ich verwirrt und Grace begann zu kichern.

„Natürlich du.“, erklärte sie und sah zum Himmel hinauf. „Da kommt ein Typ im Dunkeln, behandelt dich wie ein Kleinkind und – bumm – schon ist es um dich geschehen.“

Sie lachte weiter, was mir gar nicht gefiel.

„Also, Süße, wer ist der Glückliche? Du weißt es doch bestimmt inzwischen.“, bemerkte Nahele weiterhin grinsend, doch zu seiner Enttäuschung musste ich mit dem Kopf schütteln.

„Wie, du weißt es nicht? Bist du nicht diejenige, die mit allen Kerlen der Mannschaft geschlafen hat?“, fragte er verwirrt.

„Ach, mit dir auch?“, konterte Grace amüsiert und witterte bereits eine neue Story, aber Nahele hob sofort abwehrend beide Arme und schüttelte den Kopf.

„Wie kommst du darauf? Nein! Bloß nicht!“

Mir klappte die Kinnlade runter, doch begann sofort zu lachen und trat nach ihm.

„Dankeschön, ich habe dich auch lieb!“

„Falsch! Du liebst mich! Lieb haben und lieben sind zwei unterschiedliche Schuhe.“

Ich zögerte einen Moment und sah ihn an.

Erst behaupten, dass ich verliebt wäre und dann sagt er das?

Ich hatte den Typen von gestern nicht erkannt.

Vielleicht war es doch Nahele?

Mein durchdringender Blick schien ihm aufzufallen und er wedelte sofort wieder mit den Händen: „Hey, ehe du auf dumme Gedanken kommst: Ich war gestern gar nicht beim Wohnheim! Ich habe Zeugen!“, er sah kurz hilfesuchend zu Grace.

„Das stimmt, Sera. Nahele hat mit uns gekocht, dann waren wir zu acht Uhr im Kino und danach noch bis fast Mitternacht Billardspielen. Ich habe bei den beiden auch übernachtet, weil Elli uns eine Nachricht geschrieben hat, dass eine Party im Wohnheim im Gange ist. Er hat uns nicht verlassen.“

Ich seufzte tief und nickte.

„Hm… Dann weiß ich auch nicht weiter.“

„Eigentlich komisch.“, meinte Nahele plötzlich nachdenklich. „Wenn das ein Kerl wäre, der dich einfach nur in die Kiste bekommen wollte, dann hätte er dich nicht angezogen, sondern die Dunkelheit ganz anders genutzt.“

„Apropos, warum war es eigentlich plötzlich dunkel?“, unterbrach ich Nahele einfach und sah zu Grace. Als Bewohnerin des Wohnheims musste sie ja wissen, was vorgefallen war.

„Frag nicht“, knurrte sie mürrisch und biss in ihr Brötchen. „Bei eurer Party muss ein Vollidiot auf die Idee gekommen sein trotz Alkohol mit dem Auto heimfahren zu wollen. Anstatt aber rückwärts auszuparken, hat er den Vorwärtsgang eingelegt und mit Volldampf den Hauptstromkasten umgefahren.“

Wir sahen sie mit großen Augen an und begannen zu lachen.

„Was? Wie dumm kann man sein?“, feierte Nahele.

„Hey, das ist nicht lustig! Wir haben noch immer keinen Strom!“, klagte Grace, musste nun aber ebenfalls grinsend.

Ich kicherte weiter. Ich hoffte, dass es dem betreffenden Schüler gut ging, aber gleichzeitig war ich ihm unendlich dankbar. Wäre er nicht so blau gewesen, dann wäre ich diesem Unbekannten wohl nie begegnet.

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, was den anderen natürlich nicht entging.

Grace und Nahele tauschten Blicke und begannen zu kichern.

„Ich werde mal schauen, dass ich beim Training ein wenig lange Ohren mache.“, verkündete mein Freund dann. „Also, wie war das? Braungebrannt, ordentliches Sixpack, Celvin Klein Unterhose… Hm…“, er hob sein Hemd an und präsentierte seinen perfekt trainierten Bauch. Aus dem Bund der Anzugshose unserer Schuluniform zog er seine Unterhose ein Stück hervor, sodass das Label der Marke zu sehen war: Celvin Klein.

„Ob ich doch bei der Party war?“, überlegte er angestrengt und wir lachten los.

Natürlich, auf ihn passte die Beschreibung auch – deswegen war ich ja auf ihn gekommen – aber nein, mit ihm konnte ich mir nicht vorstellen so nahe zu sein.

„Die Unterhose konntest du doch nur sehen, weil er kein Oberteil trug.“, meinte Grace dann. „Ist dir denn jemand aufgefallen, der – bevor es dunkel wurde – kein Shirt an hatte?“

„Quasi alle, egal welchen Geschlechts.“, verkündete ich ihr. „Es war heiß, es war stickig… kaum einer hat es in Klamotten ausgehalten. Was man ausziehen konnte, zog man halt aus.“

Sie machte ein wenig begeistertes Geräusch und dachte nach. Schließlich ging ihre Befragung weiter: „Wie groß war er?“

Ich sprang auf und hob die Arme.

Angestrengt versuchte ich mich an ihn zu erinnern und machte eine Armbewegung, als würde ich jemandem die Arme um den Nacken legen.

„Hm… Ich würde sagen hier irgendwo.“

„Dann kann ich es nicht sein, ich bin etwas kleiner!“, meinte Nahele und schlüpfte in meine Arme. Er schlang seine um meine Taille und wirbelte mich spielerisch herum.

Ich musste lachte.

„Stimmt, du bist auch etwas dünner als er… also nicht ganz so…“, ich drückte seine Schultern und griff dann unter seine Arme, um auch abschätzend seinen Brustkorb zu „messen“.

„Du bist ja richtig schmächtig!“, zog ich ihn auf und er lachte.

Grace lächelte selig.

„Na wenigstens scheint es dir wieder besser zu gehen.“, meinte sie plötzlich aus dem Nichts heraus. „Der Typ muss dir ja ganzschön den Kopf verdreht haben. So gut gelaunt habe ich dich seit Tagen nicht erlebt.“

Ich lächelte sie entschuldigend an.

Aber ja, sie hatte wohl recht. Diese Begegnung mit dem Unbekannten hatte irgendwas verändert.

Seine Berührung hatte irgendwas in mir ausgelöst.

Ich senkte den Blick und starrte zwischen Nahele und mich auf die Stelle, wo mein Bauch seinen berührte.

„Aber ihr seid auch ein süßes Pärchen.“, meinte Grace dann lachend und Nahele stimmte ein: „Mit mir sowieso.“

Ich rollte die Augen und knuffte ihn in den Bauch, was er aber dank seines trainierten Körpers vermutlich gar nicht wahrnahm.

„Ok, ok, also, Hele, hast du eine Idee wer das nun sein könnte?“, fragte Grace weiter.

Der Angesprochene sah zu den Wolken über uns hinauf und wiegte sich mit mir im Arm hin und her.

„Naja, von der Größe her muss es jemand aus der Offensive Line sein. Gebräunt… oh, das ist schwer… das sind sie leider alle…“

„Marco“, sagte Grace plötzlich und wir sahen sie verständnislos an.

„Also ganz bestimmt jeder, nur nicht Marco.“, entschied ich. „Der ist nicht nur ein widerliches Ekel, sondern auch mein Bruder. Als ich die Party verließ, da…“

Doch weiter konnte ich nicht erzählen, Grace hob schon eine Hand und schüttelte energisch den Kopf.

„Das meine ich gar nicht.“, sie wies gerade aus. „Marco auf Zwölf Uhr.“

Wir folgten ihrem Wink und entdeckten ihn.

Natürlich zusammen mit Lavinia.

„Damit wäre jetzt wohl klar, warum sie so energisch darauf bestanden hat ALLEINE auf ‘s Klo zu gehen.“, sprach Nahele tief und gefährlich.

Ich sah ihn an.

Grimmig beobachtete er seine Cousine und meinen Bruder, die nur wenige Meter von uns entfernt aus dem Schulgebäude gekommen waren und sich noch immer angeregt unterhielten.

Lavinia lachte und Marco nutzte die Gelegenheit, um wohl noch etwas dichter an sie heran zu rutschen.

„Dieser Schleimbeutel.“, murmelte Nahele.

„Hey“, ich zog sein Gesicht am Kinn in meine Richtung. „Guck halt nicht hin. Dann ist sie halt so blöd und lässt sich auf ihn ein. Um ehrlich zu sein warte ich ohnehin noch auf das Cheerleader Dress und die Pompoms.“

Er stöhnte gefrustet auf und rollte mit den Augen.

„Jetzt hör doch endlich auf mit der Zickerei und gib ihr eine Chance!“, jammerte er und erdrückte mich beinahe.

Ich quietschte auf und ließ mich von ihm wie ein Spielzeug hin und her wirbeln – was uns beide zum Lachen brachte.

Als ich endlich wieder Boden unter den Füßen hatte sah ich nur, dass Lavinia bereits auf dem Weg zu uns war und uns in weniger als zwei Schritten erreichte.

Marco dagegen wandte sich gerade mit einem angewiderten, finsteren Blick ab und suchte seine Kumpels auf.

„Da bin ich wieder! Was hab ich verpasst?“, lachte die Pinke in die Runde.

Schon allein vom Klang ihrer Stimme bekam ich Aggressionen.

„Ich frag mal Elli wo sie eigentlich bleibt. Vermutlich ist sie immer noch verkatert von Samstag.“, entschied ich und löste mich von Nahele.

Ich konnte es nicht verhindern, ich warf einen grimmigen Blick auf Lavinia und stellte mich etwas Abseits, um WhatsApp zu öffnen.

Während die anderen beiden Lavinia sofort ausquetschten was denn das mit Marco war, schrieb ich an Elli:
 

Hi Maus, wo bist du? Wir wollten doch zusammen die Strände retten ;)
 

„Er ist so nett und lieb, wirklich! Ich bin mir sicher, dass ihr falsch liegt.“, rechtfertigte sich Lavinia gerade gut gelaunt wie immer.

„Hab ich dir noch nicht genug Stories darüber erzählt, was alleine im letzten Jahr alles lief?“, seufzte Nahele schwer, doch Lavinia winkte ab.

„So ist er nicht. Also zumindest nicht zu mir. Er ist so zuvorkommend. Und wir können uns sehr gut miteinander unterhalten. Er… hört mir zu!“

„Ach und wir nicht oder was?“, grummelte ihr Cousin.

„Wirklich, Vini, du solltest dich von ihm fernhalten.“

Das Vibrieren meines Telefons lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Elli hatte zurückgeschrieben.
 

Sorry, mir geht es seit der Party am Samstag extrem dreckig. Ich hätte nicht so viel trinken sollen. Habe einen riesigen Filmriss.
 

Ich seufzte schwer und sah mich um.

Na wunderbar. Elli würde nicht kommen und damit würde ich alleine ohne die anderen den ganzen Tag am Strand herumlungern und Müll einsammeln…

Am Samstag hätte ich das wohl noch toll gefunden – ich hatte innerlich mit meinen Freunden gebrochen – aber nachdem heute Morgen wieder alles vollkommen normal war (zumindest solange wie Lavinia auf der Toilette war, oder was auch immer sie mit Marco angestellt hatte) war meine Wut wieder wie weggeblasen.

In dem Moment betraten die Lehrer den Hof und begannen ihre Schüler zusammen zu sammeln.

„Wir schreiben nachher, Mausi!“, rief Grace und winkte mir zusammen mit Nahele.

Ich wollte kotzen! Selbst Lavinia hob einmal lächelnd eine Hand und hakte sich dann strahlend wie immer bei ihrem Cousin unter, um mit ihnen zum Tauchkurs aufzubrechen.

Ich seufzte und sah Coach Graham, der bereits von einer Traube Mädchen umschwärmt wurde. Mit seinem trainierten Äußeren – auch er hatte früher Football gespielt und hielt sich wohl immer noch fit, um seine Schüler ordentlich zu quälen – dem dichten Vollbart und den langen braunen, teils ausgeblichenen Haaren war er wie eine heiße, verbotene Frucht, die jede gerne ernten wollte…

Vermutlich der Grund dafür, warum unsere Projektgruppe beinahe ausschließlich aus Mädchen bestand… sie alle sabberten und die Jungen wollten sich diesen Anblick nicht geben…

Ich rollte mit den Augen und verschwand klammheimlich in Richtung Parkplatz.

Ehe ich in meinen Wagen stieg schrieb ich an Elli:
 

Alles klar, kein Ding. Schreib, wenn es dir besser geht und du diese Woche wieder kommst. Ohne dich hab ich keine Lust auf diese Projektwoche ;)

Dienstag, 14. August 2018

Wenn ich meinen Bruder noch nicht gehasst hätte, dann spätestens jetzt.

Er ist so ein widerlicher Bastard.

Ich muss unbedingt Vater erzählen, was er alles tut!

Nicht nur Drogen verkauft er.

Den Entschluss meinem alten Herrn eine E-Mail zu schreiben habe ich getroffen, als ich an diesem Tag ein Fenster über der Terrasse öffnete. Ich hatte es mir über dem Salon mit meinem Skizzenblock gemütlich gemacht und brauchte ein wenig Durchzug.

Nein, besonders gut konnte ich nicht malen, aber es entspannte mich und half mir dabei über einige Dinge klarer zu werden.

Als ich mich wieder in den Sessel neben dem Fenster schmiss und eine leichte Brise genoss, hörte ich das Lachen meines Bruders und mit ihm zusammen das seiner dämlichen Freunde.

„Die Neue ist heiß! Ich glaube die kralle ich mir mal.“, lachte einer von ihnen. „Wie heißt sie?“

„Lavinia.“

„Vergiss es.“, warf ein anderer Typ ein. „Die hat Marco schon voll beansprucht.“

Alles lachte.

„Lasst die Kleine in Ruhe.“, befahl mein Bruder und seine Jungs verstummten.

„Hey, hast du dich verliebt, oder was?“, fragte Dean amüsiert.

„Ach, bei der Schwester sind seine Ansprüche doch viel zu hoch.“, verkündete der Nächste und Marco schnaubte.

„Was soll denn bitte an dieser Hure so besonders sein? Das macht doch keinen Spaß. Die würde sogar mit unserem Großvater vögeln, wenn der nicht schon tot wäre.“

Ich biss mir auf die Zähne, während ich regelrecht hören konnte, wie diese Hirnakrobaten um ihn herum vor Lachen über den Steinbelag der Terrasse kullerten.

„Also, was ist dann da zwischen Lavinia und dir?“

„Sie ist süß… Ja, doch, die könnte mir gefallen.“, gestand Marco und seine Jungs johlten kindisch.

„Marco ist verliebt! Marco ist verliebt!“

Was für ein Verein.

„Ich und verliebt?“, Marco klang mehr als amüsiert und fuhr finster fort: „Die Frau, die mir den Kopf verdrehen kann, existiert gar nicht. Nein, Lavinia wäre aber mal was Neues. Ich hatte noch nie einen Freak mit pinken Haaren.“

Ich rollte die Augen und überlegte bereits, ob ich das Fenster nicht doch wieder schließen sollte, als mindestens zwei Nachzügler der Truppe begrüßt wurden.

„Und?“, fragte Marco sofort – in seiner Stimme lag etwas Tiefes, Angespanntes…

„Alles klar.“, sagte der eine. „Wir haben ihn gefunden. Ist wohl mit dem Coach am Strand.“

„Das war nicht die Antwort auf meine Frage.“, knurrte Marco laut.

„Ganz ruhig, Junge.“ – es blieb eine Sekunde ruhig.

„Sehr gut. Alles da.“

„Na klar, was denkst du denn? Er wollte uns zwar erzählen, dass er sie nicht gevögelt hätte, aber…“

Noch ehe sie weitersprechen konnten lachten einige auf.

„Nicht gevögelt, wer ‘s glaubt!“, rief einer.

„Man muss zu dumm zum Atmen sein, wenn man nicht mit der im Bett war.“

„Ich muss überhaupt nicht das Unternehmen meines Vaters übernehmen, um weiterhin so reich zu sein.“, meinte auch Marco amüsiert. „Ich werde einfach Zuhälter bleiben. Die Schlampe bringt mir echt eine Menge ein.“

Mir klappte die Kinnlade runter.

Das war der neue Tiefpunkt meines Bruders.

Zuhälterei.

Erst Drogen und dann das.

Ich schüttelte den Kopf, so sehr ekelte ich mich vor diesem Arsch.

Ja, ich würde definitiv unserem Vater hiervon erzählen.

Marco lies keine Gelegenheit aus mich bei ihm schlecht zu machen. Ich wäre ständig betrunken, würde mich durch die Gegend huren, meine Noten waren unterirdisch…

Ok, irgendwo hatte er ja mit allem recht, aber diesmal würde ich die Gute sein und er das schwarze Schaf der Familie, so viel stand fest.

Ich nahm mir daher meine Sachen und ging – ohne weiter zuzuhören – in mein Zimmer.

„Hey, Sera, Baby.“, hörte ich schon Dean rufen, als er mich entdeckte, während er die Treppe heraufsprang – scheinbar auf der Suche nach mir.

Noch vor wenigen Tagen hätte ich mich wahnsinnig auf ihn gefreut, doch seit Samstag war einfach alles anders.

Früher war er derjenige, der meine Gedanken bestimmte, seit der Party im Wohnheim gab es nur noch einen – und er war dieser jemand definitiv nicht!

„Was für ein Zufall, wir wollen wohl beide in dein Zimmer.“, schnurrte Dean bereits und holte mich kurz vor meiner Tür ein.

„Verschwinde, ich hab keinen Bock auf dich.“

„Hä? Schon wieder?“, fragte er und machte ein unglückliches Gesicht.

„Mach dich vom Acker.“, warf ich ihm noch einmal an den Kopf und schlug die Tür hinter mir zu.

In weiser Voraussicht drehte ich den Schlüssel um. Keine Sekunde zu spät war das Schloss verriegelt, da drückte er bereits die Klinke runter.

„Hey! Sera! Lass mich rein!“

„Verpiss dich, Dean.“, sang ich.

„Serena!“

Ich rollte mit den Augen und ließ ihn einfach weiter klopfen. Unsere Angestellten würden ihn schon irgendwann wieder zu seinen Freunden bringen, wenn er den Weg nicht alleine fand.

Ich setzte mich unter Getrommel an meinen Schreibtisch und fuhr meinen Laptop hoch.

Als ich mein E-Mail-Programm öffnete, hörte endlich das Gepolter auf und ich erkannte Nanas Stimme, die Dean davonscheuchte.

Ich grinste und streckte mich einmal.

So, lieber Maco, heute würdest auch du endlich einmal Ärger bekommen.

Lieber Papa…

Donnerstag, 16. August 2018 – vor Unterrichtsbeginn

Wie peinlich konnte mein Leben eigentlich noch werden?

Nachdem ich Montag einfach wieder gegangen war und Dienstag und Mittwoch die Schule schwänzte, hatte Mr Byrd – der einer unserer Jahrgangskoordinatoren war – unsere Haushälterin verständigt.

Nana konnte ihn beschwichtigen, dass es mir nur schlicht nicht gut ging, versprach aber zeitgleich, dass ich zum nächsten Unterrichtstag wieder da war.

Und so kam es auch.

Ausgerechnet an dem Tag, wo der langweilige Part der Projektwoche begann, durfte ich wieder die Schulbank knuddeln. Und um das zu gewährleisten hat Nana mich höchst persönlich bis zum Campus gefahren…

Mies gelaunt – das war ich wohl in letzter Zeit häufiger – schlurfte ich durch die Gänge.

Langweiligster Part der Projektwoche bedeutete, dass unsere Gruppen zusammenkamen und das Erlebte der vergangenen Tage zusammenfassten und sinnlose Theorien darüber aufstellten, wie man es zukünftig besser machen konnte.

Absolut bedeutungslos. Als ob die Regierung und die Tourismusindustrie eine kleine Schule mit unbedeutenden Schülern einfach erhören würden…

Ich stieg die letzten Stufen hinauf und wandte mich dem rechten Gang zu, nachdem ich einmal nach links sah.

Sofort blieb ich stehen.

Da standen sie schonwieder in der Menge der vorbeiströmenden Schüler.

Lavinia und Marco.

Sie lehnte an der Wand neben ihrem Raum, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Selig lächelnd himmelte sie die dunklen Augen meines Bruders an, die sie verführerisch anblitzten.

Wo war bitte die nächste Kotztüte?

„Ziemlich abartiger Anblick, oder?“, fragte Nahele, der plötzlich hinter mir aufgetaucht war. Er trug einen Papphalter mit fünf großen Cappuccinobechern in der Hand.

Ich antwortete nicht, sondern sah noch einmal zu den Turteltauben.

„Hi Süße, bekomme ich auch ein Begrüßungsküsschen, oder ignorierst du mich?“

Verwirrt sah ich hoch zu Nahele, der ja immer noch neben mir stand. Dann aber lachte ich und schenkte ihm wie gewünscht einen Schmatzer auf die dargebotene Wange.

Das Paar einige Meter entfernt begann zu lachen und Marco stützte sich neben Lavinias Kopf mit beiden Armen von der Wand ab, sodass er ihr etwas ins Ohr flüstern konnte.

„Will ich wissen wie das Tauchen mit den beiden war?“

„Ich bin ehrlichgesagt erstaunlich überrascht von Marco.“, verkündete Nahele und sah mich kurz von der Seite an.

Mein Blick verfinsterte sich.

„Natürlich war er nett zu ihr. Mit ihr kommt er klar, aber mich hasst er.“

„Mensch, Sera, in dem Fall musst du doch wirklich nicht eifersüchtig sein. Marco ist und bleibt ein Wichser.“

„Das kannst du laut sagen.“, ich kam gar nicht dazu ihm von dem zu erzählen, was ich gehört hatte, da sprach er schon weiter: „Aber das Tauchen mit ihm und Lavinia war wirklich beinahe surreal. Er hat ihr ständig geholfen und sich – man kann sagen – um sie gekümmert. Sogar vor seinen Kumpels hat er sie verteidigt.“

Kalkül! Alles Kalkül!

Ich setzte erneut an, um alles aufzuklären, doch wieder fuhr mir Nahele dazwischen: „Ich bin froh, dass sie hier Anschluss gefunden hat. Und nach allem was gewesen ist gönne ich es ihr sogar, dass selbst so ein Arsch wie Marco nett zu ihr ist.“

Ich sah ihn verwirrt an.

„Was denn, willst du mir schon wieder einen Vortrag halten wie gemein ich zu ihr war?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, es geht dabei nicht um dich… Es geht um ihr Leben in Deutschland.“

„Ok, jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“

„Du hast es mich ja auch nie erklären lassen.“, meinte er schmunzelnd, dann aber seufzte er. „Lavinia ist zu uns gekommen, weil ihre Mutter vor einigen Monaten bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Sie wird einige Monate in Reha sein und damit ist niemand da, der sich um Lavinia kümmert. Meine Mom wusste eigentlich gar nichts von ihr. Wir wurden nur informiert, dass ihre Schwester einen Unfall hatte und in Lebensgefahr schwebte. Das Krankenhaus benötigte einen Vormund für den Ernstfall. Und in Deutschland wurde ihr dann Lavinia vorgestellt.“

„Na klasse…“, murmelte ich und Nahele nickte schwer.

„Naja, und dann war da noch die andere Sache, warum Mom wollte, dass sie herkommt…“, er strich sich mit einer Hand durch das Haar. Ich sah ihn irritiert an.

„Und was war diese andere Sache?“

„Na ja, ursprünglich wollte Mom, dass sie in Deutschland bleibt. Wir hätten sie von hier aus unterstützt. Aber Sie hat mitbekommen, dass Lavinia immer mit Schürfwunden und blauen Flecken heim kam.“, schockiert riss ich die Augen auf.

„Sie wurde nicht nur gemobbt, Sera, sie wurde auch regelmäßig verprügelt. Das Ganze war sogar so schwer, dass sie sich selbst verletzte. Schau dir mal bei Gelegenheit ihre Arme an. Mom kam dahinter, als sie sie mit einem Küchenmesser im Bad fand...“

Mir wurde schlecht.

Und ich war immer so gemein zu ihr!

Augenblicklich tat sie mir leid.

Nicht nur wegen mir, sondern auch wegen Marco. Ausgerechnet sie hatte uns nicht verdient. Und zwar nicht, weil wir besser waren als sie, sondern weil sie zu gut für uns war.

Für mich Partyflittchen und meinem Bruder das Scheusal.

„Man, Nahele, warum hast du mir nichts gesagt!“, jammerte ich verzweifelt.

„Ich habe an das Gute in dir geglaubt.“, meinte er schelmisch grinsend, doch mir brach diese Aussage fast das Herz, was er mir wohl ansah.

„Ach komm, so schlimm bist du nicht. Ich weiß schon: Du hattest Angst wir ersetzen dich und warst nicht begeistert, dass wir dir einfach jemanden vor die Nase gesetzt haben, mit der du dich jetzt anfreunden sollst… Ich hätte es dir ja gesagt, aber Lavinia hatte sich gewünscht, dass es keiner weiß und Grace und Elli haben sie auch so sofort ins Herz geschlossen. Ich dachte meine kleine Prinzessin macht es genauso.“

„Das tut mir so leid!“, versuchte ich zu beteuern. „Ich hätte ihr das nie angesehen! Sie ist so offen, fast schon aufdringlich und auf ihre Arme hab ich nie geachtet.“

Er nickte.

„Ja schon klar… Ich schätze dadurch, dass Grace und Elli sie so offen aufgenommen haben, muss sie jetzt erstmal den Umgang mit anderen lernen, weißt du? Das meinte zumindest meine Mom. Sei einfach etwas netter zu ihr.“

Aber wie nur?

Ich schämte mich so dafür, wie ich sie behandelt hatte. Mit diesem Wissen um ihre Vergangenheit konnte ich ihr doch nicht mehr in die Augen sehen!

Ich stieß die Luft aus.

„Bitte, Sera.“

„Man, ja doch… Ich überlege mir was, wie ich mich entschuldigen kann…“, versprach ich kleinlaut und er grinste breit.

„Da ist sie ja wieder! Ist meine Sera endlich wieder aus ihrem Schönheitsschlaf erwacht?“

Ich grummelte missmutig.

„Was denn, Schönheitsschlaf ist bei dir noch schon überflüssig. Du bist doch bereits die Schönste im ganzen Land!“

Ich lachte.

„Arsch“, murmelte ich.

„Nahele!“, rief da gerade Lavinia zu uns rüber und winkte. Marcos Lächeln dagegen erstarb und er fixierte uns finster.

In dem Moment fiel mir wieder ein, was er zu seinen Jungs über die Kleine gesagt hatte.

„Ich komm ja schon.“, versprach Nahele noch einmal und wandte sich ein letztes Mal zu mir: „Übrigens, einer hiervon ist für dich. Ich habe den Wagen von Nana gesehen, also dachte ich mir, dass du sicher auch einen willst.“ – ich lachte und nahm einen dargebotenen Becher Cappuccino aus der Pappschachtel – „Kannst du gleich noch einen zweiten für Elli mitnehmen? Die ist schon in eurem Raum.“

„Oh, sie hat gar nicht geschrieben, dass sie heute wieder kommt.“

Er zuckte die Schultern.

„War auch etwas überraschend, aber vermutlich hat Mr Byrd sie persönlich einkassiert. Er war nicht sehr erfreut, als der Coach ihn wegen euch beiden angesprochen hat.“

Ich seufzte schwer.

„Na ja, ist ja auch egal. Wir sehen uns nachher, ja?“

„Na klar.“

Er nickte und ging auf Lavinia zu. Marco wich langsam von ihr zurück und erdolchte ihn beinahe mit seinen Blicken.

Dieser Arsch.

Fühlte er sich gestört dabei schon wieder eine X-beliebige abzuschleppen oder was?

Als Nahele die beiden erreichte fragte Lavinia Marco etwas, das so klang wie „Kommst du auch?“, doch er verneinte es leise und nickte noch einmal in meine Richtung.

Lavinia folgte seinem Wink, lächelte mich wie immer vorsichtig an und ging dann mit ihrem Cousin in den Klassenraum.

In diesem Moment klingelte es das erste Mal.

Ich atmete tief durch, als Marco sich in meine Richtung in Bewegung setzte und die anderen Schüler ihm beinahe ehrfürchtig Platz machten.

Mit purem Hass in den Augen starrte er mich nieder, als er an mir vorbei ging, scheinbar auf die Toilette zu.

Kurzer Hand streckte ich mich und stellte die Cappuccino auf den Spinden ab, dann packte ich ihn am Arm.

Als er sich umsah entglitten ihm für einen Moment die Gesichtszüge. Ich stieß ihn gegen die Wand und baute mich vor ihm auf.

„Nun hör mir mal gut zu, Schatz!“, das letzte Wort betonte ich extra als Anspielung auf seine unverschämte Art mir gegenüber im Matheunterricht – ihm jedoch zauberte das nur ein spöttisches Grinsen ins Gesicht. „Halt dich verflucht noch eins von Lavinia fern! Ich weiß genau, dass du nur mit ihr spielst und sie als Trophäe willst und das werde ich nicht zulassen!“

„Ach ja? Du und welche Armee?“, er lachte tief.

„Hey, Sackgesicht, das meine ich ernst!“, fauchte ich und packte seinen Kragen, drängte ihn fester gegen die Wand.

„Sackgesicht? Ich bin beleidigt. War ich nicht eben noch dein Schatz?“

„Marco, ich warne dich! Provozier mich nicht! Halt dich fern von Lavinia! Wenn sie auch nur eine Träne wegen dir vergießt, dann schlag ich dir den Schädel weich!“

Er lachte, packte meine Taille und wirbelte mich herum.

Hart schlug ich mir den Kopf an der orangefarbenen Wand an. Ich fluchte, als er mich dagegen drückte.

„Nun hör du mir mal zu, Liebling.“

Bedrohlich kam er mir noch einen Schritt näher, sodass sich unsere Körper beinahe berührten. Ein eigenartig bekannter Geruch stieg mir in die Nase…

Ach ja, sein Aftershave…

Ich entschied mich dazu ein ganzes Jahresabo an Kotztüten zu ordern.

Reflexartig legte ich meine Hände auf seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten.

Zeitgleich presste sein Griff mich fester gegen die Barriere hinter mir.

„Ich werde tun und lassen was ich will und mit wem ich will. Find dich damit ab.“

„Marco, wenn du diesem Mädchen das Herz brichst wie all deinen anderen Flittchen, dann kastriere ich dich!“

Er lachte noch einmal.

„Wenn es dich so sehr stört, dass ich mit ihr rummache, dann werde ich es erst recht tun.“

Er löste eine Hand von mir und griff nach oben.

Sein Blick hielt meinen dabei vollkommen gefangen.

Verdammt, warum begann mein Herz plötzlich so zu schlagen?

Da war was in seinen Augen… Irgendwas, das unausgesprochen blieb…

Mein Blick glitt tiefer auf seine Nase, zu seinem Mund…

Oh Gott! Was tat ich hier?

Ein triumphierendes Grinsen umspielte seine Lippen, als plötzlich einer der Becher, die ich auf den Schrank gestellt hatte, in mein Blickfeld kam.

„Danke für den Cappuccino. Hab schon Angst gehabt ich müsste mir selbst einen holen.“

Er nahm einen Schluck und löste sich endlich von mir.

„Was zum…?“, ich sah erst etwas verwirrt drein, da öffnete mein Bruder schon die Tür zu den Toiletten.

„Marco, du arrogantes Etwas! Das war mein Cappuccino!“

„Tja, jetzt nicht mehr!“, entgegnete er grinsend und verschwand im Bad.

Fassungslos sah ich ihm nach, als es zum Unterrichtsbeginn klingelte.

Ich stieß einen genervten Schrei aus, nahm den zweiten Becher – der natürlich für Elli war – und ging in den Klassenraum.

Donnerstag, 16. August 2018 – während des Unterrichts

Irgendwie benahm sich Elli komisch.

Wir saßen gemeinsam mit noch zwei weiteren Schülerinnen unseres Jahrgangs an einem Gruppenarbeitsplatz und hörten den beiden dabei zu, wie sie von den Wanderungen der letzten drei Tage erzählten. Immerhin mussten sie uns ja auf den neuesten Stand bringen.

Coach Graham inspizierte jede Gruppe und hielt gerade am Nachbartisch, als sie ihre langen dunklen Haare zu einem Vorhang umfunktionierte und sich dahinter zu verstecken versuchte.

Nervös schob sie ihren Cappuccino vor sich hin und her.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte ich sie verwirrt, als ich mir das nicht länger mit ansehen konnte. „Ist es dir so peinlich, dass du die letzten drei Tage nicht hier warst? Der Coach ist das doch sowieso von dir gewöhnt. Sport schwänzt du doch auch.“, erinnerte ich sie.

„Ich weiß“, murmelte sie und haderte wohl mit sich selbst, doch da trat unser Lehrer gerade hinter uns.

„Wie läuft es bei euch?“, fragte seine tiefe, beinahe brummende Stimme in die Runde.

„Es ist wirklich verdammt schwer, weil die beiden nichts einbringen können. Sie waren ja nicht da. Aber wir beide schaffen das schon.“, verkündete die eine von den anderen beiden zuckersüß und ich wollte ihr nur ihre hässlichen roten Extensions aus den blonden Haaren rupfen.

Warum waren Weiber immer so kriegsgeil, wenn ihnen ein Mann gefiel?

Dabei gehörten weder Elli noch ich zu seinem Fanclub, die sabbernd am Spielfeldrand standen. Er war doch schon ein alter Sack… ok, nur etwa zehn Jahre älter als wir, aber dennoch ein alter Sack!

„Dann macht mal weiter, Mädchen.“, sagte er desinteressiert aber nickend und wandte sich wieder ab.

Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie sich seine große Hand kurz auf Ellis Schulter legte, die darunter wie ein Kleinkind wirkte. Er drückte leicht zu, als wolle er sie aufmuntern, doch sie zuckte unter der Berührung zusammen und zog den Kopf ein.

Ok, was hatte ich verpasst? Was ging hier vor?

Ich wollte Elli gerade zur Rede stellen – und so wie die Mädels vor uns aussahen ging es denen nicht anders (es konnte ja nicht sein, dass der Coach sie einfach so an der Schulter berührte) – da raunte sie mir schon zu: „Sera, ich brauche dringend 250 Dollar.“

„Was?“, platzte es ungläubig und viel zu laut aus mir heraus. Seit wann bat Elli denn um Geld? Einige Schüler und auch unser Lehrer hoben neugierig den Kopf, doch als wir nicht weiter sprachen wandten sie sich wieder ihren eigenen Geschäften zu.

„Bitte, ich brauche es dringend.“, flüsterte sie.

„Wofür denn bitte?“

Sie beugte sich unter den Tisch und zog einen Briefumschlag hervor.

Ihre Hände zitterten leicht, als sie ihn öffnete.

Ein Gebührenbescheid? Der Stadt?

„Oh man, Elli… Was hast du denn im Suff angestellt, dass du eine Strafe zahlen musst?“

Ich versuchte mehr von dem Text zu lesen, aber sie faltete das Schriftstück schnell wieder zusammen.

Im nächsten Moment wusste ich auch wieso: Ein großer Schatten – Coach Graham – strich bedrohlich über uns hinweg.

Elli sah ihm frustriert und leicht ängstlich nach.

„Ich… ich habe… also… ich meine…“

Ich zog die Augenbrauen zusammen.

„Was hast du? Du bist Elli! Du fährst nicht mal bei Gelb über eine Ampel und hältst dich peinlich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung! Also, was hast du gemacht?“

„Ich habe eine… eine Anzeige bei der Polizei gemacht und… und die ist laut deren Ermittlungen wohl falsch… ich muss eine Strafgebühr zahlen.“

„Eine Anzeige?“, fragte ich verwirrt. „Wen oder was willst du denn bitte angezeigt haben? Was ist passiert?“

„Ich… also…“, stotterte sie weiter rum, doch Coach Graham fuhr uns dazwischen. „Elli, würdest du bitte mit mir raus kommen?“, bat er und ich sah den Schock in ihren Augen.

Hatte der Coach etwas mit der Anzeige zu tun?

Hatte sie etwa ihn angezeigt?

Aber warum?

„Nimm den Brief mit.“, wies er sie an, als sie aufstehen wollte und das Schriftstück unauffällig in ihrer Tasche zu verstecken versuchte.

Sie knautschte das Papier in der Hand und huschte voraus, dicht gefolgt von unserem Lehrer.

„Ok, was geht da vor bei den beiden?“, versuchte mich sofort eine unserer zwei Partnerinnen auszuquetschen.

„Man halt doch die Klappe!“

„Läuft da was? Sind die ein Paar?“, fragte die andere.

„Nein? Bist du blöd oder was? Coach Graham ist unser Lehrer.“, antwortete ich sofort, aber die beiden sahen einander an, dann schnaubten sie verächtlich.

„Ja, ja, wer ‘s glaubt und so weiter…“, grummelte die andere und malte weiter an ihrer Plakatskizze, während die andere ihr Telefon zückte um bestimmt den neuesten Klatsch in der Schule zu verbreiten.

„Ihr wisst schon, dass ihr mit solchen absurden Gerüchten die Karriere dieses Mannes komplett ruinieren könntet, oder? Dabei steht Elli nicht einmal auf ihn.“

„Wieso, ist sie lesbisch?“, sie sahen mich mit leuchtenden Augen an und witterten bereits die nächste Story, die sie hätten verbreiten können.

„Nein? Aber er ist nun einmal nicht ihr Typ.“

Nun brachen die beiden in Schallendes Gelächter aus.

„Dieser Mann ist jedermanns Typ. Entweder haben sie was miteinander oder sie ist eine Lesbe.“

„Ok, jetzt passt mal schön auf“, ich beugte mich zu ihnen rüber. „Verbreitet ihr, dass sie was miteinander haben, zerstört ihr sein Leben und das wird er euch beiden niemals verzeihen. Woher ich das weiß? Ganz einfach: Ich sage ihm, dass ihr es wart, die diesen Scheiß verbreitet haben.“ – sie wurden kreidebleich – „Und wenn ihr scheiße über Elli verbreitet, dann legt ihr euch mit mir an, ist das klar? Dann werde ich euch so richtig schön das Leben zur Sau machen und zwar auf der Art, wie es nur kleine, reiche, weiße Tussis wie ich können. Ihr werdet eures Lebens nie wieder froh sein.“

Die beiden sahen mich eine Weile an.

Ich glaubte, dass sie es kapiert hatten und wandte mich wieder meinem eigenen Telefon zu.

Also zurück zu Elli.

Und zurück zu unserem Lehrer.

Sie verhielt sich seltsam.

Was hatte nur diese Hand auf ihrer Schulter zu bedeuten? Er ignorierte sie doch sonst immer, weil sie kontinuierlich Sport schwänzte. Nicht einmal in Geschichte nahm er sie ran, wenn es sich vermeiden ließ und dabei gehörte sie in seinem Unterricht zu den Besten des Jahrganges.

Elli war am Samstag sturzbetrunken gewesen.

Aber er war doch gar nicht auf der Party, oder?

Nein, sicher nicht!

Und warum hatte Elli eine Anzeige bei der Polizei gemacht? Was war ihr denn passiert?

Ich sah von meinem Smartphone auf – auf das ich tatsächlich nur ratlos gestarrt hatte – und beobachtete die Tür.

Ich wollte es unbedingt wissen!

Dieses ganze Verhalten hatte etwas mit dem Coach zu tun.

Genug Rätsel raten!

Ich stand auf, stopfte mein Telefon in die Brusttasche meine Bluse und verließ das Klassenzimmer für einen Toilettengang – offiziell!

Kaum auf dem Flur sah ich mich natürlich direkt nach meiner Freundin und dem Lehrer um.

Gedämpft hörte ich ein Brummen aus der Richtung des Treppenhauses. Es musste der tiefe Bass vom Coach sein, also folgte ich ihm.

Tatsächlich fand ich sie, als ich um die Ecke ins Treppenhaus lugte, doch leider konnte ich nicht verstehen, was sie sagten. Die Echowellen die mehrfach von den nackten Wänden zurückgeworfen wurden, machten es unmöglich eine einzige Silbe klar herauszufiltern.

Ich sah nur, wie Coach Graham auf Elli einredete.

Seine Stimme klang leise und ruhig wie immer, aber seine Gestik war herrisch und duldete wohl keinerlei Widerrede.

Meine Freundin dagegen stand nur da, mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf. Ihr Kiefer mahlte, während sie ihm zuhören musste.

Plötzlich fuhr sie ihm dazwischen und wollte wohl die Schule verlassen, doch er packte sie mit einer Hand am Arm.

Ich erschrak, als ich das plötzlich aggressiv entnervte Gesicht des sonst eher reservierten und vor allem distanzierten Mannes sah.

Elli wollte sich losreißen, doch nun griff er mit beiden Händen zu und zog sie zurück.

Mein erster Impuls war einzugreifen, aber etwas an seiner Art, wie er sie gegen die Wand drückte und sich mit einer Hand neben ihrem Kopf abstützte, hielt mich zurück.

Nun wieder sehr ruhig und eindringlich versuchte er ihr mit sanfteren Gesten seiner freien Hand etwas begreiflich zu machen.

Sie blickte auf seine Finger hinab, die vor ihr in der Luft wie hypnotisierend auf und ab wanderten.

Er stoppte, weil er wohl merkte, dass sie nicht bei der Sache war.

Seufzend legte er eine Hand an ihr Kinn und hob ihr Gesicht.

Widerstandslos ließ sie es mit sich machen.

Schließlich seufzte er und ließ von ihr ab.

Das nächste was er sagte, musste eine Aufforderung in Richtung des Gebührenbescheides sein. Sie gab ihm den widerwillig und er sah ihn sich an.

Dann nickte er und stopfte ihn – weitere zweimal gefaltet – in seine hintere Hosentasche.

Anschließend legte er ihr eine Hand auf den Rücken – viel zu tief für eine normale Lehrer-Schüler-Geste – und wies sie an voraus zu gehen zurück zum Klassenraum.

Nur gerade so schaffte ich es mich auf dem Mädchenklo in Sicherheit zu bringen, ehe sie mich sahen.

Samstag, 18. August 2018 – Mittag

Das Wetter war einfach atemberaubend, wenn auch beinahe erschreckend heiß.

Kurzerhand hatten wir uns für einen Tag am Strand entschieden. So breitete ich gerade mein Handtuch aus, während Elli uns einen Schirm in den Sand rammte.

Den neu gewonnenen Schatten direkt nutzend warf sich eine großgewachsene deutsche Dogge zu meinen Füßen in den Sand und kaute an seinem Frisbee herum.

Ich hatte keine Ahnung wo genau Elli dieses Pferd – im übertragenen Sinne – aufgelesen hatte. Sie hatte ihn einfach mitgebracht mit der Bemerkung, dass sie an diesem Tag Hundesitter spielen sollte.

Merlin – so hieß der Hund – rollte sich genüsslich knurrend auf den Rücken, als sie sich hinhockte und ihn zu kraulen begann.

„Wir sind keine zehn Minuten hier und ich will schon ein Eis!“, verkündete Grace jammernd neben mir und ließ sich auf mein Tuch plumpsen.

„Hey, hast du kein eigenes?“, fragte ich sie gespielt pöbelnd und sie grinste.

„Doch, aber du kannst das so gut. Dieses Handtuch wurde mit Liebe aufgeschüttelt.“, sie grinste breit und machte sich lang, weshalb ich mit den Augen rollte.

„Also wenn ihr Eis wollt: Ich nehme auch eines!“, meinte Elli und packte einen transportablen Napf aus und eine Wasserflasche. Sie schenkte ihrem Begleiter etwas ein, der das Getränk gierig mit nur wenigen Zügen wegschlabberte.

„Sag mal Elli, wem gehört eigentlich das Ungetüm?“, fragte Grace.

„Einem Bekannten. Kennst du nicht. Ich muss mir nur ein paar Mäuse dazuverdienen.“

Sie wich schon wieder aus!

Prüfend musterte ich unsere kleine Freundin, aber sie lächelte nur vor sich her, breitete ihr Handtuch neben Merlin aus und kraulte ihn, was er sichtlich genoss.

Grace und ich sahen einander an. Was war nur los mit ihr?

Ich ahnte, dass es irgendwas mit dem Coach der Footballmannschaft zu tun hatte, aber sie hielt dicht. Als sie von ihrer Unterredung während des Unterrichts zurückkam, hatte ich erwartet, dass sie sich erklären würde, doch auf meine fragenden Blicke tat sie so als wüsste sie nicht worum es ging.

Selbst als ich sie noch einmal auf die 250 Dollar ansprach war ihr einziges Kommentar: „Hat sich erledigt.“

Ich machte mir wirklich sorgen.

Mittlerweile hatte ich mir alle Schreckensszenarien ausgemalt…

Ob Coach Graham sie vielleicht gezwungen hatte …?

Ich wollte es mir nicht mal ausmalen…

Aber Fakt war, dass Elli jemanden angezeigt hatte und die ganze Affäre hatte irgendwas mit unserem Lehrer zu tun.

Nur was, verflucht nochmal?

„Da sind wir.“, begrüßte uns Nahele und stellte sein Surfbrett neben uns senkrecht ins Wasser.

„Aloha“, grüßte Lavinia hinter ihm wie immer gut gelaunt…

Und es geschah nichts.

Grace und Nahele sahen mich an – sie rechneten wegen dieses Grußes mit einem Kommentar von mir, aber ich rollte nicht mal mit den Augen.

Allgemein reagierte ich gar nicht mehr, wenn Lavinia etwas sagte oder einfach nur bei uns stand. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Zu Peinlich war mir mein Gehabe, nachdem Nahele mir erzählt hatte warum sie nach Hawaii gekommen war.

„Ihr wollt also Surfen, ja?“, fragte Elli dafür gut gelaunt.

„Ja, klar, Vini will doch unbedingt…“

„Hallo Schönheit.“

Wir sahen auf und nun verzog ich doch verächtlich das Gesicht.

Niemand anderes als mein Bruder trat zu uns, griff an das pink-gelbe Surfbrett von Lavinia und hielt sich daran fest.

Langsam wie ein Raubtier drängte er sie dagegen und baute sich vor ihr auf.

„Wenn du surfen lernen willst, kann ich dir auch ein paar Kniffe und Tricks zeigen.“

Sie begann zu lächeln und wollte wohl gerade bestätigen, als ihr Cousin dazwischen fuhr: „Man, Marco, geht ’s noch? Du störst! Verschwinde!“

„Bin schon wieder weg, will nur mein Mädchen mitnehmen.“, er legte Lavinia einen Arm um. „Genießt ihr nur weiter euer Kaffeekränzchen.“

Nahele öffnete bereits den Mund um ihn wohl darüber aufzuklären, dass Lavinia nicht „sein Mädchen“ sei und sie beide surfen wollten, da sah die Pinke schon zu meinem Bruder auf: „Wohin gehen wir denn?“

„Also erstmal zu meinen Freunden.“, meinte er und nickte zu einer großen Gruppe Jugendlicher, die weit weg im Sand saßen. Dann nahm er ihr Surfbrett auf. „Und anschließend zeige ich dir wie man richtig surft.“

Er grinste schelmisch.

Ich schluckte schwer.

Nun stand ich auf.

„Marco, verschwinde endlich und lass Lavinia in Ruhe!“, fuhr ich ihn an. „Wenn du mit jemandem spielen willst, dann spiel mit einer anderen Schlampe!“

Lavinia zog den Kopf ein.

Hups, hatte ich sie eben als Schlampe bezeichnet? Also indirekt…?

Mit Nachdruck rammte Marco das Bord wieder in den Sand und kam auf mich zu.

„Wie hast du sie eben genannt?“

Ja, ich hatte sie wohl als Schlampe bezeichnet… Selbst meine Freunde sahen mich geschockt an.

„Wer ist hier ‘ne Schlampe, he?“, er stieß mir gegen die Schultern, sodass ich zurück taumelte. „Du Drecksstück wagst es andere als Schlampe zu bezeichnen? Ausgerechnet du, die mit jedem Kerl der Schule in der Kiste war?“

„Nicht mit jedem. Immerhin habe ich Geschmack bewiesen was dich angeht!“, konterte ich reflexartig. „Anders als andere dumme Bitches, die dich anhimmeln und glauben du wärst der König von was weiß ich.“

Und der nächste Schlag gegen Lavinia. Heute war ich ja richtig gut drauf.

Das musste wohl auch Nahele denken, denn er versuchte gerade beruhigend auf Lavinia einzureden, damit sie nicht gleich zu heulen begann.

Ich hätte mich ja entschuldigt, wenn Marco nicht meinen Oberarm gepackt hätte und ihn beinahe verdrehte. Ich schrie kurz – mehr vor Überraschung als vor Schmerz.

„Hey, jetzt ist aber gut!“, wollte Elli einschreiten, wurde aber allein von dem mörderischen Blick eines stinkwütenden Marcos zum Schweigen gebracht.

Grace sprang auf um Elli aus der Reichweite zu ziehen, was auch Merlin dazu veranlasst sich aus dem Sand zu erheben. Aufmerksam sah er zwischen Elli und uns hin und her.

„Marco, du tust mir weh!“, keifte ich meinen Bruder an und versuchte mich loszureißen, doch sein Griff wurde fester. „Wenn du noch einmal Vini in meiner Gegenwart beleidigst, dann vergesse ich, dass du ein Mädchen bist und prügele dich windelweich.“

Damit stieß er mich von sich und ging zurück zu Lavinia.

Während ich mir den Oberarm rieb entschuldigte die sich bei ihrem Cousin. Ihr Blick in meine Richtung machte mir deutlich: Sie wollte nicht länger in meiner Gegenwart sein.

Sie griff daher nach Marcos Hand, der sich das Bord geschnappt hatte, und ließ sich von ihm mitziehen zu seiner Clique.

„Man, Serena, musste das echt sein?“, fuhr mich Nahele an. „Ich dachte nach unserer Unterhaltung am Donnerstag hättest du endlich begriffen wie beschissen du dich verhältst!“

„Hab ich doch auch! Es tut mir doch leid! Ich habe nicht realisiert, dass ich sie beleidigt habe! Das war nicht meine Absicht.“

„So wie du sie sonst auch nicht beleidigen willst? Serena, du machst mich echt krank, weißt du das?“, wutentbrannt schnappte sich Nahele sein Bord, um in die Bucht hinaus zu paddeln.

„Hele“, rief ich ihm frustriert langgestreckt nach, doch er ignorierte mich einfach.

„Du musst echt aufpassen was du sagst, Sera.“, seufzte Grace und ließ sich wieder auf mein Handtuch plumpsen.

„Da hat sie recht, auch wenn du es nicht so gemeint hast.“, pflichtete Elli ihr bei.

„Toll“, schnaubte ich und ließ mich mit einer Mischung von Wut und Enttäuschung fallen. „Man, dann komme ich halt nie mit Lavinia aus. Was ist denn daran zu schlimm?“

„Das sie zu uns gehört?“, fragte Grace traurig. „Sie ist unsere Freundin, Serena, und du schaffst es immer sie zu verschrecken und zu vergraulen.“

„Aber das eben habe ich doch gar nicht mit Absicht getan!“

„Ich weiß, Süße…“, Elli seufzte. „Aber schau, Lavinia ist…“

„Ich weiß verdammt noch mal was sie ist und was sie erlebt hat! Nahele hat es mir erzählt!“, donnerte ich. „Wie oft soll ich mich noch entschuldigen? Ich habe es doch gar nicht…“

„Wow, warum so aufgebracht?“, verblüfft sahen wir drei hoch in das breite Lächeln von zwei jungen Männern.

Zuerst war ich nur irritiert woher ich sie kannte, doch dann fiel es mir wieder ein… Sie hatten im Sommer ihren Abschluss an unserer Schule gemacht. Und beide waren – oh welch wunder – irgendwann einmal mit mir im Bett gelandet…

War ich eigentlich armselig?

„Ihr stört, seht ihr das nicht?“, grummelte ich genervt, doch sie ließen sich einfach unbekümmert bei uns nieder.

Während der eine Grace in ein Gespräch zu verwickeln versuchte, kapselte der andere Elli von uns ab, sodass der nichts anderes übrig blieb, als sich seufzend ihren Hund zu schnappen und mit ihm etwas abseits zu spielen. Sie wollte halt nicht das fünfte Rad am Wagen sein und das konnte ich zu gut verstehen.

Ich wollte eigentlich gar nicht mit denen reden.

„Erinnerst du dich an mich?“, fragte der Typ nun.

„Nö, sollte ich?“, fragte ich unbeeindruckt und er hielt sich lachend und mit gespielt gequältem Gesicht die Brust über dem Herzen.

„Au, das hat wehgetan!“, entschied er und rutschte dann noch etwas näher. „Egal, ich erinnere mich an dich.“

„Lass mich raten: Dafür erwartest du einen Keks zur Belohnung?“

Er lachte.

„Nein, aber wir können gerne über eine andere Art von Bezahlung reden.“, er beugte sich zu mir rüber und flüsterte in mein Ohr: „Was hältst du davon, wenn wir beide uns klammheimlich verdrücken und irgendwo zwischen den Dünen deine Erinnerungen an mich auffrischen?“

Ich verzog das Gesicht.

Was komisch war… noch vor wenigen Tagen hätte ich diesem Angebot sofort nachgegeben, aber seit diesem Kuss in der Dunkelheit…

„Ich habe eine andere Idee: Geh du alleine hinter eine Düne und besorg es dir selbst, während du an diese Nacht mit mir denkst. Du scheinst mehr dran zu hängen als ich.“

„Ah, die Kleine will gejagt werden! Das finde ich noch viel anregender.“, er grinste.

„Gejagt?“, fragte ich spöttisch. „Die Kleine will, dass du einen Abgang machst.“, ich wandte den Blick von ihm ab und sah kopfschüttelnd zum Meer.

„Ok, ok, dann halt ganz direkt.“, hörte ich ihn sagen und gleich darauf beugte er sich erneut zu meinem Ohr vor. „Was, wenn wir die übliche Vorgehensweise einfach mal vergessen und wir beide direkt einen Deal miteinander machen?“

„Einen Deal?“, der Kerl weckte immer mehr mein Misstrauen. „Was für ein Deal meinst du?“

„Ah, habe ich dein Interesse geweckt?“ – ja, aber vermutlich anders, als er es sich wünschte – „Wie wäre es, wenn wir deinen Bruder einfach umgehen und uns beide so einig werden?“

„Mein Bruder? Wovon redest du bitte?“

Er lächelte wissend. „Du kannst jetzt aufhören das naive, dumme Blondchen zu spielen.“, meinte er geduldig. „Ich meine: Was hältst du davon, wenn wir Marco einfach umgehen und du mir direkt deinen Preis für einen Blowjob mit anschließendem Quicky nennst. Ich bezahle dich anstatt deinen Bruder und du bekommst so die volle Summe. Ist das was?“

Ich musste einmal blinzeln um zu realisieren, was er da gerade angedeutet hatte…

Wobei, angedeutet hatte er genaugenommen gar nichts.

Er hatte es mir vollkommen klar dargelegt!

Wie in Trance sah ich dabei zu, wie meine Hand ausholte und dem Kerl mit voller Wucht einen dunkelroten Abdruck ins Gesicht küsste.

Überrascht sahen Grace und sein Kumpel auf.

„Sera?“, fragte meine Freundin verwirrt, doch ich hörte sie nur wie von sehr weit weg. Benommen sammelte ich meine Sachen ein und stapfte durch den lockeren Sand zurück zu meinem Auto.
 

„Ich muss überhaupt nicht das Unternehmen meines Vaters übernehmen, um weiterhin so reich zu sein. Ich werde einfach Zuhälter bleiben. Die Schlampe bringt mir echt eine Menge ein.“
 

Er hatte mich gemeint?!

Samstag, 18. August 2018 – Abend

Stundenlang hatte ich in meinem Zimmer gehockt und versucht das Gehörte zu verdauen.

Marco kassierte Geld von denen, mit denen ich schlief?

Das war einfach unfassbar…

Meine Freunde hatten mehrmals versucht mich anzurufen und schließlich auch über WhatsApp Nachrichten hinterlassen, warum ich denn plötzlich gegangen war, aber ich vertröstete sie auf Montag.

Ich war einfach zu geschockt von dem, was ich erfahren hatte.

So viel ich meinem Bruder auch zutraute, DAS gehörte eindeutig nicht dazu. Ich hoffte, dass dieser Kerl am Strand mich nur provozieren wollte.

Das konnte doch einfach nicht stimmen.

Ich wollte es nicht glauben…

Ich beschloss, dass ich Marco unbedingt zur Rede stellen musste!

Doch wann er wohl nach Hause kommen würde…?

Es war Samstag und er war mit seinen Kumpels an den Strand gefahren. Wer wusste schon zu welcher Party er anschließend marschieren würde…

Die Stunden vergingen und irgendwann verlor ich die Hoffnung, dies schnell klären zu können.

Wie sollte ich nur schlafen, wenn mir die ganze Zeit diese Frage durch das Hirn waberte: Hatte er es getan oder nicht?

Ruhelos zog ich meine Bahnen durch die Villa – ich bin in Räumen gewesen, die ich seit etlichen Jahren nicht mehr betreten hatte – und wollte gerade in mein Zimmer zurückkehren, als einer der Angestellten mir auf der großen Freitreppe entgegen kam. Er eilte die Stufen hinunter zur Flügeltür und zog sie auf.

Da war er ja endlich… und natürlich in Begleitung von drei Freunden aus dem Footballteam.

Ich seufzte schwer, wandte mich den Ankommenden aber zu.

Mir war es egal wie es aussah, ich musste mit Marco reden. Er musste mir einfach sagen, dass der Kerl am Strand Schwachsinn erzählt hatte.

Niemals würde mich mein Bruder verkaufen. Immerhin waren wir doch Geschwister, auch wenn wir uns nicht leiden konnten…

Lachend und gut gelaunt wie immer sprangen sie die Treppe hinauf.

Als Marco mich sah ignorierte er mich einfach, in dem er den Blick stur geradeaus die Stufen hinauf richtete.

„Ja hey, wer ist denn da?!“, begrüßte mich dafür einer seiner Freunde und huschte an den anderen vorbei auf mich zu.

Seine schmierigen Finger landeten direkt auf meiner Taille.

„Hey Baby, na? Bereit?“

Ich rollte mit den Augen.

„Zisch ab“, ich schob ihn von mir weg und stellte mich noch gerade so Marco entgegen, ehe er vorbeigezogen war.

Verblüfft sah er mich an. Ebenso verwirrt stoppten auch seine anderen beiden Freunde und drückten sich langsam an ihm vorbei.

Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, wie sie mich neugierig einkesselten.

„Wir müssen reden.“, sagte ich zu meinem Bruder und eine seiner gezackten Augenbrauen hob sich spöttisch.

„Reden“, wiederholte er, als würde er dieses Wort das erste Mal in seinem Leben hören.

„Das ist, wenn du deinen Mund auf und zu machst und dich dabei deiner Stimmbänder bedienst.“, erklärte ich augenrollend, was ihm wohl gar nicht gefiel.

Sein Blick verfinsterte sich, doch entgegen meiner Erwartungen schoss er nicht zurück, sondern ging einfach an mir vorbei.

Seine Kumpels wandten sich mit ihm um, doch ich griff nach Marcos Arm.

„Hey, das war keine Bitte, das war eine Feststellung.“, wies ich ihn sauer zurecht.

„Das ist mir reichlich egal. Ich habe keine Lust mit dir zu reden.“

„Und das wiederum ist mir so egal, das glaubst du nicht. Ich muss JETZT mit dir reden. Sofort.“

Er schnaubte. „Dann fang bloß nicht an zu heulen, nur weil ich keinen Bedarf an deiner Gesellschaft habe.“

Er wollte mir seinen Arm entziehen, doch ich hielt nur stärker fest.

„Bitch, lass mich los.“, forderte er sauer.

„Nö“, sagte ich schlicht und wandte mich an seine Jungs. „Hier wird ’s gleich hässlich, also…“

„Du bist doch schon hier. Wie viel hässlicher kann es denn noch werden?“, war mir Marco an den Kopf.

„Deine Sprüche waren auch schon origineller.“, gab ich gelangweilt zurück und vollendete endlich meinen Satz: „Also verschwindet.“

Unschlüssig sahen die Schränke zwischen uns beiden hin und her, doch schließlich gab Marco nach.

„Schön, wenn es denn unbedingt sein muss.“, er nickte die Treppe hoch. „Geht einfach in mein Zimmer. Das hier dauert sicher nicht lange. So umfassend ist ihr Wortschatz ja nicht.“

Mein Drang danach ihn zu Schlagen war einfach unbeschreiblich, doch wenigstens nickten seine Freunde nun endlich und verschwanden in der oberen Etage.

Ich wartete, bis ich sie nicht mehr hörte, dann wandte ich mich ihm zu – nicht zuletzt, weil er es nun endlich schaffte meine Finger von seinem Handgelenk zu entfernen.

„Na los, beeil dich ein wenig, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.“, knurrte er missmutig.

Ich nickte und griff das Geländer der Treppe etwas fester. Prüfend blickte ich zu ihm hoch.

„Ich habe einen Typen am Strand getroffen, der mir weismachen wollte, dass du Geld von denen kassierst, mit denen ich Sex habe.“, verkündete ich gerade heraus. Meine Frage jedoch wagte ich nicht zu stellen. Irgendwie bekam ich Angst vor der Antwort…

„Und weiter?“, fragte er gelangweilt und mir klappte im ersten Moment der Mund auf.

Mehr hatte er dazu nicht zu sagen? Keine Gefühlsregung, gar nichts?

„Ich will wissen, ob das wahr ist?!“, warf ich hinterher und sah ihn ungläubig an.

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und verschränkte die Arme.

„Hat dich nicht zu interessieren.“, verkündete er schlicht.

„Hat mich nicht zu interessieren?“, ich schrie beinahe und sah ihn geschockt an. „Marco, ich bin deine Schwester!“

Er schnaubte.

„Wohl eher ein Parasit als eine Schwester.“, warf er zurück.

„Wie bitte?“, ich sah ihn geschockt an. Er hatte mir schon viele solcher Beschimpfungen um die Ohren geworfen, aber in Kombination mit dem Angebot, das mir früher am Tag unterbreitet wurde, bekam es einen ganz neuen Klang.

„Ein Parasit? Meinst du etwa ich habe es mir ausgesucht in diese Familie hineingeboren zu werden?“

„Sprich du nicht von Familie! Niemals!“, brüllte er mich plötzlich an. „Dank dir habe ich keine Familie! Nur weil du geboren wurdest!“

„Ist das etwa meine Schuld? Habe ich es mir ausgesucht? Habe ich unserem Vater gesagt er soll das Dienstmädchen schwängern? Willst du mir das echt vorwerfen?“

„Wegen dir kenne ich meine Mutter nicht!“

„Wir kennen beide unsere Mütter nicht und zwar wegen Vater! Weil er so ein Windhund ist. Ich habe deine Mutter nicht hier rausgeworfen!“

„Nein, sie ist gegangen, weil du geboren wurdest! Ich wünschte, du würdest gar nicht existieren!“

Ich biss die Zähne zusammen.

Komisch, er hatte mir schon so oft gesagt, dass es ihm besser ginge, wenn ich nicht leben würde, doch dieses Mal traf es mich beinahe noch mehr, als die einhundert Mal zuvor.

„Ok, das artet aus…“, gestand ich schließlich und hob abwehrend die Hände. „Bitte, Marco, sag mir einfach nur, dass du mich nicht verkaufst. Bitte sag mir einfach nur, dass du mich nicht wie eine billige Nutte verhökerst.“

„Sorry, aber ich bin kein Lügner.“, sagte er knallhart und mir wurde eiskalt. Um das Zittern meiner Hände zu unterdrücken krallte ich mich fester in das Geländer und die zweite Hand in meinen Rock.

Seine Augen zuckten einen Moment an mir hinunter und beobachteten wohl meine Finger, doch dann sah er mich genauso abfällig an wie immer.

„Marco, ich… ich bin deine Schwester, verdammt! Und du verkaufst mich? Ich bin doch keine Hure!“

„Nein? Dann solltest du wohl aufhören jeden zu vögeln, der dich anspricht.“

„DU ARSCHLOCH, HÖR AUF SO MIT MIR ZU REDEN!“, schrie ich aufgebracht.

Ich wusste, dass er recht hatte, aber war er nicht einen Schritt zu weit gegangen?

Er hatte Geld für mich verlangt…

Ich strich mir fahrig durch die Haare und sah auf die Stufen.

„Wie kannst du mir das antun? Ich weiß, dass du mich hasst, aber wie kannst du deine Schwester wie ein Stück Vieh verkaufen?“

Am oberen Rand meines Blickfeldes nahm ich eine Bewegung war. Er drehte sich mir vollends zu und hätte ich nicht aufgesehen, dann wäre er wohl eine Stufe zu mir herunter gekommen.

Wollte er mich jetzt auch noch die Stufen runter stoßen?

„Wie viel bin ich dir wert?“, fragte ich ihn stattdessen hart. Er hielt meinem Blick mit unergründlichem Ausdruck stand. „Ok, warte, ich habe die Frage falsch gestellt, denn ich bin dir ja offensichtlich gar nichts wert. Also, noch einmal: Wie viel ist dir ein Mensch wert?“

Es waren sicher nur einige Sekunden, doch diese Zeit – in der wir uns anstarrten – schien sich ewig zu ziehen.

„Wie viel, Marco?“, verlangte ich noch einmal zu wissen und erschrak selbst. Meine Stimme war kurz davor mir den Dienst zu versagen.

Schließlich atmete er tief durch und griff an seine hintere Hosentasche, um seinen Geldbeutel hervor zu holen.

Er klappte ihn auf und öffnete das Scheinfach. Ohne weitere Umstände zog er einen Hundertdollarschein hervor und reichte ihn mir.

„Mit besten Grüßen von dem Typ, mit dem du letzten Samstag im Wohnheim Spaß hattest.“

Ich sah auf diesen Schein.

Das war alles? Einhundert Dollar?

Ich war ihm ganze einhundert Dollar wert?

Noch wichtiger… Hatte er das Geld etwa von dem, den nicht einmal ich erkannt hatte?

„Jetzt nimm schon und geh mir nicht weiter auf den Sack.“, forderte er entnervt.

Marco hatte mich verkauft und der Fremde hatte mich gekauft?

„Serena, du gehst mir auf den Geist! Entweder du nimmst das Geld jetzt oder ich behalte es.“

Ich griff nach dem Schein – weniger weil ich ihn wollte sondern eher, weil ich in diesem Moment nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Mein Gehirn schaltete einfach auf Autopiloten um.

Hatte auch er mich nur wie eine Ware behandelt? So wie mein Bruder?

Marco packte sein Portmonee zurück in seine Hosentasche und wandte sich ohne ein weiteres Wort um.

Während er die Stufen erklomm, zerknüllte ich den Schein in meiner Hand.

Mein Bruder verkaufte mich und der einzige von dem ich dachte, dass ich ihm etwas bedeuten könnte, erwarb mich wie ein billige…

Ich sackte auf die Knie und starrte schlicht ins Leere.

Was war ich nur geworden? Wie tief war ich gesunken?

Alkohol, Sex… und nun noch Prostitution…

Hemmungslos brach ich in Tränen aus.

Wenn mich nicht irgendwann Nana vom Boden aufgelesen hätte und in mein Zimmer begleitet, dann hätte ich dort sicher noch bei Sonnenaufgang gesessen, wo Marcos Freunde mich sähen, wenn sie unser Zuhause verließen…

Aber war es das denn überhaupt noch?

Mein Zuhause?

Meine Familie?

Mein Leben?

Montag, 20. August 2018 – Vormittag

Ich musste gestehen: Einschließen im eigenen Zimmer hatte wohl geholfen.

Nana wusste, dass es mir nicht gut ging und servierte mir daher jede Mahlzeit im Bett.

Und Marco – na ja, der betrat sowieso niemals mein Zimmer.

Ich glaube er war noch nie darin gewesen…

Alles in allem: Ich hatte meine Ruhe zum Nachdenken.

Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, ob es denn jemand anderes gab, mit dem ich bei dieser Party etwas hatte.

Aber nein…

Na ja, ein paar hatten versucht mich anzutanzen.

Wieder andere hatten mich auf ihren Schoß gezogen in der Hoffnung auf mehr…

Ich hatte gestrippt und ich wusste auch noch, dass ich nur in Unterwäsche bei jemandem im Arm lag, aber Sex?

Nein, ich hatte keinen.

Die einzige, wirklich intime Situation war mit dem Unbekannten gewesen.

Wenn ich an diese Küsse dachte…

Bis vor wenigen Stunden hatte mein Bauch angefangen zu kribbeln und ich spürte diese Sehnsucht, doch nun war es anders.

Ich dachte an seine Lippen auf meinen und wurde ausschließlich depressiv.

Zum einen natürlich, weil ich dieses Gefühl vermisste, das er mir gab, doch am wichtigsten: Er hatte mich bei meinem Bruder gekauft.

Für lumpige einhundert Dollar.

Das hieß wohl, dass er ein genauso großes Arschloch war wie Marco, oder?

Warum nur…

Ich schaltete das Wasser in der Mädchentoilette aus und sah in den Spiegel.

Ich fand, dass ich aussah wie ein Wrack…

Irgendwas musste ich doch gegen mein Leben tun. So, wie es aktuell lief, war es einfach nicht lebenswert.

Diese Exzesse mussten aufhören.

Nicht nur der Alkohol, auch diese ständigen One Night Stands mit den Jungs meiner Schule oder wem auch immer ich irgendwo begegnete.

Das führte doch alles zu nichts und brachte mich kein bisschen dem Näher, was ich eigentlich wollte: Sicherheit, Geborgenheit, Familie… und richtig lieben und geliebt werden.

Sofort dachte ich wieder an meinen Küsser in der Dunkelheit.

Er hatte es mir wirklich angetan. Umso frustrierender war es zu erfahren, dass er nicht besser war als all die anderen.

Aber dieses Gefühl…

Konnte mir das denn nicht jemand anders geben?

„Man, jetzt geh endlich beiseite, wenn du dir nicht die Hände wäschst! Ich muss auch noch!“, mit diesen entnervten Worten schob mich ein Mädchen aus einem niedrigeren Jahrgang beiseite. Sie packte ihr Schminkköfferchen aus und begann ihre 500 Lagen Makeup zu erneuern.

Ich trocknete flüchtig meine Hände an meinem Rock und verließ die Toiletten.

Der Flur war voll. Alles drängte zu den Schließfächern und anschließend nach draußen auf den Hof.

Zum Glück wollte ich auch in diese Richtung. So musste ich nur eine Lücke im Strom finden und mich dann treiben lassen.

Kaum in der Hitze angekommen, stob die Masse auseinander und ich suchte nach meinen Freunden.

Grace, Elli und Nahele saßen unter einem Baum auf einer Bank und aßen Brötchen aus der Cafeteria.

„Da bist du ja endlich.“, Grace hielt mir einen Schokodonut entgegen und ich musste lächeln.

Genau das hatte ich gebraucht.

Die drei rutschten, damit ich mich zwischen Grace und Nahele quetschen konnte.

„Und? Was ist nun gewesen am Samstag?“, fragte mich Letzterer, als ich in den süßen Kringel in meiner Hand biss.

„Die Typen waren nervig, oder?“, meinte Grace von der Seite, als sie merkte, dass ich nicht sofort antwortete.

„Vor allem waren sie unhöflich! Haben mich einfach von meinem Handtuch verdrängt.“, warf Elli ein.

„Na dann lass dich doch das nächste Mal nicht verdrängen.“, schlug Nahele vor. „Es war doch dein Handtuch.“

Grace und ich nickten zustimmend, doch Elli druckste verlegen herum. „Ja, aber es waren gutaussehende Kerle und ihr wisst doch, wie Sera auf solche Jungs reagiert. Und der andere wollte halt was von Grace. Ich hatte auch keine Lust das fünfte Rad am Wagen zu sein.“, gestand sie kleinlaut.

„Was soll das heißen, wie ich auf „solche Jungs“ reagiere?“, fragte ich stattdessen und sie hob ertappt den Blick.

„Also… ehm… das war jetzt nicht… ehm…“

Ich schmunzelte leicht.

„Schon gut, ich kann mir denken, wie du das gemeint hast.“, ich seufzte schwer und meine drei Freunde sahen mich prüfend an.

„Du hast doch was.“, entschied Nahele und rieb die Hände aneinander, um die Krümel seines Brötchens los zu werden.

„Jetzt spuk ’s schon aus.“, stach Grace weiter. „Was ist passiert?“

„Ich habe einfach keine Lust mehr auf solche Sachen.“

„Welche Sachen?“

„Na diese schnellen Nummern ohne Bedeutung.“

„Oh Gott!“, rief Nahele. „Serena hat einen Sonnenstich! Schnell! Ruft den Notarzt!“

Elli brach in Gelächter aus bei dem Anblick seiner panischen Miene.

Ich dagegen schmunzelte nur.

„Wie kommst du zu dieser Erkenntnis?“, fragte Grace verwirrt weiter und ich wandte mich ihr zu.

„Der Typ am Strand hat mir Geld bieten wollen für einen Blowjob mit anschließendem Quicki.“

„WAS?“, entfuhr es den dreien wie aus einem Mund und Nahele wurde sichtlich wütend.

„Sag mir bitte, dass du uns gerade verarschst!“, forderte er, doch ich schüttelte den Kopf. „Sorry, aber das ist mein Ernst.“

Er schlug die rechte Faust in die linke Hand und wusste scheinbar nicht wohin mit seiner plötzlichen Aggression.

Man konnte über diesen Footballer – der so gar nicht zu der Clique der übrigen Spieler gehören wollte – denken was man wollte, aber wenn es um seine Freundinnen ging, dann war er der pure Beschützer, der sich sofort für uns prügeln würde.

„Man! Warum war ich nur schon im Wasser? Dem hätte ich eine verpasst, dass er seine Nase in einer Kühlbox zum Schönheitschirurgen hätte bringen müssen.“

„Danke, Hele.“, sagte ich liebevoll lächelnd und gab ihm einen Kuss auf die Schulter. Er legte sofort seinen Arm um mich und zog mich eng an seine Brust.

„Das ist ja wohl das Letzte, jemandem solch ein Angebot zu unterbreiten. Widerlich. Wäre ich nur dabei gewesen…!“, knurrte er weiter und ließ die Drohung aber offen.

Ich legte einen Unterarm auf seinen Oberschenkel und strich mit dem Daumen und der zweiten Hand beruhigend über sein Bein.

„Wisst ihr, wie sich heraus gestellt hat dachte er wohl, dass das für mich normal wäre.“

„Ach komm, was soll das bitte? Du bist ein normales Schulmädchen in einem normalen Bikini am Strand. Da geht man doch nicht einfach hin und bezahlt sie für Sex.“, stellte Grace fest. „Das ist so widerlich!“

Ich nickte und suchte den Hof unwillkürlich nach Marco ab.

Wie es der Zufall so wollte saß er etwas weiter links, uns gegenüber am anderen Ende des Hofes im Schatten der Sporthalle.

Damit war dann nun auch die Frage beantwortet, wo eigentlich Lavinia abgeblieben war. Natürlich saß sie neben ihm auf dem Campingtisch und nahm gerade glücklich lächelnd einen Schokoriegel von ihm entgegen.

Das arme Mädchen. Nicht nur, dass er ein Arschloch war, ich wusste auch noch ganz genau, dass er sich nur deshalb so an sie ranschmiss, weil er sich darüber im Klaren war wie sehr er mich damit ärgern konnte.

Sie war quasi zu einem Opfer oder vielleicht sogar zu einer Waffe unseres Geschwisterkrieges geworden.

„Grace hat Recht. Das ist unterste Schublade. Geht zu einer Fremden hin, baggert sie an und bietet ihr Geld für Sex.“, erklärte auch Elli auf der anderen Seite und Nahele schlang auch ihr einen Arm um die Schultern.

„So wirklich fremd waren wir uns nicht. Ich habe schon irgendwann mal mit ihm geschlafen.“

„Aber ganz sicher kein Geld verlangt.“, meinte Nahele.

„Nein… aber Marco hat.“, verkündete ich und ich spürte förmlich, wie die drei mich entsetzt ansahen.

„Er hat was?“

Ich richtete mich an der Seite meines Freundes auf und er legte mir eine Hand von hinten um das Genick. Sanft drückte er zu, um mir so etwas Kraft zu spenden.

„Ich habe Samstag erfahren, dass Marco von jedem Typen, mit dem ich was hatte, einhundert Dollar pro Nummer verlangt.“

Elli keuchte schockiert.

„Dieser Bastard!“, quiekte sie.

„Das ist selbst für ihn ein neuer Tiefpunkt.“, erklärte Grace und ich nickte.

Ich spürte nur, wie sie die Finger von Nahele etwas enger um meinen Nacken zogen und rhythmisch die Verbindung von Kopf und Hals rieben.

„Und nun hat der Kerl auch noch Lavinia in seiner Gewalt.“, verkündete er griesgrämig. Pure Mordlust stand in seinen Augen. „Ich habe sie zwar am Wochenende gefragt ob da was läuft und sie hat es verneint, aber schaut sie euch doch an! Ich glaube ihr nicht, dass sie und Marco kein…“

Wir folgten alle seinem Blick und sahen, wie die Turteltauben in Gelächter ausbrachen und sich so weit vorbeugten, dass man Angst haben musste sie würden vom Tisch fallen.

„An die macht er sich übrigens nur ran, weil er genau weiß, dass er mich damit ärgern kann.“, erklärte ich, aber wirklich besser schien es die Situation nicht zu machen.

Nahele schnaubte.

„Na wunderbar. Jetzt gerät auch noch meine Cousine in euren ewigen Streit? Danke schön.“

Ich seufzte.

„Ja, ich weiß. Tut mir leid. Ich habe ihm wirklich gesagt, dass er die Finger von ihr lassen soll…“

Nahele nickte nur und beobachtete die beiden weiter finster.

„Irgendwas müssen wir doch tun können!“, entschied Grace. „Irgendwie müssen wir ihm das alles doch auswischen können.“

„Da bin ich dafür!“, pflichtete Elli ihr bei.

„Es reicht mir, wie er mit Serena umgeht.“, bestätigte Nahele. „Und jetzt noch Lavinia! Er wird ihr doch nur das Herz brechen! Bitte sage mir, dass dein Plan vorsieht ihm körperlich weh zu tun!“, er sah zu Grace und Elli begann zu kichern.

Ich musste schmunzeln, doch noch ehe Grace etwas sagen konnte hielt ich sie auf.

„Bitte nicht wegen mir. Lavinia müssen wir von ihm wegholen, da stimme ich zu, aber startet bitte keine Racheaktionen wegen mir. Das schaukelt sich nur hoch: Wir klatschen ihm Spaghetti ins Gesicht, er kippt Tinte in Naheles Sporttasche, wir fahren mit dem Rasenmäher über seine Lieblingssneaker, er schneidet kreisrunde Löcher in Arschhöhe in meine Kleider…“, begann ich zu fantasieren.

Eigentlich wollte ich lustig sein, aber scheinbar war die Situation zu angespannt. Meine Freunde sahen mich verbissen.

„Hey, ich will damit nur sagen: Seit gestern habe ich ihn zwar gelegentlich gesehen, aber er ignoriert mich komplett. Das ist wirklich angenehm und so kann es auch gerne bleiben. Wenn wir jetzt mit Vergeltung anfangen, dann wird es nur wieder schlimmer. Belassen wir es dabei, ja? Und sich an mir bereichern wird er sich jetzt eh nicht mehr. Der nächste Kerl mit dem ich was habe, das ist definitiv einer, mit dem mich etwas Intensives verbindet. Mit dem ich eine ernsthafte Beziehung führen kann. Und wenn er von dem dann auch noch Geld kassieren will, wird Marco von mir höchst persönlich kastriert.“

Die drei waren wohl nicht sonderlich begeistert von dieser Entscheidung, aber sie würden auch nichts in dieser Hinsicht anzetteln, wenn ich nicht absolut hinter ihnen stünde.

Blieb nur das Problem: Wie würde es mit Lavinia und Marco weitergehen?

Sie konnte doch nicht bei ihm bleiben…

Unsere Blicke wanderten wieder zu ihnen hinüber.

Marco begrüßte einen seiner Freunde und wandte sich für einen Augenblick von Lavinia ab um mit dem Neuankömmling zu plaudern.

Die Pinke hob ihren Blick und ließ ihn über den Hof schweifen. Sie suchte wohl nach uns und bald schon hatte sie uns gefunden.

„Mir gefällt das alles ganz und gar nicht.“, erklärte Nahele und seine Hand wanderte wieder aus meinem Nacken heraus, sodass sich sein Arm um mich legte.

Er konnte den Anblick seiner Cousine bei diesem Scheusal wohl nicht mehr ertragen und drehte den Kopf. Kurz gab er mir einen Kuss auf den Scheitel, dann sah er über mich hinweg in Grace Richtung, die gerade zu reden begonnen hatte.

Das sanfte Lächeln auf Lavinias Gesicht erstarb nur sehr langsam, wie in Zeitlupe.

Trauer und Schmerz zeigten sich in ihren Augen und sie senkte den Blick.

In diesem Moment wurde mir eines klar: Dass Lavinia ihre Pausen lieber mit meinem Bruder verbrachte als mit uns, war einzig und allein meine Schuld.

Sie hatte sich im Sommer mit Grace und Elli angefreundet und es ginge ihr viel besser, wenn sie hier bei uns sein könnte.

Doch sie tat es nicht, was nur einen einzigen Grund hatte: Mich.

Da war er wieder, mein Selbsthass.

Oh, wie ich ihn vermisst hatte…

Nur wie konnte ich das Geschehene wieder gut machen?

Ich seufzte schwer, da klingelte es zur nächsten Stunde.

Montag, 20. August 2018 – Nachmittag

Grace hatte am Nachmittag Nachhilfe, Elli war schon wieder mit diesem Monsterhund von ihrem unbekannten Bekannten unterwegs und Nahele hatte Footballtraining.

Eigentlich wäre das vermutlich die perfekte Gelegenheit für mich gewesen, endlich alles mit Lavinia zu bereinigen, die natürlich beim Training zugesehen hatte, aber ich habe mich nicht getraut.

Feigling der ich war, bin ich nach Hause gefahren.

Na ja, wegen meiner Feigheit und weil ich dank des Trainings ein paar ruhige Stunden am Pool genießen konnte. Immerhin hieß das, dass Marco und seine Jungs zusammen mit Nahele von Coach Graham über das Feld gescheucht wurden.

So versuchte ich mich in der prallen Sonne auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren, aber wer konnte das schon bei dieser Hitze?

Schnell war ich dazu übergegangen ein paar Runden zu schwimmen und dann mit ruhiger Musik auf meiner Liege zu faulenzen…

So lange, bis die sich plötzlich bewegte.

Überrascht sah ich auf und blickte in das strahlend weiße und vor allem sanfte Lächeln von Dean.

„Hallo Baby“, begrüßte er mich wie immer… Wo blieb eigentlich mein Kotztütenabonnement? Ich musste mich unbedingt beim Hersteller über diese Lieferverzögerung beschweren.

Ich zog seufzend die Kopfhörer aus den Ohren und sah ihn wenig begeistert an.

„Was willst du, Dean?“

„Hey, kein Grund die Krallen auszufahren, Süße.“, er strich mir über das Knie und ein Stück den Oberschenkel hinauf.

Sollte ich ihn sofort kastrieren oder erst später?

„Ich wollte nur sehen wie es dir geht.“, versicherte er mir.

„Ah ja. Und wo sind Marco und die anderen Schimpansen?“

Ich sah mich um. Vermutlich hockten sie irgendwo und Marco überlegte bereits, ob er uns beim Sex Filmen sollte und das Material verkaufen…

„Als ich sie zuletzt sah, da waren sie noch in der Umkleide.“, klärte Dean mich auf und ich sah ihn überrascht an.

„Du bist alleine hier?“

Er nickte sofort und lächelte breiter. Ich sah wohl nicht mehr so abweisend und aggressiv aus, weshalb er sich nun Hoffnungen machte.

Seine große Hand schloss sich leicht um mein Bein.

„Ja, wie gesagt: Ich wollte nach dir sehen. Das geht ohne diese „Schimpansen“ – wie du sie nennst – wesentlich besser.“, er seufzte schwer. „Ich habe da heute was Widerliches in der Schule erfahren. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

Nun verstand ich gar nichts mehr.

„Was hast du in der Schule erfahren?“

Welches Gerücht wohl jetzt wieder kursierte… Warum lief dieses Schuljahr eigentlich so daneben?

„Die Jungs haben sich vorhin gewundert, dass Marco so gar kein Kommentar zu dir und Nahele abgegeben hat.“, während er sprach sah er auf meine weiße Haut hinab, auf der sein tief dunkler Finger kleine Kreise zog. Nun aber schnellten seine Pupillen zu mir hinauf. „Läuft da was bei euch beiden, Baby?“

Total perplex riss ich die Augen auf.

„Was? Nein! Wo denkst du hin? Wir sind nur Freunde und er wollte mich aufheitern. Hat wohl ein wenig übertrieben. Das ist alles.“

Im Nachhinein betrachtet: Wenn ich „ja“ gesagt hätte, wäre ich ihn dann losgewesen?

Nun war es wohl zu spät, denn Dean begann wieder zu lächeln.

„Puh! Gott sei Dank! Da bin ich erleichtert.“, er lachte und ich zog die Augenbrauen kraus.

Warum erleichterte ihn das bitte?

Ich sah hinab auf seine Hand.

Langsam glitt sie an meiner Oberschenkelinnenseite weiter hinauf.

Ich schluckte leicht.

Hallo, das war Dean! Normalerweise wäre ich jetzt schon feucht und würde ihn anbetteln mich endlich zu nehmen…

Aber irgendwie stellte sich diese Vorfreude nicht ein…

Wenn ich so recht darüber nachdenke, dann fehlte sie schon seit Tagen, wenn er mich ansprach und versuchte bei mir zu landen…

Irgendwas fehlte…

Dieses Prickeln fehlte, welches der Fremde auf der Party bei mir entfacht hatte…

„Weißt du, das haben die Jungs sich auch gefragt, ob du wohl auf einmal einen festen Freund hättest. Ich hatte wirklich schon Angst, dass ich dich verloren hätte.“

Mein Magen zog sich zusammen.

Kotztüte…

Kotztüte!

„Vor allem aber, das Marco das so einfach ignoriert hat. Normalerweise kommentiert er alles, was du tust und zieht dich ins Lächerliche.“

„Wow, wenn du gekommen bist um mich aufzuheitern, dann hast du diese Mission gerade gehörig vergeigt.“, erklärte ich ihm trocken und schob seine Hand endlich von meinem Bein, ehe seine Finger meine Mitte erreichten.

Warum hatte ich nur so lange für diese Reaktion auf sein Gefummel gebraucht?

Doch er ließ sich von dieser Geste nicht beirren.

Nun legte er beide Hände seitlich an mein Knie und streichelte mich etwas intensiver.

Hatte er meine Zurückweisung nicht begriffen?

„Und was war jetzt so furchtbar, dass du erfahren hat? Nahele und ich können es ja nicht gewesen sein.“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, Marco hat uns erzählt, dass du das mit dem Sex gegen Bezahlung erfahren hast.“

„Tu nicht so, als ob es dich entsetzt. Du gehörst zu seinen engsten Freunden und warst neulich dabei, als ihr euch auf der Terrasse darüber unterhalten habt.“

Er stieß die Luft aus. Die Bewegung seiner Hände stoppte kurz, dann machte er aber weiter.

„Ja, ich weiß… entschuldige bitte, dass ich dir nichts davon gesagt habe. Ich fühle mich schlecht dafür… nur ich konnte doch schlecht was gegen meine Freunde sagen.“

Wie armselig er mir in diesem Moment erschien.

Und in diesen Typen war ich noch vor wenigen Wochen total verliebt gewesen?

Wobei, nein! Ich war niemals in ihn verliebt gewesen.

Liebe musste dieses unbeschreibliche Prickeln sein, das der Typ in der Dunkelheit verursacht hatte.

Und schon waren meine Gedanken wieder bei diesem perfekt gebräunten Six-Pack und seinen breiten Schultern.

Ich spürte erneut seine Hände über mich gleiten…

Ich musste wohl gelächelt haben, denn plötzlich sagte Dean: „Du verzeihst mir, das ist wunderbar.“

Ach ja… der Kerl war ja auch noch bei mir…

Ich seufzte schwer.

„Glaube mir bitte, was Marco da verzapft hat, ist mehr als widerlich.“, entschied er. „Und ich hatte damit nichts zu tun. Und ich wollte dich nur warnen: Er wird es auch weiterhin so machen. Er hat uns erzählt, dass du ihm am Wochenende deswegen wohl eine Szene gemacht hättest. Er fand es einfach nur lächerlich. „Für eine Schlampe bezahlt man halt.“, hat er gesagt.“

„Und auch das heitert mich nicht wirklich auf.“, entschied ich entnervt, als seine Hand schon wieder auf meiner Beininnenseite hinauf glitt. Erneut schob ich sie von mir weg, doch er griff nach meinem Knie und bohrte seine Finger leicht in die Kehle.

„Ich weiß. Sowas kann man halt nicht gut reden, deshalb versuche ich es gar nicht erst.“, erklärte er. „Ich wollte nur schauen, wie es dir geht. Du warst so still heute und irgendwie geknickt. Ich habe mir nur Sorgen gemacht.“

Schon wieder begann seine Hand zu wandern, doch diesmal wollte er mit der anderen meine Beine auseinander ziehen.

„Dean! Was soll das? Lass die Finger von mir!“, fuhr ich ihn entnervt an.

„Ich möchte dich nur etwas aufheitern.“, erklärte er lächelnd und beugte sich mir entgegen.

„Dean, wenn du nicht sofort die Finger von mir nimmst, dann schreie ich!“

„Dann tu es! Das liebe ich doch, wie du weißt.“, er lachte leise. „Komm, Baby, ich mach, dass es dir wieder besser geht.“

Ich versuchte mich dagegen zu stemmen, aber als Footballer war er wesentlich kräftiger als ich. Er spreizte meine Beine und lehnte sich dazwischen.

„Dean, geh runter von mir!“, wies ich ihn nun bereits etwas lauter an und drückte mit aller Kraft gegen seine Schultern.

„Du bist so heiß…“, flüsterte er und ich spürte nur noch, wie er die Schalen des Bikinis von meiner Brust zog.

„NEIN, VERFLUCHT! ICH WILL DAS NICHT!“, schrie ich lautstark und begann mich zu winden.

Er ignorierte es einfach und wollte gerade meine Haut küssen, als er grob zurückgezerrt wurde.

„Hast du nicht zugehört? Sie hat „nein“ gesagt!“

Ich blinzelte.

Das konnte doch unmöglich Marco sein, der mich da verteidigte…

Doch selbst nachdem ich mir die Augen rieb blieb dieser muskulöse Rücken nach wie vor der meines Bruders.

Schlagartig war ich so wach, als fände eine Naturkatastrophe vor mir statt – der Vergleich war doch recht passend, oder?

„Man, was sollte das denn?“, fuhr Dean da bereits hoch.

„Sie hat „nein“ gesagt, du Spast. Nein bedeutet, dass sie dich nicht will. Also lass deine Wichsgriffel von meiner Schwester.“

Das war tatsächlich Marco!

Nur so hatte ich ihn noch nie erlebt.

Ich sprang auf die Füße und richtete meinen Bikini, ehe ich an seine Seite trat.

„Alter, es ist nur deine Schwester! Warum verteidigst du deine Schwester?“

„Weil sie „nein“ gesagt hat! Also verpiss dich. Du bist hier nicht willkommen.“

Dean funkelte ihn sauer an.

„Ok, fein, ganz wie du willst.“, er griff in seine Hosentasche und holte sein Portmonee heraus. Meine Augen wurden tellergroß.

War das sein ernst? Er wollte vor meinen Augen für mich bezahlen und glaubte dann echt, dass sich an meinem „nein“ etwas ändern würde?

„Zweihundert und du lässt uns endlich alleine, ok?“, bot Dean.

War da ein kurzes Zögern in Marcos Gesicht?

Zog er das echt in Betracht?

Dieses Scheusal!

In mir brannte eine Synapse durch und ich machte einen Satz vor.

Ehe ich nachdenken konnte versetzte ich Dean einen Stoß. Da er gefährlich nahe am Pool stand und nicht so schnell auf mich reagieren konnte, landete er direkt im Wasser.

Die Geldscheine, die er gezückt hatte, schwammen friedlich davon.

„Schieb dir dein scheiß Geld sonst wo hin!“, bellte ich ihn an. „Ich bin nicht zu verkaufen! Merk dir das!“

Zwei große Hände schlangen sich um meine Ellenbogen und zogen mich zurück.

„Du hast es gehört.“, pflichtete mein Bruder mir bei und schob mich hinter sich, um sich dichter vor dem Pool aufzubauen. „Und jetzt raus hier! Du hast ab sofort Hausverbot.“

Wow…

Ich konnte es einfach nicht fassen.

Marco auf meiner Seite?

Festentschlossen und sauer beobachtete er Dean dabei, wie er aus dem Pool kletterte und triefend nass in Richtung Villa marschierte.

Als er darin endlich verschwand und vermutlich alles unter Wasser setzte – sehr zum Leidwesen unserer Angestellten – wandte sich Marco ab.

Ohne mich eines Blickes zu würdigen, warf er sich auf die Liege neben meiner und parkte sein Mobiltelefon auf dem kleinen Tisch zwischen den Sitzgelegenheiten.

Ich trat langsam näher.

Ein breites Lächeln hatte sich auf mein Gesicht geschlichen.

Ich konnte einfach nicht fassen, dass Marco mir beigestanden hatte!

Als er sich bequem hingesetzt hatte sah er mich ohne jede Regung im Gesicht an.

„Ist was?“

„Du hast mir geholfen!“, stellte ich gut gelaunt fest. „Dafür wollte ich dir…“

Doch er schnaubte und unterbrach mich so. Mein Lächeln erstarb.

„Interpretier da bloß nichts rein. Ich kann dich Zicke nach wie vor nicht leiden.“, stellte er klar – was hatte ich auch erwartet? Küsschen und Blumen? „Noch weniger allerdings kann ich es leiden, wenn meine Freunde ein „Nein“ nicht akzeptieren. Besonders nicht, wenn es um Sex geht. Oder wärst du gerne vergewaltigt worden? Ich wette, dass er das drauf gehabt hätte.“

Das waren dann wohl alle Gefühle, zu denen Marco fähig war.

Warum fühlte sich mein Herz bei dieser Erkenntnis so schwer an?

Ich sah auf seinen gut trainierten Bauch und stellte fest, dass sein Bauchnabel anders geformt war als meiner…

Warum achtete ich denn bitte auf seinen Bauchnabel?

„Ich verstehe.“, sagte ich, nur um irgendwas von mir zu geben und mich damit selbst aus meiner Starre zu befreien. „Na, trotzdem danke für deine Hilfe. Ich hatte das erste Mal seit siebzehn Jahren das Gefühl, dass ich einen Bruder habe.“

Schweigend sahen wir einander in die Augen.

Schließlich aber nahm ich mein Handtuch und meine Sachen und ging in die Villa zurück.

Ich wusste, dass es Blödsinn war, aber den gesamten Weg hatte ich das Gefühl, dass er mich ansah.

Dienstag, 21. August 2018 – Morgen

Ich muss gestehen, dass ich mich an das, was an diesem Tag geschah nur noch schemenhaft erinnere.

Alles begann – so schätze ich zumindest – sehr friedlich.

Da weder Marco noch ich großen Wert darauf legten gemeinsam zu essen, hatten wir es uns angewöhnt in der Küche zu frühstücken, während die Angestellten um uns herum wuselten.

Natürlich stets getrennt – klar, oder?!

Nana missbilligte das zwar, aber es war nun einmal nicht möglich uns beide an einen Tisch zu bekommen.

Na ja – außer man war unser Lehrer und setzte uns intelligenter Weise zusammen…

Ich hatte mir einen Cappuccino in meinen Thermobecher füllen lassen und schmierte gerade mein zweites Honigbrötchen, als unsere Küchenfee aufblickte und strahlend zu lächeln begann.

„Guten Morgen, Sir.“, begrüßte sie meinen Bruder, als dieser sich auf den Hocker neben mich fallen ließ.

Das war mir bereits zu viel.

An der Arbeitsfläche standen fünf Barhocker, warum musste er sich auf den neben meinem setzen?

„Morgen. Ich nehme das Gleiche wie sie.“, entschied er und wies mit dem Kopf zu Untermauerung in meine Richtung.

„Kommt sofort.“, entschied die Frau, ließ von meiner Tüte ab, die sie mit Schokobrötchen füllen wollte, und holte Besteck und Teller für Marco.

Ich stieß die Luft aus.

Frühstücken zusammen? Niemals. Soweit würde es im Leben nicht kommen!

Sie holte eines der noch warmen Gebäcke aus dem Ofen und schob ihm alles entgegen, als ich bereits nach meinem Proviant für die Schule angelte.

„Aber Miss Matthews, da fehlt doch noch eines!“, sie wies auf das letzte Brötchen, das auf einem Brett darauf wartete, geöffnet zu werden.

„Schon gut, Leila, drei reichen auch.“, erklärte ich, sprang von meinem Hocker und griff meinen Cappuccinobecher.

„Na gut, ich werde es für Sie aufheben. Dann können Sie es essen, wenn sie aus der Schule kommen.“, schlug sie vor und ich lächelte sie lieb an. Dass Marco über die Schulter zu mir sah, ignorierte ich einfach.

Wir hatten uns alles gesagt und gut war.

Schlimm genug, dass wir uns in wenigen Minuten in der Schule wiedersehen würden…

„Einen wunderschönen Tag für Sie, Miss.“

„Wünsche ich dir auch! Bis nachher!“, ich winkte ihr und verließ eilig das Haus.

Bloß schnell weg von allem.

Wie jeden Tag erwartete mich mein Auto auf der Einfahrt vor dem Haus. Es blitzte in der Sonne und ich konnte es wie immer kaum erwarten mich hinter das Lenkrad zu klemmen und am Meer entlang in Richtung Schule zu düsen.

Es war einfach ein Traum hier zu leben!

Ich warf meine Tasche in den Fußraum vom Beifahrersitz und stieg ein. Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen und ich fuhr an.

Bis dahin merkte ich nicht, dass etwas schief lief…

Ich fuhr um das bunt bepflanzte Rondell vor der Eingangstür und bog auf eine beinahe leere Straße. Der Wind peitschte mir um die Ohren und die Sonne strahlte bereits heiß auf meinen Kopf.

Ich roch das Salz der See und hörte die Möwen kreischen.

Motiviert trat ich fest auf das Gaspedal und sang einen Track von meiner Playlist mit, als es in die erste Kurve direkt am Strand ging.

Viel zu schnell legte ich mich hinein und war froh sie noch gerade so zu bekommen.

Das war wohl etwas zu viel Motivation für diesen Morgen…

Ich trat auf die Bremse und…

Nichts.

Mein Wagen reagierte nicht im Geringsten.

Seltsam.

Ich trat noch einmal auf das Pedal.

Nichts.

Wieder und wieder versuchte ich es und legte mich gerade noch so in die nächste Rechtskurve.

Ein entgegenkommendes Fahrzeug hupte. Der Fahrer wollte mich wohl darauf aufmerksam machen, dass ich viel zu schnell unterwegs war – aber was sollte ich tun?

Panisch versuchte ich weiter den Wagen zum langsam werden zu bewegen.

Ich sah sogar hinunter, ob ich nicht doch – dämlich wie ich war – einfach ins Leere trat, aber nein.

Ich drückte sie.

Zehn

Elf

Zwölf

HALT DOCH AN VERDAMMT!

Ich sah hoch. Eine enge Linkskurve erwartete mich, dahinter eine Leitplanke, gefolgt vom Strand und dem Meer.

Dreizehn

Vierzehn

FÜNFZEHN, VERDAMMT!

Mein Wagen drosselte sein Tempo nicht, doch die Zeit schien still zu stehen.

Mein Herz raste.

Was sollte ich nur tun?

Welche Möglichkeiten hatte ich noch?

Egal, Hauptsache nicht in die Leitplanke fahren!

Ich schlug den Lenker ein.

Die Räder folgten.

Dann war es vorbei.

In voller Fahrt konnte ich die Kurve nicht mehr greifen. Mein Wagen schlug durch die Leitplanke und der Knall des Airbags vernebelte alles.

Dunkelheit.

Dann spürte ich eine Hand, die meine hielt.

Sanft strich ein Daumen über meinen Handrücken.

„Sie brauchen sich keine Gedanken machen. Ich habe alles unter Kontrolle.“, hörte ich eine Stimme neben mir sagen.

Ich kannte sie.

Nana.

„Nein, es ist alles in Ordnung. Die Ärzte sagen, dass sie nach Hause kann, sobald sie wach ist. Sie hat nur ein Schleudertrauma – zum Glück.“

Redete sie von mir?

Vor allem: Mit wem redete sie da?

Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam – es tat furchtbar weh – und öffnete langsam die Augen.

„Oh, Sir, sie wacht auf!“, hörte ich Nana und erkannte schon bald ihre Silhouette, als sich mein Blick klarte.

Nana drückte meine Hand fester. Sie hielt sich ihr Telefon ans Ohr.

„Meine süße Maus, hallo. Wie geht es dir?“

Mies! Richtig mies! Mir tat einfach alles weh, vor allem der Kopf und der Hals. Letzterer ließ sich nur schwer bewegen, aber das lag wohl vor allem an der Halskrause, die sich fest um mein Genick schloss.

„Was ist denn passiert?“, murmelte ich.

Saß ich denn nicht eben noch bei lauter Musik im Auto?

„Du hattest einen Unfall, mein kleiner Engel.“ – sie lauschte auf ihr Telefon während ich sie verständnislos anblickte.

Unfall?

„Dein Vater will mit dir reden.“, sagte meine Haushälterin und stellte ihr Telefon auf laut, hielt es dann neben mein Ohr.

„Mein Vater?“, fragte ich verwirrt.

„Hi Baby, was machst du nur für Sachen?“

„Keine Ahnung. Was habe ich gemacht?“, fragte ich verwirrt.

„Du hattest einen Unfall mit deinem Auto.“, sagte Nana liebevoll. „Du bist durch die Leitplanke gefahren und zwei Meter runter auf den Strand gefallen. Aber zum Glück hat sich der Wagen nicht überschlagen und blieb beinahe sofort stehen.“

Da viel es mir wieder ein.

Die Bremse hatte nicht funktioniert.

Nur wieso?

Mein Auto war doch brandneu…

„Wie geht es dir, Serachen.“, fragte mein Vater liebevoll und ich zog die Nase kraus.

Serachen? So nannte er mich nie!

„Ich weiß nicht genau.“, antwortete ich stattdessen und sah zu Nana hoch, die nur liebevoll lächelte.

„Ich kann den Kopf nicht so recht drehen…“

„Das ist normal, Süße. Das geht wieder vorbei. Nana wird dich gleich nach Hause bringen und dann ruhst du dich aus. Aber hör bloß nicht auf mit dem Autofahren. Sobald es dir besser geht suchen wir dir einen neuen Wagen aus. Vielleicht diesmal einen Mercedes? Oder lieber einen Porsche?“

Nana lachte.

„Sir, nun lassen Sie die kleine Prinzessin doch erstmal wieder zu Atem kommen.“

„Ja, ja natürlich, Nana, du hast recht.“, mein Vater seufzte geräuschvoll. „Ich muss aufhören. Ich habe selbst noch einen Arzttermin heute. Bitte ruft mich an, wenn ihr zuhause seid.“, bat er direkt. „Spätestens aber, wenn die Polizei mehr zu dem Unfall sagen kann.“

„Natürlich Sir.“

„Arzt? Warum Arzt?“ – ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mein Vater mich jemals daran hat teilnehmen lassen, wenn er zu einer Untersuchung musste.

„Nichts wildes, Baby, nur Routine. Macht es gut ihr zwei. Ich warte auf euren Anruf.“

„Ok?“, machte ich verwirrt.

„Bis heute Abend, Sir.“, versprach Nana für mich und legte auf.

„Vater muss zum Arzt?“, fragte ich, doch auch Nana zuckte nur mit ehrlich unwissender Mine die Schultern.

„Es wird sicher so sein wie er sagte: Nur Routine. Ab einem gewissen Alter sollte man halt regelmäßig zum Onkel Doktor gehen.“, erklärte sie und ließ ihr Telefon in ihre Tasche gleiten. „Nun erzähl, Serena, was ist eigentlich passiert?“

Ich machte ein ratloses Geräusch und sah an die Decke.

Was war eigentlich passiert?

Ich stieg ins Auto, hatte Radio gehört…

„Ich wollte bremsen, aber das Auto reagierte nicht.“

„Bist du sicher, dass du kleines Schusselchen auf das richtige Pedal getreten hast?“

Ich nickte.

„Ja, das bin ich. Ich habe sogar runtergesehen. Aber der Wagen hielt einfach nicht an.“

„Eigenartig. Eure Autos werden einmal die Woche von unserem Mechaniker geprüft und kontinuierlich in Stand gehalten. Außerdem sind sie erst wenige Monate alt sind. Wie kann das sein?“

Ich schüttelte den Kopf.

Eigentlich hatte ich nicht einmal die Muße dazu mich mit diesem Thema zu befassen – zumal schließlich auch ein Arzt kam, um mich noch einmal durchzuchecken und sein endgültiges ok dafür zu geben, dass ich wieder nach Hause durfte – doch dann klopfte es an der Tür.

„Ja bitte“, rief Nana für mich und zwei Herren in Jeans und Hemd und mit Waffenholster um den Brustkorb geschnallt traten ein. An ihren Gürteln hingen Dienstmarken.

Polizisten.

„Ma`am“, sie nickten der alten Dame zu und wandten sich dann an mich.

„Miss Matthews“, begrüßte mich einer. „Wir sind die Detectives Lynch und Conley.“ – Sie zogen überflüssiger Weise ihre Ausweise heraus, obwohl ich ihre Dienstmarken auch so sehr gut sehen konnte. – „Wir ermitteln in Ihrem Unfall von heute Morgen.“

Ich wusste ehrlichgesagt nicht, was ich darauf erwidern sollte.

Bedurfte es überhaupt einer Reaktion meinerseits?

Ganz gleich, denn sofort riss Nana das Wort an sich: „Sie müssen sich unbedingt ihren Wagen genauer anschauen. Serena sagte mir, dass ihre Bremsen nicht funktioniert hätten. Es muss ein technischer Defekt gewesen sein, kein menschliches Versagen.“

„Wo wir direkt beim Thema wären.“, gab der eine zu – Welcher von beiden war eigentlich wer? – und zog ein Notizbuch heraus. „Miss Matthews, können Sie sich irgendeine Person vorstellen, die Ihnen vielleicht Schaden will?“

Mein Bruder natürlich! Wer bitte sonst?

Aber das sagte ich in diesem Moment nicht. Ich war zu eingeschüchtert von der Präsens der beiden Polizisten…

Daher schüttelte ich nur den Kopf.

„Nein, nicht wirklich. Warum fragen Sie?“

„Wir haben den Grund für Ihren Unfall recht schnell gefunden. Es war sehr einfach: Jemand hat Ihre Bremsleitungen durchgeschnitten.“

Mir klappte der Mund auf und meine Augen wurden immer größer.

Jemand hatte meinen Wagen absichtlich manipuliert?

Die Bremsleitung durchzuschneiden war im schlimmsten Fall ein Todesurteil!

In diesem Moment wurde mir klar wie knapp im am Grav vorbeigeschrammt war und ich begann zu zittern.

„Sind Sie sich sicher?“, fragte auch Nana völlig fassungslos.

„Leider ja, Ma`am. “, versicherte einer der Beamten. „Wir bitten Sie daher noch einmal: Können Sie sich eine Person vorstellen, die Ihnen Schaden will? Mit der Sie vielleicht häufig streiten oder die womöglich sogar von Ihrem Tod profitieren könnte? Sie sind immerhin eine reiche Persönlichkeit, Miss Matthews.“

Häufiger Streit?

Profitiert von meinem Tod?

Das ist noch immer mein Bruder!

Wir haben uns ständig in den Haaren und wenn Vater versterben sollte, dann muss er sich das Erbe mit mir teilen…

Mein Blick wanderte zu Nana.

Ich sah in Ihren Augen, dass sie genau dasselbe dachte wie ich, aber sie hatte uns beide zusammen mit der Nanny großgezogen. Sie war für uns das, was einer Mutter am nächsten kam – ergo konnte sie sich nicht vorstellen, dass er zu so etwas fähig war.

Und auch ich musste gestehen, dass der Gedanke einfach lächerlich war…

Oder?

Konnte Marco mich so sehr hassen, dass er mit den Tod wünschte?

War er so kaltschnäuzig?

„Miss Matthews, haben Sie einen Namen für uns?“, fragte der Beamte weiter.

Nein, er konnte nicht so kalt sein. Er hatte mich immerhin vor Dean verteidigt…

Daher schüttelte ich den Kopf.

„Nein, Sir. Mir fällt keiner ein.“

Er sah mich prüfend an, gab sich aber mit einem Nicken mit dieser Antwort zufrieden, dann sah er zu Nana.

„Das ganze muss auf Ihrem Anwesen passiert sein. Zwischen Miss Matthews Heimkehr gestern und ihrem Aufbruch heute Morgen. Sicher haben Sie Kameras am Haus installiert?“

Doch das musste Nana leider verneinen. Wir hatten nur eine Kamera an der Einfahrt…

Ein Umstand, den unser Vater schon vor Jahren beheben wollte…

Nun war es dazu wohl zu spät… Meine Bremsleitungen waren zerschnitten.

Dienstag, 21. August 2018 – Nachmittag

Wie viel Glück im Unglück ich hatte war wohl daran erkennbar, dass die Ärzte im Krankenhaus mich tatsächlich direkt wieder gehen ließen. Ich brauchte keine Nacht zur Überwachung dort bleiben.

Das nannte man wohl Glück!

Außer einem Schleudertrauma und einem sogenannten Brillenhämatom vom Airbag hatte ich nichts abbekommen. Das Beste daran: Eine Woche durfte ich Zuhause bleiben!

Während Nana mich zurück zur Villa fuhr, unterhielten wir uns über die Möglichkeit, dass Marco der gewesen war, der meine Bremsen manipulierte.

Ich hörte mir lange an, was die Alte zu sagen hatte und jedes Wort schien einleuchtend.

Unser gemeinsames Fazit: Marco konnte es einfach nicht gewesen sein.

Wir waren keine Freunde und wir stritten uns, aber deswegen würde er mich doch nicht gleich töten wollen, oder?

Immerhin: Wir lebten seit über 17 Jahren zusammen unter diesem Dach. Wenn er mich töten wollen würde, dann hätte er es doch schon lange getan, oder?

Nur wer dann?

Diese Frage stellten wir uns beide, während sie mich – kaum Zuhause – schon ins Bad brachte. Sie half mir dabei mich zu waschen und ließ mich dann in meinem Ankleidezimmer alleine zurück, damit ich mir etwas Schönes zwischen meinen unendlich vielen Outfits aussuchen konnte.

Plötzlich fühlte ich mich deplatziert.

Wozu brauchte ein einzelner Mensch so viele Kleider, Hosen, Blusen, Tops, Tuniken…

Ich drückte einen Knopf und setzte ein Fließband in Gange, das mir jedes einzelne Paar Schuhe präsentierte.

Wie Dekadent…

Wozu brauchte ich das alles?

Wenn ich heute gestorben wäre, dann wäre das mein ganzen Leben gewesen: Luxus, Überfluss…

Ich dachte an meinen unbekannten Kuss im Dunkeln des Wohnheims.

Wenn er wüsste, was mir widerfahren war, würde er sich um mich sorgen?

So, wie er den Typen niedergeschlagen hatte, der glaubte er wolle mich nur gut ausleuchten?

Ein wohliges Kribbeln machte sich in mir breit.

Das war wohl das erste und einzige Mal, dass mich jemand so beschützt und verteidigt hatte…

Obwohl… Nahele hatte sich auch schon für mich mit Marco geprügelt. Das hatte ihr Coach natürlich direkt Bestraft. Er wollte ja, dass seine Mannschaft zusammenhielt.

Und Marco selbst hatte mich vor Dean beschützt.

Aber Letzteres war nicht anrechenbar!

Ich entschied mich endlich für ein schlichtes Paar Flip-Flops und ein hellblaues Sommerkleid. Ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen.

Respekt vor Nahele – Marco klammerte ich von nun an aus – aber ich war mir sicher, dass der Unbekannte losgerannt wäre, um den Schuldigen zu suchen, zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.

Oder zumindest wollte ich das glauben. Immerhin…

Er hatte Marco 100 Dollar gezahlt, nur um mich zu küssen…

Warum eigentlich die ganze Summe, die er für Sex verlangte, wenn er mich doch nur angezogen und geküsst hatte…

Seltsam…

Ich stieg in mein Kleid, schob die Träger über meine Schultern, als meine Zimmertür aufgerissen wurde.

Ich grinste leise. Nana und jeder Angestellte hätten geklopft, nur meine Freunde nicht. Die mussten ganz schön besorgt um mich sein!

Gleich durfte ich sie in die Arme schließen.

Ich schloss den Reißverschluss in meinem Rücken umständlich und stieg in meine Latschen.

„Sera…“

Überrascht sah ich auf.

Entweder war ich nach dem Unfall in einer Parallelwelt aufgewacht, oder Nahele war noch einige Zentimeter gewachsen, etwas breiter geworden und hieß jetzt Marco…

Abgekämpft sah er mich schnaufend an.

Komisch, er hatte doch gar kein Training heute gehabt. Aber Sport…

Vollkommen egal. Sein Anblick versetzte mir schon wieder schlechte Laune.

„Was willst du?“, grummelte ich ihn an und schloss sämtliche Schranktüren in dem Zimmer.

„Seeeraaa“, brüllte eine Stimme von unten langezogen und ich musste grinsen. Da waren sie ja. Meine Freunde. Und Elli schrie schon gut gelaunt die komplette Villa zusammen.

Auch Marco sah über die Schulter. Sein Blick erhärtete sich wieder und er musterte mich einmal von unten bis oben. An meiner Halskrause und an den Blutergüssen im Gesicht blieb er etwas länger hängen.

„Ich wollte nur nachsehen, wie es dir geht.“, verkündete er gleichgültig und wandte sich wieder ab, um mein Zimmer ohne ein weiteres Wort zu verlassen.

Er verhielt sich seltsam.

Wobei, wenn ich genauer darüber nachdachte: Vielleicht war er doch derjenige gewesen, der mein Auto manipulierte?

Dann wollte er wohl nur nachsehen, ob es stimmte, dass ich überlebt hatte. Und womöglich – wie dicht er dran gewesen war.

Ich stapfte missmutig hinter ihm her – notgedrungen, denn auch er wollte die Treppe hinunter, so wie ich.

Im Eingangsbereich warf er einen hasserfüllten Blick auf Nahele, der umgeben von Elli und Grace vor der Tür stand. Sie drückten einer Angestellten ihre Sachen in die Hand…

Aber da war noch jemand in der Gruppe, wie ich soeben feststellte.

Versteckt hinter Nahele reichte auch Lavinia ihre Tasche an die Frau weiter.

Na klasse…

Nein, ich hatte nichts dagegen, dass sie hier war, aber was erwarteten sie? Dass ich mich knapp 10 Stunden nach einem Autounfall, der genauso gut tödlich hätte verlaufen können, bei Lavinia entschuldige für mein bisheriges Verhalten?

Konnten sie denn nicht so viel Feingefühl haben um zu merken, dass ich dazu gerade gar keine Kraft hatte?

„Sera!“, freute sich Elli bereits und Grace musterte mich.

„Diese Halskrause steht dir nicht.“, verkündete sie grinsend und ich musste lachen.

„Tja, geht halt nicht anders. Ich muss sie tragen.“

„Ja, aber diese Hämatome im Gesicht passen dafür einwandfrei zu dem eisblau deiner Augen.“, flirtete Nahele direkt los, wofür ich ihm gegen die Schulter boxte.

Lachend fing er mich ein, sodass er mich bald von hinten in den Armen hielt.

Nun sah ich zu Lavinia. Schüchtern wie immer versuchte sie mich anzulächeln und trat mit leicht geducktem Kopf auf mich zu.

Ich stieß die Luft aus.

Irgendwas sollte ich wohl sagen.

Ein „Willkommen“ vielleicht? Oder ein „Verzeih mir bitte, wie arschig ich mich dir gegenüber verhalten habe.“…

Doch da zog sie plötzlich die Hände hinter dem Rücken hervor.

Beim Anblick des großen Kartons von Dunkin Donuts bekam ich riesige Augen.

Hatte sie mir etwa…

Sie hielt mir die Pappe nur hin und wollte wohl, dass ich annahm, aber ich konnte nicht. Sabbernd starrte ich alleine das Logo des Unternehmens an.

Schließlich also griff sie fahrig nach der Lasche und öffnete die Packung.

Sie hatte wirklich…!

Sechs dicke, fette, super leckere Schokodonuts lächelten mir entgegen.

„Lavinia“, murmelte ich und sie sah mich schockiert an, als würde ich sie gerade anschreien. „Ich glaube ich liebe dich.“

Ihre Augen wurden groß, während die anderen anfingen zu lachen.

Ich wand mich aus der Umarmung von Nahele und stürzte auf sie zu.

Sie quickte entsetzt, aber lachend, als ich ihr einen dicken Kuss auf die Wange drückte.

„Freunde?“, fragte sie mich vorsichtig.

„Freunde? Auf keinen Fall!“, sie sah mich entsetzt an, als ich ihr die Schachtel wegnahm. „Geliebte!“, verkündete ich und die anderen brachen in Gelächter aus. Lavinia war wohl von so viel Herzlichkeit Maßlos überfordert.

„Na los, hierzu brauche ich Milch.“, entschied ich und hielt die Box wie einen Pokal in die Luft.

Im Gänsemarsch folgten sie mir in die Küche.

„Es tut gut zu sehen, dass es dir so gut geht.“, erklärte Elli und schob sich auf einen der Barhocker, während ich Gläser aus einem Schrank holte und die Milchflasche aus dem Kühlschrank.

„Was ist überhaupt passiert?“, fragte Grace weiter.

„Vini und ich sind heute Morgen an dem Unfall vorbeigefahren – wussten aber nicht, dass dein Auto verwickelt war.“, gestand Nahele. „Wir haben von der Straße aus nicht viel gesehen, nur die Wagen vom Notarzt, Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei…“

Ich nickte und goss jedem etwas ein, dann schob ich die Donuts über die Theke. Natürlich würde ich mit meinen Freunden teilen!

„Ich bin mit dem Wagen durch die Leitplanke gekracht und auf den Strand gefahren.“, erklärte ich.

„Wolltest du baden gehen? Das hättest du auch heute im Sportunterricht haben können.“, erklärte Elli und ich kicherte.

„Ja, fast… Irgendjemand hat wohl meine Bremsleitung durchgeschnitten.“

Vor Entsetzen fiel Grace beinahe ein Stück Donut aus dem Mund. Elli und Lavinia verschluckten sichtlich schwer und husteten los.

„Das ist nicht dein Ernst!“, wollte Nahele von mir bestätigt haben, aber ich schüttelte den Kopf.

„Leider schon. Die Polizei will von mir wissen, ob ich mit jemandem Streit habe. Oder ob jemand von meinem Tod profitieren könnte…“

„Na jetzt wundere ich mich aber wer DAS sein könnte.“, knurrte Nahele und sah in die Runde. „Wenn ich diesen Scheißkerl in die Pfoten bekomme, dann prügle ich ihn windelweich!“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Marco das war.“, verteidigte ihn Lavinia direkt und kassierte einen wenig begeisterten Blick von ihrem Cousin.

„Ich will mir das ehrlich gesagt auch nicht vorstellen.“, erklärte ich und nickte der Pinken zu. „Ja, er ist der Erste und Einzige, an den ich bei dieser Frage direkt dachte, aber so unüberlegt würde doch selbst er niemals handeln. Ich meine, ich hätte bei diesem Unfall sterben können!“

Ich setzte mich auf den fünften, noch freien Hocker und zog die Schachtel Donuts zu mir.

„Aber?“, fragte Grace, die wohl einen gewissen Zweifel in meinem Gesicht gefunden hatte.

„Aber ich muss gestehen, dass ich es schon etwas komisch finde, dass er gerade in mein Zimmer gestürmt kam, um zu schauen, ob ich noch da bin. Als wäre er darüber entsetzt, dass ich noch immer nicht das zeitliche gesegnet hätte.“

„Arschloch…“, murmelte Nahele und leerte sein Glas in einem Zug, direkt nachdem er sich die Reste seines Donuts in den Mund gestopft hatte.

„Die letzten Tage haben echt jedes Maß gesprengt.“, erklärte ich. „Das stellt echt alles in den Schatten, was bisher bei uns gelaufen ist.“

Lavinia knabberte missmutig an ihrem Gebäck.

Ich hatte Mitleid mit ihr.

Wir sprachen hier alle so schlecht von ihm, aber sie war doch offenkundig in ihn verliebt. Die letzten Tage bewiesen es doch…

Trotzdem, vielleicht sollte ich ihr sagen, dass sie lieber die Finger von ihm halten sollte? Ich wusste wie er war – und das nicht nur, weil er es mir gesagt hatte. Sie war doch viel zu unschuldig für seine Fänge…

„Vielleicht solltet ihr beide euch mal aussprechen?“, schlug Elli vor.

„Ach, das bringt doch nichts.“, ich winkte ab. „Alles was ich dann zu hören bekomme, ist wie sehr er mich hasst und dass er wünscht ich wäre nie geboren worden und meine Mutter und seine Mutter blablabla“, seufzte ich. „Nein, ich will einfach nur, dass er mich ein für alle Mal in Ruhe lässt. Keine Kriege, keine Zickereien, ich will einfach nur meine Ruhe vor ihm haben.“

„Verständlich…“, murmelte Nahele.

„Und wie willst du das anstellen? Wie willst du ihn von dir ablenken?“, fragte Grace.

„Keine Ahnung.“, ich seufzte.

„Verkuppeln?“, fragte Lavinia aus heiterem Himmel und wir sahen sie alle verständnislos an. „Oder nicht?“, unsicher zog sie den Kopf wieder ein. „Ich dachte nur, wenn er eine Freundin hat, dann wird er dich doch sicher in Ruhe lassen, oder? Dann ist er sicher zu beschäftigt.“

„Vielleicht…“, gestand ich nachdenklich.

„Und an wen denkt ihr dabei?“, fragte Nahele mit einem alarmierten Unterton und spannte die Schultern an. Er sah zu seiner Cousine.

„Weiß nicht… Kathrin?“, fragte ich verwirrt. Wer konnte es schon eine längere Zeit mit ihm aushalten?

„Ich weiß nicht genau. Die beiden kommen miteinander aus, aber unser Streberchen hält nichts von Sportlern.“, überlegte Grace. „Außerdem: Diese Zicke würde ich nicht einmal ihm an die Backe wünschen.“

„Stimmt…“, Elli seufzte. „Außerdem sollten wir jemanden aussuchen, der so charakterstark ist, dass sie ihn bremsen würde, wenn er dich wieder angreift. Wenn wir ihn einfach mit irgendeiner verkuppeln, dann könnte die sich seinem Geschimpfe anschließen um ihm zu gefallen. Stichwort Gruppenzwang.“

„Auch wieder war…“, überlegte Grace. „Dann bleibt ja eigentlich nur eine von uns übrig, oder? Wir sind deine Freunde.“

Nahele warf einen Seitenblick auf uns. Diese ganzen Pläne gefielen im Augenscheinlich gar nicht.

„Also mein Typ wäre er schon, rein vom Äußerlichen her, aber nein Danke.“, erklärte Elli und Grace versteckte ein wohlwissendes Grinsen.

Hatte ich was verpasst?

Ich sah zwischen den beiden hin und her und wollte gerade etwas in diese Richtung fragen, als Grace schon erklärte: „Mein Fall ist er rein gar nicht, Sorry.“

„Was ist mit mir? Ich könnte das doch machen.“

Wir alle sahen zu Lavinia.

„Nein! Auf keinen Fall! Nur über meine Leiche!“, entschied Nahele hart und wandte sich uns nun mit dem vollen Körper zu.

„Warum nicht? Ich komme gut mit ihm aus, wir verstehen uns blendend…“, zählte Lavinia auf und grinste dann verlegen: „Mir müsste nur jemand beibringen, wie man eigentlich flirtet.“

Eine Weile sahen wir sie schweigend an.

„Naja… wo sie recht hat?“, Elli sah uns andere Mädels an.

„Hey, ich habe „nein“ gesagt!“, pampte Nahele von der Seite.

„Wie erklärt man „flirten“…“, überlegte ich und legte den Kopf in eine Hand, stellte den Ellenbogen auf den Tresen.

Ratlos sahen wir einander an, aber schließlich konnten Grace und ich Lavinia mit Hand und Fuß begreiflich machen, dass sie einfach nur immer lächeln sollte, Blickkontakt halten, Augenaufschlag…

Jetzt mal ehrlich: Wie erklärt man flirten?

Wie flirtet man richtig?

Ich mache sowas instinktiv…

Sehr zu Naheles Leidwesen wurde er einfach weiterhin von uns ignoriert – außer von Elli, die ihn irgendwann darauf hinwies, dass es Lavinias Entscheidung sei und wenn sie Marco nun einmal mochte, dann hatte sie auch eine Chance verdient. Verzweifelt musste er also dabei zuhören, wie Grace und Elli Vini versprachen ihr in den kommenden Tagen in der Schule unter die Arme zu greifen, damit sie schon bald das Einzige war, das meinem Bruder im Hirn herumspukte.

Montag, 27. August 2018 – Nachmittag

Nachdem ich eine Woche lang zuhause gegammelt hatte, war ich an diesem Tag wieder zur Schule gegangen.

Die Blutergüsse in meinem Gesicht verblassten langsam, aber die Halskrause würde ich wohl noch eine Weile tragen dürfen.

Ganz ehrlich: So schön war das nicht. Ich brauchte zwar keinen Sportunterricht mitmachen, aber dafür durfte ich mir von Marcos Freunden auf dem Schulflur Sprüche über zu wilden und vor allem harten Sex anhören.

Dieser Kindergarten war doch nicht mehr lustig!

Ich versuchte es einfach zu ignorieren – die Kerle wussten sicherlich ganz genau, dass ich einen Autounfall gehabt habe – und begleitete mehr abwesend als alles andere meine Freunde.

Die gesamte vergangene Woche hatte ich mir ausgemalt, wie mein Unbekannter mir beistehen würde, wenn er von meinem Unfall erfuhr.

Das ganze ging so weit, dass ich sogar gehofft hatte, dass er mich– wenn ich wieder da war – ansprechen würde. Ich wollte, dass er mich fragte, wie es mir ging und vielleicht durfte ich dann ja etwas Glück erfahren…

Ein erneuter Kuss…

Aber nein, die komplette Footballmannschaft – außer Nahele – beteiligte sich an den Sprüchen über mich. Nicht jeder sagte etwas dazu, aber sie alle lachten, wenn wieder eine Bemerkung fiel.

Ich würde ihn wohl nie finden.

Und selbst wenn: Nachdem er so über mich lachte hätte ich ihn wohl ins Meer geworfen.

Oder war er vielleicht doch kein Footballer gewesen?

„...Alles in allem macht sie sich echt gut. Das scheint wirklich was zu werden mit ihnen!“, sagte Elli gerade neben mir, doch ich starrte nur gerade aus auf das Spielfeld, wo die Mannschaft unter Coach Graham trainierte.

„Sera?“

Verwirrt sah ich auf und blickte in die dunklen Augen meiner Freundin. Erst da erkannte ich, dass sie die ganze Zeit mit mir geredet hatte.

„Alles gut?“, fragte Elli und sah hilfesuchend zu Lavinia, die auf meiner anderen Seite auf den Rängen saß. Auch das blaugrau ihrer Augen wanderte verwirrt zwischen uns hin und her.

„Hast du gar nicht zugehört?“, wollte sie wissen.

„Entschuldigt“, ich seufzte. „Worum ging es?“

„Um Lavinia und Marco.“, klärte Elli mich auf.

„Ach ja, genau, euer Date am Wochenende. Wie lief es?“, ich sah neugierig zu der Pinken, doch die winkte ab.

„Ganz gut.“

„Nur „ganz gut“? Das klingt ja nicht so begeistert.“

„Ach, das liegt nicht an Marco – er ist toll – das liegt an Nahele. Er ist so komisch mir gegenüber, seit wir letzte Woche beschlossen haben, dass ich versuche mit deinem Bruder zusammen zu kommen. Er ist irgendwie… abweisend und ignoriert mich ständig.“

Ich zog irritiert die Nase kraus.

Hatte ich den ganzen Schultag verschlafen? Warum war mir das nicht aufgefallen?

Wir drei sahen auf das Feld und beobachteten die Spieler.

„Wie läuft es denn bei dir mit Marco?“, fragte Lavinia dann. „Lässt er dich in Ruhe?“

Ich nickte.

„Ja, auf jeden Fall. Das ist wirklich angenehm. Nur seine Kumpel nerven mich barbarisch.“

„Das war nicht zu übersehen heute.“, meinte Elli lachend.

Nun sah ich mich um.

„Sagt mal, wo ist eigentlich Grace?“

„Hä? Na bei der Nachhilfe mit Mr Byrd.“

Ich runzelte die Stirn.

Stimmt, jetzt wo sie es sagte: Grace hatte häufig Nachhilfe, aber sollten wir die nicht beide bekommen? Warum klammerte unser Lehrer mich nun aus?

Na ja, sollte mir egal sein. Musste wenigstens nicht ich meinen Nachmittag mit Mathe verplempern.

Arme Grace!

Ich beobachtete, wie der Coach sein Handy in die Hose stopfte und im nächsten Moment brüllend auf die Offensive Line zu stapfte. Stamm und Ersatzspieler hockten einander gegenüber und kamen nun langsam wieder in die Senkrechte.

Laut Nahele sollte einer von ihnen der sein, der mich im Wohnheim küsste.

Nur wer?

„Was macht ihr heute noch?“, fragte Elli dann uns beide und tippte auf ihr Telefon ein.

„Ich muss nach dem Training direkt mit Nahele heim.“, erklärte Lavinia. „Wir werden heute zum Abendessen erwartet.“

Elli machte kein begeistertes Geräusch und sah mich an.

„Was ist mit dir?“

Ich zuckte nur die Schultern.

„Habe nichts vor. Aber mein Chauffeur sollte gleich da sein. Willst du mitkommen?“

„Ja, besser als im Wohnheim zu versauern.“, erklärte sie und schrieb eine weitere Nachricht, packte dann ihr Telefon wieder weg.

„Mit wem schreibst du? Grace? Wo ist sie denn?“

„Immer noch in der Nachhilfe. Dauert wohl länger.“, erklärte sie Schultern zuckend und sah missmutig auf das Spielfeld.

Als ich ihrem Blick folgte wandte sich der Coach gerade von seinen Jungs ab, um wieder an den Rand zu treten. Kurz warf er einen Blick die Tribüne hinauf.

In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass Elli mich vor einigen Tagen um Geld gebeten hatte, um eine Strafgebühr zu bezahlen. Danach hatte sie doch der Coach auf den Gang gebeten, oder nicht?

Und er hatte das Amtsschreiben an sich genommen.

Ich warf wieder einen Blick zu der Brünetten, die gerade irgendeine Footballfrage von Lavinia versuchte zu klären.

Mein Telefon klingelte und ich sah auf das Display. Mein Chauffeur.

„Ja?“, fragte ich, als ich angenommen hatte. Sofort schwiegen meine Freundinnen.

Das muss das erste Mal sein, dass ich Lavinia als solche bezeichnet habe…

„Miss Matthews, hier spricht George. Ich stehe auf dem Schulparkplatz für Sie bereit.“

„Perfekt. Ich danke dir. Bin gleich da.“, versprach ich und legte wieder auf.

„Der Chauffeur ist da.“, erklärte ich den Mädels und sie nickten verstehend. „Kommst du alleine klar, Vini? Dann würden wir jetzt fahren.“

„Ja, ja, gar kein Problem.“, sagte sie grinsend, aber es war so missglückt, dass mich das blöde Gefühl beschlich, dass es ihr doch etwas ausmachte hier alleine zu sitzen.

„Sicher?“, fragte ich daher. „Wir können dich auch mitnehmen und setzen dich unterwegs ab.“

„Nein, geht schon. Ich fahre mit Nahele mit.“

In dem Moment ging die Pfeife des Coachs und das Training war beendet.

„Guckt, das Training ist schon fertig, jetzt geht es bestimmt schnell. Ich komme noch ein Stück mit bis zur Halle.“

Wir nahmen unsere Taschen und stiegen von der Tribüne. Nachdem wir Vini an der Halle abgeliefert hatten, die sich gerade mit Spielern und Cheerleadern zu füllen begann, fuhren wir beide in der Limousine meines Vaters in die Villa.

„Sag mal, Elli… wissen die anderen eigentlich von dieser Strafgebühr, die du zahlen musstest?“

Sie sah mich überrascht an.

„Ehm… Grace, ja. Sie war dabei, als ich die Anzeige gemacht habe. Aber Lavinia und Nahele habe ich nicht davon erzählt.“

„Aha. Und hast du das Geld zusammen bekommen?“

„Ehm…“, sie druckste etwas herum, nickte dann aber. „Ja, alles bezahlt.“

Ich nickte und musterte sie eine Weile.

„Und kannst du mir nun auch endlich erzählen, wen du angezeigt hast? Und warum?“

„Ach“, sie winkte ab. „Unwichtig. Ist alles wieder geklärt. Anscheinend hab ich einfach nur überreagiert.“

Stirnrunzelnd sah ich sie an.

„Und wegen Überreaktion zeigst du jemanden an?“

„Scheint wohl so.“, sie grinste breit.

„Hat der Coach was damit zu tun?“

„Was? Nein! Wie kommst du darauf?“, erst dachte ich, dass sie mir nur ausweicht, doch dann sah sie ehrlich verwirrt drein.

„Hm… dann habe ich mir das wohl nur eingebildet. Ich habe euch beide reden sehen, als er dich aus dem Unterricht holte.“

„Ach so, nein, mit ihm hatte das alles nichts zu tun.“, versprach sie. „Er war nur besorgt, weil ich geschwänzt habe und wollte wissen, was das für eine Gebühr war.“

Ich nickte.

Aber wirklich zufrieden war ich mit dieser Aussage doch noch nicht.

Irgendwas störte mich an dieser Geschichte…

Wir fuhren die Auffahrt zur Villa hinauf und parkten neben einem mir unbekannten Auto.

„Haben wir Besuch?“, fragte ich George.

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Miss. Als ich losgefahren bin stand der Wagen noch nicht hier.“

Ich nickte und ging mit Elli auf die Eingangstür zu, als diese bereits von einer Angestellten geöffnet wurde.

„Miss Matthews, willkommen zuhause. Guten Tag, Miss Brooks.“

Elli und ich begrüßten sie kurz und gaben ihr unsere Taschen, da wies sie bereits auf den Salon.

„Sie werden im Salon erwartet.“, erklärte sie mir. „Miss Brooks, darf ich Ihnen in der Zeit ein Eis in der Küche anbieten?“

Verwundert tauschten wir einen Blick, doch dann nickte Elli – „Klar, wieso nicht?!“ – und folgte der jungen Frau.

Ich trat in der Zwischenzeit durch die offene Salontür.

Nana saß in einem Sessel, ihr gegenüber auf der Couch die Detectives die meinen Fall bearbeiteten.

Ganz Gentleman erhoben sich die Herren und auch Nana folgte.

„Guten Tag, Miss Matthews“, begrüßten sie mich.

„Serena, Liebes, du erinnerst dich sicher noch an die beiden Herren von der Polizei, nicht wahr?“

Ich nickte nur.

„Gibt es was Neues? Haben Sie den Täter gefunden?“

„Noch nicht, aber wir haben eine neue Spur.“, verkündete der Jüngere der Beiden und beobachtete mich, wie ich zu Nana ging. „Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr Verhältnis zu ihrem Bruder nicht gerade das Beste ist. Im Gegenteil. Sie scheinen regelrecht verfeindet zu sein.“

„Ja und? Wir sind Geschwister! Wir streiten uns.“, versuchte ich mich raus zureden. Es gefiel mir nicht im Geringsten, in welche Richtung dieses Gespräch zu gehen schien.

„Geschwister streiten sich, doch das scheint bei Ihnen beiden mehr zu sein, nicht wahr? Uns kam zu Ohren, dass er sie regelrecht drangsaliert und offen zugegeben hat, dass er wünschte, Sie seien Tod. Ist das korrekt?“

Ich schwieg. Was hätte ich hier auch dementieren sollen? Es stimmte ja alles, was sie sagten…

„Warum haben Sie uns nicht von Anfang an auf Ihren Bruder aufmerksam gemacht?“, fragte der zweite Polizist ohne jede Wertung.

„Ich…“, begann ich mit einem langgezogenen i, doch Nana kam mir zur Hilfe: „Das ist doch lächerlich.“, erklärte sie – was sie scheinbar nicht zum ersten Mal sagte an diesem Tag. „Natürlich streiten die beiden sich und ja, gelegentlich fallen unschöne Dinge dabei, aber keiner von beiden würde dem Anderen etwas so Grauenhaftes antun.“

Würden wir nicht?

Ich schwieg.

Verkauft hatte er mich bereits. Wie weit war der Sprung von dort bis hin zum manipulieren des Autos, damit ich einen hoffentlich tödlichen Unfall hatte?

„Miss Matthews?“, sprach mich einer der Polizisten an und ich bemerkte, dass ich auf den Tisch gestarrt hatte.

„Möchten Sie hierzu noch etwas sagen?“

Ich blinzelte ein paar Mal, da hörte ich eine Stimme im Eingangsbereich: „Mr Matthews, willkommen Zuhause. Man erwartet sie bereits.“

Die Polizisten ließen endlich von mir ab und erhoben sich geradezu machtvoll von ihren Plätzen.

Marco betrat den Salon und sah verwirrt in die Runde.

„Guten Tag, Mr Matthews.“

Doch er antwortete nicht, sondern nickte den Männern nur zu. Noch immer schwebte ein riesiges Fragezeichen über seinem Kopf.

„Serena, warte doch bitte draußen auf uns.“, bat Nana und ich nickte.

„Ich bin in der Küche bei Elli.“

Die Haushälterin nickte und ich erhob mich.

Mein Bruder und ich tauschten eindringliche Blicke, als ich mich an ihm vorbei drückte und ich ahnte, dass er mir über seine Schulter hinweg nachsah.

„Setzen Sie sich, Mr Matthews.“
 

„Und überhaupt, wer sonst sollte das getan haben?“, donnerte ich Elli entgegen und drückte ihr eine Tasse so ungelenk in die Hand, dass sie sie beinahe hätte fallen lassen.

„Also meinst du jetzt doch, dass er es war? Nur weil die Polizei ihn befragt?“, überlegte sie und stellte das Geschirr in den Schrank. „Ich meine: Es ist doch kein richtiges Verhör, sonst hätten sie ihn sicher mit Nana auf die Wache zitiert.“

Ich riss zwei Teller aus dem Geschirrspüler und warf sie ihr fast in die Arme.

„Aber wer, Elli, wer soll das sonst gemacht haben? Einer der Angestellten vielleicht?“

„Ich kann Ihnen versichern, Miss, von uns war das keiner.“, mischte sich plötzlich Clara – eines unserer Zimmermädchen – von der Seite ein.

Sie hatte bemerkt, dass ich begonnen hatte in der Küche zu arbeiten – und wenn es nur den Geschirrspüler ausräumen war – und war mir natürlich sofort zur Hilfe gekommen. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ich gehen würde, aber mit irgendwas musste ich mich doch ablenken.

„Das glaube ich auch nicht.“, beteuerte ich ihr.

„Aber Marco… Ich traue ihm vieles zu, aber das sicherlich nicht.“, erkannte Elli.

Ich seufzte und nahm Clara eine Schale aus der Hand und eine Glasplatte.

„Nein, ich auch nicht.“, meinte ich dann seufzend. „Aber es war doch kein anderer da, der mir so viel Hass entgegen bringt. Eigentlich gibt es sogar niemanden, der mich so sehr hassen könnte, nur ihn…“

„Sicher?“

Ich sah sie vermutlich eine Spur zu abfällig an: „Wieso, hasst du mich etwa?“

Sie warf mir ein Geschirrtuch ins Gesicht und ich musste kichern.

„Nein, natürlich nicht. Aber gibt es nicht noch irgendjemanden?“

Ich schüttelte nur den Kopf und wartete, dass Clara sich wieder vom Geschirrspüler entfernte.

„Es kann nur mein Bruder gewesen sein. Vielleicht wollte er mich auch nicht töten, nur erschrecken, aber trotzdem…“, ich bückte mich und zog drei gleichgroße Teller hervor. Der eine entglitt mir und zerschellte auf dem Boden.

„Verdammte Scheiße! So ein Mistdreck!“, begann ich zu fluchen und knallte die Teller auf die Arbeitsfläche, sodass auch der untere in zwei Teile zerbrach.

„VERFLUCHT NOCH EINS!“, schrie ich und trat gegen einen Schrank. „DAS KANN DOCH ALLES NICHT MEHR WAHR SEIN!“

Elli kam sofort zu mir und hielt mich zurück, ehe ich das Holz noch in kleine Stücke hackte.

„Ich hole Besen und Müllschippe.“, verkündete Clara und eilte los.

„Komm mal wieder runter. Es wird schon alles gut sein. Marco war das nicht und den richtigen Übeltäter finden sie bald. Du wirst sehen.“

„Alles gut bei euch? Was ist passiert?“, fragte eine tiefe Stimme von der Tür aus.

Überrascht sahen wir uns um.

Marco kam langsam näher und um den Tresen herum.

Ich rollte mit den Augen und hockte mich hin, um die Scherben einzusammeln.

Elli seufzte schwer und sagte dann in ihrer unendlich liebevollen Stimme: „Alles gut. Sorry, wenn wir dich gestört haben. Sera hat nur was fallen lassen.“

„Ihr stört nicht, keine Sorge…“, er beobachtete mich mit krauser Stirn. „Sera, was machst du da?“

„Scherben aufsammeln, sieht man doch.“

Er seufzte ungeduldig und trat an Elli vorbei. Verblüfft beobachtete sie ihn dabei, wie er mir beide Hände an die Oberarme legte und mich einfach hoch zog. Und ich war nicht weniger überrascht von dieser Geste.

„Lass das Clara machen. Die ist dafür da. Du bist kein Dienstmädchen.“, ermahnte er mich streng und zog mich weg von den Scherben, als die Gemeinte wieder herein kam und bereits alles auffegte.

Ich warf einen fassungslosen Blick zu Elli, die diesen erwiderte. Sie hatte genauso wenig eine Antwort auf das seltsame Verhalten meines Bruders wie ich.

Wie in Trance bemerkte ich, dass er mich einfach zu sich herum drehte. Noch immer lagen seine schweren Hände fest um meine Oberarme und er sah mich prüfend, beinahe bittend an.

„Sei mal einmal ehrlich zu mir!“ – Arschloch! Wer von uns beiden war denn hier nie ehrlich? – „Glaubst du wirklich, dass ich dir das angetan haben?“

Er nickte zu meiner Halskrause.

„Bitte was?“, ich verstand im ersten Moment nicht. Ich war noch immer zu eingeschüchtert von dieser Situation.

„Ob du wirklich der Meinung bist, dass ich deinen Wagen manipuliert habe, damit du stirbst, will ich wissen. Oder warum erzählst du sowas der Polizei?“

„Ich?“, fragte ich und stieß seine Arme von mir. Er drückte den Rücken durch und reckte das Kinn. Arrogant wie immer sah er auf mich hinab, doch er sagte nichts. Er wartete ab.

„Ich habe gar nichts gesagt! Ich weiß nicht, wie die Polizei auf dich gekommen ist.“, erklärte ich ihm. „Aber ja, ich denke, dass du dazu wirklich in der Lage wärst. Wer sagt mir denn ständig, dass er wünschte ich sei tot?“

Er stieß die Luft aus.

„Ich habe es aber nicht getan!“, beteuerte er und es klang zu meiner großen Überraschung gar nicht aggressiv. „Ich habe deine Bremsleitung nicht durchgeschnitten. Ich weiß nicht wer das war, aber ich war es nicht. Das musst du mir glauben!“

Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und funkelte ihn einen Moment an.

Ich musste gar nichts!

Oder doch?

Samstag, 1. September 2018

Hi Leute, mir fällt die Bude auf den Kopf! Ich muss hier raus! Wer kommt mit?
 

Bei dieser Nachricht von Nahele in unserem Gruppenchat musste ich seufzen.

Ich rieb mir den Nacken – seit einigen Stunden war ich endlich diese furchtbare Halskrause los, die mir nichts brachte außer kontinuierlichem Schwitzen.

Erneut vibrierte mein Telefon, als ich noch überlegte, ob ich mich ihm anschließen würde oder nicht.
 

Sorry, ich bin heute den ganzen Tag mit Marco unterwegs. :(
 

Das kam von Lavinia.

Das erklärte zumindest warum es so ruhig im Haus war. Es war eigentlich viel zu lange her, dass Marco mit seinen Jungs eine Party geschmissen hat. Ich befürchtete schon, dass es dieses Wochenende wieder soweit war…

Zwei Signale kurz hintereinander und schon waren zwei weitere Nachrichten in unserem Chat – erst Elli, dann Grace:
 

Bin auch verabredet, heute also leider ohne mich. :(
 

Ich ebenso ;)
 

Na toll, was war denn hier los? Jahre lang hockten wir vier kontinuierlich zusammen und nun, wo wir auf einmal zu fünft waren, schrumpfte der harte Kern auf mich und Nahele zusammen?

Seit wann hatten Grace und Elli Dates?

Ich musste an Graces Grinsen denken, als Elli in der Küche Marco ablehnte, während wir uns darüber unterhielten, mit wem wir ihn verkuppeln sollten.

Die wusste doch wieder mehr als ich! Das war so gemein!
 

Bleiben also nur noch du und ich, Prinzessin. Bock was zu unternehmen? ;)
 

Ich sah mich unmotiviert in meinem Zimmer um.

Es war nicht so, dass ich keine Lust hatte Zeit mit meinem Freund zu verbringen, aber irgendwie hatte ich keinen Antrieb dazu…
 

Hallo, Erde an Sera, ich sehe genau, dass du online bist! Du kannst dich nicht vor mir verstecken! WhatsApp sieht alles! Muahahaha
 

Ich musste schmunzeln.
 

Ja, sorry, war gerade abgelenkt.
 

Log ich.
 

Was wollen wir machen? :D
 

Kaum, dass ich diese letzte Nachricht abgeschickt hatte, meldete sich ein privater Chat. Erst war ich verwundert, wer denn etwas von mir wollen könnte, doch es war nur Nahele, der wohl entschieden hatte aus unseren Wochenendplänen ein Geheimnis zu machen, um die anderen so zur Strafe zu foltern.
 

Ich dachte an Zelten. ;)
 

Och nö, muss das sein? Ich liebe mein weiches Bettchen… :S
 

Ach, quatsch, wir waren doch schon so oft Zelten! Notfalls nimmst du mich als weiches Kopfkissen ;) Ich muss hier einfach raus! Sag bitte, dass du mitkommst! *__*
 

Ich stieß die Luft aus und tippte schließlich:
 

Na gut, überredet.
 

YES! XD
 

Ich musste lachen. Komisch, dass ausgerechnet Nahele von Zuhause fliehen wollte. Eigentlich hing er doch so sehr an seinen Eltern, dass es fast peinlich war, was er alles mit ihnen unternahm. Und das in seinem Alter!

Ich schrieb dennoch:
 

Wo treffen wir uns? Nimmst du dein Zelt mit oder soll ich?
 

Ich holte meinen alten Wanderrucksack aus dem Schrank und zog mich schnell um. Dann warf ich ein paar Wechselklamotten unordentlich in die Tasche. Mein Portmonee folgte zusammen mit ein wenig Knabberzeug. Zum Schluss band ich noch meinen Schlafsack fest.

Dann sah ich erneut auf mein Handy.
 

Ich hole dich in einer halben Stunde ab. Zelt hab ich dabei
 

Ich sah auf die Uhr.

Na klasse. Diese Nachricht hatte er mir vor zwanzig Minuten geschickt und er war konsequent überpünktlich!
 

Falls du schon da bist: Sorry, eben erst gelesen. Bin gleich draußen. Ich sage nur noch Nana Bescheid und suche meinen externen Akku für das Handy.
 

Brauchst keinen Akku, hab meinen dabei. Warte vor dem Tor.
 

Die Antwort kam nur innerhalb weniger Sekunden, als habe er die ganze Zeit auf sein Telefon gestarrt und gewartet.

Zuzutrauen war es ihm zumindest.

Ich musste lachen und warf mir den Rucksack über die Schulter.

Auf dem Weg hinaus begegnete ich Marco auf dem Flur, der wohl gerade zu seinem Date mit Lavinia aufbrechen wollte.

Sein Aftershave wehte mir bereits aus dieser Distanz entgegen.

Ich huschte einfach an ihm vorbei und sprang die Treppe runter.

„Hey“, rief er mir nach. „Wo willst du hin?“

„Weg“, antwortete ich schlicht und ließ ihn stehen. Im Arbeitszimmer fand ich Nana, die gerade die Rechnungen der Woche durchging.

Sie wünschte mir, wie immer, nur viel Vergnügen und bat, dass ich mich regelmäßig meldete…

Als ich dann endlich vor dem Tor ankam, scharrte Nahele schon mit den Hufen. Er war furchtbar ungeduldig.

„Na geht doch! Was hielt dich auf? Passte dein Nagellack nicht zur Farbe deiner Schuhe?“

„Sehr komisch! Bei mir passt immer alles zusammen!“, erklärte ich scherzhaft und schlug ihm auf den Arm.

Der schwarze Aston Martin meines Bruders fuhr im Schritttempo an uns vorbei. Er beäugte uns misstrauisch, bog dann aber in Richtung Stadt ab und brauste davon.

Wir sahen uns grinsend an und schlugen die andere Richtung ein – ein Stück an der Hauptstraße entlang, dann einen Wanderpfad den Vulkan hinauf.

„Irgendwie komisch, findest du nicht?“, fragte ich ihn nach einer Weile.

„Was meinst du?“, Nahele lief hinter mir her und hielt im Gebüsch links und rechts von uns Ausschau, ob er wohl etwas fand, das er als Wanderstock verwenden könnte.

„Wir haben lange nichts alleine miteinander unternommen.“

„Hm“, machte er nachdenklich und schloss auf. „Stimmt. Aber wer ahnt denn, dass wir die beiden einzigen Idioten sind, die zu Blöd für ein Date sind?“

„Also von mir wusste ich das schon immer, aber von dir?“, ich sah ihn nachdenklich an. „Die Hälfte aller Mädchen schmachtet dem Footballteam hinterher und die andere Hälfte stellt sich abgebrüht und hat heimlich zuhause kleine Schreine für euch errichtet. Außerdem: Was ist aus deinen Dates in den Ferien geworden?“

„Frag nicht.“, er winkte ab. „Ein paar ganz Gute waren dabei, aber nichts wirklich Handfestes.“

„Handfest, das nenne ich eine interessante Umschreibung.“

Wir lachten beide.

„Und was ist überhaupt mit Grace und Elli? Haben die in den Ferien jemanden kennen gelernt?“

Nahele zuckte die Schultern.

„Nicht dass ich wüsste. Also zumindest nicht in meinem Beisein. Grace wurde ein paar Mal angebaggert, aber Elli…? Also nichts gegen sie, ich gönne es ihr, aber sie ist einfach nicht der Typ Frau, der aus heiterem Himmel angegraben wird.“

„Stimmt…“ – was wohl einer der beiden Gründe dafür war, warum unsere dunkelhaarige Freundin noch nie einen Freund gehabt hatte. Der und dass sie einfach viel zu schüchtern war um selbst die Initiative zu ergreifen.

„Was ist mit dir?“, fragte Nahele dann amüsiert. „Du bist das begehrteste Mädchen der Schule. Du solltest heute fünf Dates haben. Und zwar zeitgleich!“

„Wozu? Ich hab doch dich!“, meinte ich lachend und hakte mich bei ihm unter, weshalb auch er losprustete. Eine Beziehung zwischen mir und Nahele war einfach zu absurd.

„Nein, jetzt mal ehrlich: Ich wüsste nicht mit wem.“

„Außer dem einen natürlich? Dem Fremden von der Party.“

Ich seufzte frustriert.

„Ja und nein.“

Er sah mich nachdenklich an.

„Wie meinst du das?“

„Auf der Party dachte ich wirklich, dass da mehr sein könnte. Aber als ich Marco wegen der Geld-für-Sex-Sache zur Rede gestellt habe, da gab er mir 100 Dollar mit der Information, dass diese von dem Typen seien, mit dem ich mich dort amüsiert hätte. Aber ich habe mich mit keinem amüsiert. Nur diesen einen habe ich geküsst… das heißt also im Umkehrschluss, dass er Marco dafür bezahlt hat.“

„Wow“, Nahele sah zu den Baumwipfeln hoch.

„Nicht wahr…“

„100 Dollar für einen Kuss! Das muss ein verdammt guter Kuss gewesen sein!“ er grinste breit und sprang im Zickzack davon, als ich nach ihm schlug und trat.

„Du Aas! Das ist alles, was du dir dazu einfällt?“, lachte ich und er streckte mir grinsend die Zunge raus.

Wir jagten uns ein Stück, doch schließlich wurde es mir zu anstrengend mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken.

Wir bogen ab auf einen schmaleren Trampelpfad.

„Also auf jeden Fall: Er hat für mich bezahlt. Und dann weißt du ja, wie diese Woche ablief, als ich mit der Halskrause zur Schule kam.“

Er nickte bestätigend.

„Wenn dem Unbekannten also etwas an mir liegen würde, dann hätte er sich an dem ganzen Mist von der Mannschaft bezüglich einer zu harten Orgie nicht beteiligt, oder?“

„Schwer zu sagen.“, gestand Nahele. „Im Team herrscht ziemlich starker Gruppenzwang. Leider. Mit einigen kannst du kein vernünftiges Wort wechseln und mit den anderen nur dann, wenn kein Dritter dabei ist, vor dem sie den Larry markieren können oder müssen.“

„Aber er hat jemand anderes für mich geschlagen, damit er die Finger von mir lässt.“

„Es war Dunkel, Sera. Dunkelheit hat die gleiche Wirkung wie das Internet: Es sorgt für eine gewisse Anonymität.“

Ich seufzte.

„Mit anderen Worten: Der Typ existiert nicht.“

„Doch, er existiert schon, aber ich bezweifle, dass er sich im realen Leben so verhalten würde.“

„Und wenn ich mich geirrt habe und er gar kein Footballer ist?“

Darüber dachte auch Nahele ernsthaft nach.

„Einen so gut gebauten Kerl müsste man doch leicht finden können!“, verkündete ich frustriert, doch mein Freund zuckte nur ratlos mit den Schultern.

„Hast du denn wirklich gar nichts gehört in der Umkleidekabine?“

Nahele schüttelte den Kopf: „Sorry, Süße, aber seid Marco dich offiziell als unantastbar erklärt hat, spricht keiner der Jungs mehr über dich. Zumindest nicht im Beisein von Marco. Und da der in der Umkleide immer da ist und das der einzige Ort ist, wo ich mit den Jungs zusammen bin…“, er zuckte die Schultern.

„Marco hat was?“, fragte ich ungläubig.

„An dem Tag, an dem du uns von dem Geld erzählt hast, hatten wir doch Training. Und natürlich warst du wie immer Gespräch bei einigen der Kerle, bis Marco dazwischen gegangen ist. Er hat sie furchtbar zusammengestaucht, dass du von nun an nicht mehr zu ihrer Verfügung stehen würdest und wer dich noch einmal anfasst, der bekäme es mit ihm zu tun.“

„Bitte was?“, ich traute meinen Ohren nicht. Angestrengt dachte ich nach. Wann war das gewesen? An dem Tag, an dem er Dean von mir weggezerrt hatte, oder nicht?

Nun verstand ich gar nichts mehr.

Ich war verwirrt.

„Warum macht er sowas?“

„Keine Ahnung.“, Nahele zuckte die Schultern. „Verlange bitte nicht von mir in den Untiefen des Gehirns deines Bruders herum zu wühlen. Das ist mir zu Paradox und irgendwie stumpfsinnig. Der hat doch auch nichts im Kopf außer Trainieren, Partys und Weiber.“

„Stimmt“, gab ich zu und wir erreichten eine kleine Süßwasserquelle bei einer Felswand.

Wir mussten Stunden gelaufen sein, aber mir kam es nur wie Minuten vor.

Wir stellten unsere Taschen ab und bauten sofort das Zelt auf.

„Abgesehen davon habe ich furchtbaren Hass auf deinen Bruder.“, erklärte Nahele irgendwann, als er die Heringe in den Boden schlug.

„Wer nicht?“, fragte ich grinsend und schleppte beide Rucksäcke näher, damit wir sie in das Zelt bringen konnten, sobald es festgemacht war.

„Lavinia?“, schlug er als Lösung vor und ich musste gestehen, dass er Recht hatte.

„Ich hasse den Typen.“

„Reg dich ab. Anfangs hat er mit ihr gespielt, jetzt spielt sie mit ihm.“, ich tat seine Bedenken mit einer Handbewegung ab und öffnete den Reißverschluss.

„Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube schon, dass sie… sich verliebt hat.“

Ich sah mich nach ihm um. Mit grimmiger Miene schlug er den letzten Hering in den Boden.

„Mein lieber Nahele, bist du etwa verliebt? In deine Cousine?“, fragte ich ihn fast entsetzt und kroch in das Zelt.

„Nein?!“, machte er abwertend, aber irgendwie klang es nur wie eine Flucht.

„Nahele! Sie ist deine Cousine!“, warf ich durch das offene Zelt zu ihm zurück und rollte zwei Isu-Matten aus.

„Ich. Weiß.“, bei jedem Wort holte er noch einmal kräftig aus und war dann fertig. Er stieß die Luft aus.

„Ich weiß doch auch nicht, wie das passiert ist.“, gab er dann kleinlaut zu und fixierte sein Werk. Eingehend studierte ich ihn von meinem Platz im Zelt durch die geöffnete Luke.

„Du hast dich also wirklich in Lavinia verguckt? Verdammt noch mal, warum hast du denn nichts gesagt? Dann hätte ich dem ganzen Scheiß niemals zugestimmt!“

„Ach, das ist doch egal. Sie hat sich doch ohnehin schon für ihn entschieden.“

„Sekunde, sie weiß, dass du in sie verschossen bist?“

„Ja“, er machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. „Das heißt nein… Ach, keine Ahnung. Ich dachte eigentlich, dass sie es schon längst bemerkt hat.“

„Meine Fresse, bist du ein Mann oder ein kleines Mädchen?“, fragte ich ihn wenig begeistert. „Wie soll sie sowas denn bitte bemerken? Wir sind auch nur Frauen, keine Liebeswünschelruten.“

Er stieß die Luft aus, stand auf und kroch zu mir ins Zelt, um seinen Schlafsack auszurollen und meinen Rucksack nach den Snacks zu durchwühlen.

„Hele?“, hakte ich nach und er riss eine Chipstüte auf.

„Du weißt, dass meine Eltern immer viel und lange arbeiten. Wir kochen daher meist nach der Schule zusammen.“, murmelte er und stopfte sich ein paar Scheiben in den Mund. Ich griff ebenfalls in die Packung und sah ihn abwartend an.

„Oder was heißt wir kochen? Sie kocht… Ich versuche ihr nur irgendwie nicht im Weg zu stehen und zeitgleich zu helfen… Sie ist eine wahnsinnig gute Köchin!“, er überlegte eine Weile und streckte dann die Füße aus.

„Und Liebe geht bekanntlich durch den Magen, oder wie?“, fragte ich ihn und hob eine Augenbraue.

„Ja, so in etwa.“, er grinste breit und aß geräuschvoll einen Chip.

„Was denn, das war es? Gemeinsam kochen? Mehr brauche es nicht, um dir den Kopf zu verdrehen? Wenn ich das nur eher gewusst hätte!“

Er lachte tief und sein Blick zeigte mir, dass er ganz weit weg war.

„Oder ist etwa noch mehr passiert?“

„Nicht direkt… ich stelle mich gerne hinter sie, wenn sie am Herd steht und versunken in einem der Töpfe rührt. Und dann berühre ich sie immer in der Taille und an der Hüfte. Sie zuckt dann fürchterlich erschrocken zusammen, als hätte ich sie aus ihrer ganz eigenen Welt gerissen.“, schwärmte er und kicherte verliebt. „Sie ist so süß, wenn sie dann zu mir aufschaut und mir einen Löffel zum Kosten anbietet. Ich könnte das den ganzen Tag mit ihr tun…“

„Wow“, entfuhr es mir matt. So sah ein Mann aus, wenn er von der Person sprach, die er wirklich liebte?

Es war zum Heulen. Zum einen, weil er so niedlich war, wenn er von Lavinia redete, zum anderen weil da diese gewisse Melancholie in seinem Blick lag, weil er genau wusste, dass sie diese Gefühle nicht erwiderte…

„Und nach dem Essen schauen wir häufig gemeinsam einen Film. Welcher ist mir dabei ganz gleich. Meinetwegen könnten wir „Barbie in Schwanensee“ gucken oder „Winnie Puuh – Tiggers großes Abenteuer“… Es wäre mir total egal. Ich habe immer nur Augen für sie, weißt du.“

Verdammt, seine Geschichte versetzte mir ein Stich in der Brust. Warum konnte über mich denn niemand so reden?

„Sie liebt es zu kuscheln…“, flüsterte er und ich hatte Mühe es überhaupt zu verstehen. Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Dann lachte er plötzlich leise. „Die ersten Male war sie noch viel zu schüchtern, aber dann irgendwann lehnte sie sich einfach an mich und inzwischen – ich weiß nicht – manchmal sitzt sie einfach nur neben mir und ich darf ihre Hand halten. Es ist so schön ihre Finger zu streicheln. Sie sind so weich und zart… oder sie schläft mit dem Kopf auf meinem Schoß ein… oder sie streichelt mir meinen, wenn ich auf ihrem eindöse…“

Ich konnte es nicht verhindern, ich musste lächeln.

Wie süß und unschuldig das Klang! Das war definitiv nicht der Nahele, den ich kannte.

„Ich mache mir Sorgen um sie. Wegen Marco.“, er sah mich entschuldigend an, doch ich nickte. Zu gut verstand ich ihn.

Sonntag, 2. September 2018 - Vormittag

„Einmal Pfannkuchen mit Sirup und zwei Toasts mit Spiegelei.“, verkündete die Kellnerin der kleinen Raststätte nahezu feierlich und stellte uns beiden je einen Teller vor die Nase. „Möchtet ihr noch Cappuccino?“

„Gerne.“, bestätigte ich und reichte ihr unsere Tassen, mit denen sie verschwand.

„Das machen wir demnächst wieder.“, entschied Nahele. „Und wenn die anderen nicht mitkommen wollen, dann halt wieder nur wir beide.“

Wir grinsten uns breit an.

„Du hast Recht. Es hat wirklich gut getan.“

Er nickte und schnitt sich etwas von seinen Pfannkuchen ab.

„Aber wegen Lavinia hältst du dicht, oder? Das müssen die anderen nicht wissen.“

Ich lächelte.

„Na klar, was denkst du denn von mir?!“

Dankbar sah er mich an. Selbst dass ich wusste, dass er sich in seine Cousine verliebt hatte, war ihm sichtlich peinlich.

„Aber vielleicht hast du ja eine Chance bei ihr?“, versuchte ich nun endlich dieses Thema einmal weiter voran zu bringen. „Nach allem, was du mir erzählt hast, gibt es vielleicht Hoffnung…“

„Was?“, er sah mich entsetzt an und dämpfte die Stimme. „Sera, sie ist meine Cousine!“, raunte er mir zu. „Wir sind verwandt. Sowas ist verboten.“

Er schüttelte den Kopf und widmete sich seinem Essen. Kurz leuchtete sein Telefon auf und auf dem Display erschien das WhatsApp-Symbol.

Doch er ignorierte es und lehnte sich zurück, als die Kellnerin uns die neuen Getränke brachte.

Ich beobachtete ihn einen Moment.

„Hast du uns nicht mal erzählt, dass du adoptiert bist?“, fragte ich dann nachdenklich und er verschluckte sich fast an seinem Cappuccino. Entgeistert sah er mich an.

„Was ist? War das falsch?“

Er schüttelte den Kopf.

Wusste ich es doch. Mir war immer so gewesen, als habe er mal erzählt, dass seine Eltern bei einer Naturkatastrophe umkamen, woraufhin er von seinem Onkel väterlicherseits adoptiert worden war.

„Na dann könnt ihr doch nachweisen, dass ihr nicht blutsverwandt seid, oder?“, fragte ich nachdenklich. „Dann ist eure Beziehung doch legal.“

Er machte ein unschlüssiges Geräusch.

„Da bin ich mir nicht so sicher.“

Erneut leuchtete sein Telefon auf und er schob es weiter von sich weg.

„Das Ding ist, dass man nicht nur das ungeborene vor Erbkrankheiten schützen will – die sich bei einer Beziehung unter Verwandten häufen – sondern dass man auch die „Institution Familie“ bewahren will. Dass es nicht zu solchen Komplikationen kommt wie: Dein Onkel ist auch zeitgleich dein Bruder oder deine Tante deine Mutter oder irgendwie sowas. Die Verwandtschaftsbeziehungen sollen immer Eindeutig sein.“

Ich machte ein verstehendes Geräusch, grinste dann aber: „Da kennt sich aber jemand aus.“

Er lachte leise amüsiert.

Plötzlich ging sein Telefon los. Vibrierend tanzte es über den Tisch, dessen Oberfläche das Geräusch nur verstärkte. Vereinzelte Gäste der Raststätte sahen sich gestört nach uns um.

Zum Glück hatte er wenigstens den Ton ausgeschaltet.

Entnervt nahm er es in die Hand und sah auf das Display. Dann wischte er rüber, um das Gespräch anzunehmen.

„Ja? – Unterwegs – mit Sera – zelten – später – tschüss“, knurrte er missmutig zu einigen Fragen seines Anrufers in den Hörer und legte auf, während ich noch die aufgeregte Stimme am anderen Ende plappern hörte.

Ich zog die Augenbrauen zusammen.

„Was zum Geier war das denn bitte?“

„Lavinia“, murmelte er plötzlich schlecht gelaunt. „Sie telefoniert mir hinterher und will mir weiß machen, dass sie sich Sorgen um mich macht, weil ich die ganze Nacht nicht zuhause war und sie Frühstück gemacht hat – Mam und Dad sind heute früh aufgebrochen, weil sie morgen ein Meeting in New York haben.“, er schnaubte.

„Wow, bist du aggressiv gegen sie…“, überlegte ich.

„Na was soll das denn? Zieht gestern einfach so mit Marco los und will mir heute erzählen, dass sie sich Sorgen darum macht wo ich bin? Wem will sie das denn bitte weiß machen?“

Er schüttelte sauer den Kopf, erdolchte seine Pfannkuchen ein paarmal mit der Gabel und leerte dann aber erst seinen Cappuccino.

Zum Glück war kein Alkohol in dem Getränk…

„Ok, unterhalten wir uns über was Schöneres.“, schlug ich vor und stopfte mir die Reste meines zweiten Toasts in den Mund, während ich der Kellnerin einen Wink gab, dass wir bezahlen wollten. „Ich lad dich ein, Brummbärchen.“

„Danke“, grummelte er noch immer missmutig und verschlang sein Frühstück mit wenigen großen Bissen, während die Kellnerin erneut kam und bei mir abkassierte.

Schließlich trank ich meine Tasse leer, als er seine Reste zusammenkratzte.

„Weißt du was eine lustige Vorstellung ist?“

Er sah mich abwartend an und würgte alles runter.

„Wenn der Grund für Graces Abwesenheit gestern Mr Byrd gewesen wäre.“

Er zog verwirrt den Kopf ein und sah mich an wie einen Idioten.

„Was hast du denn für Fantasien?“

Ich lachte los und er stimmte ein.

„Na was denn? Zu Beginn des Schuljahres holt er uns beide zu sich und meint, dass wir bei ihm Nachhilfe nehmen sollen und was ist nun? Nur sie hat Nachhilfe. Ich bin total außen vor.“

„Ja, das ist natürlich der Beweis.“, meinte Nahele grinsend.

„Hast du eine bessere Idee?“

„Ja! Grace und Elli haben was miteinander.“

Ich prustete in meine Tasse, hustete kurz und lachte dann schallend.

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Mein absoluter sogar!“

Wir standen auf und nahmen unsere Rucksäcke.

„Laufen wir bis zur Stadt? Ich habe keine Lust ewig auf den Bus zu warten…“, erklärte Nahele.

„Du weißt, dass das einige Stunden dauert, oder? Wir sind dann nicht vor heute Nachmittag da.“

„Und? Muss ich mir wenigstens nicht Lavinias Gemecker anhören und dann dabei zusehen, wie sie sich fünf Mal für Marco umzieht und schick macht. Meckert mich an, weil sie sich Sorgen um mich macht und wissen will wo ich bin, nur um dann trotzdem den Tag nicht mit mir zu verbringen.“

So wütend er klang, so verletzt sah er die Zufahrt der Raststätte zum Meer hinunter.

Ich seufzte.

„Ok, Ok… wieder weg von diesem Thema.“, ich sah mich um. Worüber hatten wir noch einmal geredet, bevor wir darüber sprachen, wie wir wieder nach Hause kämen?

Ach ja…

Ich lachte: „Also, wie kommst du nun darauf, dass Elli und Grace was miteinander haben?“

„Ganz einfach“, er sah mich völlig ernst an, aber zumindest mit weniger schlechter Laune. „Ist es dir noch gar nicht aufgefallen, dass die beiden seit einigen Wochen ständig miteinander tuscheln und uns permanent nicht einbeziehen wollen?“

Nein, irgendwie habe ich das gar nicht bemerkt.

Aber nun, wo er es sagte…

Sie kapselten sich wirklich häufig von uns ab.

Nicht nur am Tag zuvor, als er fragte ob wir was unternehmen wollten, sondern auch in der Schule gelegentlich. Immer wieder tuschelten sie und wenn wir nachfragten was denn sei, wurden wir abgeschmettert…

„Grace hat auch so komisch gegrinst, als Elli bei dieser Verkupplungsgeschichte meinte, dass sie ablehnt... und Grace hat von vorn herein gesagt, dass Marco nicht ihr Typ sei… Wessen Typ ist Marco eigentlich nicht? Sorry, aber selbst ich finde, dass er perfekt aussieht.“, überlegte ich und erschrak bei Naheles Blick.

„Hups, Fettnäpfchen… Verzeih mir.“

Er winkte ab und seufzte.

„Ja, ja, schon gut.“

Eine Zeit lang gingen wir schweigend nebeneinander her – am Rande der Schnellstraße, die an der Küste entlang führte. Ich sah auf meine Füße und dachte ernsthaft über die Möglichkeit nach, dass Elli und Grace eine lesbische Beziehung führten.

Störte mich das?

Nein, eigentlich nicht…

Das einzige was mir nicht passte: Dass sie es vor uns verheimlichten! Wir waren doch ihre Freunde!

„Verdammt!“, brachte ich irgendwann heraus und mein Freund sah mich irritiert an, als hätte ich ihn aus einem tiefen Schlaf gerissen.

„Na ja, wenn man so darüber nachdenkt: Es ist doch so offensichtlich!“

„Was ist offensichtlich?“

„Na dass Elli und Grace heimlich ein Paar sind.“

Nahele prustete los und bekam sich beinahe nicht mehr ein vor Lachen.

„Was ist?“

„Sera, das war ein Scherz! Du hast angedeutet, dass Grace etwas mit Mr Byrd hat, nur weil sie alleine bei ihm Nachhilfeunterricht nimmt. Da wollte ich einfach was anderes Absurdes gegenhalten.“

Ich winkte ab.

„Quatsch! Denk doch mal nach! Die Geheimnisse, die gelegentlichen Blicke – Da läuft was zwischen Elli und Grace! Ich bin mir absolut sicher.“

Er sah mich wenig überzeugt aber grinsend an und so entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, ob unsere Freundinnen Homosexuell waren oder nicht.

Immerhin: Elli war Achtzehn und hatte noch nie einen Freund gehabt. Ok, sie entsprach nicht dem Schönheitsideal von schlank und sportlich und war auch definitiv keine Strand-Königin mit gebräunter Haut, aber verflucht süß war sie dennoch. Da konnte doch etwas nicht stimmen, warum sie noch immer Jungfrau war!

Oder war das nur meine verschrobene Sicht als Partyflittchen?

Was Grace anging: Sie hatte sicher schon den ein oder anderen Flirt gehabt, aber eine ernsthafte Beziehung?

Für mich war die Sache eindeutig und als es Mittag war, hatte ich auch Nahele soweit, dass er von einer Beziehung unter Freundinnen felsenfest überzeugt war.

Wir versprachen uns die beiden gleich am nächsten Tag in der Schule darüber auszuquetschen.

„Ich habe Hunger.“, verkündete Nahele nach Stunden des Laufens. „Oh weh…“, machte ich und sah mich um. „Dahinten, schau mal“, ich wies auf ein einstöckiges Gebäude, das halb über dem Strand stand und eine Treppe zum Sand hinunter hatte. „Das ist bestimmt ein Restaurant und wenn nicht wird es zumindest einen Imbiss haben…“, ich wollte eben verkünden, dass ich erneut zahlen würde, als ein Auto aufgeregt hinter uns hupte.

Verwirrt drehten wir uns um.

Ein schwarzer Flitzer sauste auf uns zu.

Diese Schnauze – ich meinte Motorhaube – würde ich überall erkennen.

Ein Aston Martin DB11 Volante.

Es gab nicht viele davon auf der Insel und ich ahnte zu wem dieses Exemplar gehörte.

„Oh nein…“, seufzte ich frustriert.

„Was macht der denn hier?“, knurrte auch Nahele wenig begeistert.

„Spritztour mit einer seiner Tussys?“, überlegte ich bereits und wollte mich augenblicklich entschuldigen. Im Moment versuchte Marco ja nur bei Lavinia zu landen.

Was wohl noch schlimmer war… diese zwei im Doppelpack wären wohl der Killer für Naheles eh schon dünne Nerven gewesen.

Doch als der Wagen langsamer wurde und an uns vorbei rollte, erkannte ich, dass lediglich Marco darin saß.

Selbst unter seiner großen, sportlichen Sonnenbrille sah er irgendwie abgehetzt aus, als er einen Blick zu uns warf und schließlich das Auto einige Meter entfernt auf den Standstreifen lenkte.

„Meinst du es ist zu spät sich zu verstecken?“, fragte ich Nahele leise.

„Weiß nicht… Aber wegrennen ist glaube schwer. Der Kerl ist echt flink…“

Wir nickten beide, als Marco sich aus seinem Wagen schälte und auf uns zu stapfte.

„Serena, verflucht noch eins, wo warst du?“, donnerte er direkt los.

„Was kümmert es dich bitte?“, konterte ich und verspürte den unstillbaren Drang mich hinter meinem Freund zu verstecken.

„Ich suche dich schon seit Stunden! Warum machst du dein Telefon aus?“, meckerte er weiter und ich hob irritiert die Augenbraue.

Schnell kramte ich in meiner hinteren Hosentasche nach dem Gerät und drückte darauf rum.

„Hm… Akku ist wohl tot…“, überlegte ich.

„Schön, was auch immer…“, er griff mein Handgelenk und zerrte mich in Richtung Auto. „Wir müssen sofort nach Hause.“

„WAS?“, schrie ich entsetzt und wollte mich losreißen, während ich schon die ersten Schritte hinter ihm her stolperte. Fassungslos sah ich zu Nahele, der natürlich sofort eingriff.

Schützend ging er dazwischen und riss die Hand meines Bruders von mir los.

„Bist du komplett übergeschnappt?“, fuhr er ihn an. „Was soll dieser Auftritt?“

„Das geht dich gar nichts an!“, blaffte Marco rum und sah wieder zu mir. „Komm jetzt, Serena, wir müssen SOFORT nach Hause!“

„Ich komme nach Hause wenn es mir passt und nicht wenn euer Durchlaucht meint, dass ich zuhause sein muss!“, bellte ich zurück.

Was sollte dieser Aufstand?

„Meine Fresse, jetzt hör auf zu zicken und steige in den Wagen!“, erneut griff er meinen Arm, doch Nahele stieß ihn unsanft zurück.

„Alter, pack Serena nicht an, klar?!“

„Verpiss dich!“, Marco versetzte ihn seinerseits ebenfalls einen Schlag gegen die Schultern und machte noch einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu. „Das hier ist eine Familienangelegenheit.“

„Familienangelegenheit?“, spottete ich. „Du führst dich auf wie eine Furie und nennst das Familienangelegenheit? Was soll das bitte? Als ob ich freiwillig zu dir in den Wagen steige!“

Nahele trat noch einen Schritt weiter vor.

„Oder Eher: Als ob ich sie freiwillig zu dir in den Wagen steigen lasse!“, untermauerte er meine Wort und schon standen sich zwei trainierte Footballer gegenüber – wenn der schlankere Quarterback gegen den massiven Körperbau des Centers auch definitiv im Nachteil war.

Trotzdem hielt sich Nahele nicht mit den Beschuldigungen zurück: „Am Ende hast du dir nur was Neues ausgedacht, um sie zu töten.“

Wut – nein, nackter Zorn blitzte in Marcos Augen auf, als er nach den Trägern des Wanderrucksacks meines Begleiters griff und ihn angriffslustig daran näher zog.

„Ich habe NIE versucht meine Schwester zu töten! Ich habe keine Ahnung was für ein Bastard ihren Wagen manipuliert hat, geht das in dein Spatzenhirn rein?“, er machte Anstalten ihn wieder von sich zu stoßen, zog ihn dann aber noch einmal ran. „Sei lieber froh, dass ich dich nicht sofort zusammenschlage, weil du meine Schwester vögelst, Wichser.“

Mir fiel die Kinnlade beinahe zu Boden. Auch Nahele entglitten alle Gesichtszüge – was Marco wohl als ein Schuldeingeständnis interpretierte.

„Und das obwohl ich euch allen doch wohl eindeutig klar gemacht habe, dass ich dem Nächsten, der sie anfasst, die Hölle heiß mache!“

„Ok, Ok! Stopp!“, protestierte ich und schob mich zwischen die Beiden, um sie auseinander zu bringen. Ich versicherte mich, dass Nahele keinen Angriff starten würde und sah dann zu meinem Bruder hinauf.

„Also, was willst du, Marco? Du hast ja wohl nach mir gesucht, oder? Oder bist du hier zufällig langgefahren.“

„Es geht um Dad.“, platzte er direkt mit der Nachricht heraus und sah von Nahele auf mich herab. Verständnislos runzelte ich die Stirn.

„Was? Wie um Dad? Dad ist in Singapur.“

Er nickte.

„Ich weiß auch nichts Näheres – nur, dass Nana beim Frühstück versucht hat dich zu erreichen, aber du bist nicht rangegangen und irgendwann war dein Handy aus. Ich und unser Chauffeur sind losgefahren, um dich zu suchen. Sie meinte es sei dringend. Also komm jetzt!“

Er riss mir meinen Rucksack vom Rücken und marschierte ohne ein weiteres Wort zu seinem Auto zurück. Er ging wohl davon aus, dass ich folgen würde.

Doch ich konnte ihm nur verständnislos nachsehen.

Es war ungewohnt für mich, aber ich glaubte ihm – welchen Grund sollte er sonst gehabt haben mich zu suchen?

Nur…

Ich sah zu Nahele, der sauer die Luft ausstieß: „Alles klar. Er lässt dir ja wohl keine Wahl.“, er nickte in Richtung Marco, der meinen Rucksack in den Kofferraum schmiss.

„Serena! Komm schon!“, donnerte er dann und schlug sauer die Klappe zu.

„Ich ruf dich nachher an.“, versprach ich Nahele und eilte hinter meinem Bruder her, der sich bereits wieder hinter das Lenkrad setzte und den Wagen startete. Er fuhr schon an, als ich die Tür noch gar nicht richtig geschlossen hatte, geschweige denn mich angeschnallt.

Hektisch trat er auf das Gas, als wolle er den Grand Prix gewinnen. Die Kurven nahm er dennoch sicher und als ich mich an die viel zu hohe Geschwindigkeit gewöhnt hatte, warf ich ihm einen Blick zu.

„Du weißt gar nichts?“

„Nein“, knurrte er nur finster und würdigte mich scheinbar keines weiteren Gedankens.

Er nahm eine Abkürzung landeinwärts und nach nur wenigen Minuten erreichten wir bereits das Villenviertel direkt am Meer und hielten auf unsere Einfahrt zu.

Das Tor stand bereits offen …

Ich wäre am liebsten schnell wieder abgehauen…

Ich hatte das dumme Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte, wenn selbst mein Bruder nach mir suchte.

Irgendwas mit Vater.

Ich erinnerte mich, dass er die gesamten Ferien, als wir ihn besuchten, eigenartig war.

Augenblicklich hatte ich wieder das Telefonat im Kopf, das ich mit ihm führte, als ich im Krankenhaus lag. Er sagte, dass er einen Termin gehabt hätte…

Irgendwas musste passiert sein…

Irgendwas Schlimmes…

Mein Verdacht bestätigte sich, als wir die Villa betraten und durch die offene Salontür alle Angestellten erblickten, die sich um den Kamin versammelt hatten.

Die Zimmermädchen sahen schniefend auf und auch die Gärtner und der Butler hielten sich Taschentücher vor Nase und Mund.

„Oh Fuck…“, entfuhr es Marco alarmiert, als wir Seite an Seite über die Türschwelle traten.

„Geht bitte wieder an eure Arbeit.“, bat Nana und sofort eilte alles davon.

Verwirrt sah ich ihnen nach. Stand es denn so schlimm um unseren Vater? Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen…

„Serena“

Ich schreckte hoch, als Nana mich plötzlich in die Arme nahm und fest an sich drückte.

„Wo warst du denn nur, Kind?“

„Na ich war mit Nahele zelten, das sagte ich doch.“, rechtfertigte ich mich weiterhin irritiert.

„Du gehst nicht an dein Handy und dann ist es plötzlich aus…“

„Ihr Akku ist leer.“, spottete mein Bruder und ließ sich von Nana auf die Couch drücken. Mich positionierte sie daneben, doch wir konnten uns beide nicht auf dem gemütlichen Polster zurücklehnen.

„Was ist los Nana? Was ist passiert?“

Sie malte einen Moment sichtbar mit den Zähnen und sah sich im Salon um.

„Euer Vater ist… also… er war schwer krank.“, erklärte sie – doch ihren Zeitwechsel mitten im Gesagten registrierten wir nicht. Uns interessierte mehr: „Wie, schwer krank?“, fragte Marco verwirrt.

„Euer Vater hat sich… nun ja… wie soll ich das sagen… er hat sich einen sehr bösartigen Stamm von Gonorrhoe eingefangen.“

Marcos Anspannung viel ab.

„Gonorrhoe – wie Tripper?“, wiederholte er wenig begeistert, aber scheinbar auch nicht sonderlich überrascht. Das unser Vater gerne in gewissen Kreisen verkehrte, das war uns bewusst. Er hatte extra für diese Zwecke ein Penthouse in der Stadt. Wenn er zu Besuch war, dann wollte er die Damen vom Escort Service niemals zu uns in die Villa bringen.

Kenntnis davon hatten wir dennoch.

Mir war es egal, aber für Marco war es nach der Geschichte mit seiner und meiner Mutter ein rotes Tuch.

„Dieser Idiot!“, knurrte er. „Und jetzt? Kommt er nach Hause oder was?“

Nana kaute weiter auf ihrer Unterlippe.

„Ja, so in der Art… Also… Wie gesagt, der Stamm mit dem er sich angesteckt hat ist sehr bösartig. Euer Vater liegt bereits seit Monaten im Krankenhaus und…“

„Ah“, machte ich und hob einen Finger um sie zu unterbrechen. „Wir waren bis August bei ihm. Er lag nicht im Krankenhaus.“

„Weil er euch nicht beunruhigen wollte, Schätzchen.“

Ich blieb still und sah kurz zu meinem Bruder, doch der erwiderte den Blick nur lustlos.

„Also, wo war ich… Euer Vater lag schon einige Monate im Krankenhaus und besonders in den letzten Wochen, seid ihr wieder hier seid, hat sich sein Zustand dramatisch verschlechtert.“

„An Tripper stirbt man nicht. Mach nicht so ein Drama draus.“, knurrte Marco – dieses Scheusal!

Ich drehte mich zu ihm um und boxte ihn in die Seite.

„Hey!“

„Sei nicht so unsensibel! Es ist dennoch eine schlimme Krankheit und an den Folgen kann man bestimmt auch sterben!“, ich sah wieder zu Nana, die traurig nickte und fragte: „Wie geht es Dad?“

Nana atmete tief durch.

„Nun, jetzt sicher besser…“, murmelte sie und wir sahen sie verständnislos an.

Dann aber ging mir ein Licht auf. Ich spürte, wie sämtliches Blut aus meinem Kopf wich und sich meine Umgebung zu drehen begann.

„Ich bekam heute Morgen einen Anruf des behandelnden Arztes. Einige Organe eures Vaters – auf die die Bakterien sich bereits ausgebreitet hatten – haben heute früh angefangen den Dienst einzustellen. Sein Wunsch war es noch einmal mit euch per Video zu telefonieren…“

Nana schniefte und mir kamen die Tränen. Mein Mund öffnete sich, damit ich überhaupt noch Luft bekam.

Viel zu schnell ging mein Atem.

„Ich habe dich nicht erreicht, Sera, ihr solltet doch beide hier sein und ihn verabschieden…“

Ein lautes Geräusch hallte in meinen Ohren wieder, das wohl von mir kam, als ich die Luft einsog und zeitgleich zu heulen begann.

Während ich mich mit meinem Freund draußen amüsiert hatte, lag mein Vater im Sterben.

Ich schloss die Augen, als die ersten Tränen mir die Sicht verschwimmen ließen und legte beide Hände über Mund und Nase.

Hemmungslos heulte ich los, als ich mich vorbeugte. Etwas anderes nahm ich gar nicht mehr wahr, außer meinem Schmerz und wie schuldig ich mich fühlte, dass ich Spaß hatte, während er litt und dann nicht einmal rechtzeitig nach Hause kam, um ihm „Auf Wiedersehen“ zu sagen.

„Euer Vater ist vor ein paar Minuten friedlich eingeschlafen.“, sagte Nana und selbst ihre Stimme versagte ihr den Dienst.

Das gab mir den Rest.

„Papa, Papa“, jammerte ich immer wieder und wiegte mich leicht vor und zurück.

„Das ist alles nur deine Schuld.“, ich hörte diese Worte kaum. Erst als ich plötzlich einen Schlag gegen die Schulter bekam und auf das Sofa kippte, realisierte ich diese Anschuldigung meines Bruders.

Verwirrt sah ich zu ihm auf. Mit zornigem Gesicht und bereits rotgequollenen Augen war er von der Couch aufgesprungen und funkelte mich an.

„Das ist alles nur deine Schuld!“, warf er mir noch einmal an den Kopf.

„Marco, Marco bitte…“, versuchte Nana ihn zu beruhigen und nahm seine Hand, doch ehe sie weiterreden konnte riss er sich bereits wieder von ihr los.

„Deine und die deiner beschissenen Huren-Mutter! Wenn es euch nicht gegeben hätte, dann wäre meine Mutter noch bei uns und Dad hätte sich nie auf diese Schlampen eingelassen! Alles wäre in Ordnung!“

„Ist das dein Ernst?“, jammerte ich entsetzt und sah ihn fassungslos an. „Jetzt gibst du mir auch noch die Schuld an Dads Tod?“

„Marco“, jammerte Nana ebenso schluchzend wie ich. „Sera, Marco meint das nicht so! Stimmt doch Marco! Bitte entschuldige dich bei deiner Schwester, Liebling!“

„Ich meine es genauso und ich werde mich nicht entschuldigen!“, schrie Marco spitz. Seine Stimme brach ab und er rieb sich verletzt die Augen, als er vom Schluchzen übermannt wurde.

Sofort sprang Nana auf und nahm ihn in den Arm.

Aus irgendeinem dummen Impuls folgte ich der Bewegung. Ich wollte auch umarmt werden! Ich hatte meinen Dad auch verloren! Ich wollte auch Trost und Fürsorge!

Nana sah das und breitete bereits einen Arm aus, um uns beide an sich zu drücken, da riss Marco sich grob von ihr los.

„Und noch viel mehr: Wenn du nicht so egoistisch gewesen wärst und heute Morgen hier oder zumindest auf dein Telefon geachtet hättest, dann hätten wir uns verabschieden können! Stattdessen fickst du dich schon wieder durch die Weltgeschichte!“, schrie er mich an.

Ich konnte darauf nicht mehr antworten. Das alles war mir zu viel und ich sackte wieder auf die Couch.

Ich bekam kaum noch Luft.

Ich schrie beinahe vor Verzweiflung, während die Tränen ungebremst über meine Wange liefen.

„Marco! Marco!“, schrie Nana meinem Bruder hinterher, der Hals über Kopf aus dem Salon stürmte und schließlich die Villa verließ.

„Papa… Papa…“, jammerte ich nur weiter jämmerlich vor mir her.

Sonntag, 2. September 2018 – Nachts

Hi Sera, tut mir leid wegen eures Dads.
 

Mein Telefon leuchtete auf, als diese Nachricht von Lavinia mitten in der Nacht in unserer WhatsApp-Gruppe einging.
 

Wie? Was? Dad? Hä?
 

Kam es direkt von Grace zurück.
 

OMG was ist passiert?
 

Verlangte dann auch Elli zu wissen, doch ich legte das Telefon einfach beiseite.

Schniefend versteckte ich mein Gesicht in meinem Kopfkissen und strich darüber, als könnte ich es damit noch kuscheliger machen… oder so etwas Liebe von ihm bekommen, die ich gerade dringend benötigte.

Auch Nahele hatte den ganzen Abend versucht irgendwas aus mir herauszubekommen, aber ich konnte einfach noch nicht darüber reden. Schlimm genug, dass am Dienstag wieder Schule war.

Ich fühlte mich dazu einfach nicht in der Lage…

Mein Handy vibrierte weiter fröhlich vor sich hin und ein kurzer Blick auf den Chat verriet mir, dass Marco Lavinia bereits alles erzählt hatte und die nun alle Informationen an unsere Freunde weitergab – was auch immer sie wissen wollten.

Sollte sie ruhig machen. Dann musste ich nicht so viel Rede und Antwort stehen.

Ich rollte mich etwas weiter ein und öffnete ein kleines Loch unter meiner Bettdecke, die ich komplett über meinen Kopf gezogen hatte, um mehr Sauerstoff zu bekommen.

Draußen war es bereits tiefste Nacht. Eine sanfte, salzige Brise zog vom Meer her zu uns herauf und wehte meine Vorhänge durcheinander, doch dafür hatte ich an diesem Abend keinen Sinn, so gern ich es auch mochte.

Ich sog tief die Luft ein.

Inzwischen hatte ich keine Tränen mehr, wie ich feststellen musste.

Das stundenlange schreien und heulen tat nur noch auf der Stimme und den Augen weh.

Schon wieder leuchtete mein Telefon auf und ich schob es weit von mir weg, damit es unter der Decke dunkel blieb.

Ich wollte niemanden mehr sehen oder hören.

Einfach nur allein sein.

Meine Zimmertür öffnete sich und ich schloss die Augen.

Sicher war das Nana, die wissen wollte, ob ich endlich eingeschlafen war und das Tablett wieder abholte, das sie mir vor Stunden mit etwas zu Essen heraufgebracht hatte.

Ich entschied mich dazu einfach so zu tun, als würde ich schlafen. Dann würde sie mich wenigstens nicht ansprechen…

Doch zu viel überlegt.

Das Erste das sich bewegte war meine Bettdecke, dann wurde meine Matratze gedrückt.

Es kroch jemand zu mir ins Bett?

Fast erschrocken fuhr ich herum.

Wer sollte das bitte sein?

Ein bekannter Geruch stieg mir in die Nase und im Schein des schwachen Lichtes, das vom Mond in mein Zimmer fiel, erkannte ich große, trainierte Umrisse.

Im ersten Moment schlug mir das Herz bis zum Hals. Sofort dachte ich an den Unbekannten von der Party – doch das war natürlich völlig idiotisch.

Als ob der zu mir gekommen wäre, selbst wenn er gewusst hätte, was passiert war.

Nein, wer dort zu mir unter die Bettdecke kroch war Marco…

„Halt jetzt bloß die Klappe…“, grummelte er und zog das Laken wieder über unser beider Köpfe.

„Was machst du hier?“, fuhr ich ihn dennoch an – Warum zum Geier flüsterte ich? Es hörte uns doch eh keiner!

„Halt die Klappe, hab ich gesagt!“, zischelte er zurück.

Verwirrt hob ich instinktiv den Kopf, als er einen seiner Arme unter meine Haare schob. Keine Sekunde später griff seine andere Hand nach meinem Arm und zog mich ruppig zu ihm hin.

Ich schluckte schwer und hielt die Luft an, ließ es einfach geschehen.

Meine Lider schlossen sich augenblicklich, als mein Kopf gegen seine harte Brust stieß. Wie Schraubstöcke so fest, doch ungeheuer sanft drückten seine Arme mich an ihn und hielten mich fest.

Vorsichtig atmete ich wieder ein.

Sein Aftershave, das mir sonst immer Brechreiz verursachte, umrundete meine Empfindungen und gab mir ein Gefühl von unendlicher Sicherheit und Geborgenheit.

Bei meinem Bruder!

Verflucht, ich musste krank sein!

„Ich war ein großes Arschloch…“, murmelte er plötzlich leise. Eine gewisse Angst lag in seiner Stimme.

„Du kannst gar nichts für das, was geschehen ist.“

Ich schluckte schwer und legte den Kopf in den Nacken, rutschte vorsichtig höher, doch er ließ mir nur gerade genug Raum, dass ich mich bequem hinlegen konnte, dann zog er mich wieder enger an sich.

Es war so schön und vor allem warm, als sich unsere Körper der Länge nach aneinander schmiegten.

Als wolle er mich schützen legte sein Arm unter meinem Kopf sich um meine Schulter und über meinen Rücken. Sein anderer Arm zog sich eng um meine Taille…

Sein Knie schob sich leicht über meines, als wolle er mich vor irgendeiner Bedrohung abschirmen, so kam es mir in diesem Moment vor.

Ich schluckte.

Dieses heiße und wohlige Gefühl in mir.

Ich hatte es schon einmal gespürt.

Er reckte sein Kinn. Automatisch drückte ich mein Gesicht in seinen Hals und seine Schulter. Ich konnte nicht anders und zog geräuschvoll die Nase hoch…

Eigentlich nur um diesen Duft aufzusaugen, doch er hielt es wohl für ein erneutes Weinen und seine Hände strichen mir über den Arm und den Rücken, bis sich eine von ihnen in meinen Haaren wiederfand und meinen Hinterkopf hielt.

„Es tut mir so leid!“, erklärte er mit brüchiger Stimme.

Völlig überwältigt von alledem schob ich einen meiner Arme unter seinen Brustkorb und den anderen unter seinen Arm hindurch.

Ein Ruck ging durch uns beide, als ich meine Hände am Rücken in sein Shirt krallte.

Wir rutschten noch enger zusammen – ich zog meine Arme so fest wie es ging um ihn zusammen und schob ein Bein zwischen seine. Mit einer Hand an meiner Lendenwirbelsäule zog er mich noch enger an sich und schlang die muskulösen Arme so fest um mich, dass ich erst glaubte keine Luft zu bekommen, doch als mir ein verzweifeltes Keuchen über die Lippen kam, erkannte ich, dass ich mich einfach nur so sicher fühlte wie noch nie.

Plötzlich überkam es mich erneut.

Ich schluchzte leise in seine Schulter und er hielt mich fest.

Er.

Marco.

Mein Bruder.

Wir waren uns so nah, dass ich glaubte nichts könnte uns mehr voneinander trennen. Selbst ohne Kleber mussten wir einfach aneinander haften bleiben.

Und ich wünschte es mir sogar. Ich glaubte, dass ich mich noch nie so sehr geliebt und beschützt gefühlt hatte, wie in diesem Moment.

Und dann noch von Marco!

„Du kannst für das alles nichts!“, jammerte er mit – für ihn – zu hoher Stimme, als ich bereits losschluchzte. „Weder dafür, dass Dad was mit deiner Mutter hatte, noch dafür das meine Mutter ging und erst recht nichts dafür, dass Dad tot ist.“

Ich rieb meine Wange an ihm, bis meine Stirn gegen seinen Hals lehnte.

„Ich hätte das nicht sagen sollen!“, brachte er langsam verzweifelt heraus. „Sag was, Sera! Irgendwas! Bitte!“

„Halt mich einfach fest.“, wimmerte ich und sog seinen Geruch ein, der mich irgendwie beruhigte.

„Immer“, flüsterte er und rieb das Gesicht kurz an meinem Haar.

Einen Moment schwieg er, dann versicherte er mir: „Ich wollte nie, dass du stirbst, auch wenn ich das gesagt habe. Was soll ich denn ohne dich machen? Du bist doch die einzige Familie, die ich habe…“

„Du meinst, jetzt wo Dad…“

„Auch schon davor… Es war immer leichter dich für alles verantwortlich zu machen, dabei warst du die einzige Familie, die immer da war. Ich hatte solche Angst dich zu verlieren, als du diesen Unfall hattest.“

„Du hast meinen Wagen nicht manipuliert.“, stellte ich überflüssiger Weise fest und er schüttelte den Kopf.

„Nein! Natürlich nicht!“, ich spürte förmlich, wie er schluckte. „Ich brauche dich, Serena. Ich liebe dich doch…“

„Dann hast du eine beschissene Art das zu zeigen.“

„Ich weiß…“, flüsterte er und strich schon wieder mit der Nase durch meine Haare.

Erneut breitete sich Stille aus, in der ich einfach nur genoss nicht alleine zu sein.

„Mir tut es auch leid…“, murmelte ich irgendwann.

„Wofür?“

„Dafür, dass ich nicht ans Telefon gegangen bin, ehe der Akku leer war.“, ich biss mir auf die Unterlippe. „Wir hätten uns von Dad… verabschieden…“

Er machte ein beruhigendes Geräusch und fuhr mir sanft über den Rücken.

„Du wusstest es doch nicht. Woher auch? Er hat es uns doch gar nicht gesagt. Ich weiß nicht, warum ich dir diesen Mist vorgehalten habe.“

Ich spürte seinen Atem und seine Lippen über meine Stirn streichen. Ein fast verzweifelter Reflex befahl mir mich enger an ihn zu drücken.

„Alles gut…“, versicherte er mir und schlang den oberen Arm fest um meine Taille.

„Marco?“

„Hm?“

„Was sollte diese Aktion mit dem Geld für Sex?“, dieser Themenwechsel kam selbst für mich überraschend. Ich hatte die Frage schneller gestellt, als ich denken konnte.

Und auch ihn schien sie zu überrumpeln, denn eine ganze Weile sagte er nichts, bis er endlich die Luft ausstieß.

„Eigentlich… also…“, druckste er ein wenig herum und ich hob den Kopf, als wollte ich ihn ansehen. „Es ist ziemlich dumm…“

„Das denke ich mir…“, murmelte ich und zog meinen Arm wieder unter ihm vor. Sofort zogen sich seine dafür enger.

„Nicht weggehen“, flüsterte er und ich schüttelte den Kopf. Um meiner Geste Nachdruck zu verleihen rutschte ich dichter und strich über seine Brust. Seine große Hand krallte sich in meine Taille, als mein Brustkorb wieder seinen Rippenbogen traf.

„Eigentlich habe ich anfangs deshalb Geld von denen verlangt mit denen du schläfst, weil ich die Hoffnung hatte, dass diese Kerle es sich danach genau überlegen, ob sie noch einmal mit dir ins Bett steigen. Ich habe nie kassiert und sie dann zu dir geschickt, wenn du das von mir glaubst. Ich habe sie immer abgefangen, wenn sie von dir weggingen und ausgequetscht… Leider hat mein Team das wohl falsch verstanden und daraus eine Art Sport gemacht… Es wurde zu einem Selbstläufer.“

„Das ist die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe.“, murmelte ich enttäuscht. Aber was hatte ich auch erwartet? Man konnte das einfach nicht sinnvoll erklären.

„Leider ist das die Wahrheit von einem verdammt dummen Bruder… ich wollte dich nie verletzen… verzeih mir.“, murmelte er traurig.

Das war wohl der Moment, in dem ich ihm verzieh. Oder zumindest dieses Thema hinter mir ließ.

Ich wollte einfach glauben, dass er diese Entschuldigung ernst meinte.

So nickte ich und schmuste mich wieder an ihn.

Ich schloss die Augen.

Warm.

Stark.

Sein Geruch.

Seine sanften Berührungen auf meinem Rücken und meinem Arm.

Ich strich über seinen Bauch.

Es war so unglaublich berauschend und schön, ich vergaß alles…

Ich spürte dieses Verlangen danach noch viel mehr Zärtlichkeiten mit ihm zu tauschen.

Gerade als ich mich streckte und eine gewisse Reibung zwischen uns spürte wurde mir wieder klar, dass ich in den Armen meines Bruders lag. Halbbruder vielleicht, doch nach wie vor mein Bruder.

Wo nur sollte ich jemanden finden, der mir dieses wunderbare Gefühl gab wie er in diesem Moment?

Im Bauch, im Herz…

Ich hatte es schon einmal gespürt.

Die Party im Wohnheim hatte für mich in den Armen eines jungen Mannes geendet, der ähnliche Gefühle in mir wach rief.

Sofort war ich wieder dort. Spürte seine Lippen und Hände auf meinen…

Wie ich daran dachte und mit der Hand über Marcos Brustkorb fuhr, da fiel mir wieder ein, dass genau dieser von diesem Unbekannten Geld kassiert hatte.

Einhundert Dollar, nur für einen einzigen Kuss.

Die Hand meines Bruders fuhr sacht meine Wirbelsäule hinab, bis an ihr Ende und wieder wenige Zentimeter hinauf.

„Marco?“

„Hm?“, heiß blieb seine Hand über dem Ansatz meines Steißbeins liegen.

„Darf ich dir trotzdem noch eine Frage zu der Geldgeschichte stellen?“

„Natürlich“, flüsterte er fast heiser.

Hatte er vielleicht bemerkt, welches Begehren er plötzlich in mir geweckt hatte?

„Du hast jemandem Geld abgenommen, mit dem ich mich auf der Party im Wohnheim amüsiert habe, stimmt‘s? Die Hundert Dollar, die du mir gegeben hast.“

Er stieß die Luft aus.

„Bitte vergiss das, Serena. Ich habe mich doch entschuldigt… Lass uns bitte einfach… naja… von vorne anfangen!“

Ich schüttelte den Kopf und stemmte mich auf die Arme. Ich spürte regelrecht seine Trauer, als er sich auf den Rücken drehte und zu mir hoch sah.

„Nur die eine Frage, Marco, alles andere ist mir egal.“

Er stieß die Luft aus.

„Ok“

„Wer war er?“

Seine Hand auf meinem Rücken erstarrte und ich konnte ahnen, wie verwirrt er meine Silhouette anstarrte.

„Wie, wer war er?“

„Na wer war der Typ? Bitte sag mir, dass du seinen Namen weißt.“

Gespannt sah ich ihn an. Mein Herz klopfte wie wild. Gleich würde ich wissen wer…

„Nein, keine Ahnung.“

Ich ließ die Schultern hängen und stieß die Luft aus.

„Ach… Schade…“, murmelte ich und ließ es zu, dass er meinen Oberkörper auf seinen zog.

Ich schlang mein Bein um seines und bettete die Wange auf seiner Schulter.

„Das heißt, dass er keiner der Footballer ist? Ich hatte das gedacht, er war so trainiert…“

Marco legte die Wange auf meinen Scheitel und schwieg einen Moment.

„Reden wir von dem Gleichen?“

„Wie, von dem Gleichen?“

„Der, den ich meine, der hat dich auf der Couch im Gemeinschaftsbereich angegraben. Ich habe nicht alles gesehen, aber er kam kurz vor dem Stromausfall an mir vorbei mit Lippenstift am Mund und einem dicken Knutschfleck am Hals…“

Ich war verwirrt.

„Ich habe mit niemandem auf der Couch rumgemacht.“

Plötzlich griff seine Hand an meinem Rücken fester in meine Taille. Die andere strich meinen Arm hinauf und wieder hinunter, als hätte er tief Luft geholt.

„Wirklich? Dann schulde ich dem Jungen wohl hundert Dollar… Und von wem hast du geredet?“

Ich strich über seine Brust.

„Ich ziehe ihm kein Geld ab, falls das dein Gedanke ist.“

„Nein, nur…“, ich kuschelte mich enger an und er strich mir beruhigend über den Arm und den Rücken. „Als das Licht ausging und ich irgendwo vollkommen nackt in der Ecke stand, da… kam ein Typ auf mich zu…“, ich flüsterte immer leiser und spürte, wie Marco beinahe zittrig einatmete. „Er hatte mein Kleid und zog mich an, nachdem er erst noch ein betrunkenes Arschloch für mich umgenietet hat…“

Ich spürte Marcos große Hand auf meinem Rücken, die sich immer fester an ihn drückte. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken und ich drehte kurz die Nase an seinen Hals.

Sein Geruch.

Er winkelte ein Bein an und ich merkte, dass ich meines fester um seines schloss.

„Und weiter?“, fragte er leise.

„Wir haben uns geküsst.“, flüsterte ich und Marco atmete tief ein. „Es war so schön… Mir ging es so schlecht und er hat mir an diesem Abend wieder Mut gegeben dich und einfach alles zu ertragen.“

Ich kicherte leise und spürte wie Marco schwer schluckte. „Er war der einzige, mit dem ich was an diesem Abend hatte, wenn auch nicht viel. Ich dachte du wüsstest vielleicht, wer er ist. Es war so schön mit ihm. So… richtig.“

Leicht bewegte sich Marco unter mir.

Er zog mich noch etwas weiter auf sich und schlang beide Arme um meine Taille. Sanfte legte er die Wange und die Nase an meine Haare.

„Marco? Weißt du wer das war? Er war sehr groß und breit und muskulös. Ich dachte er muss einer aus eurem Team sein.“

Doch mein Bruder holte nur Luft und zerstörte jede meiner Hoffnungen: „Tut mir leid, ich weiß es nicht.“

Montag, 3. September 2018

Labor Day…

Es regnete…

Und ich saß alleine Zuhause.

Was für ein Mist.

Grace war verabredet.

Elli war verabredet.

Nahele war mit seinen Eltern weg und Lavinia mit Marco unterwegs.

Tolle Bescherung.

Antriebslos saß ich auf der Couch im Salon und blätterte in dem Buch, das wir für Englisch lesen sollten.

Es war so ruhig im Haus. Jeder stellte sich wohl die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Nicht wenige sahen sich bestimmt bereits nach einem neuen Job um…

Nana servierte mir Kakao und Torte und versuchte mich von dem Buch abzulenken. Viel verstand ich ohnehin nicht von dem, was da geschrieben stand. Ich war mit den Gedanken ganz woanders. Wir unterhielten uns gerade über die Möglichkeit mir ein neues Auto zu besorgen, als Mr Sanchez, der Anwalt meines Vaters, von unserem Butler hereingeführt wurde.

Bei meinem Anblick zwang er sich zu einem Lächeln, das ihm nur mittelprächtig glückte. Es war nicht so, dass er mich nicht leiden konnte – eigentlich kannte er mich ja kaum – er wusste nur nicht, wie er mir am besten begegnen sollte.

So nahm er schlicht eine meiner Hände und drückte sie fest mit seinen, beteuerte dabei immer wieder sein Beileid.

Seine und Nanas Gesellschaft war angespannt. Die zwei versuchten ungezwungen ein Gespräch zu beginnen und regten sich halbherzig darüber auf, dass ich an einem Feiertag für die Schule die Nase in ein Buch stecken musste, doch zum Lächeln brachte mich auch das nicht.

Was würde geschehen, wenn er uns eröffnete, dass Vater rein gar kein Geld mehr besaß? Dass er es für irgendwas verschleudert hatte und wir nun pleite waren?

Ach, was für ein Unfug.

Nicht Dad! Niemals!

Schließlich kehrte auch Marco heim – Nana hatte ihm gesagt, dass er zum Kaffee wieder in der Villa sein sollte.

Natürlich hatte er Lavinia im Schlepptau.

„Ah, Mr Matthews“, begrüßte der Anwalt ihn und strich sich sein Sakko glatt, als er sich erhob.

Unsicher betrat mein Bruder den Salon und sah die Anwesenden an. Lavinia folgte ihm einfach.

Sofort sprang Nana auf.

„Setz dich doch schon einmal, mein Liebling.“, bat Nana Marco und griff mütterlich nach Lavinias Hand, um sie wieder hinaus zu führen. Was hier besprochen werden sollte, betraf immerhin ausschließlich die Familie.

Sie führte sie in Richtung Küche davon, während Marco zu uns rüber kam.

Er gab Mr Sanchez die Hand und wandte sich dann mir zu.

Der Anwalt straffte die Schulter und wartete wohl auf eine große Explosion – unser Hass zueinander war auch in Vaters engerem Kreis legendär – doch es geschah nichts.

„Hi“, flüsterte Marco mir zu drückte mit beiden Händen meine Schultern.

Ich musste lächeln. Es war schön seine Wärme und Nähe zu spüren. Es gab mir die Sicherheit, dass wir das hier zusammen durchstehen konnten, egal was geschehen würde.

Ich sah zu ihm auf, doch er fixierte nur einen der Stühle und zog ihn zu mir heran.

Schwerfällig ließ er sich darauf fallen und legte einen Arm über meine Lehne.

Sein Herrenduft stieg mir in die Nase und ich atmete einmal tief durch.

Die Salontür wurde geschlossen und Nana gesellte sich wieder zu uns. Sie schenkte uns ein warmes Lächeln doch in ihrem Blick war deutlich zu lesen wie traurig sie dennoch war.

„Wo wir nun vollständig sind, können wir beginnen.“, sprach Vaters Anwalt und öffnete seine Mappe, die er mitgebracht hatte.

Nervös spielte ich mit meinen Fingern und sah auf die Tischplatte.

Jetzt kam sie sicher – die Offenbarung, dass wir uns unser bisheriges Leben nicht mehr leisten konnten…

Ich hatte ungeheure Angst davor und kam mir unglaublich schäbig vor, dass ich nur daran denken konnte mein weiches Bettchen und meine ganzen Kleider zu verlieren, obwohl doch etwas viel Wichtigeres aus unserem Leben verschwunden war: Unser Dad.

Das Problem war nur: Über Dad kamen wir wohl irgendwann hinweg. Er war nie da gewesen. Wir waren von Angestellten aufgezogen worden, während er in der Welt herum reiste. Wir haben ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Viel würde sich daher nach seinem Tod nicht ändern…

Nicht im Zusammenhang mit ihm.

Aber unsere Umgebung und unser Lebensstandard vielleicht schon?

Hilfesuchend sah ich zu Marco, der den Blick gleich bemerkte und mich einen Moment ansah.

„Ah, hier ist es.“, Mr Sanchez zog das Testament aus der Mappe und setzte sich eine Lesebrille auf.

Das Dokument begann mit dem Namen und den Geburtsdaten unseres Vaters und ich spürte den Druck meines Bruders gegen meine Schulter.

Sanft zog er mich an sich und hielt mich fest.

Nana schien förmlich das Herz aufzugehen, als auch sie näher rückte und jeweils eine unserer Hände in ihre nahm und sie fest hielt.

Es folgte eine Aufzählung aller Besitzstände unseres Vaters, die irgendeinen Wert hatten – die Villa, das Penthouse, eine Jacht, diverse Autos – auch mein zu Schrott Gefahrenes war noch darunter – und vor allem sein großes, global agierendes Unternehmen zusammen mit den Anteilen sämtlicher Tochterfirmen.

Alles in Allem wurde das Vermögen auf mehrere Millionen Dollar geschätzt und ich musste zugeben, dass mir ein Stein vom Herzen fiel.

Damit müssten wir doch wenigstens einige Zeit lang gut leben können, oder?

Wie viel kostete das Leben eigentlich?

Ich hatte wirklich keine Ahnung vom Umgang mit Geld. Ich musste mir nie Gedanken darüber machen.

Ich fühlte mich schlecht, als mich diese Erkenntnis überrollte. So bekam ich nur am Rande mit, dass das gesamte Vermögen uns zu gleichen Teilen zugesprochen wurde, wobei Mr Sanchez uns bis wir 21 Jahre alt sein würden, zur Seite stünde.

Weiterhin las er vor: „Bis zum 18. Geburtstag meines Sohnes Marco im September 2018, soll meine Haushälterin Miss Natalya Jacobs die Vormundschaft über meine beiden Kinder übernehmen. In der Hoffnung, dass Marco und Serena bis dahin endlich ihre Streitereien begraben, wünsche ich mir, dass mein Sohn anschließend als neues Familienoberhaupt die Fürsorge für seine Schwester übernimmt, bis sie im Januar 2019 ebenfalls 18 Jahre alt wird. Sie sollen sich gegenseitig immer unterstützen und lernen zusammenzuhalten – wie eine richtige Familie.“

Oh je, ob das eine so gute Idee war?

Nana neben mir schniefte leise und strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Ich bekam nicht mehr viel mit.

Meine Gedanken drifteten davon und erst als Marco das Wort erhob, sah ich wieder auf: „Was ist mit unseren Angestellten? Von Ihnen wird niemand seinen Job verlieren, oder?“, fragte er hoffnungsvoll, jedoch unsicher.

Ich glaube auch er hatte nicht ganz jedes Wort verstanden – oder sich behalten.

Mr Sanchez nickte großzügig.

„Selbstverständlich, Mr Matthews. Sie wissen, meine Kanzlei verwaltet bereits seit etlichen Jahren die Finanzen Ihres Vaters und unsere Steuerberater kümmern sich auch um die Lohntüten Ihrer Mitarbeiter. Ich habe Ihnen eine detaillierte Aufstellung mitgebracht…“, er zog einen dicken Ordner unter dem Tisch hervor und wollte ihn gerade aufschlagen, als Marco abwehrend eine Hand hob.

„Das – sorry – ist gerade echt etwas viel. Können wir uns das bitte in Ruhe anschauen? Ich glaube dazu haben wir beide gerade keinen Nerv, oder?“

Ich schüttelte nur den Kopf. Ich musste nicht hochsehen um zu wissen, dass er auf mich herab blickte.

Der Anwalt lächelte fast erleichtert und sofort streckte Nana die Hände nach dem Ordner aus.

„Geben Sie mir das. Ich schließe es in den Tresor und wenn die beiden soweit sind gehe ich die Unterlagen mit ihnen durch.“

Der Anwalt nickte verstehend und schlug noch eilig alles zu, ehe Nana es an sich reißen konnte.

„Seien Sie auf jeden Fall unbesorgt, Mr Matthews, Miss Matthews. Die Aktien stehen sehr gut und ihre Finanzen sind in bester Ordnung. Ihre Angestellten werden nicht in absehbarer Zeit auf der Straße sitzen.“

Ich stieß die Luft aus und mein Bruder nickte dankbar.

„Gut… mehr müssen wir erstmal nicht wissen…“, murmelte er und ich stimmte ihm mit knapper Geste zu.

Stille breitete sich über dem Tisch aus, bis Nana plötzlich den Rücken durchdrückte.

„Ok, ich würde vorschlagen, dass ihr beide euch nun wieder ausruht. In der Küche wartete Lavinia auf euch. Ich werde noch mit Mr Sanchez ein paar Formalien klären, wegen der Überführung eures Vaters und der Beerdigung.“

Dass wir gerade wie kleine Kinder hinausgescheucht wurden, interessierte uns nicht weiter.

So folgte Marco mir aus dem Salon.

In der Eingangshalle – nicht wie angekündigt in der Küche – lief Lavinia mit ihrem Telefon auf und ab und versuchte scheinbar fahrig jemanden zu erreichen. Sie sah nur kurz auf, dann wandte sie sich wieder ihrem Display zu.

Eine große Hand legte sich in meinen Rücken.

„Geht es dir gut?“, flüsterte Marco und ich nickte, doch mein verlorener Blick sprach wohl Bände.

„Wir schaffen das schon!“, versprach er mir leise.

Wie er das sagte.

Ich dachte daran zurück, wie ich in der vergangenen Nacht in seinen Armen eingeschlafen war und nichts wünschte ich mir in diesem Moment mehr, als genau das noch einmal zu erleben.

Wie schnell doch unsere Beziehung von Abneigung und Hass umgeschlagen war zu: Ich wollte ihn ständig bei mir haben. Sein Herzschlag unter meinem Ohr, seine Hände auf meinen Armen und meinem Rücken.

Unsere Körper förmlich umeinander geschlungen…

Ich schüttelte den Kopf – was er zum Glück nicht mehr bemerkte, da Lavinia auf uns zukam.

„Hey, Marco“, sagte sie sanft und drehte ihn in ihre Richtung. Diese Bewegung und mein Schritt zur Seite sorgten dafür, dass seine warme Hand auf meinem Rücken verschwand.

Lächelnd sah ich dabei zu, wie sie ihm die Arme um den Nacken legte und fest drückte.

Marco schlang die Arme um ihre Taille und schloss die Augen. Hätte er das nicht gerade bei mir machen können? Ich war doch auch da! Und ich brauche es…

„Geht es dir gut?“

„Passt schon“, murmelte er tief und sah ihr nach, als sie sich von ihm löste und dann auch mich fest knuddelte.

„Bei dir auch alles gut, Sera?“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Wie man es nimmt… Es wird schon wieder.“, erklärte ich und sah zu meinem Bruder, der mir aus irgendeinem Grund auswich.

Er betrachtete Lavinia einen Moment und wies dann auf das Smartphone in ihrer Hand.

„Gibt es Probleme?“, wollte er wissen.

„Ja und nein, keine Ahnung…“, gestand sie und sah ratlos auf ihr Display. „Ich weiß nicht genau. Nahele hat mich eben angerufen und wollte wissen wo ich bin. Dabei weiß er eigentlich ganz genau, dass ich heute mit dir unterwegs war.“, sie sah verwirrt zu Marco hoch, als ich spürte, dass es in meiner Hosentasche zu vibrieren begann. „Auf jeden Fall geht er jetzt nicht mehr an sein Telefon.“

Ich zog das Gerät aus meiner Tasche und sah rauf.

„Nahele“, erklärte ich aus einem Reflex heraus und lenkte so die Aufmerksamkeit von beiden auf mich.

Unter ihren neugierigen Blicken nahm ich das Telefonat an.

„Hi Hele“

„WARUM GEHST DU NICHT AN DEIN VERFLUCHTES TELEFON?“, schrie er mich direkt an und ich musste das Gerät weghalten.

„Himmel, komm mal wieder runter.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. „Wir hatten einen Termin mit Dads Anwalt.“

„Wir?“

„Na ich und Marco und Nana.“

„Dann ist Lavinia also nicht bei euch?“

„Doch.“

Ein lautes Störgeräusch unterbrach uns. Er hatte sein Handy wohl auf sein Bett oder so fallen lassen – im Hintergrund hörte ich ihn leise fluchen.

„Was ist? Was sagt er? Gib ihn mir!“, bat Lavinia und streckte schon beide Hände nach meinem Telefon aus, aber ich schob sie weg.

„Lass, ich mach schon. Der ist nicht so gut drauf.“, raunte ich ihr zu und sie zog sich wenig begeistert wieder an Marcos Seite zurück…

Wo er ihr einen Arm umlegte und mich abwartend ansah.

„Hi Sera…“, hörte ich dann eine kleinlaute Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Hi… Wieder beruhigt?“, fragte ich Nahele, der aber nur die Luft ausstieß.

„Ich weiß nicht… Was machst du heute Abend?“

„Hm… Weiß noch nicht…“

„Hast du Lust bei dem Wetter mit mir ins Kino zu gehen?“

„Kino?“, fragte ich verwirrt und sah aus dem bodenlangen Fenster. Die Frage die ich mir stellte war: Welcher Alternativen hatte ich?

Hier alleine rumsitzen, wohl wissend, dass mein Bruder oben mit meiner Freundin rummachte…

„Kino? Wieso Kino?“, fragte Marco im Hintergrund und begann leise mit Lavinia zu diskutieren.

„Ja, bitte. Ich würde dich in einer halben Stunde mit dem Auto abholen?“, bettelte Nahele weiter. „Oder wir gehen irgendwo ein Eis essen oder Kuchen oder was weiß ich. Bitte, Sera!“

Ich sah mich nach Marco und Lavinia um, die noch immer aufgeregt diskutierten und sich nur kurz unterbrachen, als sie einen Blick zu mir warfen.

„Ok, dann bis gleich.“, verabschiedete ich ihn und sprang die Treppe hinauf.

„Hey, Sera!“, rief Marco mir nach, aber da Lavinia schon wieder einschritt und ihm irgendwas zuraunte, lief ich einfach weiter in mein Zimmer.

Montag, 3. September 2018 – Nacht

Als ich spät abends wieder heim kam, brannten nur noch in den Zimmern der Angestellten in der unteren Etage vereinzelt Lichter.

Ich betrat die viel zu stille Villa.

Ja, wenn hier einmal Ruhe eingekehrt war, dann konnte man eine Stecknadel fallen hören – und aufschlagen natürlich auch – doch an diesem Abend erschien es mir unnatürlich.

Ungewöhnlich.

Gespenstisch…

Ich schlich mich hinauf in die erste Etage und folgte dem cremefarbenen Läufer den Gang entlang.

Als ich Marcos Zimmer erreichte blieb ich kurz stehen.

Ich hörte ihn leise Brummen.

Keine Ahnung was er tat – Vielleicht Schnarchen? Vielleicht Reden?

Ich haderte einen Moment mit mir.

Letzte Nacht war er in mein Bett gekrochen. Wir hatten uns versöhnt und beschlossen eine Familie zu sein, aber…

Hieß das auch, dass dieses Seite-an-Seite-einschlafen eine einmalige Sache war?

Ich sah zu meiner eigenen Tür.

Der Gedanke an mein großes, leeres, kaltes Bett ließ mich erschaudern.

War es nicht viel schöner mit ihm zusammen?

Ich sah langsam auf seine Klinke und wollte sie gerade hinunterdrücken, als die Tonlage wechselte. Ich zuckte zurück.

Jeder andere hätte wohl geglaubt, dass sein Fernseher an wäre, aber ich erkannte die Stimme: Lavinia war noch immer bei ihm.

Ich sah auf die Uhr. Es war bereits nach elf und morgen hatten wir Schule.

Das war wohl eindeutig.

Sofort schossen mir Bilder in den Kopf, wie er mit der Pinkhaarigen über sein Bett kugelte.

Ja, vielleicht waren wir eine Familie, aber ich würde ihm niemals so nahe sein können, wie Lavinia.

Das Leben war so ungerecht und grausam!

Seit er mich in den Armen hielt konnte ich nur daran denken, dass ich dorthin zurück wollte und Lavinia war diejenige, der dieser Wunsch erfüllt wurde. Warum konnte ich denn nicht mit ihr tauschen?

Konnte sie denn nicht seine Schwester sein und ich seine Freundin?

Was ich mir da vorstellte und wünschte…

Vor einer Woche hätte ich mich eingewiesen für diesen Gedanken und auch jetzt fühlte ich mich furchtbar schlecht.

Er war mein Bruder! Nichts durfte da jemals zwischen uns passieren!

Ich wandte mich von seiner Tür ab und huschte auf leisen Sohlen hinüber zu meiner eigenen Tür – gerade rechtzeitig konnte ich sie hinter mir schließen, als sich die von Marco öffnete.

Ich hielt den Atem an und legte ein Ohr an meine Tür, doch da die beiden zu flüstern begannen, konnte ich auch jetzt nichts verstehen.

Die gute Isolierung unserer Zimmer war wirklich nicht geeignet für eine gepflegte Spionage!

Ich hörte einen Schlüssel klimpern und sie entfernten sich. Vermutlich wollte er sie nach Hause fahren…

Sie war ja so gut dran…

Ich seufzte und stellte meine modrigen Schuhe – die ich an der Tür ausgezogen hatte – in mein Badezimmer. Meine nasse Jacke wanderte über den Rand der Badewanne zum Trocknen, dann schlich ich wieder rüber.

Als ich meine Kleidung auszog und in den dafür vorgesehenen Behälter für unsere Angestellten warf, musste ich an Nahele denken.

Er tat mir so furchtbar leid.

Wir hatten uns zwei Kinokarten gekauft und uns anschließend in die Kinobar gesetzt, um auf den Einlass zu warten. Auf unserem Couchplatz hinten in einer Ecke war er schließlich in Tränen ausgebrochen. Er war ein Häuflein Elend. Nur ein Schatten dessen, wie ich ihn einst kannte… das machte es aber nicht minder traurig.

Stunden lang hielt ich ihn in den Armen und hörte mir Geschichten darüber an, wie nahe sie sich – zumindest in seinen Augen – gekommen waren.

Kleine Gesten und Berührungen, die ihn wahnsinnig gemacht hatten und hoffen ließen, dass sie doch ebenso fühlte wie er, aber es war alles ein Irrtum.

Lavinia war den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend hier.

Bei meinen Bruder.

Ich zog mir eine knappe Hotpants an und drehte mein Top so lange in der Hand, bis ich es gerichtet hatte.

Er war so aufgelöst und verzweifelt, dass wir sogar unseren Film verpassten…

Na ja, egal…

Ich habe gezahlt…

Wie immer…

Ich warf einen letzten Blick auf mein Telefon.

Nicht eine einzige Nachricht.

Ich seufzte und warf einen Blick in meinen Spiegel.

Obwohl wir uns offensichtlich ausgesöhnt haben, habe ich Nahele nicht gestanden wie nahe ich Marco gewesen war.

Und wie sehr ich mich nach ihm sehnte.

War das vielleicht egoistisch gewesen? Immerhin hatte er mir auch alles über sich und Lavinia gebeichtet. Wobei, wenn ich angefangen hätte zu reden, dann hätten wir vielleicht kaum bis keine Zeit mehr für seinen Schmerz gehabt.

Ach, alles scheiße!

Ich öffnete wie immer meine Fenster weit und kletterte in mein Bett. Das stetige Prasseln des Regens auf unsere Veranda war irgendwie entspannend.

Ich drehte mich auf den Rücken und sah an die Decke.

Wenn ich was mich Nahele anfing, vielleicht würde das Lavinia eifersüchtig machen?

Quatsch, was für eine hirnrissige Idee!

Wie er mir fehlte…

„Sera, bist du da?“, verwirrt sah ich zur Tür – ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgegangen war…

Sofort schlug mein Herz Tango.

Marco schlüpfte in mein Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Als er auf mein Bett zukam setzte ich mich auf.

Vorsichtig kniff ich mir in den Oberschenkel, aber es war kein Traum.

Mein Bruder kickte seine Schuhe weg und zog sich sein Shirt über den Kopf. Kurz bevor er mich erreichte sank auch seine Hose zu Boden.

„Celvin Klein“ konnte ich in weißen Lettern auf der dunklen Boxershorts gerade so bei dem wenigen Licht lesen…

Doch eigentlich interessierte mich der Schriftzug gar nicht so sehr.

„Du warst lange weg.“, raunte er mir zu, als er endlich wie selbstverständlich unter meine Bettdecke stieg.

„Na und?“, fragte ich zurück und ließ mich parallel zu ihm wieder auf die Kissen sinken.

Schweigend drehten wir uns einander zu – mein Kopf auf seinem Unterarm, auf dessen Ellenbogen er sich stützte. Abwartend sah er mich an.

„Na ich meine: Lavinia war bis eben doch auch noch hier, oder?“

Er stieß die Luft aus.

„Ich weiß… wir haben… uns etwas verquatscht.“, gestand er und ließ sich auch endlich sinken, bis wir uns auf dem Kissen ansehen konnten. Ein Kribbeln durchfuhr mich, als seine Hand hinter mir sich auf meine bloße Schulter legte und die freie über meine Taille strich.

Vorsichtig rutschte ich etwas näher. Ich hoffte, dass er es nicht bemerkte, doch dann zog er meinen Bauch sogar an seinen.

„Verquatscht? Ernsthaft?“, fragte ich ungläubig und vielsagend.

Er seufzte.

„Ja, ernsthaft. Mehr tun wir nämlich gar nicht.“

Ich zog die Augenbrauen kraus.

„Mehr als reden ist da nicht drin?“, fragte ich verwirrt. „Aber… seid ihr denn nicht… nun ja… ein Paar?“

Er überlegte einen Moment und nickte dann fast.

„Ja… nein… ich weiß es nicht…“, gestand er. „Ich glaube alle halten uns dafür, aber eigentlich verbringen wir einfach nur gerne Zeit miteinander und reden. Wie Geschwister.“, verkündete er und ich grummelte.

Ich wusste nicht, ob ich beleidigt war oder etwas anderes, aber ich wollte mich auf den Rücken drehen, was er verhinderte.

Fest hielten mich mit seinen Finger um meine Hüfte auf. Erschrocken sah ich ihn an.

Sein Gesicht war mir so nahe.

Und… Bewegten sich da etwa seine Finger am Bund meiner Hotpants und unter mein Top auf meinen Bauch?

Für eine Sekunde flatterten mir die Lider hinunter und ich war froh darum, dass er es nicht sehen konnte.

„Mit dir ist es halt anders.“, fügte er noch bei und ich stieß die Luft aus. Wie nur meinte er das?

Sein Arm in meinem Rücken zog sich wieder fester zu und auch seine Hand auf meiner Hüfte strich mir in den Rücken.

„Hör auf zu schmollen.“, forderte er und ja, dann spürte ich es ganz offensiv. Seine Hand fuhr unter den Stoff meines Oberteils meine Wirbelsäule hinauf. Seine Finger waren warum und rau… Doch dann waren sie plötzlich weg und er rückte ein Stück ab.

„Du hast was mit Nahele, stimmt’s?“

„Was?“, entfuhr es mir entsetzt, doch er schien es ernst zu meinen. „Nein! Absolut nicht!“

„Sicher? Ihr geht zusammen zelten, zusammen ins Kino…“

„Ja und? Ich liege gerade mit dir zusammen im Bett und läuft deshalb was bei uns?“

Bingo – genau das tat es… irgendwie.

Noch wie ich das sagte wurde mir klar, dass genau das der Fall war, auf welche Art und Weise auch immer.

„Ich habe nichts mit Nahele.“, schwor ich aus einem Impuls heraus. „Ich bin nur momentan die einzige, die mit ihm was unternehmen kann. Lavinia ist ständig bei dir und Grace und Elli haben auch plötzlich jemanden an der Backe…“

Er nickte verstehend und entspannte sich wieder.

Ich kuschelte mich auf seinen Arm und schloss die Augen.

Dieser Geruch…

Ehe ich etwas dagegen tun konnte strich meine freie Hand über seinen Rippenbogen und seine Taille, auf seine Hüfte hinab.

Vorsichtig rutschte er wieder näher. Seine Finger strichen über meinen Arm und seine zweite Hand ging wieder tiefer. Sanft legte er seine Stirn an meine, bis sich unsere Nasenspitzen berührten.

„Die Polizei hat angerufen.“

„Warum das denn?“, fragte ich verwirrt.

„Wegen Dean.“

„Dean?“

Marco nickte.

„Er hat sich am Wochenende wohl gegenüber einiger Kumpels damit gebrüstet, dass er es war.“

„Was war?“

„Dein Auto.“

Mir wurde eiskalt.

„Was?“

Entsetzt starrte ich mit riesigen Augen dorthin, wo wohl seine Augen waren. Er hob leicht den Kopf und legte die Hand von meiner Hüfte an meine Wange.

„Alles gut, alles gut…“, murmelte er. „Reg dich jetzt nicht auf.“

„Nicht aufregen? Warum tut er sowas?“

„Ich weiß es nicht. Ich schätze mal, dass er es nicht ertragen hat, dass du ihn abserviert hast und in den Pool gestoßen. Und dann noch, dass ich dich unterstützt habe. Das hat er nicht begriffen. Aber alles ist jetzt gut. Die Polizei hat ihn.“, versprach er mir und hielt meinen Kopf im Nacken fest.

Niemals wäre ich auch nur im Traum auf die Idee gekommen, dass Dean mir die Bremsleitung zerschnitt.

„Komm her“, flüsterte er und legte beide Arme wieder um mich, um mich eng an sich gedrückt zu halten.

Ich keuchte noch immer fassungslos. Ich war so überrannt von dieser Erkenntnis, dass ich nicht einmal so realitätsnahe war deswegen zu weinen.

„Ausgerechnet Dean… Ich war mal so verliebt in ihn gewesen…“, flüsterte ich an den Schulter meines Bruders und er atmete tief durch.

„Entschuldige…“, murmelte er und während ich mich in seinen Schulterblättern festkrallte, strichen sein Daumen über meinen Oberarm und meine untere Wirbelsäule.

Nun schniefte ich doch einmal und stieß frustriert die Luft aus.

Abwartend sah er mich an, als ich den Kopf hob und die Stirn wieder an seine legte.

„Ich hasse Kerle.“

Er musste grinsend und das brachte auch mich kurz zu einem Glucksen, als mir die Ironie dieser Erkenntnis bewusst wurde.

„Nie wieder Kerle! Ich gehe ins Kloster!“, verkündete ich.

„Nie wieder? Such doch lieber nach dem Richtigen. Das ist potenziell einfacher.“, schlug er vor und ich prustete los.

„Ausgerechnet du willst mir was von dem richtigen Partner erzählen?“

Wir lachten beide einen Moment.

„Dumm, ich weiß…“, murmelte er.

Einen Moment lagen wir einfach nur schweigend da. Ich zeichnete mit den Fingern kleine Kreise auf seinen Rücken und zog seine Wirbelsäule nach. Motiviert von dieser Abwärtsbewegung spürte ich seine Finger ebenfalls hinabwandern. Sanft, kaum spürbar, passierten sie meine Hose und griff in meinen Oberschenkel.

„Was tust du?“, flüsterte ich mit kurzem Keuchen.

„Keine Ahnung…“, entgegnete er und hob mein Bein auf seine Hüfte, schob dafür seines zwischen meine, bis sein Oberschenkel meine Mitte traf. Regelrecht kalt traf seine Haut auf den Stoff zwischen meinen Beinen und er zog scharf die Luft ein. „Scheiße, bist du heiß…“

Ich lief rot an und musste kichern wegen dieser Aussage.

Ich wusste einfach nicht, was ich dazu sagen sollte. Bei jedem anderen wäre das wohl der Hinweis gewesen ihm zu zeigen wie heiß ich wirklich war, aber nicht bei Marco…

Das er mein Bruder war, war an dieser Stelle egal.

Er verunsicherte mich einfach zu sehr.

Seine Hand glitt wieder hinauf. Kurz wurden sie langsamer, als seine Finger mein Gesäß streiften und ich öffnete den Mund. Diese Berührung war so schön und der Druck gegen mein Geschlecht bewirkte bei dieser Zärtlichkeit, dass sich die Muskeln meiner Scheide schmerzlich zusammenzogen.

Er spürte diese Bewegung wohl, denn plötzlich fuhr sein Arm wieder vollends um mich herum und drückte mich fester an seine Mitte und seinen Oberschenkel. Kurz rieb sich meine empfindlichste Stelle so an seiner harten Beinmuskulatur.

Erschrocken krallte ich mich wieder in seinen Schultern fest. Nur stoßweise kam der Atem über meine Lippen.

„Mein Geburtstag…“, hörte ich ihn schließlich rau murmeln. Reflexartig rieb ich mich wenige Millimeter an ihm. Ich konnte es nicht verhindern, es fühlte sich so schön an und sein Duft berauschte mich…

Schnell krallte sich seine Hand in mein Gesäß.

Ich keuchte leise.

„Nicht, Sera… nicht bewegen…“, flüsterte er leise und ich nickte. Wie sollte ich das bitte aushalten?

„Mein Geburtstag – Hast du was gegen eine Party? Nahele und Lavinia werden wir auch einladen und Grace und Elli dürfen gerne ihren ominösen Anhang mitbringen.“

Ich nickte matt: „Klingt gut…“, flüsterte ich und er spiegelte meine Bewegung.

Ich hörte ein leises, schmatzendes Geräusch, als er sich über die Lippen leckte und auch ich merkte, wie trocken meine geworden waren.

Schnell befeuchtete ich sie und öffnete wieder den Mund.

„Muss ich dich danach dann „Daddy“ nennen?“, flüsterte ich in der Hoffnung, so die Schärfe aus dieser Situation zu nehmen. Wir beide lachten kurz – doch seines war tief und sein Atem strich mir heiß über Schultern und Brust und ließ mich erschaudern.

Dienstag, 4. September 2018 – Vormittags

„Ich kann es ganz ehrlich nicht fassen, dass du heute wieder in der Schule bist.“, raunte mir Grace zu, als Mr Byrd mehrere Stapel Blätter mit Aufgaben durch die Reihen gab. „Dein Vater ist vorgestern gestorben.“

Ich seufzte und schwenkte meinen Cappuccinobecher.

„Na ja, was sollen wir machen?“, fragte ich schließlich und nahm einen Schluck.

„Und wie geht es weiter? Bleibt ihr in der Villa? Müsst ihr ins Wohnheim?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ach, Quatsch, dafür ist Vater zu vermögend. Also gewesen…“

Grace seufzte missmutig und nahm den ersten Stapel Blätter entgegen. Sie nahm sich eines und gab ihn an mich weiter, ehe der nächste Schwung kam. Ich gab ihn dann an Marco.

Irgendwann hatte jeder von uns sechs Blätter und ich verzweifelte beim Anblick der ersten Aufgabe.

Rauch stieg mir aus den Ohren und ich kratze mich am Hinterkopf.

„Man, wie soll ich nur diese Prüfungen schaffen?“

Grace warf mir einen entschuldigenden Blick zu und machte sich über ihre Aufgaben.

Ich stieß die Luft aus und sah mich um. Jeder war bereits vollauf vertieft.

Auch Marco auf meiner anderen Seite stellte ein Integral nach dem anderen auf und zeichnete irgendwelche Dinge in ein dreidimensionales Koordinaten-System…

Was zum Geier taten die da?

Hilflos sah ich wieder zu Grace.

„Du Verräterin nimmst Nachhilfe!“, warf ich ihr an den Kopf und sie lächelte ertappt.

„Wollte er nicht uns beiden Nachhilfe geben?“

Grace zuckte die Schultern.

„Bei dir kam immer was dazwischen… Du hast geschwänzt, dann hattest du den Unfall und warst krank…“, begann sie aufzuzählen und grinste. „Und außerdem willst du doch gar keine Nachhilfe nehmen, oder?“

Ich seufzte ergeben.

„Erwischt“, kicherte sie.

„Das heißt, dass Mr Byrd mich aufgegeben hat, ja?“, fragte ich. Normal wäre mir das wohl egal gewesen, aber so cool ich mich auch vor Grace gab, stellte ich mir doch die Frage: Was sollte nun mit uns werden?

Wir hatten immer von Vaters Geld gelebt. Sicher würden seine Millionen auch noch eine Zeit lang reichen, aber konnte ich mich ein Leben lang auf meinem Erbe ausruhen?

Erneut sah ich auf mein Blatt.

Was dort stand war doch alles nur Kauderwelsch…

Was sollte ich tun?

„Weiß einer von euch, was mit Dean ist?“, fragte da Mr Byrd in die Runde und ich sah auf. Wie die meisten in der Klasse sah ich automatisch zu seinem Platz am Fenster – vorbei an Marco, der ungerührt weiter die Aufgaben löste.

„Keiner? Hm…“, unser Lehrer ging weiter seine Liste durch und ich beobachtete kurz meinen Bruder, doch der verzog keine Miene, überflog noch einmal Vorder- und Rückseite des ersten Blattes und machte sich dann über das Zweite her.

Warum waren hier alle so klug und ich so dumm?

Ich seufzte und sah wieder zu Grace. Ich wusste nicht, ob sie es richtig machte, aber ich beugte mich zu ihr rüber und sah ihr über die Schulter.

„Hey, kannst du mir das erklären?“, fragte ich, aber sie lächelte nur entschuldigend: „Sorry… Wirklich verstanden habe ich es ehrlich gesagt auch nicht. Ich mach einfach irgendwie und nachher rechnet Mr Byrd das eh noch einmal mit mir durch.“

Ich seufzte.

Es störte mich wirklich, dass unser Lehrer ihr half und mich dabei vergessen hatte.

Warum?

Nur weil ich reich war und er vielleicht der Meinung war, dass ich deshalb diese Bildung nicht brauchte?

Es war zum verrückt werden.

Ich stieß die Luft aus und sah auf mein Blatt hinab.

Was bedeutete bitte dieses Zeichen?

Und wofür standen diese ganzen Variablen?

Ich stellte beide Ellenbogen auf den Tisch und strich mir die Haare zurück.

Hilfe…

Hilfe!

HILFE!

Etwas stupste mich unter dem Tisch an und ich sah verwirrt zwischen meine Knie.

Nichts.

Komisch.

Ein weiteres Stupsen, als ich wieder auf mein Blatt sehen wollte und ich erkannte, dass es das Knie meines Bruders war. Er stieß seitlich gegen meines.

Verwirrt sah ich auf.

Da hing er – amüsiert grinsend über seine Hälfte vom Tisch gelehnt, den Kopf lässig auf einer Hand aufgestützt und spielte mit seinem Stift.

„Alles klar, Sera? Läuft ‘s gut?“, seine Lippen kräuselten sich spöttisch und ich rollte mit den Augen.

„Du änderst dich wohl doch nie, oder?“, knurrte ich ihn an und pustete mir beleidigt eine Strähne aus dem Gesicht, was ihn zum Lachen brachte.

Er richtete sich auf und zog meinen Stuhl – mit mir darauf – zu sich heran, was ihn nicht nur von mir einen überraschten Blick einbrachte.

„Lass uns das zusammen lösen.“, schlug er vor und legte einen Arm hinter mir auf meine Lehne.

„Ok?“, bestätigte ich und zog mein noch leeres Blatt näher.

Als ich ein Kichern hörte schielte ich rüber zu meiner Freundin, doch die sperrte gerade ihre Telefon versteckt hinter der Federtasche.

„Alles klar?“, fragte mein Bruder leise dicht an mein Ohr und ich nickte.

„Müde, obwohl ich eigentlich ganz gut schlafen konnte… dank dir.“, gestand ich und er lächelte.

„Geht mir genauso.“, versicherte er mir und nahm seine Wasserflasche, schraubte sie mit einer Hand auf und nahm einen Schluck.

Dann versuchte er mir die hohe Kunst des Integrals nahe zu bringen…

Wie ich Mathematik doch hasste…

Das produktivste in dieser Stunde war wohl, dass ich den dicken Bleistiftstrich zwischen Marco und mir wegradierte – dass das noch kein anderer Schüler gemacht hatte, der hier saß, wunderte mich allerdings.

Als Grace zum gefühlt einhundertsten Mal kicherte und eindeutig rote Ohren bekam, während sie eine Nachricht in ihr Telefon tippte, sahen mein Bruder und ich uns an.

„Was hat die für ein Problem?“, raunte er mir zu und ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, aber ich glaube sie hat einen neuen Freund. Zumindest hat sie mir und Nahele am Wochenende abgesagt, weil sie eine Verabredung hatte.“

Marco nickte verstehend und beobachtete Grace noch einen Moment, dann sah er zu Mr Byrd.

„Die sollte aufpassen, das entgeht ihm sicher nicht, dass sie hier am Handy sitzt anstatt die Aufgaben zu lösen.“

Ich nickte nur und mein Blick fiel an ihm vorbei auf den leeren Platz von Dean.

Nach allem was mit ihm war, sollte er mir nun eigentlich egal sein – doch, verdammt, ich hatte ihn einmal geliebt…

Glaubte ich zumindest.

Auf jeden Fall hatte ich mal sehr viel für ihn empfunden.

Ein Daumen strich mir über den Oberarm.

„Hey, hörst du mir zu?“

Verwirrt sah ich auf meinen Bruder hinab, der sich halb um mich geschlungen über unseren Tisch gelehnt hatte und herzhaft gähnte. Ich lächelte.

„Soll ich dir ein Kissen organisieren?“

„Bitte“, er grinste frech. „Also, weiter…“

Er sah wieder auf unsere Aufgaben hinab, und mühte sich damit ab mich durch die Aufgaben zu lotsen.

Doch schon bald klingelte es zum Stundenende.

Mr Byrd sah von seinem Schreibtisch auf und in die Runde: „Wer seine Arbeitsblätter heute noch nicht fertig hat, der beendet sie zuhause. In der kommenden Stunde werde ich einzelne Schüler nach vorn bitten, damit sie sie an der Tafel für alle auf Note erklären.“

„Na wunderbar.“, jammerte ich und ließ die Unterlagen innerlich weinend in meiner Tasche verschwinden.

„Na komm, das machen wir einfach nachher zusammen Zuhause und dann kannst du das bis Morgen.“, versprach Marco, stand aber ebenso lustlos auf wie ich. „Auf zur nächsten Stunde.“, grummelnd griff er sich unsere Bücher – ehe ich mein eigenes vom Tisch auflesen konnte.

Komisch.

Was hatte das zu bedeuten?

Ich konnte meine Sachen doch sonst auch immer alleine tragen – auch wenn unsere Spinde beinahe nebeneinander lagen…

Hatte er vor mich jetzt den Rest des Tages zu begleiten?

Oder… Vielleicht wollte er auch nur den neuen Frieden nutzen, um mehr Zeit mit Lavinia zu verbringen und damit es nicht gleich wieder eskalierte schleimte er sich bei mir ein?

Was auch immer die Lösung des Rätsels war: Innerlich musste ich grinsen.

So brav hatte ich ihn tatsächlich noch nie erlebt.

Ich hing mir meine Tasche über die Schulter und wollte mich eben nach Grace umsehen, als noch einmal Mr Byrd die Stimme erhob.

„Grace, könnte ich dich noch einen Moment sprechen?“

„Oh, oh“, machte ich alarmiert und sah zu meiner Freundin, die mich entsetzt ansah. „Der hat bestimmt mitbekommen, dass du die ganze Zeit an deinem Handy warst!“, raunte ich ihr zu.

Sie nickte ertappt und sah mir nach, wie Marco mich hinaus schob.

Regelrecht unheilvoll schloss Mr Byrd die Tür hinter uns…

„Oh weia… bloß schnell weg hier!“, raunte ich Marco zu und wir folgten – ohnehin notgedrungen – dem Strom der vorbeirauschenden Schüler.

Es war irgendwie irritierend…

Marco an meiner Seite…

Wir erreichten unsere Schließfächer, wo bereits die anderen drei warteten. Unsere Bücher waren schnell getauscht mit denen für das nächste Fach und selbst danach war mein Bruder noch an unserer Seite – sehr zu Naheles Leidwesen.

Heimlich beobachtete ich meinen Freund, als Marco ihn und Elli kurz mit einem Nicken grüßte und dann Wangenküsschen mit einer positiv erstaunten Lavinia tauschte.

„Ihr beide zusammen und kein Streit? Wow!“, rief sie aus und lächelte zu Marco hinauf, der ihr einen Arm um die Schultern legte.

Was für ein Anblick.

Augenblicklich kam mir die Galle hoch.

Nicht weil ich es ihr nicht gönnte oder weil er ein Arschloch war, vor dem es sie zu beschützen galt.

Nein ich… war eifersüchtig!

„Wir dachten, dass wir mal was Neues ausprobieren. Wir beleidigen uns jetzt nur noch telepathisch.“, meinte Marco amüsiert und auch Elli stimmte in Vinis Lachen ein.

Und wie ich eifersüchtig war!

Endlich hatten wir uns versöhnt. Wir konnten uns unterhalten ohne ununterbrochen miteinander zu streiten. Mehr noch: Er hatte die gesamte Nacht neben mir geschlafen – oder eher mit mir im Arm.

Es war so schön gewesen. So echt und so richtig.

Und nun hielten sie mir vor Augen, dass er nicht mir gehörte.

Nicht mir gehören konnte, weil er mein Bruder war.

Ich musste ihn mit einer anderen teilen, die ihm viel mehr bieten konnte als ich.

Was für Gedanken! Es war absolut falsch auch nur ansatzweise in diese Richtung zu denken, doch in diesem Moment war unsere Situation furchtbar unbefriedigend für mich.

Ich wollte von ihm in den Arm genommen werden. Ich wollte, dass er sich nur mit mir unterhielt und wir noch mehr Zeit miteinander verbrachten.

Allein.

Unter einer Decke.

Eng aneinander gekuschelt und uns gegenseitig Trost und Wärme und Liebe spendend.

Endlich hatte ich jemanden gefunden mit dem ich eine Familie sein konnte und dann musste ich diesen jemand auch noch teilen.

Mein Blick wanderte zu Nahele, der sich gerade mehr als angewidert von den beiden abwandte und die Treppen zur nächsten Stunde einschlug.

„Wo ist eigentlich Grace?“, fragte er mich, als ich mich an seine Seite gesellte, um das Pärchen in unserem Rücken nicht mehr ertragen zu müssen.

Mein Marco…

„Wurde von Mr Byrd zurückgehalten. Hat im Unterricht die ganze Zeit mit ihrem Telefon gespielt.“, erklärte ich ihm und er schlug sich eine Hand an die Stirn.

„Die schafft es echt immer wieder sich in die Scheiße zu reiten.“

Ich nickte dazu und wir betraten das Klassenzimmer…

Grace kam etwas später dazu.

Mir fiel sofort auf, dass ihre Frisur etwas durcheinandergeraten war, aber ansonsten schien alles normal…

Dienstag, 4. September 2018 - Nachmittag

„Das ist mal wieder typisch Elli.“, verkündete Grace, als wir nur zu dritt – mit Lavinia – aus der Mädchenumkleide traten. Die beiden wickelten sich ihre Handtücher um die Hüfte – ich durfte noch keinen Sport mitmachen wegen meines Autounfalls – und wir schlugen den Weg in Richtung Pool ein.

„Ständig schwänzt sie den Schwimmunterricht!“

Ich lachte: „Falsch, sie schwänzt Sport im allgemeinen.“

Grace stimmte mir missmutig zu und Lavinia kicherte.

„Weißt du denn nicht warum?“

„Doch, klar.“, meinte Grace.

„Ist kein großes Geheimnis, dass Elli sich für ihre Maße schämt. Und sie will halt nicht vor dem ganzen Jahrgang als Versagerin dastehen, nur weil sie in Sport eine Niete ist.“, erklärte ich unserer Pinken und die nickte verstehend.

„Ach so… hm, kann ich irgendwie verstehen.“

„Ist dir noch nie aufgefallen, dass Elli Sport konsequent schwänzt?“, fragte ich sie verwirrt.

„Na ja… also… nein, irgendwie nicht.“, gab sie lachend zu und ich stimmte ein.

„Aber eigentlich muss sie sich wirklich keine Sorgen machen, dass sie ausgelacht werden würde. Wenn sich das jemand trauen würde, dann wüsste ich da jemanden, der direkt an die Decke geht.“, Grace kicherte und Lavinia und ich sahen uns nachdenklich an.

„Du?“, fragte Vini dann gerade heraus.

„Ok, ja, auch, aber wenn es danach geht dann wüsste ich fünf Leute – sechs, falls Marco tatsächlich so freundlich ist, wie er sich gibt.“

Ich ließ mich auf die unterste Bank der Ränge fallen und sah angestrengt auf meine Fußspitzen.

Marco – er war ein Thema für sich.

In den ganzen Tag mit Lavinia zu sehen war grausam… Und je länger ich nachdachte und unsere vergangene Nacht Revue passieren ließ, desto mehr stellte ich mir die Frage: War da nicht etwas zwischen uns vorgefallen?

Oder bildete ich es mir nur ein, weil ich es mir wünschte?

Wie er mich berührte und streichelte…

Vielleicht lag das alles nur an Lavinia? Konnte das sein? Wollte er sich nur wegen ihr mit mir gut stellen?

„Ja, schon klar, aber ich meine dich ganz besonders.“, sprach Lavinia weiter ohne die von Grace genannte Anzahl an Personen durchzugehen.

Ich dagegen überlegt: Nahele, Lavinia, Grace, ich – vielleicht noch Marco – aber wer war der letzte?

„Wieso denn ich ganz besonders?“, fragte die Blonde verwirrt und legte neben mir fein säuberlich gefaltet das Handtuch auf die Bank.

„Sera und Hele haben am Wochenende die Theorie aufgestellt, dass du und Elli etwas miteinander haben!“, fiel Vini sofort mit der Kirche ins Dorf und ich sah sie überrascht an.

Nahele hatte ihr das also erzählt?

Na klar, was war ich auch so doof.

Ich sah zu Grace, der gerade die Gesichtszüge entglitten.

„Bitte was? Nein! Ganz und gar nicht!“, wehrte sie sofort ab und sah zu mir. „Wie kommt ihr denn auf diesen Müll?“

„Na ihr beide seid in letzter Zeit ständig verhindert und habt Geheimnisse vor uns…“, rechtfertigte ich mich.

„Und da denkst du direkt, dass Elli und ich ein Paar sind? Boa, Serena!“, fluchte sie. „Nein! Natürlich nicht! Auf keinen Fall! Wir haben beide einfach nur jemanden kennen gelernt. Also nicht die gleiche Person. Zwei unterschiedliche natürlich.“

Lavinia und ich sahen uns an, dann grinsten wir.

„Und?“, fragte sie langgezogen.

„Wer sind sie?“, forderte ich weiter auf, aber Grace schüttelte den Kopf und machte ein gespielt beleidigtes Geräusch.

„Vergesst es! Euch sage ich gar nichts mehr!“, flötete sie.

„Sera, sie will es uns nicht sagen!“, schmollte Vini offensichtlich.

„Ich weiß… Strafe?“, fragte ich und hob beide Hände. Grinsend wackelte ich mit den Fingern. Lavinia grinste und mit einem Satz hatten wir uns beide um die kreischende Grace gewickelt, um sie abzukitzeln.

„Gestehe!“, rief Lavinia kichernd, aber Grace schrie nur um Hilfe.

Dass wir bereits dumme Blicke kassierten war egal.

„Lavinia, Grace, wenn ihr nicht sofort im Wasser seid, schicke ich euch zum Nachsitzen!“, brüllte die tiefe Stimme von Coach Graham zu uns herüber. „Serena, wenn du so fit bist, dass du Unsinn treiben kannst, dann kannst du auch Schwimmen!“

„Entschuldigung, Coach Graham“, riefen wir drei im Einklang rüber. Kurz glitten meine Blicke über die anderen unseres Kurses, die sich kichernd hinter ihren Händen versteckten.

Grace strich Lavinia aufmunternd über den Rücken, damit sie sich das Gelächter nicht so zu Herzen nahm.

„Sera, dein Telefon klingelt.“, bemerkte die Pinke da und wies auf das Gerät, das neben ihrem über die Bank vibrierte.

Elli rief an – das zeigte mir ihr Foto, auf dem sie in die Kamera zwinkerte und ihre Lippen zu einem dicken Kuss spitzte.

„Oh, was die wohl will…“, überlegte ich und nahm schon an, als die anderen beiden umständlich aus ihren Badelatschen stiegen – sie ließen sich besonders viel Zeit um mitzuhören.

„Hi Süße, du weißt, dass wir Unterricht haben, oder?“, fragte ich grinsend.

„Ja, sorry… mir ist nicht wirklich gut heute… Kannst du Grace mal kurz zu mir schicken?“

Ich hob eine Augenbraue.

„Wo bist du?“ – unsere anderen beiden Freundinnen sahen neugierig auf.

„Hier hinten am Tor zu den Umkleidekabinen.“

Ich sah auf, die Mädels folgten meinem Blick.

Tatsächlich, hinter dem hohen Blickschutz versteck, lugte Elli hervor und winkte wild.

„Oh, oh“, machte Lavinia plötzlich alarmiert und wies in Richtung unseres Lehrers.

Mr Graham hatte uns wohl beobachtet, weil die beiden noch immer nicht im Wasser waren und ich nun auch noch telefonierte und so bemerkt, dass wir plötzlich alle drei zu dem Tor sahen, als wollten wir flüchten.

Natürlich war er nun dorthin unterwegs.

„Oh Shit! Elli! Verschwinde! Mr Graham ist…“, zu spät. Er hatte die Tür erreicht und Elli entdeckt.

Mit riesigen erschrockenen Augen sah unsere Freundin zu ihm auf.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

„Auweia… Das gibt Ärger!“, verkündete ich und Lavinia nickte zustimmend. Auch Grace machte ein alarmiertes Gesicht.

„Beim Schwänzen erwischt. Na wunderbar. Ob das gut geht?“

Alle drei schüttelten wir den Kopf.

„Kommt! Lasst uns aufpassen, dass er ihr nicht den Kopf abreißt!“, bat ich die beiden und lief schon vor.

„Hey!“, tönte es vom Wasser her und Nahele stemmte sich aus dem Becken. Er hielt uns auf. „Wollt ihr unbedingt nachsitzen? Heute ist Dienstag! Kein Training! Heißt wir könnten hier nach endlich mal wieder was zusammen unternehmen!“

„Erst Elli!“, entschied Lavinia und wir huschten weiter.

„Hä? Wie jetzt? Was ist mit Elli?“, verwirrt folgte er uns und raus aus dem Badebereich.

„Psst“, zischelte Grace ihm zu und wir sahen uns um.

Es raschelte zu unserer linken, wo zwischen der Hecke hinter den Rängen vom Pool und der Wand der Sporthalle ein schmaler Plattenweg entlang führte.

„Bleib jetzt hier!“, hörten wir gedämpft die tiefe Stimme unseres Lehrers.

Sofort huschte Grace hinterher und versuchte durch das Grün zu spähen, hielt uns andere aber auf, ehe wir zu weit in den Weg hineingelaufen wären.

Diese Szene erinnerte mich daran, was ich vor einigen Wochen im Flur beobachten konnte.

Unsere Freundin stand mit dem Rücken zur Wand, die Arme vor der Brust verschränkte und den Kopf abgewandt, während Mr Graham versuchte auf sie einzureden.

Vergebens.

Sie erwiderte etwas in einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung.

Ergeben rollte er mit den Augen und folgte der Geste mit dem ganzen Kopf, dann stützte er eine Hand an der Fassade hinter ihr ab.

Wesentlich ruhiger und mit leichten Gesten versuchte er das, was er sagte, zu untermauern – doch Elli schüttelte nur den Kopf und wandte den Blick wieder ab.

Irgendwie war der Anblick drollig – er groß und bullig (eben der Footballcoach und selbst ehemaliger Footballer) und sie klein und süß.

Nur was hatten die beiden ständig –genau genommen nun zum zweiten Mal – zu bereden?

Er versuchte ihren Blick zu fangen, aber sie senkte den Kopf.

„Oh mein Gott!“, hauchte Vini, als er eine Hand hob und ihr Gesicht sanft mit einem Finger an ihrem Kinn zu sich drehte.

„Küssen die sich gleich, oder was?“, raunte Nahele. „Das kann doch nicht sein!“

„Weg hier! Weg!“, Grace fuhr plötzlich herum und schob uns alle weiter. „Schnell wieder zum Pool! Er kommt!“

Ich musste gestehen, dass er gar nicht den Eindruck gemacht hatte, aber ich war zu perplex um etwas dazu zu sagen.

Außerdem hätte es wirklich Ärger gegeben, wenn er uns beim Spionieren ertappt hätte.

Wir eilten zurück zum Rest des Kurses, wo Nahele und meine Freundinnen direkt in den Pool stiegen und so taten als wäre nichts.

Ich eilte hinüber zu den Handtüchern und den Telefonen und setzte mich auf die Bank.

Im selben Moment wo ich wieder aufsah, betrat Coach Graham das Schwimmgelände. Sein Blick war auf den Boden geheftet, als verfolge er einer Spur – und das tat er tatsächlich! Er folgte den nassen Spuren, die Nahele hinterlassen hatte, bis zum Poolrand, wo er sich ins Wasser hatte gleiten lassen.

Angespannt sah er auf und prüfend in das Gesicht von jedem seiner Schüler, doch niemand schien verdächtig.

Selbst Nahele, Grace und Lavinia schwammen ihre Züge und unterhielten sich vollkommen unauffällig.

Coach Graham sah auf und begegnete meinem Blick.

Sofort zählte er eins und eins zusammen – ich konnte es ihm ansehen, als sein Blick sich verfinsterte.

Ob Elli wirklich etwas mit unserem Sportlehrer hatte?

Das konnte doch nicht wahr sein!

Oder doch?

Er kam auf mich zu und ich überlegte krampfhaft wie ich so tun könnte, als wäre nichts, aber mit dem Handy durfte ich ja auch nicht spielen, selbst wenn ich zum Nichtstun am Rande des Pools verdammt war.

„Serena, wenn du nicht mitmachen kannst, dann kannst du mir zumindest helfen.“, bat er herrisch – in seiner Stimme ließ er sich nichts anmerken und winkte mir ihm zu folgen.

Hektisch stand ich auf und folgte seinen langen Schritten. Am Kopfende der Bahnen hob er eine Startklappe vom Boden auf und reichte sie mir.

„Wir werden eine Leistungskontrolle Brustschwimmen machen. Ich stelle mich dort hinten hin und wenn ich einen Arm hebe, dann machst du „Auf-die-Plätze-Fertig-Los“ und bei „los“ schlägst du die Klappe.“

Erleichtert stieß ich die Luft aus und nickte.

„Gut. Und Serena?“

„Coach?“

„Gruß an deine Freunde: Ich habe Elli zur Schulkrankenschwester geschickt. Ihr geht es nicht gut. Ihr könnt sie dort sicher nachher abholen.“

Ich nickte: „Alles klar, danke, Coach.“

„Spionieren ist nicht nötig.“, damit ging er, ohne den Zwischenfall weiter zu kommentieren.

Ich sah ihm nach.

Verdammt, da lief doch etwas! Ich war mir absolut sicher! Ellis heimliche Beziehung war Mr Graham…

Und mit wem traf sich dann Grace in unserer Abwesenheit?

Mittwoch, 5. September 2018

Leider gab es an meinem – beziehungsweise unserem – Plan Elli bezüglich Coach Graham zur Rede zu stellen zwei gewaltige Haken.

Erstens erzählte uns die Schulkrankenschwester zum Schulschluss, dass sie Elli bereits in die Stadt geschickt hatte zu einem Arzt und zweitens war sie anschließend für den Rest der Woche krankgeschrieben.

Am Ende hatte sich keiner von uns mehr getraut ihr diese eine wichtige Frage über WhatsApp zu stellen. Zu absurd schien uns im Nachhinein auch nur die Vermutung.

Wir konnten uns nicht vorstellen, dass zwischen ihr und diesem Mann wirklich eine romantische Beziehung herrschte. Er war ein knallharter Trainer und Lehrer und sie war – zumindest was seinen Unterricht anging – nicht unbedingt ein glanzvolles Beispiel von einem braven Mädchen. In Englisch war sie zwar sehr gut, aber Sport schwänzte sie dafür kontinuierlich. Auch erschien sie uns viel zu weich für einen Mann, der sein Team auf dem Platz anpackte wie ein Drillsergeant.

Nein, unmöglich.

Sie war viel zu schüchtern für ihn und er war so direkt, er hätte sicher nicht den Nerv für eine Partnerin wie sie.

Doch das alles war nichts im Vergleich zu der Tatsache, dass es verboten war! Elli war eine Schülerin – wenn auch bereits 18 – und er ihr Lehrer.

Wie hieß das noch gleich?

Verführung Schutzbefohlener?

Auf jeden Fall hätte ihn das seinen Job gekostet und das hätte wohl keiner von beiden riskiert, da waren wir uns sicher.

Wir beließen es also dabei und sammelten artig für sie Unterrichtsmaterial, die Grace nach dem Unterricht mit ins Wohnheim nahm – wenn Elli auch bereits geschrieben hatte, dass sie gar nicht zuhause war.

Auf die Frage, wo denn dann, reagierte sie jedoch nicht…

Warum hatten wir alle so viele Geheimnisse voreinander?

Selbst ich fühlte mich schlecht, als ich tief in Gedanken versunken auf der Rückbank der Limousine nach Hause fuhr und die Nachbarschaft beobachtete.

Keiner meiner Freunde ahnte, was ich für Marco fühlte…

Fühlte ich denn etwas?

Ja! Absolut! Vergangene Nacht hatte er nicht bei mir geschlafen. Ich weiß nicht wieso und ich wollte auch nicht fragen.

Ich traute mich nicht.

Aus irgendeinem törichten Grund hatte ich Angst vor der Antwort.

Ich war mir sicher, dass das letzte Mal zu weit gegangen war. Ich wusste, dass ich feucht wurde, als sich sein Bein gegen meine Mitte drückte.

Seine Hand, die über meine Taille und meine Hüfte und meinen Oberschenkel gewandert war…

Ging es ihm denn nicht genauso? Auch er hatte sehr flach geatmet.

Ein paar Mal rieben unsere Nasen leicht aneinander…

Verdammt, wir waren doch Geschwister! Soweit durfte es einfach nicht kommen.

Nur wie sollte ich diese Wünsche und Gedanken abschalten?

Marco war immer bei mir – jeden Tag zu jeder Stunde – erst in der Schule, dann Zuhause…

Ich musste einfach mit jemandem darüber reden, nur mit wem?

Elli zu erreichen war aktuell ein Kunststück, Grace hatte nie Zeit und Lavinia war Marcos Freundin – oder auch nicht? Wer wusste schon so genau, welchen Beziehungsstatus die beiden tatsächlich hatten?

Sie hingen nach wie vor wie Kletten aneinander und auch wenn Marco gesagt hatte, dass sie mehr wie Geschwister waren: Es sah einfach nicht danach aus!

Und außerdem: Ich war doch seine Schwester…

Hieß das jetzt, dass er mit ihr das Gleiche machte wie mit mir, oder was?

Ich war so verwirrt.

Ich wünschte ich könnte mich jemandem anvertrauen, der mir vielleicht half das alles zu ordnen, aber nicht nur meine Freundinnen, auch Nahele fiel flach.

Wenn er hörte, dass ich bei Marcos Berührungen nur an Sex denken konnte, dann wäre er wohl ausgerastet und hätte meinen Bruder dafür zur Sau gemacht.

Immerhin glaubte er wie alle anderen auch, dass Marco und Lavinia zusammen waren. Das nebeneinander einschlafen und schmusen von uns beiden, käme damit doch einer Affäre und Betrug gleich, oder?

Zumindest sicher bei Nahele, der ohnehin schon rasend eifersüchtig war und Marco am liebsten zu Kleinholz verarbeitet hätte.

Keine gute Idee also…

Was sollte ich nur machen?

Ich war so furchtbar verwirrt, dass ich in der Eingangshalle nicht einmal von Nana Notiz genommen hatte, die mit einer wunderschönen, dunkelhaarigen Businessfrau im dunkelroten Kostüm plauderte.

In Gedanken versunken erklomm ich die ersten Stufen, als sie mich aufhielt.

„Serena?“

Verwirrt sah ich mich um.

„Nana, entschuldige, ich bin schon ganz woanders.“

Sie lächelte.

„Ja, Liebes, ich weiß. Darf ich dir Miss Florentin vorstellen?“, sie wies auf die gestriegelte Frau neben ihr, die ihr ehrliches Lächeln gerade durch eine aufgesetzte Maske ersetzte.

„Aha…“, machte ich und betrachtete sie einmal genauer von oben bis unten. „Sehr angenehm.“

Ich reichte ihr eine Hand, die sie artig annahm.

„Miss Florentin ist…“

„Ich bin Marcos Mutter.“

Boom – die Bombe war eingeschlagen.

Ich riss überrascht Mund und Augen auf.

„Wirklich? Wow!“, brachte ich überrascht hervor und sah zwischen ihr und Nana hin und her. Plötzlich war ich hell wach und konzentriert. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Information anfangen sollte. Oder wie die Frau überhaupt zu behandeln war.

Sie war immerhin Dads Ehefrau gewesen und die Mutter meines Halbbruders…

Und ich war der Grund, warum sie sich hatte scheiden lassen und ging, ohne ihren Sohn in beinahe 18 Jahren auch nur eines Blickes zu würdigen…

Nana wurde aufgrund dieser Offenbarung sichtlich nervös und knetete ihre Hände.

„Ja… also… nun…“

„Kommt mein Sohn nicht nach Hause?“, fragte Miss Florentin mich weiterhin zuckersüß und absolut höflich.

„Doch, doch!“, versicherte ich ihr. „Heute ist Mittwoch. Er hat montags, mittwochs und freitags Footballtraining.“

Sie nickte verstehend und sah plötzlich voller Wärme im Blick zu Nana.

„Ach ja, das hab ich mir gedacht. Er war bereits als Baby sehr kräftig.“, erklärte sie unserer Haushälterin und die lachte ausgelassen. „Ja, da haben sie absolut recht.“

„Quaterback?“, fragte die Mutter weiterhin stolz.

„Center“, korrigierte ich und es lag fast etwas Enttäuschung im Blick der Frau, doch dann lächelte sie mich wieder – falsch – an.

„Und du, Liebes? Verbringst du den ganzen Nachmittag hier?“

Ratlos was ich antworten sollte sah ich zu Nana rüber, die sofort eingriff: „Serena hatte vor zwei Wochen einen schweren Autounfall.“

„Ah ja, ich verstehe… na ja, so schwer kann er ja nicht gewesen sein, wenn du nicht im Krankenhaus liegst. Nicht wahr, Selina?“

Ich klimperte ein paar Mal mit den Augen und sah wieder zu Nana.

Ich habe keine Ahnung wieso – Vorsicht, Sarkasmus – aber die Frau wurde mir langsam unsympathisch.

„Mein Name ist Serena Matthews.“, ich drehte mich ihr zu und sah sie fest an. Wie sich Nanas Nackenhaare aufstellten konnte ich förmlich sehen. „Miss Matthews für Sie, Miss Florentin.“

Sie lächelte.

„Natürlich, bitte entschuldigen Sie, Miss Matthews.“

Da, schon wieder, dieser Ton, das war doch eindeutig Häme, oder bildete ich mir das nur ein?

Ich sah wieder zu Nana, die unwohl zwischen uns beiden hin und her sah und schließlich für Marcos Mutter meine Frage beantwortete: „Miss Florentin hat vom Tod eures Vaters gehört.“

Ach du heilige…

Die Frau nickte voller Mitleid.

„Es tut mir so leid, Sere… Miss Matthews.“, sagte sie und plötzlich klang es tatsächlich, als würde sie es auch so meinen…

„Ich bin selbstverständlich hier, um meinem Sohn in dieser schwierigen Zeit beizustehen und ihn zu unterstützen so gut es geht.“

Humbug!

Hexe!

In mir keimte ein böser Verdacht auf: Sie war nichts als eine Goldgräberin.

Sie musste wissen, dass ihr Exmann einige Millionen schwer war und wenn sie noch immer mit ihm verheiratet gewesen wäre, dann stünde das gesamte Erbe vermutlich in erster Linie ihr zu.

Aber nein, so gemein wollte ich nicht sein…

Ja, sie hatte sich Jahre lang nicht blicken lassen, aber musste das heißen, dass sie einen anderen Wunsch hegte, als ihren Sohn zu unterstützen, wenn sie nun zurück kam?

Dass sie mir so abwertend begegnete, das hätte ich nicht anders erwartet. Ich war für sie das Resultat einer Affäre ihres Mannes. Das könnte ich sicher auch nicht so einfach vergessen.

Ich nickte daher lediglich: „Das ist schön. Er wird sich sicher freuen.“, gestand ich und Nana lächelte endlich wieder.

Die Frau tat es ja ohnehin…

„Marco hat immer sehr großen Hunger, wenn er vom Training heim kommt. Ich werde der Küche anweisen etwas ganz besonders zu kochen. Hast du einen Wunsch, Serena?“, fragte Nana mich.

„Also…“

„Ich würde vorschlagen, dass wir etwas essen, das mein Sohn gerne isst. Immerhin hat er ein schweres Training hinter sich und das so kurz nach dem Tod seines Vaters. Danke, Miss Jacobs.“

Entsetzt sah Nana die Frau an.

Das war doch tatsächlich eine Arbeitsanweisung?

Nana war sichtlich verwirrt.

Natürlich wusste sie, dass Miss Florentin in diesem Haus nichts zu sagen hatte, doch sie strahlte eine ungeheure Autorität aus und außerdem war sie einmal ihre Arbeitgeberin gewesen…

„Gut, dann Pommes und Steak mit Knoblauchsoße.“, verkündete ich knochentrocken und beide Frauen sahen mich an – Nana überrascht, Marcos Mutter eher entsetzt.

„Was ist? Haben Sie ein zehn-Gänge-Menü erwartet?“, fragte ich unbeeindruckt und Nana begann zu grinsen.

„Also, wenn ich es mir recht überlege, dann werde ich mit meinem Sohn lieber essen gehen. Danke, Miss Jacobs.“

„Aber nicht doch.“, sagte diese gut gelaunt. „Darf ich Ihnen dafür einen Kaffee anbieten, während sie warten?“

„Sehr gerne. Schwarz und ohne Koffein. Ich warte im Salon.“

Nana nickte und wir sahen ihr hinterher.

„Das war sehr gut, mein Baby!“, flötete mir unsere Haushälterin zu und ich kicherte, als sie mir einen dicken Schmatzer auf die Wange setzte.

„Ich hoffe zu Marco ist sie netter.“, erklärte ich und sie nickte: „Ja, ich auch.“
 

Ich habe keine Ahnung, wie Marco seine Überraschung kurz darauf aufgenommen hatte.

Ich war in mein Zimmer verschwunden, hatte meinen Freunden von der Schreckschraube erzählt – natürlich nicht ohne Lavinia zu sagen, dass sie Marco nicht sagen durfte, er sollte sie selbst kennen lernen – und als ich merkte wie spät es war, rief mich Nana bereits zum Essen hinunter…

Es gab Pommes mit Steak und Knoblauchsoße.

„Falls dein Bruder noch Hunger hat, wenn er wieder kommt.“, hatte Nana lachend erklärt und sich zu mir gesellt.

Um ehrlich zu sein tat mir der Start mit seiner Mutter leid.

Jahre lang hatte er mich für ihr Verschwinden verantwortlich gemacht und nun, wo sie wieder da war, konnte ich mich nicht mit ihr abfinden.

Ich gönnte ihm wirklich, dass er sie wiederfand, sie kennenlernte und eine wunderschöne – längst überflüssige – Mutter-Kind-Beziehung entstand.

Ich ertappte mich bei der Frage, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn meine Mutter plötzlich wieder zurückgekehrt wäre…

Doch soweit ich wusste war die zurück nach Detroit gegangen, als Dad sich von ihr trennte…

Oder war es Cleveland gewesen?

Chicago?

Keine Ahnung…

Ich durchwühlte gerade mein Bücherregal, als sich meine Zimmertür öffnete.

Ich konnte nicht leugnen, dass mein Herz sofort einen Sprung machte.

Nur eine Person in diesem Haus betrat mein Zimmer ohne zu klopfen.

Und wirklich: Als ich rüber sah zum Eingang kam Marco grinsend herein.

„Hey Süße“, grüßte er und kam direkt zu mir.

„Wieder da?“, ich wusste nicht was ich sonst sagen sollte, wenn es auch total überflüssig war.

Das dachte wohl auch er, denn er grinste noch breiter.

„Hier guck“, er zauberte eine Schachtel hinter dem Rücken hervor.

Dunkin Donuts.

„Donuts!“, freute ich mich sofort und öffnete sie. Zwei leckere Schokokringel lächelten mir entgegen.

„Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich gerne zwei zum Nachtisch hätte.“, erklärte er. „Fand sie – glaube ich – nicht so toll – du hättest dieses Restaurant sehen sollen – aber egal. Ich wollte dir was mitbringen, worüber du dich immer freust.“

Ich sah ihn prüfend an.

„Du kennst meine Schokodonutsucht?“

„Natürlich“

Ich nahm meine Leckerei und knabberte sie. Ich musste grinsen. Er wusste etwas von mir, wie schön das war…

„Wie war dein Abend mit deiner Mutter?“, fragte ich ihn und folgte ihm in Richtung meines Bettes.

„Komisch, um ehrlich zu sein.“, gestand er und zog sich sein Shirt aus. Ich setzte mich kauend auf mein Bett und stellte die Schachtel neben mich.

„In wie fern?“, ich biss wieder ab und sah an ihm hinab, als er die Knopfleiste seiner Jeans öffnete.

Er bemerkte es zum Glück nicht, stieß nur die Luft aus.

„Sie hat sich erst eine Weile versucht zu erklären und sich bei mir entschuldigt. Das fand ich gar nicht so schlecht.“, entschied er und nahm die Packung auf, ehe er sich neben mich setzte und den zweiten Ring nahm.

„Klingt doch gut.“, entschied ich.

„Hm“, er lehnte sich zurück und stützte sich auf einen Arm. Ich folgte seiner Bewegung mit dem Blick. Das Spiel seiner Muskeln war einfach atemberaubend.

„Dann fing sie an über die Firma zu reden.“

Ich runzelte die Stirn und sah zu ihm auf. Unsere Blicke begegneten sich. Mist, er musste bemerkt haben, dass ich seinen Bauch und seine Brust musterte – aber wenigstens sagte er nichts dazu.

„Warum über die Firma?“, ich stopfte mir die Reste in den Mund und leckte mir etwas Schokolade von den Fingern.

Bildete ich mir das nur ein, oder wanderten seine Pupillen ein Stück tiefer. Er schluckte seinen Bissen runter und antwortete dann: „Sie will die Geschäftsleitung übernehmen.“

„Bitte was? Das werden die anderen C-Level sicher nicht akzeptieren.“

Er nickte.

„Ich habe ihr gesagt, dass sie sich halt entsprechend bewerben soll.“

„Und?“

„Sie hat gelacht und meinte, dass sie stolz auf mich sei wegen der Antwort, aber sie ginge davon aus, dass ich schon sehen würde, dass sie die Beste wäre.“

„Dass DU das siehst?“, fragte ich irritiert und kam etwas näher. Seine Augen weiteten sich bei jedem Zentimeter, den ich an ihn heran rutschte.

„Ich…“, murmelte er nickend, schnell verschlang er den Rest seines Donuts, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Aber ich habe ihr gesagt, dass ich das nicht entscheide, sondern die zuständigen Personaler in der Firma. Und selbst wenn ich etwas zu sagen hätte in dieser Angelegenheit, dann würde ich die Entscheidung nicht ohne dich treffen.“

Ich nickte und hob die Decke. Wir krochen drunter.

„Lass mich raten: Sie fand meine Erwähnung nicht so berauschend?“

Er antwortete nicht, sondern zog mich auf sich.

Einen Moment genoss ich es. Mein Bein zwischen seinen, mein Bauch an seine Seite gedrückt, sein Arm unter mir, der mich fest an sich drückte.

Ich strich kurz über seine Brust.

Warum konnte ich nur den Blick nicht von seinen Augen wenden?

Und warum hielt er meinem stand?

„Nein, ich glaube nicht.“, gestand er schließlich. „Aber sie hat wohl begriffen, dass es mir ernst war mit dieser Aussage.“

Ich spürte, wie seine beiden Hände über meinen Rücken glitten, als er sich vorsichtig bewegte und sich mir so noch mehr zuwandte.

„Ihr hattet keinen guten Start, oder?“

Ich schwieg als Antwort, sodass er nickte: „Sie würde gerne noch einmal von vorne anfangen.“

Ich hob ungläubig eine Augenbraue und sah ihn nicht gerade überzeugt an.

„Wirklich“, bemerkte ich und er nickte.

„Sie würde gerne bei uns beiden einziehen… und mich besser kennen lernen… Es tut ihr wohl leid, dass sie einfach gegangen ist…“

Ich war hin und her gerissen. Ich glaube ihr nicht, aber ich hoffte für ihn, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.

Nachdenklich beobachtete ich jeden Zug seines Gesichts, bis er mir schließlich ergeben auswich. Ratlos sah er sich in meinem Zimmer um, dann löschte er endlich das Licht auf meinem Nachttisch.

„Bist du mir böse?“, fragte er dann leise in die Dunkelheit.

„Was? Weshalb denn?“

„Ich bin hin und her gerissen. Der Abend war irgendwie… seltsam. Teilweise wirklich beängstigend, aber ich stelle mir dennoch vor wie es wäre, wenn meine Mutter bei uns…“

Ich atmete tief durch.

Was hätte ich sagen sollen? Nein, das Biest kommt mir nicht ins Haus?

Dass sie etwas gegen mich hatte war deutlich gewesen und irgendwo verstand ich natürlich auch wieso.

Aber sie war noch immer seine Mutter und wenn ich ihm sagen würde, dass ich sie auf keinen Fall hier haben wollte, dann war ich diesmal vielleicht wirklich daran Schuld, dass er seine Mutter verlor…

„Wenn du deine Mutter gerne hier haben willst, dann soll sie einziehen…“, murmelte ich ergeben.

„Wirklich?“, fragte er überrascht.

„Ja, die Entscheidung liegt bei dir.“

Eindeutig erleichtert drückte mich fest an sich.

„Danke, Sera…“

Ich nickte ergeben und legte meine Arme um ihn.

„Und warum war der Abend beängstigend?“

„Na ja, sie wusste von Lavinia.“

Ich riss die Augen auf: „Wow! Das ist krass!“

Er nickte.

„Aber vielleicht hat einfach nur Nana geplaudert? Auf jeden Fall will sie sie kennenlernen.“

Ich nickte verstehend.

„Sie ist deine Freundin.“

Dazu schwieg er. Sanft streichelte er mich und drückte und rieb gelegentlich die Wange gegen meinen Kopf.

„Serena?“, flüsterte er irgendwann.

„Marco?“, murmelte ich schon halb schlafend.

„Ich muss dir etwas sagen…“

„Oh Gott, jetzt kommt ‘s…“, grummelte ich und lachte leise. „Was ist denn?“, ich strich über seine Brust und spürte, wie er beinahe zitternd Luft holte.

„Ich weiß, wer der Typ von der Wohnheimparty ist, den du in der Dunkelheit geküsst hast.“

Schlagartig war ich wieder hellwach.

Ich erstarrte, dann fuhr ich plötzlich wie von der Tarantel gestochen hoch.

„Wer?“, fragte ich und war selbst überrascht wie verzweifelt ich klang.

„Marco?“, seine Antwort ließ viel zu lange auf sich warten. Sanft rüttelte ich ihn, doch er hielt mich fest, damit ich aufhörte.

„Ach vergiss es.“, murmelte er dann.

„Marco! Bitte! Sag es mir!“

„Ich rede erstmal selbst mit ihm… Vielleicht irre ich mich ja doch.“

Samstag, 8. September 2018

Nichts.

Die ganze Woche über keinen Ton von Marco, an wen er denn gedacht hatte.

Wen hatte ich denn nun geküsst?

Hatte er mit ihm gesprochen?

Und wenn ja: Wollte er dann vielleicht einfach nichts von mir und war schlicht genauso betrunken gewesen wie ich?

Nein…

Eigentlich hatte er einen ganz leichten alkoholischen Geschmack gehabt. So als hätte er maximal ein Bier getrunken, wenn überhaupt.

Warum also?

Warum sagte Marco mir nichts.

„Das ist komisch.“, entschied Lavinia und planschte mit den Füßen im Pool unserer Villa. „Zu mir hat er auf jeden Fall auch nichts gesagt. Nicht einmal, dass er einen Verdacht hat, wer es war.“, erklärte sie mir und sah entschuldigend zu mir rüber.

Ich seufzte und nickte, dann sahen wir beide hinüber zu Nahele, der ein paar Bahnen schwamm. Hinter uns auf einer der Liegen kicherte Grace unaufhörlich. Wir hatten aufgegeben zu versuchen sie in unser Gespräch einzubinden.

Mit wem auch immer sie schrieb, sie war so versunken, dass sie uns gar nicht mehr wahrnahm.

„Fragen wir ihn einfach, wenn er wieder raus kommt.“, entschied Elli und beugte sich leicht vor, um mit den Händen durch die Oberfläche zu streichen.

Vini und ich nickten.

„Was ist eigentlich mit dir los, Elli?“, fragte die Pinke dann. Verständnislos sah unsere Freundin auf und blinzelte.

„Wieso? Was soll mit mir sein?“

„Na du warst fast die ganze Woche krankgeschrieben…“

… Und dem fragenden Blick von Vini nach zu urteilen, wollte sie dann doch noch eine Erklärung für die Sache mit Coach Graham, aber ich konnte ihr nachfühlen, warum sie nicht fragte…

Ich traute mich ja auch nicht das Gesehene zum Thema zu machen.

Außerdem: Es war doch zu absurd…

Oder nicht?

Elli winkte ab.

„Eine Magenverstimmung. Keine Ahnung. Vielleicht ein kurzer Infekt oder ich habe was Falsches gegessen, fragt mich bitte nicht.“

„Aber es geht dir besser ja?“

„Ein wenig.“, sie zuckte die Schultern. „Aber zumindest habe ich mich seit zwei Tagen nicht mehr übergeben.“, sie grinste breit, was uns zum Lachen brachte.

„Hättet ihr mir nicht sagen können, dass Mütter anstrengend sind?“, fragte Marco da gerade und glitt gestresste neben Lavinia ins Wasser.

„Ich hatte keine Ahnung, tut mir leid.“, rechtfertigte ich mich.

„Ich dachte nur meine Mutter wäre so…“, überlegte Elli.

„Also ich vermisse meine Mama…“, Lavinia seufzte und bewegte weiter die Beine durch das Wasser.

„Wie geht es ihr denn?“, fragte ich mitfühlend und sah, wie nun auch Nahele wieder unsere Richtung einschlug.

„Besser, laut unserem letzten Skype-Telefonat. Aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sie wieder richtig laufen kann und die Hand-Augen-Koordination wieder halbwegs vernünftig funktioniert…“

„Da hatte ich noch echt Glück.“, entschied ich in die Runde und die anderen nickten.

Marco hielt sich zwischen Lavinia und mir an der Poolwand fest und sah wie wir zu Nahele, der gerade neben Elli den Rand erreichte.

„Wie läuft es drin?“, fragte er Marco – komischer Weise redeten die beiden auf einmal völlig normal und gelassen miteinander.

„Sie stellt alles auf den Kopf.“, Marco seufzte. „Sie meinte, dass Salon und Esszimmer nicht ordentlich sind und scheucht die Zimmermädchen umher.“

„Am liebsten würde sie alles rausreißen und neu gestalten.“, pflichtete ich ihm bei.

Es ging um seine Mutter. Nachdem Marco ihr am Donnerstag gesagt hatte, dass wir uns beide „sehr freuen“ würden, wenn sie einzöge, war sie bereits heute – nur zwei Tage später – mit Sack und Pack bei uns eingetroffen.

Wir waren mehr als überrumpelt gewesen, aber was hätten wir tun sollen?

Sie wieder wegschicken?

Wir hatten sie ja selbst eingeladen zu bleiben…

„Ich habe ihr gesagt, dass wir das nicht wollen.“, versuchte Marco mich zu beruhigen, aber ich hatte dennoch ein komisches Gefühl bei der Sache.

„Sie wollte in Vaters Zimmer einziehen.“, erklärte ich missmutig und Marco senkte schuldbewusst den Kopf.

„Was? In das Master-Schlafzimmer?“, den anderen drei klappte die Kinnlade runter.

„Hey, worum geht es?“, fragte Grace gut gelaunt, als sie sich endlich neben Elli auf den Poolrand setzte.

„Um die Mutter von Marco.“, klärte Nahele sie auf.

„Das war die große Brünette mit den Katzenaugen, oder?“, fragte sie und Marco nickte.

„Korrekt.“

„Die macht mir irgendwie Angst.“

Lavinia und ich steckten die Köpfe zusammen und kicherten.

„Habt ihr euch das gut überlegt? Also dass sie hier einzieht?“, fragte Nahele Marco und er nickte, machte aber keinen sonderlich überzeugten Eindruck.

„Wir kriegen das schon hin… irgendwie…“, verkündete ich und mein Bruder sah mich dankbar lächelnd an.

„Na was kann sie schon machen?“, ich zuckte die Schultern. „Trennen wird sie uns nicht können. Das hier ist unser beider Zuhause. Wir haben das zusammen geerbt und sie ist eigentlich nur ein Gast, oder?“

Die anderen stimmten mir einvernehmlich zu.

Jemand griff nach meinen Knien.

Verwirrt sah ich auf meine Beine hinab, die Marco auseinander schob.

„Hey! Nicht hier ihr Schmutzfinke!“, kicherte Lavinia und spritzte Wasser nach ihm.

„Nicht hinschauen Mädels, das ist nicht jugendfrei!“, Nahele versuchte irgendwie Elli und Grace die Augen zuzuhalten, was aber nicht wirklich funktioniert.

„Ihr seid echt schlimmer als jedes Kleinkind.“, grummelte Marco, schob sich zwischen meine Beine und schlang die Arme um meine Hüfte.

Einfach nur schlicht dankbar legte er den Kopf an meinen Bauch und schloss die Augen.

„Och wie süß.“, machte Lavinia und wuschelte ihm durch das dichte, schwarze Haar.

„Hey!“, protestierte er lachend.

„So ein süßes Baby!“, pflichtete ich Vini lachend bei.

Fehler.

Seine Arme schraubte sich fest um meinen Körper und er stieß sich vom Beckenrand ab.

„NEIN!“, schrie ich lachend und packte Lavinia am Arm, die schadenfroh loslachte.

Doch mit einem Platschen landeten wir beide in dem erfrischenden Becken.

Pustend kam ich wieder hoch und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

Lavinia rieb sich die Augen – noch immer kichernd.

Grace und Elli schrien auf und ruderten zeternd mit den Armen. Nahele war scheinbar aus dem Wasser geklettert, hatte sie in das Becken geschuppst und sprang nun mit einer großen Arschbombe zurück in das Nass. Elli und Grace quiekten auf, während Marco schon die Arme aus dem Wasser streckte und klatschte.

Zur Strafe drückten Vini und ich ihn zeitgleich unter Wasser.

Wir tollten und jagten uns gegenseitig durch den Pool.

Kaum zu glauben.

Marco war einer unserer Gruppe.

Wie war das nur Geschehen?

Weil Vater verstorben war? Hatte ihn das so sehr aus der Bahn geworfen?

Musste denn erst ein Mensch sein Leben lassen, damit wir beide wie Freunde miteinander umgehen konnten?

Ausgerechnet unser Vater?

Als Lavinia auf der Flucht vor Marco aus dem Wasser stieg und los rannte, lief sie beinahe in eine Frau hinein.

Marcos Mutter.

Freundlich lächelnd – wie immer eigentlich – trat sie zu uns an den Pool und beobachtete uns.

„Oh, Entschuldigung, Ma’am.“, bat unsere Freundin und wich instinktiv ein paar Schritte zurück.

Marco fixierte seine Mutter und stellte sich langsam hinter Lavinia.

„Aber nicht doch, nicht doch, meine Liebe.“, sang sie ungemein freundlich. Wir im Pool verbliebenen sahen uns kurz an und kletterten dann ebenfalls aus dem Wasser.

„Du musst Lavinia sein, habe ich recht?“, sie reichte ihr die Hand. Vini sah kurz beinahe eingeschüchtert auf die Finger hinab, ergriff sie dann aber.

„Ja, Lavinia Albrecht.“

„Es freut mich sehr deine Bekanntschaft zu machen. Endlich. Ich habe schon viel von dir gehört. Ich bin Celin Florentin, Marcos Mutter. Nenn mich ruhig Celin.“

Ich blinzelte und sah meine Freunde an. So freundlich war sie tatsächlich nicht zu mir gewesen!

„Wer sind deine anderen Freunde, mein Liebling?“, fragte Miss Florentin weiter und sah nun zu uns.

Marco nickte.

„Das sind Elli, Grace und Nahele. Er ist der Quarterback meiner Mannschaft.“

„Der Quarterback!“, stieß sie beinahe freudestrahlend aus.

Was hatte sie bitte mit Quarterbacks?

„Wenn ich das gewusst hätte…“

Dann was?

Sie betrachtete Nahele eingehend von oben bis unten, was dem wohl sichtlich widerstrebte. Unsicher sah er zu mir und dann zu Marco und Lavinia, die zwischen Miss Florentin und Nahele hin und her sahen.

Man, diese Andeutung war einfach nur widerlich.

„Nun ja, wie dem auch sei. Ich muss euch jetzt bitten zu gehen, Kinder.“

Mir fiel die Kinnlade runter. Wie konnte sie es wagen MEINE Freunde aus MEINEM Haus zu schmeißen?

„Mam, eigentlich hatten wir geplant zusammen hier zu essen.“, klärte Marco sie auf, doch sie winkte ab, als wäre sein Wort unwichtig.

„Das tun wir auch. Ich habe bereits decken lassen. Kommt rein, meine Lieben. Ihr werdet begeistert sein von dem, was uns das Küchenpersonal gezaubert hat.“, es war auffällig, wie sie nur Marco und Lavinia ansah.

Mir klappte der Mund auf, aber die Zurechtweisung gegenüber der Älteren blieb mir im Halse stecken.

Ich selbst würde mich so beschreiben, dass ich normal um kein Wort verlegen war, doch Nana hatte mich so nicht erzogen, dass ich eine ältere Person verbal angriff.

Egal was in meinem Kopf gerade vor sich ging.

Noch dazu: Es war doch Marcos Mutter.

Ich sah zu meinem Bruder. Er schien ebenso fassungs- und hilflos zu sein wie ich.

Wie konnte sie einfach meine Freunde rauswerfen?

Schlimmer noch: Marco war doch jetzt auch ein Freund von uns, oder nicht?

Sie hatte einfach seine Freunde aus dem Haus geworfen.

Wie konnte sie das tun?

Sie war doch nur ein Gast!

Lavinia sah verloren zu Nahele und dann zu Marco hinauf.

„Ach, wisst ihr was? Ich muss eh los.“, versuchte Grace die Stimmung zu entschärfen indem sie so tat, als mache ihr dieser Arschtritt nichts aus. „Ich wette mein Schatz wird sich freuen, wenn ich etwas früher zu ihm komme als geplant.“, sie zwinkerte uns gutgelaunt zu und raffte ihre Sachen zusammen.

Nahele nickte.

„Ist gut. Wo soll ich dich absetzen? Wohnheim?“

„Ja bitte.“

„Nimmst du mich auch mit?“, fragte Elli kleinlaut.

„Klar.“

Meine Freunde nahmen sich ihre Klamotten und Taschen und verabschiedeten sich erst von mir.

„Wir telefonieren nachher bestimmt.“, flüsterte Nahele mir zu. Ich nickte nur perplex und folgte den dreien zu Lavinia und Marco.

Als sie sich schließlich auch mit kurzem Handdruck bei Miss Florentin verabschiedeten – was der sichtlich missfiel, ihrer Handhaltung danach zu urteilen, sah Marco mich und Lavinia an.

„Na dann lasst uns mal essen. Ich habe schon kräftig Hunger und ihr?“

Lavinia nickte dankbar, sah aber ihrem Cousin, der nur langsam den anderen beiden Mädels folgte, wehleidig hinterher.

„Oh, tut mir leid, aber Serena habe ich nicht mit eingeplant.“, sprach Marcos Mutter gut gelaunt und selbst meine Freunde, die eben durch die Verandatür verschwinden wollten, sahen sich überrascht an.

Als uns das Gesagte erreichte sah man jedem von uns deutlich an, wie schockiert wir waren.

„Bitte was?“, fragte ich nun ungläubig.

„Ich bin mir sicher, dass du“ – SIE! Verdammt! SIE! Ich wollte nicht, dass diese Person mich duzte, jetzt noch viel weniger! – „verstehst, dass ich diesen besonderen Abend nur mit meinem Sohn und seiner wunderschönen Freundin verbringen möchte. Ich bin mir sicher, dass du ein anderes Arrangement finden wirst.“

Langsam kroch die Wut in mir hoch.

Erst meine Freunde und jetzt ich?

Sie wollte mich wirklich aus dem Haus werfen?

Sie war MEIN Gast und nicht anders herum!

Gut, sie hatte es nicht so direkt gesagt, aber im Prinzip war das doch die Kernaussage ihrer Worte, oder: „Verschwinde!“

Am liebsten hätte ich sie rausgeschmissen.

Und zwar durch eines der obersten Fenster.

Nein, am liebsten hätte ich sie mit der nächsten Rakete zum Mond befördert und sie dort ausgesetzt.

Wie konnte sie es wagen?

Ich sah finster zu meinem Bruder, der kreidebleich wurde.

Beinahe hektisch sah er zwischen seiner Mutter und mir hin und her.

Wollte er denn gar nichts dazu sagen?

Würde er mich nicht verteidigen?

Ich atmete ein paar Mal tief durch.

Schmerz schnürte mir mein Herz zu.

Warum sagte er denn nichts?

Ich schluckte schwer.

Und wenn ich sie nun rauswarf?

Wenn ich ihr sagte, dass sie zu weit ging und sich zur Hölle scheren sollte?

War dann unser Frieden wieder dahin?

Würde er Partei für seine Mutter ergreifen?

Sein Blick blieb frustriert an mir hängen.

Ja, würde er.

Er hatte sich entschieden.

Für dieses Weibsstück.

Wütend machte ich kehrt und klaubte meine Sachen zusammen.

„Serena!“, jammerte Marco, als ich an ihm vorbei marschierte und ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen in die Villa trat.

Mein Zuhause…

Aus dem ich gerade von einer Fremden vertrieben wurde.

„Sera? Liebling?“, fragte Nana verwirrt, als ich auch sie einfach wütend passierte. Sie hatte von alle dem natürlich gar nichts mitbekommen.

Ich riss die Eingangstür auf und sprang die Treppen beinahe in einem Satz runter, marschierte auf Naheles altes Auto zu.

Die Türen knallten, als wir einstiegen.

„Lasst uns irgendwo essen gehen, ich lade euch ein.“, verkündete unser Freund vom Fahrersitz aus, als er sich anschnallt.

„Und du schläfst heute bei mir.“, entschied Grace hilfsbereit.

Ich dagegen starrte nur aus dem Fenster.

Wohl bewusst, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel heraus drückte.

Sie hatte mich wirklich aus meinem eigenen Haus geworfen…

Und mein Bruder ließ es zu.

Montag, 10. September 2018

„Mir wäre es wesentlich lieber, wenn du wenigstens in das Penthouse deines Vaters ziehen würdest.“, verkündete Nana mir am Morgen am Telefon, als Grace gerade für uns beide Cappuccinos in der Mensa holte. Ich sah ihr dabei zu.

„Wäre natürlich eine Idee…“, überlegte ich. „Ich verstehe langsam warum Elli im Wohnheim durchdreht. Nie wird es ruhig und es ist so eng und beklemmend.“

„Bitte überleg es dir, meine Süße. Wenigstens so lange, bis Marcos Mutter wieder weg ist.“

„Du meinst sie verschwindet?“

Es blieb still am anderen Ende und ich wusste, welche Antwort das war.

„Serena!“, hörte ich jemanden hinter mir rufen und sah meinen Bruder, der sich durch die Schülermenge auf mich zubewegte. Unbeeindruckt wandte ich mich wieder ab und sah zu Grace, die natürlich auch aufsah, während sie Deckel auf unsere Becher drückte.

„Ich überlege es mir. Aber vermutlich wird dort einiges zu machen sein, oder? Dad hatte das Penthouse ja eigentlich nur als Bummshöhle.“

„Sera!“, tadelte mich Nana und ich hörte förmlich, wie sie rot anlief.

Mein Bruder erreichte mich und drehte mich zu sich – was auch immer er sagen wollte, es blieb ihm im Halse stecken, als er sah, dass ich mein Telefon am Ohr hatte.

Ich hatte absolut keine Lust auf ihn.

Dieser Dreckssack konnte mir wirklich gestohlen bleiben!

Er hatte zugelassen, dass seine Mutter mich aus unserem Haus wirft. Wie demütigend!

Ich riss meine Hand los und wandte mich erneut ohne jede Gefühlsregung ab.

„Ich bespreche das mal in Ruhe in mit meinen diversen Persönlichkeiten. Eigentlich habe ich keine großartige Lust woanders zu wohnen, aber wenn mir nichts anderes übrigbleibt ziehe ich halt aus. Nur auf das Wohnheim hab ich keinen Bock.“

„Du ziehst aus? Was? Sera!“, mein Bruder griff wieder nach meiner Hand, während Nana sagte: „Danke, mein Liebling. Vielen, vielen Dank. Im Penthouse kann ich mich auch viel besser um dich kümmern, als im Wohnheim. Dort komme ich doch nicht mehr zu dir nach achtzehn Uhr!“

Ich sah Grace auf uns zu kommen.

„Hi, alles klar?“, fragte sie und nickte Marco kurz zu, der noch immer verwirrt zwischen uns hin und her sah.

„Grace ist wieder da, wir telefonieren später weiter, ok?“

„Ja, das machen wir. Hab einen schönen Tag, mein Liebling.“

„Du auch. Bis nachher.“

Ich legte auf und entzog meinem Bruder dabei erneut meine Hand.

„Hast du nicht Lavinia irgendwo mit der du Händchen halten kannst? Oder deine Mama?“, fuhr ich ihn mit finsterem Blick an und nahm meinen Cappuccino von Grace entgegen.

Marcos Schultern fielen förmlich zu Boden und er sah mich verletzt an.

„Leute, in zehn Minuten beginnt Mathe. Lasst uns mal langsam hoch gehen.“, bat Grace und schob sich lieber zur Sicherheit zwischen uns.

„Warum bist du so gemein?“, fragte Marco über ihren Kopf hinweg.

„Wenn du willst, dass ich dir mein heißes Getränk ins Gesicht schütte, dann stellst du mir die Frage noch einmal!“, blaffte ich ihn an und stapfte sauer voran und die Treppe hinauf. Grace und Marco folgten, doch in der dichten Schülermenge verloren sie schnell den Anschluss.

Ich war so geladen, dass viele der Jüngeren mir sofort bereitwillig Platz machten, als ich angerauscht kam.

In der ersten Etage suchte ich meinen Klassenraum und knallte meine Bücher auf den Tisch, als Marco und Grace gerade herein kamen. Die beiden unterhielten sich leise auf dem Weg zu mir, während die anderen Schüler beruhigt wieder ihren eigenen Geschäften nachgingen.

Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und tippte sauer eine Nachricht an Nahele, als Marco sich neben mich setzte und sich auf seinem Stuhl zu mir drehte.

Schweigend betrachtete er mein Profil.

„Was?“, fuhr ich ihn irgendwann an, als ich dieses Starren nicht mehr ertragen konnte.

„Sag mir, wie ich es hätte richtig machen können.“, bat er leise und ich schlug mein Telefon unsanft auf unseren Tisch.

„Ist das dein Ernst? Du lässt zu, dass diese uns völlig unbekannte Kuh mich aus unserem Haus rauswirft und fragst mich dann wirklich, was du hättest besser machen können?“, ich schrie beinahe, wodurch nun die anderen auf uns aufmerksam wurden.

„Hi, Sera, beruhige dich! Es gucken schon alle!“, flüsterte Grace von hinten.

„Sie ist meine Mutter, Serena. Hätte ich sie rauswerfen sollen?“

„Oh, deine Mutter! Nein, natürlich nicht! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Stimmt ja, sie ist ja deine Mutter! Dann ist es ja völlig normal, dass sie deine Schwester aus ihrem eigenen Haus wirft.“

Er stieß die Luft aus.

„Du hättest auch selbst etwas sagen können. Oder einfach bleiben können…“

„Ja klar, mich mit deiner Mutter anlegen, damit du mir dann wieder vorhalten kannst, dass du mich hasst und wünschst, dass ich sterbe, weil ich erneut deine Mutter vergrault habe?“

Erschrocken sah er mich an.

Ich wandte mich ab.

Das hatte gut getan…

Wenn es auch furchtbar weh tat mich mit Marco zu streiten.

„Sera, ich würde nie…“

„Pff“, machte ich und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu, in dem ich meinen Stuhl ein Stück in Grace Richtung drehte, die mich vorsichtig musterte. „Lass mich in Frieden! Ich bin durch mit dir!“

Selbst meine Freundin sah mich fassungslos an.

Mir wurde schlecht.

Marco…

Gedanklich jammerte ich seinen Namen, wollte mich an seinen Hals werfen und ihn für das Gesagte um Verzeihung bitten.

Bitte sag doch was! Irgendwas! Bitte lass das nicht so stehen! Bitte sieh doch einfach, dass ich verletzt bin und mach es wieder gut…

Drück mich…

Doch natürlich geschah nichts davon.

Wortlos drehte sich Marco auf seinem Stuhl nach vorne.

Grace sah mich abwartend an, doch als Mr Byrd die Szenerie betrat, setzte auch ich mich wieder richtig hin.

Kurz sah ich im Augenwinkel zu Marco rüber.

Abwesend bekritzelte er die Tischplatte vor sich.
 

Ich hatte ihn so lange nicht gesehen. Seit ich Samstag die Villa verlassen hatte, hatte ich nichts von meinem Bruder gehört.

Ich wollte heulen und schreien, so einsam kam ich mir vor.

Lavinia kaute in der Pause nachdenklich an ihrem Honigbrötchen. Irgendwann sah sie es an, schluckte runter und hielt mir die angebissene Seite entgegen.

„Möchtest du auch mal beißen?“, fragte sie, aber ich schüttelte den Kopf.

Wie bockig hatte ich beide Beine neben mir auf die kleine Mauer des Hochbetes auf dem ich saß gestellt und nuckelte über meine Knie hinweg am Strohhalm einer Capri-Sonne.

Sie stieß die Luft aus.

„Serena, du musst heute auch irgendwann mal was essen.“, stellte sie fest und biss noch einmal ab.

„Ich habe keinen Hunger.“, murmelte ich verzweifelt und stocherte mit dem kleinen Plastikrohr blind im Inneren der Tüte herum.

Ich war nur froh, dass wir die beiden einzigen waren, die hier draußen unter dem Baum saßen.

Elli und Nahele waren mit Marco in die Mensa gegangen und Grace war mal wieder verschwunden.

Vini kaute eine Weile, würgte dann ihren Bissen runter und erklärte recht siegessicher: „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, dass du dich verliebt hast.“

Wenig begeistert sah ich zu ihr auf und saugte wieder an meinem Getränk.

„Bin ich nicht.“, grummelte ich…

Oder vielleicht doch?

Ich sah mich vorsichtig um.

Wo war Marco?

Ich wollte ihn doch nur sehen…

Ich hoffte, dass das keiner bemerkte.

Lavinia sah mich zweifelnd an.

„Wer ist es?“, fragte sie direkt und grinste.

Scheiße, hatte sie Recht?

Ich schlurfte weiter in dem inzwischen leeren Päckchen und stellte fest, dass ich sogar ungeheuer verliebt war.

Alles in mir kribbelte, wenn ich an ihn dachte. Und ich wollte heulen bei dem Gedanken, dass ich seine Schwester war und ihn trotzdem nicht mehr jeden Tag sehen würde.

Und was war mit unseren Nächten, wenn er zu mir ins Bett krabbelte?

Er tat es nicht immer, aber wenn, dann waren wir uns so nahe.

Wenn er gewusst hätte, dass ich wegen ihm feucht geworden war, hätte wir dann…

Daran durfte ich nicht mal denken!

„Also?“, fragte Lavinia nun siegessicher und ich begann das Päckchen zu falten.

Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass ich in meinen Bruder verliebt war. Nicht nur, weil es gegen das Gesetz verstieß, dass wir etwas miteinander hatten, sondern auch, weil sie mit ihm zusammen war…

Oder sowas ähnliches…

Was war eigentlich ihr Beziehungsstatus. Ich sah auf.

„Du und Marco“, sie sah mich überrascht an, als ich nun wohl das Thema wechselte. „Was läuft da jetzt eigentlich genau?“

Sie stieß nachdenklich die Luft aus.

„Eigentlich gar nichts.“, gestand sie mir dann, wirkte aber nicht sonderlich enttäuscht, sondern eher verwirrt.

„Wie meinst du das?“

„Wir verstehen uns sehr gut. Wir verbringen gerne Zeit miteinander… und irgendwann haben wir uns auch mal geküsst, aber ich glaube es hat nicht wirklich gefunkt bei uns beiden.“

Ich sah sie überrascht an.

Mein Herz begann zu schlagen.

Ja, ich war eifersüchtig wegen des Kusses, aber es hat nicht gefunkt bei ihnen? Das hieß, dass sie nicht…

„Und du und Nahele?“, vorsichtig sah sie zu mir auf.

Ich legte den Kopf schräg.

„Wie meinst du das?“

„Ihr seid gemeinsam über Nacht weg, geht alleine ins Kino… Ihr seid zusammen, oder?“

Ich versuchte ihr in die Augen zu sehen, aber sie wich mir kaum merklich aus. Hatte sie Angst vor der Antwort?

Ich schüttelte den Kopf und sie drückte den Rücken durch.

„Nein“, schwor ich. „Wir waren nur alleine Zelten, weil ihr alle keine Zeit hattet und ins Kino wollte er eigentlich mit dir gehen, aber du warst bei Marco, also…“, ich zuckte mit den Schultern und verschwieg ihr lieber den ganzen Rest.

Lavinia nickte und sah sich um.

Die anderen drei kamen gerade lachend aus dem Schulgebäude und steuerten langsam auf uns zu.

„Aber er hat eine andere, oder?“, raunte sie mir noch zu und beugte sich zu mir rüber.

War sie eifersüchtig? Was sollte dieses Kreuzverhör?

Ich schüttelte den Kopf.

„Na ihr? Was wird hier getuschelt?“, fragte Nahele und reichte seiner Cousine das Getränk, um das sie ihn gebeten hatte.

„Tampons und Binden.“, sagte ich knallhart und er hob direkt abwehrend die Hände.

„Alles klar, genug Informationen! Mehr will ich gar nicht hören!“, er stopfte sich die Finger in den Ohren und sang laut „lalala“, während er sich neben Lavinia fallen ließ, die mich verschwörerisch angrinste.

„Ich hab so einen Hunger!“, flötete Elli und ließ sich in meinem Rücken fallen. Herzhaft biss sie in ein Stück Pizza.

„Physik und Chemie fallen übrigens aus.“, erklärte Marco als wäre nichts und ließ sich zwischen mir und Lavinia fallen.

So nah und doch so fern.

Ich atmete tief ein und drehte mich weg von ihm.

Sein Geruch, seine Nähe…

Warum konnte ich mich nicht einfach an ihn anschmusen und dann war wieder alles gut?

Gerade erst vertragen und schon wurden wir wieder getrennt.

Und dieses Mal war der Grund wohl derselbe wie beim ersten Mal: Seine Mutter.

Während die anderen fröhlich aßen, saß ich nur da, krallte die Hände in das Gemäuer unter mir und versuchte krampfhaft die Gegenwart von Marco auszublenden.

Ich schloss die Augen und atmete tief durch…

Sein Geruch…

Ich bekam einen leichten Stoß aus seiner Richtung und sah überrascht auf.

„Melone?“, fragte er leise und hielt mir einen Holzspieß mit einem großen Stück Wassermelone entgegen.

Sein Blick.

Dieser Ausdruck.

Ich spürte, wie ich zu schmelzen begann.

Es war nicht zu leugnen, Lavinia hatte Recht gehabt. Ich liebte jemanden…

Meinen Bruder…

Oh Himmel, was ein Dilemma!

„Ganz süß und saftig“, flüsterte er mir zu.

Ich lächelte.

Und wie ich dieses Stück Melone von ihm wollte.

Ich beugte mich vor.

Er zog nicht zurück.

Sanft zog ich den Leckerbissen mit den Lippen von dem Zahnstocher, blinzelte zweimal und sah zu ihm hinauf.

Seine Lider waren halb geschlossen und er lächelte. Seine Brust blähte sich breit auf, als er einatmete.

Mein Blick glitt an ihm vorbei zu Lavinia, die uns mit riesigen Augen beobachtete.
 

„Du meinst, dass das eine gute Idee ist?“, fragte ich Marco nach dem Footballtraining unsicher, als er sein Auto mit einem Knopfdruck öffnete und unsere Taschen im Kofferraum verstaute.

„Natürlich ist es das! Du bist meine Schwester und wir haben beide dieses Haus geerbt. Das ganze Vermögen gehört uns beiden. Ob es ihr nun passt oder nicht. Du hast das gleiche Recht in der Strandvilla zu leben wie ich und das lassen wir uns nicht nehmen.“

Wir stiegen ein und er ließ das Dach zurückfahren, als er den Motor startete.

„Streite dich nur bitte nicht mit ihr. Sie ist deine Mutter.“

„Jetzt macht dir mal keine Gedanken deswegen. Das ist wirklich das Letzte worum du dir Sorgen machen musst.“, er setzte zurück und fuhr los. „Außerdem hat sie selbst zu Nana gesagt, dass sie dich nie rausgeworfen hat. Du bist freiwillig gegangen.“

Ich atmete erleichtert aus und sah die Häuser an uns vorbei ziehen.

Ein schönes Gefühl wieder nachhause zurückzukehren. Ich wollte auch nirgendwo anders Leben, nur hier.

Bei Marco.

Und Nana.

Aber vorwiegend bei Marco.

Ob ich mich zu so einer verrückten Psychotante entwickeln würde, die ihrem Bruder überall hin folgte und seinen Freundinnen das Leben zur Hölle machte?

„Ich glaube nicht, dass ich mich jemals mit deiner Mutter verstehen werde. Die beiden Male, wo ich sie bisher gesehen habe, waren irgendwie… seltsam.“

Er nickte.

„Ja, ich weiß…“

Ich sah ihn eine Weile von der Seite an.

„Versprichst du mir, dass du das nächste Mal einschreitest, wenn sie wieder was Dummes macht?“

Er lächelte und sah kurz zu mir rüber.

Er fuhr um eine Kurve, dann löste er eine Hand vom Lenkrad und griff über den Schalthebel hinweg. Überrascht sah ich seiner Hand nach, wie er nach meinem Arm griff und langsam daran hinab fuhr, bis er meine Hand erreichte.

„Ich verspreche es dir.“, sagte er sanft und fuhr mit den Fingern über meine.

Ich konnte nicht anders. Ich musste breit Lächeln und zog den Kopf ein.

Hoffentlich sah er nicht, was diese kleine Berührung in mir auslöste!

Ich drehte die Hand und unsere Finger verschränkten sich ineinander.

Ich lehnte mich wieder zurück und besah mir weiter die Umgebung.

Liebevoll strich er mit dem Daumen über meinen Handrücken und lenkte den Wagen einhändig für den Rest der Strecke. Erst als er vor der Einfahrt bremste, ließ er mich los und dann fuhren wir den Weg zur Villa hinauf.

„Ich hoffe, dass du bereit bist deinem Albtraum zu begegnen.“, meinte Marco grinsend und drückte den Knopf, um das Dach wieder hochfahren zu lassen. Ich sah ihn missmutig an.

„Und was wenn nicht?“

„Werde ich dich trotzdem mit dort hinein zwingen.“

Ich stieß die Luft aus und sah die Fassade hinauf und zu jedem einzelnen Fenster.

„Sera?“

Ich lehnte mich wieder zurück und sah zu ihm, als das Dach sich endlich schloss.

„Es tut mir leid, dass ich am Samstag nichts gesagt habe. Ich hab dich vermiss.“, er lehnte sich ebenso zurück. Entspannt sahen wir einander an, bis sein Blick an mir hinab glitt und er erneut meine Hand ergriff. „Fürchterlich sogar…“

Ich lächelte.

„Ich dich auch.“, hauchte ich erstickt.

Er lächelte knapp, doch dann erschlafften seine Mundwinkel und er strich erneut über meine Hand.

„Was ist los?“, fragte ich alarmiert. „Hat deine Mutter Nana gekündigt?“

„Gott nein! Nana würde das auch sicherlich nicht annehmen. Nicht von ihr.“, er schüttelte den Kopf und sah wieder zu mir auf. „Nein… Ich… muss dir nur unbedingt was sagen.“

Ich schluckte schwer.

Das klang ernst.

Furchtbar ernst.

Wollte er auswandern und mich alleine lassen?

„Sera, dieser… dieser Typ von der Party…“

Ich schüttelte direkt den Kopf. Aus einem plötzlichen Impuls heraus hob ich die freie Hand und strich ihm über die Wange. Verwirrt sah er mich an.

„Nicht, behalte es für dich.“, bat ich ihn. „Es ist mir so scheiß egal wer er war. Wirklich… Mir ist nur wichtig, dass wir beide…“

Ja was eigentlich?

Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass ich mehr von ihm wollte.

Ich presste meine Zähne zusammen und sah ihn schwer schluckend an.

„Ich war der Kerl.“, murmelte er nach einer Weile und sah mir dabei fest in die Augen.

Ich erschrak fast.

Es dauerte einen Moment, bis diese Information wirklich zu mir durchgedrungen war.

Mein Bruder? Ich hatte mit meinem Bruder rumgeknutscht?

Als ich nicht reagierte sondern ihn einfach nur völlig schockiert ansah, drehte er sich wieder nach vorne.

„Scheiße…“, murmelte er und strich sich durch die Haare. „Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht. Du kamst auf diese Party und warst total neben dir. Dann hockst du in einem Raum voller feiernder Menschen und heulst dir die Seele aus dem Leib und am Ende säufst du dich zu, strippst und fällst vom Tisch, weil das Kleid sich um deine Füße gewickelt hat.“, er sah sich um. „Ich wollte dich eigentlich nur anziehen und dort wegschaffen… Und irgendwie ist das völlig aus dem Ruder gelaufen.“

Er sah mich entschuldigend an.

„Verzeih mir.“

Mir klappte die Kinnlade runter. Er entschuldigte sich? Warum entschuldigte er sich?

„Marco?“

„Hm?“, abwartend sah er mich an. Wir schluckten beide, dann wandte ich mich ab.

„Sera?“, fragte er vorsichtig und legte eine Hand auf mein Bein.

Das war zu viel.

Eilig löste ich meinen Sicherheitsgurt.

„Sera! Bitte lauf jetzt nicht weg!“, bettelte er und löste hektisch seinen Riemen.

Aber ich dachte gar nicht daran. Ich schob dieses nervige Ding beiseite und sprang förmlich aus dem Sitz auf ihn zu.

Erschrocken viel er nach hinten gegen seinen Sitz.

Fest drückte ich meine Lippen auf seine, setzte einmal ab und legte den Kopf schräg, presste ihm meinen Mund noch einmal auf und saugte leicht an seiner Unterlippe.

Er keuchte überrascht, doch dann waren sie da.

Seine Hände fuhren über meine Hüfte, meine Taille hinauf und wieder hinab und hielten mich fest.

Ich keuchte leise und es schmatzte jedes Mal, wenn wir erneut ansetzten und die Köpfe drehten.

„Du weißt, dass wir das nicht dürfen?“, fragte er leise.

„Egal… Wer soll uns aufhalten?“, stöhnte ich leise und genoss, wie seine Finger mutig über meinen Hintern glitten, den Rocksaum passierten und an meinem bloßen Oberschenkel wieder hinauffuhren.

Ich schloss die Augen, saugte fest an seinen Lippen und fuhr seinen Hals hinab zur Knopfleiste des Hemdes.

Er lächelte nahezu erleichtert, als ich über seine Schultern und seine Brust strich.

„Ist es scheiße von mir, dass mir das gefällt und ich mehr will? Viel mehr?“, fragte er leise und seine Hand krallte sich kurz in meinen Hintern. Seine andere fuhr meine Seite wieder hinauf und schob sich langsam unter meine Brust.

„Ich will auch…“, flüsterte ich und noch einmal küssten wir uns kurz.

„Kommst du heute Nacht zu mir?“

Sein Lächeln verschwand und er senkte den Kopf. Sanft küsste ich seine Stirn in der Hoffnung, dass er wieder zu mir hochsehen würde, doch es brauchte meine Hand an seiner Wange, dass er mir wieder in die Augen sah.

„Ich würde sofort, nur…“, er schluckte, als habe er Angst vor dem, was er sagen wollte. „Nur meine Mutter“ – Verdammt scheiße! Nein! – „Ich habe das Gefühl sie beobachtet mich auf Schritt und Tritt. Und das hier mit uns darf keiner Erfahren, Sera… Das ist verboten…“

Ich wusste, dass der Schmerz, den er mir mit diesen Worten zugefügt hatte, mehr als offensichtlich war.

Er sah nicht besser aus.

„Glaub mir ich will… unbedingt… meinetwegen sofort hier im Auto nur…“

Ich nickte.

„Ja, ich weiß…“

„Küss mich!“

Ich kam diesem Befehl direkt nach und beugte mich wieder vor.

So viel Liebe.

Warum durfte ich das nicht immer genießen?

Eine Bewegung im Hintergrund ließ mich hochschrecken.

Der Butler kam aus der Tür und joggte die Stufen hinunter.

Eilig zog ich mich zurück.

„Sera“, jammerte Marco, der das gar nicht mitbekommen hatte, doch als seine Tür aufgerissen wurde sah er erschrocken zu unserem Butler hinauf.

„Bitte verzeihen Sie meine Verspätung, Sir! Ich war unaufmerksam.“

Verständnislos sahen wir einander an.

„Oh Gott, Miss Matthews, Sie auch!“, heulte er und rannte um den Wagen rum, um auch meine Tür zu öffnen.

„Was soll denn diese Hektik, Martin?“, fragte Marco, als er aus dem Wagen ausstieg und die Tür hinter sich zuwarf. „Du öffnest uns doch sonst auch nicht die Autotüren. Das können wir schon alleine, weißt du?“

„Natürlich, Sir, aber Ihre Frau Mutter…“ – war ja klar. Ich warf einen Blick zu Marco, der ihn vielsagend erwiderte – „Trug mir auf künftig jedem, der die Villa erreicht, die Autotür zu öffnen.“

„Anweisung aufgehoben.“, sagte Marco mit einer Handbewegung. „Und in Zukunft, Martin – und das kannst du auch allen anderen hier im Haus sagen: Meine Mutter hat keine Weisungsbefugnis euch gegenüber. Es sei denn sie wünscht etwas zu trinken oder zu essen. Alles andere bekommt ihr wenn dann von mir oder von Sera aufgetragen.“

Martin war sichtlich erleichtert und verneigte sich leicht.

„Selbstverständlich, Sir. Vielen Dank.“

Ich sah zu Marco und schüttelte den Kopf.

Was würde die Frau noch alles bringen?

Ich trat um das Auto zu ihm herum und sah die Fassade hoch.

„Ich habe mächtigen Hunger und du?“, fragte er mich und legte mir einen Arm um die Schultern, als ich hinter einem Fenster in der oberen Etage Miss Florentin entdeckte.

Ob sie uns gesehen hat?

Mittwoch, 12. September 2018 - Nachmittag

„Soll ich dir was sagen, Charles?“, fragte ich, als ich auf dem Rücksitz der Limousine saß und durch die getönten Scheiben hinaus sah.

„Bitte, Miss Matthews.“, unser Chauffeur sah durch den Rückspiegel amüsiert zu mir zurück.

„Ich glaube ich will gar kein neues Auto.“

„Nicht?“, fragte er verwirrt. „Ich dachte Sie lieben ihren Aston Martin?“

„Das ist wahr, aber sich zurücklehnen zu können und einfach die Seele baumeln lassen hat auch was.“

Charles begann herzhaft zu lachen.

„Das stimmt wohl. Da haben Sie absolut recht.“

Lächelnd sah ich aus dem Fenster, doch dann fiel mir wieder ein, welche Frau Zuhause auf mich lauerte.

Zugegebener Maßen hatte sich Miss Florentine mir gegenüber äußerst ruhig verhalten, seit sie mich und Marco am Montag gesehen hatte, doch ich fragte mich noch immer, ob sie den Kuss – oder eher die Küsse – oder gar das Geknutsche – auch realisiert hatte.

Wenn ja, warum verriet sie uns nicht?

Hm…

Vielleicht wollte sie einfach ihren Sohn schützen?

Oder gar das Geld. Ohne uns – oder ihn – kam sie ja nicht mehr ran.

Ja, das klang komisch, aber ich zerbrach mir inzwischen seit Tagen den Kopf: Warum taucht diese Frau ausgerechnet jetzt auf?

Erst dachte ich, dass sie vielleicht eine Hochstaplerin sei, aber Nana hat sie eindeutig erkannt. Sie ist Marcos Mutter. Das hat sie mir auch noch einmal bestätigt.

Ein großer Graus: Sie hat sich wohl in all den Jahren kein bisschen verändert. Langsam konnte ich nachvollziehen, warum mein Vater sie mit meiner Mutter betrogen hat.

Dennoch blieb die Frage: Wenn sie die ganze Zeit wusste wo ihr Sohn war, warum kam sie dann noch nicht eher zurück?

Selbst wenn man davon ausging, dass Dad sie wie ein wildgewordener Stier wieder verscheucht hätte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie plötzlich aus reiner Nächstenliebe handelte, kaum dass er verstorben war.

Etwas stank gewaltig.

Oder war ich nur paranoid?

„Wie läuft es Zuhause, Charles? Alles im Lot heute?“ – am Tag zuvor hatte Marcos Mutter tatsächlich mehrere Innenarchitekten und Landschaftsgärtner kommen lassen, während wir in der Schule waren, um die Neugestaltung der Villa zu planen.

Unsere eigenen Gärtner wären fast in Tränen ausgebrochen, weil sie drauf und dran war sie zu feuern, aufgrund offensichtlicher Unfähigkeit, wie sie es nannte.

Was für ein Schwachsinn.

Zum Glück hatte Marco diese Leute wieder weggeschickt mit der Ansage, dass er keinerlei Umbaumaßnahmen bezahlen und auch nicht genehmigen würde, immerhin war das sein Grundstück.

Das hatte seine Mutter wohl vergessen zu erwähnen – so sahen die Typen zumindest aus, als sie eilig verschwanden.

Auch Miss Florentin war nicht begeistert, kaschierte ihre Entrüstung über die offensichtliche Bloßstellung aber indem sie sich erneut bei ihrem Sohn einschleimte.

„Bis jetzt war noch alles ruhig.“, verkündete er.

„Wirklich?“, fragte ich überrascht.

„Nun“, druckste er dann aber herum. „Miss Florentine wollte mir auf Gedeih und Verderb eine andere Aufgabe zuweisen, weil sie es nicht einsah, als ich sagte ich würde Sie abholen, Miss Matthews.“

Ich schnaubte.

„Darf ich Ihnen eine ehrliche Frage stellen, Miss?“

„Immer“

„Wann zieht diese Person wieder aus?“

Ich lachte ausgelassen und auch er grinste breit, da fuhren wir bereits auf die Einfahrt.

„Mit Verlaub, Ma’am, aber das fragen wir uns alle.“

Ich nickte.

„Ich mich auch, Charles… Ich freue mich nicht mehr nach Hause zu kommen.“, er nickte verstehend und parkte den Wagen. Ich sammelte meine Sachen zusammen, da öffnete er bereits die Tür und ließ mich aussteigen.

Ich lächelte ihn an: „Und das Türen öffnen ist auch ein Vorteil davon, wenn man gefahren wird.“

Er lachte ausgelassen.

Kaum, dass ich die Eingangshalle betreten hatte, sah ich sie bereits. Marcos Mutter stand in der Tür zur Küche und diskutierte mit Nana.

Die Haushälterin winkte mir nur kurz zu und ich erwiderte die Geste. Ich wusste nicht, ob Miss Florentin mich auch grüßte, ich wandte mich direkt ab und stieg die Stufen hinauf.

Ich erreichte eben mein Zimmer, als mir unser Gast bereits hinterhereilte: „Serena, ich will einen Moment mit dir reden.“

Das war es? Keine Frage, ob ich überhaupt will? Es wird einfach vorausgesetzt?

Noch dazu: Duzte sie mich etwa schonwieder?

Ich schob diese Fragen erst einmal von mir weg. Sie war immerhin noch immer Marcos Mutter und auch wenn sie mir immer unsympathischer wurde hatte mir Nana doch beigebracht immer freundlich gegenüber erwachsenen zu bleiben…

Manchmal versuchte ich mich daran zu halten…

Besonders wenn ich keinen Streit mit meinem Bruder riskieren wollte.

Ich betrat also einfach mein Zimmer und sie folgte mir.

Hinter uns schloss sie die Tür.

„Ich will, dass du ausziehst. Noch heute und am besten sofort.“

Überrascht sah ich sie an, aber auch zweifelnd.

„Soll das ein schlechter Scherz sein?“, fragte ich wenig begeistert.

„Nein“, verkündete sie und setzte sich ungefragt auf den Stuhl meines Schreibtisches. „Du bist kein adäquater Umgang für meinen Sohn also will ich, dass du aus unserem Leben verschwindest.“

Was zum Geier hatte die Frau eigentlich geraucht?

„Nein“, entgegnete ich schlicht und wandte mich meiner Tasche zu. Das Gespräch war für mich beendet, doch anscheinend nicht für sie: „Du verstehst nicht recht.“, sie lächelte süß. „Das war keine Bitte.“

„Sie verstehen nicht recht.“, ich kopierte ihren geisteskranken Gesichtsausdruck. „Das hier ist mein Haus und Sie nur unser Gast.“

„So sprichst du nicht mit mir.“, tadelte sie mich hart, was mich im ersten Moment tatsächlich verunsicherte und mir entglitten vermutlich wirklich für eine Sekunde die Gesichtszüge.

„Dieses Haus gehörte meinem Mann.“ – Exmann und damit hatte sie keine Rechte mehr daran… Doch die taffen Worte blieben mir im Halse stecken.

„Der einzige rechtmäßige Erbe ist mein Sohn und ich bin seine Mutter. Ich bin für ihn verantwortlich.“

„Nana ist unser Vormund.“, korrigierte ich sie.

„Nana? Meinst du Miss Jacobs? Miss Jacobs ist nicht seine Mutter. Nur eine Angestellte. Und du bist nur das Kind einer Affäre meines Mannes. Ein Bastard sozusagen. Du hast keine Rechte.“

„In welchem Jahrhundert leben Sie bitte?“

„Werde nicht frech!“, rügte sie mich erneut und ich verschränkte die Arme.

„Meine Entscheidung steht fest. Ich werde dich gerne – so großzügig wie ich bin – in dem Penthouse meines Mannes schlafen lassen, doch hier ziehst du aus. Auf der Stelle. Ich will dich nie wieder in der Nähe meines Kindes sehen.“

„Ich werde sicherlich nirgendwo hingehen.“, versicherte ich ihr. „Und nun verlassen Sie mein Zimmer.“

Miss Florentin stand auf und kam auf mich zu.

„Ich weiß von eurer kleinen… Affäre.“, erklärte sie mir leise.

Affäre? Im ersten Moment verstand ich nicht recht.

„Ich habe dich und Marco am Montag im Auto gesehen. Ich weiß, dass du ihn verführt hast und ich denke selbst dir sollte klar sein, dass eine Beziehung zwischen Geschwistern per Gesetz verboten ist.“

Mir klappte die Kinnlade runter.

Sie würde mich und damit ihren eigenen Sohn anzeigen?

War das ihr Ernst?

„Marco werde ich schon irgendwie aus dem Gefängnis freibekommen, aber du würdest darin verrotten.“, versprach sie mir. „Also, wenn du nicht willst, dass eure kleine Liebelei publik wird, dann solltest du deine Sachen packen und verschwinden. Jetzt.“

Sie funkelte mich noch einen Moment nahezu nach Mord geifernd an, dann wandte sie sich ab und rauschte davon.

Was sollte ich jetzt machen?

Sollte ich es riskieren und bleiben?

Und wenn Marco und ich wirklich verhaftet wurden?

Wenn man uns wegsperrte wegen Inzest?

Aber wir hatten doch gar nichts gemacht, oder?

Nun ja, wir hatten uns geküsst und wollten definitiv mehr…

Aber mehr war wirklich nicht geschehen.

Oder reichte das etwa schon?

Ich schluckte schwer, als Nana zu mir herein kam. Irritiert sah sie Miss Florentin hinterher, die vermutlich gerade am Ende des Flurs die Treppe hinunter rauschte.

„Alles gut?“, fragte sie mich sanft und ich blinzelte ein paar Mal.

„Sie will, dass ich ausziehe.“, erklärte ich fassungslos und sah in das schockierte Gesicht der alten Dame.

„So, nun reicht es mir mit diesem Besen!“, verkündete sie wutentbrannt und ging zu meinem Schreibtisch, um den dort stehenden Hausanschluss aufzunehmen.

„Nana? Was tust du?“, fragte ich verwirrt.

„So sehr ich mich für Marco auch freue, dass er seine Mutter wiedergefunden hat: Mir reicht es endgültig mit dieser Frau. Weißt du welche Beschwerden des Personals ich mir den ganzen Tag anhören darf und nun will sie dich aus deinem eigenen Haus werfen? Jetzt nehme ich die Zügel in die Hand.“

Sie wählte eine Nummer.

„Nana, was hast du vor?“

Ich kam näher.

„Ich rufe Mr Sanchez an. Er wird das für uns klären. Und notfalls rufe ich die Polizei und lass diese Person aus unserem Zuhause entfernen.“
 

Anwalt hin oder her: Miss Florentin wusste von uns beiden.

Was wenn sie ihre Drohung wahr machte und uns verriet?

Ich konnte das doch nicht riskieren…

Unruhig lief ich in meinem Zimmer auf und ab.

Mr Sanchez war leider in einem Mandantengespräch, doch als ein Kunde mit höchster Priorität versprach seine Sekretärin, dass er anschließend direkt zu uns fahren würde.

Nur wann das sein würde…

Nana hatte mich angewiesen in meinem Zimmer zu bleiben und die Tür zu verschließen, damit die Frau nicht mehr stacheln konnte.

Sobald unser Anwalt da war würde sie mich rufen.

Aber war das die Lösung?

Wäre es nicht besser, wenn ich einfach ging?

Marco konnte seine Mutter weiter bei sich haben und keiner von uns musste ins Gefängnis…

Was nur, wenn heraus kam, dass wir uns geküsst hatten?

Fahrig blieb ich vor meinem Fenster stehen und sah auf den Pool hinab.

Miss Florentin saß dort unten in einem Badeanzug auf einer Liege, mit großem Sonnenhut auf dem Kopf und las ein Buch.

Erschrocken fuhr ich hoch.

Jemand drückte meine Klinke hinunter.

Ich sah zu der Tür.

Ein weiteres Mal und dann noch einmal.

Immer schneller ging die Bewegung.

„Serena?“, hörte ich Marcos Stimme, dann schlug etwas gegen die Tür. „Serena!“

Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass Marcos Mutter den Ruf wohl gehört hatte. Sicher hoffte, sie, dass ich gerade mit einer Tasche die Villa verließ und wollte sich das Spektakel nicht entgehen lassen. Lächelnd legte sie das Buch beiseite und erhob sich.

Warum war nur Mr Sanchez noch nicht da?

Und was sollte ich machen?

Ich sprang zur Tür.

„Serena, verdammt, mach sofort auf!“, Marco hämmerte gegen das Holz.

Eilig schloss ich auf.

Erleichtert stieß er die Luft aus, fluchte aber verwirrt, als ich ihn hektisch zu mir herein zog und eilig wieder abschloss.

„Sera, was…“

Ich legte ihm drei Finger über den Mund und einen an meinen, dann lauschte ich.

Aber natürlich war nichts zu hören.

„Sie hat dich gehört und kommt sicher hoch…“, flüsterte ich ihm zu und schob ihn weg von der Tür.

„Wer?“, fragte er verwirrt. „Was ist denn los mit dir?“

Ich sah aus dem Fenster zum Pool. Seine Mutter war noch nicht wieder zurück.

„Sie will, dass ich gehe. Ich sollte schon längst weg sein.“, flüsterte ich ihm zu.

„Wer?“

„Deine Mutter.“

Entsetzt sah er mich an.

„Sie will was?“

„Pssssssst!“, raunte ich ihm zu und sah zu meiner Tür.

„Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist!“, verlangte er leise von mir, aber ich schüttelte den Kopf.

„Kann ich leider nicht. Als ich nach Hause kam, hat sie verlangt, dass ich sofort ausziehe.“

„Das kann sie nicht. Das ist dein Zuhause! Diese Villa gehört uns beiden.“

Ich lächelte voller Schmerz. Verständnislos verzog er die Miene.

„Oder nicht?“

„Doch, tut sie… Aber sie hat uns beide gesehen. Im Auto…“, flüsterte ich und sah reflexartig auf seinen Mund.

Verdammt, warum konnte ich an nichts anderes denken, als daran ihn zu küssen, obwohl das Thema so ernst war.

„Sie will uns anzeigen, wenn ich nicht gehe.“

Er schüttelte den Kopf: „Nein, will sie nicht.“

Ich schluckte.

„Nana hat Mr Sanchez gerufen und will sie mit seiner Hilfe entfernen lassen… aber sie weiß nichts davon, dass wir beide uns… Wenn auch nur einmal…“

Schweigend sahen wir uns einen Moment an, dann trat er einen Schritt näher – reflexartig wich ich zurück und stieß gegen das Fensterbrett.

Er ergriff mein Gesicht und überwand den letzten Abstand.

Wild und verlangend verbissen sich seine Lippen in meinen. Ich keuchte zittrig und legte die Arme um seinen Nacken. Aufdringlich fuhr seine Zunge in meinen Mund und umkreiste die meine. Seine Hände fuhren an meine Taille.

Heftig atmend zog er sich etwas zurück.

„Nichts wird mich von dir trennen.“, versprach er. „Erst recht nicht meine Mutter. Du bist mir viel wichtiger.“

Mittwoch, 12. September 2018 – Abend

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Freitag, 14. September 2018

„Warte, was? Du willst schon gehen?“, entsetzt sah ich Elli an, die nickend ihren Becher leerte und ihr Telefon in die hintere Hosentasche schob.

„Warum?“, brüllte ich über die laute Musik hinweg und sah ihr dabei zu, wie sie den Behälter auf die Tischplatte knallte.

„Ich bin müde!“, jammerte sie und ich sah mich um.

Wie konnte man in einem Moment wie diesem nur müde sein?

Die Party, mit der wir in Marcos Geburtstag hineinfeiern wollten, hatte gerade erst begonnen. Oder zumindest lief sie noch nicht lange.

Die Villa war voll von unseren Mitschülern und überall wurde getrunken, getanzt, gefeiert…

Elli pellte sich von ihrem Stuhl und sah sich benommen um. Komisch, ich hätte geschworen, dass sie nichts Alkoholisches zu sich genommen hatte. Sie musste wirklich hinüber sein.

Grace bahnte sich ihren Weg durch die Menge auf uns zu und hielt beinahe triumphierend drei neue Becher für uns über ihren Kopf.

„Nächste Runde!“, rief sie gut gelaunt und stellte die Getränke ab.

„Nicht für mich!“, rief Elli und auf Grace fragenden Blick hin ergänzte ich: „Elli ist müde und will nach Hause.“

Sofort begriff Grace und schien… besorgt?

Warum? Elli hatte nichts getrunken! Ihr ging es schon gut…

Dachte ich.

„Soll ich George Bescheid geben, dass er dich ins Wohnheim bringt?“, rief ich ihr zu und lachte. „Hey, heute musst du nicht einmal Angst haben, dass du wieder nicht schlafen kannst! Ich glaube nahezu die ganze Schule ist hier!“

Das brachte nun auch Elli zum Lachen, während Grace erst ihren Saft exte und sich dann ihr Bier hinter die Binde goss.

„Ich fahre nicht ins Wohnheim.“, erklärte mir unsere Freundin und zu dritt drängelten wir uns durch bis zur Haustür, jedoch nicht ohne einen Umweg über Nahele, Lavinia und Marco zu machen, die bei der Anlage im Salon standen und über die Musikauswahl grübelten.

„Wohin fährst du dann?“

„Dahin, wo ich richtig gut schlafen kann!“, versprach sie mir verschwörerisch.

„Wie, schlafen?“, rief Nahele uns entgegen, der wohl zumindest einen Teil verstanden hatte.

„Ich fahre jetzt lieber. Mir ist schon ganz duselig von der Luft hier.“, erklärte sie den dreien. Sofort blies Lavinia trübselig eine Strähne aus ihrem Gesicht, doch Marco und Nahele nahmen es direkt ohne zu fragen an – ganz Kerle halt…

„Ich bringe dich zur Tür.“, entschied Marco und hängt sich nun an uns, während Grace seinen Platz an der Anlage einnahm und ihn gewiss würdig dabei vertrat die Musikauswahl neu zu sortieren.

„Soll George dich fahren?“, fragte Marco unterwegs, doch Elli winkte ab.

„Nicht nötig. Ich werde abgeholt. Er wartet schon.“

„Er?“, fragte ich verwirrt und öffnete dann die Haustür.

Das hieß wohl, dass ihr neuer Freund sie abholte?

Ihre Flamme?

Ihr Lover?

Endlich würden wir ihn mal sehen?

Neugierig warf ich einen Blick auf unsere Einfahrt, aber da war niemand.

„Hier ist doch niemand.“

„Doch“, sagte Elli und sah zur Straße vor. Durch die Gitterstäbe unseres Tors erkannte ich einen schwarzen Geländewagen. Verwirrt kniff ich die Augen zusammen.

Nur der Wagen. Nichts weiter.

Keine Menschenseele war zu sehen.

Ich war enttäuscht und zeitgleich besorgt. Was war das für ein Typ, auf den sich Elli eingelassen hatte?

Ich war mir eigentlich fast sicher gewesen Coach Graham vor der Tür vorzufinden, aber dieses Auto hatte ich noch nie bei ihm gesehen… Wobei ich noch nie seinen Wagen gesehen hatte – musste ich zugeben. Der Coach wohnte unweit der Schule und kam jeden Morgen über den Strand gejoggt, soweit ich wusste…

Doch dieses Auto…

Ich hatte kein gutes Gefühl.

„Mir wäre lieber, wenn George dich fährt.“, entschied ich und sah hilfesuchend zu Marco auf, der nickte.

„Ach was. Macht euch keine Sorgen.“

Elli drückte mich ein letztes Mal fest und stemmte sich dann auf die Zehenspitzen, um sich auch von Marco zu verabschieden. Winkend verließ sie uns in Richtung Tor, schlüpfte durch es hindurch und öffnete gleich darauf die Beifahrertür.

Neugierig reckten wir die Hälse, aber egal wie sehr ich mich anstrengte, ich erkannte nicht wer dort auf sie wartete. Sie schloss die Tür, das Licht im Innern des Wagens erlosch wieder und das düstere Auto fuhr leise und unauffällig davon.

„Hast du gesehen wer dort am Steuer saß?“, fragte ich Marco besorgt, doch der schüttelte nur den Kopf.

„Wir haben doch eine Überwachungskamera am Tor. Vielleicht hat die was aufgenommen.“, entschied ich und schlüpfte wieder ins Haus, doch er hielt meine Hand fest und zog mich zurück.

„Lass sie. Elli ist die Vernünftigste von euch fünf. Sie wird schon nichts dämliches Anstellen.“

Ich stieß die Luft aus und beobachtete ihn dabei, wie er die Tür hinter sich schloss.

„Ich mache mir trotzdem Sorgen. Sie will einfach nicht sagen wen sie trifft…“

„Hast du es denn deinen Freunden gesagt?“, fragte er so leise, dass selbst ich Schwierigkeiten hatte ihn zu verstehen. Er beugte sich zu mir runter und raunte mir ins Ohr: „Hast du ihnen etwa von neulich Nacht erzählt? Oder der Nacht davor? Oder der Nacht danach? Oder von heute Morgen?“

Ich keuchte leise, als ich daran dachte und schloss die Augen. Ein wohliger Schauer jagte meinen Körper hinunter und sorgte für ein angenehmes Kribbeln in meiner Mitte.

„Das ist nicht zu vergleichen. Elli kann keine Beziehung haben, die rechtlich verboten ist. Sie hat keine Geschwister.“, flüsterte ich.

„Ich wünschte ich auch nicht.“, murmelte Marco und ich konnte es nicht fassen.

Sauer stieß ich ihn weg und funkelte ihn wütend an.

Wie konnte er nach allem was in den letzten Stunden zwischen uns gelaufen war solch eine Aussage treffen?

„Ich lebe aber nun einmal!“, fauchte ich ihn an und ahnte, dass ich irgendwas falsch verstanden hatte. Verständnislos blickte er auf mich herab und fing meine Hände ein, mit denen ich ihm noch einmal frustriert gegen die Schultern stoßen wollte.

„So meinte ich das doch gar nicht!“, konterte er und hielt mich fest. Aus Reflex wehrte ich mich und kurz rangen wir miteinander, bis er meine Arme eindrehte und mich rücklings an seinen Bauch drückte.

„So meinte ich das gar nicht…“, murmelte er noch einmal gegen mein Ohr und ich schloss die Augen. Sein Herrenduft wehte in meine Nase und beruhigte mich wieder.

Ich vergaß einfach alles um uns herum. Die vielen Gäste unsere Angestellten, die die Masse frustriert versuchten zu bändigen und unsere Freunde, die bestimmt schon schauten wo wir blieben.

„So meinte ich das gar nicht…“, flüsterte er ein drittes Mal und ich seufzte frustriert: „Ich weiß…“

Er ließ mich kaum los, als ich mich zu ihm herum drehte und ich wusste, dass ich sehnsüchtig zu ihm hinauf sah. Eine Hand strich mir eine Haarsträhne hinter die Ohren.

„Ich würde gerne mit dir nach oben gehen…“, murmelte er und ja, ich wollte das gleiche, aber ich schüttelte den Kopf.

„Zu viele Menschen, die das mitbekommen würden… Selbst wenn keiner auf die Idee kommt uns anzuzeigen, anschließend sind wir das Gespött der Schule, willst du das?“

Er schwieg und atmete tief durch.

Ich schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu mir runter. Fest hielten wir einander umschlungen. Wie Schraubzwingen zogen sich seine Arme um meine Taille fest und ich schloss die Augen, die Nase in seinem Hals vergraben.

Warum war nur alles so furchtbar schief gelaufen?

Als ich die Augen öffnete sah ich gerade noch, wie Nana einem unserer bereits betrunkenen Mitschüler die Autoschlüssel abnahm. Gerade als sie sich abwendete begegnete sie meinem Blick.

Glücklich lächelte sie mir zu – wohl froh um den gewonnenen Frieden – doch mir tat es nur noch mehr weh.

Wäre es denn nicht besser gewesen weiter mit meinem Bruder zu streiten anstatt mich nun unerfüllbar nach ihm zu sehen?

Ich schloss krampfhaft die Augen und drückte Marco fest.

„Lass uns trotzdem hoch gehen. Nur ein paar Minuten… bitte…“, flüsterte er. „Lass sie doch gucken und tratschen…“

Ich schüttelte den Kopf.

Er wusste, dass ich Recht hatte. Er musste es einfach wissen. Langsam löste ich mich von ihm und strich seine Arme hinab, da landete seine Stirn an meiner.

„Warum ist das alles so unfair? Immer geht etwas schief. Entweder streiten wir uns, oder wir dürfen unsere Gefühle nicht ausleben…“, murmelte er und ich sah vorsichtig zu ihm hoch.

So hatten wir nie miteinander geredet.

So hatte er nie mit mir geredet.

„Gefühle?“, flüsterte ich und ich spürte seine Hände in meiner Taille. Sanft streichen seine Daumen auf und ab.

Doch sagen tat er nichts. Er sah mich auch nicht an, seine Augen blieben geschlossen.

„Na los, gehen wir wieder zu den anderen drei… Wer weiß was für Musik sie aussuchen, wenn wir sie zu lange alleine lassen.“, schlug ich vor und endlich rührte er sich wieder. Kaum merklich nickte er, ließ mich los und verschwand sofort ungehindert in der Menge.

Gefühle…

bedeutete das etwa das was ich glaubte?

Er ging an Nana vorbei, die ihn etwas fragte und er nickte knapp. Mit wenig zufriedenem Gesicht sah sie ihm nach und blickte dann wieder mich an.

Gefühle…

Diese Frau kannte uns von allen Menschen auf dieser Welt am besten – hatte sie uns durchschaut?

Wusste sie, was hier lief?

Gefühle…?

Lief denn das was ich dachte und hoffte?

Konnte er mich genauso lieben, wie ich ihn?

Marco hatte recht: Warum war die Welt nur so schrecklich unfair?

Donnerstag, 20. September 2018

Ich habe keine Lust mehr.

Gerne würde ich deine Seiten weiter befüllen mit dem, was zwischen Marco und mir passiert – oder auch nicht passiert. Doch alles erscheint mir so sinnlos.

Es ist wie die Erfüllung eines tiefen Traumes wenn wir zusammen sind. Jede Nacht und jeden Tag – auch wenn wir in der Schule darauf achten müssen, dass niemand verdacht schöpft.

Nun ja, in der Schule und Zuhause natürlich…

Wobei ich mir inzwischen ziemlich sicher bin, dass Nana etwas bemerkt hat.

Manchmal taucht sie plötzlich unvermittelt auf, wenn wir zwei Sekunden alleine sind. Und natürlich – wer kann es ihr auch verdenken – natürlich will sie uns voneinander fern halten.

Paradox.

Jahre lang hat sie dafür gekämpft, dass wir uns verstehen und nun müsste sie uns beide unter eine eiskalte Dusche stellen, weil wir die Finger nicht voneinander bekommen.

Es ist so deprimierend, dass ich einfach keine Muße mehr dazu habe deine Seiten zu füllen, wenn ich einmal die Zeit dazu hätte.

Verzeih mir bitte.

Ich muss gestehen: Ich lebe momentan nur in den Tag hinein.

Oder sollte ich vegetieren sagen?

Wirklich leben tue ich doch nur, wenn Marco bei mir ist.

Morgens wachen wir gemeinsam auf, gehen zusammen frühstücken. Wir fahren zusammen mit seinem Auto zur Schule – der Tag plätschert gemächlich vor sich her. Dann unternehmen wir etwas mit meinen Freunden – wobei ich wohl sagen sollte, dass es inzwischen unsere Freunde sind. Meistens fahren wir zum Schwimmen zu uns in die Villa und springen in den Pool, bei schlechtem Wetter gehen wir irgendwo Essen.

Und dann, wenn das ganze Haus abends zur Ruhe kommt, dann schleicht sich Marco wieder in mein Zimmer und wir schlafen erneut Arm in Arm ein, nachdem wir einander an so vielen Stellen berührt haben, wo sich Geschwister wohl nicht berühren sollten…

Doch nie, NIE wagten wir diesen einen letzten Schritt.

Es war nicht so, dass wir es nicht wollten – nicht nur mit der Hand, nicht nur Oral…

Doch es ging einfach nicht.

Ich hätte schwanger werden können, trotz der Pille.

Ein Kondom hätte reißen können…

Und dann?

Je nach Bundesstaat konnte man in den USA mit bis zu 50 Jahren Haft bei Inzest kassieren. Ich wusste nicht wie es auf Hawaii aussah, aber 50 Jahre waren eine bittere Pille…

Und die ohne Marco?

Sicher verstehst du mich, wenn ich sage, dass mich dieses Wissen furchtbar demotiviert.

Demotiviert.

Frustriert.

Antriebslos.

Nahele hatte es da besser.

Je mehr Zeit Marco mit unserer Gruppe verbrachte, desto mehr konnte ich Lavinia im Umgang mit unseren beiden Footballern beobachten. Oft hatte ich den Eindruck, dass man sie nach Marco hätte fragen können und ihre Antwort hätte gelautet: „Marco? Welcher Marco?“

Ihre Blicke galten doch nur Nahele und seine ihr.

Nur warum die beiden es nicht zueinander schafften, das war mir ein Rätsel. Stattdessen glaubte noch immer die ganze Schule, dass Lavinia die neue Flamme von Marco war.

Und vor allem: Dass Lavinia Marco gezähmt hatte. Wie sonst hätte das Wunder geschehen sollen, dass er und ich miteinander sprachen, ohne dass Messer und Bomben geworfen wurden?

Dabei gehörte sie doch unverkennbar mit Nahele zusammen. Cousin und Cousine. Offiziell ebenfalls ein No-Go, aber die beiden waren nicht Blutsverwandt.

Nahele war der Sohn des Bruders seines „Vaters“ – der damit eigentlich sein Onkel war. Und Lavinia war die Tochter der Schwester von dessen Frau. Welchen Verwandtschaftsgrad ergab das?

Gab es hierfür überhaupt eine adäquate Bezeichnung?

Fest stand: Sie waren nur deshalb Cousin und Cousine, weil sein Onkel und dessen Frau ihn nach dem Tod seiner Eltern adoptierten.

Ich war ja kein Jurist, aber konnte man da denn nicht anknüpfen in der Argumentation?

Reichte es denn nicht, wenn die beiden nachwiesen, dass sie nicht blutsverwandt waren?

Es war so traurig und zeitgleich war ich dennoch unendlich neidisch.

Rein genetisch dürfte nichts gegen ihre Liebe sprechen, aber ich und Marco…

Grace hingegen lebte seit neuem häufig in ihrer eigenen Welt. Sie hing ständig am Telefon und kicherte vor sich her.

Doch so wie Elli machte sie ein großes Geheimnis um ihre Beziehung.

Inzwischen gab es verschiedene Theorien was sie betraf:

Elli und Grace hatten eine homosexuelle Beziehung – was Letztere ja eigentlich schon dementiert hatte…

Oder Grace war einfach nur gemein, weil sie uns ausklammerte, und Elli hatte eindeutig was mit einem Mafioso…

Anders konnte ich mir diesen schwarzen Geländewagen nicht erklären.

Aber immerhin tauchte sie nach der Party wieder auf. In meinen finstersten Träumen hatte ich mir schon ausgemalt, wie sie bei den Fischen gelandet war… Oder in einer zwielichtigen Kneipe tanzte…

Doch ihre Geschichte sah ganz anders aus, wie ich an diesem Donnerstag herausfand.

Per Zufall.

Als sie mal wieder nicht zur Schule erschien, da war mein erster Gedanke, dass sie zusammengeschlagen wurde.

Ihr neuer Freund war mir einfach ein Rätsel.

Und warum sollte sie ihn sonst vor uns geheim halten?

Sicher war er gewalttätig und es ging ihr nur deshalb ständig so schlecht, weil er sie verprügelte…

Elli war einfach zu lieb und zu sanft um zu sagen, wann Schluss war…

„Macht euch mal nicht ins Hemd.“, versuchte Grace mich und Lavinia zu beschwichtigen, als wir zu dritt das Wohnheim betraten. „Ihr Freund wird sie sicher nicht schlagen.“

„Sie hat also wirklich einen Freund!“, rief Lavinia.

„Und woher willst du wissen, dass er sie nicht schlägt? Ständig geht es ihr nicht gut und sie kommt nicht zur Schule!“, warf ich ihr an den Kopf.

„Das hat andere Gründe.“, Grace winkte ab und ging in Richtung Treppe.

„Dann sag sie uns!“, bat ich, aber sie schüttelte den Kopf.

„Sorry, das geht nicht. Das muss sie selbst machen.“

Ich schnaubte frustriert und sah zu Lavinia, die ebenso enttäuscht war.

Wir erreichten die Etage, in der Ellis Zimmer lag und eilten zu ihrer Tür nahe der Stufen.

Grace klopfte sofort an.

Es dauerte einen Moment, bis sich die Tür zu dem kleinen Raum öffnete. Erstaunt sah Elli uns an.

„Nanu? Hallo Leute…“, begrüßte sie uns verwirrt. Grace drückte ihr ein Küsschen auf die Wange und betrat Ellis Zimmer, woraufhin Lavinia und ich einen besseren Blick auf sie erhaschen konnten.

Nichts.

Keine Blauen Flecke, keine Schürfwunden…

Und dabei trug sie nur ihren kurzen Pyjama – warum auch nicht, wenn man den ganzen Tag nicht aus dem Zimmer musste?

„Du bist schon wieder krank.“, kommentierte Lavinia und trat nun ein. Sie blieb in dem schmalen Gang zwischen Küchenzeile und Badezimmer stehen und sah zu uns zurück, als auch ich eintrat und Elli hinter mir die Tür schloss.

„Ja, mir geht es halt nicht gut.“, wich sie aus und drückte sich an uns vorbei. Grace hatte sich inzwischen auf den Drehstuhl am Schreibtisch gelümmelt, checkte noch einmal ihr Handy und legte es dann auf der Platte ab.

„Du bist in letzter Zeit ungewöhnlich häufig krank!“, bemerkte ich und beobachtete gerade noch so, wie sie ihr Kopfkissen über ein blau-rosa Heft in A4-Größe zog.

„Hast du was Schlimmes?“, fragte Lavinia besorgt und setzte sich auf einen Koffer, der vor dem Kleiderschrank stand.

„Nein! Nichts Ernstes. Keine Sorge, das legt sich wieder.“, versicherte Elli und ließ sich federnd auf ihr Bett plumpsen. Sie warf einen Blick zu Grace, die nur zurückstarrte, als würde sie telepathisch miteinander kommunizieren.

Aus einem Impuls heraus trat ich dichter an das Bett und hob Ellis Kopfkissen hoch.

Sofort wanderten alle Blicke zu mir.

„Hey!“, rief Elli entsetzt und grabschte nach dem Kissen, doch mich interessierte viel mehr das Heft, das sie vor uns zu verstecken versucht hatte.

Riesige blaue Augen starrten mir hypnotisierend entgegen. Links am Bund ein Mann, der hinter einer Frau stand und liebevoll beide Hände auf ihren gigantischen Babybauch legte.

Und dann die Überschrift: „Der Schwangerschaftsratgeber“, las ich vor und sah verwirrt die anderen an.

Lavinias Mund öffnete sich in Zeitlupe, Grace tat unbeteiligt und sah schonwieder auf ihr Telefon.

Mir ging ein Licht auf.

Das Geheimnis der beiden war eindeutig: „Elli! Bist du schwanger?“

Ertappt sah unsere Freundin mich an, dann Lavinia und hilfesuchend zu Grace.

„Und du wusstest davon? Warum hast du uns beiden nichts erzählt?“, fuhr ich sie an. Wild begann mein Herz zu schlagen.

Meine Stimme wurde immer aufgeregter und Höher und ich spürte das kommen, was geschah: Lavinia und ich schrien zeitgleich los und warfen uns auf Elli.

„Hey! Nein! Aus! Vorsicht!“, lachte die los, als wir sie mit reichlich Küsschen beschenkten.

„Oh mein Gott! Wie weit bist du? Wann ist es soweit?“, fragte Lavinia drauf los.

„Bleibt doch erstmal ganz ruhig. Ich bin gerade erst in der achten Woche. Es kann noch so viel passieren. Macht also bitte keine Affäre daraus. Wer weiß ob ich es behalten werde.“

„Auf keinen Fall treibst du ab! Wenn du das tust, dann schmeiße ich dich ins Meer!“, befahl ich barsch, aber Elli schüttelte den Kopf. „Nein, abtreiben werde ich nicht… aber wer weiß, ob ich es über die ersten 12 Wochen schaffe. Das ist halt noch eine sehr unsichere Phase, deswegen wollte ich euch nichts sagen…“

Ich schüttelte den Kopf und sah zu Grace.

„Und du wusstest alles und hast nichts gesagt?“, fragte ich sie, aber die Blonde zuckte nur mit den Schultern.

„Hey, ich hab es ihr versprochen. Es ist sowieso alles etwas… kompliziert…“

„Warum das?“, fragte ich und Lavinia verlor völlig die Fassung: „Oh mein Gott! Der Vater will das Baby nicht! Wer ist es? Den machen wir fertig!“, verkündete sie und ich nickte zustimmend.

Voller Tatendrang schlugen wir ein, aber Elli brachte uns wieder runter: „Nein, nein… Kompliziert wegen dem Vater, ja… aber nein, er… na ja… ich weiß nicht, ob er sich freut, aber er würde mich nie dazu zwingen es abzutreiben oder mich alleine lassen.“

„Aber er weiß davon.“

Elli nickte zustimmend und wir vier sahen uns einen Moment schweigend an.

„Und wer ist er?“, fragte Lavinia schließlich neugierig genau das, was auch mir auf der Seele brannte.

„Nun…“, druckste Elli herum und ich sah zu Grace.

„Das weißt du sicher auch, oder?!“

„Natürlich?“, entgegnete sie, als sei es das logischste auf der Welt.

„Ok, dann antworte uns lieber, Elli, oder ich foltere Grace indem ich ihr ihre Haare abschneide!“

Mit großen Augen hielt Grace sich beide Hände über den Kopf, als könne sie so das Schlimmste verhindern.

Elli aber schüttelte den energisch den Kopf.

„Aaron“, sagte sie dann, als würde das alles erklärten.

Aaron? Wer sollte das sein?

Ich hob eine Augenbraue und tauschte Blicke mit Lavinia.

„Ich kenne keinen Aaron.“

„Nein, denn wir nennen ihn Coach Graham.“, kommentierte Grace und Lavinia stieß einen spitzen Schrei aus.

„Oh mein Gott! Ich wusste es!“

Und doch war diese Erkenntnis für mich wie ein Schlag.

Meine Vermutungen, als ich die beiden sprechen sah, waren also wahr!

Darüber zu fantasieren und es zu hören waren trotzdem zwei unterschiedliche Dinge.

Ich sah Elli entsetzt an: „Ist euch nicht klar, dass das verboten ist?“

Komisch, damit hatten wir wohl alle zu kämpfen…

Marco und ich, Lavinia und Nahele, Elli und Mr Graham… fehlte ja nur noch Grace in dieser wunderschönen Liste.

„Ja natürlich wissen wir das. Das war auch alles nicht geplant! Gar nichts… Es ist einfach… Irgendwie…“, sie zuckte die Schultern.

„Wie?“, fragte Lavinia.

„Die 250 Dollar weil du jemanden angezeigt hast! Elli! Hat er dich etwa…“, erinnerte ich mich plötzlich daran, dass sie sich deswegen unterhalten hatten und er scheinbar die Gebühr dafür getragen hatte, doch unsere Freundin bestritt erneut alles vehement.

„Nein! Nein auf keinen Fall! Das ist alles ganz anders!“, beteuerte sie.

„WIE?!“, verlangte Lavinia noch einmal zu wissen, nur dieses Mal mit mir zusammen im Chor.

Elli sah an die Decke.

„Die Anzeige war gegen mich. Ich habe mich selbst angezeigt.“

Nun verstand ich gar nichts mehr.

„Bei der Wohnheimparty, als wir so gesoffen haben“, erklärte sie. „Ich bin raus gegangen und bin über den Strand getaumelt. Irgendwo hinter einem Busch hab ich mir dann die Seele aus dem Leib gekotzt und dann stand da plötzlich Merlin vor mir.“

„Dieser Monsterhund.“

Elli nickte.

„Genau. Er gehört Aaron. Die beiden waren gerade Gassi… Und dann weiß ich eigentlich nur noch bruchstückhaft was geschehen ist… Er hat mich mit nach Hause genommen, mir Tee gegeben und ein Bett auf seiner Couch gemacht… und dann… keine Ahnung… Ich glaube der Alkohol hat mir einfach jede Hemmung genommen und ich wollte mit ihm… na ihr wisst schon… Ich stehe doch schon so lange auf ihn…“

Entsetzt sah ich sie an.

„Bitte was? Das wusste ich gar nicht!“

Sie zuckte die Schultern.

„Na weißt du wie peinlich mir das immer war? Ich bin in unseren Englisch- und Sportlehrer verschossen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Und dann habt ihr also… miteinander?“, stotterte Lavinia rum auf der Suche nach den richtigen Worten und Elli lächelte matt.

„Irgendwie… ja… also muss ja… Ich weiß eigentlich nur so schemenhaft, dass er unter mir lag, ich saß auf seiner Hüfte und seine Arme waren gefesselt und er hat immer wieder gesagt, dass wir das nicht dürfen…“

Ich hielt mir eine Hand vor den Mund. Das klang wirklich schwer danach, dass sie ihn vergewaltigt hatte… aber Elli sollte jemandem wie Mr Graham zum Sex zwingen?

Das erschien mir wiederum absolut lächerlich.

Elli war eine kleine pummelige Fee und Mr Graham ein Bär von Mann. Er hätte sich doch wohl gegen sie wehren können!

„Als ich am Morgen total verkatert wach geworden bin lag ich neben ihm in seinem Bett. Er war noch immer gefesselt, schlief aber. Ich habe mich so schnell es ging aus dem Staub gemacht. Natürlich nicht ohne das Hemd zu lockern, mit dem ich ihn angebunden hatte. Danach bin ich sofort zu Grace und ich dachte, dass er mich schon längst angezeigt hätte oder es tun würde, also hab ich es selbst gemacht. Ehe er was machen konnte. Ich kam mir einfach so schäbig vor… dass ich ausgerechnet ihn gezwungen hatte mit mir zu schlafen… IHN!“

Sie sah wirklich verzweifelt aus.

„Und dabei bist du schwanger geworden?“, fragte Lavinia.

„Respekt, meine Liebe.“, erklärte ich. „Wenn du was machst, dann machst du es richtig.“

„Wie ging es aus?“, bettelte Lavinia weiter.

„Ich habe halt die Projektwoche geschwänzt, bis er Mr Byrd auf mich angesetzt hat. Der hat mich dann morgens einfach abgeholt und zur Schule geschliffen.“

„Wo du mich dann nach 250 Dollar gefragt hast.“

„Genau. Er hat wohl den ermittelnden Beamten gesagt, dass nie etwas zwischen uns passiert sei. Dass er sich nicht erklären könne, wie ich auf so etwas gekommen sei… und anschließend bekam ich dann diese Strafe aufgedrückt, weil sie wegen mir fälschlicher Weise ermittelt haben.“

„Das ist ziemlich hart.“, erkannte Lavinia und ich nickte.

„Aaron hat auf jeden Fall die Strafe für mich gezahlt.“

„Er hat dich auch von der Geburtstagsfeier abgeholt, oder?“, fragte ich, was Elli stumm bestätigte.

„Irgendwie sind wir wohl zusammen…“, murmelte sie. „Aber das darf niemand erfahren!“

Plötzlich sah sie uns wieder hellwach an.

„Ich weiß ohnehin nicht genau, ob er wirklich mit mir zusammen sein will oder nur nett zu mir sein wollte und sich nun dazu genötigt fühlt irgendwie eine Beziehung mit mir zu führen.“

Was ein Arsch.

Das dachten wohl auch die anderen, denn wir sahen uns einen Moment nachdenklich an.

„Keine Sorge.“, versprach dann Lavinia. „Bei uns ist euer Geheimnis sicher.“

Freitag, 21. September 2018 – Teil 1

Lavinia und ich steckten zum Mittag in der Mensa die Köpfe zusammen, als Marco und Nahle mit zwei Tabletts ankamen.

„Wiedermal ist Hirn Mangelware.“, grummelte Nahele und reichte mir eine Schüssel mit Ravioli und Tomatensoße, bestreut mit extra viel Käse.

„Wieso, bist du ein Zombie und brauchst was frisches?“, fragte ich amüsiert knurrend und tat, als wolle ich nach ihm schnappen.

Marco und Lavinia sahen darüber nicht besonders amüsiert drein, aber wenigstens Nahele lachte wieder.

„Ja, unbedingt.“, er sah über den Tisch, wo sich Marco langsam von uns beiden abwandte und einen Pappteller mit einem Stück Pizza an Lavinia weiter reichte.

„Er meinte die Kinder in der Schlange. Was für Hirnakrobaten.“, verkündete er.

„So wie ihr?“, kommentierte Lavinia knochentrocken und ich brach in schallendes Gelächter aus.

„Euch bringe ich nochmal was mit.“, schmollte Nahele und Marco ging sogar einen Schritt weiter und wollte Lavinia ihr Essen wieder wegnehmen, doch die schlug sofort spielerisch nach ihm, um ihr Pizzastück zu verteidigen

„Meins!“

Ich sah ihr grinsend dabei zu wie sie aß, als Nahele wieder das Wort ergriff: „Ist Grace immer noch nicht da?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung wo sie schonwieder bleibt.“, gestand ich.

„Dann muss sie sich eben selbst anstellen.“, kommentierte Marco und piekte ein paar Nudeln auf.

„Wir haben uns übrigens etwas überlegt.“, verkündete Lavinia.

„Ich hoffe ihr habt euch dabei nichts verrenkt?“, kaum hatte Marco ausgesprochen zog Lavinia ihm eine Hand über den Hinterkopf, im selben Moment in dem ich ihm auf die Stirn schlug.

Er lachte tief und amüsiert.

„Was haltet ihr davon, wenn wir uns heute Nachmittag unsere Jacht schnappen, ein wenig herum schippern und dann irgendwo Ankern und grillen?“

„Pyjamaparty nur der harte Kern?“, fragte Nahele. „Bis morgen früh?“

„Klar, wieso nicht?“

Marco schluckte runter. „Am Sonntag ist Vaters Beerdigung, Sera. Da müssen wir morgens fit sein. Und Anschließend kommen die ganzen Gäste zum Kaffee zu uns.“

„Deswegen machen wir es ja heute.“, erklärte ich.

„Es muss ja nicht lange dauern.“, erklärte Lavinia nahezu liebevoll. „Wirklich nur ein wenig herumfahren, ankern, grillen… die Sterne anschauen…“

Ihr Blick wanderte zu Nahele rüber. Ich folgte dem und sah, wie er sie langsam kauend anstarrte, doch dann holte er tief Luft, sah auf sein Essen und nickte.

„Find ich eigentlich ganz toll. Wir haben schon lange nichts mehr alle zusammen unternommen.“

Er sah zu mir.

Warum hatte ich nur das blöde Gefühl, dass er Marco ausklammern wollte?

Ich sah zu meinem Bruder hinüber, dem wohl gerade derselbe Gedanken aufgegangen war, doch Lavinia stellte schon alles richtig: „Wir würden mit deinem Auto – Nahele – nachher einkaufen fahren und dann Elli holen. Und ihr beide kommt dann einfach mit Marcos Auto nach? Wir warten im Hafen.“

Nahele sah zu ihr rüber und dann zu Marco. Ich konnte nicht sagen, ob er etwas dagegen hatte, dass er mitkommen sollte oder nicht, aber es war mir gleich. Auf jeden Fall ließ er sich nichts anmerken, wenn es denn so war und als Marco schließlich die Schultern zuckte nickte er.

„Ok, aber sollten wir nicht noch ein paar Klamotten von Zuhause holen? Wechselklamotten, Handtücher, Badesachen?“

„Setz das auf die Liste, Vini. Das machen wir einfach für euch.“

Sie nickte großzügig.

„Wie kommt ihr eigentlich auf diese Idee?“, fragte Marco weiter und Lavinia und ich sahen uns an.

Was sollten wir sagen?

Wir wollten Elli eine Freude machen und sie liebte das Meer. Je mehr sie uns von sich und Aaron – wie komisch seinen Namen zu denken, wo ich ihn nur als Mr Graham kannte – erzählt, desto trauriger schien sie zu werden. Wir wollten sie einfach aufheitern, das war alles.

„Also wir…“, überlegte Lavinia und Marco hob die Augenbrauen abwartend.

„Wir wollen Elli eine Freude machen. Damit es ihr bald wieder besser geht.“, erklärte ich und es war immerhin nicht gelogen.

„Hm…“, machte Nahele plötzlich. „Jetzt wo ihr es ansprecht: Ist das wirklich so eine gute Idee? Elli ist schonwieder krank. Vielleicht fühlt sie sich gar nicht danach mit uns aufs Meer raus zu fahren.“

Marco nickte zustimmend und ich prustete missmutig, ehe ich noch eine Nudel aß.

„Hey, wenn ihr zwei Miesepeter keine Lust habt, dann fahren wir halt nur zu viert raus!“, stellte Lavinia für mich klar und ich musste grinsen.

„Wollt ihr uns wirklich ganz allein mit der Jacht rausfahren lassen?“, fragte ich neckend und sah von Nahele zu Marco, der mich missmutig anfunkelte.

„Nein? Na dann hört auf euch unsere Köpfe zu zerbrechen und kommt einfach nach dem Training artig in den Hafen. Wir kümmern uns um alles!“

Lavinia und ich nickten einander zu, da kam gerade Grace in die Mensa gerauscht.

Miesgelaunt schlängelte sie sich durch die Tisch.

„Rutsch mal ein Stück!“, pflaumte sie mich grummelig von der Seite an, ließ sich auf die Bank fallen und strich sich eine Strähne ihres Haars wieder glatt und hinter das Ohr.

Irritiert betrachteten wir vier sie, bis sie sich meine Nudeln ran zog und einfach eine Trockene aus der Schale fummelte.

„Meine Fresse, was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte Nahele entsetzt, als sie mit winzigen bissen daran zu knabbern begann, doch anstatt einer Antwort brummte Grace nur noch einmal und biss erneut ab.

Ich hob die Augenbrauen.

„Männer sind scheiße.“, verkündete sie dann.

„Das bemerkst du erst jetzt?“, fragte ich kalt und kassierte einen Knuff in die Seite von Nahele.

„Nein, wirklich! Männer sind scheiße!“

„Was ist passiert?“, fragte Lavinia.

„Du siehst aus wie sitzengelassen.“, ergänzte Marco.

„So in etwa.“, knurrte Grace und fischte sich noch eine Nudel aus meiner Schüssel.

„HEY!“, fuhr ich sie an. „Hol dir doch dein eigenes Essen, wenn du so hungrig bist!“

„Keine Lust.“

„Was ist passiert, Gracy?“, fragte Lavinia besorgt und unsere Freundin verschlang ihre zweite Nudel mit einem Happs.

„Ach, da ist dieser Mann, ja?!“

„So viel zum Offensichtlichen.“, kommentierte Nahele und wir drei Mädels sahen ihn strafend an. „Was denn? Dass du einen Kerl hast, das wissen wir jetzt seit Wochen und trotzdem rückst du nicht mit der Sprache raus!“

„Dann halt vielleicht einfach mal die Klappe.“, schlug Lavinia vor und sofort war er still. Wie ein geprügelter Hund vergrub er sich in seinem Essen und lauschte Grace: „Also, da ist dieser Mann.“, begann sie noch einmal mit einem finsteren Blick auf Nahele. „Wir haben jetzt schon eine ganze Weile was miteinander. Und es war auch immer toll und großartig und oh man, ihr glaubt nicht wie heiß es ist spontan zwischen den Unterrichtsstunden…“

„Ok, komm, wir wollen keine Details -“

„Du vielleicht nicht!“, warf ich Marco an den Kopf.

„- Also, was ist vorgefallen?“

„Ich glaube einfach langsam, dass er nichts anderes von mir will als das eine.“, erklärte sie beleidigt und stützte schmollend den Kopf auf der Hand ab. „Wir tun nie was anderes außer… Sex!“, jammerte sie.

„Wer ist es überhaupt? Kennen wir den?“, fragte Marco wie beiläufig und Grace schüttelte den Kopf. „Nein leider nicht.“

Jammerte sie.

„Und noch eine mit Liebeskummer.“, seufzte ich.

„Wieso? Wer hat noch Liebeskummer?“, fragte Nahele unschuldig.

Überrascht sah ich zu den anderen Mädchen.

Hups, verraten! Doch ich rettete die Situation mit: „Na ich. Wegen dir, du Herzensbrecher!“

Nahele lachte los, aber Marco blieb der Bissen im Halse steckend.

Finster beobachtete er uns, als Nahele mich in seine Arme zog und überschwänglich die ewige Liebe beteuerte.

Als ich aufsah, entdeckte ich neben dem Ohr meines Bruders wie die Tür zur Mensa sich öffnete. Mr Byrd hielt gut gelaunt Coach Graham die Tür auf und plapperte auf ihn ein, während dieser ewige Griesgram die Essensausgabe ansteuerte.

Und in diesen Typen war Elli tatsächlich verliebt?

Ich konnte es nicht verstehen.

Umso trauriger nur, dass er ihr sicherlich nicht das Gleiche entgegen brachte.

Ich wandte mich von dem bärtigen Monster ab und sah zu Grace.

„Lavinia und ich hatten die Idee, dass wir nachher mit der Jacht rausfahren. Guter Plan? Wir schnappen uns Heles Auto, holen ein paar Sachen, gehen einkaufen und verschleppen dann Elli. Gute Idee?“

„Ja! Defintiv!“, stimmte sie sofort aufgeregt zu. „Das machen wir!“
 

„Das ist deine Babyparty!“, entschied Lavinia und goss Elli Orangensaft in ein Sektglas ein.

Elli lachte und sah mir entgegen, als ich aus dem Innenberech der Jacht kam, wo ich die letzten Lebensmittel in dem Kühlschrank verstaut hatte.

„Meint ihr nicht, dass das etwas zu früh ist?“, fragte sie verlegen. „Nur ein kleines bisschen?“

„Genieß es, Elli! Wir wollen alle auf andere Gedanken kommen heute.“, entschied ich und band die Enden meiner Bluse unter der Brust zusammen.

„Echt mal! Mach dich locker! Jetzt ist Partytime!“, brüllte Grace und tanzte über uns auf dem Steuermannsdeck.

Elli schlug sich eine Hand vor das Gesicht.

„Vini, wie viel hat die schon getrunken?“

„Ich schwöre, dass das ihr erstes Glas ist!“, raunte sie uns zu und wir kicherten.

Ich sah auf die Uhr.

„Meine Güte, Training ist seit einer Stunde vorbei! Wo bleiben die Jungs nur?“, meckerte ich.

„Die kommen sicher gleich.“, Lavinia winkte ab. „Aber bist du sicher, dass wir dieses Monster alleine Gesteuert bekommen?“

„Ja, ja, keine Sorge.“, ich winkte ab. „Nahele hat einen Führerschein für solche Dinger. Wir sind schon zwei, drei Mal alleine rausgefahren. Das klappt schon alles.“

Lavinia nickte und sah zu Elli, die plötzlich in sich zusammengesackt war und ganz verloren auf die Holzdielen unter sich starrte.

„Elli? Was hast du?“

„Vielleicht hätte ich ihm doch sagen sollen, was wir machen?“, fragte sie uns mit weinerlichem Blick. „Meinst du wirklich, dass der sich Sorgen um dich macht?“, fragte ich gerade heraus und sie sah wieder seufzend zu Boden. Ok, war das vielleicht zu hart?

Aber nach allem was sie uns erzählte, war ich mir da nicht mehr so sicher.

„Nein, eigentlich nicht.“, erklärte Elli schließlich und legte sich auf die Liege zurück, die sie beansprucht hatte.

„Hey, was sollen denn die langen Gesichter?“, fragte Grace und kam gut gelaunt von ihrem hohen Podest runter. Grinsend setzte sie sich neben uns und schüttelte die Schultern.

„Es ist Wochenende! Heute wird gefeiert!“

Ich prustete los und hielt mir eine Hand vor die Augen. Lavinia schmunzelte: „Dafür, dass du vorhin auch noch ziemlich mies drauf warst, bist du aber jetzt umso besser gelaunt.“

„Ja! Ich habe mich dazu entschieden, dass mir kein Arschloch heute die Laune vermiesen darf! Dieses Wochenende gehört nur euch!“

Sie prostete uns zu und trank einen Schluck.

Irgendwo bellte ein Hund.

„Ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen…“, murmelte Elli, zog ihre Beine an und pulte an einem der Bänder, die ihr Sommerkleidchen unter der Brust enger schnürte.

„Jetzt hör doch mal auf damit! Das zieht uns alle… Ihh!“, schreiend sprang ich auf und sah nur noch, wie Sekt an meinem Bauch runterrann. „Bäh! Grace! Geht es dir noch gut?“

Lavinia und Elli brachen in schallendes Gelächter aus.

Grace hatte mir ihren letzten Schluck im hohen Bogen entgegen gespuckt. Zum Glück nur trug ich bereits einen Bikini.

Ich angelte zur Strafe ihr Handtuch und machte mich damit sauber.

„Man, das ist voll eklig!“, kommentierte ich und sah sie sauer an, aber Grace achtete nicht einmal auf uns. Entsetzt sah sie zum Bootssteg.

Wieder bellte es und nun sahen auch wir auf.

Nahele winkte mit entschuldigender Miene und betrat gerade über eine Rampe das Boot. Hinter ihm Marco.

Eine riesige deutsche Dogge preschte an ihnen vorbei und zog aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd einen Kreis im Innern der Jacht und sprang dann freudig bellend zu uns hinaus und zu Elli auf die Liege.

„Merlin…“, murmelte die und kraulte seinen Kopf.

Merlin hieß nur, dass ein finster dreinblickender Coach Graham gerade hinter unseren Freunden mit einer Sporttasche über der Schulter die Jacht betrat.

Dicht hinter ihm folgte Mr Byrd.

„Oh nein…“, grummelten Lavinia, ich und Grace zeitgleich und Letztere entzog mir ihr Handtuch, um es sich unter den Armen entlang um den Oberkörper zu binden.

Freitag, 21. September 2018 – Teil 2

„Merlin…“, murmelte die und kraulte seinen Kopf.

Merlin hieß nur, dass ein finster dreinblickender Coach Graham gerade hinter unseren Freunden mit einer Sporttasche über der Schulter die Jacht betrat.

Dicht hinter ihm folgte Mr Byrd.

„Oh nein…“, grummelten Lavinia, ich und Grace zeitgleich und Letztere entzog mir ihr Handtuch, um es sich unter den Armen entlang um den Oberkörper zu binden.
 

„Hi Mädels“, Marco lächelte uns gezwungen an, als er auf das Sonnendeck trat.

„Sorry Mädels…“, wusste zumindest Nahele das Richtige zu sagen.

„Verdammt, warum habt ihr die hergebracht?“, raunte ich Marco zu.

„Das war nicht unser Plan!“, erklärte er mir leise. „Der Coach fragte uns während der Pause was wir heute noch machen würden und wir haben halt gesagt, dass wir mit euch auf der Jacht rausfahren wollen.“

Na klasse!

Da sie nicht wussten, dass wir gerade vor Coach Graham fliehen wollten, hatten sie es ihm natürlich arglos erzählt…

Ich sah zu Lavinia, die genauso zwischen uns beiden hin und her sah und sich dann Nahele zuwandte. Der aber hob nur ratlos die Schultern.

Mr Graham stellte seine Sporttasche drinnen auf einem Sofa ab, ehe er zu uns heraus trat.

„Bis auf Marco und Elli seid ihr noch Minderjährig.“, sprach er tief und herrisch. „Glaubt ihr wirklich, dass ich mein Mädchen da alleine mit euch auf das Meer hinaus fahren lasse? In ihrem Zustand?“

„Hä? Mädchen? Zustand?“, fragte Marco verwirrt und sah seinem Couch hinterher, als er sich an ihm vorbei schob und sich gleich darauf auf Ellis Liege fallen ließ, was Merlin wieder von ihr herunter scheuchte. Während der Hund nun auch die anderen Anwesenden begrüßen ging, zog Elli fast verängstigt die Knie an und blickte flehend zu dem Coach auf.

„Ok, was passiert hier gerade?“, fragte Marco mich verwirrt.

„Kannst du mir mal verraten was das soll?“, fragte unser Lehrer Elli gedämpft. Doch die antwortete nicht, sondern sah einfach auf das Wasser raus. „Hey!“

So zärtlich wie ich es niemals für möglich gehalten hätte bei diesem Bullen legte er ihr eine Hand an die Wange und sprach leise auf sie ein.

„Alkohol, ja?“, fragte Mr Byrd gerade. Überrascht sahen wir zu ihm. Er roch an dem Sektglas von Grace und ließ sie nicht aus den Augen. Wutschnaubend entriss sie es ihm.

„Was geht es dich an?!“, fauchte sie schnippisch und wir sahen uns überrascht an.

„Alkohol?“, fragte der Coach alarmiert und sah wieder Elli an. „Sag mir nicht, dass du Alkohol getrunken hast!“

„Was? Nein!“, eilig griff sie nach ihrem Glas und reichte es ihm weiter. Er nahm es an, roch dran und trank einen Schluck. Nach einer Sekunde nickte er erleichtert.

„Was denkst du denn von mir?“, fragte sie ihn dann aber fassungslos und verletzt.

Er stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf.

Sanft sah er sie an, hob eine Hand und strich ihr die Haare zurück. Voller liebe rieb er ihr Ohr und ihre Wange.

„Ich habe mir nur Sorgen gemacht, meine süße Maus, das ist alles.“

„Meine süße Maus?“, wiederholten Nahele und Marco verstört wie aus einem Mund, doch Mr Graham und Elli nahmen sie schon gar nicht mehr wahr. So wandten sie sich an uns: „Alles klar, was geht hier eigentlich vor sich?“

„Ja, das wüsste ich auch gerne.“, verkündete Grace mit noch immer wütenden Blick auf unseren Mathelehrer, der sein Hemd aufknöpfte und die Ärmel hochkrempelte. Er strich sich die schwarzen Haare zurück und sah zu ihr.

Augenblicklich zuckte sie zurück. Bei diesem Anblick fehlte nur noch der Sabber, der aus ihrem Mund tropfte.

„Jungs, Leinen los.“, sagte er ohne weiter darauf einzugehen zu Marco und Nahele. Sie ließen ihre Taschen erschrocken fallen und sprangen los, um die Jacht von den Tauen zu befreien und die Rampe einzuholen, während er auf den Bootführerstand hinauf kletterte und den dort bereits steckenden Schlüssel herumdrehte.

„Grace?“, sprach ich unsere blonde Freundin an, die mich erschrocken fixierte. „Du sabberst.“

Sie sah ertappt zu Boden, richtete ihr Handtuch und verschränkte die Arme unter der Brust. Mit kurzem Blick auf Elli und Mr Graham kam sie näher.

Die Jacht setzte sich in Bewegung und er kam unserer Freundin mit dem Gesicht langsam immer näher, während sie sich weiter unterhielten.

„Was zum Geier geht hier bitte vor?“

Grace seufzte schwer.

„Elijah wollte wissen, wann ich heute bei ihm bin. Also habe ich ihm geschrieben, dass ich gar nicht kommen werde, weil wir was unternehmen. Also hat Mr Graham wohl die Jungs ausgequetscht und…“

Lavinia wedelte mit den Armen.

„Stopp! Wer ist Elijah?“

Grace knirschte mit den Zähnen und sah hoch zu Mr Byrd, der angestrengt beide Seiten der Jacht beobachtete, während er das Boot sicher aus seiner Parkposition lenkte und weg vom Steg.

„Nein!“, Macht Lavinia theatralisch und auch ich verstand endlich.

„So viel zu dem Thema warum ich keine Nachhilfe bekomme! Ihr lernt nicht, ihr vögelt die ganze Zeit.“

Grace legte einen Finger an den Mund, hampelte verstörend hin und her und wollte uns so wohl dazu bringen leiser zu reden.

„Für Noten oder was?“

„Nein! Natürlich nicht…“, fauchte sie mich an und sah hoch zu ihm. „Ich weiß auch nicht wieso… es geschah einfach…“

Sie rieb sich einen Arm.

„Gracy?“, machte ich wohlwissend. „Du verheimlichst uns was!“

„Ihr wisst doch, dass ich ständig so müde war, weil ich so lange auf war… Ich habe mich nachts immer aus dem Wohnheim geschlichen und habe ihn in seiner Bucht beobachtet.“, gestand sie und biss sie auf die Unterlippe. „Er lebt alleine in einem großen Wohnwagen in einer einsamen und verwilderten Bucht…“

„Alter, was? Du stalkst unseren Lehrer?“

Fassungslos sahen wir unsere Freundin an.

Als sie nicht weiterredete hob ich beide Hände an meinen Kopf und raufte mir die Haare.

„So, wir fahren.“, verkündete Nahele überflüssiger Weise und kam wieder zu uns zurück. Hinter ihm folgte Marco.

„Was haben wir verpasst? WOW!“, schockiert wich er einen Schritt zurück. Wir folgten seinem Blick und sahen, dass sich Mr Graham über Elli gelehnt hatte. Völlig entspannt lehnte sie in ihrer Liege und strich ihm durch das lange Haar und den Vollbart, während sein Mund scheinbar versucht gierig ihre Lippen aufzufressen.

Plötzlich quickte sie auf und begann zu kichern, weshalb er sich einen Moment von ihr löste. Schelmisch grinsend sah er auf ihre Nasenspitze hinab und dann in ihre Augen. Sein tiefer bass klang so weich wie nie.

Elli lachte begeistert auf und schob ihre Knie zwischen sie beide, als wolle sie etwas Abstand gewinnen, doch er umarmte nur ihre Waden und küsste selig lächelnd ihr Knie.

Langsam wanderte ihr Blick zu uns, wie wir sie fassungslos anstarrten. Augenblicklich lief Elli krebsrot an.

„Hey!“, protestierte sie.

„Ehm…“, machte Nahele verwirrt und hob einen Finger, als wolle er sich melden.

„Wir sind hier nicht im Unterricht.“, kommentierte unser Lehrer und lehnte sich noch immer schmunzelnd mit einem Arm lässig über das Knie gestützt vor. Mit der anderen Hand umschlang er Ellis Fußgelenk und legte sich das Bein über den Schoß.

„Coach“

„Aaron“, unterbrach er Naheles Ansprache. Verwirrt sahen die Jungs sich an.

„Sein Name ist Aaron. Aaron Graham.“, klärte ich sie auf.

Marco schüttelte verwirrt den Kopf.

„Überanstreng dich nicht, Pavianhirn…“, murmelte ich, was mir einen Schlag auf den Hintern einbrachte. Erschrocken sprang ich einmal in die Luft und sah zu ihm.

Sein Blick machte mich fertig.

Schnell sah ich wieder weg.

Grace war die erste, die sich aus unserer Runde löste und damit die Starre sprengt, in die wir geraten waren. Während sie die Stufen zu Mr Byrd hinauf erklomm, sah ich mich nach meiner Liege um und ließ mich wieder auf mein Handtuch sinken. Lavinia tat dasselbe mit ihrer Liege auf der anderen Seite von Ellis.

Nachdenklich sah Marco zwischen uns beiden hin und her – wohl am Überlegen wo er sich hinsetzen sollte.

„Sir…“, begann Nahele noch einmal, scheinbar auf der Suche nach einer neuen Art seinen Trainer anzusprechen, doch Aaron begann zu lachen.

„Nahele, was ist daran so schwer? Sag einfach Aaron. Wir sind hier nicht in der Schule.“

Verlegen strich sich sein Quarterback durch das dicke Haar – während Marco sich wohl dazu entschlossen hatte, dass es besser wäre sich auf Lavinias Liege zu setzen. Immerhin waren sie doch mehr oder weniger offiziell ein Paar…

Ich stieß die Luft aus uns sah ihm hinterher. Unsere Blicke begegneten sich, aber er sah schnell wieder weg.

„Marco und ich sind nicht eingeweiht. Die Mädels scheinbar schon. Können Sie… kannst du uns auch einmal sagen, was hier vor sich geht?“

„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte ich ihn und lehnte mich auf meiner Liege zurück. „Elli und Aaron sind ein Paar.“

Wie das klang… ein Paar…

„Ein Paar entgegen jeder Regel.“, ergänzte Lavinia und sah zu ihrem Cousin auf.

Sein Blick trübte sich und wanderte kurz zu ihr. Beinahe geschlagen sah er zu Boden.

Ja, ein Paar entgegen jeder Regel.

Ich sah auf zu meinem Bruder.

Dort saß er, am Fußende von Lavinias Liege, mit den Ellenbogen auf seine Knie gestützt und nervös die Finger knetend.

„Seit wann?“, fragte er verwirrt.

Aaron wollte eben antworten, da pfiff er plötzlich lautstark wie er es auf dem Sportplatz immer tat und brüllte: „Merlin, kommst du wohl her?!“

Sofort kam der Hund an gejoggt, beschnüffelte die Planken im Schatten des Sonnenschirms und legte sich dann hechelnd hin.

„Hey Leute“, brüllte Grace von weiter oben runter. Ihr Handtuch hatte sie wieder abgelegt. „Einen Wunsch wo wir Ankern?“

„Irgendwo wo es ruhig ist. Nicht so viele Touristen.“, erklärte Elli und Aaron stand einen Moment auf, um den Napf seines Hundes aus der Tasche zu holen und mit Wasser zu füllen.

„Elijah wohnt doch in einer Bucht. Fahren wir dort hin?“, fragte sie weiter und wir stimmten nickend zu.

„Hört zu, Leute. Ihr dürft es niemandem sagen.“, schwor uns Elli ein – oder eher Marco und Nahele. „Er ist unser Lehrer. Es ist verboten.“

„Das kannst du wohl laut sagen.“

„Und was erst passiert, wenn dein Bauch wächst.“, überlegte ich.

Die Jungs blinzelten.

Elli grinste verlegen und riss die Arme in die Luft.

„Ich bin schwanger.“, rief sie wie in einer Komödie.

Naheles Kiefer klappte runter. Marco strich sich nur beinahe entsetzt mit einer Hand über den Mund.

Sein Blick wanderte zu mir hinüber.

Freitag, 21. September 2018 – Teil 3

„Wie schön klar das Wasser ist!“, kommentierte Lavinia, als sie hinter uns auf die Badeplattform stieg und hinunter sah. Ein paar kleine Fische schwammen unter uns entlang.

Wir hatten endlich in der Bucht von Elijah geankert und ich zog mir meine Bluse aus.

Neidisch sah Elli zu mir hoch.

„Manno, ich will auch so eine Figur haben!“, jammerte sie.

„Wozu? Du hast doch schon einen Mann?!“, witzelte ich und streckte ihr die Zunge raus. Sie griff nach Lavinias Handtuch und schwang es nach mir.

„Hey!“, rief die Pinkhaarige aus dem Wasser zu uns hoch, als auch Grace und Nahele ins Wasser sprangen. Elijah stieg an mir vorbei auf die Badeplattform runter und folgte von dort aus ins Wasser.

„Na klasse, alle gehen sich amüsieren und ich…“, Marco machte eine kaum merkliche Pause, als er aus dem Innenraum trat.

Ich sah zu ihm zurück, er wich meinem Blick aus und stellte eine Schale mit Grillfleisch ab.

„… Ich darf das Essen machen.“

Elli neben uns lachte.

„Ach was, geh baden.“, sagte sie mütterlich. „Ich darf sowieso nicht und Aaron wird dann sicher auch nicht, heißt wir kümmern uns um alles.“, schlug sie vor.

Überrascht sah er sie an.

„Wirklich? Du kannst… ich meine… wo du schwanger bist?“

„Was soll das heißen? Ich bin nur schwanger! Nicht todkrank.“

Er seufzte schwer und nickte.

„Sorry, das war so auch gar nicht gemeint.“

Elli nickte und Marco kam an mir vorbei.

Kurz sah er zu mir.

„Kommst du auch mit?“, fragte er leise und hob eine Hand. Sanft strichen seine Finger über meinen Bauch hinab über den Nabel langsam tiefer.

Ich schluckte schwer und nickte.

„Klar“, flüsterte ich rau und sah hinauf in seine Augen. Irgendwas lag darin. Trauer vielleicht?

Jeder hier schien seinen Partner gefunden zu haben. Aaron wich nicht eine Sekunde von Ellis Seite – außer gerade, wo er sich drinnen etwas zu trinken suchen wollte – und auch Elijah und Grace tobten gut gelaunt durch das Wasser. Wie es zwischen den beiden Knisterte war beinahe unmenschlich.

Kein Wunder, dass sie nicht einmal in der Schule die Finger voneinander lassen konnten. Vermutlich waren sie jedes Mal in einem der Unterrichtsräume zugange, wenn Grace sich mal wieder in einer Pause verflüchtigte.

Und wenn Nahele und Lavinia endlich dahinter kamen, dass sie mehr füreinander übrig hatten, als sie glaubten, dann würden auch diese beiden…

Marco wandte sich ab und stieg ins Meer.

Er sollte nicht weggehen!

„Sera?“, fragte Elli verwirrt und ich sah zu ihr.

„Ist alles in Ordnung?“

Sie setzte sich auf und musterte mich eindringlich.

„Ja, alles in Ordnung.“, versicherte ich ihr und bekam ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich sie anlog. Zum Glück kam unser Lehrer in dem Moment wieder auf das Sonnendeck. Eilig wandte ich mich ab und kletterte runter ins Meer.

Nur gerade so bekam ich noch mit, dass er zu Elli ging, ihr anzüglich etwas zuraunte, sie kicherte und gleich darauf stieg er auf der Liege über sie – fest verbissen in einen Kuss.

Ja, selbst die beiden durften glücklich sein. Spätestens wenn Elli ihren Abschluss hatte stand ihnen nichts mehr im Weg. Und was war mit mir und Marco?

Ich stieß mich vom Boot ab und schwamm ein paar Meter, als ich es schonwieder hinter mir kichern hörte. Grace und Elija verschwanden gerade hinter der Jacht, doch noch ehe sie richtig verschwunden waren drehte sie sich bereits um, schlang die Beine um seine Hüfte und drückte sich voller Verlangen an ihn.

Wo seine Hände bereits überall wanderten, darüber wollte ich gar nicht nachdenken. Ich wandte mich ab und schwamm in Richtung Strand.

Schnell wurde das Wasser flach genug, dass ich den Rest der Strecke laufen konnte.

Hier also wohnte der Mathelehrer. Weiter hinten, wo der Palmenwald begann, stand ein großer Wohnwagen mit einem Vorzelt, das die Wohnfläche noch einmal verdoppelte. Links und rechts der Bucht türmte sich der Strand zu hohen Felsklippen auf.

Es war wie ein eigenes, kleines, privates Paradies…

Eine einsame Insel, wo meine Freunde sie selbst sein dürften.

Ihren Lehrer lieben, oder vielleicht auch ihren Cousin…

Ich sah hinüber zu Lavinia, die feixend vor Nahele davonlief, der hinter ihr her rannte und sie mit Wasser bespritzte.

Als er stolperte und klatschend ins Wasser fiel musste ich lachen.

„Psst“

Verwirrt sah ich mich nach der Stimme, die mich rief, um und entdeckte meinen Bruder hinter dem Wohnwagen. Marco sah sich um, doch Lavinia und Nahele waren voll und ganz auf sich fixiert, also winkte er mich zu sich.

Obwohl ein kleines Stimmchen in mir bereits schrie, dass ich es nicht tun sollte, wandte ich mich ihm zu und huschte zu ihm hinüber.

„Marco, was machst du denn hier?“, raunte ich ihm zu, doch er legte einen Finger an seine Lippen, kam mir näher, drängte mich sofort gegen die Wand und küsste mich wild.

Ich keuchte schwer erregt.

Sein nasser, harter Körper fühlte sich so warm an unter meinen Fingern…

„Nicht! Was soll das denn? Wenn sie uns suchen…“, jammerte ich, als er die Körbchen meines Bikinis von meinen Brüsten zog und den Kopf senkte. Während er eine meiner Brüste knetete biss er liebevoll in die andere.

„Das ist mir so egal…“, flüsterte er in verzweifelter Ekstase. „Du bist so wunderschön, Sera…“

Ich sah ihn leidend an.

„Marco, wenn sie uns suchen…“

Er schüttelte den Kopf.

„Auf der Jacht vernascht vermutlich gerade unser Englischlehrer – mein Footballcoach – Elli, die eine Schülerin von ihm ist. Hinter dem Boot sind eben unser Mathelehrer und Grace verschwunden und Lavinia und Nahele…“, er schüttelte den Kopf. „Verdammt, scheiß drauf! Die beiden haben genug mit sich zu tun.“

Erneut küsste er mich und griff meine Brüste fest. Ich keuchte als ich spürte, wie sich alles in mir nach mehr verzehrte.

„Marco, nicht…“, bettelte ich, aber es war schon zu spät. Langsam ging er in die Knie, küsste meinen Bauch hinab und den Stoff über meinem Venushügel.

„Marco, lass das… nicht hier…“, versuchte ich noch einmal energischer zu sagen, doch ich schaffte es nicht. Stattdessen stöhnte ich auf, als ich seinen Mund an meiner Mitte spürte. Er griff in meine rechte Kniekehle und zog sich das Bein über die Schulter, damit ich mich ihm öffnen musste.

„Du bist köstlich, Schwesterchen…“, flüsterte er und schob den Stoff, der meine Scheide bedeckte, beiseite. Sanft schob er einen Finger zwischen meine Schamlippen und rieb sanft. Er lachte tief.

„Von wegen du willst nicht.“

Ich keuchte auf.

„Hör auf so zu reden!“, wimmerte ich. „Natürlich will ich! Mehr sogar als das!“

Ich schloss genüsslich die Augen, als er die empfindlich geschwollenen Lippen zwischen meinen Beinen küsste und sanft meine Klitoris einsog.

„Aber wir dürfen das nicht. Verdammt, Marco… das weißt du… Wo soll das alles hinführen?“

„Zu einem Orgasmus? Oder zwei? Oder drei?“, flüsterte er.

„Marco! Nicht! Hör sofort auf!“, ich war selbst darüber erschrocken wie hart ich klang, als ich ihn weg schob und wieder Boden unter beiden Füßen hatte.

Ohne jeden Ausdruck in den Augen starrte er zu mir herauf.

„Wir müssen damit aufhören! Verstehst du denn nicht?“, flüsterte ich und zog ihn wieder auf die Füße, ehe ich eilig mein Oberteil richtete.

Noch immer wortlos starrte er auf mich herab.

Ich kam mir in diesem Moment so mies vor. Wie ein Verräter…

Und vor allem tat mir alles weh.

Körperlich und seelisch.

Ich schluckte schwer.

„Verdammt…“, flüsterte ich und strich mir die Haare zurück. „Als wir uns immer gestritten haben, da war vieles einfacher.“

„Nein, war es nicht…“

Überrascht sah ich zu ihm, aber er wich mir aus.

„Meinst du ich hatte umsonst immer nur blonde Mädchen in der Kiste?“

Verständnislos sah ich ihn an.

„Immer nur Blonde? Woher soll ich das wissen? Ich weiß nicht mit wem du alles im Bett warst… Aber an unserer Schule sind gewiss nicht nur blonde Mädchen.“

Er lachte.

„Nein, aber im Gegensatz zu dir hatte ich ja auch nicht alles im Bett, was nicht bei drei…“

Weiter kam er nicht. Es knallte, als meine Hand in seinem Gesicht landete.

Purer Schock stand ihm im Gesicht.

Ich erschrak. Ich hatte ihm eine knallte?

Hatte ich ihn wirklich geschlagen?

Meinen Bruder?

Meinen liebsten, allerliebsten, furchtbar liebsten Menschen auf der ganzen weiten Welt?

„Oh Gott, Marco, es… oh Gott! Das tut mir leid!“, beeilte ich mich zu sagen, doch er zog den Kopf weg, als ich nach seinen Wangen griff.

„Nichts wahr einfacher, als wir uns immer gestritten haben, Serena.“, knurrte er missmutig. „Ich habe nicht gerne daneben gesessen und zugesehen, wie du dich von einem Schwachmaten nach dem anderen vögeln lässt. Dem zuzusehen und zeitgleich zu wissen, dass ich dich nicht haben kann! Weder als einer von vielen noch als… als einziger, der dich sehen und anfassen darf…“

„Marco…“, jammerte ich verloren.

Was lief hier?

Warum sah er mich so an?

„Verdammte Scheiße, Serena, warum hatte ich denn immer nur blonde Mädchen im Bett? Weil ich…“, er stockte und biss die Zähne zusammen. „… weil ich doch nur…“

„Marco…“, jammerte ich noch einmal und nahm nun endlich sein Gesicht in meine Hände. Er schloss die Augen.

War da wirklich eine Träne, die aus seinem Augenwinkel lief?

Ich strich mit dem Daumen darüber.

„Wir dürfen es einfach nicht…“, flüsterte ich verzweifelt. „Marco du bist… das Wichtigste… das einzig wirklich wichtige für mich das es gibt, aber…“

„Nichts was vor dem Wörtchen aber kommt hat wirklich Relevanz.“, knurrte er und lachte leise.

„Hat es auch tatsächlich nicht. Es hat einfach keine Relevanz, dass ich dich…“

Ich stockte.

„Sag es!“, verlangte er nach einigen Sekunden und drückte sich an mich.

„Es hat einfach keine Relevanz, dass ich dich…“

„Sag. Es!“

Ich schluckte schwer.

„Dass ich dich liebe.“

Er erschauderte und schlang die Arme um mich. Verloren sank ich an seine Brust und lauschte einem Moment seinem Herzschlag…

Wie schnell er ging…

Ich atmete noch einmal tief durch.

„Es hat einfach keine Relevanz, dass ich dich mehr als alles andere auf der Welt liebe… Wir dürfen nicht zusammen sein…“

„Ich weiß…“, murmelte er.

Freitag, 21. September 2018 – Teil 4

„Es hat einfach keine Relevanz, dass ich dich mehr als alles andere auf der Welt liebe… Wir dürfen nicht zusammen sein…“

„Ich weiß…“, murmelte er.
 

„Na dann geh doch! Lauf davon!“

Erschrocken zuckten Marco und ich zusammen, als wir die lauten Rufe von Nahele hörten.

„Oh nein, was ist denn nun schon wieder?“, maulte ich und nutzte die Gelegenheit, um endlich etwas Abstand zwischen mich und meinen Bruder zu bekommen. Dass wir noch immer dicht an dicht aneinander klebten machte meine Sehnsucht nicht gerade besser und ich war mir sicher: Etwas mehr und ich würde vor Frustration zu heulen anfangen.

Schnell, ehe uns wohl doch noch jemand ertappte, kamen wir hinter dem Wohnwagen vor und sahen gerade noch so, wie sich Lavinia in die Wellen stürzte und eilig zurück zur Jacht schwamm. Am Strand – über und über mir Sand verklebt – stand Nahele und brüllte und wetterte ihr hinterher. Frustriert trat und schlug er nach dem Wasser und raufte sich die Haare.

Grace und Elijah – die inzwischen zurück auf das Boot geklettert waren – standen ebenso verdutzt da wie Aaron und Elli und beobachteten die Szenerie.

„Hele! Was ist denn los?“, versuchte ich meinen Freund zu beschwichtigen und griff ihn an den Schultern, als er gerade eine heranschwappende Welle schlug und sich so schwungvoll zu mir umwandte.

Er sah mir in die Augen, wich dann aber aus und schnaubte nur verächtlich.

„Hey!“, machte ich sauer.

„Komm mal wieder runter, Junge!“, fuhr auch Marco ihn an, doch das war wohl ein Fehler.

„Komm mal wieder runter?“, bellte er aufgebracht zurück und wollte schon auf ihn losgehen, doch ich warf mich dazwischen und schob ihn zurück. Meine Rechnung jedoch hatte ich ohne Marco gemacht. Natürlich ließ er es nicht auf sich beruhen, dass Nahele ihn angreifen wollte, und sprang seinerseits auf ihn los.

„Jungs!“, brüllte ich zwischen ihnen eingeklemmt und schob sie auseinander.

„Komm mal wieder runter? Du hast mir gar nichts zu sagen! Scheiß Lackaffe! Ich mach dich alle!“

„Nahele!“

„Hast du ein Problem? Komm doch her!“

„Marco!“

„Natürlich habe ich ein Problem! Du bist mein Problem! Überall wohin du kommst mischt du dich einfach ein und drängelst dich rein!“

„Nahele! Es reicht! Komm runter!“

„Wo habe ich mich denn bitte eingemischt?“

„Marco, nun geh doch nicht darauf ein!“

„Halt die Klappe!“, fuhren beide mich im Einklang an und ich zog die Arme ein.

Finster richteten sich Marcos Augen wieder auf Nahele, als der weiterschimpfte: „Du bist so ein arrogantes Arschloch und ein Kotzbrocken! Jahre lang machst du Serena fertig und verkaufst sie zu deinem Vergnügen und jetzt hast du auch noch meine Cousine in deinen Fängen!“

„Ich habe gar nichts mit deiner Cousine, klar? Wir sind halt Freunde…“

„Freunde? Freunde? So nennst du das? NUR Freunde?“, jammerte Nahele verzweifelt aber aufgebracht. „NUR Freunde? Du hast sie komplett an dich gerissen und spielst mit ihr und ihren Gefühlen! Du bist nicht gut für sie! Und nun schleimst du dich auch noch in unsere Clique und zerstörst uns und…“

„Ich zerstöre die Gruppe? Der einzige, der sich seit Wochen aufführt wie ein wildgewordener Bock bist du!“, brüllte nun Marco zurück. „Andauernd muss ich Lavinia trösten, weil du dich schon wieder wie ein vollkommen verblödetes Arschloch verhalten hast!“

„Ich mich wie ein Arschloch?“, Nahele schnaubte verächtlich. „Das einzige Arschloch hier bist du und das weißt du genau! Nach allem was du in den letzten Jahren mit Serena getrieben hast: Was ist dein Plan mit Lavinia?“

„Ich habe nichts mit Lavinia getrieben!“

„Nein? Du hast Serena seid ihr klein wart gemobbt und sie an deine Freunde verhökert wie ein wertloses Stück Schrott! Und…“

Weiter kam Nahele nicht.

Bei Marco brannte eine Sicherung durch.

Er stieß mich beiseite und holte aus.

Mit Fäusten schlugen die zwei Kontrahenten aufeinander ein.

„Hey! Auseinander!“, hörte ich eine herrische Stimme hinter mir. Coach Graham joggte aus dem Wasser und auf die beiden zu. Wie ein wildgewordener Bulle warf er sich in das Handgemenge und trennte seine Jungs voneinander.

„Habt ihr denn völlig den Verstand verloren?“, stauchte er die beiden zu Recht, als er sie endlich auf drei Meter voneinander getrennt hatte.

„Er hat Angefangen!“, rechtfertigte sich Marco – wie erwachsen von ihm… „Ich weiß nicht einmal was eigentlich los ist?“

„Was los ist? Du bist los! Was machst du eigentlich hier? Du gehörst gar nicht zu uns! Du mischst dich einfach nur überall ein, wo du nichts zu suchen hast!“

„Das ist meine Jacht, du Spinner!“, konterte Marco und wies auf unser Boot. „Ich habe jedes Recht der Welt hier zu sein!“

Bei dem Wort „Spinner“ machte Nahele schonwieder einen Satz, aber Aaron blockte ihn wie auf dem Spielfeld und warf ihn um.

Mit einem Klatschen landete Nahele rücklings im Wasser und fluchte lautstark.

„Marco, ab aufs Schiff!“, blaffte Aaron meinen Bruder an und wies zur Untermauerung zur Jacht hinüber.

Marco schnaubte, beugte sich aber der Autorität und stapfte grummelnd an mir vorbei.

„Komm, Serena.“, knurrte er und schob mich mit einer Hand auf meinem Bauch rückwärts ins Wasser, aber ich schob ihn weg.

„Geh du. Ich will wissen was mit Nahele los ist.“, wies ich ihn ab. Das gefiel ihm sichtlich nicht.

Er schnaubte verächtlich und warf sich in die Wellen. Gleich darauf paddelte er hinüber zu den anderen.

Ich wandte mich wieder dem Coach zu, der irgendwas leise zu Nahele sagte und ihm wieder auf die Füße half.

„Komm erstmal wieder runter. Wir brauchen eh noch eine Weile, bis der Grill richtig warm ist.“, bat er ihn und mein Freund nickte stumm. Aaron klopfte ihm aufmunternd auf den Oberarm und wandte sich dann wieder dem Wasser zu.

Schweigend sah ich ihm nach, wie er hinter Marco her schwamm, der schonwieder die Jacht erreicht hatte und an Bord kletterte.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen verschränkte sich die Arme und ging langsam auf Nahele zu. Marco nahm von Lavinia ein Handtuch entgegen, legte ihr einen Arm um und die zwei setzten sich mit dem Rücken zu uns auf eine Liege.

„Was war denn nur los?“, fragte ich Nahele verzweifelt und sah zu ihm auf. Er wischte sich mit einer Hand über Nase und Mund und kontrollierte, ob er nicht vielleicht blutete – doch außer ein paar Blutergüssen würde er wohl nichts von seiner Rangelei mit Marco davontragen.

„Gar nichts war.“, knurrte er missmutig und wandte sich von mir ab, ging wieder weiter hinauf auf den Strand.

„Nach gar nichts sah das aber nicht aus. Du hättest dich die ganzen Wochen mit Marco prügeln können, stattdessen geht ihr jetzt scheinbar grundlos aufeinander los. Also rede!“

Marco schnaubte und ließ sich in den Sand sinken.

Er zog die Beine an und legte die Arme über die Knie.

Geknickt wich er meinem Blick aus.

„Nun komm schon.“, ich setzte mich vor ihm hin und drückte seinen Unterarm. „Ist es wegen Lavinia?“

Sein Gesicht verzog sich krampfhaft, als hätte er Schmerzen.

„Nun komm schon, was ist los?“

Er rang sichtlich nach Worten, dann sah er mich endlich wieder an: „Ich wollte sie küssen…“

Überrascht riss ich die Augen und den Mund auf.

„Wow, und ein Kuss ruft solche Ausraster in die hervor?“

Er lachte.

„Wenn es mal funktioniert hätte… Die letzten Tage waren einfach so… intensiv.“

„Intensiv inwiefern?“

„Na das Kochen, das Essen, das Fernsehen…“

Ich hob spöttisch eine Augenbraue.

„Man, Sera… ich weiß nicht wie ich das ausdrücken soll… irgendwie lief alles darauf hinaus, dass wir miteinander rumgemacht haben… also so irgendwie… ein wenig…“

Ich hob die Augenbrauen noch etwas weiter und sah ihn von unten herauf an.

„Und eben… Ihr wart beide plötzlich weg und kein anderer war hier… wir haben hier im Sand gelegen, ich auf ihr… wir haben gerangelt und… Man, sie ist so schön…“

„Komm zum Punkt!“

„Ich wollte sie doch nur küssen! Nur ein einziges Mal!“

„Und sie wollte nicht?“, fragte ich überrascht.

Seltsam. Ich hätte schwören können, dass sie Nahele in den letzten Tagen ebenso angesehen hatte wie ich Marco.

Voller Sehnsucht und verlangen…

Hatte ich mich getäuscht?

„Offensichtlich nicht“, schnaubte Nahele. „Sie stieß mich weg und lief einfach davon.“

Ich blies frustriert die Luft aus und sah zurück zum Boot, wo Aaron sich das Handtuch um den Nacken legte und auf Marco einredete, der noch immer auf der Liege saß und sich von Lavinia bemuttern ließ.

War sie doch in Marco verliebt?

Ich spürte die Eifersucht in mir aufkeimen.

Mit ihr dürfte er wenigstens zusammen sein. Sie konnte ihm alles geben, was ich nicht durfte…

Behutsam strich ihre Hand über den Rücken meines Bruders und sie rutschte noch etwas näher an ihn heran.

Ich wandte lieber das Gesicht ab.

Ich wollte nicht sehen was geschah, wenn sie sich küssten…

Ich schloss die Augen und zwang mich dazu an was anderes zu denken, doch alles was mein Hirn formulierte war: „Wie schnell er doch von den Gefühlen zu mir abgekommen ist, um sich einer anderen zuzuwenden.“

Oder hatte er überhaupt Gefühle für mich? Hatte ich das denn nicht nur hinein interpretiert ausgehend von seiner Reaktion, als ich ihm sagte, dass ich ihn…

Oh Gott! Ich habe es gesagt!

„Hey, Erde an Sera?“

Verwirrt sah ich auf.

„Alles ok?“

Ich schüttelte den Kopf und senkte den Kopf.

Hatte er etwa doch wieder nur mit mir gespielt?

„Sera?“

„Ich habe Marco geküsst.“

Nahele erstarrte augenblicklich und sah mich fassungslos an. Sicherlich überlegte er erst einmal, ob er mich richtig verstanden hatte.

Und er hatte Recht!

Marco war mein Bruder.

Und wir haben uns 17 Jahre lang nur gestritten und angeschrien…

Wie lächerlich diese Information nun klingen musste…

Wir hatten uns geküsst.

Wir hatten uns geküsst…

Ich senkte den Kopf.

Tränen überkamen mich und ich schluchzte ein paar Mal.

Plötzlich bewegte sich Nahele wieder, rutschte näher und nahm mich in seine Arme. In diesem Moment brach einfach alles aus mir heraus.

„Nicht nur einmal“, jammerte ich.

„Wovon redest du da?“

Ich schniefte.

„Seid unser Vater tot ist schlafen wir fast jede Nacht zusammen in einem Bett. Wir kuscheln und streicheln uns und… und dann hat er mir gesagt, dass er der Typ auf der Wohnheimparty war und…“

„Und das glaubst du ihm?“

„Ja!“, jammerte ich und sah Nahele verzweifelt an. „Er hat die richtige Statur und den richtigen Geruch und es fühlt sich genauso an und… und ich habe seinen Herrenduft erkannt.“

Nahele schwieg.

„Jeden Abend küssen wir uns und… und fassen uns überall an und… und haben… Orgasmen…“

Nahele fluchte leise und strich sich das Haar zurück.

„Serena, er ist dein Bruder! Ein Arschloch und dein Bruder!“

„Ich weiß!“, jammerte ich. „Aber… Es ist wie Lavinia sagte: Er ist so anders…“

Nahele fluchte.

„Also hat er mit euch beiden was? Was ein Bastard!“ Ich schüttelte den Kopf.

„Nein… Keine Ahnung… Aber sowohl er als auch Lavinia haben gesagt, dass sie nichts miteinander hätten. Sie haben es wohl versucht, aber es wollte nicht so richtig funken zwischen ihnen.“

Nahele rieb sich über den Mund, dann drückte er mich wieder fester an sich.

„Scheiße, Serena…“

„Ich weiß…“

Wir schwiegen eine Weile, in der er mich einfach nur fest hielt und ich die Wellen anstarrte, die uns umspülten.

„Hattet ihr jemals…“, fragte er dann leise.

„Was?“

„Na er und du…“, er machte ein bedeutungsträchtiges Gesicht und wackelte mit dem Kopf hin und her.

Ich verstand.

„Nein… Also nur per Hand und Mund, aber… Aber er war nie… Also es ist nicht so als ob wir nicht gewollt hätten, aber…“

„Es ist verboten.“, beendete Nahele und ich nickte.

„Ja… genau…“, flüsterte ich und er atmete schwer aus.

„Und nun?“

„Nichts und nun.“, entschied ich. „Wir dürfen es einfach nicht und wir sollten das, was bisher lief, auch nicht mehr tun. Es schmerzt nur umso mehr, dass wir nicht zusammen sein dürfen…“

Nahele nickte verstehend.

„Und außerdem weiß ich nicht, ob er mich denn auch wirklich liebt…“, murmelte ich ohne darüber nachzudenken und Nahele sah auf mich herab.

„Wie meinst du das?“

„Na ich sagte ihm, dass ich ihn liebe und rein von seiner Reaktion glaube ich, dass er mich auch liebt, aber… Gesagt hat er es halt nicht.“

„Idiot.“, grummelte Nahele beleidigt und ich kicherte.

„Hast du es denn jemals Lavinia gesagt?“

„Was?“

„Na dass du sie liebst?“

Nahele schwieg eine ganze Weile, dann stieß er die Luft aus.

„Ach, das hat doch keinen Sinn. Du weißt doch: Uns ist es auch verboten.“

„Ich glaube ihr beide habt eine größere Chance als wir anderen. Aaron und Elijah haben sich Strafbar gemacht und besonders Aaron hat ein Problem, wenn Elli in den Geburtsschein ihres Kindes seinen Namen eintragen lässt. Aber ihr beide: Ihr seid nicht Blutsverwandt. Und nur Cousins. Das muss doch zu etwas gut sein!“

Nahele atmete schwer aus.

„Du solltest es ihr sagen.“

„Ja… vielleicht…“

„Hey ihr zwei Verliebten!“, verwirrt sah ich auf, als Elli uns rief. Sie stand an der Reling und winkte mit großer Geste.

Marco und Lavinia wandten sich von uns ab.

„Das Essen ist fertig! Kommt wieder zurück!“

„Wir kommen!“, rief ich zurück und stand auf. „Kommst du?“

„Gleich. Geh schon mal vor.“, bat Nahele und sah mir hinterher, wie ich Schultern zuckend in das Wasser watete und zum Boot hinüber schwamm.

Keiner kümmerte sich mehr um mich, als ich mich auf die Badeplattform zog und die Leiter an Bord erklomm.

„Na? Romantisch?“, fragte Grace mich, als ich näher kam und reichte mir mein Handtuch.

„Halt die Klappe!“, entgegnete ich lachend und trocknete mich notdürftig, wobei mein Blick zu Lavinia und Marco glitt, die Nebeneinander auf der gepolsterten Bank saßen. Er hatte einen Arm hinter ihr über die Reling gelegt, kaute gerade ein Stück Steak und wandte den Blick ab, als seine Augen meinen begegneten.

Lavinia dagegen ignorierte mich komplett.

„Würstchen, Steak, Käse? Es ist von allem reichlich da.“, erklärte Elli, nahm einen Teller und wies auf den Grill.

„Steak“, bat ich und band das Handtuch um meine Hüften.

„Wo ist Nahele?“, fragte Grace und sah zum Strand.

Verwirrt folgten wir beide und die Lehrer ihrem Blick, doch Nahele war verschwunden.

Oder zumindest saß er nicht mehr auf dem Sand und auch im Wasser war er nicht zu entdecken…

„Hey, Leute!“, hörten wir seine Stimme zu uns rüber schallen und wir sahen uns verwirrt um.

„Hey, hier oben!“

Irritiert hoben nun auch Marco und Lavinia die Blicke.

„Dort“, Elijah wies eine der Felsklippen hinauf. „Was macht der Vogel denn da oben?“

„Lavinia“, schrie Nahele.

Aaron lachte leise.

„Ich glaube dieses Vögelchen lernt gleich zu fliegen.“, kommentierte er amüsiert.

„Lavinia“, schrie Nahele noch einmal nach seiner Cousine. „Ich liebe dich!“

Und in dem Moment sprang er.

Freitag, 21. September 2018 – Teil 5

„Lavinia“, schrie Nahele.

Aaron lachte leise.

„Ich glaube dieses Vögelchen lernt gleich zu fliegen.“, kommentierte er amüsiert.

„Lavinia“, schrie Nahele noch einmal nach seiner Cousine. „Ich liebe dich!“

Und in dem Moment sprang er.
 

„Nein! Nahele!“, schrie Lavinia spitz und sprang wie von der Tarantel gestochen auf, wobei sie gegen den Esstisch stieß.

Sie ignorierte einfach alles und rannte zur Reling. Voller Angst starrte sie auf das Wasser, wo ihr Cousin in einer gigantischen Fontaine und mit einem lautstarken Platsch einschlug.

Gut gelaunt rissen Grace, Elli, Aaron und Elijah die Arme in die Luft und johlten und applaudierten lautstark.

Ich musste lachte.

Der Anblick war köstlich, wie Nahele wieder an die Oberfläche kam und realisierte, dass man ihm zujubelte.

Auch ich riss nun meine Arme in die Luft und rief seinen Namen, während der Coach lautstark pfiff.

Nahele musste lachen, wurde selbst auf diese Distanz sichtlich rot, tauchte einen Schwimmzug und paddelte dann auf das Boot zu.

Aufgescheucht stieß sich Lavinia von der Rehling ab und kletterte fahrig über den Rand hinunter auf die Badeplattform.

Nahele erreichte den Vorsprung und zog sich hoch – nicht jedoch ohne dass Lavinia nach seinem Oberarm griff und mithalf, dass er so schnell es ging wieder an Bord kam.

Kaum dass er stand griff sie nach seinem Gesicht, zog ihn wieder zu sich runter und drückte ihm fest ihre Lippen auf.

Nun war es für mich Zeit mich abzuwenden.

So sehr ich mich für die beiden auch freute, ich konnte diese Zweisamkeit einfach nicht sehen. Ich ging also zu Elli, nahm mir endlich den Teller, den sie für mich vorgesehen hatte und setzte mich am Tisch so weit weg von meinem Bruder, wie es nur ging…
 

„Das war tatsächlich die Beste Idee, die ihr haben konntet.“, kommentierte Elli etwas später und goss mir noch etwas Sekt in mein Glas. Es folgte Aarons. Lächelnd sah ich ihr nach, wie sie die Flasche weitergab an Grace, sich dann eine Tasse schnappte, in der sie sich einen Kakao angerührt hatte, und sich zwischen Aarons Beinen sitzend an die Brust ihres Mannes kuschelte, der sich auf ihrer Liege ausgestreckt hatte.

Sanft schlang er den freien Arm um ihren Oberkörper und strich ihr fürsorglich über den Bauch.

„Das kann man wohl sagen.“, kommentierte er tief mit warmen Blick auf sie hinab. Sie schmolz nahezu dahin und schenkte ihm einen Kuss voller Liebe.

Doch ich spürte nur, wie sich eine weitere Nadel zu den anderen fünfhunderttausend in mein Herz bohrte.

„Seht euch nur diesen Sonnenuntergang an…“, schwärmte Lavinia, die sich mit Nahele auf eine weitere Liege gequetscht hatte. Sie rieb verträumt die Wange an seiner Schulter, schob ein Bein über seines.

Grace und Elijah seufzten zeitgleich und begannen deswegen zu lachen. Sie hatte sich auf ihm zusammengerollt und genoss, wie er sie festhielt…

Überall so viel Glück…

Und ich?

Ich nippte an meinem Sekt und schielte hinüber zu meinem Bruder, der mit angezogenen Beinen auf einer Liege hockte und in die Sonne starrte.

Wir beide versuchten wohl das Turteln unserer Freunde auszublenden… irgendwie…

„Wir haben uns da übrigens was überlegt…“, begann Elli erneut. Glücklich darüber, dass hoffentlich ein anderes Thema angeschnitten wurde als die Romantik des Sonnenunterganges, sah ich zu ihr.

„Ich werde ab Montag nicht mehr zur Schule kommen.“

„Was?“, fragte ich entsetzt und auch Lavinia stemmte sich hoch.

„Bist du irre? Du willst die Schule abbrechen?“, fragte sie entsetzt, doch Elli schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich werde beantragen, dass ich zuhause unterrichtet werde. Elijah und Aaron werden mich dabei unterstützen. Und wenn die Zeit soweit ist, werde ich die entsprechenden Prüfungen ablegen und dann ist ok.“

„Warum?“, fragte ich.

„Geht das so einfach?“, fragte Lavinia und Nahele nickte. „Bei uns ist es gestattet seine Kinder privat zuhause zu unterrichten. Das ist anders als in Deutschland.“

„Und da ich volljährig bin…“, Elli zuckte die Schultern und sah uns alle an, ehe sie meine Frage beantwortete: „Wenn ich die Schule verlasse, dann können Aaron und ich offiziell zusammen sein…“

Ach ja… natürlich… welch ein Opfer für die Liebe…

Nadelstich fünfhunderttausend und zwei…

Ich nippte an meinem Glas.

„Aber meinst du nicht, dass das etwas übereilt ist? Du hast doch selbst gesagt du bist noch in der Frühphase und da gehen viele Schwangerschaften noch ab.“, warf Marco ein.

„Ja, schon klar. Aber egal ob ich es halten kann oder nicht: Wir können dann zusammen sein…“, erklärte sie und sah vorsichtig zu Aaron hinauf. Er nickte einmal und schloss die Augen.

„Und du, Grace? Wirst du auch Privatunterricht nehmen?“

Grace schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Sorge, Vini, ich bleibe euch erhalten.“

„Sie ist schlicht und ergreifend zu schlecht in der Schule, als dass ich das unterstützen würde.“, kommentierte Elijah schelmisch grinsend und fing gleich darauf lachend Grace Fäuste ein, als sie auf ihn einzuschlagen versuchte.

Er führte ihre Arme hinter ihrem Rücken zusammen, hielt sie so mit einer Hand fest und Küsste sie mit einem herrisch-dunklen Lächeln. Seine freie Hand wanderte an ihrer Seite entlang und seine Finger strichen über ihre Brüste.

Grace seufzte matt. Leicht bewegte sie die Hüfte…

Ich wandte mich ab.

Fünfhunderttausend und drei, vier, fünf und sechs… und noch mehr… es hörte einfach nicht auf.

„Hört auf ihr beiden! Was sollen denn Marco und Serena von uns halten?“, rief Elli und warf ein Kissen, das die beiden voll an den Köpfen traf.

„Hey und mir sagst du immer du wärst schlecht im Sport! Das war eine Bestnote.“, kommentierte Aaron lachend und zog sie wieder an seinen Bauch. Zärtlich fuhren seine Hände über ihren Körper.

Sieben, acht, neun, zehn…

Ich hielt es nicht mehr aus.

Ich führte den Sekt an meinen Mund, sah auf die leicht spiegelnde Oberfläche und spürte die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten.

Sie alle waren glücklich.

Sie alle durften glücklich sein…

Nur was war mit mir?

Warum durfte ich nicht Marco lieben?

Ich kniff die Augen zusammen und hielt es einfach nicht mehr aus.

Ein Schluchzen schüttelte mich und ich zog die Knie an.

„Sera?“, fragte Elli verwirrt und das gab mir wohl den Todesstoß. Heulend schlang ich die Arme um die Beine und drückte das Gesicht in die Knie.

„Serachen!“, jammerte Elli, sprang auf und entzog mir mein Glas, ehe sich der Inhalt über mein Handtuch ergießen konnte.

Als sie mich an sich zog heulte ich umso lauter auf.

Zwei weitere Hände folgten – Grace hatte sich ebenfalls zu uns gesetzt.

„Warum weinst du denn? Es ist doch so schön!“

„Schön?“, warf ich Grace näselnd an den Kopf. „Für euch vielleicht, und für mich? Siehst du bei mir vielleicht jemanden, der mich in die Arme nimmt bei diesem Sonnenuntergang?“

Grace zog beide Arme zurück und sah mich trostlos an.

Sie hatte keine Ahnung was sie darauf antworten sollte, aber sie hatte auch keine Ahnung von mir und Marco gehabt.

„Ach, Serachen, auch für dich kommt der Richtige.“, versuchte Elli mich zu beruhigen und strich mir über den Kopf. „Denk doch an das, was du uns über die Wohnheimparty erzählt hast. Dieser unbekannte Knutscher! Den finden wir schon! Und wenn Aaron sein ganzes Team einem Kreuzverhör unterziehen muss.“

Wohnheimparty, das hatte doch alles keinen Zweck!

Alles führte mich nur wieder zu ihm, und er und ich durften nicht sein!

Ich sah vorsichtig zu Marco auf. Er tat unbeteiligt und wich schnell meinem Blick aus, als er ihn sah.

Verzweifelt heulte ich wieder los.

Marco…

Marco…

„Aaron, hast du nicht eine Idee?“, fragte Elli verzweifelt.

„Ich weiß nicht einmal um was es geht.“

„Wir suchen einen Typen. Einen netten Typen. Einen, der wirklich auf Serena steht. Der sie nicht einfach nur ins Bett bekommen will, sondern schützen würde.“

„Soll ich sie verkuppeln?“

„Nein, es muss ein Spieler aus der Offensive Line sein.“

Noch immer nichts verstehend nickte Aaron zu meinem Bruder rüber.

„Marco.“

„Quatsch, nicht Marco, der hat doch immer nur…“

„Es ist Marco.“, mischte sich nun endlich Nahele ein, der sich das alles wohl nicht mehr mit ansehen konnte.

Irritiert sahen meine Freundinnen ihn an.

„Wie meinst du das?“

„Marco ist Seras Unbekannter gewesen.“

Elli und Grace sahen ihn geschockt an, nur Lavinia fragte: „Woher weißt du das?“

Doch sie schien nicht überrascht wegen der Nachricht, dass er es war, sondern das Nahele davon wusste.

Verwirrt sah ihr Cousin sie an.

„Du wusstest das?“

„Na ja… also…“, Lavinia sah zu Marco rüber, der legte eine Hand über die Augen und rieb sich die Lider.

„Er hat es mir gesagt…“, murmelte sie verlegen und sah sich unter den anderen um.

Sie wusste es und sagte mir nichts…

Das brachte mich nur erneut zum Schluchzen.

„Er… hat mir auch eine Menge mehr erzählt…“, gestand sie kleinlaut.

„Lavinia, bitte“, alles sah zu Marco, der eine Abwärtsbewegung mit der Hand wiederholte. „Bitte sag es nicht…“

„Und zusehen, wie ihr beide hier weiter heult?“

Ich sah auf und zu Marco rüber.

Tatsächlich. Eine nasse Spur war auf seinen Wangen zu sehen.

Lavinia sah wieder zu unseren Freunden.

„Leute, wir haben alle eine Beziehung, die nicht gestattet ist, aber die Beiden…“

„Scheiße man…“, murmelte Elijah und rieb sich die Hände. Unwohl sah er zwischen mir und meinem Bruder hin und her.

„Ihr beide seid ein Paar?“, fragte Elli schockiert. „Aber ihr seid doch…“

„Nein! Wir sind kein Paar!“, fuhr ich sie aufgebracht näselnd an, ehe sie dieses furchtbare Wort aussprechen konnte. „Nein, wir sind kein Paar…“ Flüsterte ich noch einmal und schluchzte erneut. Nun war es auch deutlich von Marco zu hören. Er legte die Unterarme über die Knie und die Augen auf die Arme. Verkniffen biss er die Zähne zusammen in der Hoffnung, dass so niemand sehen würde, dass er weinte, so wie ich.

Grace führte eine Hand an ihren Mund und ließ sich auf ihre Liege plumpsen.

Sie vergoss Tränen.

Für mich.

Für uns…

„Hey, mein Herz, nicht weinen…“, flüsterte Elijah ihr zu und legte beschützend beide Arme um sie. Dankbar rollte sie sich an seiner Brust ein und wimmerte leise zitternd.

Nahele schüttelte den Kopf und machte endlich dort weiter, wo Lavinia aufgehört hatte: „Wir haben alle eine verbotene Beziehung, aber die beiden haben es wirklich aussichtslos erwischt.“

„Das ist nicht fair…“, erkannte Elli und sah hilfesuchend zu Aaron, als könnte dieser Mann einfach jedes Problem der Welt für sie lösen. Doch natürlich hob auch unser Lehrer ratlos die Schultern.

„Wir verraten euch nicht!“, sagte Elli plötzlich fahrig. „Marco, komm hier rüber!“

„Elli, Elli nein!“, bat ich verzweifelt und hob abwehrend die Hände, während Marco bereits ergeben ein Bein von seiner Liege genommen hatte. Ich wusste, dass ich ihn ebenso verzweifelt anblickte wie er mich. „Nein Elli, bitte nicht… Wir dürfen nicht zusammen sein und es ist schon so viel zwischen uns geschehen und wenn es weiter geht, dann… dann schaffe ich das einfach nicht mehr…“

Aaron schüttelte den Kopf.

„Sie hat Recht, Serena. Wir verraten euch nicht. Komm hier rüber, Marco. Was machst du dahinten alleine?“

„Nein!“

Doch Marco stand bereits auf, setzte sich zu mir und schloss mich einfach nur in die Arme.

Sofort umfing mich wieder sein Geruch – vermischt mit dem Salz des Ozeans.

Ich konnte mich nicht mehr wehren. Meine Arme fuhren um seinen Nacken und ich klammerte mich fest.

„Meine Sera…“, flüsterte Marco leise in mein Ohr und drückte mich fest.

„Wie bist du so schnell auf Marco gekommen?“, fragte Elli Aaron leise, als sie sich wieder zu ihm setzte.

„Ganz einfach.“, begann dieser und lehnte sich zurück, beobachtete unsere Freundin dabei, wie sie langsam auf seine Brust kletterte und es sich dort gemütlich machte. „Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Trainingsausflug mit dem Team. Damals war ich noch nur Co-Trainer und studierte nebenher Lehramt. Wir hatten einen kleinen Kiosk auf dem Gelände, wo die Kinder allerlei Krimskrams einkaufen konnten. Kurz bevor wir wieder gefahren sind hat Marco beinahe alle Traubenzuckerketten gekauft.“

„Diese Gummibänder mit den Zuckerringen drum rum?“, fragte Grace überrascht und Aaron nickte.

Marco legte eine Hand an meinen Unterkiefer und drehte mein Gesicht zu sich. Aus kleinen Augen starrte er mir auf die Lippen und fuhr mit einem Daum drüber.

„Jedenfalls fragte ich ihn, ob er die alle alleine essen wollte, oder ob er denn schon eine kleine Freundin hätte.“, Aaron grinste schelmisch. „Marco sagte: „Die sind alle nur für meine kleine Schwester Serena. Weil ich sie so vermisst habe.““

„Was?“, quiekten Grace, Elli und Nahele schockiert.

Wie süß…

Ich schloss die Augen und legte die Stirn an Marcos.

Wie süß… eine Zuckerhalskette… nein, viele Zuckerhalsketten…

„Sera“, flüsterte Marco und ich sah wieder in seine dunklen Augen. Unsere Nasen rieben aneinander.

„Das ist unmöglich wahr! Das denkst du dir aus!“, entschied Elli, aber Aaron schüttelte den Kopf.

„Nein! Glaub mir! Ich habe auch so dumm geschaut wie ihr jetzt, die beiden haben sich ja damals schon ununterbrochen gestritten. Und das dann von ihm zu hören war wirklich grotesk. Aber Jungs machen halt manchmal seltsame Dinge, wenn sie verliebt sind.“

„Ich habe die Ketten nie bekommen.“, bemerkte ich fast beleidigt.

„Hab mich nicht getraut sie dir zu schenken…“, murmelte Marco. „Aber du bekommst neue! Hunderte. Gleich morgen, wenn du willst…“

Ich schloss die Augen.

„Sera!“, lenkte er schon wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Er schwieg einen Moment, dann schüttelte er sacht den Kopf mit meinem an seiner Stirn.

„Es ist mir scheiß egal…“

„Was?“

„Dieses dämliche Gesetz.“

„Marco, bis zu 50 Jahre…“

„Na und? Ich verbringe lieber ein paar schöne Augenblicke mit dir und wandere anschließend in den Knast, als dass ich mein Leben ohne dich leben muss.“

Diese Worte machten mir Angst und brachten mein Herz zeitgleich vor Glück zum Galoppieren. Ich schloss wieder die Augen und atmete tief ein.

Ich spürte wie seine Hand um mein Ohr herum wanderte und sich in meinen Hinterkopf grub.

„Sera, schau mich an!“

Ich öffnete wieder die Augen.

„Ich liebe dich, Schwesterchen, alles andere ist vollkommen egal. Ich will nicht von dir getrennt sein.“

Ich schniefte.

„Ich doch auch nicht!“

Mit der Nase schob er meinen Kopf weiter in den Nacken, legte seinen schräg und küsste mich fest.

„Ich glaub es ja nicht!“, kommentierte Grace fassungslos. „Dieser ganze Scheiß – jedes Jahr immer wieder – wegen gar nichts?!“

Ich setzte einmal ab, erneuerte den Kuss und vergrub die Hände in Marcos Haar. Er legte seine Arme etwas tiefer um mich und zog mich auf seinen Schoß. Sanft strich er meine Taille und meine Hüfte hinunter.

Lavinia seufzte zufrieden.

„Endlich niemand mehr der heult…“, kommentierte Nahele und lehnte sich zurück.

Ich löste mich von Marco und legte die Stirn in seine Halsbeuge.

„Wir müssen es trotzdem geheim halten.“

„Wir halten schon dicht.“, meinte Elijah amüsiert und dennoch gekonnt desinteressiert. Er breitete eine Decke über sich und Grace aus und meine Freundin begann zu kichern…

Wer weiß was die dort neben uns trieben, versteckt unter dem Stoff…

„Dann halten wir es geheim.“, entschied Marco leise und drehte sich mit mir, sodass wir uns nebeneinander auf der Liege ausbreiten konnten.

Eine Weile war es still an Deck. Nur gelegentlich war ein sanfter Kuss von irgendwo zu hören.

„Serena?“, flüsterte Marco mir irgendwann zu und strich über meinen Bauch hinab.

„Was denn?“

„Ich bin jetzt dein Freund… Oder eher dein Mann.“, wisperte er und strich am Bund meiner Bikinihose entlang. Ich lachte leise.

„Und weiter.“

„Keine Partyexzesse mehr! Ich bin der Einzige, der dich nackt sehen und anfassen darf!“

„Mal sehen“, kicherte ich, da fuhr seine Hand unter meine Hose und zwei Finger glitten durch meine Schamlippen.

Ich keuchte auf und schloss die Augen.

„Ich bin der Einzige für dich!“, flüsterte er mit Nachdruck und streichelte einen Moment die empfindliche Spitze meiner Klitoris. Ich nickte verloren.

„Der Einzige… der Allereinzige…“, bestätigte ich und drückte mich ihm entgegen. Er zog die Hand von meiner Mitte weg und drückte mich mit einem intensiven Kuss fester an sich.

Sonntag, 23. September 2018

„… übergeben wir nun Henry Matthews in deine Obhut.“, sagte der Priester neben dem offenen Urnengrab meines Vaters, griff ein Schippchen und ließ etwas Erde auf das Gefäß rieseln. „Asche zu Asche, Staub zu Staub…“

Ich schniefte einmal und drückte mir mein Taschentuch vor die Nase. Mit der anderen Hand drückte ich Marcos Finger etwas fester, die er in meinen verschränkt hatte.

Nie hätte ich geglaubt, dass ich so furchtbar heulen müsste auf der Beerdigung unseres Vaters. Nicht, weil ich ihn nicht liebte, sondern einfach weil ich ihn nicht so besonders gut kannte.

„Mein Baby, du fängst an.“, raunte Nana meinem Bruder zu und drückte mir eine weiße Rose in die Hand, nachdem ich mein Taschentuch in die Tasche meines Blazers gestopft hatte.

„Wir gehen zusammen.“, entschied Marco jedoch und zog mich mit nach vorne. Er nahm etwas Erde und streute sie über die Urne tief in dem Loch.

Verloren starrte ich dem Dreck hinterher, der den Behälter mit den Überresten unseres Vaters beschmutzte. Ich atmete tief durch und warf die Blume hinterher, die Nana mir gegeben hatte. Zwei Schritte neben dem Grab stand der Priester und empfing uns.

„Mein Beileid, Sir.“, sagte er zu Marco und schüttelte ihm die Hand. Notgedrungen musste ich Marcos Linke loslassen, damit er auch mir die Hand schütteln konnte.

„Miss, auch Ihnen mein tiefstes Mitgefühl.“, sagte er.

„Vielen Dank für die Zeremonie. Sie war wunderschön.“, flüsterte ich erstickt und spürte Marcos warmen Arm, der sich um meine Taille legte.

„Selbstverständlich, Miss Matthews.“, er sah uns beide noch einmal an. „Es ist traurig, dass Ihr Vater so weit von Ihnen entfernt von uns ging. Die Familie muss in solchen Momenten zusammen stehen, auch um dem Dahinscheidenden den Weg zu erleichtern.“

Ich schloss die Augen und sackte leicht in mich zusammen.

Er wusste nicht wie weh mir diese Worte taten, lag es doch nur an mir, dass wir uns nicht von unserem Vater verabschieden konnten.

Marco wusste wohl auch nicht was er dazu sagen sollte, daher nickte er nur noch einmal und ging noch ein paar Schritte weiter, wo wir uns beide nebeneinander aufstellten.

„Alles in Ordnung, Sera?“, flüsterte er mir zu und drückte noch einmal meine Hand.

„Es geht“, flüsterte ich kratzig und sah zu ihm auf. Mitfühlend und voller Liebe sah er auf mich herab.

„Alles wird gut, du wirst schon sehen.“, versicherte er mir, legte mir kurz eine Hand in den Nacken und führte meinen Kopf in seine Richtung, um mir einen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Alles wird gut, meine Süße…“

Ich nickte und gleich darauf schlangen sich zwei Arme um uns.

„Meine Babys“, jammerte Nana und drückte uns fest, wir legten ihr beide jeweils einen Arm um und taten es ihr gleich.

Es folgte eine scheinbar niemals enden wollende Reihe an Trauergästen, die uns ihr Beileid aussprachen. Unsere Angestellten, Freunde der Familie, Verwandte, Bekannte, Geschäftspartner…

Ich wusste nicht wie lange es dauerte, irgendwann schaltete ich einfach ab.

Ich konnte das alles nicht mehr ertragen. Von einem Großteil von ihnen wusste ich nicht einmal wer sie waren…

Doch leider mussten wir bis zum Ende warten.

„Jetzt fahren wir zur Villa und dort gibt es leckeren Kuchen und Häppchen.“, versprach Nana schließlich und wollte sich bei uns beiden unterhaken, doch Marco ließ es nicht zu. Ohne Rücksicht schlang er mir einen Arm um die Schultern und zog meinen um seine Taille, dann gab er mir einen Kuss auf den Scheitel.

„Mir wäre etwas Privatsphäre wesentlich lieber.“, flüsterte ich und er nickte.

„Ja, ich weiß was ihr meint.“, versicherte Nana und lief neben mir den Weg zum Friedshofstor zurück.

Sie beobachtete uns von der Seite, doch mir war das egal.

Wenn sie sich einfach nur freute, dass wir unsere Zänkereien begraben hatten, gut. Wenn sie bereits begriffen hatte, dass Marco und ich ein Paar waren, auch in Ordnung. Sie würde es wohl ohnehin irgendwann herausbekommen.

Sie kannte uns einfach zu gut…

Auf dem Parkplatz tummelten sich bereits die Trauergäste und verabschiedeten sich voneinander, so sie nicht noch in unserer Villa vorbeisehen wollten.

George erreichte nur kurz vor uns den Wagen, schloss ihn auf und öffnete für uns die Tür.

„Geh vor.“, flüsterte Marco mir zu und schob mich in das Innere der Limousine.

Ich rutschte durch und sah dann zu ihm zurück. Nana hatte vor dem Wagen von Mr Sanchez kurz angehalten und redete noch mit ihm.

Traurig sah sie Marco nach, als er hinter mir einstieg.

George schloss die Tür und Marco rutschte zu mir auf.

Es klickte, unsere Sicherheitsgurte waren geschlossen.

Schweigend sahen wir einander an.

„Und jetzt?“, fragte ich leise.

„Machen wir halt weiter… immer weiter und immer weiter…“, murmelte er. Ich nickte verloren.

Er legte mir behutsam einen Arm um und zog meinen Kopf auf seine Schulter. Vorsichtig rutschte ich näher, verschränkte die Finger einer Hand mit der von ihm über meiner Schulter und strich mit der anderen Hand über sein Bein.

Als George endlich hinter das Lenkrad stieg fing er diese Hand von mir ein und nahm sie in seine. Sanft legte er die Wange auf meinen Haaren ab.

Nun stieg auch Nana ein, schenkte uns ein aufmunterndes, aber müdes Lächeln, doch ich wich ihr aus.

Ich wollte gerade nur mit Marco alleine sein…

Doch leider ging es nicht.

Wir fuhren quer über die Insel zurück zu unserer Villa, wo der Leichenschmaus schon im vollen Gange war.

Es spielte leise, klassische Musik im Salon.

Die Hausmädchen servierten roten Wein und Häppchen.

„Miss Matthews, Mr Matthews…“, begrüßte uns der Butler mit gedämpfter Stimmung und nahm uns Marcos Sakko und meinen Blazer ab.

Als er sich Nana zuwandte und auf ihr aus ihrem Blazer half, legte Marco eine seiner großen Hände an meine Wange.

Ich schloss die Augen und drehte die Nase gegen sein Handgelenk. Sein wundervoller Duft war dort am intensivsten.

„Du siehst einfach in allem wunderschön aus, oder?“, flüsterte er ebenso sehnsüchtig, wie ich mich fühlte.

„Hör doch auf sowas zu sagen.“, entgegnete ich murmelnd, trat aber schon näher und umarmte ihn fest.

„Aber es stimmt… selbst wenn du trauerst bist du noch viel zu schön…“, hauchte er und hielt mich fest. Er legte die Nase auf meinen Kopf und atmete tief durch.

„Seid ihr soweit?“, fragte Nana vorsichtig von der Seite und strich uns beiden über die Arme. Ich stieß die Luft aus und nickte.

„Bleib bei mir, ja?“, sagte ich leise zu Marco und er nickte.

Nana legte den Kopfschräg. Der Hauch eines Lächelns legte sich auf ihr träumerisches Gesicht.

Vorsichtig legte sich Marcos Hand um meine und so führte er mich in den Salon zu all den Gästen.

Es wurde ruhig und sie sahen auf.

Clara servierte uns beiden ein Glas Wein und Marco schluckte schwer, als sie weg war und er das Wort erheben sollte: „Meine Schwester und ich möchten Ihnen allen für Ihre Anteilnahme danken. Es ist schön zu sehen, dass unser Vater auch im Ausland immer viele Freunde um sich herum hatte. Wenigstens wissen wir so, dass er nicht vollkommen allein war, auch wenn wir nicht bei ihm sein konnten in den letzten Monaten, Wochen und Stunden vor seinem Tod.“

Er hob sein Glas. Die Gesellschaft tat es ihm nach.

Ich sah hoch, doch es war unschwer zu erkennen, dass ihm der Rest der Worte im Hals stecken blieben, also trank er einfach.

Die Gäste taten es ihm gleich.

Direkt setzte wieder die Musik ein und die Gespräche wurden erneut aufgenommen.

„Das hast du wunderschön gesagt, mein Lieblings.“, lobte Nana und ich sah zu meinem Bruder hinauf.

„Verzeihst du mir?“, flüsterte ich.

„Was denn?“, fragte er müde.

„Dass ich nicht hier war. Dass Vater starb, ohne dass wir uns verabschieden konnten.“

Marco seufzte und schüttelte den Kopf.

„Du kannst nichts dafür. Du konntest es doch nicht wissen.“, flüsterte er und zog mich an sich heran. Ich legte die Wange gegen seine Brust und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel.

„Selbst wenn ich es wollte, ich könnte nicht sauer auf dich sein, Sera… Ich liebe dich zu sehr.“

Nana atmete tief durch und sah zu der großen Standuhr hinüber.

„Wartest du auf etwas?“, fragte Marco sie und sie sah beinahe ertappt zu ihm rüber.

„Ehm… Ja, auf Mr Sanchez. Er wollte noch etwas aus der Kanzlei holen.“, gestand sie.

Mir schien es, als warte sie darauf, dass Marco weiter nachfragte, doch der nickte nur desinteressiert und fixierte bereits eine Platte mit Häppchen, die vorbeigetragen wurde.

Schnell nahm er sich etwas herunter und biss ab.

Als er es wohl für gut befand bot er die Reste mir an und fütterte mich damit.

Nana seufzte schwer, doch da trat bereits ein Mann an uns heran.

„Mr Matthews, Miss Matthews.“, der Anwalt unseres Vaters nickte uns zu und ergriff dann Marcos freie Hand. „Es war eine überaus bewegende Zeremonie.“, versicherte er.

„Mr Sanchez, haben Sie das Schreiben?“

Verwirrt sah der Mann auf unsere Haushälterin hinab, nickte dann aber eifrig.

„Oh! Ja! Ja, natürlich. Ich habe die gesamte Mappe dabei.“, er hielt besagten Gegenstand kurz hoch und Nana nickte erleichtert.

„Das ist gut… Kinder, lasst uns nach Nebenan in das Büro gehen.“

Verwirrt sahen Marco und ich uns an.

„Wozu?“

„Geht einfach!“

Sanft aber bestimmt schob Nana uns zurück durch das Salonportal in die Eingangshalle und hinüber in das Büro.

„Setzt euch.“, bat sie uns und wies auf das Sofa.

„Ich glaube wir bekommen Ärger…“, raunte Marco mir zu und setzte sich. Ich richtete mein Kleid und setzte mich neben ihn.

Die letzten Stunden haben wir uns immer wieder Gedanken darüber gemacht, was wir tun werden, wenn Nana hinter unsere Beziehung kommt. Wir dachten nicht, dass es schon so bald sein würde, doch wir hatten uns vorgenommen, allem was sie uns vorwarf die Stirn zu bieten und uns nicht von unserer Meinung abbringen zu lassen.

Marco und ich gehörten zusammen.

Wir hatten genug Tränen deswegen vergossen, weil wir wussten, dass es nicht sein durfte.

Doch dagegen anzukämpfen war hart genug gewesen.

Nun wollten wir zusammen sein.

Solange es nur ging…

Fest umklammerte ich Marcos linke Hand mit meinen beiden, er legte seine zweite auf meine.

Nana lächelte.

„Seht euch an. Wenn euer Vater nur wüsste, dass ihr euch endlich versteht. Das war alles, was er jemals wollte.“, erklärte sie und ich sah betroffen zu Boden.

Doch ob er auch gewollt hätte, dass seine eigenen Kinder…

Eine inzestuöse Beziehung…

Mr Sanchez beobachtete uns einen Moment, dann öffnete er die Mappe auf seinem Schoß.

„Euer Vater hatte ein Geheimnis vor euch, das nur eure Angestellten kannten und ich natürlich.“, erklärte er und zog ein Schreiben heraus.

Er besah sich einen Moment den Briefkopf, dann faltete er es auseinander, glättete es umständlich und reichte es uns.

„Zentrum für Humanoide Genforschung“, ich runzelte die Stirn. Marco löste eine Hand von meiner und nahm das Blatt entgegen.

Kurz überflog er den Text, während ich noch immer bei dem Emblem in der oberen rechten Ecke festhing.

„… mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 % NICHT der biologische Vater von Marco Matthews…? Was zum…?“

Verwirrt sah ich auf, als Marco dieses eine Wort so sehr betonte.

Plötzlich war ich hell wach.

Wie?

Was?

Wo?

„Du erinnerst dich an deine Mutter und wie Mr Sanchez sie von hier wieder vertrieb.“, begann Nana.

„Nein, ehrlichgesagt nicht.“

„Nun, als Ihre Mutter einfach verschwand und Sie zurückließ kämpfte Ihr Vater für das alleinige Sorgerecht.“

„Und er hat es bekommen.“, bemerkte Marco. Der Anwalt nickte.

„Das stimmt, doch während der Scheidung sind wir auf ein pikantes Detail gestoßen. Ihre Mutter verließ Ihren Vater zwar offiziell wegen der Affäre zur Mutter von Ihnen, Miss Matthews, doch tatsächlich nutzte sie die Gelegenheit um mit ihrem langjährigen Geliebten durchzubrennen – Ashton Collins.“

Ich legte die Stirn in Falten. Irgendwas sagte mir der Name…

„Der Quarterback?“

Mr Sanchez nickte.

„Er spielte damals noch in dem Team, das Ihrem Vater gehörte. Wie sich herausstellte, hatte die damalige Mrs Matthews über lange Zeit hinweg eine Affäre mit Mr Collins. Bereits vor ihrer Geburt.“

Marco und ich bekamen große Augen.

Mein Bruder sah noch einmal auf das Schreiben in seiner Hand hinab, die Finger der anderen Schlossen sich fester um meine.

„Natürlich ließ Ihr Vater augenblicklich einen Gentest durchführen, um die Vaterschaft zu klären. Vermutlich ahnte Ihre Mutter nicht, dass ihr Geliebter ihr eigentlicher Vater sein könnte und ließ Sie daher bei Mr Matthews zurück.“

„Natürlich war das Ergebnis für euren Vater niederschmetternd, aber er hat euch beide immer unendlich geliebt.“

„Bin ich auch nicht seine Tochter?“, platzte es aus mir heraus, doch Nana lachte: „Doch, doch, keine Sorge. Bei dir hat er direkt nach der Geburt einen Test machen lassen. Mit dem Ergebnis kam ja erst der Streit zwischen ihm und seiner Ehefrau zustande.“

Mr Sanchez reichte mir das Schreiben eines Krankenhauses, auf dem Namen und Geburtsdaten meiner Eltern vermerkt waren, basierend auf dem Ergebnis eines DNA-Testes.

„Das heißt, dass wir keine…“, murmelte ich und ließ langsam die Hand mit meinem Dokument sinken.

„… Geschwister sind?“, beendete Marco.

„Oh, doch, von Rechtswegen her schon. Doch Sie sind keine biologischen Geschwister.“

fassungslos sahen wir uns einander an.

„Egal was sie beide daraus machen.“, Mr Sanchez beugte sich verschwörerisch vor. „Denken Sie daran: Die größte Hürde ist die Biologie. Und für alles weitere haben Sie den besten Anwalt an Ihrer Seite, der Ihre Rechte und Wünsche vertreten kann.“

Ich spürte wie mein Herz zu rasen begann. Marcos Hand umklammerte meine immer fester.

Überrumpelt starrte ich in der Gegend herum.

Wir waren keine biologischen Geschwister? Das hieß, dass es einen Ausweg…

Tief holte ich Luft.

„Euer Vater wäre sicher glücklich, wenn er seinen… Kuckuck-Sohn“ – Nana hielt sich wohl für lustig – „und seine Tochter in den bestmöglichsten Händen wüsste: beieinander.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  Haru-no-ko
2022-03-23T02:16:33+00:00 23.03.2022 03:16
Ich hab mir diese Geschichte jetzt am Stück durchgelesen. O__O
Ich hab jetzt war quadratische Augen vom, auf den Bildschirm, starren XD aber ich bin einfach nur gefesselt gewesen!

Ich finde deinen Schreibstil einfach wunderbar, die Geschichte hat sich super flüssig lesen lassen und deine Charaktere sind einfach nur einprägsam!

Ich bin ratlos begeistert und schaue mir gleich mal deine anderen FFs an. :D
Von:  SimplySmiling
2019-08-26T17:29:06+00:00 26.08.2019 19:29
Als ich deine Geschichte gefunden habe musste ich sie in einem Stück durchlesen *__*

Ganz abgesehen davon, dass du so gut wie keine Rechtschreib- oder Grammatikfehler machst, finde ich deinen Schreibstil wahnsinnig ansprechend und alle deine Charaktere auf ihre eigene Weise interessant und vielschichtig.
Es ist fast schon unglaublich wie du es schaffst Personen, die sich durch die ganze Schule vögeln oder andere ein Leben lang malträtieren, gleichzeitig auch verletzlich und damit menschlich darzustellen.
Keiner deiner Charaktere ist vom Handeln her perfekt, aber trotzdem muss ich sagen dass ich das Verhalten jedes einzelnen bis zu einem gewissen Grad absolut nachvollziehen konnte.

Ich danke dir außerdem für das Ende :D Ich habe im Laufe des Lesens schon mit so einem Abschluss gerechnet (oder sagen wir besser: Ich habe stark darauf gehofft), bin jetzt aber trotzdem zutiefst beruhigt, dass ich mich ohne moralische Gewissensbisse für die beiden freuen kann.

Es ist Schade, dass du bisher erst so wenig Feedback in den Kommentaren bekommen hast, aber ich bin sicher das liegt nur daran, dass es für die Animexx-Nutzer etwas schwieriger ist unter den Eigenen Geschichten etwas zu finden, dass einen persönlich anspricht, als es zBsp durch die Suche nach speziellen Anime oder Manga ist.

Ich hoffe jedenfalls, dass noch ganz viele andere Menschen diese tolle Geschichte finden und sie ebenso gut finden werden wie ich. Außerdem werde ich von nun an regelmäßig nachschauen, ob du uns vielleicht noch mit weiteren tollen Geschichten beehren wirst.

Ganz liebe Grüße,
SimplySmiling :)
Von:  Elnaro
2019-03-25T15:21:04+00:00 25.03.2019 16:21
Wenn man so geniale Freunde hat wie Sara, kann man doch auch gut und gerne eine Weile auf einen Typen verzichten, oder? Ich war überrascht wie zärtlich Nahele mit ihr umgegangen ist. Das ist mir noch nie so aufgefallen.
Antwort von:  XdramaX
27.03.2019 18:07
tja... irgendwie lieben sie einander wohl hihi
Von:  Elnaro
2019-03-06T15:16:25+00:00 06.03.2019 16:16
Wow, ich hab richtig mitgelitten, obwohl sie es doch eigentlich verdient hat.
Ich glaub, jetzt geht sie ins Kloster :D
Antwort von:  XdramaX
06.03.2019 16:58
Das ist eine sehr gute Idee! Ab ins Kloster mit ihr hahaha

... Aber ich befürchte sie geht in Flammen auf noch eh sie durch das Klostertor tritt haha
Antwort von:  Elnaro
06.03.2019 20:51
Oh ja, da könntest du recht haben xD
Von:  Elnaro
2019-03-06T15:05:15+00:00 06.03.2019 16:05
Ui, das kam jetzt unerwartet. Ich habe mich schon gewundert warum sie immer an solche Deppen gerät, aber das klärt es auf.
Ich mag die Geschichte wirklich sehr, auch wenn ich Sera immer noch verurteile und diese ganzen oberflächlichen Typen auch :D
Von:  Elnaro
2019-02-17T21:35:08+00:00 17.02.2019 22:35
Mir gefällt die Geschichte echt gut. Toll geschrieben. Seras Chrarakter ist mir jetzt nicht unbedingt sympathisch, aber das tut der Sache keinen Abbruch. Ich bin ziemlich versucht zu googlen wie viele Spieler eine Footballmannschaft inkl. Auswechselspieler hat. O_o

Antwort von:  XdramaX
18.02.2019 07:05
Ja Serena ist komisch oder? Ich konnte sie erst gar nicht leiden, das legt sich irgendwann... Zumindest bei mir was das so... Wenn man sie denn richtig kennt hahaha

Oh je wie viele das sind weiß ich gar nicht... Aber in der Offensive Line sind es glaube fünf... Also auf dem Spielfeld... Und Auswechselspieler haben die ja immer richtig viele. Ist halt ein sehr intensives und hartes Spiel... Weiß nicht mehr genau... ich habe beim schreiben meist meinen Mann gefragt, besonders was körperliche Attribute angeht. Wo was ganz gut ist...

Ich würde ja jetzt sagen auf welcher Position genau der mysteriöse spielt, aber ich glaube dann ist es klar, dass es...

Hups fast verraten ;)

Eigentlich finde ich es nicht so schwer jetzt schon zu sehen wer ihr Typ ist. Und ich glaube wenn es rauskommt werden viele aufhören zu lesen, weil es etwas speziell ist...

Aber: nichts ist wie es scheint! Immer daran denken hahaha
Antwort von:  Elnaro
18.02.2019 10:17
Nach dem Ausschlussverfahren passt für den Leser nur noch ein einziger. Oooder es fällt jetzt noch ein ganz neuer Kerl vom Himmel ;) Also mich stört das im übrigen überhaupt nicht. Ich hab da eher so meine Problemchen mit ihrer Moral und wünsche ihr insgeheim, dass sie einsam eingeht xD Schon auch echt fies. Sorry.

Für ein Mädchen wie sie romantische Gefühle zu entwickeln, stelle ich mir ohnehin schwer vor... Bei den Jungs geht es mir aber auch so. So nen Kerl will ich nicht mal geschenkt haben xD
Sagen wir mal so: Die zwei haben sich verdient
Antwort von:  XdramaX
18.02.2019 12:08
Findest du auch? Hahaha

Ach ich glaube sie sind beide sehr vielschichtig.

Er weiß nicht mit seinen Gefühlen für sie umzugehen, gerade weil es eine extrem komplizierte Geschichte ist und sie... Weiß nicht... Sie sehnt sich irgendwie nach was, das sie glaubt nicht zu haben und macht bescheuert er Dinge um das zu bekommen...

Eigentlich will sie ja nur geliebt werden und das hat sie zwar bei ihren Freunden, aber dann kommt halt der Störfaktor Lavinia und damit kommt sie nicht klar... Der Bruder ein Arsch, der Vater nie da...

Hm...


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