Shards of Red von lunalinn (Endeavor x Hawks) ================================================================================ Kapitel 5: Bordeaux ------------------- Es vergeht eine ganze Woche, in der Enji weder viel schlafen, noch essen kann. Er fühlt sich krank und die Gewissensbisse tragen nicht dazu bei, dass sich seine Laune hebt. Nicht nur, weil er Hawks angefasst hat, sondern auch, weil er sich für seinen Wutausbruch schämt. Er ist ein erwachsener Mann und sollte es nicht nötig haben, handgreiflich zu werden und herumzubrüllen. Leider ist genau das seine Art und mit der hat er schon einige Menschen verletzt – ganz vorn natürlich seine Familie. Enji bereut, dass er Hawks geküsst hat. Ob dieser es gewollt hat oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Ebenso wenig, dass Enji die Anziehung, die der Vogel auf ihn ausübt, länger leugnen kann. Nicht, weil er viel zu attraktiv oder viel jünger ist, nein, es ist sein Charakter. Die Art, wie er Enji die Stirn bietet, selbst wenn er laut oder grob wird. Hawks ist kein bisschen devot, obwohl er anscheinend einer seiner größten Fans ist – für die Erkenntnis muss man nur einen Blick in sein Schlafzimmer werfen und…außerdem erzählt er es ständig. Der Junge nervt ihn ebenso sehr, wie er ihn fasziniert…und er ist seit langem der Erste, der gern seine Zeit mit Enji verbringt. Verdammt…er mag den verrückten Vogel und will ihn in seiner Nähe, das wird ihm in dieser harten Woche umso mehr bewusst. Hawks tut ihm gut…und eine Freundschaft könnte Enji sogar akzeptieren. Dass sie schon seit einer Weile mehr als bloß Kollegen sind, muss er allmählich einsehen. Bloß den Kuss…die Tatsache, dass Hawks permanent mit ihm flirtet und das auch noch ernst meint…seine eigenen verwirrenden Gefühle…das alles kann und darf nicht sein. Warum sein wirres Hirn meint, sich mit Mitte 40 auf einen halb so alten Jüngling einzuschießen…kann er sich nicht erklären. Fakt ist, dass Hawks Recht hat; Enji hat den entscheidenden Schritt gemacht und nachgegeben. Er kann sich eine Menge Ausreden dafür einfallen lassen, aber die Wahrheit ist…dass es ihm aus einem ihm unerfindlichen Grund…gefallen hat. Enji hat nicht mal gewusst, dass dieses Feuer noch in ihm brennt…und vielleicht liegt es daran, dass er seit Rei keine intime Nähe mehr zugelassen hat. Vielleicht ist er schon so weit, dass er nach jedem Strohhalm greift…und dabei etwas verwechselt. Missgelaunt sitzt er im Wohnzimmer seines Hauses und…ja, so peinlich es auch ist, er durchforstet Hawks‘ Social Media Accounts. Facebook, Instagram…und natürlich ist nichts davon privat. Man kann einfach so darauf zugreifen. Enji besitzt nichts davon, ist schon mit Whatsapp bedient…und er weiß auch nicht, was er zu finden hofft. Was er findet, ist jedenfalls nicht hilfreich. Eine Menge Selfies und ab und zu stehen ein oder mehrere Mädchen daneben, die mit ihm posieren. Fotos von Yakitori und anderen Speisen und…diverse Bilder von Endeavor-Merchandise. Er erinnert sich unweigerlich an das T-Shirt mit seinem Gesicht darauf und spürt seine Wangen direkt unangenehm brennen. „Das Essen ist gleich fertig, Vater!“ Fuyumis Stimme ist plötzlich viel zu nah, sodass er das Handy vor Schreck beinahe fallen lässt. Er drückt es hektisch an seine Brust, hoffend, dass seine Tochter nicht gesehen hat, wessen Profil er da durchsucht. Allerdings steht sie direkt hinter ihm und das Erstaunen in ihrem Gesicht sagt ihm, dass sie sehr wohl etwas gesehen hat. „War das Hawks? Ich wusste gar nicht, dass du auf Facebook bist…soll ich dir helfen, mit ihm befreundet zu sein? Du musst nur auf einen Button klicken und-“ „Nein!!“ Dass er sie regelrecht anschreit, tut ihm leid, als er sie zusammenzucken sieht. Wenn sie wüsste, was dahinter steckt, würde sie seine Panik, die sie mit Zorn zu verwechseln scheint, verstehen. „Nein, ich…schon gut. Ich…tut mir leid. Lass…uns nicht drüber reden. Ich decke sofort den Tisch und helfe dir…“, lenkt er rasch ein, woraufhin sich ihr erschrockenes Gesicht zum Glück glättet. Sie lächelt zurückhaltend und nickt dann. „Danke, das ist lieb. Mh…Shouto sollte auch gleich kommen…Natsuo schafft es heute nicht.“ Was bedeutet, dass er es nicht schafft, seinen Vater heute beim Abendessen zu ertragen. Enji ist sich dessen bewusst, es passiert oft…und trotzdem spürt er wie jedes Mal diesen schmerzhaften Stich. Er ist weder ein guter Vater, noch ein guter Mann…und Hawks weiß das. Er selbst hat es ihm im betrunkenen Zustand erzählt. Was also sieht Hawks in ihm, dass er meint, es sei eine gute Idee, ihm auf diese Weise…oder überhaupt näher zu kommen? Enji weiß es nicht. Das Abendessen verläuft schweigsam wie jedes Mal. Unterbrochen von einigen oberflächlichen Wortwechseln, Shoutos einsilbigen Antworten und Fuyumis Versuchen, etwas Wärme in die Atmosphäre zu bringen. Nun, das würde selbst sein Quirk nicht schaffen…und es tut Enji leid, dass Fuyumi jedes Mal wieder so enttäuscht wird. Da er weiß, dass er keinen Schlaf finden wird, zieht er sich nach dem Essen seine Trainingsjacke über und verlässt das Haus. Den Kopf durchs Laufen freibekommen, hilft vielleicht zumindest ein bisschen. Training wäre auch eine Möglichkeit gewesen, aber das erinnert ihn an jenen Tag mit Hawks und den Ausgang ihres Treffens. Wie ungeniert sich Hawks auf seinen Schoß geschwungen hat…wie er sich ihm entgegen – Stopp! Er will nicht mehr daran denken. Auch nicht an die heißen Lippen auf seinen, wie sie…verdammt. Das heiße Kribbeln, das seinen Körper durchfährt, kommt nicht von seinem Quirk oder von neu entfachter Wut. Es ist die bittere Erkenntnis, dass es ihm gefallen hat. Dass ihn noch niemals jemand auf solch eine Weile angesehen…und berührt hat. Rei war immer sanft und passiv gewesen, zerbrechlich…zu zerbrechlich für jemanden wie ihn, der sich im Eifer des Gefechts gehen lässt. Hawks hat etwas in ihm geweckt, das niemals hätte passieren dürfen…doch es ist passiert. Obwohl er sich dafür hasst, holt er sein iPhone aus der Tasche und öffnet ihren Chat-Verlauf. Keine neuen Nachrichten, aber die letzte ist vom Vortag. Der Winged Hero hat ihm einige Male geschrieben, doch Enji hat auf keine Nachricht geantwortet. Hey, Number One…es ist jetzt drei Tage her. Melde dich, ja? Komm schon…was passiert ist, ist kein Weltuntergang. Echt nicht! Schreib wenigstens mal zurück, okay? Sonst wird’s noch komisch zwischen uns… ;) Ernsthaft. Schreib mir…sonst fühl ich mich mies. Ich fühle mich mies. Du hast es geschafft. Danke. Okay, okay…wenn du nicht mehr darüber reden willst…tun wir’s auch nicht, aber melde dich. Wow…du hältst das lange durch. Gut, ich lass dich in Ruhe. Hab’s kapiert. Schade.