Now You See Me von Morwen (Thor & Loki) ================================================================================ Loki fiel durch Raum und Zeit. Sterne rasten an ihm vorbei, Kometen gleich, manche hell und strahlend, andere rotglühend und bedrohlich. Galaxien drehten sich langsam in der Ferne, während er durch Nebel fiel, die sich über Lichtjahre hinweg erstreckten und in denen neue Sterne und Planetensysteme geboren wurden. Er wurde in schwarze Löcher gezogen, in seine Atome zersetzt und neu wieder zusammengefügt, er flog durch Asteroidenfelder, die aus den zermahlenen Überresten längst untergegangener Welten bestanden, und er fiel in die dunkelsten Tiefen des Universums, die seit Äonen kein Lichtstrahl durchdrungen hatte, und in der gespenstische, kalte Dinge lebten. Als Loki schließlich landete, war es hart und schmerzvoll, und für einen Augenblick sehnte er sich wieder nach dem freien Fall und der Kälte und Gleichgültigkeit des Universums zurück. Doch dann ertönte eine tiefe Stimme in der Dunkelheit. „Sieh an“, sagte Thanos und Lokis Herzschlag schien für einen Moment auszusetzen. „Und wer magst du wohl sein, kleiner Mann...?“   Loki erwachte. Sein Puls raste und eisiger Schweiß stand ihm auf der Stirn, während sich der Traum – nein, die Erinnerung, korrigierte er sich – von dem Tag, an dem er dem Titanen das erste Mal begegnet war, allmählich wieder verflüchtigte. Es lag Jahre zurück, seitdem er seinen Vater und Bruder abgelehnt hatte und von dem geborstenen Ende der Regenbogenbrücke gefallen war, und doch entsann er sich noch gut an den Schmerz in Thors Augen und an seinen eigenen, endlosen Sturz durch das Universum – sowie an denjenigen, der ihn schließlich gefunden und zum Werkzeug seines Krieges gemacht hatte. Seit der Schlacht von New York hatte es kaum eine Nacht gegeben, in der er nicht in irgendeiner Form von Thanos geträumt hatte und schweißgebadet aus dem Schlaf hochgeschreckt war. Seine Träume waren jedoch seltener geworden, seitdem Thor ihn zurückgebracht hatte, und bevor er die Avengers verlassen und seine Weltreise begonnen hatte, hatte es oft über Wochen hinweg keine Vorfälle dieser Art mehr gegeben. Das mochte zum einen daran liegen, dass Thanos nun endgültig besiegt war und sich dieses Wissen auch auf seine Träume auswirkte, und zum anderen daran, dass Loki zum ersten Mal seit langem wieder eine Beziehung zu seinem Bruder pflegte, die nicht auf Missgunst oder Verachtung basierte, und die Nähe zu Thor ihm eine Sicherheit und Geborgenheit gab, die er seit seiner Kindheit nicht mehr gespürt hatte. Doch seitdem waren die Träume wieder häufiger geworden, und jedes Mal reagierte Lokis Körper instinktiv auf die Gefahr. Als er seine Magie noch besessen hatte, hatte er häufig Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung in Brand gesetzt oder zum Zerspringen gebracht. Seitdem er in seinem Frostriesenkörper gefangen war, war es hingegen die Kälte, die alles und jeden um ihn herum bedrohte, und als Loki sich umsah, war er nicht überrascht, sämtliche Oberflächen in seinem Zimmer mit Frost überzogen vorzufinden. ... Moment. – Sein Zimmer? Loki verzog das Gesicht. Die Avengers hatten ihn offenbar wieder zurück in ihr Hauptquartier gebracht, während er bewusstlos gewesen war. Er hatte nicht vorgehabt, an diesen Ort zurückzukehren, nicht jetzt, und ganz gewiss nicht unter diesen Umständen. Es war jedoch auch nicht seine Absicht gewesen, sich bei dem Kampf so zu verausgaben, dass er keiner eigenen Entscheidung mehr fähig sein würde. Umso mehr überraschte es ihn, dass Thor zugelassen hatte, dass man ihn ausgerechnet hierher zurückbrachte. Er hatte gehofft, dass wenigstens sein Bruder seinen Wunsch nach Autonomie respektieren würde, und es traf Loki unerwartet hart, dass seine Bedürfnisse so ignoriert worden waren. Mit Mühe schwang er die Beine aus dem Bett und stand auf. Er war barfuß und trug abgesehen von seinem Anzug keine weitere Kleidung. Lokis Knie zitterten leicht, und er stellte plötzlich fest, wie kraftlos er sich fühlte und wie sehr sein Magen vor Hunger knurrte. Wie lange hatte er bloß geschlafen...? Er hatte kaum ein paar Schritte getan, als es an der Tür klopfte. Erschöpft lehnte er sich gegen ein Regal. „Herein!“, rief er mit heiserer Stimme. Die Tür öffnete sich und Thor trat ein. Und blieb sofort wieder stehen. Für einen Moment tat er nichts anderes, als Loki ungläubig anzustarren. Doch dann schüttelte er seine Benommenheit wieder ab und ging auf ihn zu und– „Thor, nicht!“, warnte Loki, aber sein Bruder ignorierte ihn nur, wie er es immer tat, und schloss ihn in seine Arme. „Ich fürchte weder dich noch deine Kälte, Loki, das sollte dir mittlerweile bewusst sein“, entgegnete er und lachte leise, bevor er sich wieder von ihm löste. „Es tut gut zu sehen, dass du wohlauf bist.“ Loki musterte ihn aufmerksam. „Wie lange bin ich schon hier?“ „Zwei Tage“, sagte Thor. „Stark und Banner haben bereits angefangen, nach einem Weg zu suchen, deinen Körper zu ernähren, falls du noch länger bewusstlos bleibst.“ Loki runzelte die Stirn. „Ist das so.“ Thor lächelte schwach. „Es mag dich überraschen, dies zu hören, aber ich bin nicht der einzige hier, der an deinem Wohlergehen interessiert ist.“ „Das wäre in der Tat eine Überraschung“, erwiderte Loki trocken, bevor er seinen Weg zur Tür fortsetzte. Doch nach ein paar Schritten verließ ihn erneut seine Kraft, und er musste sich an der Türklinke festhalten, um nicht umzufallen. Sofort war Thor bei ihm und schloss eine Hand um seinen Unterarm, um ihn zu stützen. „Du kannst es langsam angehen lassen, Bruder“, sagte er sanft. „Du bist in Sicherheit.“ Und für einen kurzen, gefährlichen Moment zögerte Loki. Er war der Einsamkeit überdrüssig und wollte mehr als alles andere bei seinem Bruder bleiben. Doch er konnte nicht bleiben. Thor hatte deutlich gemacht, dass er sich für die Avengers entschieden hatte und ihm nicht länger nachlaufen würde. Und auf gewisse Weise konnte Loki diese Entscheidung respektieren. Doch sich ihm zuliebe täglich mit Leuten abzugeben, die keinen Wert auf seine Anwesenheit oder gar auf seine Person legten, war auf Dauer zu ermüdend. Loki hob seine Hand und löste langsam Thors Griff. „Du weißt, dass dies kein Ort für mich ist“, entgegnete er leise. „Ja“, stimmte sein Bruder ihm zu seiner Überraschung zu. Dann fügte er hinzu: „Doch er könnte einer werden.“ Loki stieß ein Seufzen aus. „Thor, falls du tatsächlich glaubst, dass ich–“ Doch sein Bruder unterbrach ihn nur. „Loki, versteh mich nicht falsch“, sagte er, „ich habe nicht vor, deine Meinung zu ändern. Wenn du gehen musst, dann werde ich dich nicht aufhalten. Doch wenn du nach einem Ort suchst, an dem du bleiben kannst, und ernsthaft daran interessiert bist, deinen Frieden mit den Avengers zu schließen... dann weißt du, wo du uns findest.“ Loki starrte ihn noch immer sprachlos an, als Thor erneut nach seinem Unterarm griff und behutsam die Finger um den Verschluss des goldenen Armreifs schloss und... ... ihn öffnete. Und während das Band zwischen ihnen klappernd zu Boden fiel und Lokis Magie mit Macht zu ihm zurückkehrte und seine Haut wieder ihre vertraute, blasse Farbe annahm, schenkte Thor ihm ein warmes Lächeln und sagte: „Wohin auch immer dein Weg dich führen wird, Bruder... ich wünsche dir alles Gute.“ Dann ging er und ließ Loki allein in seinem Zimmer zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)