One Reason Why von Yuugii (Kaiba/Anzu) ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- „Guten Morgen, Kaiba-kun“, hörte ich ihre Stimme. Sofort stellte ich meine Arbeit am Laptop ein. „Morgen, Anzu“, erwiderte ich und warf ihr einen abwartenden Blick zu. „Fleißig wie immer, nicht wahr? Machst du zwischendurch auch mal Pause oder arbeitest du rund um die Uhr?“ „Oh bitte, kommt jetzt eine Predigt über das körperliche und seelische Wohlergehen und wie wichtig es ist, Pausen einzuhalten?“ „Nein, das hast du ja jetzt schon übernommen. Gut, dass du Einsicht zeigst und dir meine Worte zu Herzen genommen hast.“ Sie grinste amüsiert und legte ihren Kopf leicht schief, sodass ihre Haare über ihre Schultern fielen und ihr Gesicht einrahmten. Genervt stöhnte ich. Verdammt. Sie hatte mich erneut überrumpelt und hatte meine eigenen Waffen gegen mich ausgespielt. Ganz schön clever von ihr. Das musste ich ihr lassen. „Ich höre dein Geplapper seit fast fünf Wochen jeden Morgen. Es ist ja unmöglich, dir nicht zuzuhören, wo du dich mir ja immer ungefragt aufdrängst“, erwiderte ich Schultern zuckend. „Oh, das tut mir aber leid für dich. Der große, starke Firmenleiter kann sich nicht gegen eine Frau behaupten. Gut, dass ihr keine Frauenquote in deiner Firma habt, ansonsten müsstest du deine Position bald aufgeben“, sagte sie mit gespielt mitleidiger Stimme. „Die wenigsten Frauen haben so ein starkes Selbstbewusstsein wie du.“ „War das jetzt ein Kompliment?“ „Du hörst doch ohnehin nur das, was du hören willst, oder?“ „Richtig. Aber um das Thema zu wechseln, ich wollte dir etwas mitteilen. Wie du ja sicher weißt, werden wir nächste Woche die Abschlussfeier haben. Ich hörte, dass du nicht teilnehmen würdest und ich finde das bedauerlich, verstehe aber auch deinen Standpunkt. Du bist ein Firmenleiter und hast Pflichten zu erfüllen.“ „Worauf willst du hinaus? Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn man lange um den heißen Brei herumredet. Komm auf den Punkt.“ „Das bedeutet, dass wir uns nicht mehr sehen werden und ich fände es wirklich schade, wenn sich unsere Wege einfach trennen würden. Ich werde nur eine Woche nach dem Schulabschluss nach Amerika fliegen und dort mein Studium anfangen und das bedeutet, dass wir uns sehr lange nicht mehr sehen können. Na ja...“ Sie druckste verlegen umher. Ihre Wangen nahmen einen Rotschimmer an. „Anzu. Sag mir einfach, was du zu sagen hast und gut ist.“ „Hier“, begann sie und übergab mir einen kleinen Zettel. Verwirrt wendete ich das Papier in meinen Händen und betrachtete den Text. Sie hatte mir ihre E-Mail Adresse aufgeschrieben. Misstrauisch sah ich sie an. „Ich würde auch gern zukünftig dir jeden Morgen auf die Nerven gehen und dir den Tag vermiesen“, sagte sie lächelnd. „Und du glaubst wirklich, dass ich das zulasse und dir jetzt meine E-Mail gebe und dir die Möglichkeit gebe, mich weiterhin jeden Morgen von der Arbeit abzulenken?“ „War es wirklich so schlimm für dich?“ Ich hatte keine Antwort parat. Es waren die angenehmsten fünf Wochen meines Lebens und allein der Gedanke, dass diese unbeschwerte Zeit bald ihr Ende nehmen würde, versetzte mir einen schmerzhaften Stich ins Herz. Ich würde es vermissen. Diese morgendlichen Diskussionen. Ihre Stimme. Ihr Lachen. Ihr amüsiertes Lächeln. Ihre azurfarbenen Augen, die jeden Morgen mit unglaublicher Lebensfreude strahlten und mich ansteckten. Ich wollte sie nicht mehr missen, nicht mehr aus meinem Leben gehen lassen, doch noch immer hatte ich keinen Grund, den ich hätte vorschieben können, um sie wiederzusehen. Was gab mir das Recht sie wiederzusehen? Was war es, was uns verband? Wir waren Konkurrenten. Wir nahmen in einem Diskurs stets die gegenüberliegenden Seiten ein und verteidigten unsere Standpunkte, ohne je einen gemeinsamen Nenner zu finden. Wir hatten kaum etwas gemeinsam. „Ja“, antwortete ich und bereute diese Antwort zutiefst. Es war eine Lüge. Ich ließ sie aus meinem Leben gehen, weil ich Angst davor hatte, ihr meine wahren Gefühle zu offenbaren. Die Angst davor, Schwäche zu zeigen und angreifbar zu sein, fesselte mich jeden Tag aufs Neue und in diesem Moment wusste ich, dass ich selbst den Schlüssel zu diesen Fesseln, die mein Herz und meine Seele festketteten, von mir gestoßen hatte. Ich konnte niemanden die Schuld geben. Es war mein Stolz und meine Arroganz, die mich dazu brachten, diesen Schlüssel ins Meer zu werfen und ihm dabei zuzusehen, wie er langsam zum Meeresboden hinabsank. Es gab kein Zurück mehr. Meine Worte hatten sie verletzt. Enttäuscht sah sie mich an. Ihre fein geschwungenen Augenbrauen verweilten in der Höhe und mit großen Augen sah sie mich an. Ihre Lippen bebten. Es war ihr anzusehen, dass sie zum ersten Mal keine Antwort parat hatte. Es gab nichts, das sie hätte erwidern könnten, denn ich selbst war es, der mit dieser Antwort diese besondere Bindung, die wir hatten, unterbrochen hatte. Ich schämte mich zutiefst für meine Worte. Für mein abscheuliches Verhalten ihr gegenüber. „Es tut mir leid, Kaiba-kun“, hauchte sie und senkte den Blick. „Es tut mir leid für dich, dass du mich nach all der Zeit immer noch nicht als Freundin anerkennen kannst. Yuugi und ich – wir werden auch zukünftig hinter dir stehen und ich möchte, dass du weißt, das völlig egal, was geschieht, ich für dich da sein werde, wenn du Hilfe brauchst. Du magst das vielleicht nicht so sehen und vielleicht hasst du mich sogar, aber ich sehe dich als guten Freund an und werde weiterhin daran glauben, dass irgendwo in deinem kalten Herzen, ein warmes Funke steckt und du auch eine gute Seite an dir hast“, waren ihre letzten Worte an mich, dann entfernte sie sich von mir. Ihr umklammerte den Zettel in meiner Hand, als wäre er mein einziger Halt auf dieser Welt. Sie glaubte auch weiterhin an mich. Es war einfach meine Art, die Menschen von mir zu stoßen, die ich schätzte. Ich konnte nicht anders, denn es war zu schwer für mich, aus diesem bekannten Muster auszubrechen. Stets wiederholte ich dieselben Fehler und lernte nichts aus diesen. Einmal mehr würde ich bereuen, im entscheidenden Moment nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Einmal mehr würde ich mich selbst hassen und so tun, als wäre all dies nie geschehen. Einmal mehr würde ich eine Maske aufsetzen und meine wahren Gefühle verbergen und mich selbst belügen, um meinen guten Ruf zu wahren. Die Tage vergingen. Wir sprachen kein einziges Wort mehr miteinander. Sie nahm Abstand und mit jedem Tag bereute ich meine Entscheidung mehr, doch ich hatte keinen Grund ihr entgegenzutreten. Am Tag des Schulabschlusses war ich wie geplant in meiner Firma und leitete eine Konferenz zu den wichtigsten Neuigkeiten. Jede Abteilung stellte ihre Fortschritte vor und ich war äußerst zufrieden mit den Ergebnissen. Auch die Expansion des Kaiba Parks nach Amerika war ein großes Thema. Wir hatten bereits einen Kaiba Park eröffnet, welcher unglaublich gut von den Kunden aufgenommen wurde, doch die Nachfrage war groß. Wir mussten weiter expandieren. All die Touristen, die von Nah und Fern anreisten, konnte ein einziger Park allein nicht stemmen. In vorherigen Konferenzen hatten wir bereits geklärt, dass wir ein großes Grundstück gekauft hatten und eigentlich stand dem Bau eines neues Parks nichts im Wege. Wir brauchten lediglich fähige Leute und jemanden, der die Planung dort übernahm. Mokuba war der Vizepräsident der Kaiba Corporation und hatte vorgeschlagen, sich nach Amerika versetzen zu lassen und von unserem Hauptquartier dort zu agieren, doch ich fuhr ihm ins Wort. „Mokuba, du machst erst deinen Abschluss zu Ende. Ich vertraue Kuwabata-san und dem Vorstand, dass sie hier alles regeln werden. Ich werde nach Amerika fliegen und mich um alles Weitere kümmern“, sagte ich und ließ keinerlei Widerworte zu. Mokubas Schulabschluss war nichts weiter als ein Vorwand. Am meisten überraschte meine spontane Reaktion mich selbst. Meine Reaktion war nicht rational und ich hatte genügend mit meinem Virtual Reality Online Game zu tun. Immerhin programmierte sich so ein Spiel nicht von selbst. Mokuba konnte meine Entscheidung nicht nachvollziehen und am Abend fragte er mich erneut, woher mein plötzlicher Sinneswandel kam. Ich brauche einen Tapetenwechsel, hatte ich ihm geantwortet, doch ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Ich möchte einfach mal andere Luft atmen, fügte ich hinzu und stöhnte genervt, als er immer noch nicht aufgab und nach meinen „wahren Beweggründen“ fragte und neugierig nach bohrte, ob mein Verhalten etwas mit einer Frau zu tun haben könnte. Erschrocken sah ich ihn an. „Sieh mich nicht so an. Du hast Anzus E-Mail Adresse auf deine Schreibtisch liegen lassen und außerdem hast du die letzten Tage jeden Tag diesen Zettel in deiner Hand gehabt und ihn mit finsterer Miene angestarrt. Nii-sama, ich bin dein Bruder und kenne dich besser als jeder andere.“ „Pah, so ein Unsinn! Ich komme nur nicht darüber hinweg, dass sie so dreist ist, tatsächlich zu glauben, dass ich weiteren Kontakt zu ihr haben möchte! Wie kann man nur so eingebildet sein? Wer denkt sie, wer sie ist?“, sprudelte es überheblich aus mir heraus und ich glaubte, dass ich nun endlich meine Ruhe haben würde und Mokuba das Thema endlich abhaken würde. Er schenkte mir ein vielsagendes Grinsen. „Nun sie ist offensichtlich jemand, der es schafft, meinem Bruder den Kopf zu verdrehen und ihm schlaflose Nächte zu bereiten“, kicherte er schadenfroh und verließ mein Büro, ließ mich einfach zurück, ohne mir auch nur die Chance zu lassen, mich zu rechtfertigen oder gar seine Behauptung mit wohlüberlegten Argumenten zu widerlegen. Pah! Mir den Kopf verdrehen? So ein Unsinn! Ich will nur nicht, dass sie denkt, dass sie mich besiegt hätte, nur weil sie das letzte Wort hatte. Und überhaupt, welch eine Unverschämtheit von ihr, mich zu belehren, als wäre ich ein kleines Kind, grummelte ich gedanklich und ließ mich auf meinen Bürostuhl nieder, seufzte genervt und zog unwillkürlich den kleinen Zettel aus der Schublade und betrachtete ihre feingeschwungene und saubere Handschrift. Es musste sie sehr viel Überwindung gekostet haben, mir ihre Adresse zu geben, wo ich ihr doch niemals den Anlass gegeben hatte, dass wir Freunde sein könnten. Glaubt sie wirklich, dass ich sie hasse? Ich wollte sie hassen... so sehr wollte ich es, doch ich schaffe es einfach nicht, setzte ich meinen Gedankengang fort und legte meinen Kopf in den Nacken, schloss meine Augen. Ich möchte sie wiedersehen und ihr sagen, dass sie sich gefälligst nicht anmaßen sollte, mich zu kennen. Ein warmer Funke? Was meinte sie überhaupt damit? Ihre poetische Art sich auszudrücken und mir mit emotionalen Argumenten entgegenzukommen, nervte mich unheimlich und beeindruckte mich nicht einmal im Geringsten. Logik und Wissenschaft schätzte ich weitaus mehr, als den kindischen Glauben an abstrakte soziale Konstrukte. Sie war einfältig und naiv. Sie wagte es, sich mir entgegenzustellen und ließ sich auch von meinem bitteren Sarkasmus nicht beeindrucken und forderte mich auf einer Ebene hinaus, auf der ich mich sonst in Sicherheit wägte, nur um mich im nächsten Moment ins Wanken zu bringen. Mit meinem Privatjet reiste ich nach Amerika und bezog meine Ferienvilla, während ich tagsüber in unserem amerikanischen Hauptquartier in New York den Ton angab und meine neuen Untergebenen Anweisungen gab. Als ich das gläserne Hochhaus verließ, atmete ich tief ein und wieder aus. Ich möchte andere Luft atmen, hatte ich gesagt, aber der Verkehr ist hier so dicht, dass die Luft vermutlich nur noch aus Abgasen und Smog besteht, dachte ich und stieg in meine Limousine und ließ mich zurück zu meiner Villa fahren. Am nächsten Tag hatte ich mir extra freigenommen, da ich etwas Wichtiges zu erledigen hatte. Ich putzte mich heraus und zog meinen besten Anzug an, orderte meinen Chauffeur dazu an, mich zum John F. Kennedy International Airport in New York zu bringen. „Sir, sind Sie sich sicher? Soweit ich weiß, haben Sie heute keine geschäftlichen Termine“, entgegnete mein Chauffeur und sah mich unwissend an. „Ich bin nicht geschäftlich unterwegs, sondern privat“, meinte ich nur und setzte mich ohne weitere Erklärung in die Limousine. Selbstverständlich waren die Straßen voll. Wir brauchten über eine Stunde, um endlich in die Nähe des Flughafens zu kommen. Als ich endlich aussteigen konnte, richtete ich mir meine Krawatte und strich mir meinen Anzug gerade. Ich schätzte mich glücklich, dass ich meine Persönlichkeit in Amerika nicht einmal ansatzweise so bekannt war wie in Japan. In meiner Heimat musste ich immer Security Guards mitnehmen, da ich keinen Schritt in der Öffentlichkeit wagen konnte, ohne von Fans aufgehalten zu werden. So hatte ich auch während meiner Schulzeit außerhalb des Schulgeländes mehrere Security Guards abgestellt, die dafür sorgten, dass keine Reporter oder Unbefugte das Gelände betraten. Es war äußerst wohltuend, sich frei bewegen zu können, ohne dass irgendwelche Reporter oder Journalisten angerannt kamen und Interviews führen wollten. Natürlich war ich mir im Klaren, dass ich schon bald mehr Bekanntheit erlangen würde, da weitere Fernsehauftritte geplant waren und ich als Leiter der Kaiba Corporation – eines der größten Spieleunternehmen weltweit – und als bekannter Profiduellant, der ebenfalls Aktien an dem Duel Monsters Spiel besaß und somit Mitspracherecht bei zukünftigen Entscheidungen das Kartenspiel betreffend hatte, kein unbeschriebenes Blatt war. Aber auch das störte mich nicht. Ich wollte, dass die Menschen mich anerkennend ansahen und meinen Namen niemals wieder vergaßen. Immerhin war ich Kaiba Seto. Ich warf einen Blick auf meine silberne Rolex und wurde langsam ungeduldig. Sie war zu spät. Der Flieger aus Japan hatte über eine Stunde Verspätung. Abwartend sah ich die herausströmenden Menschen an, die alle Richtung Ausgang liefen und möglichst schnell den Flughafen verlassen und ihre Zug- und Shuttlebus Anbindung erreichen wollten. Und dann sah ich sie. Langsam kam sie durch das Terminal näher. Sie wirkte müde und erschöpft. Ein Langstreckenflug aus Japan nach Amerika war anstrengend und die meisten Menschen verspürten einen Jetlag, da die verschiedenen Zeitzonen sie stark belasteten. Ich kam ihr näher und stellte mich ihr direkt in den Weg. Sie achtete nicht auf den Weg, hatte den Blick gen Boden gerichtet und sah sofort erschrocken auf, als sie in mich hineinlief und entschuldigte sich wie eine brave Japanerin mit einer leichten Verneigung und betonte, wie sehr ihr das Missgeschick leidtäte. Ich schmunzelte amüsiert. Sie war viel zu gut erzogen und unterwürfig. Wie sollte eine Frau wie sie in einer gefährlichen Metropole wie New York überleben? Die sonst so laute, mutige und selbstbewusste Mazaki Anzu, die nie ein Blatt vor dem Mund nahm, wurde zu einer schüchternen grauen Maus, sobald sie fremden Boden betrat. Sieh mal einer an, schoss es mir durch den Kopf. zurückhaltend und demütig kannst du also auch sein. Nur mir gegenüber zeigst du das nie. Das sind ja ganz neue Seite an dir. „Du bist zu spät, Anzu“, erwiderte ich nur und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Sofort hielt sie in ihrer Bewegung inne, hob ihren Blick und starrte mich ungläubig an. Sie erkannte meine Stimme sofort und ihre Augen weiteten sich. Verwirrt betrachtete sie mich. „Kaiba-kun?“, flüsterte sie kaum hörbar und musterte mich weiterhin. „Es ist nicht deine Art, dich zu verspäten.“ „Was machst du hier?“, fragte sie mit zittriger Stimme. „Das fragst du noch? Ich hole dich ab! Ich sagte doch, dass New York ein gefährliches Pflaster für eine junge, naive Dame ist. Es wäre unverantwortlich für einen Mann meines Formats, eine hilflose Dame allein durch die Straßen wandern zu lassen. Nicht auszumalen, was geschehen könnte“, meinte ich nur und verschränkte die Arme, vermied es sie anzusehen. Ich hatte einen Grund sie wiederzusehen. Es war nicht der beste Grund, aber er war gut genug, um mein Gewissen zu beruhigen und mir selbst einzureden, dass es in Ordnung war, auf sie zuzugehen. „Ich bin erwachsen genug, um auf mich selbst aufzupassen“, konterte sie und stemmte ihre Hände in die Hüften und warf mir einen herausfordernden Blick zu. Ich mochte es, wenn sie sich ärgerte. „Aber nicht erwachsen genug, um mit erhobenen Hauptes deinen Weg zu gehen“, spöttelte ich mit einem breiten Grinsen. „Du hast dich doch absichtlich mir in den Weg gestellt. Außerdem habe ich einen 12 Stunden Flug hinter mir und da ist es doch wohl selbstverständlich, dass ich etwas erschöpft bin. Nicht, dass das ein Perfektionist wie du das verstehen würde.“ „Offenbar hast du ja noch genug Kraft, mich anzumeckern.“ „Hat wohl mit deinem unverkennbaren Charme zu tun.“ „Ja, dem erliegt wirklich jeder. Aber wenn du fertig bist damit bist, dich aufzuregen, wie wäre es, wenn ich dich zum Kaffee einlade? Dein Gepäck habe ich schon abholen lassen und habe alles andere ebenfalls bereits geregelt“, entgegnete ich ihr und schenkte ihr ein Lächeln. „Ich weiß nicht, ob ich wütend darüber sein soll, dass du mich so bevormundest oder mich darüber freuen soll, dass du so hilfsbereit bist. Da mache ich mir fast Sorgen, dass du irgendwelche Hintergedanken hegst. Ist doch sonst nicht deine Art so zuvorkommend und nett zu sein“, meinte sie und sah mich misstrauisch an. Anstatt ihr zu antworten, ergriff ich ihr Handgepäck und drehte mich um, lief in Richtung Ausgang. Zögerlich folgte sie mir. „Nun, ich habe einen guten Grund für mein Verhalten“, begann ich, wagte es aber nicht, sie anzusehen, weil es mir selbst so unglaublich peinlich war, dies auszusprechen. „Eine gewisse Nervensäge meinte einmal, dass sie, völlig egal, was geschehen würde, für mich da sein würde, wenn ich Hilfe bräuchte und was wäre ich für ein Gentleman, dieses Angebot nicht zu erwidern? Und in einem fremden und gefährlichen Land wie Amerika, kannst du doch jede Hilfe gebrauchen, die du kriegen kannst.“ „Moment mal... ich soll diese Nervensäge sein? Und du bezeichnest dich selbst als Gentleman?“ „Ein Gentleman lügt nicht.“ Sie kicherte und nahm mein Angebot an. Ich wollte sie nicht mehr missen und ließ zu, dass sie mir auch weiterhin jeden Morgen auf die Nerven ging und meinen Tag auf ihre eigene, besondere Art und Weise versüßte. Jeden Morgen schickte sie mir eine Nachricht und auch wenn ich diese kindischen und kitschigen Emojis nicht leiden konnte, mit denen sie ihre Texte ausschmückte, hatte ich mich daran gewöhnt und wollte diese besondere Bindung, diese Freundschaft zwischen uns, nicht mehr missen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)