「𝕊𝕠 𝕗𝕒𝕣 𝕒𝕨𝕒𝕪」 von Nukinoona ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eigentlich kommt es heutzutage nicht oft vor, dass du Alkohol trinkst, um dich zu betrinken, das Brennen des Whiskys dem milden Geschmack von Soju vorziehst. Du flüchtest dich heute nicht mehr so oft in eine Scheinwelt, die nur durch den bitteren Geschmack des Alkohols glaubhaft wird. Aber manchmal, immer dann, wenn die dunklen Wolken dich wieder einholen, dich in ein tiefes, schwarzes und bodenloses Loch ziehen wollen, brauchst du eine Ablenkung. Einen kleinen Moment der Ruhe, damit du nicht den Boden unter den Füßen verlierst. Manchmal waren es nur Bagatellen, unwichtige Fragen, die dich zur Flasche haben greifen lassen. „Was denkst du über deine Zukunft?“, „Wird es nicht Zeit, dass du etwas aus deinem Leben machst?“ und „Wo siehst du dich in 10 Jahren?“ Du hattest nie wirklich eine Antwort darauf, hast sie nirgends gefunden. Denn wie solltest du dich um deine Zukunft kümmern, wenn dein eigenes Leben versuchte, dich unter einer immensen Last zu erdrücken? Wenn schon die simple Tatsache, dass du am Morgen deine Augen geöffnet hast, so weh tat, dass du sie geschlossen halten wolltest. Am besten für immer. Du siehst auf das leere Glas, tippst mit deinem Finger auf die Tastatur, um wenigstens den Eindruck zu erwecken, dass du dich gerade produktiv beschäftigst. Auch wenn die Jungs seit Stunden im Bett liegen, keiner von ihnen die Ausdauer oder Muße hat, nach dem Konzert, bis in die frühen Morgenstunden wach zu bleiben. Und du weißt, du solltest das auch nicht tun, aber die einzigen Menschen, die den Code zu deiner Tür kennen sind im Land der Träume versunken und du glaubst nicht, dass du aufstehen könntest, wenn es an der Tür klopfen würde. Dein Blick gleitet über den Schreibtisch, bleibt an der leeren Flasche Dalmore hängen, die du kurz nach deiner Ankunft im Studio geöffnet hast. Eigentlich hatte dir der Sinn nach Soju gestanden, aber nachdem die erste Flasche dich nicht hatte ablenken können, hattest du dieses Vorhaben wieder verworfen, die weiße Plastiktüte mit 6 weiteren Flaschen zur Seite gestellt und zu der Flasche Whisky gegriffen, die seit geraumer Zeit unbeachtet im Regal gestanden hatte. Soju macht dich nicht leichtsinnig, ist nicht stark genug, um dich in die willkommenen Arme der Gleichgültigkeit zu treiben. Also trinkst du Whisky, lässt dir nicht die Zeit darüber nachzudenken, wonach er schmeckt, welche Nuance des bernsteinfarbenen Getränkes dich am meisten erfreut. Es geht nicht um Genuss, du willst nur dass deine Gedanken für einen kleinen Augenblick verstummen und du hoffst, mit jedem Glas, dass es bald soweit ist. Du willst betrunken sein. Keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Aber die Flasche ist leer und in deinem Kopf fahren deine Ängste Achterbahn. Du hörst Stimmen, immer wieder. Leise gezischte Worte, die dir zu rufen, dass du nicht gut genug bist, dass nichts was du tust, wirklich jemals gut genug sein kann. Du schließt die Augen, versuchst die Stimmen zum Schweigen zu bringen. Willst nicht hören, was sie über dich sagen. Auch wenn es eigentlich deine eigenen Gedanken sind, die dir immer wieder zurufen, dass jeder irgendwann am Ziel ankommt, du es aber noch nicht einmal geschafft hast los zu laufen. Das leise Seufzen, dass über deine Lippen gleitet, den Weg in die Freiheit findet, nimmt dir nichts von dem Druck in deiner Brust, macht es nicht erträglicher. Und du willst schreien, so laut, dass der Rest der Welt an deinem innerlichen Schmerz teilhaben kann, doch stattdessen fasst du deinen Schmerz in Worte und bringst ihn zu Papier. ‘Es bringt nichts, meinem Ärger Luft zu machen, ihm Ausdruck zu verleihen, wenn ich die einzige Person bin, die ihn versteht.’ Du lebst für die Musik, kannst dir für dich nichts anderes vorstellen. Es war immer dein Traum die Noten, die du nieder schreibst, zum Leben zu erwecken. Doch gerade jetzt, in diesem Moment, in dem Tief, dass sich seit Ende des Konzertes um dich gelegt hat, wirkt er so weit weg, dass es weh tut. Die Musik ist deine erste große Liebe und auch, wenn sie dir oft das Herz gebrochen hat, wird sie das wohl auch immer bleiben. Du kommst von ihr nicht los. Und jeden Tag verfolgt dich der Gedanke, dass dieser Traum, den du lebst, dir weggenommen werden könnte. Das er zerplatzt wie eine Seifenblase, gerade jetzt, wo du deinen Traum endlich gefunden hast. Wo du sagen kannst, dass dies dein Moment ist, dein Augenblick im Scheinwerferlicht. Der Beginn vom Rest deines Lebens. Und du fühlst dich allein, verlassen, klein und unwichtig. Hast das Gefühl, schon der nächste laute Ton könnte dich zerbrechen. Und es reicht wieder nicht. Du reichst einfach nicht aus. Wie automatisch fährt deine Hand mit dem Stift über das Papier. ‘Ich soll zu Besinnung kommen, sagen sie.‘ Wie oft hast du genau diesen Moment in deinen Texten beschrieben? Wenn deine Nerven sich so extrem gespannt anfühlen, dass du jede Faser reißen hörst. Du fühlst Druck in deinem Kopf, Übelkeit in deinem Magen und du hoffst inständig, dass du dich nicht übergeben musst. Wäre doch zu schade um den Alkohol. Deine Hand wandert weiter über den Schreibtisch, über unzählige unfertige Texte, bleibt am Brieföffner hängen, dessen eine Seite schärfer ist. Du weißt nicht mehr wer von den Jungs ihn dir geschenkt hat, gehst aber der Exzentrik halber davon aus, dass es Taehyungie war. Und du bist dir sicher, wenn er nur wüsste, für was genau du das kleine Mini-Katana in deinen Gedanken benutzt, wenn die Welt wieder versucht dich zu erdrücken, er würde ihn höchstpersönlich zu einem Klumpen Metall einschmelzen. Du nimmst die Klinge in die Hand, fährst mit dem Daumen über das scharfe Eisen. Erschrickst als du einen kurzen Schmerz durch deinen Körper fahren spürst und lässt sie fallen, noch ehe du richtig begriffen hast, was genau passiert ist. Ein kleiner roter Tropfen fällt auf das beschriebene Blatt Papier, breitet sich langsam darauf aus, als du eine sanfte Hand an deinem Rücken spürst, leise, geflüsterte Worte wahrnimmst, die nicht über deine Lippen gekommen sind. „Yoongi-Hyung, mach das bitte nicht.“ Jimin klingt nicht panisch, enttäuscht, eher besorgt, als seine andere Hand den Brieföffner zur Seite schiebt, ihn aus deinem Blickfeld entfernt, als habe er Angst, du würdest es erneut machen. Und vielleicht hat er recht. Vielleicht willst du ja erneut diesen Schmerz fühlen, der für den Bruchteil eines Augenblickes dein ganzes Wesen ausfüllen kann, dich dazu bringt überhaupt etwas zu fühlen, das nicht Angst, Ärger oder Einsamkeit ist. Du atmest tief durch, einmal, zweimal. Fühlst wie deine Lungen sich mit lebensspendendem Sauerstoff füllen und Jiminie steht hinter dir und wartet. Eine Sekunde, zwei Sekunden. Er rührt sich nicht vom Fleck, atmet leise in deinem Tempo mit. Und du weißt, wenn du dich jetzt umdrehst, siehst du Verständnis in seinen Zügen, Vertrauen in seinen Augen, würdest Trost in seinen Armen finden, aber das willst du nicht. Du willst verärgert sein, verärgert und betrunken. Willst deinen Schmerz in die Welt hinaus schreien und allen sagen, dass du gut genug bist, dass du ausreichst. Du willst deinen Eltern sagen, dass du deinen Weg gefunden hast, dass die Musik dein Leben ist und jede Note so wichtig ist wie das Blut in deinen Adern. So wichtig, wie der kleine Tropfen, der auf dem Blatt Papier langsam abtrocknet. Und du willst Jiminie sagen, dass er gehen soll, das er dich in Ruhe lassen soll. Du willst in deinem Schmerz ertrinken und kannst dabei kein Publikum gebrauchen. Doch den Gefallen tut er dir nicht und du kannst die Worte nicht aussprechen, denn auch wenn du verärgert sein willst, weh tun möchtest du ihm nicht. Und du weißt, wenn du es ihm nur erklären könntest, er würde es verstehen. Auch, wenn du dich selbst nicht verstehst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)