Wenn einen die Vergangenheit einholt von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 1: White Ninja ---------------------- Grob und spartanisch war die Arena, in der sich sämtliche Bewerber bekämpften. An manchen Stellen war das kreisrunde Straßenstück, das durch mit Gewalt gebogenen Stahlträgern in Form gepresst worden war, aufgesprungen, oder brannte lichterloh. Das Bitumen schmolz einfach und verursachte einen strengen, beißenden Geruch. Das gefiel der Masse. Es war eine Abwechslung zum tristen Alltag, und dem Schock, der Verfolgung der Regierung ausgesetzt zu sein. Wer hier gewann, dem war ein Platz an Magnetos Seite, in dessen neuer Ordnung, sicher. Erik Lehnsherr, wie einer seiner Namen lautete, brauchte einen Leibwächter. Dieser musste zuverlässig, stark und loyal sein. In den Grubenkämpfen hoffte er einen solchen zu finden. Der alte Mann stand tatsächlich selbst auf einer der Tribünen, die Arme vor der Brust verschränkt. Seinen Helm hatte er am Gürtel eingehakt, was einen Blick auf die grauen Haare und das faltige Gesicht erlaubte. Das Cape wurde von einer kühlen Brise aufgebläht und flatterte ein wenig hinter ihm. Die Tatsache, dass der Anführer der Bruderschaft, jener Mutanten, die sich nicht von ihrer „Krankheit“ heilen lassen wollten, selbst als Zuschauer aufgetaucht war, heizte die Menge nur noch mehr an. Sie alle, einschließlich Erik selbst, hatten auch schon einen Favoriten gefunden. Dieser hatte sich als „White Ninja“ vorgestellt und trug eine Kluft passend zu diesem Spitznamen. Der schützende Stoff am athletischen Körper des jungen Mannes war schneeweiß. Seine Armschienen bestanden aus Bambusholz. Das Gesicht war, bis auf die grellweißen Augen, gänzlich von einer Maske bedeckt. Auf dem Rücken hatte er ein Schwert gegürtet, das aber noch nie zum Einsatz gekommen war. Der White Ninja kämpfte seit Tagen ununterbrochen, ohne dabei Anzeichen von Müdigkeit oder Schwäche zu zeigen. Feuer, Eis, Luft, selbst Psychokinese hatte ihn nicht aufhalten können. Mühelos war er den Angriffen seiner Gegner ausgewichen, hatte sie mit Tricks aus der Reserve gelockt, oder sie gegeneinander ausgespielt. Am Ende war jeder durch beeindruckende Nahkampfähigkeiten außer Gefecht gesetzt worden, und zwar so, dass Magnetos Anhängerschaft nicht gewaltsam verkleinert wurde. Er kämpfte ohne zu töten. In seinen Augen, die eine unendliche Kälte und Leere ausstrahlten, war aber zu lesen, dass er dazu durchaus bereit war. Ein Killer, der nachdachte, bevor er zuschlug, der Eriks Ressourcen schonte. Er war noch immer nicht dahintergekommen, welche Kräfte der junge Mann benutzte, nur über das Schwert hatte er etwas herausfinden können. Das Metall, obwohl nie gezogen, war für Magneto spürbar. Er kannte diese fremdartige Substanz, das Gefühl, etwas von außerhalb dieser Welt zu fühlen. Adamantium. Woher der White Ninja diese Waffe hatte, würde sich schon bald herausstellen. Für Erik stand fest: Dieser und kein anderer. Er wollte noch einen letzten Test durchführen, bevor er seine Entscheidung bekanntgab. „Schickt das Sonderkommando“, rief der Grauhaarige, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Ein Raunen ging durch die Menge, als eines der Gitter geöffnet wurde, aus denen die Herausforderer strömten. Sechs Personen in voller Montur, im Tarnlook, gut gepanzert, und mit Gewehren bewaffnet, stürmten herein. Ihre Munition bestand aus dem neuartigen Serum, welches die Mutationskräfte neutralisierte. Wenn der Junge auch noch das bewältigte, war er wahrlich jene Waffe, die Magneto suchte. Der White Ninja schaltete gerade einen Gegner durch einen Griff an die Schulter aus. Wie eine Marionette, deren Fäden man durchschnitten hatte, fiel der Kontrahent zu Boden. Aus den Augenwinkeln heraus konnte der Favorit der Arena die neuen Gegner erkennen. Mit einem analysierenden Blick verschaffte er sich ein Bild, bevor er, wie der Blitz, losstürmte. Ohne zu zögern eröffnete das Sonderkommando das Feuer. Sie hatten genügend Serum dabei, um eine kleine Armee auszuschalten. Die ersten Schüsse gingen ins Leere, prallten an den Mauern ab, oder blieben darin stecken. Es war unmöglich, den Weißgekleideten zu treffen. Hatten sie ihn ausgemacht, war er schon wieder woanders. Als der Erste nachladen musste, vollführte er einen Salto, schlug ihm das Gewehr aus der Hand und trat ihm mit solcher Wucht gegen das Schienbein, dass dieses laut knackend brach. Der schreiende Mann wurde grob herumgerissen und bekam eine Ladung des Serums ab, das sein Teamkollege panisch auf sein Ziel abgefeuert hatte. Dem nächsten Schuss wich der White Ninja durch einen Seitenschritt aus, rutschte zwischen den zwei nächsten Soldaten hindurch und riss sie dabei mit den Ellenbogen von den Füßen. Mit der rechten Hand formte er eine Kralle, und schlug dabei dem Fünften so gegen das Kinn samt Helm, dass dessen Kopf in den Nacken flog und das Visier in tausend Teile zerbrach. Aus einer Tasche an seinem Gürtel zog der White Ninja zwei Shuriken, warf sie elegant in die Höhe, um sie dann in Richtung der zwei am Boden liegenden Männer zu schicken. Deren Gewehre wurden jeweils durchlöchert und waren somit nutzlos. Der letzte Gegner warf seine Waffe zu Boden und wich zurück. „Das reicht“, waren Magnetos nächste Worte. Mit der rechten Hand verformte er den Untergrund der Tribüne, auf der er stand, so, dass dieser eine Scheibe bildete, auf dem er hinabschweben konnte. Nur mit großer Mühe und einem gewissen Maß an Selbstkontrolle war er in der Lage, seine Bewunderung zu verbergen. Der junge Mann war mindestens ein Klasse 4 Mutant, wie er selbst. „Das war beeindruckend, junger Mann“, setzte Magneto an, zog dann aber die Augenbrauen in die Höhe, als ein weiter Shuriken an seinem linken Ohr vorbeiflog. Ein Blick nach hinten offenbarte ihm den letzten Soldaten, der röchelnd zu Boden sank. Der Wurfstern steckte in seinem Hals. „Sie sollten Ihre Kämpfer besser auswählen, Sir. Der da hinten hat mit einer Pistole auf sie gezielt.“ Zum ersten Mal seit Beginn der Kämpfe hatte der Junge gesprochen. Seine Stimme war weich, sanft, fast schon melodisch. „Vielleicht war auch das nur ein weiter Test?“ Magneto hob seine Mundwinkel ein wenig an. Er war wirklich zufrieden, ein bei ihm seltenes Gefühl. „Dann hoffe ich, dass ich auch diesen bestanden habe?“ „Das hast du, mein Junge. Wie ist dein Name?“ Der White Ninja verbeugte sich demütig vor dem alten Mann. Dabei rutschten ihm einige Strähnen schwarzen Haares aus der Gewandung. „Mein Name ist Liam, Sir.“ Magneto zog verwundet die Augenbrauen in die Höhe. Er hatte mit einem asiatisch anmutenden Namen gerechnet. In den vielen Jahren seines Lebens hatte er sich mit vielen Kulturen beschäftigt, und geglaubt, einige Muster erkennen zu können, die sein Gegenüber als Asiaten auswiesen. Nicht nur die Kleidung, sondern auch die Bewegungen erinnerten stark an die fernöstliche Kampfkultur. „Ein kräftiger Name, Liam.“ „Meine Mutter hat mich so genannt.“ „Dein Vater?“ „Hat meine Mutter verlassen.“ „Ah ja. Eine Kämpfernatur also. Finde dich in einer halben Stunde in meinem Quartier ein, dann wird dir alles gezeigt werden.“ „Jawohl, Sir.“ Liam verbeugte sich erneut tief, bevor er aus der Arena ging. Etwas an seinem Blick beunruhigte Magneto ein wenig. Er kam ihm so vertraut vor. „Mystique?“, fragte er in die Stille hinaus, die nach dem Abziehen des Jungen entstanden war. „Ja?“, erschien die Blauhäutige neben ihm. „Versuche alles über unseren Neuzugang herauszufinden was du kannst.“ „Natürlich.“ Nachdenklich starrte der Grauhaarige seinem neuen Leibwächter nach. Er fürchtete ihn nicht, hatte aber doch ein mulmiges Gefühl. „Liam“, echote es in seinem Kopf. Etwas in ihm regte sich dabei, konnte es aber nicht genau einordnen. Millionen von Menschen hießen wahrscheinlich Liam, doch dieser eine… Kopfschüttelnd schwebte er wieder nach oben, in Richtung Hauptquartier der Bruderschaft. Kapitel 2: Die wahre Identität ------------------------------ Liam kniete in seinem Quartier und meditierte. In den ganzen zwei Monaten, in denen er Magneto nun als Leibwächter zur Seite stand, hatte er nicht einen einzigen Moment die Maske abgenommen. Er wollte nicht. Ihm war auch bewusst, dass Magneto ihn beobachtete, beziehungsweise ihn beobachten ließ. Seine Aufgaben erfüllte er mit äußerster Präzision. Er war nicht nur Leibwächter, sondern auch Attentäter. Erik hatte wenig über seinen Neuzugang herausfinden können. Es schien, als wäre er plötzlich dagewesen. Er hatte keine Vergangenheit. Magneto stand in seinem Zimmer und beobachtete den White Ninja auf dem Bildschirm, der mit den Kameras in dessen Quartier verbunden war. Dabei hatte der alte Mann den Ellenbogen in die linke Handinnenfläche gelegt und strich sich mit den Fingern übers Kinn. Liam glich einem Geist. Mystique hatte alles versucht, und doch nichts gefunden. Die Loyalität des Jungen war unerschütterlich. Er hatte ihn vor mehreren Angriffen gerettet, und dabei auch wirksam gegen Regierungstruppen, die mit dem Serum bewaffnet waren, gekämpft. Dabei wurde er ihm jedoch immer unheimlicher. Wenn er einmal außer Kontrolle geraten, sich gegen ihn wenden sollte, waren seine ganzen Pläne dahin. Ihn auszuschalten würde ihn aber nach hinten werfen. Was also sollte er tun? Ein Klopfen an der Tür riss Magnetos Leibwächter aus seiner Konzentration. Mit Schwung wurde sie aus den Angeln gehoben und flog quer durch den Raum. Im Türrahmen stand der alte Mutant, in voller Montur, mit Helm am Kopf. „Ich will wissen, wer oder was du bist“, forderte er ihn auf, die rechte Hand drohend ausgestreckt. „Euer Leibwächter“, antwortete der Junge folgsam. „Lüge!“, brüllte der Ältere. „Was sollte ich sonst sein?“, fragte Liam ruhig. „Ein Attentäter, ein Spion…“ Magnetos Züge verhärteten sich, als sein Gegenüber sich langsam aufrichtete. Jede einzelne Bewegung verfolgte er mit Argusaugen, bereit sich zu verteidigen. „In all den Jahren habe ich mich immer gefragt, wie er wohl sein würde, wenn ich ihn einmal träfe“, begann Liam leise und machte sich daran, seine Maske abzunehmen. „Ich habe ihn mir groß vorgestellt. Groß und stark. Ich habe trainiert, um ihm zu gefallen, Tag und Nacht. Mein Zusammentreffen mit ihm sollte etwas Besonderes werden.“ Magneto schrak zurück, als die weiße Maske zu Boden fiel. Er taumelte, bis er gegen eine Mauer stieß. Seine Augen wurden mit jedem Schritt, den Liam auf ihn zumachte, größer. Noch immer machte dieser keine Anstalten ihn anzugreifen. Er lächelte sogar. Ein Lächeln, das Magneto endlich zuordnen konnte. „Meine Mutter meinte, ich sei meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Knapp vor Erik hielt er an und senkte seinen Blick ein wenig, so als wäre er bei einem kleinen Streich ertappt worden. „Ihr gegenüber hat er sich als Liam vorgestellt. Erik ist aber auch nicht sein wahrer Name, oder?“ „Das ist unmöglich“, murmelte Magneto und schüttelte den Kopf. Niemand war in seinen Geist eingedrungen, und es wäre auch nicht möglich gewesen: Helm und jahrelanges mentales Training hatten sogar Charles davon abgehalten, ihm irgendwelche Gedankentricks zu spielen. Das musste also real sein. „Gefalle ich dir nicht? Hast du dir deinen Sohn anders vorgestellt, Vater?“ „Aber…“, begann der Grauhaarige, wurde aber sogleich von seinem Kind unterbrochen. „Bin ich zu schwach? Habe ich dir keinen guten Dienst erwiesen?“ Die Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Der Junge vor ihm war Magneto wie aus dem Gesicht geschnitten. Er wäre eine perfekte Kopie gewesen, hätte er nicht leicht mandelförmige, komplett weißen Augen besessen. „Eine rhetorische Frage Vater, ich weiß.“ „Deine Mutter ist…?“ „Meine Mutter war eine Japanerin. Ich glaube kaum, dass du dich noch an sie erinnerst. Ihr Name war Yuna.“ Magneto überlegte. Yuna. Ein fremder Name. Er hatte ihn, um ehrlich zu sein, noch nie gehört. War das alles eine Lüge? Ein Trick? Nein, das konnte nicht sein. Eine so exakte Kopie seiner selbst, leicht abgeändert, zu erschaffen, war fast unmöglich. Dazu noch die herausragenden Fähigkeiten des Jungen. „Es war auf einer deiner zahlreichen Studienreisen. Du warst schon älter. Sie war das Escort-Mädchen.“ Dunkel glaubte Magneto sich zu erinnern. Da war tatsächlich ein Mädchen gewesen, jung, hübsch, dunkelhaarig – eine Japanerin eben. Das schien zu passen, zumindest ansatzweise. Die Frage war jedoch, warum der Junge jetzt aufgekreuzt war. „Und jetzt bist du hier, um mich zu vernichten“, schlussfolgerte Erik und machte sich bereit, einen Angriff abzuwehren. „Nein, ich bin hier, weil ich dich kennenlernen möchte.“ „Eine passende Ausrede für einen Attentäter.“ „Hätte ich dich töten wollen, wären da andere, bessere Gelegenheiten gewesen.“ Das stimmte natürlich. Liam war ihm nicht von der Seite gewichen, und hatte sowohl Mutanten als auch Soldaten aus dem Weg geräumt. In seiner Nähe war er sicher gewesen. Sein Sohn schlief nicht, er aß auch nicht; er schien nur zu leben, um ihm zu dienen. „Dein Name ist aber ungewöhnlich für einen Japaner.“ „Ist er. Du hast dich aber als englischer Gastprofessor vorgestellt. Ich glaube es war Geschichte und Arithmetik.“ Auch das konnte passen. In der Vergangenheit war er oft unter Tarnidentitäten gereist, meist als jemand der gehobeneren Gesellschaftsschicht. Arithmetik war eines seiner Lieblingsgebiete, in dem er herausragend bewandert war, was die Tarnung zusätzlich untermauerte. „Mal angenommen, ich würde dir diese Geschichte glauben. Das ändert nichts an unserem Verhältnis, ist dir das klar?“ „Das ist mir vollkommen bewusst. Ich bin als dein Leibwächter in die Bruderschaft gekommen, und werde mein Leben für dich geben, wenn du es wünschst, Vater.“ Sollte er einmal Gefühle zeigen? Diese Form von Schwäche war ihm zuwider. Er war Max Eisenhardt, Erik Lehnsherr, Magneto, der Anführer der Bruderschaft, einer der gefürchtetsten Männer auf dem Planeten. Emotionen würden ihn menschlich machen und eine Angriffsfläche bieten. „Zieh deine Maske wieder an, und behalte dieses Geheimnis für dich“, wies er Liam an und drehte sich dabei um. „Melde dich in einer halben Stunde in meinem Büro. Wir werden einen alten Freund besuchen.“ „Natürlich. Wen?“, fragte der Halbjapaner und zog sich die Maske über. „Charles Xavier.“ „Warum?“ „Weil ich etwas herausfinden möchte“, antwortete Magneto leise. „Das da wäre?“ „Ob ich Jean vielleicht gar nicht brauche.“ Beim Gehen schlich sich erneut ein Lächeln auf Eriks Lippen, verborgen für Liam, der nur seinen Rücken sehen konnte. Vielleicht war es gar nicht notwendig, Jean auf seine Seite zu ziehen. Er hatte jemanden, der eventuell genauso stark, wenn nicht sogar stärker war. Ein Kreis, der sich schloss. Auf dieses Zusammentreffen war er gespannt. Liam war leichter zu kontrollieren als sie, und er konnte in der Lage sein, dem Serum zu widerstehen. Am Ende würde die Welt ihre nächste Evolutionsstufe erreichen: Eine Gesellschaft voller Mutanten, und er würde ihr Herrscher sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)