Das Ende der Angst von Yuugii ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1 ----------------- Es ist der zwölfte August und der blonde Junge steht seit beinahe einer Stunde an einem Grab, dessen Grabstein leicht verwittert wirkt. Das Gestein ist an mehreren Stellen am Bröckeln. Ein altes Grab, das bereits seit vielen Jahren existiert. Die Lilien in der Vase sind neu und erfüllen die Luft mit einem süßlichen Duft. Sein kurzes, blondes Haar tänzelt im Wind umher, als eine Brise aufkommt und er zwingt sich zu einem Lächeln. Seine Lippen formen einen Amorbogen und er sieht nach außen hin fröhlich aus, doch in seinem Inneren tobt ein Sturm. Ein Tornado, der alles mitreißt und nichts ganz lässt. Der Seufzer, der seiner Kehle entweicht, ist tief und vor allem traurig.     Der Name auf dem Grabstein lautet Elise Aston – sie ist seine Mutter gewesen, die vor genau zwölf Jahren gestorben ist. Finn erinnert sich ungern an den Tag, als man ihre Leiche gefunden hat. Aber die Erinnerung ist da. Sie kommt immer und immer wieder. So auch die Tränen, die er zurückhält und nur für sich behalten will. Einmal im Jahr kommt er hierher und steht minutenlang, manchmal auch stundenlang, vor der Steinplatte und setzt krampfhaft ein Lächeln auf, um sich selbst daran zu erinnern, dass sie nun frei ist. Sie hat es so gewollt. Denn Elise hat ihr eigenes Leben beendet. Damals hat er die Bedeutung nicht verstanden. Aber für Elise war dies Freiheit.     Sie ist geflohen vor der Verantwortung: dem Leben.     Finns Vater ist ein hoffnungsloser Alkoholiker und hat keine Kontrolle über sich selbst. Er leidet an Spielsucht und verschwindet manchmal tagelang, dann taucht er urplötzlich auf. Einfach so. Aus dem Nichts. Meistens ist er schlecht gelaunt, weil er bei Glücksspiel alles verloren hat und kein Geld für Alkohol mehr übrig hat. Dann lässt er seinen Ärger an Finn aus und schreit laut. Finn hat gelernt damit umzugehen. Die emotionalen Ausbrüche seines Vaters stehen nicht unter seinem Einflussgebiet. Er kann sie nicht kontrollieren. Genauso wenig, wie die Tränen, die bei dem Bild seiner toten Mutter, aufkommen. Außerhalb seiner Kontrolle. Warum also über etwas schimpfen, das er nicht kontrollieren kann?     Manchmal schließt Finn einfach die Augen und sieht die Welt aus der Vogelperspektive, betrachtet die Menschen und ihre Regungen, ihre Worte, die manchmal so bedeutsam und gleichzeitig so sinnlos klingen und versucht ihre Welt zu begreifen. Oft kommt er nur zu einem Schluss: Finn ist anders. Doch was macht ihn so anders? Blondes, kurzes Haar, grüne Augen, blasser Teint und ein schmächtiger Körper. Doch er hat alle Gliedmaßen. Fünf Finger an jeder Hand und zwei Augen, die viel zu oft in den Abgrund gesehen haben. Eine Nase. Ein Mund. Äußerlich unterscheidet ihn nichts von anderen Menschen. Trotzdem ist er irgendwie anders.     Die Schule hat er mit 16 abgebrochen. Nicht, weil er es wollte. Es gab damals keinen anderen Weg. Die Schulbücher waren zu teuer und die ständigen Gerüchte, die von seinen Mitschülern in Umlauf gebracht wurden, schmerzten zu sehr. Er ertrug ihre wissenden Gesichter nicht. Auch jetzt schmerzt die Erinnerung. Finn ist anders. Seine Familie ist anders. Die Verhältnisse, in denen er aufwächst, sind anders. Nicht ungewöhnlich. Nicht anders anders, aber auch nicht wirklich so, wie es sein sollte. Ohne Geld lebt es sich nicht einfach. Andere Eltern gehen arbeiten und lesen ihren Kindern jeden Wunsch von den Lippen ab. Sie lachen, spielen und sammeln gemeinsam Erfahrungen fürs Leben. Finns Vater sitzt die meiste Zeit zuhause, lebt von Sozialhilfe und schreit immer nur. Im Internet spielt er Online Kasino – die Spielmarken aus der virtuellen Welt kauft er mit realem Geld. Das fehlt dann an anderen Ecken.     Finn ist 13 als er zum ersten Mal einen der Schuldeneintreiber antrifft. Sein Vater ist nicht zuhause. In irgendeiner Bar, trifft sich dort mit anderen Sozialhilfeempfängern und gemeinsam zocken sie an den Spielautomaten oder eher verzocken dort alles, was sie haben. Finn weiß das, weil er seinem Vater einmal gefolgt ist. Als sein Vater das erfuhr, hat er ihn geschlagen und angeschrien. Deshalb folgt er ihm nicht mehr.     Der Schuldeneintreiber heißt Worrick und verlangt Bargeld. Finn hat kein Geld, aber dafür unendlich viel Angst. Der Mann verprügelt ihn und droht, ihn umzubringen. Er zerschlägt einige Fensterscheiben und als er geht, fliegt die Tür aus den Angeln. Finn versteht, dass er Geld verdienen muss, weil sein Vater anders ist. Nicht anders anders, aber irgendwie nicht ganz bei Sinnen. Worrick sieht er daraufhin mehrere Wochen nicht. Doch erleichtert ist Finn nicht, sondern noch angespannter, verängstigt und irgendwie fühlt er sich verfolgt. Paranoid die Umgebung abzuchecken scheint ein Tick geworden zu sein. Er fühlt sich immer beobachtet, verfolgt, obwohl er weiß, dass niemand da ist. Mitten in der Nacht wacht er auf. Warum weiß er meistens nicht. Aber immer muss er das Licht anmachen und nachsehen, ob nicht doch jemand in seinem Zimmer ist.     Das macht ihn anders. Nicht anders anders, aber doch ziemlich durchgeknallt. Manchmal sehnt sich Finn danach, dass Monster existieren und dass unter seinem Bett ein alter, grässlicher Dämon lebt, der nur darauf wartet, ihn zu holen. Dann könnte er sich mit ihm anfreunden. Ein bisschen reden, lachen, herumalbern, das, was Freunde so machen. Der Gedanke ist dumm und kindisch, aber irgendwie auch tröstend.     Es ist 18 Uhr abends. Finn trifft sich gleich mit jemanden. Einer der Schuldeneintreiber heißt Rick Brown. Seine von Tabak und Kaffee vergilbten Zähne blitzen bei jedem Lächeln hervor, seine schmalen Augen und seine breite Nase und diese tiefe, tenorähnliche Stimme, hätten bei jedem normalen Menschen sicher die Alarmglocken läuten lassen. Er hat etwas von einer wilden Bestie, die jeden Moment zubeißt, trotzdem ist man fasziniert und kann den Blick nicht abwenden. Aber Finn ist verzweifelt und greift nach jeden Strohhalm, der sich ihm bietet. Rick ist 18 Jahre älter als er. Mit ihm hatte er sein erstes Mal. Auch heute erinnert er sich daran. Vor allem an den Schmerz. Er war gerade 15 geworden und dieser Mann versprach ihm, dass er ihm acht Wochen Zahlungspause geben würde, würde er einfach brav mitmachen. Jeder seiner Klassenkameraden schien genau zu wissen, was geschehen war.     Nun ist das zwei Jahre her. Finn trifft sich immer noch mit Rick. Der Sex ist schmerzhaft, aber Rick hilft ihm, gibt ihm sogar Geld, damit er sich etwas zu essen kaufen kann.     „Ich muss los“, murmelt Finn, wirft noch einen Blick auf seine kleine Color Watch, die er von Rick geschenkt bekommen hat. Ein Geburtstagsgeschenk. Das erste Geschenk, das Finn jemals bekommen hat. Zumindest das einzige Geschenk, an das er sich erinnert und immer noch bei sich trägt. Er läuft zur U-Bahn und fährt in die Innenstadt, läuft durch die viel belebten Straßen und wundert sich mit jedem Schritt, wie es wohl sein mag, frei zu sein. Was es bedeutet, eigene Entscheidungen treffen zu können. Fragt sich, ob diese fremde Menschen wissen, was er gleich tun wird und ob sie ihn dafür verachten. Denn Finn hasst sich selbst.     Rick Brown hat den Schlüssel zu seiner Freiheit und er weigert sich, ihm diesen zu geben. Jeder Tag ist gleich. Irgendwie öde. Trostlos. Sinnlos. Und die Gitterstäbe an seinem Käfig sind dicht an dicht aneinander gedrängt, sodass er nicht einfach flüchten kann. Die Fehler seines Vaters beeinflussen sein Leben. Rick Brown ist nicht nur irgendein Schuldeneintreiber, sondern ein Kredithai und gehört zu einem Klan. Wenn Finn nicht mit Geld zahlen kann, muss er sein Leben geben. Denn seine Freiheit hat er schon abgegeben. Finn hasst sich selbst. Für das, was er tut. Für das, was er tun muss, um am Leben zu bleiben. Er schämt sich, dass sein Leben ihm kostbarer ist, als seine Ehre oder sein Stolz.       ___________________       Zaghaft klopft er an die Tür des Klubs. Die Musik aus der Disco aus dem Untergeschoss dröhnt bis nach oben. Die rhythmischen Beats lassen den Boden gleichmäßig vibrieren. Als die Tür sich öffnet, grüßt ihn einer der Angestellten. Finn nickt nur und geht schnurstracks in den VIP-Raum, wo Rick bereits wartet. Dieser hat bereits zwei Gläser Champagner auf dem Tisch stehen. Die Flüssigkeit sprudelt, riecht gleichzeitig angenehm und ekelerregend. Rick lächelt. Er trägt ein sündhaft teures Gucci-Hemd, das Logo prangert glänzend auf der Brusttasche, während er das Hemd zur Hälfte aufgeknöpft hat und breitbeinig auf der roten Samtcouch sitzt.     Finn zwingt sich zu einem Lächeln und setzte sich neben Rick, schmiegt sich verlangend an ihn.     „Tut mir leid, dass es später wurde“, sagt er und sieht entschuldigend zu dem Mann hoch.     „Pass auf, dass du nicht so wirst, wie dein Vater. Pünktlichkeit ist sehr wichtig“, erklärt Rick und zündet sich eine Zigarette an, inhaliert den Qualm und pustet ihn in die Luft, während er einen Arm um Finn legt und ihn an sich drückt.     „Verzeih, ich mache es wieder gut“, versucht Finn es erneut und drückt Rick einen liebevollen Kuss auf die Wange. Rick lacht amüsiert, nimmt einen tiefen Zug und drückt die Zigarette auf Finns Oberarm aus. Der Blonde zuckt vor Schmerz zusammen, aber er schreit nicht. Helfen wird ihm niemand. Außerdem ist er doch freiwillig hierher gekommen. Rick drückt ihn auf die Coach und lässt seine Hand unter sein T-Shirt wandern. Seine Hände sind rau, aber er ist sie gewohnt. Etwas scheu blinzelt Finn und überlegt, was er tun kann, um Rick zu besänftigen. Aber Rick ist weiterhin aufgebracht, zieht an seinen Schamhaaren, so dass Finn erneut zusammenzuckt.     „Es tut mir leid“, wimmert er und bittet mehrere Male um Verzeihung.     Rick hat heute einen schlechten Tag. Sein Lächeln ist anders. Es ist immer gespielt, aber heute wirkt es irgendwie anders, beinahe abfällig. Finn fragt sich, warum Rick ihn so ansieht.     „Ich hörte dein Vater hat sich schon wieder Geld geliehen“, meint der Ältere trocken.     „Davon weiß ich nichts“, erklärt Finn und sieht ihn weiterhin entschuldigend an. Rick lässt seine Schamhaare nun los und weist ihn dazu an, sich auszuziehen. Finn will das nicht. Finn hasst das. Finn weiß genau, wo das hinführen wird. Doch er will leben. Er hat diese Entscheidung getroffen. Entscheidungen zu treffen, bedeutet frei zu sein. Seine Mutter wählte den Freitod, doch Finn hat Angst, will sich nicht für das Ende entscheiden und alles für immer und ewig hinter sich bringen. Da ist noch ein Funken Hoffnung. Es wird besser werden. Irgendwann. Irgendwie. Geduld muss er haben. Also durchhalten.     Es ist seine Entscheidung, sich auszuziehen und sich auf den Schoß des Mannes zu setzen, der sein Leben in seinen Händen hält und den Schlüssel zum Schloss versteckt. Finn spürt die rauen Hände über seinen Körper wandern und sie sind schrecklich warm, unangenehm und entfachen ein Feuer in ihm. Er fühlt sich schuldig. Dreckig. Benutzt. Aber er lebt. Atmet. Und kann entscheiden. Er entscheidet sich für das Leben und somit für die Freiheit. Er bestimmt selbst über sein Handeln. Diese Selbstbestimmtheit macht ihn unabhängig.     Warum fühlt er sich dann gefangen?     Nach dem Akt fühlt er sich angewidert von sich selbst. Sein Körper ist schweißnass, und Rick verabschiedet sich nicht einmal. Rick hat schlechte Laune, also gibt es auch kein Geld. Keine Küsse. Keine Umarmungen. Keine gespielte Zuneigung. Sein Vater hat wieder Mist gebaut und Finn muss es ausbaden. Fair ist das nicht, aber er muss es hinnehmen. Denn etwas anderes bleibt ihm nicht übrig. Aber er lebt. Finn leert das Glas Champagner, würgt und kämpft damit, sich nicht zu übergeben. Widerlich. Ist er wirklich so wie sein Vater? Das Glas vor ihm ist leer und löst in ihm gemischte Gefühle aus.     Finn hat Möglichkeiten. Er könnte Nein zu Rick sagen. Nicht mehr herkommen. Seinen Vater verlassen. Sein eigenes Leben beenden und dem Wahnsinn entfliehen.     Trotz dieser vielen Möglichkeiten befindet er sich in einem goldenen Käfig. Er fühlt sich nicht frei, sondern getrieben. Nicht lebendig. Nicht glücklich. Abhängig. Eingeengt. Aber er hat diese Entscheidung selbst getroffen. Finn weiß nicht, ob er frei ist. Niemand hält ihn fest, wenn er den Klub verlässt. Niemand zwingt ihn dazu, zuhause zu bleiben und die Schulden seines Vaters zu bezahlen. Was hat ihn dazu getrieben? Es war Angst. Angst vor Schmerz. Die unendliche Furcht davor, für immer einsam zu sein und seine Sicherheit und Stabilität aufzugeben. Die Bedenken davor, ein Risiko einzugehen. Risiko bringt Gefahren mit sich.     Finn sitzt am Bahnhof und beobachtet die vielen jungen Menschen, die nach Hause strömen. Sein Unterleib tut weh. Und die Verbrennung am Arm brennt unaufhörlich. Es wird im Laufe der Nacht viel ruhiger. Es werden immer weniger Menschen. Hier und da ein paar Gangster, die offensichtlich irgendwelche krummen Geschäfte abwickeln. Einmischen will er sich nicht, fragt sich aber heimlich, ob die Ware, die dort angeboten wird, sein Leben einfacher machen könnte. Ob er sich dann freier fühlen würde. Ob der Druck verschwinden würde. Dieser elendige Druck, der sein Herz und seine Seele jeden Tag aufs Neue zerquetscht. Aber was bedeutet schon Freiheit? Finn hat sich doch selbst für dieses Leben entschieden.       ___________________       Es ist nach ein Uhr nachts. Ein junger Mann setzt sich neben ihn. Seine Haare sind schwarz, er trägt eine mit Nieten besetzte Lederjacke und eine schwarze, zerschlissene Jeans. Warum setzt sich dieser Kerl ausgerechnet neben mich? Alle Bänke sind frei... vielleicht gehört er zu Ricks Leuten, überlegt Finn und verwirft den Gedanken schnell abzuhauen. Wenn der Mann zu Rick gehört, heißt das, dass Rick immer noch sauer ist. Hart schluckend wartet er darauf, dass der Fremde etwas sagt. Aber er sagt rein gar nichts, sitzt stumm an denselben Fleck und bewegt sich nicht einmal. Unangenehme Situation. Minuten vergehen. Die Bahnhof ist fast leer. Aus der Ferne hört man Autos. Ansonsten herrscht Stille.     „Du bist Finn Aston, nicht wahr?“, sagt der junge Mann. Finn fällt aus allen Wolken, sein Herz rutscht ihm in die Hose und auf einmal ist er erfüllt von Angst. Rick ist wütend! Oh Gott, was tue ich jetzt nur?!, schießt er ihm durch den Kopf. Verdammt. Sein Kopf arbeitet auf Hochtouren, aber irgendwie scheint nur Dampf aus seinen Ohren zu kommen. Er beißt sich auf die Unterlippe, sucht immer noch nach einer Antwort, doch die panische Angst, die ihn anheimfällt, macht ihn regungslos und legt ihn in Ketten. Plötzlich fühlt er sich so schwer. Hilflos.     „Mein Onkel hat mir von dir erzählt. Worrick. Schon mal gehört?“     Finn starrt wortlos auf den Boden. Worrick gehört zu Ricks Leuten. Er war der erste Schuldeneintreiber, den er getroffen hatte. Diese Begegnung würde er niemals vergessen.     „Ey, ich will dir nichts tun. Ich will dich kennenlernen und wüsste gern, warum du ausgerechnet mit diesem Ekelpaket Rick zusammenarbeitest“, sagt der Fremde, dann zückt er eine Schachtel Zigaretten hervor. Das rote Logo erkennt Finn sofort. Seine Mutter hat dieselbe Sorte geraucht. Der zwölfte August ist vorüber, aber der Schmerz, den dieser Tag mit sich bringt, ebbt nicht ab. Der Mann hält ihm die Schachtel hin. Finn blinzelt verwirrt und schüttelt dann den Kopf.     „Ich rauche nicht“, sagt er kleinlaut.     „Echt nicht? Du riechst wie ein Aschenbecher“, lacht der Schwarzhaarige und grinst provokant.     Finn ist empört, schnuppert neugierig an seinem T-Shirt und rümpft angewidert die Nase. Der Fremde lacht und schlägt ihn freundschaftlich auf die Schulter. Finn ist schmächtig und fliegt durch den harten Schlag von der Bank, landet auf seinen Knien, macht sich aber nicht die Mühe wieder aufzustehen und grummelt leise in sich hinein. Der Fremde ist verwundert, zieht eine Augenbraue in die Höhe.     „Warum stehst du nicht wieder auf?“     „Weil ich deine Erwartungen nicht erfüllen will“, kommt es schnippisch von Finn.     Der junge Mann lacht, schlägt sich auf den Oberschenkel, als hätte er einen guten Witz gehört. Dann setzte er sich ebenfalls auf den Boden. Finn versteht die Welt nicht mehr.     „Du bist ein komischer Kauz“, bringt der Fremde hervor und beruhigt sich langsam.     „Also. Warum?“, kommt es monoton.     „Das geht dich nichts an“, meint Finn nur und dreht den Kopf zur Seite.     Was will dieser Typ nur von mir?!     „Wenn du mich ausrauben willst, hast du Pech gehabt! Ich habe kein Geld, such dir ein anderes Opfer“, knurrt er und wirft dem Schwarzhaarigen einen mahnenden Blick zu.     „Ich weiß, dass du keine Kohle hast. Ich sagte doch, dass Worrick mein Onkel ist. Dein Vater hat sich Geld von meinem Onkel geliehen und er ist echt stinkig, will die Kohle sofort zurückhaben“, kommt es ruhig und er nimmt einen weiteren Zug. Der Qualm steigt in die Luft.     „Ah, du bist also ein Schuldeneintreiber und willst jetzt von mir die Kohle haben.“     „Jemand, der so verzweifelt ist und freiwillig mit Rick vögelt, ist echt am Ende. Sorry, aber ich trete nicht auf Leute ein, die bereits am Boden sind.“     „Sagt der Kerl, der sich gerade freiwillig auf den Boden gesetzt hat und jetzt auf einem Kaugummi sitzt“, stichelt Finn und zeigt auf die Stelle am Boden, breit grinsend, während der Fremde aufspringt und sich den noch klebrigen, nassen Kaugummi von seiner Jeans zieht. Er gibt verärgerte Laute von sich. Finn findet das lustig. Wenigstens etwas Gutes.     „Ach ja, mein Name ist Alexander Worrick, kannst mich aber Alex nennen“, sagt er und hält dem Blonden seine Hand hin. Finn nimmt die helfende Hand nicht an, sondern steht selbstständig auf. Das ist seine Form von Rebellion. Selbstbestimmtheit. Denn viel mehr hat er nicht.     „Was genau willst du jetzt von mir, Mister Worrick Junior?“     „Du bist aber ein stures Kerlchen!“ Alex lacht und legt einen Arm ungefragt um Finns Schulter, zieht ihn mit sich und flüstert ihm leise etwas ins Ohr.     „Jetzt mal ehrlich: magst du Rick? Schläfst du mit ihm, weil du es willst oder weil du keine Wahl hast?“     Finn bleibt stehen und befreit sich von Alex’ Umarmung. Ein wunder Punkt.     „Willst du mir unterstellen, ich wäre eine Hure?“     „Das hast du jetzt gesagt, aber das trifft den Nagel auf den Kopf.“     Finn will weggehen und rauscht an Alex vorbei, doch dieser packt ihn am Handgelenk und hält ihn fest. Finn will sich losreißen, doch Alex ist nicht nur schneller als er, sondern auch viel stärker. Alex drückt ihn gegen eine der Litfaßsäulen, wo eine Reklame einer Versicherung hängt. Scharf zieht er die Luft ein, hält sie in seinen Lungen und wartet angespannt darauf, dass Alex ihn endlich loslässt, fürchtet aber, dass sein Gegenüber ihn nicht loslassen wird.     „Hör zu, Finn, ich will dir echt nichts Böses. Aber kannst du mir eine Frage beantworten? Schläfst du freiwillig mit ihm? Weil du es wirklich willst und du Spaß dran hast?“     Finn antwortet nicht.     „Antworte!“ Alex drückt ihn fest gegen die Säule und Finn zuckt erschrocken zusammen.     „Natürlich nicht!“ Alex grinst zufrieden.     „Letztendlich liegt die Wahl bei dir, aber willst du weiterhin mit diesem Dreckssack, der dich erpresst und dir ständig wehtut, schlafen, um dich und deinen Vater zu schützen oder willst du dich mir anschließen?“     „Wovon redest du?“     „Mein Onkel will Rick stürzen, ihn kaltmachen und das Unternehmen übernehmen. Du kommst von uns allen am ehesten an ihn heran, ohne dass man dich untersucht. Rick steht auf dich und vertraut dir. Oder eher vertraut darauf, dass du zu ängstlich bist, dich ihm zu widersetzen.“     Finn weiß nicht, was er sagen soll.     „Und was hätte ich davon? Nichts. Dann würde mein Leben nur in der Hand deines Onkels liegen und ich müsste weiterhin einen Weg finden, um die Schulden zu begleichen“, meint Finn schlussendlich und senkt frustriert den Blick. Was macht es für einen Unterschied, ob Rick oder Worrick den Schlüssel zu seinem Käfig in den Händen hält? Ein Gefangener bleibt er weiterhin.     „Oh, ich befürchte, dass du gar keine andere Wahl hast. Denn entweder du versprichst uns zu helfen oder aber ich bringe dich auf der Stelle um und werfe deinen toten Körper in den nächstbesten Fluss und vernichte alle Beweise.“     „Also erpresst du mich? Was machst du, wenn ich zusage und dich dann bei Rick verpetze?“     „Was hättest du davon?“ Alex kichert erheitert.     „Klar, du kannst Rick sagen, was wir vorhaben, aber sobald du den Schuppen verlässt, knallen wir dich ab, also würdest du am Ende so oder so mit deinem Leben bezahlen.“     Finn schnaubt und wendet den Blick ab.     „Wenn du uns hilfst, erlasse ich dir all deine Schulden und gebe dir einen guten Posten in unserem Unternehmen, dann musst du nie wieder Hunger leiden und bist frei.“     „Du sagst das so, als wäre ich ein Gefangener.“ Finn ist verärgert, weil Alex ihn sofort durchschaut und viel zu viel weiß. Mehr als er wissen sollte. Mehr als Finn mit anderen teilen möchte.     „Bist du das denn nicht? Bedeutet frei sein nicht, dass man das tun kann, was man will und dies auch will? Dass man dies ohne äußerliche Zwänge tut? Du fickst ja nicht mit diesem Kerl, weil du es geil findest, sondern weil er dich und deinen Vater sonst kaltmachen würde. Du hast Glück, dass du so ein hübsches Gesicht hast, ansonsten hätte sich Rick nie so einen Narren an dir gefressen.“     „Was muss ich tun?“, flüstert Finn und hebt den Blick nicht.     „Wann triffst du dich wieder mit ihm?“     „Morgen Abend.“     „Die Security untersucht dich nicht, hier“, sagt Alex und lässt Finn endlich los, um ein kleines Fläschen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hervorzuholen, welches er Finn breit grinsend in die Hand drückt, dann spricht er weiter, „das hier mischt du in sein Glas, das haut ihn sofort um und um den Rest kümmern mein Onkel und ich mich!“     „Ich...“     „Keine Sorge, du tötest ihn ja nicht direkt, du leistet nur Beihilfe“, lächelt Alex und klimpert liebevoll mit den Wimpern, um seinen blonden Gegenüber zu überzeugen. Finn schluckt. Mord ist Mord. Aber wenn ihn das aus den Klauen dieses Mannes befreit... er schüttelt den Kopf.     „Das ist schrecklich! Ich kann doch nicht einfach einen Menschen töten!“     „Nicht du killst ihn, sondern mein Onkel! Du lässt ihn nur ruhig einschlummern und hast danach nie wieder was mit ihm zu tun“, erklärt Alex breit grinsend, während seine Augen strahlen.     „Das ist... falsch, das geht doch nicht...“     „Was ist schon Moral? Vergiss deine Bedenken und treffe mal für dich selbst eine Entscheidung.“     Finn ist überrascht, geradezu überrumpelt. Was meint Alex? Hat er denn nicht für sich selbst entschieden, dieses Schicksal anzunehmen, um sein Leben zu schützen?     „Hey, Finnchen, komm schon! Sag einfach ja und beende diesen Alptraum.“     „Okay“, haucht er und Alex drückt ihn einen dicken, feuchten Schmatzer auf die Wange. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)