Philomathie von Rakushina (Wenn Neugier nicht wäre) ================================================================================ Kapitel 1: Precuneus -------------------- „Habt Dank, habt vielen vielen Dank, ehrfürchtiges Digimon.“ „Ist doch schon gut. Du musst dich nicht so oft bei mir bedanken. Das war selbstverständlich“, sagte Sanzomon und hob ihre Hände, als Geste, dass DemiDevimon sich doch beruhigen sollte. Er war immer noch aufgewühlt und hatte Tränen in den Augenwinkeln. Die gelben Augen, die bekanntermaßen nur seine listige und feige Natur wiedergeben sollten glänzten durch die Nässe. Das Digimon tat ihr Leid. Von Server hörte Sanzomon viel. Es war der größte Kontinent und der weitgehend modernste Teil der Digiwelt. Sie kam vor zirka einem Monat über ein Schiff hier an, eine Reise, die mit viel Mühe und Kosten verbunden war. Aktuell versuchten alle Digimon von Server wegzukommen, statt freiwillig einen Fuß auf diesen verfluchten Boden zu setzen. Unheilvolle Digimon rissen die Macht an sich. Armut und Angst dominierte den Alltag der mehrheitlichen Bevölkerung. Über die Meister der Dunkelheit berichtete man in jedem Winkel der Digiwelt. Sanzomon hörte durchaus schaurige Geschichten über sie und Digimon, die gleichen Gemütes und Besinnung waren, aber viele von ihnen traf sie bisher nicht. Einem Etemon begegnete sie, aber er war kein angenehmer Zeitgenosse und dazu jemand der – wie sollte sie sagen – simpel gestrickt war, was ihn aber keines Falls ungefährlich machte. Vermutlich ließ dieses Digimon sie auch nur gehen, da er ahnte dass Sanzomon keine Bedrohung war. Das Puppen-Digimon wies sie auch darauf hin, wenn sie etwas Interessantes sehen wolle, sollte sie gen Norden und durch die düsteren Wälder, da bekäme sie genug zu sehen. Wenn sie es bis dahin überhaupt schaffen würde. Aber auch von diesem Interessanten sah sie bisher nichts. Die Region war dichter besiedelt, aber die Digimon standen unter Spannung. Die Angst jeden Moment von feindlichen Digimon angegriffen zu werden war hoch. Die Digimon trauten sich kaum heraus, in der Nacht schon gar nicht. Das Koromon-Dorf, nicht weit von der Küste, an der ihr Schiff anlegte war der einzige Fleck Servers, der noch ansatzweise normal wirkte. Und selbst diese Digimon lebten in ständiger Angst. MetalSeadramons Truppen zogen ihre Bahnen in den Gewässern und wenn eines der Koromon zum Rookie digitierte (meist in irgendeine Agumon-Variante) nahmen die Truppen Machinedramons sie mit. Was mit ihnen geschah vermutete man nur. Die letzten Jahre war es etwas ruhig um die Meister der Dunkelheit geworden. Einige sagten, sie hätten das Interesse verloren, andere, dass sie einfach Kräfte sparten. Schließlich hatten solche Digimon immer Feinde und das gab den Koromon Hoffnung, dass es irgendwann besser werden würde. Damit waren sie aber auch die einzigen Digimon, die diese Zuversicht im Herzen trugen. Sanzomon erfreute sich dieses Anblicks, war dieser fast noch seltener geworden wie der Hauch von der versprochenen Kultur, von der man sonst immer so schwärmte (versucht ging auch das auf das Konto der dunklen Meister). Im Gegenzug war auch Sanzomon selbst ein seltener Anblick. Wenn sie in einem Dorf oder in einer Stadt ankam, bat sie den Digimon Segen und Gebete an. Obwohl dieses spirituelle Angebot gerne angenommen wurde, hatte Sanzomon nicht das Gefühl, viel bewirkt zu haben. Vielleicht war sie zu unerfahren und nicht überzeugend genug. Vielleicht saß die Verzweiflung in den Digimon einfach zu tief. Egal welches Sutra sie sprach, welches Gebet sie sang und welche Fähigkeiten sie benutzte um zu heilen, der Schleier der Verzweiflung blieb über ihnen. Die meisten Digimon begegneten Sanzomon zudem mit viel Misstrauen. Sie hatte sich darauf eingestellt als fremdes Digimon wenig Hilfe zu bekommen und musste selbst zusehen, wie sie klarkommen würde. Aber so viel Argwohn hatte selbst sie nicht erwartet. Beinahe traurig, galt Server in Sanzomons Heimat als Schmelztiegel von Fortschritt und altertümlicher, magischer Macht. Doch bisher hatte Sanzomon weder das eine, noch das andere gesehen und Sanzomon würde so schnell auch nichts davon zu sehen bekommen, schließlich hatten sich die Meister der Dunkelheit das Beste vom Besten an sich gerissen, während die Schwachen und Kranken sich selbst überließen. Ihr war es ein Rätsel, wie man so sein konnte. Zu ihrem Glück besaß Sanzomon Züge eines Optimisten und lebte bereits als Ausbildungs-Digimon die Einstellung aus, dass unter jedem öden Stein etwas Spannendes sein konnte. Für ihre ausgeprägte Neugierde von Artgenossen gepiesackt und geschnitten, entwickelte Sanzomon ein Eigenbrödler-Dasein mit einem immer größer werdenden Interesse für alles, was fernab ihrer Heimat lag. Während ihre Artgenossen stärker wurden, las sie und lernte schreiben noch vor den anderen. Nach ihrer Ultra-Digitation, nachdem sie sich mehrmals weigerte in den Krieg gegen die dunklen Truppen zu ziehen, brach sie ihre Reise zur Selbstfindung auf und auf die Suche nach allem, was Geist und Herz erweitern würde. Und ihr Herz trug sie nach Etemons Äußerung weiter in den Norden, obwohl Digimon sie warnten. Furchtbare Dinge geschahen in diesem Teil Servers. Es lebten gefährliche Digimon dort und ihr Herrscher war blutrünstig und grausam, vielleicht sogar noch grausamer wie die Meister der Dunkelheit. Doch so wenig Angst Sanzomon vor dem Unbekannten hegte ging sie dennoch los ins Ungewisse. Nach ein paar Tagen des Wanderns stand sie dann vor diesem Wald, der, so erzählte man ihr die Grenze aufzeigte zu den Territorium dieser Grausamkeiten. Obwohl Pflanzen bekanntlich, auch digitale ihren Kopf immer Richtung Sonne reckten, so schienen diese hier sich so sehr vor dem Licht zu fürchten, dass sie sich krümmten und zu Spiralen drehten. Es war Sommer, doch die Luft im Wald stand nicht nur, sie war kalt, als stünde der Wintereinbruch bevor. Es roch nass und erdig. Die Blätter wirkten gelblich und von irgendwo hörte sie einen Bach plätschern. Und dazwischen hörte sie schließlich DemiDevimons Schreie. Er wurde von Devidramon eingekesselt und wäre als Abendessen geendet, wäre Sanzomon nicht gekommen. Die Devidramon ergriffen sofort die Flucht, was Sanzomon nicht sehr wunderte. Sie war ein heiliges Digimon, natürlich suchten sie sofort das Weite. „Und bitte, sag nur Sanzomon zu mir“, sagte Sanzomon und betontes es laut, da DemiDevimon nicht den Anschein erweckte als höre er zu, so sehr war er damit beschäftigt sich ausgiebig zu bedanken, so ausgiebig, dass es Sanzomon peinlich wurde. DemiDevimon rieb sich mit seinen schwarzen Flügeln die Tränen aus den Augen. „Entschuldigt, Sanzomon. Ich habe nur selten ein Digimon getroffen, dass so nett zu mir war. Die meisten Digimon vertrauen mir aufgrund meines Typus nicht. Dabei will ich doch nur Hilfe. Ich bin das schwächste Digimon, dass meinem Meister dient und er gibt mir immer sehr viele und schwierige Aufgaben, weil ich nur so stärker werden würde. Und wenn ich versage, wird er sehr böse“, wimmerte DemiDevimon ungehalten und mitfühlend tätschelte sie den Kopf des Rookie-Digimon. „Man wächst und wird stärker durch Erfahrung und dazu gehört auch manchmal etwas nicht ganz so gut zu machen oder zu versagen. Dein Meister ist ein schlechter Meister, wenn er nicht anerkennt, dass du dir große Mühe gibst.“ „Pscht, nicht so laut“, ermahnte DemiDevimon sie und hielt sich dabei die Flügel vor seinen Mund. „Sonst hört mein Meister Euch.“ „Ich habe keine Angst davor mich für meine Überzeugungen einzusetzen, insbesondere, wenn andere leiden müssen.“ „Ihr seid so gütig und klug. Doch bitte ich Euch zur Vorsicht. Mein Meister ist streng, aber legt wert auf Etikette und Intelligenz. Ich bin sicher, er wird erfreut sein Euch kennenzulernen.“ „Mich?“, wiederholte Sanzomon ungläubig. „Du hast vor mich deinem Meister vorzustellen?“ „Aber sicher doch. Bestimmt möchte er dem Digimon, dass seinen Diener geholfen hat persönlich danken. Außerdem -“, beschämt landete DemiDevimon auf seinem Stein und kauerte seine Flügel um seinen rundlichen Körper, „ - bin ich überzeugt, dass er dann weniger streng mit mir sein wird. Mein Meister bekommt wenig Besuch. Bestimmt ist er auf eine Bekanntschaft mit gleichleveligen Digimon nicht abgeneigt. Ich war doch richtig der Annahme, dass Ihr auch ein Ultra-Digimon seid?“ „Ja, bin ich“, bestätigte Sanzomon, doch statt auf DemiDevimon zu achten betrachte Sanzomon den Weg, der vor ihr lag und eigentlich hatte sie nur vor DemiDevimon nur so lange zu begleiten, bis sein zu Hause in Sichtweite war. Der Pass um die vom Nebel umhüllten Bergreihen war lang und recht steil, aber sie konnte das Schloss von ihrem Standpunkt aus sehen. Eine unheimliche Aura schien den gesamten Berg in seiner Gewalt zu halten. Man fühlte sich beobachtet und die Paranoia verleitete dazu, dass man plötzlich Dinge im Nebel sah, die nicht da waren. Vielleicht eine Warnung des Schlossherren, oder der eigenen Instinkte. Doch es vertrieb Sanzomon nicht, vielmehr zog es sie weiter an. Nicht der Wunsch ein Digimon kennenzulernen, dass auf dem gleichen Level wie sie war (Ultra-Digimon waren selten geworden, sie waren mit dem Leid gestraft direkt in Kämpfe gegen die Meister der Dunkelheit verwickelt zu werden und, wenn sie nicht folgten, zu sterben), aber der Wunsch zu wissen was dort lauerte verlieh ihr die Motivation und die Kraft den Pass weiter zu laufen, unabhängig der Tatsache, dass DemiDevimons Meister laut dessen Beschreibung ein unsympathischer Zeitgenosse sein musste. Was dort oben lauerte? Eine Präsenz wie diese hatte Sanzomon bisher nie gespürt. Mit dämonischen Digimon war sie vertraut und sie vermutete, dass dies auch das Werk eines solchen war, aber dort wo Dämonen-Digimon lauerten war es stickig, elektrisierend und heiß. Doch hier war es einfach nur kalt. Merkwürdig. „Also, was sagt Ihr? Ich kann meinen Meister bitten, dass Ihr etwas bei uns bleiben könnten, damit Ihr Euch erholt. Wenn Ihr wirklich schon so viel gewandert seid, müsst Ihr sicher erschöpft sein. Bitte. Ich möchte mich so sehr bei Euch für die Rettung bedanken“, bettelte DemiDevimon weiter, während Sanzomon immer noch zum Schloss hochschaute. Allmählich überkam sie das Gefühl dieser Nebel war kein gewöhnlicher und er schien sehnsüchtig zu warten, dass sie näher kam. Es hatte etwas vorsintflutliches an sich und Sanzomon hörte bereits die mahnenden Rufe derer Digimon, bei denen sie einst aufwuchs, dass sie bloß keinen Schritt weiter bergauf gehen sollte. Vor Unbekannten und Unheimlichen machte man besser einen großen Bogen, ansonsten könnte es übel, gar tödlich enden. Doch Sanzomon hatte sich aus diesen Worten und Weisheiten nie viel gemacht und auch nie auf sie gehört. Und das, was immer hier auch zu lauern schien verkörperte so einiges, was Sanzomons Neugierde, ihre herausragendste Eigenschaft nährte. „Ich nehme deine Einladung dankend an. Ich werde auch deinen Meister bitten, dass er nicht so streng mit dir sein soll.“ „Oh habt Dank, habt vielen Dank“, jubelte DemiDevimon und erhob sich wieder in die Lüfte. „Ich wusste, ihr seid großzügig. Nun kommt schon, kommt schon.“ DemiDevimon flog voraus und mit gemischten Gefühlen folgte Sanzomon ihm weiter über den Pass.   * * * *   Was vom Fuß der Berge und auf etwa der Hälfte des Weges als eher schlicht erschien, stellte sich beim näheren Betrachten für Sanzomon noch eine Spur interessanter heraus. Die Bauart des Schlosses war durchaus schlicht, aber stellte sich zudem als überaus verworren heraus. Die Steine waren dunkelgrau und die Fenster klein, hell schien es im Inneren also nicht besonders zu sein. Das Schloss bestand aus mehreren Blöcken, die sich über die Spitze dieses Berges erstreckten und mit Brücken und Türmen miteinander verbunden waren. Es wirkte teilweise etwas abstrakt und Sanzomon musste sich doch fragen, was der Erbauer sich dabei dachte. Hier im Innenhof des größten Gebäudekomplexes spürte Sanzomon die dunkle Präsenz ganz deutlich. Sie war im Zentrum dieser Macht, die ein außerordentliches negatives Karma mit sich zog. Teilweise überkamen sie kalte Schauer und das Gefühl, als wäre sie durch etwas hindurch gelaufen, was nur logisch wäre, denn das Erste, was Sanzomon sah waren Bakemon. Sehr viele Bakemon und auch Soulmon. Und doch glaubte Sanzomon das noch etwas hier wäre. Etwas, was nicht zu diesem Ort passte und von dieser dunklen Aura unterdrückt und begraben wurde. Waren darum so viele Geist-Digimon hier? Ein Bakemon kam aufgeregt auf DemiDevimon zugeflogen und seiner Reaktion und damit, wie es DemiDevimon tadelte ließ sich schließen, dass man bereits nach ihm suchte. Relativ schnell auch bemerkte das Geist-Digimon, was für ein Digimon mit DemiDevimon hierher gekommen war. Nach und nach wurde Sanzomon immer mehr zum Objekt der Aufmerksamkeit und da sie nie besonders gerne im Mittelpunkt stand, wurde ihr das sofort unangenehm. Die Bakemon trollten sich zu kleinen Grüppchen zusammen, während sie Sanzomon nur aus der Ferne beobachteten. Bei ihrem Versuch einer Dreiergruppe freundlich zuzunicken vergrößerten diese ihren Abstand nur. Sanzomon nahm es ihnen nicht übel. Digimon wie diese hatten selbstredend Angst vor einem Digimon wie ihr. „Bis du komplett bescheuert? Erst verschwindest du und dann schleppst du so ein Digimon hierher?“ „Es tut mir Leid, es tut mir Leid!“, winselte DemiDevimon und schlug seine Flügel über seinem Kopf zusammen. Ein Phantomon schwebte wütend vor ihm. Da Phantomon Ultra-Digimon waren und meist die Anführer der Geist-Digimon, dachte Sanzomon für einen Moment ,dass dies DemiDevimons Meister sein könnte, doch stellte sie fest dass diese Aura, die in Form des Nebels über den Boden kroch und den Himmel über ihr mit dicken, schwarzen Wolken bis zum Randes dieses dubiosen Waldes überzog nicht zu diesem passte. Geist-Digimon waren jedoch Digimon, die den Kontakt mit anderen Digimon-Arten mieden und Phantomon waren keine Digimon, die sich einfach irgendwelchen Digimon verschrieben, selbst wenn diese deutlich stärker waren. Was für ein Digimon hier also der Herr des Schlosses sein sollte und dem selbst ein Phantomon diente erschloss sich Sanzomon nicht. Die einzigen Digimon, die ihr einfallen würden gab es schon lange nicht mehr und kannte Sanzomon nur aus Gruselmärchen am Lagerfeuer von vor langer, langer Zeit. „Ich wurde bei einem Botengang für den Meister angegriffen und sie hat mich gerettet“, erklärte DemiDevimon wehleidig. „Tse, wärst du nicht so ekelhaft schwach hättest du solche Probleme nicht. Ich habe dir Training angeboten, aber du bist ja nie aufgekreuzt.“ „Training? Herumkommandiert hast du mich, dabei bist du nicht einmal mein Meister.“ „Aber dein General.“ „Und ich bin die rechte Hand des Meisters, also muss ich nichts von dem tun, was du sagst!“ „Rechte Hand? In deinen Träumen vielleicht“, lachte Phantomon, heimlich lachten auch ein paar der Bakemon und Soulmon mit. Das reizte DemiDevimon so sehr, dass sich sein dunkelblaues Fell die auch die Federn an Brust und Bauch aufplusterte und er sich in die Luft erhob. Für einen Moment schwebte er über Phantomon, aber ein kurzer Blickkontakt genügte um DemiDevimon wieder daran zu erinnern, wo er überhaupt stand und er verlor an Höhe. Von einem der Dächer sprang ein weiteres Digimon hinunter, dass zwar genauso weiß wie die Bakemon war, aber gewiss keines von ihnen. Das Digimon landete auf DemiDevimons Kopf und warf ihn damit direkt zu Boden während es selbst ohne weiteres auf seinen Füßen landete und zwischen Phantomon und Sanzomon stand. Dieses Digimon blinzelte mit den großen, blauen Augen und da es so ansteckend war, blinzelte auch Sanzomon. Sie war überrascht. Ein Gatomon hätte sie hier nicht erwartet. „Was sollte das jetzt?“, schimpfte DemiDevimon erbost, woraufhin Gatomon nur entgegnete mit einer sehr femininen Stimme: „Ich wollte dich nur auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.“ „Ging das nicht auch freundlicher?“, schimpfte er, doch Gatomon ignorierte ihn und betrachtete stattdessen schweigend und misstrauisch Sanzomon. „Also hatte der Meister Recht. Er hat gespürt, dass ein heiliges Digimon hier ist. War ja klar, dass du so etwas anschleppst.“ „Sie hat mir geholfen, ja?! Ich wollte mich nur bei ihr dafür revanchieren. Ist doch so, oder, Sanzomon?“ „Ähm... ja“, antwortete Sanzomon zurückhaltend, dann verbeugte sie sich leicht. „Ich bin auf Reisen und kam zufällig hierher. DemiDevimon bat um eine Gegenleistung für die Rettung vor einer Gruppe Devidramon. Er tat dies aus freien Stücken. Ich möchte nichts und brauche auch nichts. Wenn Euer Meister es mir doch erlauben könnte mich eine Nacht auszuruhen, ehe ich weiterziehe wäre ich sehr dankbar.“ „Also, was sagt ihr?“, fragte DemiDevimon aufgeregt und schaute zwischen Gatomon und Phantomon hin und her. Beide schienen im Gegensatz zu DemiDevimon eher skeptisch gegenüber ihrem Gast zu sein. Insbesondere Gatomon beäugte Sanzomon so intensiv, von den nackten Füßen bis hin zur Spitze ihrer Buddahkrone, als versuchte sie selbst die tiefsten Daten in ihrem Digikern zu entschlüsseln. Phantomon hob schließlich sein Haupt, sah aber dabei nirgendwo hin. Vielmehr schien er etwas gehört zu haben, das aber weder DemiDevimon noch Gatomon nachzuvollziehen schienen. Auch die Gruppen der ebenso misstrauischen Bakemon und Soulmon lösten sich auf und während eine handvoll noch im Innenhof blieb, verschwanden der größte Teil von ihnen wieder ins Inneres des Schlosses. „Der Meister ist einverstanden“, sagte Phantomon, worauf Sanzomon erst nicht reagierte, da sie sich eher fragte, wohin die Geist-Digimon verschwanden. „Ist er?“, fragte sie zurückhaltend. „Habt ihr ihn fragen können?“ „Er hat es uns mitgeteilt. Uns Geistern zumindest“, erklärte Phantomon weiter, doch Sanzomon war sich nicht sicher, ob sie wirklich verstand, was dieser ihr sagen wollte. Besaß er besondere Fähigkeiten und Kenntnisse über Magie? „Wir werden ein Zimmer für Euch herrichten und zu Essen vorbereiten. Aber vorher möchte der Meister Euch noch persönlich kennenlernen.“ „Danke, aber ich bin nicht hungrig“, erklärte Sanzomon, aber Phantomon ging nicht mehr darauf ein, sondern widmete sich Gatomon zu. „Du bringst sie zum Meister?“ „Selbstverständlich.“ „Hey, warum darf sie das erledigen und ich nicht?“, protestierte DemiDevimon trotzig und plusterte sein Fell wieder auf, bis Phantomon bestimmend den Kopf unter der scharlachroten Kapuze wie auch die Brust unter der grauen Kutte anhob. „Weil der Meister dich vorher unter vier Augen sprechen will.“ „O weia...“ Von DemiDevimons Temperament war nun nichts mehr zu sehen. Der Mut verließ ihn gänzlich, so wie DemiDevimon den Hof verließ und durch eines der kleinen Fenster der höheren Stockwerke hineinflog. Sanzomon rief ihm hinterher, aber er hörte sie nicht mehr. „Vergesst ihn“, sagte Gatomon fast monoton. „Er ist nicht so unscheinbar und arglos wie er sich gibt.“ „Es klingt jedoch, als bekäme er oft Ärger mit Eurem Herrn.“ „Nicht ohne Grund, seid Euch sicher.“ Ehe Sanzomon mit einer weiteren Frage darauf eingehen konnte, kehrte Gatomon ihr bereits den Rücken und lief zu einem der Tore, das sich ihr auch schon öffnete. Es war finster und würde Sanzomon nicht die schwachen Konturen von Treppenstufen erkennen, würde sie glauben das Tier-Digimon liefe geradewegs ins Nichts. Sie folgte Gatomon, wenn auch angespannt. Sie fühlte sich beobachtet, sie glaubte sogar in den Steinen der Mauer etwas zu sehen oder in den Schatten der Fenster Gestalten zu erkennen. Aber Sanzomon redete sich ein, dass sie sich das nur einbildete. Der Nebel, vielleicht auch die dünne Luft spielten ihr Streiche. „Kommt schon“, befahl Gatomon herrisch und lief weiter, ohne nach Sanzomon zu sehen und obwohl es zu keinem Augenkontakt kam nickte sie ihr zu. Gatomon führte sie Treppen hinauf, durch eine Galerie, von der sie aus einen großzügigen Blick auf den Pass werfen konnte und in den Hof. Es hingen zwar Bilder hier mit durchaus pompösen Rahmen, aber die Farben waren verbleicht. Man hatte sich nicht gut um sie gekümmert. Sie waren nicht nur verblichen, dass Bild selbst war beinah schwarz, aber schwache Farbkleckse und Reste von Konturen ließen Sanzomon erraten, was dies für Bilder waren. Bilder mit humanoiden Gestalten, die schrien, die gefoltert wurden, in einer Welt des unbeschreiblichen Grauens, von Monstern gejagt und Opfer irgendwelcher Perversionen. Sie versuchte weiter etwas in den Bildern zu erkennen. Sanzomon wusste nicht was sie abstoßender fand, dass jemand so etwas zeichnete oder dass ein Digimon das freiwillig aufhing, so faszinierend diese Kunst auch war. In den unteren Ecken der Gemälde stand ganz klein der Name, aber mehr wie B O S C H konnte Sanzomon nicht entziffern. „Trödelt nicht“, rief Gatomon zurück und Sanzomon nahm noch einmal einen Gang zu, um das Katzen-Digimon nicht zu verlieren. Die Galerie lag hinter ihnen und Sanzomon war umgeben von Türen mit dicken Vorhängeschlössern oder welchen, die nicht einmal Klinken besaßen. Nur Fackeln erleuchteten die Korridore, doch sie hingen falsch herum, die Flamme mit ihnen. „In diesem Schloss verläuft man sich schnell. Solltet ihr falsch abbiegen kann es passieren, dass Ihr nicht mehr herausfindet“, erklärte Gatomon und schaute seit langem wieder ihrem Gast ins Gesicht. Diese aber schien von dieser Warnung zwar überrascht, aber nicht verängstigt oder dergleichen, was Gatomon eher erwartet hätte. „Wo lande ich dann?“, fragte Sanzomon wenig eingeschüchtert, schon gar nicht besorgt, vielmehr verspielt. „Das weiß ich nicht.“ „Hat bisher niemand versucht diese Geheimnisse zu lüften? Euer Meister weiß doch sicher, was hier verborgen liegt.“ „Selbst wenn, würde er uns das nicht sagen“, erklärte Gatomon weiter. Sanzomon hingegen, trotz der harschen Worte schien gar nicht mehr an die Gefahren zu denken, sondern tatsächlich eher als versuchte sie sich vorzustellen, was es hier für Geheimnisse geben könnte. Gatomon glaubte sogar, das Mönch-Digimon schaute, während sie sie weiter durch die Gänge und eine Wendeltreppe nach oben führte, ob in irgendeiner dunklen Ecke oder einem Winkel etwas Verdächtiges sein könnte. Gatomon beobachtete über die Schultern Sanzomon und wie ihre Augen plötzlich strahlten. Kein Hinweis auf die Unsicherheit zuvor oder ihrer ruhigen Art. Ihre Lippen formten einem schmalen Strich und ihre Ohren ließ sie hängen. Dann traf Sanzomon auf ihren verstimmten Blick, lächelte aber zurück. Ihr rotes Halstuch verbarg ihren Mund und ihre Nasenspitze, aber ihr Lächeln ließ sich doch erahnen. „Was lacht Ihr jetzt?“ „Nur so. Du hast etwas an dir. Ich weiß nur nicht so genau was es ist“, erklärte Sanzomon. Ihre Stimme war ruhig und weich. „Deine Augen sind so klar. Etwas dergleichen findet man selten. Und doch wirken sie verloren...“ „Lasst das gefälligst!“, brüllte Gatomon schließlich und blieb stehen. Nun fingen ihre Lippen zu zittern an. Ihr Schrei hallte im Korridor, der zwar schmale Fenster besaß und doch kein Licht durchließen. Sanzomon blieb stehen, nicht schockiert, nur weiter ruhig. „Bist du ein Salamon zuvor gewesen?“, fragte Sanzomon, als hatte es Gatomons Gefühlsausbruch gar nicht gegeben oder sie hätte ihn nicht bemerkt. Verwirrt antwortete Gatomon vorsichtig: „Ja. War ich. Ist das wichtig?“ „Mir gefällt nur dieser Zufall. Ich bin unter Salamon groß geworden. Aber die meisten von ihnen digitieren zu D'arcmon, so wie ich auch, statt zu Gatomon. Vielleicht liegt dies an unserer Umwelt oder unserer Sozialisierung. Heilige Digimon sind in meiner Heimat hoch angesehen und beschützen die Dörfer vor den Virus-Truppen.“ „Dann seid Ihr auch ein Salamon, wenn Ihr zuvor auch ein D'arcmon wurdet gewesen?“, harkte Gatomon nach. Von ihrem Zorn war keine Spur mehr, stattdessen beobachtete sie Sanzomon mit großen Augen weiter, die aber ihren Kopf schüttelte. „Nein. Ich war mal ein Tinkermon. Aber weil in meiner Heimat nur Puttimon und Cupimon zur Welt kommen, bin ich mit sehr vielen Salamon und Patamon groß geworden. Man bringt uns bei artig und gewissenhaft zu sein, damit wir alle zu heiligen und Engel-Digimon werden. Aber ich habe gemerkt, dass dieser Weg nicht der war, den ich einschlagen wollte. Mich zog es nie in den Kampf“, erklärte sie und blickte aus dem Fenster, auch wenn sie nichts weiter wie Nebel sah. Ein wenig erinnerte es Sanzomon schließlich doch an ihre alte Heimat, die sie jedoch nicht vermisste. Ein Wald aus weißem Holz und rotgoldenen Blättern, der Nebel wie ein Teppich auf dem Gras und dazwischen tollten die Digimon herum, doch wissend, dass jeder Zeit die Truppen der Dunkelheit kommen würden. Die der Meister der Dunkelheit um genau zu sein, die Jagd nach heiligen Digimon machten, ehe sie zu stark und eine Bedrohung wurden. Das zumindest hatte man ihnen immer wieder eingebläut. Um so wichtiger war es sich an biedere Regeln zu halten. Und das Regeln nicht gleich mit Ordnung waren lernte Sanzomon früh. „Was ist mit dir? Ich kenne nicht viele Gatomon, aber ist dieser Lebensstil für deinesgleichen nicht auch ungewöhnlich?“ „Kann sein“, antwortete Gatomon nachdenklich und starrte auf den Steinboden. „Ich weiß es nicht. Ich habe nie Artgenossen getroffen. Ich lebe schon lange hier.“ „Oh. Dann... sind wir uns wohl etwas ähnlich. Ich habe auch lange nicht gewusst, wohin ich muss oder wohin ich soll. Ich sehe deine Augen und sehe mein Spiegelbild vor mir. Es hat sehr lang gedauert bis ich wusste, welchen Weg ich einschlagen würde. Welchen möchtest du einschlagen?“ „Was geht Euch das an? Ich bin bestimmt nicht wie Ihr.“ Gatomons große Augen wurden nicht nur klein, auch ihre runden und ebenso großen Pupillen wurden zu Schlitzen. Sie fuhr ihre Krallen weiter heraus und durch den starken Kontrast zwischen ihrem weißen Fell und der dunklen Umgebung erkannte Sanzomon jedes einzelne ihrer Haare, dass sich aufstellte. Was immer Gatomon schreien wollte, sie entschied sich es runterzuschlucken und ging erst weiter, ignorierend, dass Sanzomon ihr nicht folgte. „Aber du gestehst solche Gedanken zu haben? Ansonsten könntest du es auch einfach verneinen.“ „Könnt Ihr jetzt gefälligst damit -“ Doch als Gatomon sich umdrehte war Sanzomon nicht mehr da. Dafür stand eine der Türen zu ihrer rechten offen und das Tier-Digimon schluckte schwer, da sie genau wusste welcher Raum das war hinter dieser hölzernen Doppeltür, auch wenn alles gleich aussah. Es war die Bibliothek ihres Meisters. Es gab zwar mehrere Räume, die bis unter die Decke mit Büchern gestapelt waren, aber dieser Raum war der Größte und der Liebste ihres Meisters und Gatomon hielt den Atem an, als sie Sanzomon dabei zusah, wie sie durch den Raum und die Regale entlang lief, sich die Bücher ansah und die Titel las. „Was macht Ihr da?“, zischte Gatomon hinüber, blieb aber vor der Türe stehen. Sie traute sich nicht ohne die Erlaubnis ihres Meister dort hinein. Sanzomon spazierte weiter umher, die Hände waren hinter ihrem Rücken verschränkt, während die ihren Kopf in den Nacken legte, um so die Bücher weiter oben in den Regalen anschauen zu können. „Ich bin fasziniert von Büchern. Es ist lange her, dass ich so eine Sammlung gesehen habe.“, sagte sie deutlich beeindruckt. „Ja. Der Meister mag Bücher und sammelt sie. Es gibt noch mehr Räume, aber das ist das Größte.“ „Kann ich nicht hier auf ihn warten? Ich fasse auch keines der Bücher an. Aber mich interessiert, was für eine Lektüre dein Meister bevorzugt.“ Gatomon bemühte sich ihr Gesicht nicht unnötig zu verzerren, aber Sanzomon sah ihr an, dass allein bei der Vorstellung es ihr regelrecht schlecht wurde. War ihr Meister so penibel? Oder gar cholerisch? Sanzomon konnte es schwer sagen, so sehr bemühte Gatomon sich ihr Pokerface aufrecht zu erhalten. Um so überraschender für Sanzomon war es schließlich, als Gatomon nach langem, regungslosen Starren und unterdrückter Übelkeit einverstanden war. „Na schön. Ich sage ihm Bescheid“, nickte sie zustimmend ab, aber misstrauisch wie sie zu sein schien verließ sie nur rückwärts und langsam den Raum und hielt solange wie möglich Sanzomon im Blick, bis das Katzen-Digimon hinter dem Türrahmen schwand und Sanzomon nur noch das Echo ihrer schnellen Schritte hörte. So viel Skepsis machte Sanzomon sonst eher traurig, aber sie konnte es Gatomon nicht übel nehmen. Sie fand es sogar irgendwie süß. Dieses Digimon hatte eine besondere Ausstrahlung trotz ihrer Kratzbürstigkeit. Schmunzelnd flog ihr Blick durch die Reihen und blieben an diversen Büchern hängen. Keine Bücher, die Digimon schrieben, sonst wären die Namen der Autoren andere. Merkwürdige Namen, aber es mussten bekannte Namen sein, wenn es so viele Bücher und Daten von ihnen gab, dass die Digiwelt sogar gewillt schien ihnen eine Form zu geben, dass selbst Digimon wie sie darin lesen konnten. So oder so ähnlich erklärte man es ihr einst, doch ganz begreifen tat sie es nicht. Die Bücher wirkten alt. Es roch stark nach alten Papier, die Lettern auf den Buchrücken blätterten schon ab, dass man Angst bekam sie auch nur zu berühren, ansonsten könnten sie noch in sich zusammenfallen und das wäre schade um jedes einzelne Wort, dass in ihnen verewigt war. Doch vertraut waren Sanzomon Grün, Hegel, Kant oder Konfuzius. Dubiose Begriffe. Aber ihr nicht unbekannt. Ihre Bedeutung? Die wusste sie nicht. (Namen Tinkermon Namen aber keine Name unserer Welt oder unseres Begreifens du liest sie und du denkst dabei nichts und sie wollen dass du nicht darüber nachdenkst darum - ) Wie gerne hätte sie eines der Bücher aus den Regal gezogen und darin gelesen, wenn es nicht so schrecklich unhöflich wäre. So ging es ihr auch, als sie GLASPERLENSPIEL und FARM DER TIER-DIGIMON auf einem Einband las und fast schon verärgert presste sie die Lippen zusammen. Diese Bücher kannte sie, hatte es aber nie zu Ende gelesen. Die Digimon, die sich um die zukünftigen heiligen Soldaten kümmern sollten nahmen es ihr weg und weil Verstecken nicht half, zündete man es an, bis nichts als Asche und Datenreste von ihnen übrig blieben. Wie schrecklich. Wie absurd. Sie musste sich ablenken und sah sich im Raum um. Die Fenster waren komplett mit schweren Vorhängen zugezogen, Helligkeit gab es nur durch die Kerzenhalter an den Wänden und den Kamin, der vor sich hin loderte. Doch wirklich hell oder warm wurde es hier drinnen nicht und anstatt dass das Licht die Dunkelheit vertrieb, die den Raum trotz der vielen Lichtquellen dominierte, schien die Düsternis eben jenen orangeroten Schein zu verschlingen. Holzscheite lagen daneben, ordentlich aufeinander gereiht und Sanzomon warf einen davon in den loderten Kamin. Funken und Glut wirbelten auf und sie sah zu wie die Flammen an den Kanten des Holzscheites nagten, aber es wurde weder wärmer noch heller. Zwischen zwei tiefroten Sesseln stand ein runder Tisch. Ein Schachbrett war darauf zu sehen und einzig dafür schien es auch da zu sein, denn das weiß-schwarze Muster nahm fast die ganze Fläche ein. Die weißen und schwarzen Schachfiguren standen an ihren Plätzen, steif und nur ihre Schatten bewegten sich durch den Tanz der Flammen im Kamin. Ab und an hörte man ein Knistern, sonst nichts. Obwohl es schlichte Figuren waren, schienen sie sich zu drohen und ihr Gegenüber einzuschüchtern, aber ehrgeizig den König zu Fall zu bringen, egal welches Opfer es brachte. Die Partie hatte bereits begonnen. Ein weißer Bauer stand auf e4, der schwarze Bauer ihm genau gegenüber und sie stierten sich in ihre nicht vorhandenen Gesichter. Ohne einen besonderen Gedanken, mehr reflexartig schnappte sich Sanzomon einen der weißen Bauern und setzte ihn auf f4, direkt neben dem ersten. Und der schwarze Bauer, eben noch steif und leblos war bewegte sich von selbst von seiner Position fort, direkt zu dem Bauern den Sanzomon eben erst spielte. Der schwarze Bauer schob den weißen Bauern einfach zu Seite und Sanzomon sah dem mit weit aufgerissenen Augen zu. Als der Bauer zum stehen kam schaute sie erst auf den Sessel vor ihr und dann hektisch im Raum um. Beinah rutschte ihr die Krone vom Kopf. Sie sah niemand, aber doch war Sanzomon als spürte sie etwas. Hier war etwas in diesem Raum. Ihre goldenen Augen sahen wieder auf den Tisch mit dem Schachbrett hinab. Die Oberfläche glänzte vom Schein der Flammen. Ein letzter, wenn auch skeptischer Blick fiel auf den ihren gegenüberliegenden Sessel, dann jedoch entschloss sich Sanzomon direkt auf den neben ihr Platz zu nehmen. Noch einmal sah sie auf, dann galt ihre Aufmerksamkeit einzig dem Schachbrett vor ihr. Sie hatte schon lange ein Schach mehr gespielt. Sanzomon griff nach ihrem weißen Läufer und legte ihn auf c4. Ein typisches Läufergambit. Die schwarze Dame kam ihr gefährlich nahe und Sanzomon zwang sich dazu ihren König ein Feld nach rechts zu schieben. Ein schwarzer Bauer fuhr zu f5 und Sanzomon ergriff die Chance den Bauern gleich vom Feld zu nehmen. Ein leichtes Lächeln kam auf, blieb jedoch unter ihren roten Halstuch versteckt. Das ist praktisch mit dem Nichts spielte, dass irgendwie doch so präsent schien vergaß Sanzomon bereits. Nun war es ihr nicht mehr unheimlich, stattdessen genoss sie es nach so langer Zeit sich wieder auf dem Schachbrett duellieren zu können. Der schwarze Springer fuhr auf f6, Sanzomons weißer Springer auf f3. Die schwarze Dame rückte zu h6 und Sanzomon wunderte sich, warum sie nicht ein Feld weiter nach vorne ging. Nachdem sie ihren eigenen weißen Bauern auf d3 legte, wurde ihr klar warum. Der schwarze Springer stand nun auf h5, direkt vor der schwarzen Dame. Sanzomon setzte ihren eigenen weißen Springer direkt neben diesen. Schwarze Dame g5. Weißer Springer f5. Schwarzer Bauer c6. Weißer Bauer g4. Dann zog der schwarzer Springer zu f6 und Sanzomon kam in die missliche Lage, dass sowohl ihr Turm wie auch ihr Läufer sich in einer schlechten Position befanden. Die Bauern waren zu weit weg. Einen von beiden musste sie opfern. Also entschied sie sich ihren Turm ein Feld nach links zu schieben und sah zu wie ihr Läufer von einem schwarzen Bauern aus dem Spiel genommen wurde. Etwas verärgert, aber ohne einen Hauch von Missmut legte sie ihre Figur zur Seite und zog mit einem ihrer Bauern auf h4. Nach fünf weiteren Zügen, in denen unter anderen die schwarze Dame einmal fuhr und wieder einmal zurück bekam Sanzomon nun eine günstige Gelegenheit. Ihr Springer ging auf g4 und schmiss einen Bauern aus dem Spiel. Keine große Errungenschaft, aber sie waren somit wieder gleich auf, so schmerzlich das Opfer ihres Läufers jedoch war. Sie wollte den Bauern zur Seite legen, als ihr Springer sich auf das Feld begab, doch vor ihr erschien eine Hand, die Hand ihres Gegenspielers und wartete darauf, dass Sanzomon ihm seine so eben verlorenen Figur überreichte. Reflexartig tat Sanzomon dies auch, das war immerhin gutes Benehmen sie einem Gegenspieler zu geben, der auf einmal wie aus dem Nichts, gänzlich unbemerkt und lautlos erschienen war und die Hand, wessen Hand war da- Sanzomon glitt der Bauer aus ihren Fingern, doch die Schachfigur landete dennoch in die in einen grauen Handschuh gekleidete Hand. Noch geschockt wo diese plötzlich herkam – sie war doch alleine hier, die Tür war zu, sie hätte es hören müssen - wanderte ihr Blick den Arm hoch und dann sah sie das Gesicht ihres Gegenübers. Das Gesicht eines Digimon, dass so humanoid wie sie war, fast genauso blond und schlank, jedoch im Gegensatz zu ihr nicht nur maskulin, sondern auch so... bleich. Kalt. Sein Gesicht mit dem gräulichen Teint war kalt. Die blauen Augen waren kalt. Die violetten Lippen trotz des Lächelns waren kalt. Alles an ihm drückte Kälte aus. Sie erinnerte sich. Es waren so viele Fabeln in ihrer Heimat bekannt. Die meisten waren nicht besonders nett, geschweige denn harmlos, sondern machten Angst und waren nicht selten ziemlich brutal. Und eine von ihnen erzählte tatsächlich von Digimon wie diesem, weil Bücher, wo Digimon wie er auftauchten und böse waren und am Ende von den Heiligen besiegt wurden erlaubt waren. So einer wie er war dabei. Bei den Digi-Göttern, sogar mit Bildern. Und er sah aus wie die Digimon in diesem Büchern. Er war eines davon. Das war ein Myotismon vor ihr und als Sanzomon dies realisierte erinnerte sie sich an viele Nächte aus der Vergangenheit, in denen sie als einziges Tinkermon zwischen den ganzen Salamon und einzelnen Tapirmon und Patamon um das Lagerfeuer saß und sich die schaurigen Geschichten solcher Digimon anhörte. (vor langer langer Zeit lebten Myotismon in den düstersten Wäldern der Digiwelt sie kommen nur nachts heraus und verstecken sich in den Schatten und warten dort auf ihre Beute wenn sie ein Digimon erspähen locken sie es mit Freundlichkeit und List in ihrer Nähe doch sie wollen nicht dein Fleisch sie wollen Blut und sie beißen dir in den Hals und saugen die Daten aus dir heraus bis nichts mehr von dir übrig ist) Mit den Gesichtern ihrer einstigen Spielkameraden und den Sistermon vor sich, versank Sanzomon tiefer in den Sessel. Ihre Fingernägel kratzten über den Stoff der Armlehnen. Doch Myotismon grinste, ihre Furcht ignorierte er. „Ich bitte Euch um Entschuldigung. Ich habe Euch erschreckt. Doch Ihr schient so vertieft in dieses Spiel, darum wollte ich Euch nicht stören“, erklärte er sehr höflich. Seine Stimme war tief, aber nicht sehr rau und obwohl er sich sehr förmlich ausdrückte, barg sein Ton eine gewisse Arroganz. Sanzomon glaubte aus ihrem Inneren ein schweres Pochen zu hören. Der Druck ging bis zum Hals. „Wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin -“ „Ich weiß, was für ein Digimon Ihr seid“, knurrte Sanzomon, aber sie sagte es nicht ruhig oder entspannt. Man hörte nur, wie sie versuchte so zu klingen, aber stattdessen wirkten ihre Worte genauso verkrampft wie ihr ganzer Körper. Ihre Fingerknöchel wurden weiß, vermutlich, so dachte sie, sogar so weiß wie ihr Gesicht in dem Augenblick. Myotismon stutzte für einen kleinen Moment , weil sie ihn einfach so unterbrach und dann grinste er weiter, als sei nichts gewesen. Nein. Vielmehr als amüsierter er sich über sie. Im Gegensatz zu ihr legte sich Myotismon entspannter in den Sessel, die Ellenbogen auf den Armlehnen und faltete die Hände ineinander. „Und weiter? Was wollt Ihr tun? Wenn Ihr wisst, wer und was ich bin, müsstet Ihr ja ahnen, was Euch blühen könnte. Wollt ihr kämpfen? Flüchten?“, fragte er. Sanzomon glaubte sogar zwischen den Silben ein Lachen gehört zu haben. Dass er sie auslachte verübelte sie ihn nicht wirklich. Er saß so gelassen ihr gegenüber und gleichzeitig mit erhobenen Haupt, während sie immer mehr in den Sessel versank und sich wünschte, sich könnte sich auflösen. Zeit, sie brauchte Zeit, Zeit zum Nachdenken, Zeit um sich zu überlegen, was sie tun sollte. Dieses Digimon schien so undurchsichtig. Normalerweise war Sanzomon geübt darin allein durch einen Blick in die Augen zu erkennen, was in einem Digimon vorging. Aber an Myotismon stieß sie an ihre Grenze. Dass er sich über sie lustig machte war ihr klar – doch was hatte er vor? Wollte er sie wirklich fressen, so wie sie das aus den Horrorgeschichten kannte? Hätte er dies aber dann nicht längst getan? Sie war immer noch ein heiliges Digimon und es gab nichts was Digimon wie Myotismon mehr fürchteten als heilige Macht. Es war ihr größter Schwachpunkt. Sie schnell loszuwerden wäre sicherer für ihn. Aber er saß da, vollkommen ruhig und spielte Schach mit ihr. Das Spiel - „Ich würde gerne die Partie beenden“, sagte Sanzomon schließlich und schluckte dabei noch den Kloß in ihrem Hals hinunter. Myotismons Schmunzeln blieb zwar und doch hob sich eine Augenbraue hinter seiner Maske, die Sanzomon von ihrer Form an Fledermäuse erinnerte. „Beenden?“ „Es ist sehr unhöflich, ein angefangenes Spiel abzubrechen.“ „Habt Ihr keine Angst?“, fragte er mit einem schelmischen Grinsen. Doch Sanzomon antwortete nicht. Sie war sich nicht sicher, ob sie Angst hatte. In erster Linie war sie überrumpelt und noch etwas baff davon, ein Digimon vor sich zu haben, von denen man ihr sonst nur erzählte, dass sie von den Gesegneten und Auserwählten längst verbannt oder vernichtet wurden und nur noch einfältige Baby-Digimon an diese Gruselmärchen glaubten. Myotismon gäbe es doch schon lange keine mehr - Wie sehr das stimmte sah Sanzomon ja in diesem Moment. Sie war sich nach langem Überlegungen immer noch nicht mit ihren Gefühlen einig, aber sie war sicher, dass es Angst nicht war. Also schüttelte Sanzomon den Kopf, was Myotismon lustig fand und nun zu lachen anfing. Ein doch unheimliches Lachen. „Ihr seid amüsant. Was seid Ihr? Ich sehe ein Digimon wie Euch zum ersten Mal“, forderte Myotismon auf, ohne sich zu bewegen und doch fuhr seine schwarze Dame zu f6, allein dadurch dass er seine Figur kurz ansah. Telekinese. Das würde einiges erklären. Doch kurz wunderte sie sich, dass er ein Digimon wie sie nicht zu kennen schien. Ob er wusste, dass sie ein heiliges Serum-Digimon war? Ob er es spürte, dass sie so eines war? „Nennt mich Sanzomon, mein Herr.“ „Bitte. Nicht so förmlich. Ihr seid immer noch ein Gast und mein aktueller Gegenspieler. Außerdem war es sehr zuvorkommend von Euch, dass Ihr meinen Boten gerettet habt.“ „Ihr müsst mir nicht danken. Es war selbstverständlich. Bitte, seid nicht zu streng zu ihm.“ Ohne sich von Myotismon abzuwenden nahm Sanzomon ihren Springer, setzte diesen auf c3 und zog fast zu schnell ihre Hand wieder zurück. Myotismon betrachtet kurz nachdenklich das Feld vor sich, doch bevor er seinen Zug machte, widmete er sich noch einmal Sanzomon. „Nicht selbstverständlich für die Digimon auf Server. Hier ist sich jeder selbst der Nächste. Dunkle, dämonische Digimon oder auch Untote-Digimon sind aufgrund der jüngsten Ereignisse, die mitunter die Meister der Dunkelheit zu verantworten haben nicht gern gesehen.“ Dann, ohne dass sich Myotismon rührte fuhr sein schwarzer Läufer zum Feld c5. „In meiner Heimat ist dies auch nicht selbstverständlich. Digimon, die sich dem Druck der Erwartung der Gruppe nicht beugen, werden ausgegrenzt. Um so mehr müssen Digimon wie ich beweisen, dass wir dennoch unseren Platz in dieser Welt haben. Ergeht es Euch und euren Bediensteten genauso?“ „Wir sind überwiegend Untote und Untote geben nichts auf gesellschaftliche Erwartungen. Wir sind für uns und meiden den Kontakt zu anderen Gruppierungen.“ Sanzomon schwieg vorerst und sah nachdenklich auf das Feld. Die Kacheln des Schachbrettes schimmerten gelblich durch das Feuer, die Schatten der Schachfiguren erweckte den Eindruck sie zitterten. Doch das Flackern tat Sanzomon in den Augen weh und sie fing an bunte Punkte zu sehen. Sie entschied sich mit ihrem Springer weiterzuziehen, doch ihre Hand blieb über ihren Figur schweben. Skeptisch hatte Sanzomon zu Myotismon aufgeschaut und stellte fest, dass er nicht hochkonzentriert das Spielfeld betrachtet und sich nebenbei ausrechnete, welche Möglichkeiten es für einen nächsten Zug gab, sondern dass er sie zu analysieren schien. Sie und jede einzelne ihrer Bewegungen. Und als Sanzomon ihm in die Augen sah, schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Wie in einer vollkommen anderen Welt. Es wirkte plötzlich so dunkel um sie herum. Sie sah weder den Karmin noch die bis zur Decke hohen Bücherregale. Myotismons alleinige Anwesenheit ließ einen regelrecht erfrierend. Langsam zog Sanzomon ihre Hand wieder zurück und legte sie mit ihrer anderen auf ihren Schoß ab. Schweigsam saß sie im Sessel, nicht mehr verkrampft oder verängstigt von dem plötzlichen Erscheinen des Schlossherrn, sondern ruhig, gefasst und ihren Springer fokussierend. Sie holte einmal tief Luft und atmete sie langsam wieder aus. Ihr Springer rückte erst nur wenige Millimeter nach vorne, dann zog er, wenn auch nicht fließend zum Feld d5. Die Dunkelheit um sie herum schien schließlich verschwunden. Die Atmosphäre eines vom Feuer aufgeheizten Raumes und dem Geruch von Papier kehrte wieder zurück. „Ja... Ich hörte Untote-Digimon seien sehr kompliziert“, sagte Sanzomon, aber mit einem etwas abwesenden Ton. Sie benutzte ihre Telekinese nicht oft, schon gar nicht für so etwas. Myotismon schaute sich kurz das Feld an, dann wieder das Mönch-Digimon ihm gegenüber und lachte. „Kompliziert? Das war aber eine sehr beschönigte Formulierung.“ „Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich bin schließlich nie welchen begegnet. Geschweige denn Euresgleichen. Und ich möchte frei von Vorurteilen oder voreiligen Schlüssen sein.“ „Ihr seid also nie Untoten-Digimon begegnet?“ Seine schwarze Dame rückte vor auf b2. Die Dame so tief im eigenem Spielraum zu wissen machte Sanzomon zugegeben nervös. „Nein. Bin ich nicht. In meiner Heimat gibt es keine untoten Digimon.“ „So? Von wo kommt Ihr denn?“ „Ich entstamme den östlichen Protokollwäldern von Web Continent.“ „Dann lag ich wirklich richtig, dass ihr nicht von Server stammt?“ „Was verriet mich? Meine Aussprache?“, fragte Sanzomon und sah hoch konzentriert auf das Feld. Ihre Lage war schlecht. Mehr wie schlecht. Zu viele Figuren lagen ungünstig oder zu viele von Myotismon standen auf einer Position, die ihren Weg behinderten. Noch einmal schaute sie kurz zu Myotismon auf und als ob sie sich schämte, dass ihre Lage so schlecht schien starrte sie wieder hinunter auf das Spielfeld. Ihr blieb nichts, wie etwas zu opfern. Und bei ihrer Überlegung, was sie opfern wollte wurde Sanzomon noch mehr bewusst, wie schlecht ihrer Lage war. Aber sie brauchte eine freie Bahn, ohne Angst haben zu müssen nach ihren Zug sofort eine Figur an der vorderen Front zu verlieren. Sie zog scharf Luft ein, doch weil ihr Halstuch ihren Mund verdeckte atmete sie nicht viel davon ein und ihre Muskeln spannten, als sie ihren Läufer auf d6 bewegte. „Eure Art. Man riecht es geradezu“, erzählte Myotismon weiter. Sie verkniff es sich ihn darum zu bitten, ihr zu erklären wie ein Digimon wie sie roch. Einer seiner Mundwinkel hob sich, als sein schwarzer Läufer ihr Opfer annahm und einen ihrer Türme, der auf g1, direkt neben ihrem König stand aus dem Spiel nahm. „Und was ist dies für eine so deutliche Art?“ „Nun, schwer zu sagen, wenn man einem Digimon wie Euch noch nie begegnet ist. Aber Eure ganze Präsenz wirkt nicht wie die eines Bewohners von Server.“ „Also wirke ich sonderbar?“, fragte Sanzomon und klang ungewollt leicht gekränkt. Ihr weißer Bauer fuhr nach e5 und Myotismon entgegnete diesem Zug mit leichter Skepsis. Er zögerte. Dennoch nahm er das weitere Opfer ebenso an, einzig mit dem Gedanken den weißen König bereits im Matt zu haben. Der weiße Turm auf a1 war aus dem Spiel. „Nicht sonderbar. Das klingt so abnorm und abwertend. Eure Ausstrahlung ist ungewohnt. Das macht Euch interessant.“ „I-interessant?“ Sanzomon stutzte, hob die Augenbrauen und blinzelte sogar einmal vor Überraschung. Schon beinahe vergessen, wie schlecht es um ihren König stand und noch bevor sie diesen nach vorne auf e2 schob, traute sich Sanzomon Myotismon nicht nur anzusehen, sondern ihm direkt in die Augen zu blicken. Es machte sie noch mehr nervös und ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken. Gleichzeitig jedoch kribbelten auch ihre Fingerspitzen. „War das unangemessen Euch gegenüber? Ist man in Eurer Heimat solche Direktheit nicht gewohnt?“ „.. Ja. Kann man durchaus so sagen.“ Sie atmete auf . Der schwarze Springer nach a6 fuhr. Dieser Springer machte ihr Sorgen. Genauso wie die schwarze Dame. „Ich muss auch sagen, ich habe auf Server bisher nur harsche Worte zu hören bekommen. Von feindselig bis... anzüglich. Dagegen sind Eure geradezu schmeichelhaft. Die meisten Digimon jedoch scheinen keinerlei Interesse an mir zu haben.“ „Wie bedauerlich.“ „Nein, ganz im Gegenteil. Nicht beachtet zu werden ist mir lieber.“ Interessiert hob Myotismon beide Augenbrauen an, doch Sanzomon sprach nicht weiter. Sie tat, als bemerkte sie seine Reaktion nicht und nachdem sie nach langen Überlegen eine Lücke zwischen der Armee schwarzer Soldaten entdeckte, setzte sie ihren weißen Springer auf g7, tiefer ins gegnerische Feld. Es reichte nicht für ein Matt, dennoch entschied Myotismon sich dafür seinen König auf d8 zu bewegen. Trotz des Zuges standen Sanzomons Chancen gut, wie sie feststellte, doch die Verteidigung der schwarzen Figuren war besser. Dame und Springer versperrten ihr alles. Jeder Zug bedeutete eine Figur zu verlieren und eigentlich konnte sich sich genau das nach solchen wichtigen Verlusten nicht mehr leisten. „Schade dies von Euch zu hören. Sind heilige Digimon wie Ihr nicht sonst so begehrt?“ „Ich identifiziere mich nicht dadurch. Ich glaube daran, dass ein Digimon weit mehr ist als ein Teil einer Art. Es erfordert nur etwas Beobachtungsgabe, Geduld und... Wissensdrang.“ Statt ihre Figur wieder mit Telekinese zu bewegen, griff Sanzomon mit ihren schmalen Fingern nach ihrer weißen Dame und setzte sie auf f6. Myotismons Augen weiteten sich, sah auf die Dame, die ihm praktisch auf dem Silbertablett serviert wurde, sah noch einmal prüfend in Sanzomons Gesicht, dann wieder zur Dame und zu seinen eigenen Figuren. Es war zu offensichtlich – aber dennoch nahm Myotismon mit seinem Springer die weiße Dame aus dem Spiel. Kaum dass die Figur der Dame, die nach ihrem Rauswurf durch den Springer umgefallen und an den Rand des Tisches rollte, ehe sie wie durch Geisterhand wieder aufstand, griff Sanzomon nach ihrem Läufer und setzte ihn auf e7. Als Sanzomon ihre Figur losließ versank sie wieder in ihrem Sessel. Myotismon hingegen, der zwar nun in der schlechteren Lage stand wirkte weiter absolut gelassen. Sein Kinn lag auf seinen gefalteten Händen. Er war ruhig, sein Gesicht verzog sich keinen Millimeter. Nur seine raschen Augenbewegungen verrieten, dass er ins Grübeln geriet. Und nun, da Sanzomon die Zeit kurz nutzte um sich dieses untote Digimon genau anzusehen, kam sie zum Schluss, dass er sich eigentlich gar nicht verhielt, wie man es ihr von klein auf erzählte. Die Erkenntnis überraschte sie eigentlich nicht, aber doch war sie verblüfft darüber. Seine Haltung, seine Gestik, wie er sprach betonten seinen eher doch ruhigen Charakter. Natürlich schloss Sanzomon nicht gänzlich aus, dass er schauspielerte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass eine blutrünstige Bestie so spielend leicht einen eloquenten Adligen mimen konnte. Und wenn doch? Oder schloss sich beides wirklich aus? Gerade als sich Sanzomon wünschte, dass er ihr in die Augen sah, damit sie dies eher prüfen konnte, schloss Myotismon diese kurz, lehnte sich zurück und sagte, fast emotionslos: „Ihr gewinnt, Verehrteste.“ „Was?“, ächzte sie überrascht auf. „Das Spiel ist vorbei. Mein König steht im Matt.“ Ungläubig betrachtete Sanzomon das weiß-schwarze Spielbrett und die restlichen Figuren, die darauf standen. Der König ihres Gegners war umringt von so vielen schwarzen Figuren und im feindlichen Raum standen lediglich ihr Springer und ihr Läufer. Aber es stimmte. Der König war schachmatt und Sanzomon konnte sich nicht erinnern, dass ihre Chancen – insbesondere nachdem sie nicht einmal mehr einen Turm hatte – doch gut genug standen, dass sie gewinnen könnte. Die letzten vergangenen Züge hatte sie sich gar nicht so wirklich auf das Spiel konzentriert und selbst wenn es ewig weitergegangen wäre, hätte sie es nicht realisiert. Als Myotismon sie anlächelte, finster und alles andere als vertrauenerweckend wusste sie auch wieder, was sie so abgelenkt hatte und dass sie sich immer noch fühlte, als sei sie in einer dunklen Box hier mit ihm eingesperrt. „Ihr spielt sehr risikofreudig. Ich wunderte mich schon, warum ihr Eure Türme einfach so aufgabt.“ „Habt Ihr mich etwa gewinnen lassen, weil ich Euer Gast bin?“, fragte Sanzomon und machte sich dabei nicht die Mühe ihre Entrüstung zurückzuhalten. „Ganz gewiss nicht. In einem Kampf ist Rücksicht fehl am Platz. Ich wollte einfach nur sehen, was Euer nächster Zug nach so einem riskanten Opfer gewesen wäre. Außerdem pflege ich stets die Mentalität, Truppen zu minimieren. Der König im Schach ist nutzlos. Er ist lediglich der Kopf, seine Armee sein verlängerter Arm.“ „Ihr habt Erfahrung mit... Schach?“ Dass Sanzomon nicht von Schach sprach offenbarte ihre Betonung und da Myotismons Lächeln auch nicht verschwand, schloss sie daraus, dass er genau verstand, von was sie sprach und was sie wissen wollte. Zu ihrer Enttäuschung jedoch gab ihr das Vampir-Digimon keine Antwort. Stattdessen erhob er sich aus seinem Sessel und lief langsam auf Sanzomon zu, die jedoch weiter versteinert sitzen blieb. Er war nicht muskelbepackt oder stämmig wie andere Digimon seines Levels. Aber er war groß und als würde so, wie er zu ihr hinabblickte nicht schon eine gewisse Arroganz mit sich bringen, verstärkte seine Körperhöhe den Unterschied zu Sanzomons eher ruhigeren Art nur. „Habt Ihr Angst?“ Stumm, aber ihm direkt ins Gesicht schauend schüttelte Sanzomon ihren Kopf und mit ihm bewegten sich ihre blonden Strähnen. Sie versank auch nicht mehr im Sessel, sondern saß mehr oder weniger aufrecht. Doch ihre krampften Finger und ihr Brustkorb, der sich zwar langsam, aber deutlich hob verriet ihre Nervosität. „Aber Ihr traut mir auch nicht.“ „Ich kenne einige Geschichten über...“, resigniert hielt Sanzomon innen und schluckte leicht, ehe sie weiter sprach, „- Digimon wie Euch.“ „Das erwähntet Ihr bereits. Und doch sitzt Ihr immer noch hier. Warum?“ Myotismon beugte sich nun leicht nach vorne und näher an sie heran. Zwar waren sie fast schon so etwas wie auf Augenhöhe, aber dennoch existierte genug Distanz, dass er auf sie herab sah. Der Raum wirkte weiter wie von der Realität abgeschottet und Sanzomon war sich nicht einmal mehr sicher, ob überhaupt der Kamin, dessen flackerndes Licht sie zwar im Augenwinkel sah, aber das Knistern nicht hörte überhaupt hier war. War überhaupt irgendetwas da? War das Schachbrett überhaupt noch da? Einzig Myotismon schien wirklich real zu sein und Sanzomons digitales Herz hämmerte in ihrem Inneren so stark, dass sie den Schmerz in ihren krampfenden Fingerknöcheln fast vergaß. „Ich habe noch nie einfach jeder Geschichte geglaubt, ohne selbst zu überprüfen wie viel an ihnen dran ist. Meiner Erfahrung nach werden die meisten Geschichten nur mit Hintergedanken und überaus überspitzt dargestellt.“ „Eine interessante Einstellung. Jedoch auch sehr gefährlich. Ihr scheint das Risiko ja sehr zu lieben. Passt zu Euer Art zu spielen.“ Die Hand, die sich ihr nährte hielt Sanzomon anfangs ebenso erst für ein Trugbild oder eine Fehlwahrnehmung, bis die kalten Fingerspitzen ihr Gesicht streiften. Und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Diese Kälte war merkwürdig. Nicht vergleichbar mit einem kühlen Wind, Eis oder einem Stück Metall, dass nie zuvor in den Genuss von Sonnenlicht kam. Diese Hand fühlte sich nicht einfach nur kalt an, sondern gar leblos. Und das allein stellte sie nur durch eine kurze Berührung fest. War sein ganzer Körper so? Irgendwas aber, vielleicht Myotismons arrogante Ausstrahlung holte Sanzomon aus ihrer Starre. Unter ihrem roten Halstuch leckte sie sich kurz über ihre plötzlich trockenem Lippen. „Ihr klingt wie die Digimon, bei denen ich aufgewachsen bin. Alles sei heimtückisch, alles sei gefährlich und nur Krieger sollten in die große, weite Digiwelt. Ein engstirniges Verhalten. Die meisten Dinge, die als gefährlich galten stellten sich letztlich als recht harmlos heraus.“ „Also geht Ihr auch davon aus, dass ich nur ein harmloser, eigenbrödliger Adliger bin, der sich in seinem Schloss verkriecht?“, fragte er, fast zu überspitzt freundlich und Myotismon reichte Sanzomon seine Hand, die eiskalte Hand, die Sanzomon erst so einen Schrecken einjagte. Sie zögerte jedoch nicht ihre eigene, helle Hand in seine zu legen. Myotismons lange Finger schlangen sich um sie und hielten sie fest, während Sanzomon sich langsam erhob. Sie stand direkt vor ihm, musste aber dennoch leicht den Kopf in den Nacken legen um so in Myotismons blaue Augen schauen zu können. Er war wirklich groß. „Harmlos wäre nicht das Wort, dass ich wählen würde. Jedoch würde ich Euch gerne unvoreingenommen entgegenkommen. Ich bin Viren gegenüber nicht anders gesinnt wie Dateien oder anderen Serums.“ „Wir Untoten-Digimon sind jedoch etwas – wie soll ich sagen – speziell. Hattet Ihr schon Bekanntschaft mit solchen wie mir gemacht, außer in ein paar Horrorgeschichten?“ Sanzomon überlegte. Außer Troopmon war sie bisher keinen untoten Digimon begegnet. Und einem Digimon wie Myotismon schon gar nicht. Dabei bezog es sich nicht einmal auf die Tatsache, dass er dem absolut gegensätzlichem Typus zu ihr angehörte. Auch humanoiden Digimon war Sanzomon bereits begegnet, wenn auch selten, aber auch diese waren keinesfalls auf irgendeine Weise mit Myotismon vergleichbar. „Nein“, antwortete sie ehrlich, vielleicht auch etwas zu naiv. Dass Myotismon sie weiter so anlächelte bereitete ihr einerseits ziemliches Unbehagen, genauso wie die Tatsache, dass dieser Raum in ihrem Augenwinkeln weiter nur schwarz, leer und abgeschottet wirkte. Das musste am Licht liegen. Sicherlich. Andererseits besaß er eine deutliche Aura, ein negatives Karma. Ein Gefühl, sämtliche Schatten im Raum seinen mit ihm in Bunde, schattenhafte Arme die seine eigene Reichweite vergrößerten, nur auf sein Kommando wartend endlich zuschlagen zu dürfen. Der Gedanke war beängstigend und gleichzeitig würde Sanzomon zu gerne wissen wollen, ob er wirklich so viel Macht besaß. Nicht nur seine purpurne Maske verriet, dass er etwas verbarg. „Und doch glaubt Ihr, ich wäre so freundlich und so harmlos, dass ich Euch einfach hereinspazieren und wieder gehen lasse? Oder seid Ihr einfach nur sehr von Euch überzeugt, dass Ihr wisst, dass ich Euch nichts anhaben kann?“ „Nein. Ich bin nicht so mächtig, auch wenn ich ein heiliges Digimon bin. Ich bin einfach nur sehr neugierig.“ „Neugierig?“ Myotismon warf den Kopf leicht zurück, als ihm erneut ein lachen entwich. Den Spott verübelte Sanzomon ihn nicht allzu sehr und überrascht war sie darüber auch nicht. Es war schließlich nicht das erste Mal. Wieder kam Myotismon ihr ein Stück näher. Fast zu nahe. „Das ist aber keine besonders tugendhafte Angewohnheit.“ „Findet Ihr? Ich meine, wo wäre der Sinn im Dasein, wenn man nicht in Erfahrung bringen will, was in dieser Welt geschieht? Wissensdurst ist der Energiequell des Lebens.“ „Oder des Lebens größter Widersacher.“ Obwohl sich Myotismon nicht bewegte, war Sanzomon dennoch als würde allein seine Präsenz sie weiter in die Ecke drängen. Und seine Zähne. Kein Funken Licht war in diesem Raum, nicht einmal das Feuer des Kamins schien diesen Raum zu erhellen, wie also konnte seine Zähne so aufblitzen, diese verdammt langen und spitzen Zähne mit denen er, mit denen Digimon wie er - Sanzomon ging einen großzügig Schritt zurück, oder eher sie sprang regelrecht weg, stieß dabei an den Sessel, aber sie behielt ihr Gleichgewicht. Ihre Hand gilt aus der von Myotismon ohne Probleme, obwohl sie deutlich einen Druck spürte, der sie hindern wollte auszuweichen. Und genau diese Hand zitterte. Sanzomon packte sich selbst am Handgelenk, damit es aufhörte, was es auch schnell tat. Doch der Rest ihres Körper bebte weiterhin und ihr Kopf pochte. Und Myotismon stand ihr gegenüber, als sei nichts. Ungläubig schaute Sanzomon drein. Keine Spur mehr von der absolut erdrückenden Art, als hätte man einen Schalter umgelegt. Er schmunzelte nur noch leicht und Sanzomon war sich im ersten Moment nicht sicher, ob sie das, was sie empfunden hatte wirklich passiert war, bis sie sich an das kalte Gefühl in ihrem Gesicht wieder erinnerte. Das war echt gewesen, ganz sicher. Das Zimmer bekam seine gemütliche Atmosphäre wieder. Das Licht des Kaminfeuers war seh- wie spürbar, die Regale und vor allem die Bücher waren selbst in den dunkelsten Ecken deutlich erkennbar. „Wisst Ihr, Ihr scheint ein sehr intelligentes und redliches Digimon zu sein. Und Redlichkeit ist eine Tugend, die ich schätze, aber nicht viele Digimon besitzen. Ich bekomme wenig Besuch, wie Ihr Euch denken könnt und noch weniger besitzen diese Eigenschaft. Ihr seid wirklich eine willkommene Abwechslung“, erklärte Myotismon. Freundlich, aber auch distanziert, nicht wie vor wenigen Sekunden noch. Seine Aura hatte sich mit dem Raum verändert. Oder, dass fragte sich Sanzomon eher, war es umgekehrt gewesen? War seine Macht so groß, dass er seine Umgebung beeinflussen konnte? Was für ein Digimon war das vor ihr? „Ich würde mich daher freuen, wenn Ihr noch etwas hier bleiben würdet bis Eure sogenannte Neugierde gestillt ist. Wie klingt das?“ „Ich...“ Nachdenklich rieb sich Sanzomon das Handgelenk und sie packte noch fester zu, als sie wieder spürte wie das Zittern wieder aufkam. Das Gefühl des Unbehagens blieb in ihrem Bauch wie ein schwerer Stein und diese Woge der Anspannung breitete sich von dort immer weiter aus. Das hatte sie schon lange nicht mehr gefühlt. Angst. Zweifel. Sanzomon war zwar von klein auf ein neugieriges Digimon, aber nicht gänzlich dumm und der Konflikt zwischen Wissensdrang und natürlichen Warnsignalen brachte sie immer wieder in die Situation, dass Spielkameraden sich über sie lustig machen. Dazu kam noch die strenge Erziehung. Schon seit dem Ausbildungs-Level aber wusste sie, dass das, was sie zu Hause lernte nicht ihre Bestimmung war. Erst mit ihrer Digitation zum Champion und schließlich zum Ultra-Level überwand sie diese Unsicherheit. Vielleicht war sie auch nur digitiert, eben weil sie diese Angst überwand oder überwinden wollte. Sich nun von Myotismon so verunsichern zu lassen wäre ein totaler Rückschritt. Ruhig atmete Sanzomon Luft ein, dann wieder aus. „Ich freue mich über dieses Angebot. Und ich würde es sehr gerne annehmen“, sagte sie so ruhig wie sie ihre Stimme auch kannte und schob ihre Nervosität auf Nachwehen des Schocks und den Schreck, den Myotismons Erscheinen zu verursachen hatte. Schließlich hatte sie nie geglaubt, so ein Digimon je zu Gesicht zu kriegen. Die Chance solch ein Digimon genauer unter die Lupe zu nehmen würde sie nie mehr bekommen. Sie könnte aus erster Hand erfahren, wie Digimon wie er waren und was an den Gruselmärchen wirklich dran war. Und wenn Sanzomon etwas auf ihrer bisherigen Reise gelernt hatte, dann dass man am besten nicht von Gleichgesinnten, sondern von Andersdenkenden lernte. „Freut mich zu hören“, entgegnete Myotismon höflich. Er holte mit seinem Arm aus und ließ ihn einmal um sich schweifen. „Ihr könntet Euch in aller Ruhe hier umschauen. Meine Lektüre steht Euch natürlich zur Verfügung, ohne dass Ihr mich vorher um Erlaubnis bitten müsst. Und wir hätten etwas Zeit uns besser kennenzulernen.“ „Kennenlernen...?“, wiederholte Sanzomon, mit einem leichten Hauch von Unsicherheit. „Ihr sagtet doch, Ihr hattet noch nie das Vergnügen untote Digimon kennen zu lernen, oder nicht? Ich würde auch gerne zusehen, wie Ihr arbeitet. Wenn Ihr mir dies erlaubt, versteht sich.“ Nur ungläubiges Blinzeln war auf Sanzomons Gesicht zu sehen. Einerseits fragte sie sich ob dies dasselbe Digimon war, mit dem sie eben noch Schach gespielt hatte, dann war sie sich aber ziemlich sicher. Er tat freundlich, aber seine Hochnäsigkeit und seine grenzenlose Selbstüberzeugung konnte er nicht kaschieren. Hatte er keine Sorgen? Ein Mindestmaß an Intelligenz reichte aus um zu wissen, dass Sanzomon es zwar körperlich nicht mit ihm aufnehmen konnte, aber sie allein durch ihren Typus einen großen Vorteil besaß und wenn sie wollte, wenn, dann wäre sie ihm sogar irgendwo überlegen (und dass sie gänzlich unerfahren im Kampf war musste er nicht wissen). Sanzomon glaubte keineswegs, dass Myotismon so freundlich war, wie er es tat und dass er ihr so offen entgegenkam hatte entweder einen Hintergedanken oder war getränkt von einem gewaltigen Ego. Selbst wenn es nur reine Vorsicht seinerseits war, vielleicht auch irgendwo Spaß, fühlte sie sich auf eine gewisse Weise sogar geschmeichelt. Ein Digimon, von dem man sagte dass es eine absolut brutale und kaltherzige Art hätte hatte mit ihr ohne weites Schach gespielt und behandelte sie wie einen Gast, obwohl sie sozusagen natürliche Feinde waren. Nicht einmal Artgenossen waren Sanzomon gegenüber je so freundlich gewesen. Sie wollte sich das nicht verscherzen. „Oh, doch. Natürlich. Würdet Ihr mir auch erlauben, dass ich mich Euren Bediensteten annehmen darf? Ich würde sie gern etwas beobachten und ein paar Dinge fragen.“ „Solange Ihr nicht ihre Arbeit stört, dürft Ihr das gerne.“ Die Türe des Raumes öffnete sich wie von Geisterhand. Sanzomon erwartete noch, dass einer von Myotismons Diener hier reinkommen würde, dies geschah jedoch nicht. Der Korridor war ebenso dunkel und brachte kein bisschen Helligkeit mit in das Zimmer. „Wo wir gerade von ihnen reden, ich glaube, sie haben Euer Zimmer vorbereitet. Und gegessen habt Ihr auch noch nicht, oder? Ich werde meiner Dienerschaft sa -“ Myotismon, schon drauf und dran zu gehen und überzeugt Sanzomon folgte ihm blieb stehen, denn gegen seiner Erwartung hörte er gar eine Schritte hinter sich. Als er über die Schultern schaute stand Sanzomon nicht hinter ihn, sondern wieder bei den Bücherregalen und zog mit ihren zarten Fingern eines der Bücher vorsichtig heraus. Sie hatte es noch nicht ganz herausgezogen und der Titel war nur halb lesbar, aber es reichte um zu wissen, dass dort DIE FARM DER TIER-DIGIMON stand. Wie aber Sanzomon in selben Moment bemerkte, dass Myotismon dies aufgefallen war hielt sie abrupt inne. Dann schließlich schob sie das Buch wieder vorsichtig zurecht und beschämt fing sie gezwungen an leise zu lachen. „Ist... ist es eventuell in Ordnung, wenn ich noch etwas hierbleiben könnte?“, fragte Sanzomon schüchtern. Nervös fuhr sie sich mit ihrer Hand über durch die schweren Haarsträhnen. „Ihr besitzt so viele bemerkenswerte Bücher. Ein paar davon sind in meiner Heimat sogar verboten worden. Eine Schande, Schriften zu verbieten oder zu zerstören. Verfluchte Worte, die ihren Ursprung in einer anderen Dimension haben sollen und den Geist vergiften. Offene Blasphemie und Propaganda versteckt in Fabeln, sagte man in meiner Heimat. Absurd, oder?“ Immer noch blieb Sanzomon an den Reihen von Büchern hängen und las Titel und viele Namen, die keine Digimon-Namen waren. Namen die sie schon kannte und gänzlich neue. Doch sie ignorierte dabei Myotismon für diesen Moment vollkommen. Seine Lippen formten zwar bereits wieder ein höfliches Lächeln mit seiner gehobenen Ausstrahlung, doch für einen kleinen Moment zeichnete sich genau auf diesem Lächeln etwas düsteres und unheilvolles, vielleicht sogar etwas wahnsinniges ab. Es hielt nicht länger wie eine Millisekunde, doch diese kurze Zeitspanne hatte schon andere Digimon in die Flucht geschlagen. Als Sanzomon wieder ihre Aufmerksamkeit ihrem Gastgeber schenkte, war dieser winzige Moment bereits passé. „Dann nehmt Euch Zeit. Ihr könnt hier alles lesen und wann Ihr wollt.“ „Ich... Ich danke Euch“, presste Sanzomon fast schüchtern heraus, aber so euphorisch wie sie in diesem Moment war stürzte sie sich beinah auf die Sammlung, die sich vor ihr auf tat und brauchte nicht lange um die ersten Bücher, die ihr Interesse auf sich zogen zu finden und herauszunehmen. Vier Bücher legte sie auf den Tisch, wo zuvor noch das Schachbrett lag, das fünfte schlug sie aufgeregt auf. Ehe Sanzomon überhaupt anfing das erste Kapitel zu lesen – das Inhaltsverzeichnis übersprang sie aus Prinzip, das nahm nur die Spannung – blickte sie noch einmal von den Seiten auf. Myotismon stand zwar vor der Tür, beobachtete sie aber weiterhin grinsend. Sie grinste zurückhaltend zurück und nickte einmal. Zusätzlich nuschelte sie etwas über ihre Lippen, dass eigentlich „Habt vielen Dank“ hätten heißen sollen, aber letztlich in ihrem Ohr anders klang. Peinlich davon berührt ließ sie ihre Augen wieder auf die Seiten sinken und hörte nur, wie Myotismon den Raum verließ. Ihr Herz schlug wieder schneller. Sie schob es ohne weites auf die Aufregung und auf die Vorfreude auf die nächsten Stunden, die sie mit lesen verbringen könnte. Ihr Freude wich jedoch, als sie sich beim richten ihres Halstuchs an ihrem Hals streifte. (locken sie es mit Freundlichkeit und List in ihre Nähe) (und sie beißen dir in den Hals) Sie musste vorsichtig sein. Auch wenn Sanzomon Gerüchten immer etwas skeptisch entgegnete und nicht jedes Wort direkt auf die Goldwaage legte, hatten Vorurteile immer einen Hintergrund. Sie musste auf der Hut sein. Myotismon, ohne diesen Hauch von Aufregung und ohne ein pochendes Herz – zwar besaß er einen Kern wie alle Digimon, doch mit einem solch schwachen Schlag, wie es nur ein Untoter haben konnte – traf nach wenigen Metern bereits auf DemiDevimon. Das Fledermaus-ähnliche Digimon hing kopfüber von einem der Kronleuchter, die zwar etwas Licht, aber keine Wärme in dieses Gemäuer brachten und als dieser seinen Meister erblickte, ließ er davon ab und flog ihm entgegen. „Und, was sagt Ihr, erhabener Meister?“, fragte DemiDevimon, aufgeregt, aber sich mit seinen Erwartungen zurückhaltend. In der Vergangenheit war Myotismon oft genug wenig von DemiDevimons Plänen überzeugt gewesen. Zu überstürzt, zu plump, nicht so weit gedacht, zu aggressiv. Doch zum ersten Mal sah DemiDevimon ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen seines Meisters. „Sie ist perfekt. Gute Arbeit, DemiDevimon.“ DemiDevimon konnte seine Freude nicht in Worte fassen. Er wollte schreien, presste die Lippen fest zusammen und seine Federn und Fell plusterten sich etwas auf durch die Gänsehaut, die dieses Lob in ihm auslöste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)