Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 6: Selig sind die Faulen -------------------------------- Irgendwo nahe der schottischen Grenze lag mitten im Nirgendwo das kleine englische Dorf Hollingsworth. Es war eines jener Art von Orten, an denen man einfach vorbeifuhr und die so weit ab vom Schuss waren, dass selbst Google Maps den Weg nicht mehr finden konnte und einen deshalb direkt zur Umkehr zwang. Ganz zu schweigen davon, dass es rund um Hollingsworth herum weder GPS-Signal noch sonstigen Internetempfang gab und der Ort als Bermuda-Dreieck gestrandeter Autofahrer bekannt war. Da sich aber fast nie jemand hierher verirrte, wusste kaum jemand, dass es das Dorf überhaupt gab. Man brauchte knapp eine Stunde mit dem Auto bis in die nächstgelegene größere Stadt und ansonsten fand man nur endlose Felder und Kuhweiden mit Elektrozäunen vor. Das Spannendste, was sich jemals in diesem verschlafenen Ort ereignete, war lediglich das jährliche Knoblauchfest. Dann liefen die Leute mit Knoblauchkränzen um den Hals und auf dem Kopf umher, aßen allerhand Speisen mit Knoblauch mit knoblauchgewürzten Getränken, dann gab es als Nachspeise Knoblaucheiscreme guter Letzt wurde schließlich die Knoblauchkönigin gekrönt. Das gleiche Prozedere spielte sich dann auf dem Zwiebelfestival ab, das knapp sechs Monate später im gleichen alljährlichen Turnus abgehalten wurde. Während dieser Tage roch es so penetrant in den Häusern und Straßen, dass diese Feierlichkeiten nicht unbedingt für den Tourismusverkehr interessant waren. Außer vielleicht für wahre Knoblauch- und Zwiebelenthusiasten, deren Geruchssinn vor langer Zeit schon abgestumpft war. Ansonsten gab es wirklich nichts in Hollingsworth, das irgendwie besonders war. Es war einer der Orte, wo das aufregendste außerfestliche Ereignis ein Blitzeinschlag in eine Straßenlaterne gewesen war. Ansonsten passierte rein gar nichts und wenn man nicht gerade vor Langeweile starb, konnte man hier ein langes und unbehelligtes Leben führen. Die Einwohnerzahl beschränkte sich auf ein paar einhundert Einwohner, von denen der Großteil schon in die Jahre gekommene Leute waren. Die jungen Leute zog es hingegen in die größeren Städte oder sie wurden vom einfachen und biederen Landleben so sehr vereinnahmt, dass sie schon mit 18 Jahren aussahen, als hätten sie die 30 Jahre längst überschritten. Im Zentrum des Dorfes befand sich die kleine Kirche St. Ignatius, die eine erstaunlich lebhafte Geschichte im Vergleich zum eintönigen Landleben der Gemeinde hatte. Benannt wurde sie nach ihrem Dorfgründer Bischof Ignatius Hollingsworth, der neben seiner Öffentlichkeitsarbeit auch für seine Spielleidenschaft, seine Trunksucht und seinen Hang zu Affären mit verheirateten Frauen bekannt gewesen war. Ganz zu schweigen davon, dass er nie in seinem Leben jemals eine Bibel in der Hand gehabt hatte. Trotz mehrmaliger Exkommunikation hatte er sich immer wieder durch unlauteren Handel seine Position zurückkaufen können. Zudem war auch noch Vetternwirtschaft mit im Spiel gewesen, was ebenfalls so einiges erklärte. Das Ende vom Lied war, dass er so starb wie er gelebt hatte: der Ehemann erwischte ihn in flagranti mit seiner Frau und warf den nackten Bischof daraufhin aus dem Fenster des oberen Stockwerks. Da er der einzige Geistliche in der Gemeinde gewesen war und die Bewohner nicht gerade viel Einfallsreichtum besaßen,was Heilige und Schutzpatrone anbelangte, hatte man den Namen der Kirche belassen wie er war. Und so hatte man wenigstens etwas Interessantes über den Ort zu erzählen. Im Pfarrhaus direkt neben der Kirche St. Ignatius war es friedlich still. Nur wenn man in die obere Etage zu den privaten Wohnräumen hinaufging, konnte man ein gedämpftes Schnarchen aus dem Schlafzimmer vernehmen. Der derzeitige Pfarrer, ein etwas eigenartiger Zeitgenosse den die Bewohner unter dem Namen Marcus Solomon kannten, schlief tief und fest in seinem Bett. Den Wecker, der ihn vor knapp eineinhalb Stunden hätte wecken sollen, hatte er schon längst gegen die Wand geworfen und damit für immer zum Schweigen gebracht. Es war bereits der fünfte Wecker in diesem Monat gewesen und es würden mit großer Wahrscheinlichkeit noch viele weitere folgen, denn der Pfarrer war nicht nur ein wahrer Morgenmuffel. Er hasste es überhaupt, seine Schläfchen zu unterbrechen und konnte zum Tier werden, wenn ihn irgendein Gebimmel aus seinem Traumland riss. Im unteren Stockwerk, wo sich Büro und Archiv befanden, arbeitete gewissenhaft der etwas launische aber absolut treue Haushälter Nathaniel Sutherland und sortierte gerade die Papiere. Für das gewöhnliche Auge war weder an den verschlafenen und faulen Pfarrer Marcus und seinem Haushälter noch wirklich etwas Besonderes. Außer der Tatsache, dass man dem Geistlichen vom Aussehen her eher eine Modelkarriere zugeschrieben hätte und er nicht zu den Fleißigsten unter Gottes Himmel zählte, war er eher unscheinbar. Sah man von den ungewöhnlichen Angewohnheiten des Pfarrers ab, mit einer Schrotflinte auf die Tauben im Dachgebälk im Glockenturm zu schießen, unterschieden weder er noch sein fleißiger Haushälter sich vom Rest der verschlafenen Gemeinde. Sah man jedoch die Dinge durch die Augen eines überirdischen Wesens, dann stellte man fest, dass sich der vermeintliche Haushälter als waschechter Dämon entpuppte. Es stellte sich dann natürlich die berechtigte Frage, was ausgerechnet ein Wesen aus der Hölle in einem Pfarrhaus direkt neben einer Kirche zu suchen hatte und Hausarbeiten für einen Priester erledigte. Dazu musste man wissen, dass selbst der Pfarrer kein Mensch war, sondern es sich um eine einzigartige und auch eigentlich unmögliche Mischung aus Engel und Dämon handelte. Pfarrer Marcus hieß mit wahrem Namen Malachiel und war jener heldenhafte Vermittler zwischen Himmel und Hölle, der die Apokalypse verhindert und die Welt vor dem Untergang bewahrt hatte. Nun fristete er seine Tage als Pfarrer in einem langweiligen Dorf mitten in der Einöde und wenn er nicht gerade mit Faulenzen, Essen, Schlafen und gelegentlichem Arbeiten beschäftigt war, scheuchte er seinen höllischen Haushälter Nazir durch die Gegend. Ein solches Leben war nicht unbedingt das, was man von einem Weltenretter und Helden erwarten würde, aber Tatsache war nun mal, dass Malachiel nicht unbedingt dem Klischee eines Bilderbuchhelden entsprach. Ganz zu schweigen davon, dass er auch keinerlei Interesse daran hatte, ein Held oder überhaupt irgendeine Art Vorbild zu sein. Hätte man ihn nicht quasi dazu genötigt, endlich aus den Federn zu kommen, dann hätte er mit großer Wahrscheinlichkeit die Apokalypse komplett verschlafen. Nazir, der schon seit knapp vier Jahren im Dienste des Halbengels stand, kannte zwar die Faulheit seines Brotherrn zu Genüge, hatte aber nach wie vor wenig Toleranz dafür. Vor allem nicht weil die ganze Arbeit immer an ihm hängen blieb. Da es bereits Mittag war und es immer noch nicht danach aussah, als würde Malachiel endlich mal aufstehen, legte Nazir den Aktenordner mit den Stromabrechnungen in den Schrank, verließ das Büro und ging den Flur entlang und dann schließlich die Treppe hinauf. „Manchmal komme ich mir vor wie sein persönliches Kindermädchen“, seufzte der Dämon und hoffte, dass es nicht schon wieder so verdammt anstrengend werden würde, diesen Arbeitsverweigerer aus dem Bett zu zerren. Diese Art von Leben war nicht unbedingt das, was er erwartet hatte, als er vor vier Jahren vor der Tür des Pfarrhauses gestanden und um Hilfe gebeten hatte. Aber wenn man es recht betrachtete, entsprach bereits sein gesamtes Leben nicht wirklich den allgemeinen Erwartungen. Obwohl Nazir zu den sehr seltenen geborenen Dämonen zählte, war er vom Wesen her nicht unbedingt ein Vorzeigebeispiel seiner Art. Zwar war er für die eine oder andere Untat bereit und besaß ein freches Mundwerk, aber ansonsten war er ein größtenteils ehrlicher und loyaler Charakter. Unter seinesgleichen hatte er sich noch nie zugehörig gefühlt und fühlte sich mehr als unwohl dabei, Menschen zu terrorisieren, Tote zu quälen und irgendwelche abgefahrenen Blutorgien mit Hardcore-Satanisten zu treiben. Aufgrund dessen wurde er meist von den anderen Dämonen verspottet und gequält. Für ihn war klar gewesen, dass er nicht in der Hölle bleiben konnte und dort auch niemals zuhause sein würde. Was aber nun tat ein Dämon, der nicht boshaft genug war und sich in der Hölle nicht zuhause fühlte? Da Nazir die Geschichte von den gefallenen Engeln kannte und wusste, dass Engeln zu Dämonen werden konnten, war er der festen Überzeugung gewesen, dass es doch auch irgendwie möglich sein musste, aus einem Dämon einen Engel zu machen. Da ein Zutritt zum Himmel für ihn unmöglich war und kein Engel ihm über den Weg traute, hatte er sich stattdessen an Malachiel gewandt, der ja selbst halb Engel und halb Dämon war. Dieser war wenig begeistert von der Idee gewesen, jemanden bei sich aufzunehmen und meinte daraufhin, dass es nur eine verdammte Plagerei werden würde. Außerdem seien Engel eh alles nur scheinheilige Spatzenhirne und komplett überbewertet. Nazir, der felsenfest von seinem Vorhaben überzeugt war, hatte ihn daraufhin regelrecht angefleht und sogar angeboten, sein Diener zu werden. Zwar war Malachiel immer noch nicht begeistert von der Idee gewesen, hatte dann aber klein bei gegeben und ihm Arbeit als Haushälter gegeben. Obwohl er Nazir ausdrücklich gesagt hatte, er würde mit dem ganzen Diener-Quatsch gar nicht erst anfangen weil das zu viel Verantwortung für ihn bedeutete, sprach ihn der Dämon fortan mit „Meister“ an. Nazir erledigte pflichtbewusst, aber nicht ohne regelmäßig seinen Unmut kundzutun, alle Arbeiten die ihm aufgetragen wurden. Viele einfache Dinge wie zum Beispiel Kochen oder Putzen musste man ihm erst beibringen, da er die Hölle nie verlassen hatte und diese menschlichen Tätigkeiten ihm vollkommen fremd waren. Inzwischen war er so geübt darin, dass er auch die Buchhaltung machte, Reparaturen im Haus erledigte und regelmäßig seinen Herrn davon abhielt, auf die Tauben zu schießen und damit schon wieder das Dach im Glockenturm zu zerlöchern. Doch Malachiel unterrichtete ihn nicht nur darin, wie man alltägliche Arbeiten erledigte, vernünftig mit Menschen sprach und sich auch selbst wie ein gewöhnlicher Mensch verhielt. Er nahm seine Aufgabe als Lehrer erstaunlich ernst und unterrichtete Nazir geduldig in allem, was ein Engel wissen und können musste. Dabei hatte dieser eines gewaltig unterschätzt: Dämonen waren nicht wirklich für Gebete und heilige Aufgaben gemacht. Wann immer er versuchte die Bibel zu lesen, bekam er Migräne und bei jedem Versuch, das Vaterunser zustande zu bringen, wurde ihm kotzübel. Jedes Mal, wenn er die Kirche betrat, verbrannte er sich die Fußsohlen und vom Weihrauch bekam er einen heftigen Asthmaanfall. Doch so leicht wollte er nicht aufgeben und übte jeden Tag gewissenhaft weiter. Und tatsächlich machte er bereits sichtbare Fortschritte. Zwar bekam er immer noch Kopfschmerzen bei seinen Bibelstudien, aber zumindest schaffte er das Ave Maria und das Vaterunser, ohne den Fußboden vollzukotzen. Selbst die Kirche konnte er schon problemlos betreten, aber ans Weihwasser wagte er sich lieber noch nicht heran. Und Malachiel, der sonst für alles und jeden ein böses Wort übrig hatte, war überaus geduldig mit ihm und schimpfe ihn kein einziges Mal aus, wenn Nazir sich nach seinen Gebeten übergeben musste. Wenn es dem Dämon nach seinen täglichen Studien so schlecht ging, dass er nicht einmal mehr aufstehen konnte, kümmerte sich Malachiel um ihn bis er wieder bei Kräften war und beschwerte sich währenddessen kein einziges Mal über die Arbeit. Stattdessen riet er seinem Schüler und Haushälter nur, nichts zu überstürzen und ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um wieder gesund zu werden. Tief drin mochte ihn dieser griesgrämige Zyniker, da war sich der Dämon sicher. Trotzdem würde er so einiges dafür geben, um ihm wenigstens die Faulheit austreiben zu können. Als er die Schlafzimmertür öffnete, fand er seinen Herrn wie erwartet schnarchend im Bett liegend vor und nicht weit vom Nachtschrank entfernt die Bruchteile des zerstörten Weckers auf dem Boden. Nicht schon wieder…, dachte sich der Dämon, seufzte leise und gedanklich setzte er einen neuen Wecker auf seine Einkaufsliste. „Meister, wacht jetzt mal endlich auf! Ihr habt schon lange genug gepennt.“ Da keine Reaktion folgte und selig weitergeschnarcht wurde, rüttelte ihn der Dämon erst kräftig durch und als das auch nichts brachte, entschied er sich für die harte Tour und verpasste dem Schlafenden einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Ich sagte, es ist Zeit zum Aufstehen!“ Ein verschlafenes Grummeln kam zur Antwort und blinzelnd öffnete Malachiel seine Augen. Sein äußeres Erscheinungsbild entsprach fast vollständig dem eines Engels. Er hatte ein junges und schönes Gesicht mit aschblonden Locken, die ihm aber gerade komplett zerzaust ins Gesicht fielen. Seine Augen jedoch waren eindeutig die eines Dämons. Für einfache Menschen hatten sie eine unauffällige dunkle Farbe, aber für Tiere und überirdische Wesen waren sie blutrot und ein Feuer loderte in den Pupillen. Hinzu kam, dass seine Augen stets von dunklen Schatten umrandet waren, die ihm ein düsteres und fast schon bedrohliches Aussehen gaben. Wenn man ihn von weitem sah, verwechselte man ihn schnell mit einem zwielichtigen Bandenmitglied oder sogar einem Serienmörder. Ob es mit seiner halbdämonischen Natur zusammenhing, konnte keiner so wirklich sagen. Er selbst behauptete, es seien bloß Augenringe die vom Schlafmangel herrührten. Dabei schlief er doch jeden Tag mehr als zehn Stunden und hielt obendrein auch noch Mittagsschläfchen. „Musst du mich denn so früh wecken, Nazir?“ murmelte er im Halbschlaf und drehte sich zur anderen Seite um, da er nicht die geringste Lust verspürte, die Behaglichkeit seines warmen Bettes zu verlassen. „Heute ist mein freier Tag, also lass mich weiterschlafen…“ „Nichts da“, erwiderte sein Haushälter streng und zog ihm mit einem kräftigen Ruck die Decke weg. „Ihr müsst noch die Andacht für morgen Abend vorbereiten, um die Taufrede für die Tochter der McKilligans habt Ihr Euch auch noch nicht gekümmert und das Gleiche gilt für die Beerdigung für Mr. Crawford. Und am Sonntag müsst Ihr eine Hochzeitszeremonie abhalten.“ „Ach sollen die Toten doch ihre Toten begraben“, murmelte der Schlaftrunkene in sein Kissen hinein und regte sich immer noch kein Stückchen. Eines musste man ihm jedenfalls lassen: er war störrischer als ein Esel. „Was die Andacht angeht: such dir doch irgendeine Rede aus dem Archiv raus, die dir gefällt. Ist doch sowieso immer derselbe Mist, der gepredigt wird. Und die Leute merken’s eh nicht, wenn man denen den gleichen Quatsch noch mal erzählt. Kannst es ja auch so mit der Taufrede machen.“ Doch so leicht wollte sich der Dämon nicht abspeisen lassen und begann nun damit, den faulen Pseudo-Pfarrer gewaltsam an den Füßen aus dem Bett zu zerren. Jeden einzelnen verdammten Tag mussten sie diese Kindergartenroutine abziehen und bis heute hatte dieser faule Sack nicht gelernt, dass Widerstand zwecklos war. Es war ja schon traurig genug, dass dieses unschuldige Bauernkaff mit einem stinkfaulen Priester gestraft war, der ständig über alles schimpfen und lästern musste. Aber es war wirklich erbärmlich, dass besagter Priester sich von einem Dämon zur Arbeit zwingen lassen musste. Wo gab es denn bitteschön so etwas?! „Jetzt stellt Euch gefälligst nicht so an und bewegt mal Euren Arsch aus dem Bett. Es kann doch wohl nicht angehen, dass ich Euch jeden verdammten Tag gewaltsam aufwecken muss.“ „Da kennst du mich offensichtlich nicht gut genug“, erwiderte der Halbengel trotzig. „Wenn ich will, kann ich das bis in alle Ewigkeit so weitermachen.“ Damit war der Bogen endgültig überspannt und Nazir ging zu seinem letzten Mittel über. Mit einem kräftigen Tritt in die Nieren schaffte er es endlich, seinen arbeitsscheuen Brotherrn endlich zum Aufstehen zu bewegen und kassierte sogleich einen finsteren Blick als dieser sich aufrappelte. „Das war jetzt wirklich unnötig…“, knurrte Malachiel missmutig und presste sich die Hand gegen seine schmerzende Seite. „Konntest du nicht wenigstens woanders hinzielen, wo es weniger wehtut?“ „Diese Kinderei mit Euch ist unnötig“, gab Nazir unbeeindruckt zurück und ging zur Tür. „Ich gehe uns einen Kaffee kochen und Ihr macht Euch in der Zwischenzeit fertig. Wir haben bereits elf Uhr und es gibt noch einiges aufzuholen.“ „Elf Uhr?“ fragte Malachiel fassungslos und seufzte wehleidig. „Willst du mich etwa umbringen?“ „Jetzt stellt Euch gefälligst mal nicht so an“, gab der teuflische Haushälter genervt zurück. „Dämonen und Engel brauchen doch eigentlich gar keinen Schlaf. Was Ihr da treibt, ist bloße Zeitvergeudung weil Ihr einfach zu faul für alles seid!“ Nazir ging zwei Räume weiter den Gang runter in die Küche und begann Kaffee aufzusetzen. Er verstand nicht wirklich, was eigentlich so toll daran war, so viel zu schlafen. Dass die Menschen und Tiere es zum Leben brauchten, war ihm soweit klar. Gleiches verhielt sich mit Essen und Trinken. Aber Engel und Dämonen tickten da etwas anders. Da sie nicht den gleichen irdischen Gesetzen unterworfen war, konnten sie problemlos die Ewigkeit ohne all diesen ganzen Quatsch auskommen. Aber da die Ewigkeit nun mal verdammt langweilig und eintönig sein konnte, hatten sie sich nach und nach die Gewohnheiten der Menschen abgekupfert. Irgendwann war es plötzlich total angesagt, exklusive Speisen zu essen, hochwertige Weine zu trinken und stundenlang zu schlafen. Es galt gewissermaßen als eine Art Statussymbol und wurde schließlich allgemein zum Trend. Was Essen und Trinken anbetraf, hatte Nazir noch gewissermaßen Verständnis dafür, warum immer mehr Engel und Dämonen mit diesen Gewohnheiten anfingen. Die Menschen waren schließlich kreativ und hatten einen wirklich erlesenen Geschmack. Außerdem war es bei weitem besser als der Fraß, den er in der Hölle vorgesetzt bekommen hatte. Aber ans Schlafen hatte er sich nie gewöhnen können. Für ihn war es als Dämon die wohl schwachsinnigste und unnötigste Tätigkeit von allen. Also verbrachte er die Nächte damit, Arbeiten im Haus oder in der Kirche zu erledigen, seine Studien fortzusetzen oder er bildete sich anderweitig fort. Malachiel war jedoch ganz anders gestrickt. Er machte sich nicht viel aus Speisen und Getränke und lebte sehr schlicht. Alles, was in irgendeiner Art und Weise Arbeit oder Anstrengung bedeutete, mied er wie die Pest und vom Schlafen schien er regelrecht besessen zu sein. Manchmal war es echt eine Qual mit ihm und nicht selten trieb dieser Kerl ihn zum Wahnsinn. Ein paar Minuten später kam Malachiel schlurfend in die Küche und setzte sich mit einem lauten Gähnen an den Tisch. Die Tageszeitung würdigte er kaum eines Blickes und erst als Nazir ihm eine Tasse extrastarken Kaffee mit Milch und Zucker reichte, schienen seine Lebensgeister wieder ein wenig zurückzukehren. Der Dämon setzte sich nun ebenfalls, trank seinen Kaffee aber lieber schwarz. „Mal ganz im Ernst, Meister. Ich begreife immer noch nicht, warum Ihr immer so exzessiv schlafen müsst. Was sollen denn bitte die Leute denken, wenn ihr Pfarrer ein fauler Sack ist, der nicht mal an das glaubt, was er selber predigt.“ „Besser ein ehrliches Arschloch als ein sympathischer Heuchler“, entgegnete der Halbengel trocken und trank seine Tasse Kaffee in gerade mal einem Zug aus. Es hatte schon seine Vorteile, teils Dämon zu sein: man war gegen alle Arten von Hitze unempfindlich. „Und mir ist es egal, ob die Leute mich mögen oder nicht. Ich mag sie genauso wenig wie sie mich. Wenn sie mit meiner Art nicht klar kommen, ist es ihr Pech.“ „Man kann aber wenigstens ein bisschen mehr Anstand bei den Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen zeigen. Immerhin darf ich mich mit den ganzen Beschwerden herumplagen, weil Ihr mal wieder Euer Lästermaul nicht halten konntet!“ „Die Wahrheit tut eben weh“, entgegnete der Pseudo-Pfarrer schulterzuckend und hielt Nazir seine leere Tasse hin um noch etwas Kaffee zu bekommen. Da dieser aber immer noch nachtragend wegen der Schlafzimmergeschichte war, rührte sich dieser kein Stückchen. Also musste er selbst aufstehen und sich welchen holen gehen. „Beerdigungen sind doch nichts weiter als reinste Heuchelei. Kaum ist jemand tot, wird er so in den Himmel gepriesen als wäre er ein Heiliger gewesen und jeder hat längst vergessen, dass er ein Arschloch war. Die Leute reden sich ein, diese ganzen Feierlichkeiten wären für die Verstorbenen, aber dabei sind diese allein für die Trauergäste bestimmt, damit diese ihr schlechtes Gewissen beruhigen und sich besser fühlen können. Was die Taufen angeht: wenn Eltern ihr Kind allen Ernstes Tesla Maybelline Beretta nennen, hätten sie besser gleich kinderlos bleiben sollen. Und Hochzeiten sind die größte Farce seit dem Ablassbriefskandal. Man schwört, sich bis zum Tode treu zu bleiben und für einander da zu sein, aber dabei bleiben sie sich nur solange treu bis dass der Anwalt sie scheidet.“ „Dann hättet Ihr Euch eben nicht Pfarrer als Beruf aussuchen sollen“, entgegnete Nazir, wobei er aber zähneknirschend zugeben musste, dass sein Herr nicht ganz Unrecht hatte. Trotzdem verdiente selbst die kleine Tesla Maybelline Beretta McKilligan eine anständige Taufzeremonie. Es war ja nicht ihre Schuld, dass ihre Eltern einen grausigen Geschmack hatten, was die Namensgebung betraf. „Ich dachte halt, dass der Beruf einfach und anspruchslos sei“, gab Malachiel zerknirscht zu und schnappte sich einen Apfel, der in einer Obstschale lag. Mit Kaffee und einem etwas mageren Frühstück ging er wieder an seinen Platz zurück. „Ist doch immer der gleiche Sermon, der wöchentlich gepredigt wird. Man braucht einfach nur die Namen auszutauschen und keine Sau merkt den Unterschied. Außerdem haben wir nur zwei Testamente, also ist das Material ziemlich überschaubar. Hätte ja nicht ahnen können, dass ich den ganzen anderen Scheiß auch noch mitmachen muss.“ „Selbst schuld“, kommentierte Nazir unbeeindruckt. „Ein bisschen mehr Arbeitseifer stünde Euch ganz gut zu Gesicht.“ „Nö, lass mal lieber. Mit meinem Gesicht bin ich soweit ganz gut zufrieden.“ Nachdem er seinen Kaffee wieder in wenigen Zügen geleert hatte, begann Malachiel genüsslich seinen Apfel zu essen und scherte sich offenbar keinen Deut darum, wie sehr er seinen Haushälter mit seinem Verhalten und seiner Ignoranz in den Wahnsinn trieb. Es war schon ein etwas merkwürdiges Bild wenn selbst ein vollblütiger Dämon mehr von Moral und Anstand hielt als ein Halbengel, der sich als Priester tarnte. Gerade wollte er etwas erwidern, hielt dann aber inne als er etwas spürte. Ein wohliges Kribbeln ging durch seinen gesamten Körper und ihm war, als würde ihn eine Art unsichtbares Licht durchströmen. Sofort hielt er inne und runzelte verwirrt die Stirn. Wenn Dämonen wie er so etwas verspürten, bedeutete dies in der Regel nur eines. „Meister… spürt Ihr das auch?“ Wortlos hob Malachiel den Kopf und kaute bedächtig auf seinem Apfelstück herum. „Scheint so als kriegen wir Besuch von oben“, murmelte er nachdenklich. „Nazir, würdest du dich bitte gleich auf den Weg machen und nach dem Rechten sehen? Wenn jemand von oben oder unten herkommt, kann es nur bedeuten, dass wir alle mal wieder so richtig tief in der Scheiße stecken.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)