Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 9: Eine Senfkornspalterei --------------------------------- Nachdem sie beschlossen hatten, alles Geschäftliche auf später zu schieben und wenigstens ein bisschen die gemeinsame Zeit zu genießen, begann Malachiel zu erzählen, was sich in den letzten zehn Jahren so alles auf der Erde ereignet hatte. Da aber diese Erzählung fast ausschließlich in einer sarkastischen und zynischen Art gehalten war, konnte Metatron manchmal nicht so ganz sagen, was davon jetzt genau tatsächlich so geschehen war wie ihm berichtet wurde. Im Großen und Ganzen bestand Malachiels Bericht hauptsächlich aus den neuesten technischen Errungenschaften, Lästereien über die letzten Kirchenskandale und welche TV-Serien er zuletzt gesehen hatte. Und wie sich schnell herausstellte, hatte er eine große Leidenschaft für besonders melodramatische mexikanische Telenovelas. Hauptsächlich auch nur deshalb, weil diese so übertrieben kitschig und überdramatisch waren, dass man sie einfach nicht ernst nehmen konnte. Zu guter Letzt erzählte er im Detail, wie er Nazir kennen gelernt und ihn nach einigem hin und her unter seine Fittiche genommen hatte. Metatron war immer noch sehr skeptisch, was dieses ganze Experiment betraf und weiterhin der festen Überzeugung, dass Dämonen niemals geläutert werden konnten. Zwar hatte er mit eigenen Augen gesehen, wie der teuflische Haushälter sich ohne Probleme in der Kirche bewegen konnte, aber sein Verstand weigerte sich, dies als Tatsache anzuerkennen und glaubte stattdessen an einem Trick. Immerhin waren Dämonen ja bestens dafür bekannt, andere zu täuschen und in die Irre zu führen. Da er nicht glauben wollte, dass Nazirs Studien für dieses unerklärliche Phänomen verantwortlich waren, beschloss Malachiel, ihm einfach den Beweis zu liefern und ließ deshalb seinen Schüler herbeirufen. Wenig später kam Nazir mit einer dicken Bibel mit einem dunkelroten Einband und goldenen Lettern ins Wohnzimmer. Das Buch war schon ziemlich abgenutzt und an einigen Stellen notdürftig am Einband geflickt worden. Die Seitenränder schimmerten goldfarben und waren im Vergleich zum Buchcover in einem etwas besseren Zustand, hatten aber auch schon einiges miterlebt. Diese Bibel gehörte zu Malachiels allerersten persönlichen Besitztümern und war knapp 700 Jahre alt. Metatron hatte sie ihm damals geschenkt, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren und sie gemeinsam versucht hatten, die Apokalypse aufzuhalten. Dementsprechend rührte es ihn zutiefst, dass sein Freund dieses Geschenk nach all der Zeit immer noch in seinem Besitz hatte, allerdings war es gleichzeitig sehr befremdlich, es nun in den Händen des Feindes zu sehen. „Nazir, du hast seit vier Jahren täglich geübt und jetzt, da wir ein hohes Tier von Oben hier haben, ist das die perfekte Gelegenheit für dich, dein Können unter Beweis zu stellen“, begann Malachiel, ohne großartig Enthusiasmus und Energie in seine Ansprache zu legen. Stattdessen wirkte er demotiviert wie eh und je. Aber der Eindruck mochte täuschen, denn Metatron sah sofort ein Leuchten in dessen Augen, das nur allzu deutlich verriet, dass er doch irgendwie stolz auf seinen Schüler war. „Der ganze scheinheilige Verein dort oben ist nach wie vor der Meinung, dass kein Dämon jemals geläutert werden kann und ich kann dieses Geschwafel langsam nicht mehr hören. Also kannst du uns mal demonstrieren, wie weit du schon bist?“ „So etwas ist ja auch völlig unmöglich“, legte Metatron sofort ein. „Es weiß doch jeder, dass Gebete Dämonen krank machen und heiliger Boden ihre Füße verbrennt. Und Weihwasser zersetzt ihre Körper bis nur noch Asche übrig bleibt. Das ist der eindeutige Beweis, dass sie nicht in der Lage sind, sich zu ändern.“ „Ja, ja… wir alle kennen die alte Leier“, seufzte der Halb-Engel mit abwinkender Geste, ohne großartig auf die Einwände seines Freundes zu achten. Stattdessen hielt er seinen Blick weiter auf seinen dämonischen Haushälter gerichtet. „Und wie du siehst, Nazir, glaubt der gute Metatron hier, dass dein kleiner Kirchengang nur ein Trick war. Also würdest du ihm bitte mal zeigen, wer hier von uns wirklich Recht hat?“ Doch so ganz traute Nazir dem Braten nicht und schaute Malachiel skeptisch an. „Meister, versucht Ihr mich da gerade etwa wieder für eines Eurer Spielchen zu missbrauchen?“ Was soll das das denn bitteschön heißen?, dachte sich der göttliche Botschafter und bekam ein ungutes Gefühl, als Nazir auch noch das Wort „Wieder“ in diesem Satz benutzte. Das klang wirklich mehr als suspekt und er begann zu ahnen, dass sein Liebster vielleicht noch mehr angestellt hatte, als bloß einen Dämon in seine Dienste zu nehmen. Doch er fragte lieber nicht weiter, ansonsten würde er vor lauter Sorge noch Kopfschmerzen bekommen. Malachiel bestritt die Unterstellungen seines Haushälters nicht und meinte nur „Ach komm schon. Willst du denn nicht unter Beweis stellen, dass in dir ein echter Engel steckt? Sprich einfach deine Gebete auf, dann sieht er es ja. Und besser noch: sag’s auf Latein, dann ist es noch wirkungsvoller.“ Mit diesem Argument hatte er seinen Schützling überzeugt. Dieser holte einmal tief Luft und begann zuerst das Apostolische Glaubensbekenntnis, dann das Vaterunser und im Anschluss das Ave Maria im perfekten Latein aufzusagen. Kein einziges Mal krümmte er sich vor Schmerz, spukte vor Übelkeit oder zeigte irgendeinen anderen dämonischen Anfall. Er sagte alles auf als wäre es das Normalste für ihn auf der Welt. Für jemanden wie Metatron, der immer nach den alten Regeln und Grundsätzen gelebt hatte, war dies eine schockierende Erkenntnis. Wenn man sein gesamtes Leben mit einer ganz bestimmten Überzeugung gelebt hatte und die sich nun als fehlerhaft erwies, konnte das schnell dazu führen, dass man so einiges zu hinterfragen begann. Und das war etwas, womit Engel überhaupt nicht klar kamen. Als wäre das Durcheinander und sein fehlender Kontakt zu Gott nicht schon belastend genug, musste er auch noch erkennen, dass etwas, woran er selbst geglaubt hatte, offensichtlich nicht stimmte. Es überforderte ihn nicht nur, es verstörte ihn regelrecht. Nazir, der selbst ziemlich stolz auf seine vorbildliche Leistung war, lächelte zufrieden und wandte sich an seinen Herrn. „Meister, wann kann ich eigentlich anfangen, mit Weihwasser zu üben? Inzwischen kriege ich auch bei Weihrauch keine Atemnot mehr.“ „Hm…“, murmelte Malachiel und verschränkte nachdenklich die Arme, wobei er nicht merkte, wie sehr Metatron diese Szene verstörte. „Fang lieber erst mal ganz klein an“, riet er und war nun überraschend ernst und fokussiert. „Mit Weihwasser herumzuspielen ist eine ganz andere Hausnummer als mal eben ein bisschen Weihrauch inhalieren. Kannst dir ja etwas aus der Kirche holen. Zieh dir aber Schutzhandschuhe an wenn du damit rumhantierst und probiere es erst mal mit einer Haarprobe. Wenn du gleich die ganze Pfote reintunkst und die sich auflöst, muss ich mir schlimmstenfalls einen neuen Haushälter suchen.“ Endlich erwachte Metatron aus seiner Schockstarre und schüttelte energisch den Kopf. „Das kann unmöglich wahr sein. Das muss ein Trick sein! Dämonen können nicht geläutert werden, genauso wenig wie gefallenen Engeln vergeben werden kann. Das hat Gott so nicht vorgesehen, das gehört nicht zu seinem Plan.“ „Gott ist aber nicht hier und seine angeblichen Pläne haben noch nie Sinn ergeben, das weißt du selbst“, erwiderte Malachiel eindringlich. „Hör mal, ich verstehe schon, dass es vielleicht etwas gruselig für dich ist. Aber sieh den Tatsachen mal langsam ins Auge, dass die Welt nicht so aussieht, wie ihr sie euch da oben selbst zurechtlegt. Diese ganzen vermeintlichen Regeln und der ganze göttliche Plan sind alles nur Spinnereien, die ihr euch zurechtgelegt habt und ihr seid so fixiert darauf, dass ihr eure eigenen Lügen glaubt.“ „Amen“, meinte Nazir zustimmend und nickte. „Wenn Engel vom Glauben abfallen können, wieso sollte es für unsereins nicht möglich sein, zum Glauben zu finden? Ihr habt gerade selbst gesehen, dass es möglich ist. Warum ist es so schwer, das einfach zu akzeptieren?“ Doch Metatron antwortete nicht. Für ihn wurde das eindeutig zu viel und er brauchte dringend Abstand von alledem. „Tut mir leid aber… ich muss das erst mal verdauen.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ das Wohnzimmer. Malachiel schaute ihm nach und machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuhalten. Er wusste sowieso, wo sein Freund hingehen würde und es war das Beste, ihm erst ein wenig Zeit zu lassen, bevor er ihm hinterher lief. Nazir wirkte ein wenig besorgt und wandte sich unsicher an seinen Mentor. „Meister, meint Ihr ich bin zu weit gegangen?“ „Ach was“, winkte dieser ab und schüttelte den Kopf. „Der berappelt sich wieder. Und diese eiskalte Dusche hat er wirklich gebraucht, ansonsten lernt er es nie. Genau das ist nämlich sein Problem: solange er wie ein Schaf denkt, kann er nicht zum Hirten werden. Und mit einem geistlosen Schaf kann ich nichts anfangen.“ „Ist das denn überhaupt nötig?“ fragte Nazir skeptisch. „Ich meine… ist das nicht eigentlich Gottes Aufgabe?“ Da hatte er vielleicht nicht ganz Unrecht, aber das war eben nicht das, woran Malachiel glaubte. Er hatte sich noch nie mit der Idee anfreunden können, dass Glaube auch gleichzeitig absoluten Kadavergehorsam bedeutete. Wer seine eigene Meinung und Identität aufgab und der Meinung war, dass dies absolute Hingabe bedeutete, war seiner Ansicht nach bloß ein Dummkopf. Also ging er auch nicht allzu zimperlich mit jenen um, die diese Mentalität pflegten. „Man kann sich nicht immer nur darauf verlassen, dass Gott die Antwort auf alle Probleme ist“, erwiderte Malachiel etwas ungehalten. „Wenn man nicht mal genug Grips im Kopf hat um selber aktiv zu werden, dann hat man es eh nicht anders verdient. Wenn dein Haus anfängt zu brennen, wartest du ja auch nicht bis dich die Feuerwehr irgendwann mal rausholt. Du bist auf dem richtigen Weg, Nazir. Aber dieser ganze beschränkte Kindergartenverein da oben ist immer noch nicht in der Realität angekommen.“ Da Metatron nicht im Pfarrhaus bleiben konnte und dringend einen Ort brauchte, an dem er sich halbwegs wohl und sicher fühlte, hatte er sich in die Kirche zurückgezogen. Er hatte sich auf eine der unbequemen Bänke gesetzt und schaute mit nachdenklichem Blick zum Altar und betrachtete das Jesuskreuz. Normalerweise war es nicht seine Art, einfach so nachzugeben und dann abzuhauen. Aber ihm war das alles etwas zu viel geworden. Ganz gleich wie sehr er Malachiels direkte Art und seine Ehrlichkeit schätzte, fühlte er sich mehr als unwohl bei dem Gedanken, dass all die Dinge, die er bisher gekannt hatte, nicht den Tatsachen entsprachen. Es war immer so einfach und bequem gewesen, nach den Regeln anderer zu leben und einfach alles so zu akzeptieren wie man es ihm sagte. Aber nun wurde ihm langsam das ganze Ausmaß seiner Verantwortung bewusst und dass er sich diese bequeme Art zu leben und zu denken nicht mehr erlauben konnte. Vor allem musste er endlich den Tatsachen ins Auge blicken, dass Gott nicht mehr da war, um ihm die Richtung zu zeigen. Eine ganze Weile war er tief in Gedanken versunken und bemerkte gar nicht, dass Malachiel ebenfalls die Kirche betreten hatte und sich zu ihm setzte. Zuerst saß er einfach nur schweigend da und folgte dem nachdenklichen Blick des Engels. Aber nachdem ihm das doch ein wenig zu langweilig wurde, beschloss er, die Konversation wieder in Gang zu setzen und ein wenig die Stimmung zu lockern. „Weißt du was ich mir manchmal denke?“ fragte er, ohne Metatron Zeit für eine Antwort zu lassen. „Irgendwie ist es doch echt makaber, dass so ziemlich in jeder Kirche Jesus am Kreuz zur Schau gestellt wird. Was glaubst du wohl, was sich Gott dabei denkt? Muss doch echt komisch für ihn sein, wenn er ständig daran erinnert wird, wie grausam sein Sohnemann gestorben ist. Wenn die Menschen den Verstorbenen gedenken wollen, stellen sie sich ja auch keine Fotos auf, wo diese als grausam entstellte Leichen zu sehen sind. Die sollten mal so eine coole Buddy Christ Statue wie in diesem Dogma-Film aufstellen. Ich wette, so was kommt wesentlich besser bei den Leuten an.“ Dieser plötzliche Themenwechsel brachte den Seraph nun doch ein wenig zum Schmunzeln, denn da war durchaus etwas Wahres dran. „Ja das stimmt schon. Das fand Gott tatsächlich etwas unangebracht. Vor allem weil die Familientherapie mit seinem Sohn kein sonderlich schönes Ende genommen hatte. Jesus war halt nicht unbedingt begeistert davon, dass sein Vater ihn nur deshalb zur Erde geschickt hat, damit er von seinen Leuten verraten und dann grausam gefoltert und hingerichtet wird. Das sorgt nicht unbedingt für einen besseren Familienzusammenhalt.“ Erstaunt und etwas verwirrt runzelte Malachiel die Stirn. „Seit wann hat der Himmel denn Therapeuten?“ „Hat er nicht“, räumte Metatron ein und zuckte leise seufzend mit den Schultern. „Und genau deshalb haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen.“ „Wundert mich kein Stück. Aber eines würde mich mal interessieren: glaubst du, die Leute würden zu Aquarien beten, wenn man Jesus ertränkt statt gekreuzigt hätte? Stell dir mal vor, die Kirche wäre dann wie SeaWorld. Dann wären die Messen wenigstens etwas lustiger.“ Allein die Vorstellung war selbst für Metatron zu verrückt und er musste darüber lachen. Solche Fragen hatte er sich noch nie in seinem ganzen Leben gestellt und das war es auch, was er an Malachiel so liebte: er nahm die Dinge nicht einfach so unkommentiert hin, sondern stellte Fragen. Manchmal auch welche, über die man nur den Kopf schütteln konnte. Er wusste ja selbst, dass sein Freund es nur gut mit ihm meinte, wenn er ihm die nackten Tatsachen vor Augen hielt und ihm klar sagte, wie unlogisch und schwachsinnig seine Denkweise war. Das änderte aber trotzdem nichts daran, dass er sich nicht wohl damit fühlte und Angst davor hatte, etwas an seiner altbewährten Routine zu ändern. „Mein ganzes Leben lang habe ich immer nur getan, was man mir aufgetragen hat“, murmelte er nachdenklich und hielt seine Augen auf den Altar gerichtet, wobei er die Hände gefaltet hatte. „Ich habe mich immer nach Gottes Worten gerichtet und seine Beschlüsse nie hinterfragt oder mir eine eigene Meinung dazu gebildet. Er war immer da und hat mir gesagt, was ich tun soll. Und nun bin ich alleine und fühle mich hilflos und verlassen. Alles hat bisher so gut funktioniert und selbst jetzt versuche ich immer noch, alles so zu machen wie er es für richtig halten würde. Aber letzten Endes hat mich das auch nicht weitergebracht und nur für mehr Probleme gesorgt. Sag mal Malachiel… was glaubst du, warum Gott uns verlassen hat?“ „Tja…“, murmelte der falsche Pfarrer und kratzte sich nachdenklich am Ohr. „Ich denke mal, er hatte vielleicht die Schnauze voll davon, immer der Buhmann für alles zu sein. Oder er dachte sich eines Tages, dass ihr alle inzwischen alt genug seid, um euer Leben selbst in die Hand zu nehmen. Statt dir solche Fragen zu stellen, solltest du lieber versuchen, dich auf dein eigenes Leben zu konzentrieren. Ich kapier bis heute nicht, warum Menschen ständig zu mir kommen und mich nach dem Sinn des Lebens fragen. Wenn du meine Meinung hören willst, dann ist unsere gesamte Existenz eh nur ein einziger Witz, von dem keiner die Pointe verstanden hat.“ An dieser Stelle hätte es Metatron nicht einmal wirklich überrascht, wenn es tatsächlich der Fall wäre. Er kannte Gott ja schon eine sehr lange Zeit und wusste, dass dieser etwas exzentrisch und unberechenbar war. Ganz zu schweigen von seinem eigenwilligen Temperament. Als er mit Malachiel vor ein paar Jahrzehnten schon mal über dieses Thema diskutiert hatte, war dieser der Ansicht gewesen, dass Gott nichts weiter als ein Künstler war und die Welt sein Kunstwerk. Und den Sinn des Lebens zu verstehen, war im Grunde genommen nichts anderes, als sich die Frage zu stellen, warum Menschen sich künstlerisch betätigten. Wenn Metatron an die frühen Planungsphasen der Erde und des Paradieses nachdachte, lag der Gedanke vielleicht gar nicht so fern. Keiner im Himmel hatte diese vollkommen verrückte Idee mit den Dinosauriern vergessen, die komplett nach hinten losgegangen war. Und Gott hatte darauf wie jeder Künstler reagiert, der zum allerersten Mal eine negative Kritik erhielt und zuvor dachte, alle Kunstwerke wären perfekt: er hatte in einem Wutanfall einen Meteoriten auf die Erde geschleudert und dafür gesorgt, dass kein Engel jemals wieder darüber sprach und auch die Bibel diesen Vorfall mit keinem Wort erwähnte. Vielleicht war Gott sein ganzes Projekt leid und hatte es deshalb einfach sich selbst überlassen, um sich stattdessen anderen Dingen zu widmen. Oder irgendetwas anderes war passiert und keiner wusste davon. Letztendlich konnte man nur spekulieren und keine zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen bekommen. In solchen Momenten hatten es Individuen wie Malachiel einfacher, die keine Antworten auf all diese großen Fragen brauchten und stattdessen selbst ihr Leben bestimmten. Vielleicht gab es ja einen Weg, beides miteinander in Einklang zu bringen, aber nach so langer Zeit der Abhängigkeit war sich Metatron nicht so sicher, ob er das überhaupt konnte. Schließlich wandte sich Malachiel ihm zu und betrachtete ihn mit seinen rot glühenden Dämonenaugen. „Eines würde ich aber gerne wissen, Matt. Wann hast du eigentlich den Kontakt zu Gott verloren?“ Tja, das war eine gute Frage. Metatron war sich damals nicht ganz sicher gewesen, ob Gott einfach nicht zu Konversationen aufgelegt war und nicht reden wollte. Vielleicht war er auch einfach nur erschöpft gewesen, immerhin hatte er damals etwas erschaffen, das eigentlich vollkommen unmöglich sein sollte. „Das war vor gut 700 Jahren“, murmelte Metatron nachdenklich. „Also eigentlich genau zu dem Zeitpunkt, als die Apokalypse zu beginnen drohte und er dich dann erschuf.“ „700 Jahre?!“ rief Malachiel fassungslos und schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn. Nun war er wirklich sauer und hatte keine Lust mehr, seinen Freund weiterhin mit Samthandschuhen anzufassen. „Du wartest allen Ernstes seit 700 Jahren und glaubst immer noch, dass Gott irgendwann zurückkehren und wieder zu dir sprechen wird? Und in der ganzen Zeit ist dir nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, Eigenverantwortung zu übernehmen? Du machst doch Witze!“ „Du weißt, dass Engel keinen Sinn für Humor haben!“ erwiderte Metatron gereizt und schlug mit der Faust auf die Bank. Als ihre Stimmen durch den großen Saal der Kirche hallten und der Seraph dem Echo lauschte, kam ihm ein ganz neuer und völlig verrückter Gedanke. Er erinnerte sich noch daran, dass Gott ihm gesagt hatte, er würde jemanden schicken, der die Welt beschützen und den Weg weisen würde. Das waren seine letzten Worte gewesen, bevor er vollständig verstummt war. Und dann war Malachiel aufgetaucht… ein Wesen, dessen Existenz ein einziger Widerspruch in sich war. Er war etwas, das nicht existieren konnte und doch tat er das. Irgendwie waren diese Zufälle doch ein wenig verdächtig. Skeptisch schaute er den Halb-Engel an und hatte fast schon Angst davor, überhaupt nur diesen Gedanken zu Ende zu formulieren. Ganz gleich wie er es hinterher erklären mochte, das war eindeutig Gotteslästerung. „Sag mal Malachiel… Kann es etwa sein, dass du… naja…“ Nun war sein Freund genauso verdattert und verstand erst nicht, was diese Andeutung bedeuten sollte. Als dann aber endlich der Groschen fiel, klappte ihm die Kinnlade runter. „Okay, du hast eindeutig zu wenig Sauerstoff da oben abgekriegt“, rief er und sprang von seinem Platz auf. „Jetzt wird’s selbst mir zu lächerlich.“ „Ja aber denk doch mal darüber nach“, wandte der Himmelsregent hastig ein und hielt ihm am Handgelenk fest. „Gott kann keine Dämonen direkt erschaffen und jeder weiß, dass man Engel und Dämon nicht miteinander verbinden kann. Und trotzdem existierst du. Ganz zu schweigen davon, dass Gott genau dann verstummt ist, als du erschaffen worden bist. Du musst schon zugeben, dass das etwas seltsam ist, oder nicht? Also wenn du tatsächlich… nun ja… Er bist, dann würdest du es mir doch sagen, hab ich Recht?“ „Ich kann unmöglich Gott sein!“ wandte Malachiel energisch ein. „Wenn ich es wäre, dann wüsste ich es doch. Gott hat ja schon mehrmals in der Vergangenheit irgendeine Gestalt auf der Erde angenommen und es ist noch kein einziges Mal passiert, dass er dabei eine Identitätskrise oder Gedächtnisprobleme entwickelt hat. Und selbst wenn ich er wäre, dann würde es bedeuten, dass Gott nicht mehr in der Form existiert, die du gekannt hast. Dann wäre er immer noch fort. Ganz zu schweigen davon, dass es echt merkwürdig für unsere Beziehung wäre.“ Daran hatte Metatron noch gar nicht gedacht. Und als er dieses Bild vor seinem geistigen Auge war, überkam ihn die Scham und er verbarg das Gesicht in den Händen. „Heilige Scheiße!“ rief er als er allein schon daran dachte, was das bedeuten würde, wenn seine Theorie tatsächlich den Tatsachen entsprach. „Oh mein Gott… das hieße ja, ich hätte mit Ihm geschlafen…“ „Macht sich garantiert super im Lebenslauf“, erwiderte Malachiel scherzhaft und setzte sich wieder, konnte sich aber ein amüsiertes Kichern über Metatrons Reaktion nicht verkneifen. Es kam nicht oft vor, dass dieser mal fluchte und diese seltenen Augenblicke liebte er ganz besonders an ihm. Ein kleines bisschen Unanständigkeit konnte einem so gottesfürchtigen und braven Kerl nicht schaden. „Und ich dachte, Luzifer wäre derjenige mit dem Vaterkomplex.“ „Hör bitte auf damit…“, jammerte der Seraph und hatte immer noch das Gesicht in den Händen vergraben. Trotzdem sah man sofort, dass er rot anlief wie ein gekochter Hummer. „Wenn das die Runde macht, kann ich mich nie wieder im Himmel blicken lassen.“ „Dann denk einfach nicht darüber nach“, kam es zurück und Malachiel begann ihm aufmunternd den Kopf zu streicheln. „Wie gesagt: selbst wenn diese völlig hirnverbrannte Theorie zutreffen sollte, würde das nichts ändern. Der Gott, den du gekannt hast, ist nicht mehr da und keiner weiß, was mit ihm ist und ob er jemals wieder zurückkehren wird. Du kannst dich nicht mehr länger darauf stützen, dass er jemals wieder zu dir sprechen wird, sondern höchstens versuchen, die Dinge auf deine Art zu lösen. Ich weiß, dass es schwer ist. Aber du kriegst das schon hin und weißt du auch warum?“ Metatron ließ die Hände wieder sinken und schaute Malachiel verunsichert an. „Nein… warum?“ Hieraufhin beugte sich der Halb-Engel vor, legte einen Arm um ihn und gab ihm einen zärtlichen Kuss. „Ganz einfach: weil ich an dich glaube.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)