Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 11: Duty Calls ---------------------- Fernab von Himmel und Hölle in New York City, besser gesagt mitten in Manhattan, gab es ein etwas ein unscheinbares Apartmentgebäude etwas abseits der City direkt neben einem Irish Pub. Es unterschied sich nicht wirklich von den anderen Häusern in der Straße und war äußerlich schon etwas in die Jahre gekommen. Die Feuerleiter begann schon stellenweise Rost anzusetzen und auch die Fassade konnte mal wieder einen Anstrich vertragen. Es war aber noch nicht so heruntergekommen, dass man gedacht hätte, das Haus würde von zwielichtigen Gestalten oder Leuten aus der tiefsten Unterschicht bewohnt werden. Wer an diesem Haus vorbeiging und nach interessanten Details Ausschau hielt, stellte allerhöchstens fest, dass die Hausnummer die Zahl 666 trug und die Namen an den Briefkästen etwas ungewöhnlich waren. Und die Leute, denen es auffiel, würden amüsiert darüber schmunzeln und vielleicht sogar Scherze darüber machen, dass der Leibhaftige sich in Manhattan niedergelassen hatte. Was sie aber nicht ahnten war, dass die Bewohner dieses Hauses tatsächlich nicht irdischer Natur waren und es bestens verstanden, sich perfekt an die moderne Gesellschaft anzupassen. Wer sie auf offener Straße sah, hielt sie einfach für schlecht gekleidete junge Erwachsene und kümmerte sich nicht weiter um sie. Hätten sie gewusst, dass diese sieben Leute in dem so unscheinbaren Haus trotz ihrer Erscheinung für eine unerhörte Menge an internationalen Skandalen, Diskussionen, Cyberangriffen und Hetzkampagnen verantwortlich waren, hätten sie schnell die Straßenseite gewechselt. Die sieben Höllenwesen, die sich in der Hausnummer 666 niedergelassen hatten, waren in der Hölle als eine Gruppe so genannter New Age Dämonen unter dem Namen „Psychodelia“ bekannt. Sie hielten nichts von den alt hergebrachten Traditionen und veralteten Methoden ihrer Artgenossen, um die Menschen zum Bösen zu verführen. Tatsächlich war die Hölle fast genauso rückständig wie der Himmel, zumindest wenn man nur die ältesten Dämonen ins Visier nahm, die noch vor über 2000 Jahren die Erde unsicher gemacht hatten. Die meisten von ihnen glaubten immer noch, es genüge heutzutage, irgendwelche Politiker zu Korruptionsskandalen zu verführen oder einem Pfarrer unanständige Gedanken ins Hirn zu pflanzen. Die jüngere Generation von Dämonen, die weitaus besser auf dem neuesten Stand der menschlichen Zivilisation und technologischen Innovationen war, konnte sich mit diesen veralteten Methoden beim besten Willen nicht anfreunden. Also hatten sie die Hölle verlassen und sich auf der Erde niedergelassen, um unter den Menschen zu leben. Auf diese Weise konnten sie sich jederzeit an die neuesten Trends und gesellschaftlichen Wandel anpassen und fanden ihre ganz eigenen Wege, um den Leuten das Leben schwerer zu machen. Die sieben Mitglieder von Psychodelia, die sich in Manhattan niedergelassen hatten, waren allesamt Anwärter auf die Nachfolge der sieben Erzdämonen, die die sieben Todsünden verkörperten: Hochmut, Gier, Lust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit. Ein Repräsentant einer Todsünde zu werden war sehr prestigeträchtig und kam gewissermaßen einem Prominentenstatus in der Hölle gleich. Und um sich diesen Titel zu verdienen, musste man sich beweisen und entsprechende Ergebnisse liefern. Das taten diese sieben Unruhestifter und hatten bereits ihre Spuren in der Welt hinterlassen, ohne dass die Menschen sich ihres Einflusses überhaupt bewusst waren. Diese sieben New Age Dämonen arbeiteten eng zusammen und führten gleichzeitig so unterschiedliche Lebensstile, dass man sie niemals miteinander in Verbindung gebracht hätte. Außer wenn man von dem eigenwilligen Klamottenstil absah und vor allem den Namen, die danach klangen, als wären die Eltern entweder Junkies, Stripper oder drogenabhängige Stripper gewesen. Roxy Blues war eine extravagant gekleidete Femme Fatale, die rein äußerlich die Älteste der Gruppe zu sein schien. Das Motto „Sex Sells“ war ihr persönlicher Lebensinhalt und für sie konnte es nicht genug Obszönität und Objektifizierung in der Welt geben. In der Musikbranche war sie eine gnadenlose Managerin, die jungen Mädchen einredete, dass das Wackeln mit dem Hintern oder den Brüsten vor der Kamera und laszive Posen das Selbstbewusstsein der modernen Frau symbolisierten. Je mehr nackte Haut und Erotik in den Medien zu sehen war, umso besser konnte sie ihre Klientinnen verkaufen. Ganz egal ob Musikvideos oder gewöhnliche Werbungen. Solange es nichts mit Sex oder Erotik zu tun hatte, war es die Mühen nicht wert. Und im Gegenzug sorgte Roxy natürlich auch dafür, dass die entsprechenden Zielgruppen auf so viel geballte Sexualisierung ansprangen. Ihre engsten Kollegen waren Maria Pastora und Billie Hoke. So viel Erotik in Werbungen und sozialen Medien führten nicht selten zu Neid und Missgunst. Genau hier kam Maria ins Spiel. Trotz ihres unschuldigen Namens war sie eine absolut hinterhältige Giftnudel, die ihr Geld mit dem Schreiben von Kolumnen für Klatschmagazine verdiente. Sie war gefürchtet und geächtet als jemand, der über jeden etwas abzulästern hatte und tagtäglich neue Lügen und Gerüchte in die Welt streute, die sich besser verkauften als Playboyhefte auf der Priesterschule. Jedes Magazin, für das sie mal schrieb, wurde erst unverschämt reich und sah sich dann nach einiger Zeit mit unzähligen Klagen wegen Verleumdung und übler Nachrede konfrontiert, bis das Unternehmen dann durch die vielen Prozesse pleiteging. Billie Hoke machte sein Geschäft mit der Unzufriedenheit der Leute. Denn er wusste genau, dass mangelndes Selbstbewusstsein schnell dazu führte, dass der Mensch ungesunde Essgewohnheiten entwickelte. Die Leute versuchten diese negativen Gefühle irgendwie zu kompensieren und wollten dabei kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie es taten. Er war derjenige, der ihnen die Lösung versprach: kalorienarme Light-Produkte. Dass die darin enthaltenen Inhaltsstoffe dazu führten, dass die Leute nur noch mehr zu essen begannen und diese vermeintlichen Diät-Produkte somit genauso effektiv und sinnvoll wie Sandkästen in der Sahara waren, ahnte kaum jemand. Und selbst wenn sie sich darüber im Klaren gewesen wären, fiel es ihnen schwer, auf diese Produkte zu verzichten. Denn die Inhaltsstoffe machten regelrecht süchtig. An diesem schicksalhaften Tag, als ein Aufruf ihres Herrn Luzifer die Gruppe erreichte, waren Billie und Roxy geschäftlich unterwegs und konnten dem teuflischen Ruf nicht zeitnah genug nachkommen. Maria war mitten in einem Meeting, als sie die Nachricht erhielt und konnte nicht schnell genug reagieren. Also schickte sie schnell die SMS an ihren Bruder weiter, damit er sich an ihrer Stelle um die Vorbereitung für das Treffen der Sieben kümmerte. Diejenigen, die zu der Zeit im Haus anwesend waren, hörten auf die nicht weniger skurrilen Namen Dex Reefer, Deeda Darvon, Lucy Kush und Bennie Tussin. Der Rest der sieben Todsünden hatte einen besonders kreativen Weg gefunden, um Unheil und Sünde in der Welt zu verbreiten. Bennie, Marias jüngerer Bruder, arbeitete als Software-Entwickler für eines der international bekanntesten Unternehmen, die Videospiele vermarkteten. Als Verkörperung der Gier und jüngerer Bruder des Neids war er eigentlich der wahre Erfinder des Pay-to-Win-Konzepts und der Mikrotransaktionen. Seine Idee verhalf seinem Arbeitgeber zu immensem Wohlstand auf Kosten der Gamer, die nicht nur eine enorme Summe zahlen durften um die Spiele überhaupt zu spielen. Sie durften auch noch Geld investieren, um auch einigermaßen vorwärts zu kommen und sich nützliche Waffen, Accessoires und andere Items zuzulegen. Seit Jahren gab es deswegen unzählige Debatten und Proteste, die aber fast immer erfolglos blieben weil die Gier der Menschen unersättlich war. Und wenn er nicht mit regulären Videospielen beschäftigt war, entwickelte er App-Games, die als harmlose Spiele getarnt waren, jedoch einen markanten Casino-Charakter hatten und glückspielsüchtig machten. Bennie war seinerseits ziemlich stolz auf seine Arbeit und war überzeugt, den besten modernen Weg gefunden zu haben, um die Gier der Menschen für sich zunutze zu machen. Und seine geliebte große Schwester war ihm oft genug eine große Hilfe dabei, denn Neid und Habgier waren ohnehin kaum voneinander zu unterscheiden. Als die Nachricht seiner großen Schwester über sein Handy zugeschickt wurde, war er gerade mitten bei der Arbeit (denn er bevorzugte Homeoffice) und hockte in seinem stockfinsteren Zimmer, welches nur von seinem Monitor beleuchtet wurde. Richtiges Tageslicht hatte der Raum schon seit langem nicht mehr gesehen und hätte jemand die Lampe eingeschaltet, wäre nichts sonderlich Ungewöhnliches aufgefallen. Überall hingen Poster zu Videospielen, die in den letzten vier Jahren veröffentlicht worden waren und auf den Regalen waren allerhand dazu passende Sammelfiguren aufgereiht. Es sah aus wie das Zimmer eines leidenschaftlichen Gamers und so sollte es auch sein. Denn jedes Mitglied von Psychodelia legte großen Wert darauf, vollkommen eins mit der Materie zu werden. Gerade hatte Bennie seinen zweiten Energy-Drink ausgetrunken, da vibrierte auch schon sein Handy und Marias Nachricht blinkte auf. Wortlos und ohne vom Bildschirm aufzublicken, griff er danach und warf nur einen kurzen Blick darauf. Es waren nur ein paar kurze Sätze, doch sie reichten völlig aus um den Software-Entwickler dazu zu animieren, sich von seinem Platz zu erheben und die finstere Höhle zu verlassen, die er sein Zimmer nannte. Er steckte sich sein Handy in die Hosentasche, richtete sein schwarzes T-Shirt auf dem in blauer Farbe „Eat Sleep Game Repeat“ untereinander geschrieben stand und zog sich bequeme Schuhe an. Normalerweise ließ er sich immer gerne etwas Zeit, aber da sie von Luzifer persönlich eine Nachricht bekommen hatten, konnte er sich diesen Luxus heute nicht erlauben. Denn den Prinz der Hölle ließ man lieber nicht allzu lange warten. Das machte nur einen schlechten Eindruck. Selbst wenn sie allesamt Dämonen waren und schmutzige Geschäfte und Lügen zu ihrem Lebensunterhalt zählten, schätzte man sogar in der Hölle Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Hastig eilte er hinaus und öffnete die gegenüberliegende Wohnungstür. Diese war in der Regel nie abgeschlossen und es gab auch keinen einzigen Rauchmelder in diesen Räumlichkeiten. Der Grund erklärte sich schnell, wenn man erst einmal eingetreten war. Kaum, dass Bennie die Tür auch nur einen Spalt breit geöffnet hatte, quollen dichte weiße Nebelschwaden hervor und es roch schlimmer als bei einem Woodstock-Konzert. Drinnen hörte er jemanden in einer etwas schrägen und ziemlich schwankenden Tonlage vor sich hin singen, aber sehen konnte er nichts. Der Rauch in der Wohnung war so dicht, dass er nicht einmal zwei Zentimeter weit schauen konnte und er wagte es auch gar nicht erst, überhaupt hineinzugehen. Er wäre schon nach nur drei Schritten komplett weggetreten gewesen und das hätte nur zu unnötigen Verzögerungen geführt. Also blieb er vor dem Eingang stehen und rief stattdessen laut in den Nebel hinein: „Lucy, ich bin’s: Bennie. Komm mal kurz rüber, wir haben Alarmstufe Rot.“ „Was für’n Rot?“ kam es von irgendwo aus dem dichten Kiffer-Nebel zurück. „Ist es Rosenrot oder Karmesinrot?“ „Teufelsrot!“ antwortete Bennie und musste aufpassen, dass er nicht zu viel von dem Zeug einatmete. Obwohl er nur kurze Atemzüge genommen hatte und einen sicheren Abstand wahrte, konnte er dennoch spüren, wie ihm schummrig zumute wurde. „Ich gehe eben die anderen holen. Wir treffen uns dann bei Dee D. Und mach hinne, ja?“ „Null Problemo!“ kam es zurück und das reichte vorerst. Damit schloss er wieder die Tür und ging weiter den Gang entlang, bis er an einer Tür ankam, hinter der ununterbrochen laute Rap-Musik gespielt wurde. Im Gegensatz zu der ersten Tür waren alle anderen abgeschlossen und da die Musik eine ohrenbetäubende Lautstärke hatte, musste er etwas lauter werden. Also schlug er kräftig mit der Faust gegen die Tür, damit er die Musik übertönen konnte. „Dex! Mach mal die Tür auf! Hey! Hörst du mich?“ Er brauchte nicht lange zu warten, als auch schon die Musik ausging und kurz darauf ein junger Mann mit blassem Hautteint und den wohl stereotypischsten Rapper-Klamotten öffnete und Bennie missmutig anstarrte. Es war der vermutlich weißeste Rapper, den Amerika jemals gesehen hatte und dementsprechend kleidete er sich auch. Unter normalen Umständen hätte man Dex Reefer als Rapper nicht wirklich ernst genommen. In der Szene hätte man sich allerhöchstens darüber lustig gemacht, dass er dem Klischee eines weißen Möchtegern-Rappers entsprach, der viel zu verkrampft versuchte, wie ein Gangster zu wirken und dabei wie eine Lachnummer wirkte. Doch der erste Eindruck täuschte, denn kein anderer Musiker in den USA war derart für seine kontroversen Äußerungen in den sozialen Medien bekannt wie Dex. Er schaffte es mit einem unvergleichlichen Talent, mit seinen rassistischen, sexistischen, transfeindlichen, homophoben und antisemitischen Äußerungen zu polarisieren. Nichts liebte er mehr, als Hass zu schüren und er war nicht wählerisch dabei. Seine Songs brachten das ziemlich deutlich zum Vorschein und sie waren größtenteils entweder verboten oder stark zensiert. Trotz seines asozialen und proletenhaften Gebarens besaß er ein erstaunliches Feingefühl und wusste genau, wann er am besten gegen welche Randgruppen wettern musste, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn er mal genug über Ausländer gewettert hatte, machte er eine ganze Reihe antisemitischer Hasskommentare oder machte sich über sogar Frauen mit Brustkrebs lustig. Und wer glaubte, dass er diese Äußerungen deshalb machte, weil er konservativ und religiös war, hatte sich gewaltig geschnitten. Denn Dex hetzte gegen alles und jeden auf, der nicht bei drei auf den Bäumen war. Und es gab genug Leute, die ihm bei seinen Hasstiraden zujubelten und ihn dafür feierten, dass er offen seine Meinung sagte. Er selbst pochte auf sein Recht auf Meinungs- und Redefreiheit um sich wie das größte Arschloch auf Erden zu verhalten. Und wenn er es mal zu weit trieb, nannte er es einfach künstlerische Freiheit oder Satire. Zwar war das nicht wirklich eine überzeugende Ausrede, aber es gab genug Leute, die ihn unterstützten. Der größte Teil der Öffentlichkeit hatte jedoch kein gutes Wort für ihn übrig. Stattdessen verurteilte ihn die breite Masse für seine diskriminierenden und rassistischen Äußerungen und es verging keine Woche, wo er mal nicht in den Nachrichten erwähnt wurde. Doch das kam ihm nur Recht. Er wollte, dass man ihn hasste. Denn auf diese Weise erlangte er erst Recht Bekanntheit und es gab kaum jemanden aus der jüngeren Generation, der seinen Namen nicht kannte. Und je mehr Hass und Aggressionen er in der Bevölkerung schürte, desto wohler fühlte er sich. „Scheiße Mann, Bennie, was lärmst du so rum? Du hast mich voll aus meinem Flow gebracht, Alter“, blaffte Dex und war sichtlich verstimmt. Offenbar hatte er gerade an einem neuen Songtext gesessen und wenn er etwas nicht leiden konnte, dann waren es Unterbrechungen während seiner kreativen Momente. Doch darauf konnte der Software-Entwickler leider keine Rücksicht nehmen, denn sein Anliegen war viel zu dringend, als dass er hätte warten können. „Sorry Mann, aber wir haben eine Code Red Situation. Ich habe Lucy schon Bescheid gegeben und sie kommt auch gleich. Roxy, Maria und Billie sind zurzeit noch unterwegs, aber sie werden auch nachher kommen. Wir sollen schon mal den Rest zusammentrommeln.“ „Oh Fuck, Mann…“, murmelte der Rapper und schloss die Wohnungstür hinter sich. „Klingt ja nach ner Menge Ärger. Was ist mit Dee D.?“ „Zu ihr wollte ich noch“, antwortete Bennie und gestikulierte dabei nervös mit den Händen. Für ihn war das alles viel zu aufregend, denn es war schon Ewigkeiten her, dass ein so hochrangiger Dämon einen Spezialauftrag für sie hatte. Und da es die perfekte Chance für sie alle war, ihren Wert unter Beweis zu stellen, war er aufgeregt wie ein kleines Kind bei der ersten Schultheateraufführung. Plötzlich hörten sie beide jemanden laut rufen und drehten ihre Köpfe in die Richtung, aus welcher der Anwärter der Gier gekommen war. Eine junge Frau in neonfarbenen Klamotten kam auf sie zu und sie sah aus, als wäre sie gerade von einer wilden Rave-Party gekommen und nicht mehr ganz bei Sinnen. Sie hatte ein breites und etwas dümmliches Grinsen, welches nur jemand haben konnte, der völlig zugedröhnt war und nicht genau wusste, was eigentlich gerade passierte. Es war Lucy Kush, das einzige Mitglied von Psychodelia mit einem tatsächlichen Erzdämon als Vater. Sie war das Kind von Belphegor, dem Repräsentanten der Todsünde Trägheit. Nachdem er aber vor längerer Zeit in eine Standuhr versiegelt worden und damit gewissermaßen zwangsweise in den Ruhestand gegangen war, sollte Lucy eigentlich seine direkte Nachfolgerin werden. Sie wäre es auch längst geworden, aber meist war sie viel zu bekifft um sich daran zu erinnern, den dazu erforderlichen Papierkram auszufüllen, um es auch offiziell machen. Lucy scherte sich nicht viel um Arbeit und begnügte sich damit, die Leute zum Drogenkonsum zu animieren, um der unbequemen Realität zu entfliehen. Vor allem Cannabis war sie nicht abgeneigt und liebte es, stundenlang zu chillen und völlig zugedröhnt dazuliegen, an nichts zu denken und alle Sorgen schweifen zu lassen. Ironischerweise war sie aber auch diejenige, die die Gruppe mehr oder weniger zusammenhielt. Denn alle Mitglieder hatten so ziemlich ihre eigene sehr toxische Persönlichkeit und da brauchte es nur eine harmlose Meinungsverschiedenheit, bis sich alle gegenseitig an die Gurgel gingen. In solchen Momenten war Lucy der Klebstoff, der alle zusammenhielt. Denn wer zu faul war, sich zu streiten, der kam für gewöhnlich besser miteinander aus. Das einzige Mitglied, mit dem sie nicht klar kam, war Roxy, was aber auch daran lag, weil Lust und Trägheit sich allgemein nicht gut miteinander kombinieren ließen. Da war man gewissermaßen schon dazu bestimmt, allein aus Prinzip Rivalen zu werden. Andersherum war Lust perfekt kompatibel mit allen anderen Todsünden wenn man genau wusste, wie man sie in Einklang bringen konnte. „Hey ihr zwei!“ rief Lucy breit grinsend, hob die Hand zum Gruß und wankte ein wenig, bis sie dann Bennie um den Hals fiel und ihn fast aus dem Gleichgewicht brachte. Amüsiert darüber kicherte sie und stieß dabei kleine weiße Rauchwolken zwischen den Zähnen hervor. „Na was geht ab?“ Bennie und Dex sagten nichts dazu, denn größtenteils war alles, was Lucy von sich gab, nur zusammenhangloses und geistloses Gerede, das nur aus dem Mund einer Bekifften kommen konnte. Stattdessen löste sich der Software-Entwickler wortlos von ihr, richtete sie wieder halbwegs gerade auf und versuchte sie ein wenig an den Schultern zu stützen, damit sie nicht noch umkippte. „Kommt, gehen wir eben noch Dee D. Bescheid sagen. Die anderen sollten baldmöglichst kommen.“ Dieses Mal ging Dex vor und ging zur letzten Tür am Ende des Ganges. Auch hier konnte man gedämpft Musik hören, allerdings war es hauptsächlich ein Mix aus Pop und Techno und Dex verzog missmutig die Miene. Er hasste Popmusik im Allgemeinen und konnte sich höchstens für die Musikvideos dazu begeistern. Aber dann auch nur, wenn die Frauen heiß genug aussahen. Ungeduldig drückte er die Klingel mehrfach hintereinander, bis endlich die Musik verstummte und kurz darauf die Tür ruckartig aufgerissen wurde. „Scheiße Mann, Dex. Ich hab’s ja gehört, also krieg dich wieder ein!“ blaffte eine tiefe Stimme, die nicht wirklich zu der femininen Erscheinung passen wollte, die im Türrahmen aufgetaucht war. Deeda Darvon, die von allen einfach nur Dee D. genannt wurde, war eine groß gewachsene junge Frau mit dunklem Teint, wasserstoffblondem Haar und viel Makeup. Rein äußerlich entsprach sie dem typischen Bild einer jungen weiblichen Pop-Ikone, die sich für ein starkes Frauenbild und vor allem für eine aufgeschlossenere Gesellschaft einsetzte. Deeda, auch bekannt als zukünftiger Dämon des Hochmuts und Stolzes, gab sich in der Öffentlichkeit als lesbische Transfrau, PETA-Mitglied, extrem engagierte Feministin und allgemeine Linksliberale. Sie verkörperte so ziemlich das genaue Gegenteil zu Dex, der nichts als Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung predigte. Als Musikerin, Bloggerin und Youtube-Star gehörte sie zu den Aushängeschildern der jungen Generation, die sich für Umweltschutz, Akzeptanz, Gleichberechtigung und aufgeschlossene Genderidentität einsetzte. Das waren nicht unbedingt Eigenschaften, die man ausgerechnet einem Dämon zuschreiben würde. Allerdings war Deeda mindestens genauso extrem und radikal in ihren Ansichten und hatte sehr elitäre und eingeschränkte Ansichten, wodurch sie meist übers Ziel hinausschoss. Sie polarisierte genauso wie Dex mit ihren aggressiven Hetzkampagnen gegen Fleischesser, Männer und jeden Menschen auf der Welt, der entweder Cis oder hetero war und prangerte sie in ihren Online-Videos regelmäßig an. Ihrer Ansicht nach sollten Frauen und alle nicht-hetero-Menschen die Macht in der Welt haben und jeder, der nicht in dieses Schema hineinpasste, verdiente es nicht anders, als in der Hölle zu schmoren. Während also Dex die Rechtsradikalen und Konservativen auf seine Seite brachte und gegen jede erdenkliche Randgruppe wetterte, setzte Deeda mit ihrer Armee von selbstheuchlerischen Schneeflöckchen dagegen. Das resultierte regelmäßig in unzähligen Trollangriffen, Hetzkampagnen, Schlägereien, Brandstiftungen und Cybermobbing mit diversen Morddrohungen. Umso bizarrer war das Ganze, wenn man bedachte, dass Dex und Deeda Zwillinge waren und sich eigentlich bestens verstanden. Ihre erbitterte Feindschaft, die in den Medien immer wieder Stoff für Diskussionen lieferte, war nichts weiter als ein Spiel, das sie beide mit viel Enthusiasmus und Schadenfreude spielten. Je mehr Chaos und Zerstörung sie dabei anrichteten, umso besser. Stolz und Zorn puschten sich immer gegenseitig und richteten ein wahres Desaster an, wenn sie aufeinander trafen. Begrenzte man den verheerenden Schaden allein aufs Internet und die sozialen Medien, konnte ihr Aufeinandertreffen ziemlich gut mit der Kollision zweier Sterne verglichen werden: wenn es zwischen den beiden knallte, blieb kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Aus diesem Grund achten selbst die restlichen Mitglieder von Psychodelia darauf, die Zwillinge niemals alleine zu lassen und sie möglichst selten direkt aufeinandertreffen zu lassen. Dazu triggerten sie sich beide gegenseitig viel zu sehr, als dass es lange gut gehen könnte. Ließ man die beiden zu lange unbeaufsichtigt zusammen, führte das in fast allen Fällen zu immensen Kollateralschäden und ziemlich viel Papierkram. Aber nun, da die ganze Gruppe zur Versammlung aufgerufen wurde, waren sie alle gezwungen, dieses Risiko einzugehen. Bennie spürte bereits, wie ihm die Nerven durchzugehen drohten, aber es beruhigte ihn auch zu wissen, dass Lucy bei ihnen war. Sollte die Sache also eskalieren, würde sie die beiden Zwillinge des Verderbens schnell wieder auf den Teppich holen. „Tut mir leid, dass wir stören“, entschuldigte er sich hastig. „Aber ich habe eine Nachricht von Maria bekommen. Wir haben Alarmstufe Rot und…“ „Teufelsrot!“ unterbrach Lucy ihn mit aufgesetzter Ernsthaftigkeit, prustete aber dann auch wieder vor Lachen und fand sich selbst dabei unfassbar witzig. Bennie ignorierte diesen Einwurf und erklärte „Maria hat mich benachrichtigt, dass wir einen Auftrag vom Boss haben.“ „Welchen Boss?“ fragte Deeda irritiert und verzog ein wenig die Mundwinkel, wobei ein goldener Eckzahn an der oberen linken Seite zum Vorschein kam. „Den Boss, den Boss-Boss oder den Oberboss?“ „Äh, den Boss-Boss… denke ich…“, murmelte Bennie, war sich aber nicht so ganz schlüssig. Um es aber etwas verständlicher zu machen, erklärte er „Ich spreche von Luzifer!“ Wenn man dachte, dass allein der Himmel mit unübersichtlicher Hierarchie und nicht funktionierenden bürokratischen Abläufen zu kämpfen hatte, war man schnell einem Irrtum auferlegen. Tatsächlich war der ganze organisatorische Ablauf im weltlichen Kellergeschoss genauso chaotisch und verwirrend wie sein himmlisches Pendant, was vor allem daran liegen mochte, dass die Verantwortlichen selbst Engel gewesen waren. So kam es ziemlich häufig vor, dass Dämonen niedrigen Ranges oftmals gar nicht wussten, wer denn jetzt eigentlich ihr direkter Vorgesetzter war und welcher Fürst, Herzog, Graf oder Marquis für welchen Teil der Hölle zuständig war. Ganz zu schweigen davon, dass die meisten von ihnen sich nicht mit der Monarchie auskannten und dementsprechend nicht mal wussten, wie die Rangfolge all dieser Adelstitel war. Auch die Mitglieder von Psychodelia wussten nicht wirklich, welcher Dämonenherrscher überhaupt das Sagen hatte oder nicht. Also hatten sie sich eine Faustregel zurechtgelegt: Luzifer und Satan standen am allerobersten und deshalb war jedem ihrer Aufrufe unbedingt Folge zu leisten. Zwar hatten sie auch noch einen direkten Vorgesetzten, aber keiner konnte sich überhaupt noch daran erinnern, wer das jetzt eigentlich genau war. Und manchmal brachten sie sogar Luzifer und Satan durcheinander und wussten nicht, wer von beiden jetzt der König und wer der Prinz war. Fairerweise waren sie nicht die Einzigen, denn die meisten Menschen schafften es ja nicht einmal, Luzifer und Satan überhaupt auseinanderzuhalten. Wie konnte man da von jungen Dämonen erwarten, dass sie besser differenzieren konnten, wenn diese sowieso die meiste Zeit außerhalb der Hölle verbrachten? Als der Name Luzifer fiel, hoben sich Deedas Augenbrauen überrascht und sofort trat sie beiseite, um ihre drei Kameraden hereinzulassen. „Wow, das klingt ja echt dringend“, meinte sie und wies die drei an, ins Wohnzimmer zu gehen. Da sie von allen die größte Wohnung hatte, war sie meistens die Gastgeberin bei wichtigen Meetings. Aber auch deshalb, weil ihre Todsünde in der Rangfolge den ersten Platz belegte. Das Wohnzimmer war groß genug, um allen sieben Mitgliedern bequeme Sitzmöglichkeiten zu bieten. Angefangen von einer großen Couch bis hin zu ergonomischen Sitzsäcken, in die man so tief hineinsank, dass man nie wieder aus eigener Kraft aufstehen konnte. Deeda wartete, bis sich alle gesetzt hatten und wandte sich dann fragend an Bennie. „Was ist mit dem Rest der Truppe? Kommen die noch oder was ist los?“ „Maria hat geschrieben, dass sie bald hier sein wird“, antwortete der Software-Entwickler. „Ich schätze mal, Billie und Roxy dürften auch bald aufkreuzen. Ich habe aber noch keinen Plan, was genau der Auftrag ist. Vermutlich werden wir das noch früh genug erfahren.“ „Ist doch geil, Mann. Dann können wir mal so richtig auf den Putz hauen“, rief Dex und grinste in heller Vorfreude bei dem Gedanken, sich mal wieder eine richtig heftige Schlägerei zu liefern. Vielleicht hatte er Glück und es waren ein paar Randgruppen-Vertreter dabei. Das machte sich richtig gut in den Nachrichten. „Ist echt lange her, seit wir das letzte Mal die Sau rausgelassen haben. Yo, Dee D. Wie viele Tote gab’s bei unserer letzten Massenschlägerei?“ „Nicht viele“, seufzte die Pop-Ikone und nahm nun zwischen ihrem Bruder und Bennie auf dem Sofa Platz. Lucy hatte sich einfach in den Sitzsack fallen lassen und döste vor sich hin, während sie kaum etwas von dem mitbekam, was um sie herum passierte. „Gerade mal sieben Tote und knapp 240 Verletzte. Wir waren echt schon mal besser gewesen.“ „Vielleicht haben wir ja Glück und wir dürfen wieder eine solche Party feiern“, vermutete Dex. „Ist doch das beste Unterhaltungskino das wir bieten können. Rechtsradikale und Linksradikale, die sich gegenseitig die Scheiße aus dem Leib prügeln… So viel Unterhaltung gibt’s da unten nicht. Ich wette mit euch, die warten nur darauf, dass wir endlich mal wieder ein Großprojekt starten.“ „Yeah, das wär’s echt. Totale Anarchie und Massenpanik. Am besten mit Massenaufruf über Instagram und Twitter mit Treffpunkt“, stimmte Deeda breit grinsend zu. „Dann können meine Leute deinem Verein von rassistischen, weißen Patriarchen gehörig den Arsch aufreißen und dann sehen wir ja, wer von uns beiden Recht hat.“ „Träum weiter. Als ob deine politisch korrekten Weicheier eine Chance gegen meine Gang hätten. Meine Leute fressen Stacheldraht zum Frühstück und pissen Napalm!“ „Pfft, wenn’s so gut funktioniert wie dein vermeintliches Schwulenradar oder dein Judenradar, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen“, spottete Deeda. „Ich habe den Großteil der Öffentlichkeit auf meiner Seite, während du nur von zurückgebliebenen Inzestmissgeburten, Hinterwäldlern und Pferdefickern aus den Südstaaten und arbeitslosem White Trash unterstützt wirst.“ Dex wollte darauf etwas erwidern, doch Bennie ahnte, dass das nur weiter eskalieren würde und versuchte hastig die Gemüter wieder zu beruhigen. Als das aber nichts brachte und sich die beiden Zwillinge wieder gegenseitig anstachelten, beschloss der Dämon der Gier, dass es das Beste wäre, mit Lucy den Platz zu tauschen. Wenn die Zwillinge erst einmal genug von Lucys Dunst inhaliert hatten, würden sie schon früh genug das Interesse an ihrer Geschwisterrivalität verlieren. Tatsächlich schien das auch zu wirken, denn kaum saß die träge Kifferin zwischen den beiden Geschwistern, wurde es mit einem Male deutlich ruhiger. Blieb nur zu hoffen, dass es auch anhielt, bis der Rest der Gruppe eingetroffen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)