Deine Tränen auf meiner Wange von Stiffy (Meine einzige Freiheit) ================================================================================ Kapitel 4: Mein und dein Tag ---------------------------- Sein Geburtstag war kein Alptraum, aber als schön empfand Lucius ihn auch nicht. Wie erwartet kamen viele Verwandte und sagten ihm, wie groß er doch bereits geworden sei. Das ein oder andere Mal musste er es sich verkneifen, ihnen zu sagen, dass sie dafür aber entsetzlich alt geworden waren; innerlich lachte er darüber und wollte diesen Spaß so gerne mit Xaves teilen. Dieser jedoch war an diesem Tag abweisend wie selten. Er bediente Lucius gut, keine Frage, aber er sah ihn selten an, lächelte nie. Vielleicht zerbrach das dem Prinzen am meisten den Kopf, und den Kuss hatte er daher schon wieder vollkommen vergessen. Auf diese Weise brachte er beides wenigstens nicht miteinander in Verbindung, auch wenn es genau dies war, was Xaves dazu veranlasste, sich derart zu verhalten. Der junge Diener wusste sehr wohl, dass damit etwas passiert war, das nicht zu ihnen gehören sollte; er kannte die Regeln des Spiels. Lucius hingegen ahnte von ihnen nichts und nahm sich bloß vor, morgen mit seinem Freund wieder auszureiten und viel Spaß zu haben. Natürlich bekam Lucius unendlich viele Geschenke, große, kleine, monströse. Er setzte das glückliche Gesicht auf, welches man von ihm erwartete, doch ebenso wie in den Jahren zuvor bedeuteten ihm die Sachen nichts. Er würde mit ihnen spielen, sie nutzen… doch waren es alles nur steife Dinge und erst jetzt, ein Jahr später, wurde ihm klar, dass Xaves das beste Geschenk gewesen war, das man ihm hatte machen können. Er wusste aber mittlerweile auch, dass es falsch war, den Diener überhaupt als Geschenk zu betrachten. Er war ein Junge wie er, der eigentlich frei sein sollte; dennoch wollte Lucius gar nicht erst darüber nachdenken, dass Xaves nicht da sein könnte. Also lenkte er sich mit anderen Gedanken ab; zum Beispiel wurde ihm bewusst, dass er Xaves noch nie etwas geschenkt hatte. Natürlich, Filena könnte man als Geschenk bezeichnen, oder vielleicht die Kleider, die er ihm gab, doch ein wirkliches Geschenk hatte Xaves nie von ihm erhalten. Nicht mal an seinem Geburtstag, denn Lucius fiel erschrocken auf, dass sie ein Jahr miteinander verbracht hatten, ohne diesen Tag überhaupt zu erwähnen. Wann hatte Xaves Geburtstag? Lucius wusste es nicht und den restlichen Tag konnte er kaum an etwas anderes denken. So verging der förmliche Teil des Tages irgendwie und als die letzten Gäste mit dem Königspaar verschwunden waren und Lucius’ Anwesenheit nicht mehr erwartet wurde, begann dieser, Xaves zu suchen. Schon seit einiger Zeit hatte er den Jungen nicht mehr gesehen; in der Küche fragte er nach ihm und Calia riet, bei den Pferden nachzuschauen. Xaves hatte sich irgendwann, als es später geworden und Lucius gerade in ein Gespräch mit einer Tante verwickelt gewesen war, in der Box von Filena verborgen. Das große Tier hatte sich nach einer Weile zu ihm auf den Boden gelegt und er drückte sich an ihren Bauch heran, streichelte die Nüstern. Lucius hörte er nicht kommen, zumindest zeigte er nicht, ob er es tat. Daher blieb der Prinz einen Moment versteckt stehen und beobachtete Tier und Mensch in ihrer Zweisamkeit. Ein trauriges Gefühl ergriff ihn dabei, selbst wenn er nicht verstand, woher dies kam. Vielleicht aus Xaves’ Augen, denn sie waren es, die tieftraurig wirkten. „Xaves“, trat Lucius leise an die Box heran; der Name drang nur schwer über seine Lippen. Sowohl Filena als auch der Junge zuckten hoch, suchten ihn mit den Augen. Filena fand ihn wohl zuerst, sie legte den Kopf wieder nieder. Xaves jedoch richtete sich auf und versuchte ein Lächeln. „Was ist los?“ Lucius kam in die Box hinein und glitt in all den prachtvollen Kleidern, die er trug, zu dem anderen Jungen ins Stroh hinab. „Wieso bist du traurig?“ „Bin ich nicht“, erklärte Xaves und wollte wegschauen, doch Lucius packte sein Kinn, so wie er es seit dem ersten Tag nicht mehr getan hatte. Fast war er grob dabei, doch er ertrug es nicht, dass Xaves ihm weiter ausweichen wollte. „Was ist los mit dir?“, fragte er wieder. Doch Xaves schüttelte bloß den Kopf, befreite sich und stand auf. Er klopfte sich kurz die Kleider ab, streichelte noch einmal Filenas Blesse und dann ließ er die Box hinter sich. Auch Lucius war sogleich auf den Beinen; ein Stück weiter hielt er Xaves fest. Langsam wurde er wütend; verzweifelt verstand er diese Situation einfach nicht. „Sag mir sofort was-“ „Ich bin dein Diener!“, platzte Xaves heraus und schlug die Hand weg. Er wich zurück und wollte laufen, doch letztendlich verbarg er bloß sein Gesicht hinter einem Arm. „Das weiß ich.“ Lucius drückte den Arm hinab. „Aber es ist doch-“ „Ich bin dein Diener!“, zischte Xaves dieselben Worte ein weiteres Mal. Nun plötzlich standen ihm Tränen in den Augen und Lucius verstand sie nicht. „Xaves, was ist denn bloß-“ „Du hast mich geküsst!“ Sie waren wie ein Schlag ins Gesicht, diese Worte. Lucius fuhr bei ihnen zusammen und errötete schlagartig bis zum Haaransatz. Er hatte den Vorfall des Morgens vollkommen vergessen; doch Xaves schien er zu quälen. Damit hatte Lucius nicht gerechnet. „Na und? Ich meine-“ „Na und? Ich bin dein Diener, verdammt noch mal!“ „Nein!“, schrie Lucius nun plötzlich. Er fuhr vor und griff grob nach dem zitternden Körper. „Nein, hörst du? Sag das nicht! Du bist mein Freund! Okay? Ist das klar? Du bist mein bester Freund!“ „Und dein einziger…“ Xaves’ Stimme brach. „Ja, na und? Du bist der einzige Mensch, der mir wichtig ist!“ Was es war, an diesen Worten, das Xaves nun in Lucius’ Armen zusammenbrechen ließ, war dem Prinzen nicht klar, aber er hatte sehr viel Mühe damit, den Körper zu stützen, während dieser sich an ihn klammerte und fürchterlich bebte. Das Schluchzen zerriss die Luft, die Tränen durchtränkten sein Hemd, und alles, was er in diesem Augenblick tun konnte, war, den anderen Jungen festzuhalten. Zu mehr verstand er sich nicht, immerhin hatte er keinen Schimmer, was hier gerade vor sich ging. Zum Glück war es Calia, die die beiden später im Stall fand. Sie saßen auf dem kalten Steinfußboden vor den Boxen und hielten sich aneinander fest; Xaves war mittlerweile eingeschlafen, Lucius dämmerte vor sich hin. „Was ist denn los?“, fragte die alte Köchin sanft und hob ihren schlafenden Schützling auf ihre Arme. „Ich weiß es nicht“, erhob auch der Prinz sich nun. Er spürte, dass seine Beine eingeschlafen waren und er kaum einen Schritt gehen konnte. Außerdem fror er fürchterlich. „Na komm, ihr solltet ins Bett gehen.“ Lucius nickte bloß und folgte der Frau, welche behutsam Xaves trug. Dessen Hand hing schlaff herab und am liebsten hätte Lucius nach ihr gegriffen, stattdessen starrte er sie nur an, wie sie sanft baumelte. Im Schlafgemach wurden sie von der besorgten Liz empfangen, die erleichtert war, als sie den Prinzen wohlauf entdeckte. Sie fragte nach einem Bad, doch er schüttelte den Kopf und zog sich die Kleider vom Leib. Calia schien ein wenig verwirrt, als sie das überfüllte Bett Xaves’ sah, doch Liz erklärte ihr, den Jungen in des Prinzen Bett zu legen. Dies schien die alte Frau nur noch mehr zu verwirren, doch sie tat es und dann gingen sie hinaus, da Lucius erklärte, er wolle nun alleine sein. Zunächst aber, nachdem sie es waren, schlug er die Decke wieder zurück. Auf sein Hetzen hin hatte Calia Xaves in seiner Dienstrobe belassen. Lucius spürte einen namenlosen Schmerz in seinem Körper, wie er den schlafenden Jungen in diesen Kleidern liegen sah; es gefiel ihm nicht, es sah so falsch aus. Also zog er ihm vorsichtig die Kleider vom Leib. Es war schwer, denn er hatte noch nie zuvor versucht, einen schlafenden Körper zu entkleiden; er hatte es sich nicht derart schwierig vorgestellt. Doch aufgeben wollte er auch nicht und bei der Hose angekommen, war er fast schon froh, als Xaves die Augen aufschlug. Zunächst lief ein erschrockenes Zucken durch den kalten Körper, doch schnell verstand der Junge, wo er sich befand und beäugte stattdessen Lucius. Dieser grinste ihn vom Bettende aus an, ein Hosenbein unbeholfen in der Hand. Es war deutlich, dass Xaves sogleich protestieren wollte, doch Lucius schüttelte bestimmt den Kopf. „Du kannst so nicht schlafen“, erklärte er und zog wieder an der Hose. Xaves half ihm nun widerwillig und schnell waren sie fertig, der Junge bis auf die Unterhose entkleidet. Nun zog Lucius sofort die Decke über sie und schlang die Arme um den Körper seines Freundes. Der wehrte sich nicht, aber er schmiegte sich auch nicht an ihn, wie er es sonst oft tat. Stattdessen wirkte er steif und unbeweglich. Am liebsten hätte Lucius wieder gefragt, was denn bloß los sei, denn er hatte es noch immer nicht begriffen, doch stattdessen fiel ihm eine andere Frage ein, welche er doch eigentlich den ganzen Tag so brennend auf der Seele gehabt hatte. „Wann hast du Geburtstag?“, sprach er sie nun aus. Ein kurzes Zucken im schmalen Körper. „Morgen“, kam es dann; es klang stumpf. Lucius fuhr zusammen. Er hatte wohl mit allem gerechnet, doch nicht mit dieser Offenbarung. „Ist das dein Ernst?“ „Ja.“ „Aber dann hattest du… letztes Jahr…“ „Ja.“ „Warum hast du nichts gesagt?“ „Weil ich nur ein Diener bin.“ Lucius ließ ein Knurren hören bei diesen Worten, schüttelte den Kopf. „Ich sagte doch-“ „Hör auf“, unterbrach Xaves mit fester Stimme. „Selbst wenn ich für dich ein Freund bin… für deine Eltern, für alle anderen bin ich nur dein Diener. So wie Liz und Calia es auch sind…“ „Aber…“ Lucius setzte zu einem erneuten Protestversuch an, verstummte dann aber, da ihm augenblicklich bewusst wurde, dass es zumindest eine Ähnlichkeit gab: Er hatte tatsächlich keine Ahnung, wann die beiden Frauen ihren Geburtstag feierten. Sie hatten es nie für nötig gehalten, es zu erwähnen, und selbstverständlich hatte er selbst nie gefragt. Ebenso hatte er auch Xaves bis heute nicht gefragt. Ihm wurde eiskalt bei diesem Gedanken. „Was wünschst du dir?“, brach er nun hervor, da es ihm unangenehm war, seine Erkenntnis zuzugeben. „Nichts.“ „Aber du musst doch-“ In dem Moment glitt Xaves näher an ihn heran, schmiegte sich endlich gegen ihn. „Alles, was du mir geben kannst, habe ich schon.“ Sein Atem kitzelte Lucius’ Brust und die Finger pressten sich gegen seinen Rücken. Diese Nähe tat so gut. „Aber irgendetwas-“ „Vor einem Jahr hätte ich meine Freiheit gewollt, doch heute will ich sie nicht mehr.“ Lucius fühlte sich schlecht bei der Erkenntnis, die ihm diese Worte brachten, daher erwiderte er nichts darauf, dafür fiel ihm etwas anderes ein. „Wenn du dir je etwas wünschst“, sprach er zögernd, „sagst du es mir dann? Ich werde es dir schenken!“ „Wirst du?“ „Ja. Versprochen.“ „In Ordnung.“ Xaves schmiegte sich noch näher und sein Gähnen stieß Lucius gegen den Hals. Der sog den Geruch von Xaves’ Haaren ein, der ihm so vertraut wie sein eigener war. Er atmete tief in die weichen Strähnen hinein und merkte, wie die Ruhe irgendwo in ihn zurückkehrte; „Lass uns schlafen“, flüsterte er und tatsächlich hatte die Nacht sie beide schnell mit sich genommen. ~ * ~ Den nächsten Tag, Xaves’ Geburtstag, begann Lucius sehr früh. Er verließ das Bett, während der Junge noch schlief, und wollte Liz und Calia davon erzählen. Er war erschüttert, dass die beiden schon über den Geburtstag bescheid wussten; sie hatten schon ihre kleinen Pläne geschmiedet. Einen Moment lang bedrückte dies den Prinzen wieder, da er spürte, dass es noch mehr wichtige Dinge gab, die Xaves und er nicht teilten, doch schnell warf er diese Gedanken fürs erste von sich und beschloss stattdessen, den beiden Frauen zu helfen. Zum ersten Mal nahm er nun also an den Planungen für einen Geburtstag teil; er fand es erstaunlich, was die Leute alles bedachten, obwohl sie nur etwas sehr Kleines planten. Lucius hätte es gerne größer gestaltet, doch er wusste auch, dass seine Eltern es nicht erlauben würden. Also entschied er sich dazu, heute Nachmittag mit Xaves ganz weit weg zu reiten, nur sie zwei, und auch wenn sie dies oft taten, heute wünschte er sich noch mehr als sonst, Xaves auf einer riesigen Blumenwiese befreit lachen zu sehen. Sie würden mit aller Kraft die Schwärze der letzten Nacht von sich schütteln. Alles mit Calia abgesprochen, huschte er wieder zu seinem Schlafgemach hinauf. Er hoffte, dass Xaves noch immer schlief, doch der Junge empfing ihn mit offenen Augen. Er hatte schon wieder begonnen, aufzuräumen. Lucius zog ihn vom Schrank zurück in seine Arme. „Herzlichen Glückwunsch!“, sagte er hier und presste den Körper, der noch immer schmächtiger als sein eigener war, dafür aber um einiges stärker, an sich. Xaves schien sich zu freuen, zumindest verriet dies seine Stimme, als er sich bedankte. „Hast du jetzt einen Wunsch?“ Lucius sah ihn erwartungsvoll an. „Nein.“ Lucius verdrehte die Augen. „Komm mit!“ Er zog den Jungen mit sich. Hand in Hand rannten sie die Treppen hinab, Xaves stolperte dabei beinahe und Lucius fing ihn lachend auf. Dann liefen sie weiter und obwohl es gar kein so langer Weg war, kamen sie prustend bei der Küche an. Lucius schob den Blonden durch die Tür und sofort begann das Lied, welches schon lange geplant gewesen war. In der Mitte des Raums, auf einer notdürftig hergerichteten Tafel, standen Unmengen an Schüsseln und ein paar kleine Geschenke lagen dazwischen. Xaves stiegen Tränen der Rührung in die Augen, das sah Lucius, als er ihn von der Seite betrachtete, und es freut ihn sehr. So voller Liebe war für ihn noch nie gesungen worden, doch er beneidete Xaves nicht, sondern er freute sich und wünschte, sein Freund könnte diesen Augenblick noch einen Moment länger genießen. Doch das ging nicht, denn der Tag der Bediensteten musste weitergehen. Nur Liz und Calia hatten ihre Aufgaben ein wenig verteilt, so dass sie sich an den Seiten der kleinen Tafel niederlassen konnten. Lucius blieb neben Xaves stehen, der sich zögernd auf den Schemel setzte. Der Junge schielte zu Lucius hinauf, doch als dieser nur grinste, schien er beruhigt zu sein. Es waren wirklich keine besonderen Geschenke, die Xaves auspackte, doch er freute sich über jedes einzelne mehr als Lucius sich je über seine gefreut hatte. Außerdem genoss er die Frühstücksspeisen, welche in den Schüsseln auf ihn warteten, und welche er auch Lucius probieren ließ. Dieser kostete sie fröhlich und hatte gleichzeitig ein komisches Gefühl, weil keines der Päckchen von ihm gewesen war. Aber was hätte er dem Jungen schenken können? Er wusste es wirklich nicht. Er hatte noch nie ein Geschenk gemacht; er wusste gar nicht richtig wie das ging. So also genoss er einfach die fröhliche Stimmung in der Küche, bis seine Mutter ihn rufen ließ und er sofort wusste, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Aus dem Grunde wollte er auch zunächst nicht zu ihr gehen. Er ergriff Xaves’ Hand und hielt sie fest; der Junge sah ihm in die Augen und lächelte. Da verspürte Lucius mit einem Mal ein unheimliches Bedürfnis danach, Xaves hier und jetzt zu küssen. Es verwirrte ihn dermaßen, dass er die Hand zurück riss und aufsprang. Schnellen Schrittes entfernte er sich mit hochroten Wangen. So war er gar nicht wirklich bereit dazu, seinen Eltern unter die Augen zu treten. „Was ist heute in der Küche los?“, wollte die Königin wissen, als er dann schließlich doch vor ihr stand. Sie musterte ihn mit scharfen Augen und ihm fielen die Unterschiede zu dem Blick auf, den Calia gestern noch Xaves geschenkt hatte. Der Blick hatte ihm besser gefallen. „Xaves hat Geburtstag“, erklärte er nun einfach stur. „Wir feiern.“ In seinem Bauch wirbelte noch immer das merkwürdige Gefühl herum, welches er soeben Xaves gegenüber empfunden hatte. Er konnte sich nicht wirklich auf etwas anderes konzentrieren. „Ihr… feiert?“ Der König verschluckte sich fast an seinem Frühstück und prustete empört los. „Junge, das geht nicht! Ihr könnt doch nicht-“ „Doch!“, fauchte Lucius ihn an, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Gerade konnte er sich jedoch nur sehr schwer zu irgendwas kontrollieren. „Wir können! Nur heute, das hat er verdient, immerhin hast du seine Eltern umgebracht!“ Es war mit einem Schlag so still im Raum, dass man wohl einen einzelnen Halm Stroh hätte fallen hören können. Von einer zur anderen Sekunde lief der König vor Wut rot an, doch auch Lucius sah nicht minder wütend aus. Er hatte den Ausspruch gemacht, ohne darüber nachgedacht zu haben, doch mit einem Mal wurde ihm klar, dass er die Worte schon lange einmal hatte sagen wollen. Er hatte den Vorwurf schon seit Monaten auf der Zunge getragen. „Raus!“, donnerte der König im nächsten Augenblick und seine Stimme klang bedrohend, wie vielleicht noch nie zuvor. „Ich will dich heute nicht mehr sehen!“ „Nichts lieber als das!“ Und damit machte Lucius auf dem Absatz kehrt und stampfte durch die großen Türen hinfort. Die Wut, welche er im Herzen trug, hätte er nicht greifen können. Zu mächtig war sie und das, obwohl ihm nicht klar gewesen war, dass sie überhaupt existiert hatte. Um eine Ecke herum stieß er mit Xaves zusammen. Der sah sofort, dass etwas nicht in Ordnung war, doch Lucius wollte nicht darüber sprechen. „Lass uns ausreiten“, sagte er stattdessen und lief weiter. Xaves folgte dem Prinzen nur schnell, verwirrt durch die Wut, welche er in den Augen lodern sah. Er verspürte das Bedürfnis, nach der bebenden Hand zu greifen und ihn zu beruhigen, aber er glaubte auch, dass es nun besser war, Lucius einfach wütend sein zu lassen; Xaves wusste ja nicht, was vorgefallen war und vermutlich war es gut, dass er es nicht wusste, denn sonst hätte er sich noch größere Vorwürfe gemacht als die, welche ohnehin bereits seit Minuten durch ihn zogen. Er wusste doch sehr wohl, dass sein Geburtstag vom Prinzen nicht gefeiert werden sollte; dennoch konnte er nicht darum herum, ein wenig Glück im Herzen zu spüren und seinen Eltern zuzuflüstern, dass er froh war, an diesem Tag bei diesem Jungen sein zu können; in diesem Moment würde er alles dafür tun, also folgte er nun auch einfach, ohne Fragen zu stellen. Lucius’ Weg führte zunächst in die Küche, aus der er einen Korb mit Essen holte, welchen er schon am Morgen bei Calia bestellt hatte, dann zogen die beiden sich schnell um und sattelten Minuten später bereits die Pferde. Lucius war froh, als er endlich auf Calvaros Rücken steigen konnte und schnell trieb er ihn zum Galopp. Der Wind, der ihm nur Sekunden später kalt um die Ohren blies, tat dem Prinzen gut und er trieb das Tier immer schneller an, so dass Filena kaum Schritt halten konnte. Erst bei der wunderbaren Blumenwiese hielten sie an und Lucius fiel hinab ins Gras. Hier brüllte er, keine Worte, sondern einfach viele Laute heraus; seine Wut, der Xaves nur zuhören, sie aber nicht verstehen konnte. Aber er ließ den Prinzen schreien, dem dies gut zu tun schien und nur Minuten später richtete sich der aufgebrachte Junge auch schon grinsend auf, als sei nichts geschehen. „So!“, sagte er und streckte die Arme zu Xaves hinauf. „Komm her! Jetzt haben wir einen wunderschönen Tag!“ Es wurde wirklich ein wunderschöner Tag, an dem beide Jungen ihre Gedanken nicht mehr um unschöne Dinge kreisen ließen. Sie lachten die ganze Zeit und genossen die Sonnenstrahlen wie nie zuvor. Alle Laster warfen sie von sich und waren einfach zwei ganze normale Junge, zwei Freunde, wie sie enger nicht hätten sein können. Am Abend dann schliefen die erschöpft, doch glücklich im Arm des anderen ein. Liz war es, die anschließend in das Zimmer schlich und die größte Unordnung beseitigte, den leeren Korb mitnahm und zuletzt Stirn runzelnd einen besorgten Blick auf die schlafenden Körper warf. Sie dachte daran, wie gut es war, dass das Königspaar die Gemächer des Prinzen nie betrat, denn auch wenn Lucius sicher glaubte, die Situation ganz einfach erklären zu können, so wäre ihm dies nicht möglich gewesen. Denn auch ohne die beiden Kinder so eng verbunden zu sehen, planten die Eltern bereits, Xaves ab sofort ein eigenes Zimmer zuzuweisen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie diese so selbstverständlich aneinander geschmiegten Körper gesehen hätten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)