Deine Tränen auf meiner Wange von Stiffy (Meine einzige Freiheit) ================================================================================ Kapitel 10: Kälte zwischen unseren Herzen ----------------------------------------- Vom Morgengrauen wollten beide Jungen nichts wissen. Sie erwachten fast zur selben Zeit und gruben sich tiefer unter die Decke, klammerten sich aneinander und versuchten wieder, Schlaf zu finden. Es gelang nicht, denn geschlafen hatten sie schon genug, und zudem quälten sie die Gedanken viel zu arg. Lucius griff nach Xaves’ Hand und berührte sie sanft mit den Lippen. Er wollte dem Jungen sagen, dass er ihn nie loslassen würde, doch die Worte wollten ihm nicht über die Lippen dringen. Stattdessen schwieg er einfach und sie sahen sich an, mit einer Trauer im Blick, die sie beide noch nicht erfahren hatten. Um diese zu vergessen, begannen sie sich zu küssen und merkten sofort, wie gut dies als Ablenkung tat. Schnell wurden ihre Berührungen intensiver und sie schafften es schließlich, wenigstens für kurze Momente der gemeinsam Ekstase und Sehnsucht, nicht mehr an ihre Sorgen zu denken. Anschließend waren sie erneut eingeschlafen, eng miteinander verwoben, und wurden schließlich von Liz geweckt, welche das Frühstück ausnahmsweise in dieses Zimmer brachte. Es fiel heute sehr spärlich aus, denn sie hatte richtig gedacht: die Jungen hatten überhaupt keinen Hunger. „Soll ich euch sonst etwas bringen?“, fragte Liz daher und stellte das Tablett auf einer Kommode nahe dem Bett ab. Lucius schüttelte den Kopf, während er Xaves näher an sich zog, falls irgends möglich. Er plante, den gesamten Tag über dieses Bett nicht mehr zu verlassen. Doch das musste er tun, ziemlich bald schon, als Liz erneut kam, mit noch besorgtem Blick als zuvor. „Eure Mutter will euch sehen“, erklärte sie. „Wann?“ „So bald wie möglich.“ Lucius nickte und sie ging wieder. Er presste die Lippen auf Xaves’, damit er nicht wieder anfangen würde, zu schreien. Der Weg zum Arbeitsgemach der Mutter fiel ihm ausgesprochen schwer. Xaves hatte nicht mitkommen wollen, doch Lucius bat ihn mit flehendem Blick so lange, bis der Junge endlich resignierend nickte. Also schlichen sie nun gemeinsam den Gang entlang und Lucius spürte, wie er sich mit jedem Schritt kleiner fühlte. Er schämte sich vor Xaves, dass er noch immer keine Lösung des Problems im Sinn hatte. Dabei hatte er auch noch immer nicht vor, das Geplante geschehen zu lassen. An der Türe trennten sie sich. Am liebsten hätte Lucius seinen Freund geküsst, zwang sich aber, es hier nicht zu tun. Es waren zu viele Augen um ihn herum; er wusste ja nicht, dass sie bereits alle seit langer Zeit die Wahrheit erkannt hatten. Er schlich durch die Tür, welche hinter ihm schwer ins Schloss fiel. Seine Mutter saß hinter ihrem riesigen Schreibtisch und lächelte ihn an. Er kam nicht drum herum, zu denken, wie kühl sie auf ihn wirkte. „Was willst du?“, blieb er trotzig wie das Kind, welches er auf gewisse Weise ja immer noch war, mitten im Raum stehen. „Mit dir reden, setz dich doch bitte.“ „Nein.“ „Lucius, setzt dich!“ Es kam scharf und bestimmt und er setzte sich endlich ihr gegenüber. Das kühle Lächeln gefror noch mehr. „Und jetzt?“ Sie überhörte absichtlich den trotzigen Ton und war wieder nur froh, dass ihr Gatte nicht bei ihr war. Der König war bereits wutentbrannt überall herumgetobt und hatte alle möglichen Drohungen und Flüche ausgesprochen. Wenn in diese Wut hinein nun noch die Wut des Sohnes fließen würde, ginge er vermutlich irgendjemandem an die Gurgel. Also hatte sie zu ihrem Ehemann gesagt, dass sie gerne diesen Moment alleine mit Lucius sein würde, alleine mit ihm sprechen. Sie glaubte, dass es etwas bringen würde, etwas Mutterliebe zu zeigen, damit er ruhiger wurde, sich vielleicht umstimmen ließe. Das Problem, welches sie dabei leider nicht sah, war, dass sie nie gelernt hatte, wie echte Mutterliebe aussah. Wie also könnte sie sie geben? Das Gespräch, welches nun in diesem Zimmer geführt wurde, lief entsprechend sachlich ab, nicht wie zwischen Mutter und Sohn. Fast ähnelte es einer Verhandlung, zumindest wenn Lucius auch etwas hätte vorweisen können, um seine Mutter zu bestechen. So aber fragte sie ihn schließlich lediglich, ob er das Mädchen wirklich nicht heiraten wollte. „Nein!“, war die Antwort. „Und auch keine andere!“ Sie überhörte den zweiten Teil geflissentlich und nickte ruhig. „Nunja, vielleicht bist du auch einfach noch zu jung…“ Er wollte protestieren, doch sie brachte ihn mit einer Bewegung zum Schweigen. „Ich werde mit deinem Vater reden, vielleicht warten wird noch ein Jahr… vielleicht, bis du siebzehn bist… das wäre doch ein gutes Heiratsalter, nicht wahr?“ Wieder wollte er sie anfahren, doch auch dieses Mal brach sie ihn ab, sagte, dass das Gespräch damit beendet sei. Ohne einen Funken mütterlicher Liebe gespürt zu haben, verließ Lucius also den Raum und begriff noch kaum, was er gehört hatte. Erst als er nach Xaves’ Hand griff und den Jungen mit sich zog, als er den Wortlaut wieder gab und die Worte bedachte, erst da wurde ihm klar, was es wirklich bedeutete. Und dort, als gerade niemand in Sicht war, mitten auf einer riesigen Treppe griff er sich den Freund und küsste ihn stürmisch, überschwänglich, verlangend. Er jauchzte und sagte, dass er nun erst recht nicht mehr heiraten würde. Sie hatten einmal nachgegeben, sie würden es wieder tun. Er glaubte fest daran; Xaves wusste es besser. ~ * ~ In den kommenden Wochen kühlten die Temperaturen ab und während Lucius das wahrnahm, musste er auch erkennen, dass auch etwas anderes immer Kälter wurde; seine Beziehung zu Xaves veränderte sich zusammen mit der Jahreszeit. Man hätte nicht genau benennen können, woran dies lag, es war wohl der große Schrecken, den sie beide bekommen hatten, der sie nun nicht mehr so unbeschwert zusammenkommen ließ. Sie schienen nicht mehr die Jungen zu sein, welche sich im Sommer liebend auf der Wiese getollt hatten; sie lachten nun viel weniger und auch wenn sie weiterhin die meiste Zeit beisammen waren, konnte jeder beobachten, dass sie irgendetwas auseinander trieb. Auch die Jungen selbst erkannten dies deutlich, beide für sich, auch wenn sie nicht darüber zu sprechen wagten. Lucius machte es Angst, da er noch immer daran festhielt, dass er Xaves nicht verlieren wollte; dieser hingegen redete sich immer wieder ein, dass es gut so war. Auf diese Weise würden sie ihre Zeit miteinander haben, welche begrenzt war und irgendwann vergehen würde; und je weiter sie bis dahin voneinander wegtreiben würden, desto leichter würde ihnen auch die Trennung fallen. So weit reichte zumindest die Theorie, doch Xaves wusste schon, dass es in Wirklichkeit nicht so einfach sein würde, für sie beiden nicht. Vielleicht hatten die beiden Jungen auch die Hoffnung, dass die Beziehung zusammen mit dem Frühling wieder neu entkeimen würde, doch die ersten Knospen sprossen und sie sprachen kaum noch lange miteinander, selbst wenn noch immer Abend für Abend im Arm des anderen lagen. Viel Zeit verbrachten sie in dieser Zeit einzeln mit ihren Pferden. Das war schon einmal so gewesen, damals, nach Xaves’ Zimmerwechsel, und ähnlich wie damals versuchte Lucius auch dieses Mal die Worte zu hören, die sein Freund der Stute ins Ohr flüsterte. Er verstand sie alle nicht und war unendlich traurig, dass Filena viel besser wissen musste, was in Xaves vor ging. Doch soweit sie auf psychischer Ebene auseinander drifteten, soweit wuchsen sie auf der physischen zueinander. Wahrscheinlich war es für die beiden Jungen die einzige Möglichkeit, sich noch wirklich beieinander fallen zu lassen oder ihre Gefühle zu zeigen. Aus dem Grunde küssten sie sich viel, oft, fast überall. Sie genossen diese Liebkosungen sehr und streichelten einander gerne, berührten sich leidenschaftlich und trieben sich gegenseitig zum Höhepunkt. Doch jedes Mal, sobald es vorbei war, schien die Luft um sie herum viel zu schnell abzukühlen und zusammen ihre Herzen. Lucius beschloss irgendwann für sich selbst, dass er nicht mehr darüber nachdenken wollte. Sein Geburtstag ging zwischen ihnen leise vorbei, ebenso der Xaves’. An dessen Abend lagen sie wieder beieinander im Bett und hielten sich nur an den Händen gefangen. Jeder starrte in seine eigene Welt, verschwand in seinen eigenen Gedanken, bis der Prinz den Kopf drehte und seinen Liebsten ansah. Er beobachtete ihn gar und spürte wie ihm das Herz schmerzte. Letztes Jahr noch hatte er geglaubt, alles in den blauen Augen lesen zu können, nun sah er in ihnen nichts mehr. Sie schienen irgendwo an einen unendlich weit entfernten Ort zu starren, den Lucius nicht sehen konnte, egal wie weit er danach suchte. Die Erkenntnis schmerzte ihn so sehr, dass er sich fester an die Hände des Freundes krallte und er schluchzte trocken, kämpfte mit seinem Herzen. Nun erst sah Xaves ihn direkt an und sein Blick war leer, irgendetwas fehlte ihm in den Augen. Sanft dennoch streckte er die Hand aus, berührte damit die Wange des Prinzen, der sich an sie presste und dem Tränen ins Laken sickerten. „Wo bist du?“, brachte Lucius hervor und hielt die Lippen gegen die Hand. „Wieso gehst du an einen Ort, zu dem ich dir nicht folgen kann?“ Er schluchzte und Xaves konnte nichts weiter, als ihn in die Arme zu schließen und fest an sich zu drücken. „Ich bin bei dir“, flüsterte er sanft und küsste das dunkle Haar. Er selbst zwang sich, nun nicht zu weinen. „Und dennoch bist du nicht hier“, krallte Lucius seine Hände in des Jungen Rücken. „Ich spüre dich nicht.“ Daraufhin drückte Xaves ihn von sich und küsste ihn fest, ließ die Zunge in den warmen Mund wandern und ließ Leidenschaft sie umfangen. Auch Lucius wurde von ihr ergriffen und irgendwann drehte er sich so, dass Xaves unter ihm lag, dass er ihn in die Kissen drückte und seine Tränen auf das andere Gesicht hinab tropften. Er beendete den Kuss und sah seinen Freund an, berührte diesen im Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ich spüre dich bei mir… aber aus mir gehst du fort…“ Xaves schüttelte den Kopf, griff hinauf in die dunklen Haare und zog ihn zu sich. Er küsste ihn fester und glitt dann mit den Lippen zum Ohr hinüber. „Ich werde immer in dir sein, immer, verstehst du? Ich lasse dich nie ganz alleine…“ Lucius’ Weinen wurde stärker und er wollte seinem Liebsten so gerne Glauben schenken, doch irgendetwas riss sein Herz entzwei, mit jeder Sekunde etwas weiter. „Warum verändern wir uns?“, drang es über seine Lippen hinweg. „Warum passiert das mit uns?“ „Weil es nicht sein darf.“ Das war die einfache Antwort, welche Xaves sich selbst immer wieder gab, seit diesem einen Vorwintertag. Er glaubte mittlerweile daran und es erklärte für ihn alles, so ungern er es sehen wollte. Gleichzeitig führte es aber wohl auch dazu, dass sie sich tatsächlich noch viel leichter voneinander entfernten. Es war ein Teufelskreis und sie drehten sich immer weiter darin herum. In jener Nacht ließen die beiden Jungen ihre Trauer und Wut am anderen Körper aus. Sie packten fest zu und krallten sich ineinander, bissen sich so in die Haut, dass es schmerzte, wenn es auch nicht riss, und drängten ihre Körper in immer heftigeren Stößen zusammen. Sie verbanden sich auf diese Weise, doch eben diese Bedeutung des Aktes ging dabei verloren. Nun half er ihnen alleine dabei, für eine Sekunde weniger Schmerzen zu spüren und weniger zu weinen, sondern zu stöhnen und wenigstens einen kleinen, ganz winzigen Moment lang gedankenlos im Arm des anderen liegen zu können. Zu schnell jedoch verließ sie der Moment wieder und so kühlte der Schweiß ihre Körper, während sie noch immer die Hände des anderen nicht loslassen wollten und irgendwie in den Schlaf glitten, der schon lange nicht mehr erholsam für sie schien. Die Wochen zogen dahin und die beiden Jungen begannen häufiger, sich wegen Kleinigkeiten in den Haaren zu liegen. Mal ging es um die Pferde, dann ums Essen, letztendlich nur um irgendwelche Kleider. Es waren wirklich nur Lappalien, über die sie früher vielleicht gelacht hätten, doch nun hörte man oft erboste Schreie aus ihren Zimmern kommen. Liz, die all das schon seit dem Winter mit Sorge verfolgte, konnte es kaum noch mit ansehen oder -hören. Sie wiegte ihr Baby in ihren Armen und wünschte sich, den beiden auf irgendeine Weise zu helfen. Doch ihr fiel nichts ein, genauso wenig wie die gutmütige Köchin Calia einen Rat wusste. Auch sie spürte die immer weiter wachsende Distanz zwischen den Jungen und obwohl ihr der Verstand sagte, dass es nur gut so war, konnte sie ihr Gefühl doch nicht betrügen. Sie wusste, was die beiden einander bedeuteten und sie war sich sicher, dass die Gefühle sich nie geändert hatten, sondern vielleicht heute nur noch stärker existierten. Doch neben ihnen gab es auch eine Angst, welche stärker schien. Sie hieß Trennung, Verlust, Alleine sein… also trieben die Jungen sich gegenseitig und selbst weiter zur Erfüllung dieser Angst hin. Nur damit sie den Zeitpunkt selbst bestimmen könnten. Denn irgendwann würde es soweit sein, dieser Gedanke regierte in ihnen beiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)