Abyss von lunalinn ================================================================================ Kapitel 3: Reward ----------------- Die nächsten zwei Tage sind nicht einfach für Enji. Es fällt ihm schwer, sich einzugestehen, dass er wohl eine Art Panikattacke gehabt hat. Für ihn ist das ein Armutszeugnis. Ebenso wie die Tatsache, dass seine Entschuldigung nur dazu geführt hat, dass er sich noch schlimmer benommen hat. Sein Ausbruch ist ihm peinlich und er ist froh, dass er dem jungen Mann wenigstens noch Geld hinterlassen hat, so schäbig das auch wirken mag. So muss er jedenfalls nicht noch einmal dorthin, denn Enji glaubt nicht, dass er das über sich bringen kann. Der erschrockene Blick will ihm nicht aus dem Kopf gehen. Eigentlich hat Enji das alles hinter sich lassen wollen. Besser sein wollen. Er scheitert jedes Mal und fühlt sich hinterher wie das Letzte. Den Sonntag verbringt er im Bett. Mit Whiskey und irgendwelchen Filmen, die nicht die gewünschte Ablenkung bringen. Und mit Zigaretten. Ein altes Laster, das in extremen Stresssituationen hochkommt und dem er nachgibt, um runterzukommen. Er raucht nicht viele. Zwei noch in derselben Nacht und zwei am nächsten Tag. Den Rest schmeißt er weg, in der Hoffnung, dass es damit dann auch gut ist. Es reicht schon, dass er zurzeit zu viel trinkt, da muss er nicht wieder zu rauchen anfangen. Irgendwann gegen Nachmittag fällt ihm auf, dass er sein Handy nicht finden kann. Es ist sein Privathandy, doch die meisten Nummern hat er ebenso in seinem Firmenhandy gespeichert, von daher ist der Verlust nicht besonders groß. Außer einer gewissen Nervensäge wird ihm sowieso niemand schreiben. Falls er es im Club hat liegen lassen, wird er einen Teufel tun und erneut dort auftauchen. Und wenn er es bei McDonalds verloren hat, wird es sowieso jemand mitgenommen haben, um es wahrscheinlich bei Ebay zu verkaufen. Nein. Das ist die Mühe nicht wert. Er wird sich einfach ein neues Handy bestellen. Am Montag ist er wieder im Büro. Anzug statt Jogginghose. Fassung anstelle des Selbstmitleids. Auch wenn seine Skandale für alle öffentlich einsehbar sind, will er ihnen nicht auch noch einen persönlichen Einblick geben. Die meisten seiner Angestellten haben jedoch genügend Respekt – oder Angst um ihren Job –, um das Getuschel in seiner Gegenwart zu unterlassen. Was sie hinter seinem Rücken reden, kann er nicht verhindern – auch wenn es sich seine Assistentin Kamiji zur Aufgabe gemacht hat, die Leute auseinanderzutreiben, sobald ihr etwas davon zu Ohren kommt. Nun, wenigstens ein paar seiner Leute sind loyal. Das Meeting verläuft weitgehend zu seinen Gunsten. Die Verhandlungen ziehen sich zwar, aber im Endeffekt hat er die Oberhand. Es fühlt sich gut an, zumindest nicht auch noch beruflich zu versagen. Er muss sich an die wenigen positiven Aspekte seines Lebens klammern. Vermutlich sollte sich Enji einen Psychologen suchen. Er weiß das. Überwinden kann er sich trotzdem nicht. Er ist kein Mensch, der über seine Gefühle redet. Er kann keinem wildfremden Menschen seine Lebensgeschichte erzählen und sich dabei gehen lassen. Etwas in ihm weigert sich, diese Option auch nur in Erwägung zu ziehen. Er hat immer alles auf eigene Faust erreicht. Das hier wird er auch packen. Er braucht nur Zeit. Unweigerlich fragt er sich, ob eines seiner Kinder vielleicht zurückgeschrieben hat. Falls ja, wird er es nicht erfahren, weil sein Handy weg ist. Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, es abzuschreiben, aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Wahrscheinlich schreibt sowieso keiner. Der Gedanke ist deprimierend sowie ernüchternd. Als er ein paar Stunden später seinen Wagen vor dem Wohnblock parkt, ist es bereits dunkel. Enji ist froh darüber, dass er den Tag weitgehend mit Arbeit herumbekommen hat. Es ist ein eintöniger Ablauf, aber mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Manchmal erwischt er sich bei der Überlegung, ob er sich ein Haustier anschaffen soll. Etwas, das sich auch um sich selbst kümmern kann, wenn er arbeiten ist. Um der Monotonie des Alltags entgegen zu wirken…und um nicht völlig allein zu sein. Vielleicht eine Katze. Enji ist zwar eher ein Hundemensch und findet Katzen suspekt, aber im Vergleich hat man mit einer Katze weniger Arbeit. Glaubt er zumindest. Im selben Moment fragt er sich, wie er auf die Idee kommt, sich um ein Lebewesen kümmern zu wollen, wenn er nicht mal mit sich selbst klarkommt. Erst der Stripclub, jetzt Haustiere…anscheinend geht es langsam mit ihm durch. Innerlich den Kopf über sich selbst schüttelnd, steigt er aus dem Auto und betritt das Treppenhaus. Auf dem Heimweg hat er sich eine Portion Sushi geholt, sodass für sein Abendessen immerhin gesorgt ist. Mit einer Hand greift er in sein Jackett, um den Schlüssel herauszuholen, als er auf der letzten Stufe regelrecht erstarrt. Er blinzelt. Einmal, zweimal. Bernsteinfarbene Augen lösen sich langsam vom Handyscreen und suchen seinen Blick. Kurz ist es still…dann breitet sich ein Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers aus. „Jo. Du hast mich ja ganz schön warten lassen.“ Enji weiß nicht, was er sagen soll. Warum zur Hölle sitzt der verdammte Stripper vor seiner Haustür? Eben jener tippt ein bisschen auf seinem Handy herum, ehe er es in die Jackentasche schiebt. Er ist ähnlich leger gekleidet wie vor zwei Tagen, Jeans und Shirt. Völlig normal. „Ich sitz hier bestimmt schon seit zwei Stunden rum. Bin zwischendurch sogar ein paar Runden um den Block spaziert – und hab ein paar Pokemon gefangen. Du hast zwei Stops direkt vor der Tür, Mann, ich bin neidisch, haha. Na, jedenfalls hab ich mich dann wieder hierhin gehockt und ein paar Level Candycrush gezockt. Nur langsam wird mein Hintern kalt.“ Bei den Worten erhebt er sich und streckt sich ein wenig, lässt den Nacken knacken. Enji ist immer noch sprachlos…und geschockt. „Was hast du hier zu suchen?! Und…woher…?!“ „Huh? Ach ja. Stimmt. Deswegen bin ich hier.“ Hawks greift erneut in seine Jackentasche und holt etwas hervor. Enjis Handy. „Als wir was futtern waren, hast du es auf dem Tisch liegen lassen. Ist mir erst aufgefallen, als du schon längst rausgestürmt bist. Ich hab’s erstmal eingesteckt – wusste ja nicht, wo du wohnst oder so. Aber dann hat dein Freund angerufen und ich hab ihm die Sache erklärt. Yagi oder so. Netter Typ. Hab gesagt, dass ich dich von der Arbeit kenne – ist ja nicht mal gelogen. Er hat mir dann deinen richtigen Namen und deine Adresse genannt und nun…hier bin ich.“ Das Einzige, das Enji weiß, ist, dass er Toshinori umbringen wird. Nennt einem völlig Fremden seine Kontaktdaten. So viel zur Anonymität. Idiot. Allerdings ist seine Wut nicht so präsent wie seine Scham, Hawks so plötzlich wiederzusehen. Wortlos nimmt er das Handy entgegen, wobei Hawks ihn anlächelt, als hätte es seinen peinlichen Abgang niemals gegeben. „Danke“, brummt er trocken, weil es nicht viel anderes gibt, das er sich zu sagen traut. „Ach, keine Ursache!“, erwidert Hawks und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Das machen gute Mitmenschen eben! Aber hey…wo wir gerade dabei sind, wie sieht’s denn mit Finderlohn aus? Du weißt, ich bin leicht zufriedenzustellen, haha. Also, eine Einladung zum Abendessen ist doch mindestens drin? Was hast du da in der Tüte? Sushi? Hatte ich schon länger nicht mehr.“ Enji muss sich verhört haben. Finderlohn? Einladung? Was zur Hölle stimmt mit dem Bengel nicht?! Er schnaubt leise, geht dann an ihm vorbei und schließt die Tür auf. „Auf einmal keine Angst mehr, dass ich ein Irrer bin, der dir was antut?“, gibt er schroff zurück, woraufhin Hawks lacht. „Oh doch! Wenn ich mich nicht zwischendurch mit einem speziellen Codewort bei einer Freundin melde, schickt sie uns die Bullen hierhin. Ist übrigens jedes Mal ein anderes. Haben wir vorher festgelegt.“ „…“ „Dann mal rein in die gute Stube!“, zwitschert Hawks weiter und schlüpft an ihm vorbei in die Wohnung. Er ist wie eine Naturgewalt, die man nicht aufhalten kann. Enji ist auch viel zu verdutzt dazu. Der Kerl will ihn mit aller Macht provozieren, wie es scheint. Nur warum? Tief durchatmend folgt Enji ihm hinein und schließt die Tür hinter sich. Wenigstens hat er die Schuhe ausgezogen, so wie es sich gehört. „Ui, schickes Appartement! Nur ein bisschen farblos…aber jedem das Seine“, hört er Hawks plappern und sieht, wie sich dieser auf die Couch wirft. Dabei schaut er sich weiter nach Herzenslust um und kommt dabei wohl nicht mal auf den Gedanken, dass Enji ihn auch im Nacken packen und hinausschmeißen könnte. Warum eigentlich nicht? Ach ja. Er will nicht so ein Typ sein. „Hast du auch was zum Snacken da? Chips zum Beispiel?“ Enji knirscht mit den Zähnen, ehe er seine Jacke aufhängt und die Tüte mit dem Sushi auf dem Tisch abstellt. Hawks sieht ihn mit unschuldigen Augen an, so als würde er gar nicht verstehen, warum Enji ihn so anfunkelt. Gilt das schon als Hausfriedensbruch? Er besinnt sich; Hawks hat ihm sein Handy zurückgebracht. Er hätte damit sonst was machen können, aber er ist hier. Es ist ein netter Zug. Aus dem Grund schiebt er ihm kommentarlos das Sushi zu und geht in die Küche, um Getränke zu holen. Er hat nur Wasser und Alkohol. Als er zurückkommt, hat Hawks bereits das Sushi ausgepackt und öffnet gerade die Sojasoße. Enji stellt die Gläser auf dem Tisch ab und füllt sie mit Wasser. Die Situation ist unwirklich und er weiß nicht, ob und was er sagen soll. Eine Entschuldigung bringt er nicht noch mal über die Lippen. „Hör mal, wegen letztens…ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen, Großer.“ Enji hält inne und blickt ihn verwirrt an. „Ich hab einfach drauf losgequatscht, ohne darüber nachzudenken, wie das vielleicht ankommt. War nicht meine Absicht, dich zu triggern. Ich meine, ich wollte dich schon ein bisschen provozieren, aber das ging wohl unter die Gürtellinie. Also…tut mir leid.“ Es wird immer skurriler. Wofür entschuldigt sich der junge Mann überhaupt? Dafür, dass er Vermutungen über ihn ausgesprochen hat? Dabei ist es doch Enji, der sich daneben benommen hat und entschuldigen sollte. Er schraubt die Wasserflasche zu, während er überlegt, was er darauf erwidern soll. „Entschuldigungen sind unnötig“, meint er schließlich und setzt sich ebenfalls auf die Couch, ohne ihn dabei anzusehen. „Ich hatte einfach einen schlechten Tag. Weiter nichts. Ich…es ist...“ Er bricht ab, weil er nicht weiß, was er noch sagen will. Hawks mag forsch und vorlaut sein, aber letztendlich sollte sich Enji besser im Griff haben. „Wenn du das sagst“, kommt es von dem Jüngeren und er lächelt wieder, ehe er ihm eine Packung Stäbchen in die Hand drückt. „Dann lass uns mal reinhauen! Ich hab heute noch nicht viel gegessen und verhungere!“ Enji bezweifelt, dass das Sushi in dem Fall für sie beide reicht, doch spricht es nicht aus, sondern lässt Hawks erstmal zugreifen. Dieser schnappt sich ein Maki mit Lachs, taucht es in die Sojasoße und schiebt es sich in den Mund. „Mh…das ist echt gut. Hatte ich lange nicht mehr. Bin eher so der Typ für Burger und Pizza, weißt du? Sushi ist echt teuer.“ Enji runzelt die Stirn. „Dachte, der Job würde wenigstens gut bezahlt werden“, brummt er und nimmt sich ein Maki mit Gurke. „Nicht überall. Manche haben feste Gagen, manche verdienen hauptsächlich am Trinkgeld. Das variiert aber ziemlich. Ich hab’s tatsächlich ganz gut getroffen, da, wo ich arbeite – und ich bin beliebt bei der Kundschaft. Heißt aber nicht, dass ich mein Geld zum Fenster rauswerfen muss. Ich lege zur Seite, was ich nicht zum Leben brauche“, erwidert Hawks und schnappt sich noch ein Stück mit Lachs. Das kommt ein bisschen überraschend. Irgendwie hat Enji nicht mit so einer vorausschauenden Antwort gerechnet. „Zu einem bestimmten Zweck?“, fragt er knapp und Hawks zuckt mit den Schultern. „Hauptsächlich zur Absicherung. Ich hole gerade meinen Abschluss in der Abendschule nach. Muss mich ein bisschen ranhalten, deswegen ist der Job ganz praktisch. Ich kann mein Leben finanzieren und muss nur drei-viermal die Woche arbeiten. Abgesehen davon, dass ich echt gerne tanze – und es auch verdammt gut kann.“ Er grinst bei den letzten Worten wieder und zwinkert ihm zu. Gut, dagegen sagen kann man wohl kaum etwas. Er kann sich gut bewegen. Die Aufmerksamkeit der Leute ist ihm sicher. Dennoch versteht Enji es nicht. Der junge Mann passt nicht in das Bild, das er von Strippern hat. Er ist offensichtlich klug genug, um zu verstehen, dass er sich nicht ewig für Geld ausziehen kann. Dass er keinen Abschluss hat, scheint ihm nicht egal zu sein, wenn er so bestrebt ist, das möglichst schnell zu ändern. Enji fragt nicht nach, warum er die Schule nicht beendet hat. Es wird Gründe dafür geben, die ihn nichts angehen. Eigentlich muss Hawks ihm gar nichts über sich erzählen. Sie sind keine Freunde, nicht mal Bekannte. Warum also sitzen sie hier gemeinsam und unterhalten sich? Und warum wird Enji plötzlich bewusst, wie lange er so etwas nicht mehr gemacht hat? Ein belangloses Gespräch mit jemandem führen. „Wohnst du eigentlich allein hier?“, will Hawks wissen und lässt Enji innerlich seufzen. „Ja.“ „Schon länger?“ „Drei Monate.“ „Und davor? Bist du verheiratet? Du trägst zwar keinen Ehering…“ „Ich bin noch verheiratet“, brummt Enji widerwillig. „Wir…leben aber nicht mehr zusammen.“ Hawks scheint kurz zu überlegen, ob er nachhaken soll, doch er lässt es. Vielleicht besser. Enji möchte auch nichts mehr dazu sagen. „Also echt“, murmelt der Jüngere. „Du passt wirklich nicht in meine Schublade. Hätte beim ersten Mal darauf getippt, dass du einer von denen bist, die in einer unglücklichen Ehe gefangen sind und eine junge Ablenkung suchen. Wenn du wüsstest, für wie viele solcher Typen ich schon getanzt habe. Sie jammern dann über ihre schrecklichen Frauen, aber verlassen tun sie sie dennoch nicht. Pure Bequemlichkeit. Bin froh, dass du keiner von denen bist.“ Nein. So einer ist Enji nicht. Er ist viel schlimmer. Sobald Rei in der Verfassung dazu ist, werden sie sich scheiden lassen. Eine reine Formalität, denn ihre Ehe ist schon lange tot. Der bittere Geschmack in seinem Mund verschwindet nicht. Auch nicht, als er einen Schluck Wasser trinkt. Whiskey wäre jetzt hilfreicher. „Aber dann verstehe ich nicht, warum du dich als freier Mann so zurückhältst“, nimmt Hawks das Gespräch wieder auf und schiebt sich ein Nigiri mit Thunfisch in den Mund. „Ist doch nichts dabei, wenn du ein bisschen dein Leben genießt und dir hübsche Frauen ansiehst? Oder Typen. Was auch immer deinen Vorlieben entspricht. Wie gesagt, ich würde dir auch einen Lapdance geben. Würde mir sogar Spaß machen, so attraktiv wie du bist, hehe…“ Er zwinkert ihm verschmitzt zu und Enji versteht, dass er mit ihm flirtet. Schon wieder. Seine Miene verschließt sich noch mehr und er funkelt ihn finster an. „Ich bin doppelt so alt wie du. Du könntest mein Sohn sein“, erwidert er missgelaunt. „Bin ich aber nicht. Ich bin nur Hawks. Ich urteile nicht und ich kann schweigen – guck nicht so, klar? Diskretion ist in meinem Job das A und O~!“ Er wackelt bei den Worten mit seinen markanten Augenbrauen, was Enji abfällig schnauben lässt. „Sicher…“ Als ob er vorhin nicht über die verheirateten Kerle geurteilt hätte, die ihren Frauen verschweigen, bei wem sie ein offenes Ohr suchen. „Was ich viel interessanter finde…du kommst bei deinem Korb auf mein Alter zu sprechen. Nicht darauf, dass ich ein Kerl bin. Schon mal ein homoerotisches Abenteuer erlebt?“ „Als ob ich darüber mit dir spreche“, knirscht Enji, dem das Thema langsam zu bunt wird. „Stell mir nicht solche Fragen. Das geht dich überhaupt nichts an – und lass dieses alberne Flirten!“ „Albern? Oi, jetzt wirst du aber fies, Endeavor-san. Ich muss doch wenigstens abchecken, ob mein Gay-Radar noch funktioniert! Du weißt schon, Homos finden andere Homos und so weiter…“ „Halt einfach den Mund“, brummt Enji genervt und kann es nicht fassen, was er sich hier anhören muss. Und was der junge Mann so leichtfertig über sich preisgibt. Wäre es nicht kontraproduktiv, wenn die Frauen, die ihn so anhimmeln, davon Wind bekämen? Er hat keine Ahnung davon und will sich auch keine Gedanken darüber machen, weswegen er nichts weiter dazu sagt. Hawks‘ guter Laune scheint das jedoch keinen Abbruch zu tun, denn er futtert ihm gut gelaunt das Sushi weg. Soll er nur. Enji hat sowieso keinen Appetit mehr. Das Verlangen nach einem Glas Whiskey wird jedoch immer stärker. „Okay, ich höre ja schon auf“, kommt es von Hawks. „Trotzdem solltest du noch mal in den Club kommen – und die Show diesmal genießen. Wenn es dir peinlich vor anderen Leuten ist, kann auch einer von uns für dich privat tanzen. Ohne Anfassen. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Oder du trinkst einfach nur mit einem von uns und unterhältst dich ein bisschen – und jetzt werde bitte nicht wieder sauer. Da ist überhaupt nichts dabei. Einige kommen nur dafür her.“ Enji kann das nur schwer glauben, aber Hawks scheint es ernst zu meinen. Beim letzten Mal ist er nicht sicher gewesen, ob er verspottet oder bemitleidet wird. Diesmal verliert er zum Glück nicht die Beherrschung, vielleicht weil sie schon seit einer Weile reden. Dennoch ändert es nichts daran, dass es Gesellschaft für Geld wäre. Ist das nicht armselig? Aber wenn er ehrlich ist, tut ihm das hier auf eine skurrile Art und Weise gut. „Du willst mich anwerben“, stellt er kühl fest und ärgert sich darüber, dass es funktioniert. Hawks lacht auf. „Natürlich will ich das! Du hast Geld, das sieht man, auch wenn deine Wohnung sparsam eingerichtet ist. Aber die Gegend kann sich nicht jeder leisten. Hab mich richtig schmuddelig gefühlt, als ich vor deiner Tür gehockt habe. Das nennt man dann win-win! Ich brauche Geld und du hast offensichtlich Redebedarf.“ „Du kennst meinen Namen und meine Adresse. Warum sollte ich ausgerechnet zu dir kommen, wenn ich Anonymität suche?“ Das hat gesessen, denn Hawks ist tatsächlich sprachlos, öffnet den Mund und…schließt ihn wieder. Es amüsiert Enji gewissermaßen. Seine Lippen zucken und es ist befremdlich, weil er sehr lange nicht mehr gelächelt hat. Nicht mal angedeutet. „Oha, das war jetzt schlagfertig“, kommentiert Hawks es kurz darauf und grinst schief. „Ich kann dich nicht davon abhalten, zu jemand anderem zu gehen…aber ich vertraue darauf, dass dich mein Charme bereits bezirzt hat und du zu niemand anderem willst!“ „Ah ja…“ Enji fragt sich, worüber sie hier eigentlich reden. Er hat sich geschworen, diesen vermaledeiten Club nie wieder zu betreten, und nun scherzen sie darüber, wen er fürs Separee bucht. Was auch immer Hawks nach seinem Abschluss vorhat, er wäre ein guter Verkäufer. Denn das Verrückte an der ganzen Geschichte ist, dass der Jüngere Recht hat. Das hier tut ihm gut. Besser, als sich unüberlegt ein Haustier anzuschaffen, für das er hinterher nicht sorgen kann. „Überleg es dir einfach“, fährt dieser fort und zuckt mit den Schultern. „Du weißt ja, wo du mich finden kannst. Freitag, Samstag und Sonntag bin ich immer da, am Mittwoch nur zwischendurch.“ Enji presst grimmig die Lippen aufeinander, während Hawks ihn unschuldig anlächelt. Mitnichten ist er das. Er ist ein Schlitzohr…und hat mehr auf dem Kasten, als man ihm ansieht. Enji kann eine gewisse Neugierde über den dreisten Kerl nicht leugnen, auch wenn er davon überzeugt ist, dass das nicht gut ausgehen kann. Zumindest nicht für sein Portemonnaie – andererseits weiß er sowieso nichts mit seinem Geld anzufangen. „Ich denk drüber nach“, knurrt er unfreundlich, woraufhin Hawks ihn freudig angrinst. „Mehr möchte ich ja auch gar nicht~“, flötet er und futtert ihm die letzten beiden Maki weg. Wie kann der Kerl bitte so viel schwatzen und gleichzeitig so schnell essen? Ist doch nicht normal. „So, ich sollte langsam mal los, hm?“, meint er dann und streckt sich einmal, ehe er aufspringt. „Ich muss noch büffeln und außerdem möchte ich nicht, dass sich meine Mitbewohnerin Sorgen macht.“ Enji runzelt die Stirn. „Dachte, du wolltest ihr Nachrichten schreiben?“ „Hab ich auch zwischendurch. Ich bin echt flink, haha…aber trotzdem sollte ich langsam los. Wie gesagt, ich muss noch lernen. Außerdem muss ich die Bahn nehmen und da bin ich eine Weile unterwegs. Aber mach dir keine Sorgen, Großer, ich komm schon klar!“ Muss er auch. Enji hat nicht vor, ihn durch die Gegend zu kutschieren. Soweit kommt’s noch. Allerdings ist es draußen schon dunkel und das führt dazu, dass ihn das schlechte Gewissen einholt. Daher greift er in seine Tasche und holt ein paar Scheine heraus, die er dem verdutzten Hawks in die Hand drückt. „Ruf dir dafür ein Taxi. Der Rest…ist Finderlohn. Wegen dem Handy.“ Hawks legt den Kopf schief, was ihn an einen Vogel erinnern lässt – der Name trägt vielleicht auch dazu bei. Für wenige Sekunden scheint er zu überlegen, doch dann schmunzelt er und steckt das Geld ein. „Ha! Ich wusste, du magst mich! Wir sehen uns am Wochenende, Endeavor-san! Und danke für das Sushi! War lecker!“ Mit diesen Worten funkelt er ihn noch einmal dreist aus seinen bernsteinfarbenen Augen an und verschwindet Richtung Flur. Enji sieht ihm nach, bis er die Tür hört. Dann lässt er sich nach hinten fallen und sieht an die Decke. Er lässt den Abend Revue passieren, versucht irgendwie zu verstehen, was da heute geschehen ist. Hat er sich zu etwas verpflichtet? Eigentlich nicht. Er muss nicht wieder dorthin gehen. Er hat sein Handy zurück und schuldet Hawks nichts mehr. Enji schließt die Augen und reibt über die Schläfen, in denen es leicht pocht. Er hat noch Zeit bis zum Wochenende. Vielleicht geht er hin, vielleicht nicht. Er hat keine Verpflichtung. Nein. Trotzdem ahnt er, dass das keine Rolle mehr spielt…dank diesem verfluchten Stripper… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)