Torschusspanik von Centranthusalba ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Gregor, mach was draus!“ Im letzten Moment schießt Kevin den Ball in hohem Bogen rüber zu seinem Stürmer, bevor er von zwei Verteidigern der Teufel umgerannt wird. Wie eine Rakete stürmt der Gerufene übers Spielfeld, sein Ziel fest vor Augen. „Stoppt ihn, lasst Gregor nicht zum Schuss kommen!“, schreit Viktor seine Defensivspieler zur Hilfe. Angespannt geht er in Position und erwartet den gefährlichsten Stürmer der Stadt zum Schuss auf sein Tor ausholen. Tatsächlich erreicht die Nummer 3 der Teufel den Angreifer zu spät. Gregor erwischt den Ball und schießt, ohne zu zögern, volley auf das Tor der Teufel. Gespannt wie eine Feder streckt sich Viktor nach oben. Mit einem mächtigen Knall prallt der Ball von der Latte ab. Ein Raunen geht durch die Schüler der Kitahara, die sich am Spielfeldrand eingefunden haben, um das Match der beiden rivalisierenden Mannschaften zu verfolgen. Viktor verfolgt mit den Augen, wie der Ball zurück ins Feld fliegt. Er knirscht mit den Zähnen. Wie befürchtet, ist Gregor seinem eigenen Schuss nachgelaufen und nimmt den Ball sofort wieder an. Wie ein Tiger fokussiert er sich auf Viktor im Tor. Einen kurzen Moment lang sehen sich die Kontrahenten in die funkelnden Augen. Gregor schießt aus kurzer Distanz. Viktor geht in die Knie, blockt den Ball mit beiden Händen ab, doch der Stürmer lässt nicht locker. Mit einem Kampfschrei schlittert er über den Rasen dem Ball nach, erreicht das begehrte Leder mit der Fußspitze, lupft es direkt aus Viktors Händen über den Torwart hinweg. Dann rutscht er ungebremst mit den Füßen voran in den Gegner hinein. Erst das Netz beendet den Frontalangriff des Kickers-Stürmers. Als sich die Staubwolke am Tor wieder legt, erhebt sich Gregor hustend und keuchend. Mit der Hand wischt er sich erleichtert den Schweiß von der Stirn. Tor. Geschafft. Gegen einen der besten Torhüter der Gegend. Das war echt Arbeit. Er sieht Charlie und Kevin jubelnd auf ihn zustürmen und hebt lachend die Hand zum Victory-Zeichen. Da hört er es hinter sich leise husten. Verwundert dreht Gregor sich um. „Viktor?“ Erst jetzt hebt er auch den linken Arm, mit dem er sich bis eben auf seinem Gegner abgestützt hatte. „Was ist mit ihm?“, ertönt jetzt auch die Stimme eines Verteidigers im roten Trikot, „Hey Käpt’n!“ Das Siegeslachen auf Gregors Gesicht ist wie eingefroren. Zögerlich berührt er Viktor an der Schulter. Der Kapitän der Teufel liegt zusammengekrümmt im Tor. Er zittert leicht und durch die zusammengepressten Zähne zieht er stoßweise Luft. Seine Augen sind schmerzhaft zusammengedrückt und seine Lippen haben eine bläuliche Färbung angenommen. „Viktor? Alles ok?“ In Gregors Kopf rauscht es. Eben noch war er voller Adrenalin über das gemachte Tor und nun fühlt sich der Anblick seines Rivalen an, wie ein Fußtritt in die eigene Magengrube. Inzwischen sind immer mehr Spieler zum Tor gekommen und starren ratlos auf den am Boden liegenden Torhüter. „Jetzt holt doch endlich die Sanitäter!“ – „Haben wir hier nicht!“ – „Dann den Schularzt, du Idiot!“ – „Wir brauchen Hilfe!“ Alles ruft aufgeregt durcheinander. Gregor sitzt immer noch auf dem Boden und sieht hilflos zu, wie sich Viktors Brustkorb verzweifelt hebt und seine Lippen immer blauer werden. Die Aufregung um sich herum nimmt er nur wie durch eine dicke, graue Wolke war. Bis ein Schrei ertönt. Ein Schrei, den er so nie hören wollte: „Onii-chan!!! Was ist mit ihm?!“ Conny hat sich aus der Masse des Publikums gelöst und ist quer übers Spielfeld zum Tor gelaufen. Im Augenwinkel bemerkt Gregor, wie Gordon mit ausgestreckten Armen auf sie zuläuft und sie vom Ort des Geschehens wegdrückt. „Hey Gregor,“ hört er plötzlich eine feste Stimme direkt neben seinem Ohr. Eine kräftige Hand packt ihn an der Schulter und schiebt ihn mit Bestimmtheit zur Seite, „hast du ihn mit den Füßen im Bauch erwischt?“ Gregor nickt wie hypnotisiert. „Joey, komm mal her, anpacken!“, ruft der Neuankömmling einem weiteren, kräftig gebauten Schüler zu. Mit sicheren Händen drehen sie den verkrampft daliegenden und immer noch um Luft ringenden Viktor auf den Rücken. „Was tun sie?“, schreit Conny dazwischen, „Holt doch endlich einen Arzt! Gregor, was hast du getan?“ „Keine Angst,“ der Schüler lächelt beruhigend, „Zwerchfell eingedrückt. Im schlimmsten Fall ein paar geprellte Rippen. Das haben wir öfter mal beim Karate-Training. Wir wissen, was man dann tun muss.“ Er nickt dem anderen, den er eben Joey gerufen hatte, zu und positioniert seine Pranken auf Viktors Schultern. Dieser zuckt mit den halb geschlossenen Augen, während sich sein Körper unter den verzweifelten Versuchen Luft zu holen immer wieder zitternd aufbäumt. Oliver, der Kapitän des Kitahara-Karate-Clubs, beugt sich nah über das schmerzverzogene Gesicht: „Das wird jetzt kurz etwas weh tun, aber dann wird’s besser.“ Er wartet nicht, ob Viktor verständig nickt oder sonst irgendein Zeichen gibt. Stattdessen gibt er dieses an seinen Kameraden und auf ein kräftiges „1-2-3!“ drücken sie den gekrümmten Körper an den Schultern und den Oberschenkeln nach unten auf den Boden, ziehen ihn mit einem Ruck auseinander und dehnen mit Gewalt den eingerollten Oberkörper auseinander. Viktor entfährt ein markerschütternder Schrei, gefolgt von einem rasselnden Geräusch, als endlich wieder Luft in seine eingedrückten Lungen strömt. Nach einigen erschöpften Atemzügen öffnet er schließlich wieder die Augen. „Du bist wirklich der gefährlichste Stürmer, den ich kenne, Gregor“, keucht er, dann heben Oliver und Steve ihn hoch und tragen ihn mit seinen Armen über ihren Schultern vom Platz Richtung Krankenstation. Schweißgebadet hockt Gregor immer noch im Tor und starrt auf die Stelle, an der Viktor bis eben gelegen hatte. Er kann keinen klaren Gedanken fassen. In seinen Ohren rauscht es. ~⚽️~ Kapitel 2: ----------- Ein Monat später „Leute!“ Mit schnellen Schritten läuft Daniel über den Schulhof. „Ihr werdet es nicht glauben!“ „Häähh?“ Alles im Clubhaus der Kickers hebt die Köpfe. „Ich habe gerade ein paar von den Teufeln getroffen. Sie sagten, wenn Viktor wieder fit ist, wollen Sie das Spiel wiederholen.“ Es ist nicht ganz klar, ob er wegen der Nachricht so außer Atem ist, oder weil er so schnell gelaufen ist. „Echt?“ – „Ist nicht wahr!“ „Was für ein Kerl: Bricht sich zwei Rippen und kaum kann er wieder laufen, denkt er nur an das nächste Spiel“, fasst Kevin entgeistert zusammen. Auch Mario schüttelt nur mit dem Kopf, aber dann stemmt er die Hände in die Seite: „Das machen wir gerne. Herausforderung angenommen. Jungs, das heißt wir müssen wieder härter trainieren und damit fangen wir sofort an!“ Alles jubelt und stürmt aus dem Häuschen. Kurz bevor auch Mario über die Türschwelle tritt, fällt ihm auf, dass einer fehlt, der sonst immer ganz vorne mit dabei ist. Irritiert blickt er zurück. „Oi, Gregor, kommst du?“ Gregor antwortet nicht. Mit nacktem Oberkörper sitzt er auf der Bank am Tisch. Seine Augen sind starr auf sein Trikot gerichtet, das er vor sich in verkrampften Händen hält. „Gregor, was ist?“ Mario runzelt die Stirn. „Hast du mich gehört? Komm raus. Alle warten auf dich.“ „Hmm“, lässt Gregor verlauten, um zu zeigen, dass er seinen Kapitän gehört hat, aber er rührt sich keinen Millimeter von der Stelle. Mario seufzt, tritt ins Clubhaus und schließt die Tür hinter sich. „Gregor.“ Er stellt sich direkt vor ihn und legt ihm die Hände auf die Schultern, als müsste er seinen Freund aus einem Traum holen. „Hast du nicht gehört, wenn Viktor wieder fit ist, werden wir wieder gegen sie spielen.“ Gregor starrt weiterhin auf sein Trikot. „Jaaaa“, sagt er gedehnt, „wenn…“ „Was ist denn los?“ „Ich…“ „Hat Conny irgendwas gesagt? Geht es ihm doch nicht so gut?“ „Nein, doch, .. er… es stimmt, es geht ihm schon besser.“ „Na also, und dann dauert es nicht mehr lange und er will wieder gegen uns spielen. Dann musst du doch fit sein. Also komm jetzt raus trainieren. Ohne dich brauchen wir sonst nicht anzutreten. Du bist unser Torschütze.“ Noch einmal blickt Gregor düster auf sein Trikot, dann rafft er sich auf und zieht es an, springt von der Bank und folgt seinem Kapitän nach draußen. „Ja, ich komme“, ruft er. „Jeremy ich bin frei.“ – „Hier herüber!“ – „Fang Kevin ab!“ – „Gute Flanke!“ - „Gregor, bist du bereit?“ Mario sieht Gregor auf sich zu stürmen. Von rechts gibt Charlie den Ball ab. Gregor duckt sich noch rasch unter Tommy hinweg, dann bekommt er die Vorlage zu fassen. Mario spannt sich an: Nur noch drei Meter vor dem Tor. Gregor nimmt den Ball mit dem Knie an und fixiert den Torwart. Da huscht ein Schatten über seine Augen, er lässt den Ball los, überlässt ihn seinem Kapitän und stolpert stattdessen selbst ins Tor. Mario sieht ihn mit großen Augen an. Charlie kratzt sich am Kopf: „Hab ich was falsch gemacht?“ Auch Kevin sieht seinen Stürmer irritiert an: „Was war denn das Gregor?“ Wie ein nasser Pudel steht Gregor am Torpfosten und sieht auf seine Kameraden „Äh…, äh…, tut mir leid. Irgendwie…“ Etwas besorgt sieht Mario Gregor noch einmal an, dann dreht er sich von ihm ab. „Das war gut“, ruft er, „Gleich noch mal!“ „Habt ihr schon gehört?“, juchzt Ellen ganz aufgeregt, „Unsere Jungs spielen wieder gegen die Teufel!“ „Ja!“, ruft Wane und wirft die Hände in die Luft, „das Spiel wird wiederholt. Wie aufregend! Und natürlich werden unsere Jungs gewinnen. Mario wird kein einziges Tor durchlassen. Beim letzten Spiel haben die Teufel es auch nur ein einziges Mal geschafft und das war unfair.“ „Wieso denn unfair?“, Ellen sieht ihre Freundin mit großen Augen an. Hatte sie etwas nicht mitbekommen? Wane ballt bei der Erinnerung die Fäuste: „Unfair, weil Mario so weit vom Ball weg war, dass er ihn gar nicht bekommen konnte“, erklärt sie mit fester Überzeugung. Ellen seufzt nur und rollt die Augen gen Himmel. Mit gerunzelter Stirn beobachtet Ann derweil das Geschehen auf dem Trainingsplatz vor ihr. „Meint ihr es ist richtig, so schnell wieder zu spielen?“, fragt sie. „Ja, aber natürlich!“, insistiert Ellen, „Warum denn nicht?“ Ann lässt ihren Blick nicht von Gregor. „Ich weiß nicht“, murmelt sie, „Ich könnte mir vorstellen, dass…“ „Los Gregor noch mal und Flanke!“ Mit Leichtigkeit nimmt Gregor Tinos Pass an und wendet sich dem Tor zu. Die linke obere Ecke ist frei. Er bringt sich in Position. Zielt, doch plötzlich verkrampft sich alles, er zögert eine Sekunde zu lang, verfehlt den Ball, sein Schuss geht irgendwo ins Aus und er selbst landet unsanft auf dem Hosenboden. „Sag mal“, ruft Kevin, „hast du schlecht geschlafen, oder was?!“ ~⚽️~ Es ist bereits dunkel als Gregor an der Tür des großen Hauses klingelt. „Ach, hallo Gregor, du schon wieder“, begrüßt ihn Frau Uesugi. „Möchtest du zu Conny oder zu Viktor?“ „Ähhh“, Gregor verwuschelt sich beschämt die Haare. „Eigentlich… zu beiden“, lacht er. „Hör mal, mein Junge“, erklärt ihm Herr Uesugi vom Sofa aus, „du musst nicht jeden Tag hierherkommen. Viktors Rippen heilen auch ganz gut von allein.“ Er lacht über seinen eigenen Witz. „Die gefüllten Reisbällchen von Gregors Mutter nehme ich trotzdem gerne“, tönt es von der Treppe. „Viktor!“, ruft Gregor erleichtert als sein Freund vom Obergeschoss herunter gehumpelt kommt und überreicht ihm freudestrahlend sein Gastgeschenk. „Geht es dir wirklich schon besser?“ „Ja natürlich! Unkraut vergeht nicht!“ Er lacht demonstrativ, was ein Fehler war, denn sofort verzieht er schmerzhaft das Gesicht. „Typisch mein Bruder“, erklingt Connys Stimme hinter ihnen, „Von wegen alles in Ordnung, er ist noch längst nicht wieder in Ordnung. Aber schön dich zu sehen, Gregor.“ Ihr Engelslächeln hellt auch seine Miene wieder auf. ~⚽️~ „Heee, Käpt’n, warte mal!“ Mario bleibt am Rande des dunklen Parks stehen, als er hinter sich Kevins atemlose Stimme hört. Verwundert dreht er sich um. Etwas verlegen lachend holen Kevin und Tino zu ihm auf. „Kannst du dir erklären, was mit Gregor los ist?“, platzt Kevin heraus, nachdem Mario drei Mal gefragt hat, was sie denn noch so sehr auf dem Herzen hätten, dass sie so spät abends noch einen Umweg in Kauf nehmen würden, um ihm zu folgen. „Er ist überhaupt nicht mehr der Alte“, klagt Tino, „total ausgewechselt. So gewinnen wir nie gegen die Teufel.“ „Hmmm.“ Mario fummelt am Rand seiner Mütze herum. Das machte er immer, wenn er nach Worten suchte. „Habt ihr es auch bemerkt?“ „Also hör mal. Bemerkt? Man kann es nicht übersehen!“, Kevin redet sich in Rage. Sein Kopf ist bereits ganz rot geworden und mit jedem Wort schüttelt er die Fäuste vor dem Körper. „Sobald er in den Strafraum läuft und schießen will, ist er vollkommen verändert, so als hätte er noch nie ein Tor geschossen.“ „Und das schlimme ist, dass sich seine Unsicherheit auf das Team überträgt“, fährt Tino nahtlos fort, „Wir verstehen nicht, was wir falsch gemacht haben könnten und das verunsichert auch uns.“ Mario sieht sie ernst und aufmerksam an. „Es liegt nicht an Euch“, versucht er sie zu beruhigen. „Aber was können wir tun, Käpt’n? So geht das nicht weiter!“ „Tja, Ich fürchte…“ Nachdenklich dreht Mario sich von den beiden ab und starrt über die Dächer der hell erleuchteten Stadt unter ihnen. „Ich fürchte, von uns kann niemand ihm in dieser Situation helfen. Ich hoffe, jemand anderes kommt bald auf die Idee.“ ~⚽️~ „Es tut mir so Leid, was passiert ist.“ Zum wiederholten Male verneigt sich Gregor tief vor Connys und Viktors Eltern. „Ich hoffe, es wird bald alles wieder gut.“ „Gregor“, Viktor seufzt, „ich weiß gar nicht was du hast. Solche Unfälle passieren nun mal. Ich hätte wissen müssen, dass du bis hinter die Torlinie kämpfst.“ Grinsend beißt er in das nächste Reisbällchen aus Gregors Geschenkpackung. „Auf jeden Fall kann ich es nicht erwarten, dass wir das Spiel wiederholen. Nochmal überrumpelst du mich nicht so leicht.“ Doch anstelle der gewohnten, hellauf begeisterten Aufregung bei der Ankündigung eines Spiels, zieht nur ein dunkler Schatten über Gregors Gesicht. Viktor blinzelt verwundert. „Du nicht auch?“, hakt er nach. „Hmmm“, antwortet Gregor nur. „Ach Gregor“, fällt Conny noch ein, als dieser sich bereits wieder auf den Heimweg macht, „Ich habe meine Mutter gefragt, wegen des Kinos….“, sie zieht verschmitzt lächelnd die Schultern nach oben und strahlt ihn an, „Meine Eltern haben nichts dagegen. Wir können also tatsächlich einmal richtig ausgehen. Nur wir zwei.“ Die letzten Worte flüstert sie nur hinter vorgehaltener Hand, damit niemand von ihren Plänen erfährt. Diesmal strahlt Gregor wirklich wie ein Honigkuchenpferd. Und mit einem Jubelschrei springt er zur Tür hinaus und läuft die Straße hinunter nach Hause. „Aha“, sagt Viktor laut und deutlich, als Conny von der Haustür zurückkommt, „Kino, hmmm? Gregor glaubt also wirklich, dass er mit meiner kleinen Schwester offiziell ausgehen kann?“ „Onii-chan!“ protestiert Conny mit hochrotem Gesicht. Kapitel 3: ----------- 3 Tage später „Pass!“ – „Sehr gut, und nach vorn“ – „Charlie, nimm an!“ Die Nachmittagssonne brennt unbarmherzig auf den Trainingsplatz der Kitahara-Schule. Doch unbeeindruckt von der Wärme halten sich die Kickers an ihren Trainingsplan. Gerade spielt Kevin gekonnt um Philipp herum, als er Gregor im Augenwinkel heranlaufen sieht. Er gibt Mario noch ein siegessicheres Grinsen und passt dann quer am Tor vorbei auf den Spitzenstürmer. Gregor nimmt den Ball mit links an, fokussiert das Tor, kneift kurz die Augen zusammen und schießt zurück. „Kevin, mach du es!“ Der Mittelfeldspieler ist so perplex über den plötzlichen Rückpass, dass er heftig mit den Armen rudert und zurück stolpert. Er bekommt den Ball auf den linken Fuß und kickt ihn irgendwie zum Tor, wo Mario mit offenen Armen auf ihn wartet und ihn auffängt wie einen trudelnden Luftballon. „Gregor“, ruft Kevin empört, „was soll denn das? Du kannst doch nicht ständig zurückspielen. Ich habe heute schon zwei Tore geschossen und du noch gar keines!“ Charlie kommt ebenfalls zum Tor vorgelaufen und sieht seinen Stürmer vorwurfsvoll an: „Ist ja nett von dir, wenn du uns auch mal schießen lässt, aber eigentlich ist das deine Aufgabe.“ Gregor steht verschämt lachend vor dem Tor und verwuschelt sich die Haare am Hinterkopf. „Auf geht’s, noch mal!“ Rasch verteilen sich die Spieler wieder über den Platz. Sie bemerken nicht, dass sie von einer lässig an einem schattigen Baum lehnenden Gestalt aufmerksam beobachtet werden. Einer Gestalt im schwarz-rotem Trikot, die mit konzentriertem Blick unter der schwarzen Kappe hervor die einzelnen Spieler genau analysiert. Als die Kickers eine Pause machen, schlendert er zu ihnen hinüber. „Hallo Viktor“, begrüßt ihn Mario und mustert überrascht seine Kleidung. „Bist du etwa schon wieder im Training?“ Viktor nickt: „Ja, ich darf wieder.“ Ohne viele Worte zu verlieren, kommt er gleich zur Sache. „Ich wollte euch fragen, ob ihr nächsten Sonntag gegen uns spielen würdet. Unser letztes Spiel musste ja leider abgebrochen werden.“ Mario, der die Frage sofort erahnt hatte, tritt noch einen Schritt auf ihn zu und gibt ihm die Hand. „Gerne Viktor, wir sind bereit, wenn du es bist.“ Der Kapitän der Teufel erwidert den Händedruck. „Sehr schön, dann Sonntag, 10 Uhr?“ Mario blickt strahlend auf seine Mannschaft: „Geht das klar, Jungs?“ Ein lautstarkes „Jaaaaaa!“ ist die Antwort. Nur einer jubelt nicht: Gregor steht inmitten seiner begeisterten Kameraden, lacht etwas schief und reibt sich unbehaglich den Hinterkopf. „Ach Menno, am Samstag Abend wollte ich doch mit Conny ins Kino…“ murmelt er halblaut vor sich hin. Viktor hebt eine Augenbraue und fixiert den Jüngeren mit einem eiskalten Blick. „Vergiss es“, sagt er knapp. Erstaunt sieht Gregor sein Gegenüber an. „Du wirst nicht mit meiner Schwester ausgehen. Schlag dir das aus dem Kopf.“ Der Stürmer zwinkert irritiert mit den Augen. „Ähhh…. Wir haben uns aber verabredet. … Und sie hat auch schon zugesagt“, setzt er noch schnell nach. Viktor wendet sich zum Gehen. „Dann sag halt wieder ab.“ „Aber, aber…. wieso?“, völlig aus der Fassung wedelt Gregor mit den Händen herum. Seine Mannschaftskameraden stehen etwas peinlich berührt um ihn herum und wissen nicht, ob sie sich einmischen sollen oder nicht. Gregor war ihr Freund, aber die Beziehung zwischen ihm und Viktors Schwester ging sie nun wirklich nichts an. Schließlich fasst sich Mario ein Herz und beendet die peinliche Situation auf seine Weise: „Ich denke ihr solltet das unter euch klären.“ Und dann lauter an die anderen gewandt: „Der Rest kommt mit mir, zurück zum Training!“ „Jaa!“- „Ja“ – „Aye aye, Käpt’n!“ ertönt es vielstimmig. Füße scharren eilig im Sand. Dann bleibt Gregor mit Viktor allein zurück. Seufzend setzt sich der Ältere auf die nun freie Bank und stützt das Kinn nachdenklich auf den verschränkten Händen ab. Mit großen Augen sieht Gregor ihn an. „Ich verbiete dir, mit meiner Schwester auszugehen“, wiederholt der Torwart noch einmal. „Nicht so wie du zurzeit spielst.“ Wenn Gregor noch verständnisloser gucken kann als eben, dann tut er es jetzt. „Ich habe dich beobachtet. Du hast im ganzen Training kein einziges Mal aufs Tor geschossen.“ Seine Feststellung fühlt sich so schlicht und entlarvend an, wie Eiswürfel, die in ein Glas fallen oder in Gregors Magen. „Erinnerst du dich? Du warst mal der gefährlichste Stürmer dieser Stadt. Aber so wie du im Moment spielst, könnte ich auch meine Oma ins Tor stellen, und du würdest nicht treffen.“ Mit besorgtem Blick sieht er ihn an. „Was ist denn nur los?“ Gregor antwortet nicht. Mit hängendem Kopf und schlaffen Schultern steht er vor der Bank und schaut zu Boden. „Es ist seit meiner Verletzung so, oder?“ Der jüngere nickt: „Ich… ich kann es nun mal nicht vergessen“, sagt er leise, „Wie ich dich getroffen habe und… was danach passiert ist. Wie du da lagst und keine Luft mehr bekommen hast. Wenn Oliver und Joey vom Karate-Team nicht gekommen wären …, wer weiß was dann passiert wäre. Du hättest schwer verletzt sein können, du hättest vielleicht nie wieder spielen können, vielleicht wärst du sogar… sogar…“ Er bringt das Wort nicht über die Lippen. Viktor zuckt mit den Schultern: „Bin ich aber nicht“ Entspannt streckt er seine Arme über seinem Kopf aus. „Du wirst lachen, aber ich erinnere mich an nichts. Ich weiß nur noch, dass du mir den verdammten Ball aus den Händen gestoßen hast und ich ihn verloren habe. Und das ist das einzige, das mich interessiert.“ Seine Augen leuchten. „Du hast gegen mich ein Tor gemacht, und das will ich wieder zurück haben. Darum will ich, dass wir so bald wie möglich wieder gegeneinander spielen.“ Er seufzt und schüttelt den Kopf. „Aber, Gregor… ich will, dass du richtig gegen mich spielst. Ich weiß nicht, was du da gerade tust, aber Fußball ist es nicht. Es ist einfach nur peinlich. Und mit einem peinlichen Fußballer lasse ich meine Schwester nicht ausgehen.“ Gregor hat sich die ganze Zeit über nicht gerührt. Erst als Viktor Conny zur Sprache bringt, zuckt er zusammen. >peinlicher Fußballer< Das saß. Er ballt die Faust. „Ok“, nickt er, „ich werde wieder richtig spielen. Ich verspreche es.“ „Beweis es.“ Gregor sieht auf. „Wie? Unser Spiel ist erst am Sonntag.“ „Tritt gegen mich an.“ „Was?“ „So wie damals. Du hast drei Schüsse. Wenn du einen davon reinmachst, darfst du mit Conny ausgehen.“ Gregors Herz schlägt hart gegen seine Brust. Er ballt die Faust noch fester. Zustimmend nickt er. „Abgemacht! Wann?“ „Morgen, nach der Schule, bei uns“, erklärt Viktor entspannt, steht auf und geht davon. ~⚽️~ Kapitel 4: ----------- Am nächsten Nachmittag „Versteht ihr das?“ Mit gerunzelter Stirn stehen einige Spieler der Teufel am Rande ihres Trainingsplatzes und betrachten das Schauspiel vor sich. „Was denkt sich der Käpt’n dabei?“ Vor einem der Tore liegen drei Bälle. Daneben steht Gregor in seinem Kickers-Trikot und wärmt sich auf. „Eins-zwei… eins-zwei“, zählt er laut mit, während er wippend seine Arme abwechselnd über den Kopf streckt. Vom Seitenrand kommt Viktor aufs Tor zugelaufen. Mit ernster Miene zieht er sich erneut die Handschuhe fester. „Also Gregor“, wiederholt er, als er bei dem Kickers-Spieler angekommen ist, „Du hast drei Schüsse, um mir zu beweisen, dass du weiterhin ein richtiger Stürmer bist. Wenn du einen davon gegen mich reinmachst, dann darfst du mit Conny am Samstag ausgehen.“ Gregor nickt und fokussiert mit kämpferischem Blick das Tor der Teufel. „Einverstanden!“ „Heee, Conny!“ Lautes Fußgetrappel im Flur lässt Conny aufsehen. Sie ist, wie jeden Nachmittag nach dem Unterricht, auf dem Weg zu ihrer Klavierstunde, als zwei ihrer Freundinnen sie aufgeregt rufend aufhalten. „Hast du schon gesehen?“, fragen sie außer Atem im Chor, „Dein Bruder, er tritt gegen diesen Stürmer von den Kickers an. Der, der ihn verletzt hat.“ Conny wird blaß. „Sie treten jetzt gerade gegeneinander an. Es ist ein richtiges Duell!“ Die Mädchen überschlagen sich förmlich vor Aufregung gemischt mit Empörung. Conny fühlt sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. „Aber was…?“, murmelt sie. Gregor atmet noch einmal tief durch. Sein Blick wandert über das Tor. Viktor steht gespannt auf seiner Linie und sieht ihn erwartungsvoll an. Zu seinen Füßen, auf dem 11-Meter-Punkt, liegt der Ball, bereit zum Schuss. Aber war er selbst es auch? Er ballt die Fäuste. Warum war es für ihn plötzlich so schwer? Früher hatte er, ohne groß nachzudenken, mit aller Kraft auf alles geschossen, das wie ein Tor aussah. Sein Blick verdunkelt sich. Bis… ja, bis er mit aller Kraft einen Menschen verletzt hatte. Connys entsetzten Schrei über das Geschehene würde er nie mehr vergessen. „Los“, ruft ihm Viktor vom Tor aus zu, „zeig mir, dass du der gefährlichste Stürmer der Stadt bist!“ Vielleicht sollte er das wieder tun, geht es ihm durch den Kopf. Einfach schießen, ohne groß darüber nachzudenken. Ja, genau. Er beißt die Zähne zusammen und läuft an. In der Millisekunde, in der er den linken Fuß neben den Ball setzt und mit dem rechten hinter sich ausholt, fällt sein Blick auf den Torwart. Viktors Knie sind leicht gebeugt, seine Hände erwartungsvoll erhoben. Gregor sieht, dass er die Zähne zusammenbeißt. Kurz durchzuckt es ihn, dann trifft sein Spann sauber den Ball und feuert ihn Richtung Tor. Augenblicklich weicht die Spannung aus Viktors Körper. Er richtet sich auf und blickt fassungslos dem Ball hinterher, wie er meterweit über die Latte hinweg fliegt. „Was soll das denn? War das etwa ein Schuss?!“, ruft er empört, „Für so etwas stell ich mich doch nicht ins Tor!“ Gregor steht am 11-Meter-Punkt und stützt keuchend die Hände auf die Knie. Er schließt zähneknirschend die Augen. Warum nur? Dieser winzige Moment, in dem er gezögert hat. Ein kurzer Moment nur, aber er hat gereicht, um ihm die ganze Szenerie von vor einigen Wochen wieder vor Augen zu führen. Dass es ausgerechnet Viktor ist, der jetzt im Tor steht, macht es noch schlimmer. Die Erinnerung ist zu deutlich. „Gregor“, schreit es ihm vom Tor entgegen, „was ist die Aufgabe eines Stürmers?“ Irritiert hebt der jüngere den Kopf. „Ist es deine Aufgabe den Torwart zu bekämpfen oder sollst du den Ball ins Tor bringen?“ „Hä?“ Gregors Hand wandert zu seinem Hinterkopf. Was meinte er damit? Aber etwas, an dem, was Viktor gerade gesagt hat, hallt in ihm wieder. „Ich bin hier, um zu verhindern, dass dieser Ball die Linie überquert“, erklärt der Ältere mit lauter Stimme, „Und du bist da, um den Ball trotzdem an mir vorbei ins Tor zu befördern. Unser beider Ziel ist der Ball, und nicht die Person, die dahinter steht. Also konzentriere dich auf den Ball!“ Einen Moment lang steht Gregor perplex auf dem Rasen vor dem Tor herum. Darüber hatte er so noch nie nachgedacht. Was Viktor gerade gesagt hat, klang wie das selbstverständlichste der Fußballwelt, und dennoch hatte er das so noch nie gesehen. Wenn er sich also nur auf den Ball konzentrierte und den Torwart nicht als Gegner sondern nur als Hindernis betrachtete… „Los! Nummer zwei!“, beendet Viktor Gregors Gedankengänge. Der Stürmer blickt auf den Ball vor sich und nickt entschieden. Der Torwart ist nur ein weiterer Pfosten, denkt er sich. „Also los!“ Mit einem Schrei holt er aus und schießt den zweiten Ball. Wie eine Rakete hält er auf die rechte Ecke des Tors zu. Viktor macht einen großen Schritt zur Seite. Aufgeregt blickt Gregor seinem Schuss hinterher. Hatte er den richtigen Dreh? Kurz bevor der Ball das Tor erreicht, zieht er plötzlich eine Kurve nach links. Gregor jubelt. Der Torwart stemmt die Füße in den Boden und streckt sich auf die andere Seite. „Netter Versuch, Gregor!“ Der Länge nach lässt Viktor sich auf der Torlinie fallen, blockiert den Weg und stoppt den Ball mit beiden Händen. Gregors Lachen verstummt und stattdessen schlägt er wütend mit einer Faust auf den Rasen. „Da hatte ich ja wenigstens mal was zu tun“ lacht der Kapitän der Teufel, als er aufsteht und den gefangenen Ball ins Aus kickt. „Gut gemacht!“ Zähneknirschend starrt Gregor auf das Tor vor ihm. Ja, gut gemacht. Aber trotzdem zu wenig, zu vorhersehbar, zu schwach. Was konnte er noch tun? „Onii-chan! Gregor!“, ertönt es plötzlich von der anderen Seite. Verwundert sieht Gregor auf: „Conny?“ Seine Freundin kommt mit eiligen Schritten auf sie zu gelaufen. Ihren sorgenvollen Blick versteckt sie hinter ihren beiden Fäusten, die sie sich vor den Mund hält. Doch ihr Bruder ignoriert sie. „Das ist dein letzter Versuch. Streng dich an!“, ruft er Gregor zu und geht selbst wieder in Position. Als er bemerkt, wie sein Gegner zögert, fügt er hinzu: „Denk daran: Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass meine Schwester mit einem peinlichen Fußballer ausgeht!“ Durch Gregor geht ein Ruck. Böse funkelt er Viktor an. „Ich bin kein peinlicher Fußballer!“ „Beweis es! Der Ball liegt vor deinen Füßen!“ „Du wirst schon sehen!“ Wie ein Tiger in gebückter Haltung prescht der Stürmer nach vorn. Er sieht nur die linke untere Ecke, die jetzt am weitesten vom Torwart entfernt ist. Ohne Nachzudenken trifft er den Ball und schießt mit aller Kraft auf sein avisiertes Ziel. Viktor wirft sich mit einem Monstersprung nach links. Der Ball ist schnell, halten würde er ihn nicht mehr können, er macht sich so lang er kann, erreicht das Leder mit den Fingerspitzen. Der Ball geht an den Pfosten und springt in hohem Bogen zurück über den Strafraum. Atemlos sehen die beiden ihm nach. Blitzschnell rappelt sich der Torwart wieder auf. „Glaub ja nicht, dass ich es dir einfach machen werde!“, schreit er ohne den Ball aus den Augen zu lassen. Erneut nimmt Gregor Anlauf und stürmt auf das Tor zu. Sein Blick folgt unbeirrbar dem Ball. „Und ich werde mit Conny ausgehen!“, ruft er und springt mit dem Kopf voran. Viktor kommt ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Beide zielen auf den sich herabsenkenden Ball. Als Gregors Stirn den Ball trifft, spürt er bereits den Widerstand der Torwarthandschuhe auf der anderen Seite. Trotzdem köpft er mit aller Kraft. Der Ball dreht sich, befreit sich aus Viktors Fingern und fliegt unaufhaltsam durch die Hände des Torwarts hindurch ins Tor. Das nächste, das Gregor spürt, sind Viktors Arme und seine Schultern, in die er mit vollem Schwung hineinfliegt. Ein entsetzter Schrei entfährt ihm, als ihn wie ein Blitz die Erinnerung durchzuckt, dann landen die beiden krachend auf dem Boden. Augenblicklich springt Gregor wieder auf, sieht verzweifelt auf seinen Freund, der unter ihm im Tor liegt. „Viktor! Alles in Ordnung?“ ruft er panisch. Der Torwart hat die Augen zusammen gekniffen und zittert am ganzen Leib. Gregor wird schlecht. Entsetzt starrt er auf den bebenden Körper. Sollte sich der Albtraum etwa wiederholen? Da reißt ihn ein seltsames Geräusch aus seiner Erstarrung: Ein Lachen. Viktor lacht. Ungläubig guckt Gregor den Älteren an. War das möglich? Noch immer vor Lachen bebend setzt sich der Kapitän der Teufel auf und rückt seine Mütze zurecht. „Das ist der Gregor, den ich kenne!“, lacht er, „Kämpft bis zum Schluss. Wirklich der gefährlichste Stürmer unserer Stadt!“ Gregor strahlt. Erst jetzt fällt die Anspannung von ihm ab. Stolz betrachtet er den Ball im Tor der Teufel. Er hat es geschafft: der Fluch ist besiegt. Er kann wieder Tore schießen. Er streckt die Hand aus und hilft Viktor auf die Beine. Noch kurz sehen sich die beiden Kontrahenten zufrieden an, dann drückt Viktor einmal fest Gregors Hand: „Ich freue mich auf das Spiel am Sonntag“ sagt er und mit einem Lächeln zum Spielfeldrand fügt er hinzu: „und vorher viel Spaß im Kino.“ ~⚽️ Ende ⚽️~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)