Musik 4Y von mikifou (Diese eine Person, die...) ================================================================================ Kapitel 2: Vielleicht doch Karma -------------------------------- Kapitel 2: Abgesehen von der Rechtsvorlesung, war der Start meiner anderen Module deutlich unterhaltsamer gewesen. Zumal ich dort von anderen Architekturstudenten umgeben war und keine sadistischen Musiker um mich hatte. Zwischen den Vorlesungen wanderte ich auf dem Gelände umher, ging in die Mensa oder saß in der angenehmen Aprilsonne. Ich musste die Tage ausnutzen, an denen schönes Wetter war. Die Wettervorhersage kündigte bereits erste Regengebiete an und ich hasste Regen. Gerade suchte ich nach einer der wenigen und oft besetzten Bänke. Vielleicht gewöhnte ich mich daran im Gras zu sitzen, aber das war noch zu kalt. Oder ich brachte mir eine Decke mit. Doch wusste ich jetzt schon, dass mir das Tragen einer Decke zu lästig werden würde. Also… entweder eine Bank oder weitergehen. Die Bänke vor mir, waren alle belegt. Zu meiner Rechten saßen zwei Typen in ihre Handys vertieft, zu meiner Linken, stand eine kleine Gruppe und unterhielt sich lautstark. Ich sah mich bereits nach einer anderen Bank um, als ich im Vorbeigehen angerempelt wurde. Einer aus der lautstarken Gruppe hatte sich gelöst und demonstrierte Gott wer weiß was. Mein Kaffee schwabbte über, da ich auf einen Plastikdeckel verzichtet hatte. Normalerweise brauchte man den auch nicht, wenn man nicht gerade Auto fuhr. Aber heute … Bedröppelt hielt ich meine Hand, welche in Kaffee getränkt war von mir weg und blickte den quirligen Übeltäter an. Er war etwa in meinem Alter, schlanke Statur, gestyltes kurzes, blondes Haar und sonst auch sehr individuell mit seiner Kleidung. „Ah, sorry man, aber geh nicht einfach hinter mir vorbei“, sprach er und versuchte untröstlich auszusehen. „Dann häng dir ein Warnschild um oder trag ein Glöckchen. Deine Gedanken kann keiner lesen.“ Ich schüttelte meine Hand ab und bedauerte keine Servietten oder Taschentücher dabei zu haben. Aber ablecken vor all den Leuten ging auch schlecht, also schütteln, als hätte ich was besonders Ekeliges angefasst. Mein Gegenüber starrte mich etwas sprachlos an, eher er in seine Tasche griff und mir ein Taschentuch reichte. „Danke.“ Ich nahm den Becherrand zwischen die Zähne, viel war ja eh nicht mehr drin, und hatte beide Hände frei, um meine feuchte Hand zu trocken. Dabei achtete ich weder auf den Chaoten, noch auf die, die bei ihm saßen und ging meiner Wege. Schnell weg, ehe noch mehr passierte. Ich kam nur zwei Schritte weit, als der Chaot sprach: „Der ist genauso spitzzüngig wie du, Tim.“ Ich kannte nur einen Timothy bisher. Es wäre ein Zufall ihn heute schon wieder zu begegnen, aber da stand ich nun, Becher im Mund und starrte halb über meine Schulter. Hoch amüsiertes Braun fixierte mich flüchtig. Wirklich jetzt? „Oh, du hast ja keine Ahnung.“ „Chris, du solltest besser auf deine Umgebung achten“, meinte ein Mädchen neben Timothy. Chris, der Chaot, kratze sich nur am Kopf. „Ja, ja, das sagt ihr mir dauernd. Auch der Tanzlehrer letztens. Warte, was meinst du damit?“ „Dann wird’s wohl stimmen“, meinte das Mädel. Die restliche Frage war an Timothy gerichtet gewesen, der sich bequemer hinsetzte und weniger breit grinste. „Wir sind uns schon begegnet“, erklärte Timothy schlicht. Ich steckte das Taschentuch in meine Hosentasche und griff nach dem Becher in meinen Mund. „Seine Eminenz wandelt unter dem gemeinen Volk? Schade, dass ich meine Einwegkamera nicht dabei habe. Das würde ich sicher teuer verkaufen können.“ „Sei nicht so förmlich. Ich habe dir das Du bereits angeboten, während du mir nicht mal deinen Namen verrätst.“ „Die Antwort darauf hast du doch schon bekommen.“ „Wie der Herr wünscht. Leute, das ist Omphalos. Er ist Architekturstudent, frisch auf der Uni.“ „Und woher kennt ihr euch?“, warf das Mädchen neben ihm ein. „Wir sitzen in Recht zusammen.“ „Das war Zufall“, ergänzte ich. „Ein angenehmer“, insistierte Timothy. „Mitnichten“, konterte ich. Timothys Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln, während seine Augen ein Stück weit die Wärme verloren. Ich trank den letzten Schluck meines Kaffees und reichte den leeren Becher an Timothy. „Halt mal.“ Ich zückte mein Handy und öffnete die Kamera. Auf Weitwinkel gestellt, passten alle Figuren auf das Foto, welche sich gerade um Timothy scharrten. „Perfekt. Na dann, viel Spaß euch noch.“ Ich steckte mein Handy weg und ging meines Weges. „Bis morgen in der Vorlesung“, rief Timothy mir hinterher. Ich winkte nur, sah mich aber nicht um. „Ich werde mich in die hinterste Ecke quetschen“, war meine Antwort. Timothy hatte etwas an sich, dass mich faszinierte und zugleich auf die Palme brachte. Manchmal sprach er normal und fachlich. Dann änderte sich sein Blick, seine Haltung und sein Verhalten und er stürzte sich mit Worten auf einen, die wie Komplimente klangen, es aber nicht waren. Seine Stimme konnte süß sein, während seine Worte aus Messern bestanden oder anders rum. Wenn ich ihn mit einem Wort beschreiben müsste, wäre das wohl manipulativ. Ich gebe zu, zunächst hatte ich darüber nachgedacht mich vielleicht mit ihm anzufreunden. Die Tatsache, dass er Musiker war, bereitete mir zwar leichte Bauchschmerzen, aber hey, die Zeiten ändern sich. Vielleicht hätte ich ja Glück? Aber das war nach der zweiten Rechtsvorlesung letzte Woche passé gewesen. Ich seufzte für mich und bemerkte erst viel später, dass ich meinen leeren Becher bei Timothy gelassen hatte. Ach, was soll’s. Die Rechtsvorlesung war immer voll. Zunächst nahm ich an, dass ich um die Sitzplätze kämpfen musste, doch es schien, dass so ziemlicher jeder auf seinen Platz sitzen blieb. Es gab nur minimale Wechsel innerhalb einiger Reihen. Damit blieb mir nur mein schon reservierter Platz von der ersten Vorlesung. Neben den freien Platz direkt neben jenen in der Mitte der Mitte. Auch wenn ich mich gerne woanders hingesetzt hätte, so saßen Timothy und ich von nun an in jeder verdammten Vorlesung zusammen. Es hatte witzige Aspekte. Wie etwa, dass mich der Vortrag des Dozenten so gar nicht interessierte und Timothy es vorzog Noten zu schreiben. Ich las hin und wieder was er schrieb. Wenn es um Musik ging, war er erstaunlich konzentriert und sachlich. Seine Konzentration war beeindruckend und ließ ihn etwas attraktiver werden. Dem entgegen stellten sich alle Momente in denen Timothy keine Musik im Kopf hatte. Er war charmant, elegant, gewandt und konnte mit Wörtern und Gesten um sich werfen, sodass man tat was er wollte, ehe man begriff, was das eigentlich war. Ich fand heraus, dass er schon zwei Jahre an der Uni war und eine kleine Fangemeinde hatte. Musiker eben, dachte ich bei mir. Timothy war sehr scharfsinnig. Es würde mich nicht überraschen, wenn er zu all seiner Smartness noch einen hohen IQ hätte. Auf ihn als einen der ersten Studenten unter all den Hunderten hier zu treffen, empfand ich als Karma. Ich wusste nur noch nicht, wofür ich bestraft wurde. Jedenfalls reichten mir zwei zufällige Treffen und drei Vorlesungen aus, um Vorsicht walten zu lassen. Timothy hatte einen Blick drauf, der durch und durch ging. Als würde er direkt die Gedanken lesen oder bis in die Seele gucken. Das war nicht nur meine Meinung. Wie gesagt, war der werte Herr Musiker bekannt wie ein bunter Hund. Wenngleich er nicht viele Freunde zu haben schien, war er ein gern genommenes Gesprächsthema. Sogar bei meinen Kommilitonen, die länger als ich auf diese Uni gingen. „Kann mir mal einer erklären, warum der so bekannt ist?“, fragte ich in der Mittagspause meine Kommilitonen. Fred und Marvin waren mir von allen Anderen am sympathischsten. Wir fingen an regelmäßig zusammen in die Mensa zu gehen. Insgeheim hatte ich die Hoffnung, dass ich noch mal ein Wunder wie mit Hannes hinbekommen könnte. Apropos Hannes. Der ging weiterhin auf meine alte Uni, wir blieben übers Handy in Kontakt. „Den Wundermusiker? Weil er gute Musik macht, würde ich sagen“, antworte Marvin als Erster. „Er hat sich in den letzten Aufführungen einen Namen gemacht. Und bei den Zwischenevents oder Themenabenden trifft er den Geschmack der Menge. Wann haben wir ihn spielen gesehen?“, fragte Fred Marvin. Der biss ein großes Stück von seinem Schokocroissant ab und antwortete mit vollem Mund. „Das war auf dem Abschlussfest. Das, was vor der Exmatrikulation is‘.“ „Genau. Sie hatten eine kleine Bühne rangeschafft. Er hat wirklich Gespür für die Musik. Wenn aus ihm nichts wird, hat die Uni ihren Zweck verfehlt.“ Ich sah beide mit großen Augen an und verstand nur Bahnhof. „Wie viele Feste feiert ihr denn hier?“, fragte ich verwirrt. „Nicht viele“, meinte Marvin und schob sich das restliche Schokocroissant in den Mund. „Das Abschlussfest zum Ende des Sommersemesters ist das Größte und Aufwendigste. Alles andere sind nur kleinere Auftritte. Das machen aber alle.“ „Wie alle?“, hakte ich nach und ignorierte den leichten Anflug von Panik. „Nur die Künstler“, erklärte Fred genauer. „Musiker, Tänzer, Maler. Da sie sehr praktisch arbeiten, bestehen ihre Hausarbeiten meist aus neuen Stücken, die sie komponieren oder choreografieren müssen. Die Pinseltuscher bekommen hier und da einen Raum in einem Gebäude zugeteilt und präsentieren ihre Bilder und andere Kunstwerke. Die Tänzer und Musiker haben kleinere Events alle paar Monate. Manche sind Themenbehaftet, manche vollkommen Freestyle.“ Ich sank etwas entspannter in meine Lehne zurück. Wie froh war ich doch ein so trockenes und unpraktisches Studium wie Architektur gewählt zu haben. Wäre Jura nicht so dröge, wäre das meine erste Wahl gewesen. Musik und Tanz … Ich sah auf meinen Salat und pikte einige Blätter missmutig auf. „Zum Glück betrifft uns das nicht.“ „Find ich auch. Ich bin voll unmusikalisch“, scherzte Marvin. „Stimme ich zu. Hast du den mal Karaoke singen hören? Grauenhaft!“, bemerkte Fred. „Alter! Als wenn du eine Engelsstimme hättest, du Reibeisen.“ „Hehe“, schmunzelte ich. „Hab ihr denn schon eine Idee für unsere Ausstellung am Semesterende?“ „…“ „Wir nehmen dich mal mit zum Karaoke“, lenkte Fred ab. „Nein, danke. Ich singe nicht“, antwortete ich resolut. „Doch, doch, das ist Pflicht! Schiefer als wir singst du sicher nicht.“ Ich schielte von meinem Salat hoch und pflichtete ihm stumm bei. Schiefer würde ich sicher nicht singen… „Und dann gehen wir zu einer der Musikaufführungen. Glaube zum 1. Juni ist die Erste.“ „Wir könnten auch einfach Bowlen gehen“, schlug ich vor. Mein Vorschlag blieb ungehört. Ich seufzte innerlich und hinterfragte zum wiederholten Mal in diesen ersten zwei Wochen, meine Entscheidung auf diese Uni zu gehen. Was hatte ich mir auch dabei gedacht? Ich hätte schon stutzig werden sollen, als meine Mutter gegrinst und mein Vater ihr tadelnd in die Rippen gestupst hatte. Ich hätte auch stutzig werden sollen, als ich Sachen wie Musikproduzent, Post Production Engineer oder Game Sound Designer in der Broschüre gelesen hatte. Stattdessen hatte ich eine Pro-Kontra-Liste erstellt und die Unis verglichen. Meine Schwerpunkte waren die Entfernung zu meinen Eltern, der finanzielle Aspekt, die Wohnmöglichkeiten und die Dauer des Masters. Konnte ich dann von Karma sprechen, wenn ich wissentlich auf eine Uni mit einem Musikstudiengang wechselte? Ich sah auf die große Standuhr in einem der Wasserspiele für Kinder. Marvin und Fred hätten vor zehn Minuten hier sein sollen. Sie wollten mir die Stadt zeigen und natürlich diese Karaokebar. Nach fünf weiteren Minuten klingelte mein Handy.