Seasons of life. von robin-chan (If it's meant to happen, it will.) ================================================================================ Prolog: No chance, no way. -------------------------- 2022 spring Das erste Gefühl, das ihr den Druck von Brust nahm, war Erleichterung. Drinnen war alles eine Spur zu heiß geworden. Ein Zustand, der weniger dem geschlossenen Raum mitsamt seiner feiernden Gesellschaft geschuldet war, sondern vielmehr der brenzligen Situation, der man sie aussetzen wollte: Das Fangen des Brautstraußes. Wenn eine Sache existierte, der Nami Claesson nichts abgewinnen konnte, dann war das eine Hochzeit und deren Bräuche. Besonders dann, wenn ihre Freunde dachten, man müsste sie extra miteinbeziehen. Gelöst reckte sie den Kopf gen Himmel, atmete dabei die frische Nachtluft ein. Die aufkommende, kühle Brise hinterließ einen willkommenen Schauer. Alles zusammen war beruhigend. Nami lebte nach einem einfachen Grundsatz: Leben und leben lassen. Für sie war Liebe ein unverständliches, ablenkendes Konzept, das ihrem Freiheitsdrang im Wege stand. Jemand für dazwischen reichte, aber mehr? Das volle Programm? »Warte ab, Nami, triffst du die Richtige, wirst du uns verstehen«, hatte Zoro vor einer Stunde gesagt. Ein klares Nein. Sie tickte anders. Dafür hatte sich ihr bester Freund in die Ehe verabschiedet. Er! Bis vor zwei Jahren noch hatten sie zusammen über die Liebe geschimpft, während sie regelmäßig die Nächte um die Ohren schlugen. Dann stand sie plötzlich auf der Bildfläche. Hals über Kopf verschoss er sich in eine anfangs unscheinbar wirkende Frau. Blickte man dahinter, fanden sich zahlreiche Facetten und am Ende bildete sie das perfekte Pendant. Beide waren wie füreinander geschaffen und Nami freute sich. Sehr sogar. Ihn glücklich sehen, war das Wichtigste. Das Tamtam, das drinnen abging, das entsprach eben nicht ihren Vorstellungen. Anders dachte Vivi. Für sie war Namis Abneigung unverständlich und natürlich hatte sie sich mit der Braut verbündet. Instinktiv wusste sie im Vorfeld, wohin der Strauß fallen würde und der Gedanke allein schlug auf den Magen. Eine verträumte Romantikerin als Freundin zu haben, war eben nicht immer ein Segen. Gab Nami den Ton an, dann durfte die Liebe gekonnt bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Ihr Leben war ohne perfekt genug. Niemanden musste Rechenschaft abgelegt werden. Ungebundene Nächte ohne Wiedersehen mochte sie. Nami folgte einem Ziel. Irgendwann würde sie aus der Stadt verschwinden. Wer wollte da schon eine Verbindlichkeit im Nacken, die alles komplizierter machte? Oder ihre spontanen Trips. Nein. Allein war sie besser dran und das liebte sie an ihrem Leben. Schritte im Kies ließen sie aufschrecken und sich langsam umdrehen. »Ist dir unwohl?«, hörte sie eine raue, aber vertraute Stimme. Zuerst nahm sie ihn nur schemenhaft wahr. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich vom Gebäude weiter entfernt hatte. Zoro war ihr gefolgt und blieb mit in die Hosentasche geschobenen Händen stehen. Sein schiefes Lächeln ließ ihn unschlüssig wirken. Seit dem Hochzeitstanz hatte er Sakko und Krawatte abgelegt. Anzüge standen ihm, aber so, mit ein paar offenen Knöpfen, hochgekrempelten Ärmeln und einer etwas verwuschelten Frisur gefiel er ihr besser. Es war natürlicher, nicht aufgesetzt. »Ah, du bist wieder du selbst«, witzelte sie. Dann sah sie den Stoff auf seiner Schulter – sein Sakko. Das bübische Grinsen starb. »Du hast dir Sorgen gemacht«, stellte sie fest, wobei sie ertappt seinem Blick auswich. Zoros Schultern zuckten. Das tat er immer. Als ob es ein Verbrechen war seine Fürsorge einzugestehen. »Das du flüchtest, war mir klar, aber Stress kann schnell auf den Magen schlagen und du hattest bereits das eine oder andere Getränk.« »Wie du weißt, bin ich stressresistent!« »Oh bitte … stell dir vor, du hättest ihn gefangen. Dann müsstest du dir auf die Schnelle irgendein armes Opfer suchen, dass sich unfreiwillig mit dir ein Leben teilt. Allein die Vorstellung müsste dir den Magen umdrehen.« Nami setzte bereits zum Konter an, hielt aber inne, als er in schallendes Gelächter ausbrach. »Gib zu, ich habe ins Schwarze getroffen.« Entrüstet stemmte sie eine Hand in die Hüfte, die rechte war gefährlich zur Faust geballt. Zwei Schritt vor und die Kopfnuss würde sitzen. »Sei froh, dass das dein Tag ist …«, brummte sie leise vor sich hin und löste die Hand, nur um sich eine Strähne zurückzustreichen. »Manchmal frage ich mich echt, warum wir befreundet sind.« »Weil ich absichtlich verloren habe.« Angriffslustig blickte sie auf. »Fordere mich nicht heraus, sonst kann deine Frau allein in die Flitterwochen reisen.« Vor ein paar Jahren hatten sie sich auf einer Party eines Bekannten, ausgerechnet bei einem Wetttrinken, kennengelernt. Ein hart umkämpfter Sieg. Bis heute redete er sich mit einem Aufgeben heraus. Hätte er nicht reagiert, so hätten sich beide irgendwann in eine Alkoholvergiftung gesoffen. Eine Erklärung, die ihm Nami nicht abkaufte. Sie wusste, wann jemand genug hatte und wann jemand so tat. »Irgendwann wird deine Ehre die Niederlage akzeptieren müssen.« »Meine Ehre ist stolz auf mein ritterliches Verhalten«, grinste er keck und trat näher. »Wir haben Mitte April und du bist von drinnen aufgeheizt. Eine Verkühlung kommt schnell.« Behutsam legte er das Sakko um ihre Schultern. Er mochte den Eisklotz mimen, aber er war aufmerksamer als man ihm am ersten Blick zutraute. Sein Auftreten schüchterte eben gern ein. Durchtrainiert wie er war, gepaart mit seinem mürrischen Blick. Manchmal lief er durch die Gegend, als wollte er jede Sekunde jemanden umbringen. Und seit seinem Unfall vor fünf Jahren, der ihm ein Auge gekostet hatte, wirkte er auf Unbekannte noch bedrohlicher. Erst dann, wenn man ihn näher kannte, lockte man Zoro aus der Reserve und ab da war er durchschaubar. Der Eisklotz hatte sehr wohl Gefühle. »Danke«, nuschelte sie, war dem Kleidungsstück, das viel zu groß ausfiel, nicht abgeneigt und so schlüpfte sie gänzlich hinein. »Wer hat ihn jetzt gefangen?« »Drei Mal darfst du raten.« Sein Gesicht erhellte sich und der Unterton sagte alles. »Langweilig. Der Termin steht schon!« Kopfschüttelnd rückte sie den Stoff zurecht, damit er enger lag. »Wir müssen dir so richtig auf die Nerven gehen, oder?« Nami schluckte. Dem Blick nach war er auf keinen Scherz aus. Zoro wollte eine ehrliche Antwort. »Verlieben. Heiraten. Für mich Zeitverschwendung«, fing sie daher an, wobei ihre rechte Hand den Ärmel der anderen zurückkrempelte. »Niemand soll meine Pläne durchkreuzen. Ich habe ein Ziel. Mich interessiert niemand, der mich davon abhält. Denke ich darüber nach, denke ich an eine Last. Ich weiß, klingt verrückt und ihr teilt meine Einstellung nicht. Okay, du hast es bis früher mal.« Laut stieß er den Atemzug aus. »Nami. Jeder darf sein Leben so leben, wie er möchte. Ich habe nie gesucht. Du weißt, ich habe mich selbst oft über diese Gefühlsduselei ausgelassen. Würde mein jüngeres Ich mich heute sehen … oh Gott … er würde schreiend davonlaufen!« Darüber mussten sie beide lachen. Eben weil das Gesagte der Wahrheit entsprach. Zoro war ihr so ähnlich gewesen. Wie viele Frauen hatte er geghostet, weil sie ihn wiedersehen wollten? Während er die Frau fürs Leben hatte, lebte Nami weiter. Ihr Muster blieb unverändert. Sex, aber keine Gefühle. Sobald jemand näher in ihr Leben wollte, war Schluss. »Vivi ist eigen, aber ich möchte nur, dass du dich nicht vollkommen verschließt. Bleib offen. Für alles. Wenn die Richtige kommt, wirst du sehen, dass alles unbegründet ist.« »Bist du jetzt der neue Liebesguru?«, neckte sie und gab ihm einen sachten Stoß in die Seite. »Wenn ich erst alles erreicht habe, kann ich mich umsehen, okay?« Das Leben lag vor ihr, sie hatte alle Zeit der Welt und selbst wenn niemand auf sie wartete, wäre das kein Beinbruch. Zoro schob die Brauen zusammen. Durchdringend sah er sie an, ehe er fassungslos den Kopf schüttelte. Wirklich überzeugt schien er nicht. »Wenn ich richtig gehört habe, gibt es bei einem Krebs nur zwei Varianten. Entweder haben Krebse null Gefühle oder sie gehen direkt von null auf hundert. Du hast diese Person eben noch nicht getroffen.« »Schätze, ich muss den Kontakt zwischen dir und Vivienne unterbinden«, brummte sie missfallend. Den Mist konnte er nur von einem Menschen gehört haben. »Autsch, nenn sie bloß nicht so, obwohl …« Da warf er einen verräterischen Blick zurück. »Kleine Information am Rande, sie hat Monet auf dich angesetzt.« »Bekommt sie halt den nächsten Korb.« »Was?« Verdutzt wurde sie angestarrt und seine Arme verschränkten sich nun. »Ist dir nie aufgefallen? Monet nutzt jedes Treffen für eine Anmache, die Gute ist ganz schön lästig.« Für Nami kam das nicht überraschend. Nach der Trauung hatte sie bereits den nächsten Korb erhalten. Dass sie sich dann irgendwann mit Vivi verbündete, war fast eine logische Schlussfolgerung. »Wir sollten langsam zurück. Du zumindest.« »Die Richtige lässt auf sich warten«, murmelte er und gab Nami den Vortritt. Natürlich hatte sie ihn gehört, aber gekonnt ignorierte sie das Gesagte. In Zukunft jedoch, da würde Nami noch öfter an dieses Gespräch denken. Kapitel 1: Without ifs or buts. ------------------------------- 2023 late spring Das Display erlosch mit einem frustrierten Laut. Ignorieren und genießen wäre besser gewesen. Besser für ihre Laune, die jetzt leicht umschwang. Ins Bodenlose sank sie nicht, aber das lockere Gefühl von vorhin war erstmal verflogen. Bevor das Smartphone zurück auf den kleinen, runden Tisch gelegt wurde, überprüfte sie in der Spiegelung ihr rotes, welliges Haar, das in Abständen vom Wind umspielt wurde. Der Farbe wegen wurden sie gerne Rotschopf genannt. Manchmal verspielt. Manchmal als Beleidigung. Über letzteres lachte Nami. Vielleicht nicht direkt in der Situation, aber im Nachhinein Den Zusammenhang verdankte sie ihrem ungezügelten Temperament. Wurde ein Bogen überspannt, garantierte sie für nichts. Gerade wäre ein solcher Moment, wäre die Person anwesend, die ihr die Nachricht geschrieben hatte. Stattdessen blieb sie unbeantwortet. Für jetzt. Eigentlich gehörte der Inhalt in die Kategorie, die Nami liebend gern ignorierte. Besonderes bei Menschen, die eigentlich wussten, was Sache war. Carina hatte sich endgültig ins Aus geschossen. Der Punkt, an dem ein Schlussstrich notwendig war, war eingetroffen. Bevor sie aber über das eigene Ziel hinausschoss, legte sie das Smartphone lieber zu Seite. Morgen war ein neuer Tag. Morgen konnte sie ihr genauso gut eine knappe Erklärung abgeben, eine sehr knappe. Für eine andere Frau war Carina eine nette Partie. Seit sieben Jahren pflegten sie eine Freundschaft, vor ein paar Monaten war daraus eine Freundschaft Plus geworden. Nun wurde die Angelegenheit zu heiß, leider nicht im positiven Sinn. In dem Fall wäre etwas wie Vorfreude aufgekommen. Carina verdiente ihren Lebensunterhalt als Reisebegleiterin. Dass sie sich wochenlang nicht sahen, kam häufiger vor. Das ins Bett gehen hatte vor ein paar Monaten seinen Anfang genommen. Eine durchzechte Nacht, die Lust. Nami würde lügen, hätten ihr die Stunden, die sie seither verbrachten, keinen Spaß gemacht. Überraschend gut hatten sie ihr gefallen, aber eben nicht auf der Gefühlsebene. Für sie war Carina eine gute Freundin, mit der sie eben dann und wann das Bett teilte. Mehr nicht und ihre Einstellung kannte die andere, zumal sie einen ähnlichen Stil führte. Carina suchte keine Beziehung, sie liebte ihre Abenteuer auf den Reisen. Die Frau war einiges, aber kein Unschuldslamm. Eine Partnerin würde dem Spaß im Weg stehen. Anzeichen, das dem nicht so war, waren in dem vergangenen Monat auffällig geworden. Erst hatte Nami gedacht, sie würde sich alles einbilden. Nun, spätestens mit der Nachrichtig, lag alles auf der Hand. Statt mitzuspielen, hatte Carina den Plan durchkreuzt. Gefühle waren da und gewisse Ansprüche, denen Nami nie gerecht werden konnte und wollte. Manch eine bezeichnete sie schon mal als ein Arschloch, aber das war im Endeffekt nicht ihr Problem. Sie verliebte sich nicht. Ließ man sich auf Nami ein, so stimmten sie einer Unverbindlichkeit zu. Weder verheimlichte sie den Punkt, noch log sie. Jeder Frau sagte Nami sofort, was Sache war. Zu ihrem Pech überschätzte sich die eine oder andere. Carina bildete eben doch keine erhoffte Ausnahme. Nun zahlten sie drauf. Ihr Beziehungsgeflecht funktionierte eben nur, wenn sich jede an die Abmachung hielt. Empfand eine mehr mussten sie aufhören. Spielen gehörte nicht zu ihrem Repertoire und an dem, dass sich andere einbildeten, konnte Nami nichts ändern. Sie hatte keinen Einfluss auf die Gefühle. Leider mussten sie aber ihre Standfestigkeit hinnehmen. Verlieben war nicht drin. Ein Arm baumelte über der Stuhllehne. Ihr Blick glitt durch die laute, buntgemischte Menschenmasse. Sonntag, Sonne. Was wollte man mehr? Der frische Wind war mit den frühlingshaften Temperaturen erträglich und luden förmlich für einen Besuch an der Themse ein. Ein Zeichen. Lieber den Tag genießen, als unnötig Energie aufzubringen. »Dachte schon, ich komme nie zurück!«, hörte sie das Lachen. Sofort riss sich Nami von den Menschen los und sah auf. Mit dem Schere-Stein-Papier-Prinzip hatten sie entschieden, wer sich anstellen musste und wer schnell noch einen freien Platz ergatterte. Das Glück war auf ihrer Seite gewesen. Wie so oft. Vivi unterstellte ihr ein Schummeln, aber analysieren war keine Schummelei. Eher sollte sie ihre Taktik ändern, dann würde Nami öfter verlieren. »Danke.« Endlich, langsam hatte der Hunger übernommen. Obwohl sie einige Minuten angestanden war, strotzte Vivi vor guter Laune. Ansteckend. Namis Lächeln kehrte zurück. Das letzte Mal, dass sie hier zusammen Fish N Chips vertilgten, lag ein paar Wochen zurück. Im April. In diesen Stunden merkte sie umso deutlicher, wie rasant das Leben voranschritt. Ihre Freundschaft begann auf ruppige Weise auf dem Hof einer Privatschule. Vivi war in dem Jahrgang unter ihr. Es dauerte, aber kaum waren die Startschwierigkeiten überwunden, waren sie fast unzertrennlich geworden. In der restlichen Schulzeit, wie im Studium, verbrachten sie genug Stunden an der Themse. Aber die spontanen Verabredungen, bei denen gegessen, gequatscht oder durch die Geschäfte geschlendert wurde, verringerten sich. Mittlerweile standen sie mehr durch das Schreiben oder Telefonieren in Kontakt. Sogar Zoro bekam sie öfter zu sehen. Dennoch blieb die Verbindung zueinander, und Namis Gefühl sagte, dass sich das nie ändern würde. Was immer die Zukunft parat hielt. »Wo sind wir stehengeblieben?«, fragte Vivi abwesend, während sie herzhaft in den frittierten Fisch biss. »Venedig«, half sie kopfschüttelnd auf die Sprünge. Eigentlich hieß sie Vivienne. Mit vollem Namen angesprochen werden, hasste sie. Ein wichtiges Detail, das Nami gerne nutzte, um Diskussionen zu beenden. Sobald Vivienne ausgesprochen wurde, wusste sie sofort, dass der Bogen bedrohlich spannte. Wie eine letzte Warnung. Wurde sie ignoriert, garantierte Nami für nichts. Bislang zählten sie jene Momente an einer Hand ab, dass an Vivis Art lag. Austeilen konnte sie sehr wohl, aber war ihr Wesen deutlich gezügelter, suchte lieber die Harmonie. Dasselbe galt für Nami, bloß schoss sie schneller über das Ziel hinaus. Wenn sie Vivi beim Essen betrachtete, vergaß man zeitweilig auf ihre Abstammung; eine weit zurückreichende Aristokratenfamilie, die dementsprechend eine enge Verbindung zum Königshaus pflegte. Dabei machte sie an manchen Tagen nichts glücklicher als irgendwo, untergegangen in der Menschenschar, Fish N Chips zu essen. Das mochte sie an Vivi, sie war alles, aber nicht abgehoben. Da hatte Nami in den Jahren andere Kaliber kennengelernt. Jene, die bis heute nicht verstanden, warum Vivi einen Mann aus einer Arbeiterfamilie heiratete. Der Tratsch war groß gewesen. Manche sahen in ihm einen Mann, der nur hinter ihrem Erbe her war. Dass sie und Korsa seit Kindesbein eine tiefe Verbundenheit hatten, die während der Teenagerjahre in eine romantische Beziehung umschwang, vergaßen sie dabei. Daher hatte Vivi auf manch eine Einladung vergessen. Auf ihre Weise hatte Vivi der Hochzeit einen zusätzlichen Kick verliehen. Das war im vergangenen September. »Der Urlaub … genau!« Vivi schnippte und schluckte den Bissen hinunter. »Himmlisch! In allem. Allein die Bauwerke, der Lifestyle und – du kannst dir denken was kommt – wir haben im Sonnenuntergang eine Gondelfahrt gemacht. Eine waschechte, romantische Gondelfahrt. Ich weiß, der pure Kitsch«, erzählte sie schmachtend. Nami lachte. Als ob sie ohne eine Fahrt zurückkäme. Vivi war eine Romantikerin. Kitsch liebte sie und es war das Sinnbild der Romantik, wenn man als Paar die Stadt besuchte. »Leider ist die Zeit unfair, sie ist zu schnell vergangen. Irgendwann möchte ich zurück, Neues erkunden. Ich beneide jeden, der dort wohnt.« Während Nami ihr Wasser trank, hob sie schon ihre rechte Braue. Jetzt übertrieb ihre Freundin. »Alle Welt flüchtet vom sinkenden Schiff und du würdest die Möglichkeit in Betracht ziehen? Seien wir ehrlich, entweder stinkts oder sie wird überflutet – vom Wasser und den Touristen. Wo bleibt die Lebensqualität?« Tadelnd hob Vivi den Zeigefinger. »Ein Leben abseits der Touristen existiert und sollte sie irgendwann untergehen, muss man sie vorher eben noch auskosten«, entgegnete sie und am Ende hielt sie das Grinsen nicht zurück. Nun rollte Nami die Augen über. »Okay, dann eben die Realität. Ziehst du um und musst dort leben, kehrt irgendwann der Alltag ein. Der Alltag nimmt dir den Charme und Zauber, dafür wirst du deutlicher auf die Schattenseiten aufmerksam. Jede Medaille hat zwei Seiten, Venedig bildet keine Ausnahme. Solange du bei Kurzbesuchen bleibst, bleibt dir die Romantik erhalten. Du siehst, was du sehen willst, du genießt, gehst aus, shoppen, bist vom Ambiente entzückt und fährst nach Hause. Deine Traumvorstellung bleibt. Fertig.« »Pragmatisch … «, murmelte die anderen gepresst. »Spielverderber. Ist dir klar, oder? Vielleicht solltest du einen Abstecher machen, würde deine romantische Ader füttern. Bewirkt Wunder.« »Danke, kein Interesse.« »Sonst bist du für jede Empfehlung aufgeschlossen«, säuselte Vivi. »Ich war schon früher dort und sie hat keinen bedeuteten Einfluss gehabt.« Daraufhin verzog Vivi missmutig das Gesicht, nuschelte undefinierbare Worte in ihren Fisch, ehe sie erneut abbiss. Dass sie nicht alle Denkweisen teilten, war gut so. »Wenn wir gerade beim Thema sind … irgendwelche Neuigkeiten? Gedatet? Geghostet? Irgendetwas am Schirm?« In letzter Sekunde hielt Nami stand, nicht zum Smartphone zu sehen. Carina aus dem Leben streichen, war eine Neuigkeit. Keine von der Vivi hören wollte. Lieber wäre ihr andersherum. Deshalb schwieg Nami nicht. Gerade war ihr einfach nicht danach. Hätte sie einen zu schnellen Blick riskiert, hätte Vivi den registriert und sofort nachgehakt. »Gegenfrage … wo versteckt sich dein Göttergatte?«, lenkte Nami lieber ab und legte dabei eine Neugierde an den Tag. Oder sie versuchte interessiert zu wirken. »Schon vergessen? West Ham hat das letzte Heimspiel«, war alles, das Vivi sagte. Da ging ein Licht auf. Natürlich. Da war was. »Du bekommst Venedig, er seinen Stadionbesuch. Guter Deal muss ich sagen.« »Wir steigen beide bestmöglich aus, habe ich gut eingefädelt.« Gekonnt klimperte Vivi mit den Wimpern. Dann musste sie lachen. »Er liebt das Stadionfeeling. Überhaupt benimmt er sich an Spieltagen wie ein kleines Kind, mir gefällt’s. So hat jeder seine eigenen Hobbies. Er geht mit Zorro seinem nach und wir haben endlich mal Zeit für unser Ding.« »Bier trinken, Experte spielen und grölen. Bester Zeitvertreib nach einer kitschigen Überreizung«, neckte Nami. Zeitgleich fiel ihr ein, was ein Spieltag bedeutete. »Ich hoffe auf einen Sieg. Bei einer Niederlage muss ich mir Zoros Gejammere anhören.« In den Jahren war das ein festes Ritual geworden. Früher hatte sie ihn dann und wann sogar begleitet, aber das Gefühl schwappte nie über. Englische Fans waren nicht ihres. Bei den Spielen im Ausland, die sie mal besuchten, hatten ihr schon eher Unterhaltung geboten. Einfach von der Fankultur. Etwas, das sie ihm so nie sagen würde. Dank Zoro blieb sie in der heimischen Liga auf den aktuellen Stand. Normalerweise würde sie manches überhaupt nicht auf dem Radar haben, aber er ließ sich gerne über eine Niederlage aus. Das Schwärmen über einen Sieg war ihr die liebste Option. In Vivis Ehemann hatte er endgültig seinen eigenen Fußball-Buddy gefunden. Als Unterstützer desselben Vereins hatten sie mittlerweile Saisonkarten nebeneinander. Vor dem Kennenlernen der zwei hatte Vivi damals ihre Bedenken geäußert, als sie darin aber eine Gemeinsamkeit fand, war ihr alles leichter gefallen. Fußball selbst war eine Basis, dann die gleiche Lieblingsmannschaft und der gemeinsame Hass Chlesea gegenüber, war einer Verbrüderung gleichgekommen. Und darin lag einer der Punkte, warum Angst vorhanden war. Für Nami und Vivi hatte Zoro in den Jahren einen hohen Stellenwert eingenommen. Er glich manchmal mehr einem Bruder als einem Freund. Dass bewies er selbst oft genug, sein Beschützerinstinkt war groß und wer in das Leben der zwei wollte, musste erst an ihm vorbei. Seine Worte. Wie oft hatte er ihnen das gesagt. Vivi war das Auskommen der Männer von Anfang an wichtig gewesen. Für Nami war seine Art ein gefundenes Fressen. Da sie niemanden vorstellen wollte, musste sie stets darüber lachen. Niemand kam nah. Waren sie aus, begnügte er sich in der Rolle desjenigen, mit dem sie, gelinde ausgedrückt, die Auswahl überflog. Selbst, wenn sie irgendwann jemanden fand, mit dem eine Beziehung möglich wäre, würde er das Match, das er in Korsa hatte, kein zweites Mal bekommen. Das stand fest. Nun kam ein bisschen Neugierde auf und sie griff nach ihrem Smartphone. Der Live-Ticker war schnell geöffnet und der Stand ließ sie entspannt aufatmen. »West Ham ist auf Siegkurs. Wird heute länger und ich muss ihn nicht trösten.« »Der Pub wird überlaufen«, kommentierte Vivi kopfschüttelnd. »Die werden morgen kaum aus dem Bett kommen.« »Dein Mann vielleicht. Zoro müsste bis in die Morgenstunden trinken.« Verstehen brauchte Nami das Ganze nicht, ihr war das egal, solange die zwei ihren Spaß hatten. »Leider«, seufzte die andere. Das restliche Essen aßen sie schweigend, erst als sie fertig waren, lehnte Vivi zurück und musterte sie auf ihre typisch wissende Art. »Was sind deine Sommerpläne. Du wirst nie und nimmer die Füße stillhalten.« Nein, das nicht. Reisen war ein fester Bestandteil in Namis Leben. Entweder Kurztrips, gerne auch spontan oder längere Aufenthalte. Seit sie ein Kind war, wollte sie die Welt bereisen. Neue Orte erkunden, neue Erfahrungen sammeln. Zwar stand der Tapetenwechsel, die Erholung genauso im Mittelpunkt, aber in erster Linie wollte Nami ihre Abenteuerlust befriedigen. »Nächstes Wochenende bin ich in Edinburgh unterwegs.« Ein Pfiff ließ Nami aufschauen. »Schottland, schön … windig … verregnet … kalt.« Sie schüttelte sich. Nami griff prustend nach ihrer Wasserflasche. So in etwa. »Haben wir bessere Bedingungen?« »Im Schnitt? Allemal! Schottland ist halt … Schottland. Erzähl, wie kommt’s? Hätte ein wärmeres Klima erwartet.« Schulterzuckend trank Nami. Langsam und mehr als sie wollte. Innerlich kroch eine Unruhe empor, die sie mit dem Wasser regelrecht hinunterspülen versuchte. Der Trip kreiste bereits eine Weile in ihren Gedanken und nächste Woche bot sich eine günstige Gelegenheit. Das Blatt hatte sich gewendet und das lag an einer anderen Sache, über die sie lieber nicht reden wollte. »Ich habe bislang nie Zeit gehabt oder sagen wir, mein Interesse war nie groß genug. Einen neuen Ort kennenlernen, ist das beste Argument, oder? Generell spiele ich mit dem Gedanken im Juli das Land zu erkunden. Merkwürdig, oder? Gleich ums Eck und bisher bin ich nie dazu gekommen. Habe ich Schottland, habe ich die Insel durch.« Wales, Irland, auch Nordirland waren neben England abgehakt. Das, was sie sehen wollte, aber Schottland ließ all die Zeit auf sich warten. Jetzt bot sich die Gelegenheit alles abzuhaken. »Da bekommt die Bezeichnung Wanderhure eine neue Bedeutung«, bemerkte Vivi trocken, hob tadelnd den Zeigefinger, während Nami langsam ihre Flasche abstellte. Hatte sie gerade richtig gehört? »Was denn? Sprache verschlagen?« Merklich unterdrückte ihre Freundin ein Lachen, in dem sie vorlehnte und das Kinn an den Händen abstützte. »Manchmal hast du sie nicht alle«, brummte Nami genervt, wobei sie ihre Stirn rieb. »Papperlapapp. Wie sieht’s aus, machen wir die Märkte unsicher?« ∞ Die Sonne war längst untergegangen als Nami nach Hause kam. Ihre Füße waren erledigt, Vivi hatte sie regelrecht durch die Straßen gejagt, auf der Suche nach einmaligen Stücken. Sie liebte Flohmärkte. Das Feilschen überließ sie Nami. Was den Wert und das Geld anging, war sie der harte Brocken. In der heißen Dusche sah sie ihre wohlverdiente Belohnung, sie entspannte ungemein. Anschließend ließ sie sich mit einem Glas Rotwein am Sofa nieder und ging ihre Nachrichten durch. Zoro hatte wieder geschrieben. Ausgelassen feierte er, zusammen mit Korsa, noch immer den Sieg. Eigentlich nahm er das als perfekte Ausrede, um mal einen über den Durst zu trinken. Das Älterwerden hatte ihn durchaus verändert. Früher war er oft unterwegs, trank genug. Er war, was das anging, wesentlich ruhiger geworden. Während sie eine knappe Antwort tippte, grinste Nami vor sich hin. Tasha, der Spitzname hatte sich irgendwann für Tashigi eingebürgert, zeigte keinerlei Interesse an der Sportart. Bis heute verwechselte sie sein Lieblingsteam. Ihre Leidenschaft galt dem Schwertkampf. Zoros größte Leidenschaft. Dass sie mit der Basis in ein Gespräch fanden, lag auf der Hand. Ihr Kennenlernen verdankten sie der Arbeit. Der Polizei. Anderweitig hätten sie nie miteinander zu tun gehabt. Auf den ersten Blick hin, wirkte sie sehr unscheinbar, passte überhaupt nicht in sein Beuteschema. Der Zufall brachte sie ins Gespräch und am Ende war es das Beste, das ihm passiert war. Tasha nahm den Werdegang deutlich ernster. Rasch hatte sie sich einen Namen gemacht, vor zwei Jahren wechselte sie zur City of London Police, wo sie mittlerweile in der Terrorismusabteilung zuständig war. Eigentlich hatte Zoro früher selbst große Ziele gehabt. Vor seinem Unfall. Ein erst einfach scheinender Einsatz hatte ihm das Auge gekostet. Das Ereignis änderte seine Möglichkeiten und somit seine Einstellung. Er ließ sich nicht gehen, dafür war er nicht geschaffen, aber fühlte er sich in seinem jetzigen Aufgabenbereich perfekt aufgehoben. Die Position als Ausbilder verdankte er seinem Wesen und seinem Können. Wenn er wollte, könnte er im Hintergrund weitaus mehr, aber ihm reichte der Posten. Wiederum wurde Nami bewusst, wie rasch die Zeit verflog. Die Hochzeit lag über ein Jahr zurück. Verrückt. Sie lehnte zurück und starrte zur Decke hoch. »Wie kommt’s?«, hallte die Frage. Wie kam sie auf Schottland? Das Land blieb übrig, konnte endlich von der Liste gestrichen werden. Eine einfache Begründung. Dabei lag mehr dahinter. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, vielleicht war der Sommer die letzte, richtige Gelegenheit, bevor sich ihr Leben veränderte. Trat das Erhoffte ein, sollte sie in Zukunft lediglich für Besuche ihrer Liebsten zurückkehren. Ein Gedanke, der sie laut und tief ausatmen ließ. Schon immer hatte Nami gesagt, sie würde irgendwann aus England fortgehen. Ihr Leben sollte nie durchgehend in diesem Land stattfinden. Dafür war die Welt zu groß und das Gefühl zu stark. Die Insel selbst war nicht, wie gesagt wurde, ihr Heimathafen. Das empfand sie woanders und genau dort fand sie die perfekte Grundlage für ihren Beruf. Die Richtung, die sie verfolgte. Hier wusste nur eine Person Bescheid. Ihre Schwester. Niemanden sonst hatte sie von ihrem Vorhaben erzählt. Erst mit der Zusage sollte der Rest erfahren, wie ihr nächster Schritt aussah. Nami hatte ein gutes Gefühl, darauf arbeitete sie seit Jahren hin, aber wollte sie irgendwie keinen voreiligen Träumereien nachjagen. Sich nicht allzu sehr darauf versteifen. Andererseits bildeten ihre Freunde die Kehrseite. Sie hatte Freunde, aber Vivi und Zoro waren Familie und die Familie zurücklassen fiel ihr schwer. Ein paar tausend Kilometer, ein anderer Kontinent. Ihre Schwester verstand sie. Schon ihr Onkel würde durchdrehen. Sie allein auf der anderen Seite des Meeres. Kamen sich Traum und Realität nahe, kamen Gefühle hoch, die sonst mit einem Lächeln quittiert wurden. Andere kamen zuvor gar nicht hoch. Mit einer gewissen Entfernung ging man meist leichter mit dem Gedanken um. Rückte der eine Punkt näher, wurden die eigenen Gefühle komplizierter. Die Angst selbst war dabei unbegründet. Allein die zwei unterstützten Nami und würden ihr, sollte sie den Schritt nicht wagen, gleichzeitig in den Hintern treten, anstatt sie abzuhalten. Das, was ihr merklich auf den Magen schlug und warum sie nicht bereit war darüber zu reden, war die Tatsache, dass sie sich vermissen würde. Obwohl man sich nicht länger täglich sah, waren sie in der Nähe. Sie waren dennoch nie aus der Welt. Wäre etwas, wären sie nie allzu weit entfernt voneinander. Zoro war eine Sache, Vivi eine andere. Sobald sie Bescheid wusste … sie würde alles auf den Kopf stellen. Ein unnötiges Tamtam veranstalten, etwas, das Nami gerade überhaupt nicht brauchte. Und das war eben der Hauptgrund, warum sie sich mit Entscheidung England den Rücken zu kehren, verboten hatte sich zu verlieben. Deshalb interessierte sie sich nicht für tiefergehende Gefühle, eine feste Bindung. Wenn der Moment eintraf, konnte sie keinen Neustart erzwingen. Niemanden auffordern das Leben ihretwegen auf den Kopf zu stellen. Das Leben war trügerisch. Was, wenn das Herz zuerst gewann und erst später der Verstand einsetzte? Auf beiden Seiten? So ein Schritt war nicht im realistisch. Er überlebte nicht jede Beziehung. Für Nami war das Leben in London in Ordnung. Früher und heute. Ihr aktueller Job war in Ordnung. Genau das störte Nami. Es war eben nur in Ordnung. Sie wollte mehr. Mehr empfinden als das, mehr als ein in Ordnung. Nun war die Chance, wofür sie sich über Jahre den Hintern aufgerissen hatte, greifbarer denn je. Allein war der Schritt unkomplizierter. Die Umstellung galt ihr allein. Familie und Freunde waren ein schwerwiegender Punkt, mit dem sie dann leben musste, aber eine Beziehung? Wenn sie die eine Person gefunden hätte, mit der sie ihr Leben teilen wollte, die eine Liebe … Nami war viel, aber alles andere als gefühlslos. Liebte sie, dann ohne Wenn und Aber und das könnte ein großes Problem werden. Kapitel 2: Point of no return. ------------------------------ Edinburgh und Wetter. Entsprechend der Erwartungen begleitete Regen das Sightseeing. Während dieser Jahreszeit normal; wärmere Temperaturen waren reines Wunschdenken. Eigentlich galt Nami als Sonnenkind. War sie ehrlich, so passte das gesamte Inselklima gar nicht zu ihrem Gemüt. Aufblühen tat sie in heißen Regionen. Ironischerweise brachte ihr die erwartete Zukunft keine Besserung, sondern im Gegenteil, sie würde kälter werden. Monatelang könnte sie weit unter dem Gefrierpunkt liegen – purer Irrsinn, wenn sie darüber nachdachte. Vorerst lieber die Witterung genießen. Regen selbst hielt Nami nur in besonderen Fällen vom Erkunden ab. Wenn, dann musste ein ordentlicher Regen toben und die Ziele durften sich nur im Freien befinden. Bislang hatte er sich in Grenzen gehalten, nun wurde er allmählich lästig. Umso mehr freute Nami sich auf den nächsten Punkt ihrer Liste, das National Museum of Scotland. Vorübergehend bot es Schutz. Nach den Stunden, die sie seit dem Morgen unterwegs war, eine willkommene Abwechslung. Ein Weilchen im Trockenen, bevor sie zurück in ihre Unterkunft wollte, um sich für den Abend frisch zu machen. Überhaupt schien ihr Plan bislang aufzugehen, und es sah so aus, als könne sie das Wichtigste an einem Wochenende erledigen. Alles, was noch übrig blieb war die Erkundung des Umlands. Das musste auf später verschoben werden, auf ihren Sommerurlaub. Mittlerweile nahm das Vorhaben klarere Konturen an. Damit konnte sie arbeiten, denn die Reise stand bereits in zwei Monaten an. Mit neugierigen Schritten durchquerte sie das Gebäude. Hier blieb sie eine Weile stehen, dort ging sie schneller voran. Museen hatten für sie schon öfter als Ort der Entspannung gedient. In der Zeit blendete sie ihre Umwelt aus, tauchte in die Objekte, wie auch ihren eigenen Gedanken ein. Nami konzentrierte sich einfach auf das, was vor ihr lag, und sammelte nebenbei neue Eindrücke, Erkenntnisse, waren sie positiv und faszinierend oder, wie gerade, abstoßend. Sobald ihr Blick auf eine Ansammlung von Miniatur-Särgen fiel, verzog sie angewidert das Gesicht. Ein unangenehmes Kältegefühl lief ihr den Rücken hinunter, vielleicht verstärkt durch die geöffneten Augen der darin liegenden Puppen. Seltsam, wie sehr diese morbiden Objekte ihr Interesse weckten, in ihr den Drang auslösten, zu erfahren, was es mit ihnen auf sich hatte. Langsam trat sie näher, ihre Neugierde überwog tatsächlich die Abneigung. Noch bevor sie den Blick abwenden und den dazugehörigen Text lesen konnte, hörte sie eine Bewegung, die sie erschreckte. Sogleich stolperte sie einen Schritt zurück. Beruhigend legte sie ihre Hand auf die Brust, direkt über dem schnell schlagenden Herzen. Nami war normalerweise nicht die schreckhafteste Person, aber in diesem Moment, nun ja, da war sie vielleicht einen Hauch zu sehr in ihren Gedanken versunken gewesen. »Verzeihung.« Eine Frau entschuldigte sich, und obwohl Nami bereit war, eine scharfe Erwiderung zu geben, hielt sie inne. Schweigen statt Unmut. Als hätte das Universum ihre Worte in diesem Augenblick zum Stillstand gebracht – genau dann als Nami sie sah. Sie war groß, deutlich größer als Nami, auch ohne Absätze. Ihr Kostüm, perfekt geschnitten und anliegend, betonte ihre Figur auf elegante Weise und verlieh ihr eine zeitlose Schönheit. Ihre langen, schwarzen Haare, fielen ihr in sanften Wellen den Rücken hinab, wie ein seidiger Wasserfall in der Dunkelheit der Nacht. Doch all das schien in dem Moment nebensächlich zu sein, als sich ihre Augen begegneten. Das Museum, das um sie herum existierte, trat in den Hintergrund, und diese Frau war das einzige Kunstwerk, das wirklich lebendig war. In ihnen spiegelte sich die sanfte Ruhe des Gewässers, und ihre tiefe, blauschimmernde Farbe erinnerte an den klaren Himmel über einem malerischen Bergsee. Jeder Blick fühlte sich an wie ein Eintauchten in die Tiefe des Wassers, das die Geheimnisse und Schätze der Natur barg. Ein vertrautes Gefühl kroch empor und löste eine alte, aber prägende Erinnerung aus. Da fand sie den notwendigen Punkt. Endlich blinzelte Nami, um die Starre zu durchbrechen, und schüttelte sanft den Kopf. Was das gerade war, war befremdlich. »Ich war in Gedanken, alles gut.« Nein. Nichts war an der Situation gut. Ihr Blick verharrte wieder auf den Särgen, die plötzlich einen unerwarteten Reiz ausstrahlten. Erst jetzt bemerkte Nami, dass ihre Hand noch immer über ihrem Herzen ruhte, das genauso stürmisch pochte wie zuvor. Aber anstatt Ruhe zu finden, spürte sie eine unerklärliche Aufregung. Hatte Nami nicht schon öfter solche Gedanken gehabt, wenn sie eine Frau traf, die ihr gefiel? Gedanken waren flüchtige Impulse, oft bedeutungslos. Ab und zu hatte sie sogar erkannt, dass auch Männer eine gewisse Anziehung besaßen. Bedeutete das automatisch, dass sie sich mit ihnen auf Abenteuer einließ? Keinesfalls. Trotzdem nagte das unbestimmte Gefühl, dass hier etwas Seltsames vor sich ging, an ihr. Wieder schüttelte sie den Kopf, nicht über die ungewöhnliche Situation, sondern über ihre eigenen verwirrenden Gedanken. Sie zwang die Aufmerksamkeit zurück zu den Särgen. Dort weitermachen, wo sie gerade eben erst unterbrochen worden war. »Faszinierend, oder?« Eigentlich suchte Nami keine Unterhaltung. »Gruselig trifft’s eher«, murmelte sie zurück. In Wahrheit hatte sie kurzzeitig mit der Idee gespielt, umzudrehen und ihre Neugierde dem nächsten Stück zu schenken. Das Schicksal hatte offenbar andere Pläne. Rückblickend würde Nami den Augenblick als ihren ersten Fehler bezeichnen, denn sie sah zur Seite, und in ihrem Inneren spürte sie ein zartes Kribbeln in der Magengegend. Die Unbekannte hielt ihre Hand vor den Mund, als würde sie versuchen, ein Lachen zu unterdrücken. Und Nami erkannte erneut, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Sie wollte das Lachen hören. Sowohl das Gefühl wie auch der Anblick brannten sich unbemerkt ins Gedächtnis, wie eine dieser Erinnerungen, die in ihrem Herzen einen besonderen Platz einnahm. Eine wie die, die sie noch Jahre später mit einem Lächeln auf den Lippen erzählen würde, jedes Detail schildernd, als erlebte sie ihn gerade zum ersten Mal. »Entschuldige. Ich vergesse gerne, dass Ansichten unterschiedlich sind. Was andere abstoßend finden, fasziniert mich.« »Für mich sind sie gruselige Gesellen. Abstoßend und gruselig ist ein feiner Unterschied«, versuchte sich Nami selbst zu erklären, obwohl sie genau in dem Moment behaupten könnte, dass ihr die Artefakte gefielen. Das wäre eine Täuschung, das Unbehagen ihnen gegenüber bestand weiter. Sie bildeten lediglich eine Ablenkung. Die Anwesenheit brachte ihre Gefühlswelt zweifellos durcheinander, das wollte sich Nami nicht eingestehen. Noch nicht. Die Frau ließ ihren Arm sinken und nickte vor sich hin, als ob sie in ihren Gedanken versunken wäre. Ihr zweiter Fehler folgte. Eine einfache Frage: »Ist die Geschichte gruselig?« Die andere neigte den Kopf, wiederholte leise die Frage und ließ sie eine Weile zwischen ihnen stehen. »Hängt mit den Theorien zusammen?« Nami lächelte, und ihre Vermutung erwies sich als korrekt – die geheimnisvolle Frau besaß ein Hintergrundwissen. Die Quelle blieb noch verborgen, doch die Ausstrahlung verriet, dass sie bereits zuvor auf die acht Särge gestoßen war. »Sind sie auf der Tafel aufgeführt oder muss nachgehakt werden?« Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. »Arthur’s Seat ist-« »Einer der sieben Hügel auf denen Edinburgh erbaut wurde«, beendete Nami. Das war ihr vertraut, aus der Schulzeit. Zudem informierte sie sich vor einer Reise ausgiebiger. Zunächst warf ihr die Frau einen überraschten Blick zu, der jedoch bald von einem herzlichen Lächeln abgelöst wurde. Nami brauchte einen Drink. Als ob das Lächeln nicht reichte, trat die andere näher, und das Parfüm wurde intensiver wahrgenommen. Das, was sie trug, zog Nami an. Es fühlte sich an, als würde sie in einen geheimnisvollen Garten eintauchen, wo jede Blüte ihre eigene, verführerische Geschichte erzählte – eine kalte Dusche, ein paar Drinks und einen ordentlichen Hieb auf den Hinterkopf. Das brauchte Nami. Genau in der Reihenfolge, damit sie aus diesem bescheuerten Wirrwarr aufwachte. »Manchmal erlebe ich Urlauber, die einem das Gefühl geben, sie wüsste nicht, wo sie gerade sind. Andererseits muss ich eingestehen, dass es mit einer Angewohnheit zusammenhängt.« Gerade konnte sie Nami alles erzählen, sogar einen Mord beichten, sie würde nur die Stimme registrieren. Ein verführerischer Klang, der in den Ohren lag. Jedes Wort, das sie sprach, schien in samtigen Ton gehüllt zu sein. Es war eine Stimme, die man nicht vergessen konnte, eine Melodie, die das Herz zum Singen brachte und Sehnsüchte weckte. Erst mit der Kopfbewegung zurück zu den Särgen, fokussierte sich Nami zurück auf das Wesentliche. »Um die Stücke ranken sich mehrere Theorien. Bis heute tappen wir im Dunklen. Die Überlieferung besagt, dass eine Gruppe, bestehend aus fünf Jungen, die Särge zufällig im Jahr 1836 fand. Sie jagten ein Kaninchen, gefunden haben sie 17 Särge, verteilt auf drei Ebenen. Acht, wie du siehst, sind uns erhalten. Sie wurde von keinem Tischler gemacht, dafür sind sie zu grob und ungenau. Dafür schließen sie auf zwei Erbauer.« Konzentration war das Zauberwort. Nami versuchte das Gesagte zu behalten, sich vollends darauf zu konzentrieren. »Liegt an der Verarbeitung selbst?« »Genau. Man kann deutlich zwei verschiedene Stile ausmachen«, bestätigte die andere. »Gehen wir von den Puppen selbst aus, so sind sie wesentlich älter. Um ein paar Jahrzehnte und die Ähnlichkeit lässt vermuten, dass sie denselben Ursprung haben. Sagen wir, sie wurden eher zweckentfremdet und dienten vielleicht zum Spielen. Die offenen Augen-« »Sind furchtbar«, unterbrach Nami knirschend. »Etwas, ja – die Kleidung wurde später angefertigt. Der Stoff war zum Herstellungszeitpunkt der Puppen nicht in Umlauf«, beendete die Frau. Nun verschränkte Nami ihre Arme und betrachtete die Objekte genauer. Bislang blieb der Gruselfaktor aus. »Kommen wir der Sache näher. Was wird vermutet?« »Gerne interpretiert man ein Ritual hinein. Von Hexen wird gesprochen. Die Hexenjagd ist in Edinburgh ein eigenes Kapitel. Die andere, oft hergeholte Theorie, bringt sie mit William Burke und William Hare in Verbindung.« Eine beabsichtigte Pause entstand, begleitet von einem auffordernden Seitenblick, der Nami Zeit für Überlegungen einräumte. Eine Aufforderung, der sie nachkam. Die Erwähnung löste eine Reaktion aus. Tief in ihrem Inneren spürte sie, dass sie von diesen Namen bereits gehört hatte. Ihr Gefühl sagte ihr das. Doch sie konnte nicht genau feststellen, wann und wo. Als ob sie die Information irgendwann aufgeschnappt oder gelesen hatte, und ihr Gedächtnis versuchte nun, diese abzurufen. Es schwebte in der Luft, aber war sie nicht greifbar. »Hättest du einen Hinweis für mich? Irgendetwas?«, murmelnd sprach sie die Frage aus. Leicht neigte sich Namis Kopf, als käme damit eine Verbindung zustanden. Ein kleiner Ruck, der fehlte noch. »West-Port-Morde.« Da. Nami ergriff ihn. Natürlich kannte sie die Namen, deren Bedeutung. »Eine Mordserie. In dieser Stadt. Frühes 19. Jahrhundert. Das Gesetz zur medizinischen Leichenbeschaffung ist dadurch gelockert worden. Ich sollte mich auf dem richtigen Weg befinden, oder?« Herausfordernd sah sie auf. »Bist du. Du hast dich informiert«, schmunzelte diese. »Indirekt. Das Wissen entspringt einem langweiligen Abend auf der Couch. Irgendwann klickt man sich durch alle Ebenen. Was mit einem lustigen Video startet, endet meist mit den verrücktesten Themen. In dem Fall bin ich auf einige Serienmörder gestoßen.« Während der Recherchen rund um die Stadt, war ihr der Punkt vermutlich erneut ins Auge gestoßen, aber bislang hatte sie daran keine Gedanken verschwendet. Nun, wo die Erinnerung greifbar war, wusste sie wieder, woher sie kam. Ging ein Licht auf, wusste sie wieder, woher sie sie hatte. Ein kleiner Hinweis brachte das Gedächtnis auf die Spur. Es war erstaunlich, wie einige Informationen im Hintergrund blieben und dann auf subtile Weise abgerufen wurden, auch wenn sie nicht immer sofort in den Vordergrund drängten. »Zurück zum Thema. Die Morde selbst fanden ein paar Jahre davor statt. Finden sie darin den zusammenhängenden Punkt?« »Richtig und die Anzahl passt für Forscher.« Nami zog die Brauen zusammen, rieb sich daraufhin ihre Stirn. »Aber da fehlt ein Mord. Beide zusammen haben 16 Menschen getötet. Gefunden wurden 17 Puppensärge.« Darin sah sie einen Fehler in der Theorie. »Entweder wurde ein Opfer nie gefunden, sie haben nie darüber gesprochen oder sie wurden erwischt, bevor sie dem nachgehen konnten.« Während sich Nami den Kopf zerbrach, eine willkommene Verschnaufpause ihrer ersten Eindrücke, wurde sie schweigend von der Frau beobachtet. »Seien wir ehrlich. Erst töten sie, dann verkaufen sie die Leichen und tun was? Fertigen Minisärge und Kleidung an, um ihnen eine spirituelle Beerdigung zu schenken? Eine Gewissenserleichterung? Mit dem Aufwand?« Überzeugend fand sie das alles nicht und dabei half auch die Kleidung nicht, die sie wieder vermehrt ins Visier nahm. »Getötet wurden überwiegend Frauen. Eine ist ihnen damals sogar entkommen. Hier werden in erster Linie Hosen getragen. Warum? Ein Kleid ist rascher und einfach genäht.« Die Achterbahnfahrt ging in die nächste Runde. Obwohl sie sich in Rage geredet hatte, quittierte die Unbekannte ihren Redefluss mit einem leisen Lachen – dieses Mal hielt sie es nicht gänzlich zurück und es erfüllte die Atmosphäre mit einer unbeschreiblichen Magie und ließ Nami innehalten, während sie es sich wie ein vertrautes Lied ins Gedächtnis einprägte. »Können wir je die wahre Anzahl ihrer Morde benennen? Die Wahrheit selbst werden wir nie erfahren. Ob sie die Verantwortlichen hierfür sind oder ob jemand anderes dahinter steckt … es wird ein Geheimnis bleiben und genau der Punkt bietet unserer Fantasie Spielraum. Das finde ich faszinierend – die Wahrheit suchen und finden.« »Nie. Hört sich nach einer verdammt langen Suche an«, neckte Nami und die andere zuckte die Schulter. »Dieses Geheimnis ist nicht mein Gebiet.« Also gehörte sie doch auf eine Weise hierher. »Nein«, wurde Nami durchschaut. »Ich bin ein Gast. Schottisch gehört nicht zu meinen Vorlieben.« Nami gluckste. Wem sagte sie das. Mit dem Scots kam sie bislang kaum in Berührung, aber das würde sie endgültig durcheinanderbringen. Nun, da sie die Geschichte kannte, wandte sich Nami von den Artefakten ab und lächelte. »Danke.« Eine unwirkliche Begegnung, aber mit ihr wurde das Lernen von Neuem zu einem spannenderen Abenteuer. Besser als Texte lesen oder einer monotonen Stimme lauschen. Vielleicht lag das auch an dem Menschen, mit dem sie den Moment teilte. »Gern geschehen. Habe ich deinen kleinen Herzinfarkt wiedergutgemacht?« Den Schreck hatte sie. Wieder begann ihr Herz schneller zu schlagen, sobald ihr Blick in diese Augen eintauchte. Es war wie das sanfte Nachbeben einer süßen Verführung, die sie ergriff. Nichts anderes, nur das. Sie übte eine unübersehbare Anziehungskraft aus, aber das schob Nami ihrem Auftreten in die Schuhe. Solche Menschen existierten. Ihre Reaktion war normal und verflog, sobald sie auseinandergingen. »Kennst du weitere Hintergrundinformationen?«, fragte Nami unverblümt. Noch in der gleichen Sekunde wollte sie sich auf die Zunge beißen oder sich verfluchen. Hin und wieder wäre es klüger, erst zu überlegen und dann zu sprechen, dachte sie. Genauso konnte sie nicht nachvollziehen, warum ihre Gedanken so unruhig waren. Eine simple Frage, mehr hatte sie nicht getan und warum ging sie von einer positiven Antwort aus? Denn selbst, wenn sie welche hätte, würde es in einem angenehmen, unbeschwerten Gespräch enden. Ein nettes kleines Highlight auf ihrer Reise. Die Frau entfernte sich ein Stück und in diesem Moment nahm sich Nami die Zeit, die Umgebung zu betrachten. Sie atmete tief ein und aus. Als sie nach Edinburgh gereist war, hatte sie keine bestimmten Erwartungen gehegt. Sie hatte sich vorgenommen, die Stadt zu erkunden, abends in einem charmanten Restaurant zu essen und vielleicht in den gemütlichen Pubs den Tag ausklingen lassen. Aber das hier? Gerade erkannte sie sich selbst nicht. »Ich denke«, wurde sie aus den Gedanken geholt, »ich kann dir als Guide aushelfen. Ich sehe auch schon das Passende.« Die Frau setzte ihren eleganten Schritt in Bewegung, und Nami konnte nicht anders, als ihr verträumt nachzusehen. Ihr Gang hatte etwas Anmutiges, fast schon tänzerisch. Das weiche Licht des Museums strich sanft über ihre Konturen und ließ sie wie ein Gemälde aus einer anderen Zeit erscheinen. Ihr langes Haar, das leicht flatterte, verlieh ihrer Erscheinung eine verführerische Aura. Neue Reihenfolge. Erst der Schlag, dann die Dusche, dann die Drinks. Gehen. Nami wusste, dass sie gehen musste. Der beste Ausweg aus der verzwickten Situation, ihrer unbekannten, verstörenden Gefühlsduselei. Stattdessen war das Bleiben die Antwort. Sie wollte die Erzählungen hören. Bevor sie der Frau aber folgte, schob sich eine neue Frage in den Vordergrund, die ihr rascher als ihr lieb war, unaufhörlich auf der Zunge brannte. »Hat mein Guide einen Namen?« Nami gab der Neugierde nach. Ein Name war ein Name, und wenn sie vorhatte, die verbleibenden Ausstellungsstücke mit dieser Frau zu erkunden, wollte sie zumindest wissen, mit wem sie die Zeit verbrachte. Nach einigen Schritten hielt die andere inne. Sie wandte sich ihr mit einer anmutigen Bewegung über die Schulter hinweg entgegen und warf ihr einen Blick zu, der einladend und verführerisch war. Ihre Augen schienen ein Geheimnis zu bergen, das nur darauf wartete, entdeckt zu werden, und die Art, wie sie lächelte, bestärkte das Gefühl von Neugier. »Bell. Gertrude Bell.« Nami hatte sich auf alle möglichen Namen vorbereitet, nur nicht auf den, und so blieb sie überrascht stehen. Die Verwirrung dauerte nicht lange, und während sie die Sekunden überbrückte in denen sie verstand, war es sie, die sich bemühte, ein herzliches Lachen zu unterdrücken. Ein falscher Name. Ein Spiel, das Nami selbst zu spielen vermochte. »Okay, Gertrude. Der Tod steht dir.« Da war er, der eine alles verändernde Moment, in dem Nami den größten Fehler begann. Wäre sie nie auf den Scherz eingegangen, hätte sie den Besuch abgebrochen oder allein fortgesetzt, wären all die nächsten Schritte nie geschehen. Das Leben wäre geplant verlaufen, ganz nach ihren Wünschen. Keine Komplikationen. Keine Gefühlschaos, aber ohne die gemeinsame Zukunft. Hier war der letzte Punkt, an dem sie nur zwei Fremde waren, die ein Gespräch miteinander führten, das war er: ihr point of no return. Kapitel 3: Tea & coffee. ------------------------ Der Regen trommelte leise gegen die Fensterscheibe und erzeugte einen angenehmen Klang. Ein leichter Beschlag bedeckte die Glasfläche, während im Augenwinkel die Umrisse eiliger Passanten vorbeihuschten, begleitet von langsam herabgleitenden Wassertropfen. Das Café bildete einen einladenden Kontrast zur feuchten und kalten Welt draußen. Die Deckenlampen warfen ein warmes, gedämpftes Licht, das den Raum einladend erfüllte. Das leise Summen der Unterhaltungen und das sanfte Klirren von Geschirr vermischte sich harmonisch mit den verlockenden Aromen von frisch gebrühtem Kaffee und der ausgestellten Kuchen und Gebäckstücke. Nami führte die dampfende Tasse behutsam an ihren Lippen. Der Duft des schwarzen Tees, der aus den Weiten Afrikas stammte und von den Heidenblüten aus den schottischen Highlands umschmeichelt wurde, stieg angenehm in ihre Nase. Ihre Begleiterin hingegen blieb der klassischen Tasse Kaffee treu. Dank ihres Guides hatte der Rest des Rundgangs eine faszinierende und ansprechende Wendung genommen. Durch ihr Wissen über die Geschichte und einiger Geheimnisse hatte Nami weit mehr Informationen gesammelt als auf herkömmliche Weise. Sie war wie ein Lexikon, das die Geschichten lebendig werden ließ, und jeder Moment in ihrer Gesellschaft fühlte sich an wie eine Entdeckungsreise, bei der Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen. Etwas an ihr war anders und dem fühlte sich Nami ausgeliefert. Anstatt sich danach voneinander zu trennen, schlug sie vor, einen Kaffee trinken zu gehen. Dabei war die Idee, länger zusammen sein, zweitranging. Vielmehr wollte Nami sich erkenntlich zeigen. Gertrude hätte das nicht tun müssen. Und falls sie zuvor nicht schon gewusst hätte, dass sich diese häufiger in Edinburgh aufhielt, hätte es Nami spätestens beim Vorschlag erfahren. Anstelle des Museumsbistro, das ihrer Meinung nach nicht das Wahre war, hatte sie Nami blind in das Café geführt. Glücklicherweise hatte der Starkregen erst auf den letzten Metern eingesetzt. Getrude. Neugierig wie Nami war, hatte sie zwischendurch versucht, den wahren Namen ihrer Begleitung herauszufinden, doch im Nachhinein erschien es fast besser, dass ihr dies nicht gelungen war. So blieb die Begegnung kurzweilig und geheimnisvoll, ohne die Notwendigkeit persönliche Details preiszugeben. Umso verschlossener blieb Nami selbst, aber damit schien sich die andere von Anfang an zufrieden zu geben. Nur das es besser war, dachte Nami nicht lange. Nur bis sie hier angekommen waren. Wieder bemerkte sie den Kellner, der fast geräuschlos zwischen den Tischen hin und her eilte. Heute würde er sich sicher über ein großzügiges Trinkgeld freuen. Als sie das Café betreten hatten, hatte er ihre Begleitung, Robin, mit aufrichtiger Freude begrüßt. Nami konnte nicht sagen warum, aber irgendwie passte der Name. Ihr siegreiches Grinsen darüber, dass sie ihn herausgefunden hatte, wurde von Robin mit einem amüsierten Lächeln quittiert. Später erfuhr Nami, dass der junge Mann an der Universität Geschichte studierte und dass sie ihm bereits das eine oder andere Mal geholfen hatte. Durch seine herzliche Begrüßung hatte das Café zudem ihre Ankunft bemerkt. Nami konnte in dem Moment förmlich spüren, wie die anderen Gäste verstohlene Blicke auf sie warfen, und selbst jetzt richteten einige ihre Aufmerksamkeit auf sie. Sie war sich bewusst, wie man die Leute auf sich zog, doch in diesem Fall galt das Interesse eindeutig Robin. Wenn sie im Museum bereits auffällig gekleidet war, dann stach sie hier umso deutlicher heraus. Ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie bildeten in ihrer eigenen Art einen klaren Gegensatz zueinander. Nami hatte ihre Allwetterjacke über die Stuhllehne geworfen, sie trug eine schlichte Jeans und einen dünnen Pullover. Das Haar war zu einem lockeren Dutt gebunden. Und dann saß ihr Robin gegenüber, perfekt gekleidet und gestylt. Wobei sie selbst ohne all das, eine besondere Schönheit ausstrahlte, die sie überall zum Blickfang machte. »Reist du gerne allein?«, fragte Robin mit einem sanften Unterton, und Nami hob den Blick. Ihre Augen hatten nach wie vor diese magische Anziehungskraft. Sie stellte ihre Teetasse vorsichtig ab und lehnte das Kinn auf ihren Handrücken. »Es ist irgendwie zur Gewohnheit geworden«, gestand sie schließlich. »Manchmal unternehme ich Reisen mit Freunden, aber ja, der Großteil meiner Abenteuer besteht darin, allein aufzubrechen.« Ein Lächeln huschte über Robins Lippen. »Lass mich raten«, begann sie, »dir gefällt die Freiheit, keine Rücksicht nehmen zu müssen, sondern tun und lassen zu können, was du möchtest, wann immer du möchtest.« Ihre Worte trafen ins Schwarze, und Nami starrte sie etwas überrascht an. Es war tatsächlich so einfach, wie sie es ausgedrückt hatte. Punkt. Allein reisen bedeutete für sie, die volle Kontrolle über ihre Reiseroute und ihr Abenteuer zu haben. Spontan zu bleiben. »Das klingt so, als ob das für alle Bereiche deines Lebens gilt«, fügte Robin mit einem schelmischen Lächeln hinzu, während Nami sich in ihrem Stuhl zurücklehnte. Das Grinsen schwach erwidernd zuckte sie die Schulter. »Das Leben ist einfach zu kurz für übermäßige Verpflichtungen«, antwortete sie. Es war in der Tat recht einfach zu erkennen, dass ihre Lebensphilosophie von Freiheit und Ungebundenheit geprägt war. Obwohl diese unerwartete Begegnung sie aus der Bahn geworfen hatte und Nami nach wie vor diese Anziehung zu Robin spürte, war ihr bewusst, dass sich an ihrer Einstellung nichts Wesentliches ändern würde. Sie beschloss einfach, den Augenblick auszukosten. Wenn sie sich später voneinander verabschiedeten, würde sie ein oder zwei Tage an die Stunden zurückdenken und dann wieder in ihren gewohnten Trott verfallen, bis sie zu einer fernen Erinnerung verblassten. Vielleicht könnte man das ein oder andere Wort oder eine Geste als Flirten interpretieren, aber in erster Linie handelte es sich um eine angenehme Unterhaltung. Zwischen ihnen würde heute nichts laufen, besonders weil der Cafébesuch zeitlich begrenzt war. Robin flog noch am selben Abend zurück nach London, wie sie Nami mitgeteilt hatte. Dass Robin aus England kam, war keine Überraschung, dass Robin in der Nähe wohnte, schon. »Kenne ich«, erwiderte die andere nickend, worauf Nami hellhörig wurde. »Die Einstellung hat seine Vorzüge-«, begann Nami, doch wurden ihre Worte jäh vom Summen ihres Handys unterbrochen. »Entschuldige.« Ein Seufzen entwich ihr, während sie es aus der Jackentasche fischte. Der Name des Anrufers, das auf dem Display aufleuchtete, ließ das Seufzen in ein frustriertes Stöhnen übergehen. Sie verstaute das Handy zurück in der Tasche, ohne den Anruf entgegenzunehmen. »Schwierigkeiten?«, fragte Robin mit einem scherzhaften Unterton. »Ja, so könnte man es ausdrücken.« Ein vielsagender Ausdruck lag in ihren Augen. »Wie ich bereits sagte, ich hege nicht gerade eine innige Freundschaft mit Verpflichtungen. Andere hingegen erwarten sie förmlich von mir.« Hastiger griff sie nach der Tasse und nahm einen weiteren Schluck Tee, während in ihrer Stimme dennoch ein Hauch von Bedauern mitschwang. In den letzten Tagen hatte Nami versäumt, auf die Nachrichten zu antworten. Anfangs hatte sie es vor sich hergeschoben, dann waren die Arbeit und der Ausflug dazwischengekommen, und der Konflikt war in den Hintergrund gerückt. Irgendwann unabsichtlich und dann wieder bewusst. »Du hast jemanden den Kopf verdreht und jetzt versuchst du, die Notbremse zu ziehen. Aber die andere Person möchte nicht, dass du gehst«, stellte Robin sachlich fest. Es war eine schlichte Beobachtung, die Nami verlegen zur Seite schauen ließ, während sie sich leicht abwandte, um aus dem Fenster zu blicken. Der Regen draußen hatte inzwischen deutlich nachgelassen. »Punktlandung«, flüsterte sie vor sich hin. Anschließend schüttelte Nami den Kopf und wandte sich wieder ihrer Begleitung zu. Ein kurzer Moment des Nachdenkens verstrich, bevor sie ein verschmitztes Grinsen aufsetzte. »Ich bin nicht auf der Suche nach jemandem Bestimmten. Ich bin hier, um meinen Spaß zu haben, und das verheimliche ich keineswegs. Zu dumm, dass ich oft auf welche stoße, die meinen, mich besser zu kennen und erwarten oder glauben, dass ich für sie meine Einstellung über Bord werfe. Aber hier ist der entscheidende Punkt: ich verliebe mich nicht. Tun sie es, gehe ich.« Das einfachste, aber wichtigste Detail. Selbst Carina verweigerte sich der Erkenntnis, dass Nami keine romantischen Gefühle für sie hegte. Ernstere Emotionen würden sie letztendlich irgendwann aus der Bahn werfen, doch bislang hatte keine Frau auch nur annähernd so weit geschafft. Selbst, wenn der Fall eintrat, bevor sie hatte, was sie wollte, wusste Nami ihre Gefühle zu unterbinden. Davon war sie überzeugt. In der Zwischenzeit nahm Robin einen Schluck und, nachdem sie die Tasse abgestellt hatte, neigte sie den Kopf leicht zur Seite. »Wie lange hat das zwischen euch beiden gedauert?«, fragte sie. Nami hatte eigentlich nicht vorgehabt, über Carina zu sprechen, aber es schien passend zum vorigen Verlauf. Ihre Liebe zur Ungebundenheit. »Ein paar Nächte, verteilt über die letzten Monate«, antwortete Nami und bereute das es nicht bei dem einen Mal geblieben war. »Wir kennen uns seit Jahren, und nach einer durchzechten Nacht … du kannst dir denken, wie schnell die Dinge eine unerwartete Richtung nehmen. Ich dachte, es wäre eine willkommene Abwechslung. Hört sich an, als hätte sie bereits früher mehr gewollt, warum sonst ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Was die Freundschaft betrifft, kann ich die wohl abschreiben.« Ihre Verbundenheit zu Carina war jedoch nicht so tiefgreifend wie die zu Zoro oder Vivi. Es gab bestimmte Themen, die sie niemals mit ihr besprochen hätte, dennoch verstanden sie sich und wussten auch auf andere Weise eine gute Zeit zu verbringen. Irgendwie hoffte sie ja, dass es sich irgendwann regelte und Carina vielleicht selbst nicht genau wusste, was sie da sprach. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, auf den sie aber lieber nicht bauen sollte. »Das ist das Dilemma der Gefühle. Wir haben keine Kontrolle über sie«, war alles, das Robin sagte. »Du kennst das«, stellte Nami fest, während ihre Augen von Robins geheimnisvollen Lächeln angezogen wurden. Dann wandte Robin ihren Blick ab, strich langsam über den Tassenrand. Es schien, als wäre sie in Gedanken versunken und überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte. Schließlich schob sie die leere Tasse beiseite und hob wiederum den Kopf. »Bis vor zwei Jahren führte ich ein, sagen wir, nomadisches Leben«, begann sie zu erzählen. »Ich reiste von einem Ausgrabungsort zum nächsten. Ein spannendes Leben mit zig Erfahrungen und Erlebnissen, aber irgendwann habe ich das Interesse verloren. Langsam komme ich zur Ruhe. Wenn ich jetzt unterwegs bin, dann nur, um Entwicklungen zu beobachten, bei Ausstellungen zu helfen oder man möchte mich als Beraterin. So wie heute.« Nami lächelte herausfordernd und bemerkte: »Wenn ich an den Kellner denke, ziehen sie dich häufiger hinzu.« »Ich bin gefragt«, antworte Robin ohne Scheu. Natürlich war sie sich ihres Wertes bewusst. Nami glaubte ihr auf der Stelle. Es hatte gar nicht erst mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zu tun. Während des Rundgangs hatte Nami am eigenen Leib erfahren, dass diese Frau ein tiefes Wissen besaß. »Die Arbeit hielt dich von der Liebe fern?«, fragte Nami neugierig nach. Robin lächelte leicht und senkte dann ihren Blick, als würde sie in der Vergangenheit schwelgen. »Ja, in gewisser Weise. Es gab Zeiten, in denen ich mich von allem ein wenig ferngehalten habe. Mein Forschungsdrang war einfach stärker als das Verlangen nach zwischenmenschlichen Beziehungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich sie nicht gehabt habe. Nur waren sie nie für die Dauer bestimmt und das Unkomplizierte schont die Nerven.« Nami konnte nicht umhin, zu bemerken, wie Robin die anderen Gäste im Café beobachtete. Ihr Blick war wie der eines erfahrenen Beobachters, der subtil und einfühlsam auf ihre Umgebung achtete. Die Augen glitten ruhig über die verschiedenen Tische und Gesichter, als würde sie nach den Geschichten hinter den Fassaden suchen. Sie schien die Gesten, die Mimik und die Interaktionen zu verfolgen, als würde sie versuchen, die verborgenen Nuancen menschlichen Verhaltens zu verstehen. Die Ehrlichkeit klang in Robins leiser Stimme mit, als sie gestand: »Manche würden meinen, ich sei wählerisch. Ich sage, ich langweile mich. Beobachten bringt bereits die ersten Erkenntnisse, ein kurzes Gespräch reicht und du erkennst rasch, ob es die Person wert ist oder nicht. Selbst, wenn mehr im Spiel ist. Ist der Spaß vorbei, kommt rasch die Ernüchterung.« Ein zartes, fast schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen, sie war sich ihrer Eigenart bewusst. »Kommt das arrogant rüber?« Robin hob ihre Augen zu Nami, suchend nach einer Reaktion. »Arrogant? Nein … nicht direkt«, lachte Nami. »Wir haben alle unsere Vorlieben, Robin. Und ist die Basis nicht stimmig, ist alles weitere Zeitverschwendung.« Von Langeweile sprach sie weniger, aber Nami kannte sich selbst. Manche strahlten sofort dieses Etwas aus, das man gar nicht näher wollte, andere entpuppten sich nach den ersten Sätzen als Fehleinschätzung. Und ja, daran änderte selbst eine zufriedenstellende Nacht nichts. Das war normal. Während Nami über ihre Antwort nachdachte, begann sich ein Gedanke in ihrem Kopf zu formen. »Sei ehrlich, in welche Kategorie falle ich?« Ihr Tonfall war herausfordernd. Namis Frage hatte Robin kurzzeitig aus dem Konzept gebracht, und Nami konnte einen überraschten Ausdruck in ihren Augen erkennen. Die Sekunden des Schweigens, die folgten, vermittelten den Eindruck, dass Robin angestrengt über die Frage nachdachte. Dann schüttelte sie leicht ungläubig den Kopf, bevor ihr Blick erneut subtil durch den Raum wanderte und schließlich zu Nami zurückkehrte. »Das fragst du?« »Tue ich, ja. Ich meine, du sagst, du langweilst dich rasch. Da frage ich nach.« »Wir haben die zweite Tasse hinter uns.« »Muss ein guter Kaffee sein«, sagte Nami breitgrinsend. Mit einer leisen, raunenden Stimme fragte Robin: »Ist dir aufgefallen, wie du angesehen wirst?« Nami, die kurz innehielt und leicht eine Braue hob, saß mit dem Rücken zu einem Großteil der anderen Café-Gäste. Während ihres Gesprächs hatte sie sich zwar gelegentlich unauffällig umgesehen, konnte aber mehr die Blicke der anderen Gäste auf Robin wahrnehmen. Dieses faszinierte Lächeln und Intensität, die von Robin ausging, zogen die Aufmerksamkeit förmlich auf sich. So war es auch gewesen, als sie das Café betreten hatten, und daher lächelte sie leicht. »Du ziehst die Leute auf dich? Ist das deine Antwort?«, fragte sie provokant, während Robins Augen auf ihr ruhten. Sie wirkte abwartend, als ob sie eine andere Reaktion erwartete. Dann seufzte Robin leicht. Nami schüttelte den Kopf. »Ich muss dir nicht erklären, welche Wirkung du erzielst. Du weißt bestens Bescheid. Und wenn ich unsere Outfits vergleiche, fragen sie sich eher, wie wir zusammenpassen.« Dabei warf sie einen Blick auf sich und amüsierte sich über den Kontrast. Robin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musterte Nami absichtlich auffällig. Ihre Worte waren direkt und ihr Lächeln herausfordernd. »Dir würde wirklich alles stehen«, bemerkte sie ohne Umschweife und grinste Nami mit einem Funkeln entgegen. Sie spürte, wie ihre Wangen leicht erröteten, und sie war überrascht von Robins unverblümtem Kompliment. Eines, dass ihr normalerweise ein seichtes Lächeln abrang, aber bei ihr war es anders. Bevor Nami jedoch etwas erwidern konnte, fuhr Robin fort: »Aber was ich eigentlich meinte, ist, dass ich bei einigen der anderen Gäste eine gewisse Eifersucht zu erkennen glaube.« Nami spürte, wie ihr Herz einen schnelleren Rhythmus einschlug, sobald Robin ein verführerisches Lächeln aufsetzte. »Ich sehe das Interesse an dir, aber ebenso an mir, und ich habe das Gefühl, dass einige von ihnen gerne in deiner Haut stecken würden.« Ein wohliges Prickeln zog durch ihren Körper. »Für mich sind sie alle langweilig – im Gegensatz zu dir. Würdest du dasselbe ausstrahlen, wie sie, hätten sich unsere Wege längst getrennt. Ich hätte mich entschuldigt und wäre gegangen. Du stichst heraus.« Dieses Mal machte ihr Herz einen spürbaren Sprung. Und da hörte sie es. Ein leises Alarmsignal warnte sie, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab. Robin strahlte dieses gewisse Etwas aus, das Nami anzog, und sie konnte spüren, wie sie in Robins Ausstrahlung zu versinken drohte. Ihr Zwiespalt war offensichtlich. Nami hatte nicht vor, sich zu sehr auf jemanden einzulassen, und sie suchte definitiv keine tiefe Nähe. Aber gleichzeitig fühlte sie eine unbestreitbare Anziehung und eben den Wunsch, sie näher kennenzulernen. Das Versprechen von Abenteuer und Aufregung, das Robin mit sich brachte, war schwer zu widerstehen, und Nami war sich bewusst, dass sie einen Fehler begehen könnte, wenn sie sich zu sehr darauf einließ. Es war ein Moment der Unsicherheit und des Zweifels, als Nami in ihren eigenen Gedanken versank, während sie Robin gegenübersaß und versuchte, die aufkommenden Regungen zu navigieren. »Du hast nachgefragt.« Robin, die bislang selbstbewusst war, schien in diesem Moment einfühlsamer zu werden. Ihr Ausdruck nahm einen sanften Ton an und doch wirkte Robin, als suchte sie einen Weg in ihre Gedanken. Etwas, das Nami nicht zu ließ. »Sag die Wahrheit, dass ich die West-Port-Morde kannte, hat mir geholfen«, erwiderte sie ernst, bevor sie in ein leises Lachen ausbrach. Mit einem Hauch von Humor versuchte sie, den Wirrwarr in ihren Gedanken zu vertreiben, der sie schon zuvor aus der Bahn geworfen hatte. Es war, als ob sie versuchte, das Gespräch auf eine leichtere Ebene zu bringen und die Spannung zwischen ihnen zu lösen. »Oh, das war ein großer Pluspunkt«, erwiderte Robin das Lachen und zwinkerte. »Mach dir aber keine Gedanken, ich genieße einfach unsere Unterhaltung. Erwartungsfrei.« Wie ein Stichwort. Sie bemerkte, wie Robin unauffällig auf ihre Uhr schaute. Es war nur ein flüchtiger Blick, aber Nami erinnerte sich wieder daran, dass Robin noch zum Flughafen musste und die kurze Veränderung in ihrem Ausdruck, sagte Nami, dass die Zeit gekommen war. Die Frau zog geschickt ihr Smartphone aus der Tasche und entsperrte es. Während sie eine Nachricht verfasste, verspürte Nami den Wunsch, dass Robin bleiben und den Flug nicht nehmen würde. Dass der Abend eine andere Wendung nahm. Ein Teil von ihr wollte die Zeit mit Robin verlängern und genießen. Aber sie wusste, dass es ein gefährlicher Gedanke war. Das leichte Bedauern schluckte Nami, denn ihr wurde klar, dass es Zeit war, Abschied zu nehmen, um ihrem eigentlichen Plan nachzukommen. Zurück ins Hotel und dann den Abend entspannt in einem Pub ausklingen lassen, bevor sie morgen nochmals eine kleine Tour unternahm. Erst am späten Nachmittag reiste sie zurück. »Zum Glück kenn ich ein paar Fahrer«, bemerkte Robin in einem Tonfall, den Nami nicht einordnen zu vermochte. »Stress wollte ich dir keinen einbrocken«, erklärte sie aufrichtig. »Was hättest du sonst so gemacht?« Die Neugierde in Nami blitzte auf, als Robin das Handy auf der Tischplatte ablegte. »Alles gut«, winkte sie ab. »Und um ehrlich zu sein, ich hätte noch eine Weile in geschäftlichen Angelegenheiten festgesteckt, wäre alles nach Plan verlaufen. Man hat mich auf eine zähe Verhandlung vorbereitet. Dabei ist der Gute recht schnell eingeknickt, und ich habe mich höflich verabschiedet.« »Also verdanken wir unsere Bekanntschaft deinem Verhandlungsgeschick?« »Ich habe dir gesagt, dass ich gefragt bin, und das aus gutem Grund«, erwiderte Robin mit einer Leichtigkeit. »Scheint so«, murmelte Nami in sich hinein und schüttelte sacht den Kopf. Das Leben spielte nach eigenen Regeln und eine kleine Veränderung reichte, um eine neue Türe zu öffnen. Ein paar Minuten und alles wäre anderes gekommen. Einen Augenblick lang verweilten ihre Blicke einfach aufeinander, bevor Nami spürte, dass die Zeit gekommen war. Sie winkte dem Kellner, um die Rechnung zu verlangen, zahlte und ließ ihm ein großzügiges Trinkgeld da. Es war ihr die Geste wert, obwohl sie sich bewusst war, dass das erhaltene Detail eigentlich unwichtig sein sollte. Kaum verließen die Frauen das Café, schlug ihnen vor der Türe die Realität in form eines kühlen Windstoßes entgegen. Der Himmel war noch immer von dichten Wolken bedeckt, und die graue Decke schien die Welt zu umhüllen. Der Regen hatte aufgehört. Robin zog einen kleinen Koffer hinter sich her, der leise rollte, während Nami ihren Rucksack fest auf den Schultern trug. Die Straße war ruhig, nur gelegentlich fuhr ein Auto vorbei und erzeugte das leise Rauschen von Reifen auf dem nassen Asphalt. Beide warfen noch einmal einen letzten Blick auf den gemütlichen Ort, der ihnen für eine Weile Zuflucht geboten hatte, ehe sie sich einander gegenüberstanden. Selbst die Kälte des Windes konnte das Knistern nicht vertreiben. Robin griff in ihre Manteltasche und zog ein Stück Papier heraus, das sie Nami reichte. Als sie genauer hinsah erkannte sie eine Visitenkarte. Das Papier fühlte sich seidig und warm an, und Nami konnte die sanfte Berührung ihrer Finger spüren, während sie diese entgegennahm. »Sollte dir nach Unterhaltung sein«, flüsterte Robin, ihre Worte hörten sich eher nach einem Versprechen an. Als wüsste sie, dass es ein Wiedersehen gab. Der Wind trug die Worte davon, während sie sich langsam von ihr löste und auf das wartende Taxi zuging. Nami schaute dem Fahrzeug nach. In ihrem Inneren wirbelten Gedanken und Emotionen. Die letzten Stunden kamen einem rätselhaften Traum gleich, und was passiert war, begriff sie nicht. Die Anziehungskraft, die Robin auf sie ausübte, blieb ein Mysterium. Sie hatte nie zuvor jemanden getroffen, der für sie faszinierend und aufregend zugleich war. Die Art und Weise, wie sie sprach, sich bewegte und ihre Blicke einsetzte, hatte Nami in den Bann gezogen. Ihre Gedanken wanderten zu der Visitenkarte. Robin Nikolaeva. Da war es wieder, das verräterische, warme Kribbeln. Kapitel 4: Time flies by. ------------------------- early summer Ihr Vorhaben schien simpel: Die Begegnung mit Robin sollte als eine angenehme Erinnerung abgespeichert werden. Diesen Entschluss hatte Nami gefasst, als das Taxi verschwand und sie die Karte betrachtete. Eigentlich hätte sie diese sofort entsorgen müssen, aber stattdessen steckte sie sie ein und kehrte in die Unterkunft zurück. Nach einer schnellen Erfrischung begab sie sich in einen der Pubs, um den Abend entspannt ausklingen zu lassen. Was zunächst wie ein einfacher Flirt begann, entwickelte sich rasch zu einem netten One-Night-Stand – etwas, das sie nach dieser, noch immer unwirklichen, Begegnung gebraucht hatte. Die kalte Dusche und die Drinks hatten nicht die Wirkung erzielt, sich mit einer Unbekannten amüsieren, schon eher. Danach war sie schnell verschwunden. Der nächste Tag wartete mit den letzten Punkten, die sie unbedingt vor der Rückreise noch abhaken wollte. Seither waren ein paar Tage vergangen und Nami zurück im Alltag. Als sie schließlich nach einer ausgiebigen Dusche auf ihrem Balkon saß, konnte sie den Blick über die beleuchteten Straßen schweifen lassen. Der Donnerstagabend war mild, und die Lichter glitzerten wie funkelnde Juwelen. Wie so oft kreisten ihre Gedanken nicht um die Schönheit der klaren Nacht, sondern um die Erinnerung an Robin. Die Visitenkarte hatte Nami nie weggeworfen und ihr war klar, dass das Hauptproblem in der unverkennbaren Anziehung zwischen ihnen lag. Ein schwerer Seufzer entwich ihr, und sie biss nachdenklich auf ihre Lippe. Nami hatte verdeutlicht, dass es für sie am Ende nur um das Körperliche ging, es würde nie eine andere Basis geben, außer man entwickelte eine reine Freundschaft. Warum also diese quälenden Gedanken? Lag es daran, wie locker und unterhaltsam ihre Gespräche waren und an den unbekannten Emotionen? »Vielleicht ist es das Beste«, nuschelte sie in ihre Teetasse. Anstatt sich weiterhin im Kreis zu drehen, griff sie nach ihrem Handy. Sie beschloss, den Mut aufzubringen, und es einfach zu tun. Hatte sie Glück, würde sich alles von allein klären. Eine andere Umgebung führte oft dazu, dass man Dinge in einem anderen Licht sah. Gut möglich, dass die Faszination einfach der Situation geschult war. Ein Urlaubsfeeling, aber zurück in der Heimat, im Alltag, wurde alles in ein anderes Licht erstrahlt. Langsam wählte sie die Nummer und wartete mit klopfendem Herzen, bis sie die vertraute Stimme hörte: »Nikolaeva.« »Hey, mir ist nach etwas Unterhaltung zumute. Störe ich dich?«, sagte sie und erntete ein sanftes Lachen als Antwort. Ihr Herz schlug schneller. »Ich habe mich schon gefragt, wann du dich meldest.« Vielleicht war es ein Risiko, vielleicht nicht, aber in diesem Moment entschied sich Nami dafür, den Gedanken loszulassen, um dem Gespräch eine Chance zu geben. ∞ Nach einem langen und anstrengenden Tag erreichte Nami endlich ihre gemütliche Wohnung. Der Himmel hatte sich bereits in ein sanftes Abendrot getaucht, das von ein paar Wolken durchbrochen wurde, als sie die Türe öffnete und den vertrauten Geruch ihrer eigenen vier Wände einatmete. Erschöpft sehnte sie sich nach Entspannung und Erholung. Im Flur legte sie ihre Tasche ab und schlüpfte aus den Schuhen, während sie den Weg ins Wohnzimmer einschlug. Das warme Licht der untergehenden Sonne warf weiche Schatten auf die Wände und tauchte den Raum in eine behagliche Atmosphäre. Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie sich auf das weiche Sofa fallen, das sie wie eine Umarmung empfing. Kaum hatte sie sich niedergelassen, vibrierte ihr Handy. Eine Nachricht von Robin leuchtete auf dem Bildschirm auf. Sie schrieb, dass sie Ablenkung brauchte und fragte, ob sie vorbeikommen könnte. Nami lächelte bei den Worten und spürte, wie die Erschöpfung langsam von ihr abfiel. Mit flinken Fingern tippte sie eine Antwort. Mit jedem geschrieben Wort stieg ihre Vorfreude und das Wohlgefühl in ihr. Nachdem die Nachricht abgeschickt war, legte Nami das Handy behutsam beiseite und schloss für einen Moment die Augen. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie sich auf den Abend freute, der nun vielversprechend aussah. Da trat der Stress des Tages gleich in den Hintergrund. Als eine weitere Nachricht kam, öffnete sie ihre Augen und stand langsam auf. Sie begab sich ins Badezimmer, wo sie eine erfrischende Dusche genoss, die ihren Körper belegte und alles andere fortspülte. Ihr Blick fiel auf den Spiegel, und sie sah eine Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck – ein Funkeln in den Augen und den Hauch von Vorfreude. Vor zwei Wochen hatte sie die richtige Entscheidung getroffen und seither wusste Robin, wie sie ihren Tag versüßen konnte. In dieser Zeit hatten sie sich öfters getroffen, auch schon mal tagsüber auf einen Kaffee oder letztens zum Shoppen. Nami hatte aufgehört sich den Kopf zu zerbrechen, stattdessen genoss sie die Stunden in vollen Zügen und es tat ihr überraschend gut. Freudig öffnete sie die Türe und starrte auf eine Tüte Essen, die Robin vor sich hochhielt. Nami blinzelte, ehe sie aufsah. »Sag mir bitte, du hast Hunger«, begrüßte Robin mit einem breiten Lächeln. Namis Augen leuchteten. Wirklich gegessen hatte sie heute nicht. »Du bist die Beste«, lachte sie und trat zur Seite. Sie spürte, wie ihr warm wurde und das nicht des Essens wegen. Während Robin mit zwei Teller zum Sofa ging, nahm Nami eine Flasche Wein aus dem Regal und suchte nach dem Korkenzieher. Geschickt öffnete sie die Flasche und spürte den intensiven Duft ihres Lieblingsweines. Sie goss den dunkelroten Tropfen in zwei filigrane Weingläser, wobei ihr Blick immer wieder zu Robin glitt, die das mitgebrachte Sushi arrangierte. In diesen Momenten fragte sich Nami wieder, ob sie irgendwann auf den Kopf gefallen war. Selbst kleine, eigentlich unsinnige Bewegungen, fand sie bei ihr anziehend. Als die Gläser abgestellt wurden und sich Nami neben Robin niederließ, hielt ihr diese ein Paar Stäbchen entgegen. »Also war auch dein Tag heute nicht das Wahre?«, wollte sie nun wissen, während sie die Stäbchen auspackte und auseinanderriss. »Was denkst du, warum ich Ablenkung geschrieben habe?«, feixte Robin. Schnell hatte Nami herausgefunden, dass Robin in erster Linie für MOLA arbeitete. »Die Stücke bleiben verschollen.« Verstehend, nickte Nami. Darüber hatten sie letztens noch geschrieben. Eine Ausgrabungsstätte bereitete Kopfzerbrechen. Die Funde wurden zwar dokumentiert, aber ein paar waren vor dem Transport verschwunden. Nami konnte sich ausmalen, was das bedeutete. »Bei dir?« Auf diese Frage hin, seufzte sie und tauchte ihr Maki gefrustet in die Sojasoße. »Gestern haben uns die Server Schwierigkeiten bereitet. Folglich sind Wetterstationen beeinträchtigt. Ein paar speisen fehlerhafte Daten ein. Drei verweigern die Abfrage. Und den ganzen Tag über durfte ich mir das Gejammere unserer Zicke anhören. Der Kerl raubt einem den letzten Nerv!« Leise lachend griff Robin nach ihrem Glas und hob es zum Anstoßen. »Da haben wir uns den Feierabend verdient.« »Das macht einiges wett«, stieß Nami an, wobei sie die Worte mehr in ihr Glas murmelte. Obwohl sie heute immer nur gehofft hatte, endlich nach Hause zu kommen und niemanden mehr sehen zu müssen, hatte Robin die Begabung diese Gedanken in den Hintergrund zu schieben. Dabei wäre alles anders gekommen, wäre sie ihrem Vorhaben treu geblieben. Sie war dankbar darüber, dass sich ihr Sturkopf nicht durchgesetzt hatte, sondern die Sehnsucht herauszufinden, was es mit ihnen auf sich hatte. Mit dieser sonderbaren Anziehung. Und dass sie nicht nur sexuell verstanden, sondern auch so miteinander reden und lachen konnten, war das beste Extra. Obwohl Nami nie näher mit ihren Bettgeschichten sein wollte, aber sie hatte schnell gemerkt, dass mit Robin nicht alles in gewohnter Manier ablief. Das Gleichgewicht hatte sich nach zwei Treffen rasch verschoben. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag riss Nami aus dem Schlaf. Der Sturm, der draußen tobte, brachte heftigen Regen und grelle Blitze mit sich, die den Raum immer wieder in ein gespenstisches Licht tauchten. Ihr Herz schlug wild in der Brust und sie brauchte ein paar Atemzüge, auch um das leichte Zittern abzuschütteln. Sie hasste nächtliche Unwetter. Dank dieser einen Nacht in ihrer Vergangenheit reagierte ihr Körper von allein. Dieser Punkt war der einzige, den sie all die Jahre nicht überwand, der sie jedes Mal daran erinnerte, obwohl sie ihr Leben ansonst ohne großen Kummer lebte. Dann gewöhnten sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit, und sie bemerkte auch eine sanfte Bewegung neben sich im Bett, die sie vorsichtig den Kopf drehen ließ. Robin lag neben ihr und schlief. Sie stockte. Sie waren tatsächlich eingeschlafen. Übernachten stand nie auf dem Plan, das hatten sie eigentlich mit Absicht vermieden. Dieses Mal hatte die Erschöpfung wohl einen Sieg errungen. Der nächste Blitz erhellte das Zimmer und enthüllte Robins entspannte Züge, ihren gleichmäßigen Atem. Als wäre sie vom Sturm unberührt. Unweigerlich zuckten ihre Mundwinkel. Es war eine merkwürdige Situation, in der ihre Alarmglocken laut schrillen sollten. Das taten sie nicht. Stattdessen beobachtete sie Robin einfach und genoss die ausgehende Wärme. Nami fühlte sich überraschend ruhig, vielmehr geborgen. In den nächsten Minuten blieb sie einfach still liegen und beobachtete, während sie sogar die Versuchung spürte, näher zu rücken. Ein Licht, ein tiefes hörbares und spürbares Grollen. Der Sturm war direkt über ihnen und wie ein Signal, das Robin aufwachen ließ. Leicht hob sie den Kopf, wirkte für einen Moment desorientiert, bis sie vermutlich realisierte. Wie Nami zuvor. »Lästiger Sturm, was?«, murmelte sie und spürte eine leichte Unsicherheit. Nun stützte sich Robin am Unterarm ab, sah direkt zu ihr. Schlau wurde sie nicht daraus. »Du hättest mich wecken sollen.« »Wir sind beide eingeschlafen. Ich bin selbst durch einen Donner wach geworden.« »Sieht gemütlich aus.« Robin schaute an ihr vorbei zum Fenster. Der Regen wurde vom Wind gegen die Scheibe gepeitscht. »Denk lieber nicht ans Heimfahren«, neckte Nami, und fragte sich zeitgleich, ob ihr der Gedanke tatsächlich in den Sinn kam. Bisher hatten sie das eben partout vermieden. »Die Tagen haben uns beide zu schaffen gemacht.« »Als ob du mich bei dem Wetter vor die Türe setzen würdest«, lachte Robin rau und rückte das Kissen zurecht. »Kommt drauf an … fordere mich nicht heraus.« »Ich habe dich verköstigt.« »Ist kein Garant«, antwortete Nami gelassen, wobei ihr Blick zurück zum Sturm glitt. Der Zauber des Moments war vorbei. Während die andere schlief, hatte es sich federleicht angefühlt. Jetzt kroch die Unsicherheit zurück und der Grund für ihr Aufwachen. »Wie lange bist du schon wach?«, fragte Robin leise. »Seit er angefangen hat, schätze ich.« Keine Schätzung, eine Feststellung. Sobald der Sturm Fahrt aufnahm und der erste, stärkere Donner kam, wachte sie auf. »Du magst sie nicht«, reimte Robin zusammen. »So in der Art … aber dann wieder nicht.« Einen Augenblick lang schwieg Robin und Nami dachte bereits, sie hatte ihre Antwort, aber dem war nicht so. »Was ist passiert?« Als würde sie verstehen, dass ein tiefer gehender Grund dahinter lag. Zögernd drehte sie den Kopf und als der Blitz kam, erkannte sie es nicht nur an Robins ernster Miene, sie erkannte es auch in ihren Augen. »Meine Mutter starb in einer Nacht wie dieser. Bis heute wache ich bei einem stärkeren Unwetter automatisch auf.« Überraschend leicht kamen ihr die Worte über die Lippen. Dabei wussten nur drei Menschen Bescheid. Robin war jetzt der vierte. Eine spärliche Erklärung, aber bedeutend. Und dass sie Robin davon erzählte und sich wohl fühlte, ließ ihr Herz bis zum Hals schlagen. Warum war ihr Robin vertraut genug? Solche Informationen sollten sie nicht miteinander teilen. Hätte man über die Familie gesprochen, hätte sie den Tod ihrer Mutter erwähnt, aber nicht dieses Detail. Das ging über die Nähe hinaus, nach der sie eigentlich suchte. Und doch kam Nami nicht drumherum, dass ihr genau diese Intimität zwischen ihnen, guttat, obwohl sie sie nicht haben sollte. Robin neben sich gab ihr eine unbekannte Geborgenheit, eine Sicherheit, dass sie alles erzählen könnte und genau dem wirkte das unschöne Gefühl, dass das zu einer anderen Sorte von Sturm führen konnte, entgegen. Genau das versuchte sie zu überspielen. »Bei dem Donner kann sowieso niemand schlafen.« Robin akzeptierte augenscheinlich die knappe Erklärung, gab ihr dabei jedoch nicht das Gefühl, als läge es an einem möglichen Desinteresse. Eher strahlte sie aus, dass Robin ihr die Entscheidung überließ. Ob sie näher darauf eingehen wollte oder es eben ruhen ließ. »Er lässt langsam nach. Wenn dir das Einschlafen Schwierigkeiten macht, könnte ich dir mit einem langweiligen Vortrag helfen.« Das war der Moment, in dem Nami lachen musste und das erdrückende Gefühl zurückdrängte. »Erzähl, was hast du auf Lager?« Langsam erwachte Nami in den Morgenstunden und streckte sich im Bett. Ein paar Sonnenstrahlen durchbrachen die Wolkendecke. Es dauerte bis sie wieder realisierte, was in der Nacht geschehen war und eilig zur Seite schaute. Neben ihr war das Bett leer, aber sie sollte nicht allein sein. Nicht heute. Außer Robin war wortlos gegangen. Ein Gedanke, der ihr nicht gefiel. Sie spürte die verräterische Enttäuschung, obwohl es das Beste wäre und zur gewohnten Routine zurückführte. Um herauszufinden, was nun war, stand sie auf und zog sich eilig an. Aus dem Schrank holte sie ein einfaches Shirt, ihre Jogginghose lag noch auf der Kommode. Bequem brauchte sie jetzt. Kaum trat sie aus dem Schlafzimmer, schon roch sie Kaffee. Es war nicht intensiv, aber er war da. Allein der Duft brachte ein Flattern und das Gefühl der Freude durchzuckte sie. Die Balkontüre stand offen und sie fand Robin mit der Kaffeetasse zeitungslesend vor. Ihre Haare waren zu einem lockeren Zopf gebunden, und ihr Profil zeigte wie vertieft sie den Artikel studierte. Dabei fiel ihr auch auf, wie spärlich ihre Bluse zugeknöpft war, die Ärmel zurückgekrempelt. Ein Anblick, der sich in ihre Erinnerung brannte. Es war das erste Mal, das sie Robin morgens bei sich hatte und es war erst der Anfang. Das leichte Grinsen, das sie nun aufsetzte, ließ Nami eine Braue heben. Wurde sie bemerkt? »Starrst du mich an, weil ich noch da bin oder weil du nicht anders kannst?«, wurde sie von der älteren aufgezogen. War sie ehrlich, war beides der Fall. »Für einen Moment habe ich dir das zugetraut.« Die Zeitung sank und Robin lehnte den Kopf zur Seite, sah sie prüfend an. »Denkst du so über mich?« Nami lehnte unschlüssig gegen die Sofalehne. In der Regel würde sie das glauben. Es wäre passend. »Ich bezweifle, dass dir das Klischee lieber wäre, und seien wir ehrlich, den Punkt haben wir längst hinter uns. Sicher, mein Übernachten war nicht geplant, aber wie würde es aussehen, wenn ich mich wortlos rausschleiche und ein paar Stunden später schreiben wir normal oder wir sehen uns bald wieder … bisschen sinnlos?« Nachdenklich sah Nami auf ihre Hände. Unrecht hatte Robin nicht. So wie sie miteinander umgingen, wäre es irgendwie bescheuert. Das Ungewohnte war eher das, was Nami durcheinanderbrachte. Was wäre erst gewesen, wären sie zusammen aufgewacht. »Vergiss was ich gesagt habe«, seufzte sie laut und erst jetzt schweifte ihr Blick genauer umher. »Du warst beim Bäcker«, stellte sie fest. Frisches Gebäck stand am Tisch und natürlich die Zeitung. »Wie lange bist du wach?« Gegen acht war Nami aufgewacht, also eine Weile musste es her sein. »Frühaufsteherin«, meinte sie mit einem Schulterzucken. Dann legte sie die Zeitung endgültig beiseite und drehte den Oberkörper, sodass sie den Arm an der Lehne ablegte. »Du hast geschlafen und bevor ich dich aufwecke … herumliegen ist nichts für mich.« Vor sich hin nickend, stieß sich Nami ab. »Okay. Ich verschwinde kurz im Bad und dann frühstücken wir.« Ob gut oder schlecht, darüber konnte ihr Verstand diskutieren, aber was ihre Gefühle anging, so war das hier ein guter Morgen und Nami war glücklich darüber, dass sie gestern eingeschlafen waren. ∞ Mit einem leisen Brummen stieß sie ihrem Freund den Ellbogen gegen die Rippen, wodurch er leicht zurückwich. Zwar hielt er sich die Seite, aber das Lachen flachte nicht ab. »Tasha, tu etwas!«, flüsterte sie mit zischendem Unterton. »Er ist unerträglich!« Doch anstatt ihrem Mann Einhalt zu gebieten, korrigierte sie ihre Brille. Nami kannte die Geste nur allzu gut. Es war eine Taktik, um Zeit zu gewinnen, denn Tasha schien unschlüssig zu sein, ob sie lachen oder eine neutrale Miene bewahren sollte. Alles, nur eben nicht ihren Mann rügen. Das Aufsetzen eines Pokerface gehörte nicht zu ihren Stärken. In solchen Momenten hinterfragte sie gerne Tashas Berufswahl. »Komm schon, er meint es nicht böse«, versuchte Tasha zu beschwichtigen, was Nami nur ein Schnauben entlockte. »In Zukunft halte ich meinen Mund«, murmelte sie und strich eine ihrer Locken zurück. Ihr Blick schweifte zur Terrassentüre, die weit geöffnet war und die warme Luft hereinbrachte. Vor ein paar Monaten hatten die beiden das Reihenhaus am Stadtrand für sich entdeckt. Mit einem kleinen Garten und Raum für zukünftige Entscheidungen. Dabei lag die Einrichtung eindeutig in Tashas Händen. Sie besaß ein ausgeprägtes Gespür dafür, ganz anders als Zoro. Vor seiner Frau war alles spärlich und lieblos gewesen, überall lagen seine Trainingsutensilien herum, von Dekoration fehlte jede Spur. Seine Wohnung war ein Mittel zum Zweck. Doch seit sie in sein Leben getreten war, hatte sich das grundlegend verändert. Plötzlich hatte er sogar Pflanzen gehabt und sogar die Wohnung hatte eine gewisse Gemütlichkeit erlangt. Zoro hatte das nie gestört, er ließ sie machen und das neue Heim strahlte eine wohltuende Wärme aus. Für Nami war der Umzug bis heute immer noch eine gewöhnungsbedürfte Veränderung. Früher lebten sie in unmittelbarer Nähe zueinander, jetzt waren sie am anderen Ende der Stadt. Dies hatte ihrer Beziehung jedoch keinen Abbruch getan, die Anpassung brauchte einfach seine Zeit. Sie sahen sich ohnehin regelmäßig beim wöchentlichen Essen, das zu einem Ritual geworden war, das Tasha eingeführt hatte. »Zicke«, neckte Zoro mit einem Grinsen. »Du hast dir eine Frau geangelt, was hast du erwartet?« Sein Grinsen wurde noch breiter, als er aufstand und begann, das Geschirr abzuräumen. Jetzt würde sie ihm kaum einen Stoß verpassen können. »Idiot«, zischte sie, vergrub ihr Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Manchmal schien er nicht alle Tassen im Schrank zu haben. Sie hätte lieber nichts gesagt, aber mitten im Gespräch war ihr Robins Name und die eine oder andere Information herausgerutscht. »Wir haben nichts Ernstes am Laufen.« »Das kommt mir bekannt vor«, rief er aus der Küche, während Nami zu Tasha blickte, die offensichtlich dasselbe dachte. Die beiden zusammen waren manchmal eine zermürbende Kombination. »Vergleicht euch nicht mit mir. Er wollte eine lockere Bindung, du hast immer auf etwas Festes spekuliert«, ermahnte sie Tasha, die nun mit den Augen rollte. »Vom Reden her, sein Handeln hat schnell anderes aufgezeigt – Oder?«, rief sie letzteres ihrem Mann zu, der den Kopf aus der Küche streckte. Sein zustimmender Blick reichte, um Namis Augenbraue heben zu lassen. Sein Ernst? Verräter. »Aber nochmal in Ruhe. Ihr trefft euch ab und an?« Neugierig beugte sich Tasha vor, wobei sie sich auf den Unterarmen abstützte. »Jeder braucht Entspannung.« »Dir geht’s nur um den Sex?«, fragte Tasha mit einem verhörmäßigen Tonfall. »Oh, der zahlt sich aus«, antwortete sie zwinkernd. »Und stell dir vor, Robin ist auf der gleichen Wellenlänge. Sie sucht keine Beziehung. Es ist perfekt und das Drumherum sehe ich als nettes Extra.« Tasha sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Wie alt ist sie? Was macht sie?« »Verhörst du mich?« »Trinken wir den Kaffee draußen?« Zoro lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen. Vom Blick her konnte sie nur schwer auf seine Gedanken schließen. »Gern.« Nami nahm die Atempause mit Kusshand. Genau aus dem Grund hatte sie Vivi noch nicht eingeweiht. Eigentlich waren die beiden die angenehmeren. Vivi würde ihr eher in den Ohren liegen. Wobei sie alle drei sofort verstanden haben, dass es zwischen ihr und Carina nie etwas geben würde. Lag daran, dass sie die andere kannten und selbst sahen, dass sie – was Nami anging – nie zusammenfinden konnten. Sie schoss aus dem Stuhl hoch. »Soll ich dir helfen?« »Nein, geh nur vor«, entgegnete Tasha und sah verschwörerisch zu ihrem Mann. Der warme Junitag tauchte den Garten in ein weiches, goldenes Licht. Die Terrasse war von üppigem Grün umgeben, mit dufteten Blumenbeeten und dem sanften Summen von Bienen in der Luft. Eine leichte Sommerbrise war spürbar, während die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlte. Inmitten der heiteren Atmosphäre genossen die drei ihren Kaffee und die leckeren Kuchenstücke. Es war Zorro, der entspannt zurücklehnte und das Gespräch fortsetzte: »Du bist wortkarg. Ich will Details. Wie in den guten alten Zeiten.« Tasha warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, den er jedoch mit einer Kopfbewegung abtat. »Über dich habe ich nur das Beste erzählt«, verteidigte er sich lachend. Diese zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Das macht’s nicht besser. Du vergisst, dass ich deine alten Muster kenne.« Nami konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, bevor sie ein Stück Kuchen genoss. Sie erinnerte sich an die Zeiten, in denen Zoro gerne über seine Abenteuer plauderte, aber sie wusste auch, dass er über die Beziehung mit Tasha sehr schweigsam war. Für ihn war sie von Anfang an besonders gewesen. »Glaub mir, er sagt die Wahrheit und er hat genug ausgelassen«, nahm sie ihren Freund in Schutz. Zoro lächelte warm und drückte für einen Moment Tashas Hand. »Siehst du?« Offensichtlich nahm sie all das auf die leichte Schulter, sie neckte ihn. Nach dieser kleinen Ablenkung wandte sich Zoro wieder an Nami. »Nun, da wir das geklärt haben, hätte ich gerne einen kleinen Überblick. Du hast erwähnt, du hättest sie zufällig auf deinem Trip getroffen. Das ist untypisch und macht die Sache interessant.« Tasha stimmte zu. »Carina war für uns alle nur eine Frage der Zeit. Dass du nur Sex wolltest, war unübersehbar. Ihre Seite allerdings … ist ein anderes Thema.« Nami blickte über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. »Ist mir erst zu spät aufgefallen. Mein Fehler.« Sie erinnerte sich, wie sie im April das erste Anzeichen bemerkt hatte, das sich später wieder gelegt hatte. Reisen und Ablenkungen kamen dazwischen, bis im Mai alles zu heiß geworden war. »Das ist endgültig vorbei. Seither herrscht auch Funkstille.« Die beste Entscheidung, für sie beide. Nami wollte nicht zu sehr auf ihren Gefühlen herumtanzen und würden sie weitermachen, würde es Carina nicht leichter fallen. »Wo wir bei deiner neuesten Flamme wären«, ließ Zorro nicht locker und bohrte nach, das Nami ein leises Seufzen entlockte. »Warum bist du so erpicht darauf?« Nun verschränkte er die Arme und grinste sie herausfordern an. »Ich kenne dich, Nami. Zugesteckte Nummern wirfst du in der Regel sofort fort. Hast du eine gefunden, mit der du öfter ins Bett gehst, erwähnst du es beiläufig. Von manchen kenne ich bis heute keinen Namen. Und mit keiner triffst du dich einfach so – wehe du erwähnst Carina. Freundschaft Plus zählt hier nicht.« Bedacht stellte Nami die Tasse ab. Obwohl sie ihm gerne eine schnippische Antwort gegeben hätte, konnte sie das nicht. Er hatte recht und Nami fühlte sich ertappt. »Siehst du, genau das ist der Punkt, der mich neugierig macht. Wer ist sie, dass sie deine Einstellung verändert.« »Moment!«, fand sie ihre Sprach wieder und hob ermahnend den Zeigefinger. »Ich ändere nichts. Wir verstehen uns, okay?« »Bist du dir sicher?« »Tasha!« Diese hob entschuldigend die Arme. »Was? Irgendetwas an deiner Art lässt mich an deinen Worten zweifeln … du weißt, dass das mein Job ist, oder?« »Ihr nervt«, stöhnte sie und rutschte tiefer in den Sessel. »Okay, sie ist älter, ein wandelndes Lexikon und ihr gefällt London«, erzählte sie knapp mit mürrischem Unterton. Wobei letzteres besonders aufstieß. Der Punkt war in einem der Gespräche aufgekommen. Robin mochte ihr jetziges Leben. Die Stadt. Die Arbeit. Deshalb hatte sie sich beim Umzug auch eine Eigentumswohnung gekauft. Für sie fand das Leben hier statt. Das war der springende Punkt gewesen, der Nami in dieser Angelegenheit erstmals wieder zurück in die Realität geholt hatte. »Ihr gefällt London«, wiederholte Zoro langsam, er ließ die Worte sacken, ehe er die Hand vors Gesicht schlug. »Ist das der Grund, warum du zögerst?« »Hat Gewicht«, entgegnete sie und fuchtelte mit der Gabel. »Und ich halte mich daran.« »Was, dass du eine Frau deshalb ziehen lässt? Weil dich nicht verlieben, ist gescheitert. Was? Du rufst eine Frau an, die du irgendwo kennenlernst, triffst dich regelmäßig mit ihr und ich wette ihr telefoniert oder schreibt oft genug und dann erwähnst du beiläufig, aber mit dem gewissen Etwas in deinen Augen und in der Stimme, dass sie bei dir übernachtet hat? Nicht nur das, ihr habt auch den restlichen Tag miteinander verbracht … tut mir leid, Nami, aber wenn man dich kennt, ist das keine gefühllose Nummer. Du hast dich in sie verschossen, du kannst dir das noch so oft ausreden, es ist so.« Schwer schluckte sie den Bissen hinunter. »Genieß den Moment, du hast Zeit, Nami«, fügte Tasha sanft hinzu, wobei Nami dem Blick rasch auswich. Nein. Nicht so ganz. Sie biss sich auf die Lippe. Eigentlich wollte sie damit warten. »Ich bin dem Schritt näher als jemals zuvor.« Schwer hob sie den Kopf und sah sie beide an. »Wenn alles gut geht, verlasse ich England mit Ende September.« Damit hatte sie endlich ausgesprochen, was sie seit Wochen geheim hielt. »Oh …«, war alles, das Tasha sagte und die Untertasse belegt hin und her schob. Auf Zoros starrendes Schweigen hin, lächelte sie schwach. »Eine endgültige Antwort bekomme ich erst Anfang, Mitte Juli. Mittwoch hatte ich nochmal ein Gespräch und … es sieht gut aus.« Zoro holte daraufhin tief Luft. Bislang hatte sie nie etwas gesagt, also nie, dass es bald passieren könnte. »Und welcher Teil von Kanada wird’s?«, fragte er dann einfach und Nami wollte lachen. Ja, er kannte sie und wusste von ihren Träumen. Deshalb konnte sie seine Reaktion auch deuten. Der Schock lag nicht darin, dass sie England verließ, sondern dass es schon sehr bald der Fall sein würde. Kapitel 5: Drowning. -------------------- summer Zoro hatte sie gewarnt – an dem Abend seiner Hochzeit. Die Richtige änderte alles. Seine Worte hatte sie damals als Nichtigkeit von sich geschoben. Doch es war diese eine, ungeplante Übernachtung gewesen, die alles ins Rollen gebracht hatte. Die Nacht, die so nie erwartet war, hatte ein Gefühl in Nami ausgelöst, dass sie kaum zu bändigen vermochte. Ihn gegenüber konnte sie dagegenreden, aber mit sich selbst war sie weniger nachsichtig. Die Wahrheit war simpel. Nami war sich nur allzu bewusst, was zwischen Robin und ihr ablief. Mit jedem Tag, der verstrich, und ausgerechnet sie ließ sich darauf ein. Mittlerweile ignorierte sie geschickt die Flirtversuche von anderen und verlor sich vermehrt in Gedanken um Robin, sobald sie die Tage oder Nächte getrennt voneinander verbrachten. Sobald sie Zeit fanden, verbrachten sie diese miteinander. Die Freundschaft Plus Geschichte war längst in Vergessenheit geraten, aber beide sprachen nie offen aus, was sie füreinander empfanden oder was zwischen ihnen war. Sie nahmen es einfach hin, als bräuchten sie keine genaue Definition oder, und das war genauso möglich, wollten sie die magische Blase, die sie umgab, nicht zerstören. Beide hatten damals ihre Standpunkte deutlich gemacht. Und morgen würde Nami ihre geplante Schottlandreise antreten. Ein perfektes Beispiel dafür, wie sehr sie ihr Herz an Robin verloren hatte. Ein Teil von ihr war alles andere als erfreut darüber, dass sie Robin fast zwei Wochen nicht sehen würde. Erst am Ende ihrer Reise, wenn sie in Glasgow ankommen würde, sollte Robin nachkommen. Die letzten drei Tage verbrachten sie zusammen. Mehr Zeit hatte ihr vollgestopfter Kalender nicht zugelassen. Doch es war besser als nichts, und Nami freute sich schon darauf, fast mehr als auf die eigentliche Reise. Die Erkenntnis allein fühlte sich seltsam an, passte überhaupt nicht zu ihr. War es das, was ihre Freunde immer versucht hatten, ihr zu vermitteln? Dass dieser eine Mensch alles, was sie bisher für selbstverständlich hielt, verändern konnte? Seufzend lehnte sie den Kopf gegen das kühle Fenster des Autos und blickte in die vorbeirauschenden Lichter der Stadt. Manchmal verteufelte sie Zoro. Seit jenem Essen drehten sich ihre Gedanken öfter als erwartet um das, was zwischen ihnen lief. Sich über Gefühle bewusst zu sein, war eine Sache, aber ihnen Raum geben und erkennen, dass sie sich selbst in eine Art Beziehung manövriert hatte, das war etwas ganz anderes. Umso mehr versuchte sie die Ernsthaftigkeit der Situation zu ignorieren. So schnell sie kamen, so schnell verdrängte sie Nami und versuchte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Einfach die Zeit genießen. Jedes Beisammensein, selbst wenn sie in belanglose Gespräche verfielen. Verdammt, sie hatte sich gegen jede Vernunft in Robin verliebt. »Was ist los?«, fragte Robin direkt, als sie die Wohnung betraten. Die Fahrt hatten sie fast durchgehend schweigend verbracht, und es war klar, dass Namis geistige Abwesenheit Robin nicht entgangen war. »Vielleicht muss ich die Gänge verdauen«, entgegnete sie halb im Scherz. Ihre gute Laune war nicht verflogen, aber manchmal, wenn sie eben mit Robin zusammen war, realisierte sie einfach die Veränderung in ihrem Leben. Und ein Abendessen wie dieses, das in einem schicken, romantischen Restaurant stattgefunden hatte, lud förmlich ein. Im Flur stand der Koffer schon bereit. Sie übernachtete bei Robin, die sie am Morgen dann zum Flughafen brachte. Bevor Nami weitergehen konnte, trat Robin hinter sie, schlang die Arme um ihre Taille und bettete das Kinn auf ihrer Schulter. »Als ob«, lachte sie leise ins Ohr. »Du hast dir über irgendetwas den Kopf zerbrochen.« »Alles gut, okay?« Nami atmete tief durch, während sie die Hände auf Robins Arme legte und sich an ihren Körper lehnte. »Das Essen war schön.« Sanft lächelnd sah sie zur Seite, abermals verlor sie sich in diesen Augen. »Beim Reisverschluss bräuchte ich deine Hilfe«, raunte sie gegen die Lippen der anderen. Inmitten der geschäftigen Flughafen-Terminale standen sie da. Zwischen ihnen herrschte in erster Linie eine entspannte Atmosphäre, dennoch war unverkennbar, wie sehr Nami sich wünschte, dass Robin die gesamte Reisedauer an ihrer Seite sein konnte. Trotz des sommerlichen Julis hatte sich Nami in warme, bequeme Kleidung gehüllt, die perfekt auf die schottische Wetterkapriolen abgestimmt war. Robin stand neben ihr, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, und ihre Augen sahen sie ermutigend an. Das Bild, das die beiden gaben, erinnerte sie an das Kennenlernen. Sobald sie ging, wartete auf Robin das Büro. Es war eine eigenartige Situation, denn seit Nami ihren Koffer eingecheckt hatte, hatten sie mehr Belangloses geredet, als wüssten sie beide nicht so recht. Doch der Augenblick war gekommen, sie musste los und sie legte zärtlich ihre Hand auf Robins Arm, gefolgt von einem leisen Seufzer. »Schade, dass du jetzt nicht mitkommen kannst«, gestand sie. »Deine Reisepläne klingen verlockend, aber in eineinhalb Wochen kann ich mich selbst überzeugen.« Nami rollte die Augen über. »Ach, ist das der einzige Grund?« Tief in ihrem Inneren spürte sie deutlich eine heranwachsende Melancholie, die wohl überschwappte. Denn für einen Moment standen sie schweigend beieinander und Nami versuchte die Nähe zu genießen. Vielleicht wussten sie beide nicht so recht, wie sie sich am besten verabschiedeten; es war Neuland. Schließlich schnappte sich Nami ihren Rucksack und zog Robin zu sich, um sie in einen liebevollen Kuss zu verwickeln. »Ich werde deine trockene Art fast schon vermissen«, flüsterte sie. Mit einem Lachen legte Robin ihre Stirn sanft an Namis. »Halt mich auf dem Laufenden, ja?« Würde sie. Lächelnd löste sich Nami und drehte sich um, um zur Sicherheitskontrolle zu gehen. Ihr Herz fühlte sich plötzlich schwer an, doch sie ermutigte sich selbst, ihre Gedanken auf das kommende Abenteuer und Entdeckungen in Schottland zu richten. Am Ende hing ihr Rucksack leicht auf ihrer Schulter und war gefüllt mit der Vorfreude auf das Kommende. ∞ Der Himmel am Neist Point leuchtete in den warmen Farben des bevorstehenden Sonnenuntergangs. Nami hatte sich an diesem Abend entschieden, den atemberaubenden Ausblick über dem weiten Ozean zu genießen. Die Klippen boten die perfekte Kulisse. Sie saß auf einem Felsen, der sich über den Rand des Kliffs erstreckte, und blickte hinaus auf das sich sanft im Wind wiegende Meer. Die Sonne begann langsam zu sinken, und die orange- und rosafarbenen Strahlen spiegelten sich auf der Wasseroberfläche wider. Ein Moment der Ruhe und Schönheit. Und doch kam ihr der Moment unwirklich vor. Sie saß hier und starrte Richtung Horizont. Wenn das Glück mit ihr war, könnte sie irgendwann den Ausblick von der anderen Seite des Atlantiks beobachten. Gerade fühlte sie die Erkenntnis realer als jemals zuvor. Nach Zoro hatte sie natürlich auch Vivi eingeweiht. Wenn die Katze aus dem Sack war, dann richtig. Wobei das nicht der ganzen Wahrheit entsprach. Robin wusste von all dem nichts. Schottland war nur ein weiterer Urlaub und für die Zukunft hatte Nami keine großen Pläne. Das Thema vermied sie unter allen Umständen. Nicht, weil es noch platzen könnte, nein. Sie schwieg, weil es das, was zwischen ihnen lief, vielleicht früher als gewollt, veränderte. Dabei sollte das Namis oberstes Ziel sein. Robin auf Abstand halten und dem geplanten Weg folgen. Stattdessen steuerte sie geradewegs auf Robin zu. Mit allem das sie tat. »Bleib offen. Für alles. Wenn die Richtige kommt, wirst du sehen, dass alles unbegründet ist.« Sollte er tatsächlich recht behalten? War Robin der eine Mensch? Vermutlich. Anders konnte sie diese Entwicklung nicht erklären. Niemanden war das gelungen, was Robin in dieser kurzen Zeit schaffte. Die hervorgerufenen Gefühle sprachen für sich. Keine andere hatte Nami von Anfang an in den Bann gezogen. Hätte sie damals die Visitenkarte einfach in den nächsten Mülleimer geworfen, dann wären ihr diese Gedanken und allen voran diese Gefühle erspart geblieben. Letzteres machte sie wütend. Wütend auf sich selbst. Sie hatte in ganzer Linie versagt. Das Schicksal sowieso. Dachte sie an das Café oder an die ersten Gespräche ... alles hörte sich einfach an. Beide waren sich einig gewesen. Beide suchten niemanden für eine ernsthafte Beziehung und doch … zusammen hatten sie sich in diese Situation manövriert. Dass Robin die Gefühle teilte, war offensichtlich. Sie beide suchten sich und eben nicht länger nur für Sex. Was passierte, wenn die Zusage kam? Ihre Hand ergriff den Anhänger ihrer Halskette. Robin hatte von ihrem Geburtstag Wind bekommen und natürlich hatte sie ihr, obwohl sie ihn hier in Schottland verbrachte, mit der Kette ein Geschenk gemacht. Sie hatte sie in ihrem Rucksack gefunden. Was machte sie? Es war das erste Mal, dass sie sich auf der Reise ernsthafte Gedanken machte. Der Moment der Entscheidung kam näher und so ein Anblick bot Spielraum. Selbst auf Wanderungen hatte sie die Gedanken von sich rücken können. Sie schloss die Augen und atmete tief die Meeresluft ein. Vielleicht löste sich das Problem von allein. Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden und die Dunkelheit brach ein, während die Wellen weiterhin an die Klippen schlugen. Der Moment war vorbei. Der Sonnenuntergang und auch der ernsten Gedanken. Ein Grund mehr, warum sie auf dem Weg zurück zum Auto ihre Schwester anrief. ∞ Der Flughafen pulsierte vor aufgeregtem Treiben, während sie nervös auf Robins Ankunft wartete. Vorfreude und Anspannung hatten sich zu einer knisternden Mischung vereint. Ein Grund mehr die Wartezeit zu überbrücken. Dafür holte sie ihr Smartphone hervor und blätterte durch die Fotos, die sie während ihrer Reise aufgenommen hatte. Besonders musste sie bei dem Bild von Loch Ness lächeln. Sie hatte Zoro ein Selfie geschickt, nachdem er nachgefragt hatte, wo sie gerade unterwegs war. Seine Antwort war für ihn typisch ausgefallen, er hatte gemeint, dass das berüchtigte Monster also doch existierte. Auf eine Retourkutsche durfte er sich einstellen. Sobald sie zurück war, würden sie ohnehin zusammenkommen. Bisher war die Reise ein voller Erfolg gewesen und Nami war froh, die Entscheidung getroffen zu haben. Nicht nur der Sehenswürdigkeiten wegen. Neben der Folklore und den lokalen Spezialitäten hatten sie neue Bekanntschaften gemacht, ob eben mit Einheimischen oder Touristen. Ein Grund, weshalb sie das Reisen liebte. Es gab viel zu entdecken und jedes Abenteuer hinterließ seinen eigenen Zauber. Jetzt noch die letzten Tage genießen und das eben nicht allein. Ob es funktionierte? Nami hatte den heutigen und morgigen Tag durchaus verplant. Noch war eben nicht alles von der Liste abgehakt und wie es war, mit Robin umherzureisen, konnte sie schwer einschätzen. Zuhause, in der gewohnten Umgebung, das war ein Punkt. Woanders ein gewaltiger Unterschied. Und dieses Mal ging es nicht nur um einen Museumsbesuch und einen Kaffee. Vielleicht wehte daher ihre Nervosität, gepaart mit dem Wissen, dass sie dann doch nicht nur mit einer für sie guten Freundin unterwegs war. Zwischendurch verfluchte sie ihre Frage. Aus einem einfachen Gespräch und dem damit verbundenen Impuls heraus, hatte sie Robin gefragt. Einfach so. Erst als die Worte draußen waren, hatte ihr Verstand eingesetzt. Was, wenn es ein Fehler war? Oder schlimmer, wenn es am Ende genau richtig war? Reichlich spät für das Kopfzerbrechen. Denn als sie den Blick hob, erkannte sie Robin. Eilig steckte sie das Handy weg, während ihr Herzschlag schneller wurde. Dass strahlendende Lächeln reichte, und für den Moment kapitulierte Nami. Was-wäre-wenn-Szenarien stieß sie zur Seite. Was die Zukunft bereithielt, konnte sie nicht länger beeinflussen, dafür aber die Gegenwart und die sprach klar und deutlich, was sie wollte. Kaum war Robin in Reichweite, öffnete diese ihre Arme und Nami fand sich in einer sanften Umarmung wieder. Sofort umfing sie die Wärme des Körpers, wie eine behagliche Decke an einem kalten Wintertag. Zeitgleich atmete sie den mittlerweile allzu vertrauten Duft ein. Warum machte sie es sich selbst so schwer, wenn sie förmlich in Robins Armen versank, als wäre es alles, das sie brauchte? Da ihr Kopf sich gegen die Kuhle an Robins Schulter drückte, konnte sie sogar deren Herzschlag hören. Ihre Atmung passte sich der von Robin an, und für einen Moment schien die Welt um sie herum irrelevant. Für eine paar Schläge standen sie einfach da. Dann zogen sie sich ein Stück voneinander zurück, um sich in die Augen zu sehen, und Namis Zweifel erhielten den nächsten Dämpfer. Sanft strich sie eine Strähne von Robins Haar aus dem Gesicht und lächelte verschmitzt. »Du hast mich vermisst.« »Bei den Rehaugen kann ich mir keine andere Begrüßung leisten«, konterte sie und Nami wollte schon zur Antwort ansetzen, als sie Robins Lippen auf ihren spürte. Nachdem sie Robin Gepäck aufs Hotelzimmer gebracht hatten, ließen sie sich zuerst in der Lobby nieder, wo sie bei einem Kaffee über Namis ominöser Liste brüteten. »Du bist streng«, kommentierte Robin tadelnd und nahm einen Schluck. An ihrem Blick hatte Nami durchaus gesehen, dass sie erst mal lieber die Zeit im Zimmer verbracht hätte. Etwas, dem sie selbst gerne nachgekommen wäre, aber irgendwie sagte ihr Gefühl, dass sie den restlichen Tag hätte vergessen können. Und später hatten sie reichlich Zeit. »Was denn? Ich plane meine Reisen gerne durch und es stehen einige Punkte auf dem Programm. Da muss ich strenger sein. Außerdem … es sind drei Tage – schau mich nicht so an!« Nami fuhr sich durchs Gesicht, ehe sie den Kopf senkte und auf ihre Tasse schaute. Irgendwie schaffte es diese Frau immer wieder, dass sie schneller rot wurde, als ihr lieb war und Robin nutzte das schamlos aus. »Okay, keine anstößigen Gedanken mehr. Besser?« »Fürs Erste.« Robin lachte und beugte sich vor. »Ich hoffe, du hast die Kathedrale auf deiner Liste.« »Als ob ich darauf vergesse.« »Mit Glück taucht der Schatten auf.« Nami zuckte unter der Bemerkung und sah auf. Etwas, das Robin mit einem süßlichen Lächeln quittierte. »Es wird über eine mysteriöse, schattenhafte Figur gemunkelt und sie soll in der Nähe des St. Mungo’s Altar auftreten. Sie bewegt sich ohne erkennbaren Ursprung, bis sie genauso plötzlich verschwindet.« Robin stützte das Kinn an ihrer rechten Hand ab und Nami hatte das Gefühl, das sie noch breiter lächelte. Natürlich. Natürlich interessierte sie sich für irgendwelche Gruselgeschichten. Im Gegensatz zu ihr, konnte Nami gut und gerne auf solche Erscheinungen verzichten. »Schön … hört sich toll an«, murmelte sie zur Antwort und lehnte zurück, wobei sie demonstrativ die Arme verschränkte. »Schieß los. Was hast du noch in petto?« Als ob Robin nur eine Geschichte hervorholte. »Necropolis. Der Friedhof sollte bei Nacht besucht werden. Es soll einen Wächter geben, der darauf achtet, dass die Ruhestätten ungestört bleiben.« »Dann lassen wir ihn seine Arbeit machen … und stören nicht!«, gab sie gepresst von sich. »Sei ehrlich, du sitzt zu Hause und suchst extra nach diesen Überlieferungen! Genieße lieber die Architektur und sonst etwas.« Unschuldig zuckten Robins Schultern. »Ist ein Reflex? Das eine schließt das andere nicht aus. Alles hat seine Geschichte und alles sollte berücksichtigt werden. Denkst du die Schlösser oder Orte, die du besuchst hast, habe keine?« Nami legte den Kopf zurück, schnaufte laut. Nachdem sie der anderen Bilder geschickt hatte, hatte sie sehr wohl die eine oder andere Erzählung bekommen, aber im Nachhinein war ihr das lieber. Dann, wenn sie den Ort hinter sich gelassen hatte und nicht im Vorfeld und währenddessen, wenn auch die Atmosphäre passte. Ab einem Punkt stieg Nami freiwillig aus. Gruselgeschichten waren nicht ihr Ding. Robin bildete das Gegenstück. Sie liebte es förmlich und hatte ihren Spaß. »Glasgow hat ein paar verlassene Anstalten«, fügte sie wissend, dass es Nami nicht mochte, an. Robin wusste, wie man sie aufzog. »Du bist unmöglich«, murmelte Nami vor sich hin. »Weißt du was? Ich gehe allein, in dem großen Bett schlafen und du schlägst dir die Nächte um die Ohren, in der Hoffnung auf irgendeinen, nicht nachvollziehbaren Nervenkitzel. Abgemacht?« Natürlich war in der St. Mungo’s Cathedral kein Schatten aufgetaucht und den Friedhof hatten sie nur bei Tag einen kurzen Besuch abgestattet. Wenn Robins Anwesenheit eines änderte, dann ihr Wissen. Obwohl es nicht Robins Fachgebiet war, hatte sie genug Informationen bereit. Als wäre sie in der Hinsicht tatsächlich ein wandelndes Lexikon. Und Nami würde lügen, wenn sie die Variante des Sightseeings nicht doch irgendwie bevorzugte. Es war wie im Museum. Robins Erzählungen ließen die Geschichte lebhaft werden. Für heute war alles abgehakt und als sie ins Hotelzimmer zurückkehrten, wurde ihr Rucksack achtlos auf den Boden geworfen. Gerade noch so schlüpfte sie aus ihren Schuhen und der Jacke, ehe Nami rücklings aufs Bett fiel. Einen Augenblick die Augen schließen und entspannen. Das Wetter schlug um, der Himmel verdüsterte sich. Beim Zurückgehen hatte der Wind deutlich an Fahrt aufgenommen. Eigentlich eine Jahreszeit in der man ausschließlich in der Sonne liegen sollte. »Hast du dich entschieden?«, hörte sie Robin gedämpft. Für den morgigen Abend hatte Nami bereits in einem Restaurant einen Tisch reserviert. Wohin sie heute wollte, darüber war sie noch unschlüssig. Abends nahm sie meist alles, wie es kam. Leicht stützte sich Nami an den Armen auf. Dann, als ihr Blick auf dem Tisch hängen blieb, stand sie schwungvoll auf. Robin war auf das Hotel gekommen. Besonders das Essen hatte einen guten Ruf. Nur kurz blätterte sie durch die Speisekarte. Wasser. Das Prasseln der Dusche drang an ihre Ohren und sie warf einen Blick über ihre Schulter, während sie die Karte in ihren Händen wog. Ein langer Tag auf den Beinen. Draußen das ungemütlich werdende Wetter. Für das hauseigene Restaurant umziehen oder … warum überhaupt nachdenken? Die Karte wurde zurückgelegt und noch im Gehen zog sich Nami ihr langärmliges Shirt aus. »Wie wäre es mit Zimmerservice?« »Rechnen wir lieber mit einer Stunde Fahrt.« Die Nacht war bereits fortgeschritten, als Nami auf der Seite lag und über die Karte scrollte. »Wir könnten eine Bootsfahrt machen.« »Könnten? Was ist aus deinem peniblen Plan geworden?«, neckte Robin, die neben ihr auf dem Rücken lag. Das Display diente als einzige Lichtquelle, aber wusste Nami auch so, dass Robin ein Grinsen auf den Lippen trug. »Soll ich uns jede Minute planen?«, gab sie zurück, ohne dabei aufzusehen. Loch Lomond war das Ziel. Noch ein bisschen das Umland durchforsten. »Versuch’s.« Daraufhin sah sie Robin an. Nicht direkt der Aussage wegen. Vielmehr der Normalität, die zwischen ihnen herrschte. So ungezwungen, als wäre es schon immer gewesen. Miteinander ein Bett teilen, reden, zusammen einschlafen und aufwachen (sofern Robin nicht weitaus früher aufwachte) und anstatt flüchten zu wollen, genoss sie jede Minute und das verbarg sie nicht wirklich. Schon gar nicht, in diesem Moment, denn Robin wusste, dass sie angestarrt wurde. Schließlich ließ sie die Augen wieder auf das Display wandern. »Erzähl, Gertrude. Welche gruseligen Fakten hast du parat?«, scherzte sie. Wenn Robin ihr Wissen preisgab, zog sie diese heute noch mit ihrem falsch genannten Namen auf. »Der See soll, wie Loch Ness, ein Monster beherbergen. Ein riesiges, schlangenähnliches Wesen, das sein Unwesen treibt.« Nami lachte, wieder fiel ihr Zoros Bemerkung ein. Ob er das gleiche sagen würde? »Was noch?« »Die Legende von Inchtavannach. Eine von einem Fluch versunkene Stadt. An klaren Tagen sollen die Umrisse erkennbar sein.« »Ein Monster und eine verfluchte Stadt. Langweilig. Irgendwie Standard«, witzelte Nami dann. »Schätze, ich muss dich nicht nach der Ballade fragen?« Da spürte sie auch schon Robins Blick auf sich, der sie zum Grinsen brachte. »’O ye’ll tak’ the high road, and I’ll tak’ the low road, and I’ll be in Scotland afore ye – meinst du das?« »Wer kann dir mit dem Akzent widerstehen?« Aber warum hatte sie überhaupt gefragt? Von der Geschichte hatte Nami selbst gehört. »Du bestimmt nicht«, konterte Robin selbstbewusst. Treffer. Die Aussage war als Scherz angedacht, aber die Worte entsprachen der Wahrheit. Doch zeigte es Nami nicht, sondern sah Robin nur herausfordernd an. »Wartet nicht der Friedhof auf dich? Oder eine Anstalt?« ∞ Einen Tag. Einen gottverdammten Tag hatte der Traum nachwirken dürfen. Die gemeinsame Zeit war schneller vergangen als ihr lieb war und am Sonntag hatte sich ihre Laune, obwohl sie eher mit dem Ankommen beschäftigt war, nicht trüben lassen. Natürlich sollte es nicht anhalten. Das einfache Miteinander. Natürlich bekam sie für ihr frevelhaftes Tun die Quittung. Zuerst brach ein lauter Schrei der Begeisterung aus ihr heraus. Freude durchströmte sie. Das Ziel war erreicht. Endlich sollte sich die Mühe lohnen. Dann, schneller als erwartet, hatte die anfängliche Euphorie nachgelassen. Anstatt sich zu freuen, sackte die Realität. Es war kein Wunschvorhaben mehr. Es war nun ihre Realität. Ein neues Leben. Ohne ihre Familie, ihre Freunde und ohne Robin. Letzteres schmerzte auf eine Weise, die sie nie erwartet hätte. Ausgerechnet im Endspurt und als sie allein auf ihrem Sofa saß, wusste Nami nicht, was sie gerade tun sollte. Lachen oder weinen? Kapitel 6: Unexpected. ---------------------- Einen entspannten Abend. Den hatte sie gewollt. Stattdessen lag sie in der langsam einkehrenden Dunkelheit ihres Schlafzimmers, aufgelöst im Strudel der Emotionen. Freude und Traurigkeit kämpften in ihr, und die unvermeidliche Veränderung, die bevorstand, brachte sie fast um den Verstand. Alles worauf sie sich gefreut hatte, stand dem gegenüber das sie aufgab. Dann, als sie das Geräusch der Wohnungstür vernahm, schnellte ihr Kopf in die Höhe. Schritte folgten, die sich bald schon dem Schlafzimmer näherten. Nachdem sie die Situation realisiert hatte, hatte sie Vivi eine Nachricht geschrieben. Anrufen hatte sie vermieden. Was hätte sie sagen sollen? In dem aufgelösten Zustand? Wer in der Wohnung war, lag also auf der Hand. Natürlich kam sie vorbei und mit dem Schlüssel, den sie ihr damals gegeben hatte, war es keine Kunst. In der vorangeschrittenen Dämmerung erkannte sie dennoch das besorgte Gesicht. Was Nami dann eher überraschte, war die Begleitung. Zoro stand hinter ihr und sah neugierig rüber, er schien den Ernst zu verstehen, in der Sekunde, in der er Nami erblickte. »Wasserfest rettet dir gerade den Hintern«, kommentierte er in seiner bekannten, raueren Manier. Die Antwort erhielt er prompt. Nicht von Nami sondern Vivi. Diese boxte ihm grob in den Magen. »Idiot.« Kopfschüttelnd kam sie auf ihre Freundin zu, wobei sie sich am Bett neben ihr niederließ, und die Arme öffnete. »Es ist eine Sache einem Traum nachzujagen, ihn erfüllt zu bekommen ist eine andere. Ist klar, dass es dich überrollt.« Nami lehnte sich gegen den anderen Körper und schloss instinktiv die Augen. »Das Leben ist wie eine Achterbahn. Mal geht es hoch, mal geht es runter. Und wenn es nicht so läuft, wie du willst, dann frag den Alkohol um Rat.« Zoro, der sich in der Zwischenzeit am unteren Bettrand niedergelassen hatte, reckte eine Flasche in die Höhe. Nami sah ihn erst nur aus dem Augenwinkel an, ehe sie den Kopf drehte und tatsächlich lachen musste. »Wo hast du den Mist aufgeschnappt?« »Hey, dem Rat folge ich seit Jahren und du siehst, was aus mir geworden ist!«, konterte er grinsend. Die unerwartete Präsenz der beiden allein half für den Moment. Es tat gut sie zu sehen. »Hast du etwa gedacht, ich lasse mich mit deinen Nachrichten abspeisen?« Fürsorglich strich Vivi über ihren Arm. »Was ihn angeht … langsam bekomme ich Zweifel.« »Sie hat gelacht.« Dann legte er sich seitlich quer aufs Bett und stützte den Kopf ab. Sein siegreiches Grinsen war unübersehbar. »Halt lieber den Ball flach. Das Gefühlschaos hast du mir eingebrockt. Mit deinem Gesülze, ich solle für alles offenbleiben.« Die beiden zurücklassen war ein gewaltiger Schritt. Die Erkenntnis traf sie jetzt, wo sie bei ihr waren, umso mehr und davor hatte sie sich all die Zeit über gefürchtet. In Zukunft wäre so ein spontanes Vorbeischauen unmöglich. Es war eben alles, das zusammenkam. »Hey, das war vor einem Jahr … dass du Robin zu einem der beschissensten Zeitpunkte triffst, ist nicht meine Schuld. Du hast sie in dein Leben gelassen«, entgegnete er entkräftigend. »Ich habe nur nicht gewollt, dass du jede sofort von dir stößt.« Zoro legte sich auf den Rücken. »Das Problem kann gelöst werden. Hast du daran schon gedacht?«, fügte Vivi an. »Wäre ich nicht so naiv gewesen, hätte ich das gar nicht.« Hierbei war sie tatsächlich naiv gewesen. Zu denken, dass alles glatt lief, obwohl die Anzeichen schrill waren … was hatte sie sich dabei gedacht? Da löste sie sich von Vivi und setzte sich gerader auf, wobei sie die Beine anzog. »Robin hat sich für London entschieden. Ihr gefällt das derzeitige Leben. Oder was glaubst du, warum man fast zwei Millionen in die Hand nimmt, und eine Wohnung kauft? Sie hat selbst gesagt, das Umherziehen gehört der Vergangenheit an.« Daraufhin stieß Zoro einen lauten Pfiff aus. »Nette Summe … aber, und da stimmt mir Vivi zu, kein überwindbarer Grund. Wenn ich an deine Erzählungen denke, hat auch sie Gefühle. Warum sonst seid ihr so oft beieinander und sie ist dir nach Schottland nachgereist. Als ob man das für irgendeine Frau macht.« »Da muss ich ihm zustimmen. Bei euch hört sich alles nach einer Beziehung an. Das ist kein lockeres Stelldichein.« Vielleicht hatten sich beide dieses Mal übernommen. Dennoch blieb Nami pessimistisch, was die Zukunft betraf. Es war Mitte Juli, sie kannten sich seit Ende Mai. Das allein sprach Bände. Dass die Gefühle sie förmlich überrollt hatten, war offensichtlich, aber das, was jetzt kam, war für diese Bindung eindeutig zu früh. Dabei hatte sie noch immer Probleme damit, sich überhaupt einzugestehen, wie sie zueinanderstanden. »Ganz ehrlich … für mich hört sich alles so an, als ob ihr beide endlich die Richtige gefunden habt. In dem Fall wird es immer eine Lösung geben, und wenn sie komplizierter wird«, erklärte Vivi aufmunternd, wobei Nami nur halbherzig zu hörte. Lieber war sie gerade mit dem Alkohol beschäftigt, den ihr Zoro mitgebracht hatte. »Nami!« »Vivienne?«, fragte sie, nachdem sie einen großen Schluck direkt aus der Flasche genommen hatte, und sah diese augenaufschlagend an. Im Hintergrund lachte Zoro, wobei er seine Hand fordernd ausstreckte. »Ich denke, ich behalte die Wohnung«, sprach Nami nach einer Weile. »Wer weiß, ob mir das Leben dort gefällt. Sollte ich merken, dass es ein Fehler war … behalten ist einfacher, oder?« Jetzt, wo ihr größter Wunsch vor der Erfüllung stand, bekam sie bei dem Gedanken tatsächlich kalte Füße. Der Schritt war nicht leicht und sie würde direkt ins Unbekannte gehen. Plötzlich wurde es ihr eben doch schwer ums Herz. »Schlag dir das aus dem Kopf, verstanden?«, antwortet Vivi tadelnd. »Aller Anfang ist schwer, aber du wirst das Leben genießen. Warum du dir Kanada aussuchst, ist mir zwar bis heute ein Rätsel – ernsthaft, wie setzt man sich freiwillig den Temperaturen aus? – aber das ist dein Traum. Um uns musst du dir keine Sorgen machen. Wir bleiben dir erhalten, auch wenn wir für unser Nerven neue Wege finden müssen.« Nami lächelte schwach, lehnte sich an die Schulter ihrer Freundin, als sie zu Zoro blickte, der sie breit grinsend ansah. »Und selbst, wenn du scheiterst. Du hast immer einen Platz. Als ob wir dich auf der Straße sitzen lassen. Jetzt habe ich Hunger … du gestattest.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, sprang er schwungvoll auf die Beine. Sie sah ihm hinterher, wobei sie nicht aufhören konnte zu lächeln. So war er eben manchmal und dafür liebte sie ihn. »Siehst du. Manche deiner Sorgen sind unberechtigt. Du hast uns, Nojiko und Genzo und …« Vielsagend grinste Vivi. »Um ein Gespräch kommst du so oder so nicht rum.« Tat sie nicht. Sie konnte dieses Mal schlecht von einen zum anderen Tag wortlos verschwinden. Wobei die Idee sich gar nicht so schlecht anhörte, wenn da halt nicht ihre Gefühle wären. »Wenn sich alles so ergibt, wie ich es mir erhoffe, dann stellst du sie uns gefälligst vor.« »Sollte sie nicht meine geringste Sorge sein?« Da lachte Vivi. Was daran witzig war, verstand Nami nicht und sie musste genau danach aussehen, denn das Lachen wurde herzlicher. »Was?« »Süße, du bist verknallt.« Augenrollend blickte Nami geradeaus. Das war die Erklärung? Dann spürte sie ein Stupsen gegen ihren Arm. »Mit uns ist alles geregelt. Du hast lange genug davon gesprochen. Mit ihr … alles ist offen und anscheinend ist sie jemand, mit dem du dir eine Zukunft vorstellen kannst.« »Flirten, ungebundener Sex, allein bleiben – das ist mein Leben!« Dabei musste Nami über sich selbst lachen. Hierbei hatte sie auf ganzer Linie versagt. »Wegen euch allein sollte ich traurig sein, nicht wegen einer Frau.« Vivi stimmte ein. »Das war dein Leben.« ∞ Bis zum Wochenende, das sie dieses Mal bei Robin verbrachte, hatte Nami das Problem totgeschwiegen. Besser gesagt, sie hatte es nie über die Lippen gebracht. Jedes Mal, wenn sie glaubte, es wäre der passende Moment, hatte die Angst übernommen und sie zum Schweigen verteufelt. Instinktiv war sie zwischendurch in allen Belangen in die Defensive gegangen. Es musste Robin auffallen. Besonders wenn sie zusammen waren. Seit gestern Abend war sie recht wortkarg. Diese Frau hatte ihr in aller Manier den Kopf verdreht. Sie war verliebt. Es war kein Schwärmen, es waren echte Gefühle. Sie wollte Robin, während ein anderer Teil nichts sehnlicher wünschte, als ihr niemals begegnet zu sein. Es war ein vergleichbar kleiner Anteil, der so dachte und der in den vergangenen Wochen stetig an Gewicht verlor. Schottland hatte sie endgültig zur Kapitulation bewogen. Jetzt fühlte sie erneut dieselbe Unentschlossenheit. Seit einer halben Stunde saßen sie auf der großen L-förmigen Couch. Robin seelenruhig in ein Buch vertieft. Sie hingegen malte sich bereits das Schlimmste aus. Dass das der letzte angenehme Moment war. Vivi fragte täglich nach, ob sie das Gespräch endlich geführt hatten, sogar Zoro zeigte Neugierde, während sie bereits über die nächsten Wochen sprachen. Was sie erledigen musste und wie oft sie Zeit füreinander fanden. Etwas, das ihr half. Denn sollte das hier den Bach hinunter gehen, hatte sie wenigstens Ablenkung. Wobei sie erneut daran erinnert wurde, dass es das Beste war. Ach verdammt, dachte sie und setzte alles auf eine Karte. »Robin?«, fragte sie mit hoher Stimme; ganz klar ihrer Nervosität geschuldet. Verdammt … sie war verliebt, sie wollte das hier, aber sie wollte auch diesen Job. Warum musste sie sich vor der Abreise auch gehen lassen? Hätte das nicht später passieren können? Wenn sie dort lebte? Mittlerweile verfluchte sie das Schicksal. Warum mischte es sich in den unpassendsten Momenten ein! »Erzählst du mir endlich, was dir am Herzen liegt?«, konterte Robin gelassen, ohne aufzublicken. Resignierend stieß Nami Luft aus. Was hatte sie erwartet? Dass Robin nichts ahnte? Dieser Frau entging gefühlt nichts. Etwas vormachen schien einem unmöglichen Akt gleichzukommen und Nami hatte die Tage über eine deutlich andere Art angenommen, eine ausweichende, distanziertere. Noch war ein Entkommen möglich. Noch konnte sie Robin einen Bären aufbinden, irgendetwas, bloß nicht die Wahrheit. Genau das wäre alles andere als fair. »Es geht um eine Stelle …«, blieb sie wage und konnte nicht zur anderen sehen. Fast hilfesuchend blickte sie zum Bücherregal. Eines von vielen, das in Robins Wohnung war. »Ich vermute, sie ist nicht in London?« Ihr Herz schlug bis zum Hals. Anhand ihrer Reaktion keine allzu große Überraschung, dass Robin den Gedanken verfolgte. »Wie kommst du darauf?«, fragte sie dennoch. »Du eierst herum und wirkst alles andere als glücklich darüber. Warum sonst würdest du zögern?« Ertappt. Sicher, die Freude war vorhanden. Robin war eben das größte Problem und das trübte diese, gab ihr einen erheblichen Dämpfer. Umso mehr haderte sie die letzten Tage. Genau deshalb hatte sie sich geschworen, sich nie zu verlieben. Die nächsten Worte versetzten ihr aber einen enormen Stich. »Wenn du sie möchtest, nimm sie.« Es war die Nüchternheit, mit der Robin sprach. Als wäre das, was zwischen ihnen entstanden war, nichts Besonderes. Eben nur das, was ausgemacht war: eine Bettgeschichte. Eigentlich die Reaktion, die Nami helfen sollte. Stattdessen zog es ihr schmerzhaft den Magen zusammen. Lange waren sie nicht beieinander, aber hatte sie Gefühle entwickelt, starke Gefühle. Irrte sie sich? Hatte sie Robin falsch eingeschätzt? Ihre Art vollkommen falsch aufgenommen? Im Augenwinkel vernahm sie eine Regung. Robin schüttelte leicht den Kopf und schloss das Buch. Eine Geste, die sie fragend die Brauen heben ließ. »Ich glaube, du missverstehst mich«, begann die andere und wartete, bis Nami zu ihr sah. »Wenn es das ist, das du möchtest, dann geh. Als ob ich dagegen sprechen könnte … ich habe dir erzählt, wie mein Leben bis vor einer Weile ausgesehen hat.« Sie lächelte, wenn auch schwach. »Ich stehe dir nicht im Weg, aber biete ich dir verschiedene Routen an.« Nami blinzelte irritiert. In dem Augenblick wusste sie nicht so recht, was Robin meinte. Natürlich kannte sie den Teil von Robins Vergangenheit. Das Umherziehen. Von einem Land ins nächste. Was sie daher irritierte, war der Schluss. »Was meinst du?«, musste sie nachfragen. »Wenn wir wollen, finden wir einen Weg.« Nami war nicht auf den Mund gefallen, aber die Worte machten sie für einen Augenblick sprachlos. In dieser Sekunde entfachte ein Hoffnungsschimmer, ob gut oder schlecht, er war da und wollte gehört werden. »Robin … ich rede nicht im Sinne von einer Distanz vergleichbar mit Manchester oder sagen wir Edinburgh«, begann sie zaghaft, noch war das Wichtigste nicht gesagt, »es liegen tausende Kilometer dazwischen. Ich ziehe nach Calgary. Calgary in Kanada.« Ein gewaltiger Unterschied. Die Distanz, die Zeitverschiebung. Das machte einen deutlichen Unterschied, als einfach irgendwo hier auf der Insel. Robin zog die Brauen zusammen. Sowie sie das Buch ablegte und schweigend auf den Boden starrte, erkannte Nami, wie sie erstmals ernsthaft über das Gesagte nachdachte. Vermutlich erkannte Robin gerade den eigenen Fehler, dass der Gedanke daran, lächerlich war. Als ob das funktionierte. Nicht allein der Entfernung wegen, auch ihrem kurzen Kennen. Das allein sollte genügen, um das Scheitern zu erkennen. Sollte, aber Robin schien anderer Meinung. Ihr Ausdruck hellte auf und ihre Schultern zuckten, als sie zurück zu Nami blickte und aufmunternd lächelte. »Lieber scheitere ich, als es gar nicht erst versucht zu haben. Was sagst du?« »Was?«, stieß Nami atemlos aus. War das ihr voller Ernst? »Willst du damit sagen …« Ungläubig schüttelte sie den Kopf das ihr einen belustigten Ausdruck bescherte. »Bislang haben wir uns gut geschlagen. Statt ein lockeres Miteinander, haben wir uns still in eine Beziehung gesteuert. Oder findest du unser Verhalten normal?« Irgendwann musste das ausgesprochen werden. Etwas, das sie seit Wochen offen ignoriert hatten. Also hatte sich Nami eben nicht geirrt, und merkwürdigerweise spürte sie dabei ein warmes, wohliges Gefühl in ihrer Brust. »Für dich habe ich meine halben Termine umgeworfen und bin dir nach Schottland nachgereist«, fügte sie lachend hinzu. »Meinem Charme widerstehen ist eben eine Herausforderung.« Ein kleines Späßchen half ihrer Stimmung. »Bei der Abreise habe ich mir gedacht, ich werde einsehen, dass wir uns zwar verstehen, aber mir die Zeit zeigen wird, dass ich mir die Gefühle bloß einbilde … naiv.« »Darf ich dich erinnern, dass du diejenige warst, die gerne betont hat, sie würde sich niemals verlieben?« Aufziehen konnte Robin. Wem hatte Nami das nicht gesagt? Mittlerweile wusste sie einfach, dass es die anderen nicht wert gewesen waren ihre Einstellungen über Bord zu werfen. Robin schon. Wenn jemand sie vom ersten Moment an, aus der Fassung brachte, war sie bislang einfach nicht der richtigen Frau begegnet. Umso schwieriger empfand sie die Zukunft. Unsicher sah sie Robin in die Augen. »Und jetzt?«, war alles, das ihr auf den Lippen lag. Robin lächelte auf eine Weise, die sie stets zum Schmelzen brachte, die ihr stets das Gefühl gab, das alles möglich war. »Wann geht’s los?« »Oktober … angepeilt ist letzte Septemberwoche. Einleben und so.« Ein vor sich hin nicken, ehe Robin den Abstand überbrückte. Gespannt beobachtete Nami jede ihrer Bewegungen. Als Robin dann neben ihr saß und die Arme einladend aufhielt, wich erstmals seit dem Gespräch sämtliche Anspannung. Wortlos sank sie gegen ihren Körper, spürte sogleich die Arme um sich. Spätestens in Schottland hatte sie das, was sie dabei empfand, endgültig akzeptiert. Die Wärme und ein Gefühl der Vertrautheit, während sie dem Herzschlag lauschte. Lag sie in ihren Armen verschwanden Zweifel und Unsicherheit, stattdessen fand Nami einen ungewohnten Frieden und Geborgenheit. »Ist noch bisschen hin«, begann Robin dann, wobei ein Seufzer hörbar war. Nami schwieg abwartend. »Wir genießen die Zeit, die uns übrigbleibt – offiziell – und dann gehen wir die Hürde an, sofern du das möchtest.« Schnell schlug ihr Herz und in dieser Sekunde war Nami froh darüber, dass sie ihr Gesicht in Robins Halsbeuge verbergen konnte. Wenn sie wollte. Ihre Entscheidung. »Sei froh, dass ich wenig Schlaf vertrage.« »Inwiefern?« »Sieben Stunden … da spielt mein Rhythmus in die Karten.« Das war der Satz, der Nami den Kopf heben ließ. »Ich sage nichts grundlos. Wenn du bei deiner Abreise dafür bist, gehe ich den Weg mit dir und wenn wir dafür eine Fernbeziehung in Kauf nehmen müssen. Entweder überstehen wir sie oder wir scheitern. Hört sich besser an, als dich ganz zu verlieren – was ist? Fällt es dir schwer zu glauben, dass ich das riskiere oder wäre dir wohler, wenn ich dir den Laufpass gebe?« Eigentlich hatte Nami auf das Letzte gewartet. Dass sie sich beide auf das Aus einigten. Getrennte Wege gingen und das Gefühlschaos, das die Distanz mit sich brachte, gar nicht erst in Erwägung zogen. Stattdessen starrte sie einfach in die Augen dieser Frau, die alles, was sie sich bislang ausgemalt hatte, ignorierte und bereit war, den Schritt zu gehen. Mit allen Höhen und Tiefen. Wenn sie nur zustimmte. Sie konnte beides haben – den Job und Robin. »Willst du gehen?«, raunte Robin neckend. Typisch für die Frau, sie selbst in so einer Situation aufzuziehen. Robin lockerte den Griff endgültig und sah kurz Richtung Tür. In ihrer Stimme war ein Scherz hörbar, aber ihre Augen sprachen etwas anderes. Robin würde sie gehen lassen, wenn es für Nami leichter wäre. Das wäre es allemal und vielleicht sogar die vernünftigere Entscheidung. Stattdessen umfasste sie Robins Gesicht und küsste sie. Nicht mit dieser brennenden Leidenschaft, die gierig auf mehr aus war. Er war gefühlvoller als jeder ihrer bisherigen, der Namis Atmung ins Stocken brachte. Sie empfanden dasselbe und eine Zukunft war möglich. Die Aussicht mochte sie. Der Himmel über der City of London glühte in den warmen Farben des Sonnenuntergangs, und die gläsernen Türme der Stadt spiegelten das Abendlicht. Schon bald würden die Lichter langsam zum Leben erwachen. Nami kauerte nachdenklich im Hängesessel, der leicht in der Brise schwankte, während sie starr auf die Skyline schaute. In diesem Moment trat Robin wieder auf den Balkon, die Silhouette von London im Hintergrund. Sie musste ihre nachdenklichen Augen erkennen und setzte sich erst still neben sie. »Über was grübelst du?« Dankend nahm sie ihr das Weinglas ab. Vielleicht darüber, dass sie vor ein paar Tagen noch heulend von ihren Freunden getröstet wurde. Oder über das Gespräch mit ihrer Schwester, die genauso Mut zusprach. Hinzu kam ihr Onkel, der ihretwegen übertriebene Gefühlsausbrüche erlitt. Und an Robin. Die ihr vorhin eine ihrer größten Sorgen nahm, was den Umzug anging, obwohl es für ordentliche Probleme sorgen könnte und vermutlich würde. Ein Kopfschütteln später fuhr sie sich mit der freien Hand durchs Gesicht. »Was wäre gewesen, wenn der Zufall andere Pläne gehabt hätte?«, fragte sie stattdessen und warf einen Seitenblick auf Robin. »Oh … ja, der Zufall.« Sogleich zog sie die Brauen zusammen. Die Art, der Tonfall und das leicht ertappte Lächeln brachten Misstrauen. Irgendetwas passte nicht. Wie ordnete sie das Gesagte ein? Innerlich ging sie das Kennenlernen durch. Schritt für Schritt. Das Gespräch im Museum, später dann im Café und dann ergab alles einen Sinn. »Du hast dich absichtlich neben mich gestellt! Du hast es herausgefordert«, platzte es überrascht aus ihr heraus und Robins Blick, der sich geradeaus richtete, während sie ausweichend einen langsamen Schluck nahm, bestätigte sie. »Ist das deine Masche? Frauen in Museen abschleppen?« Der Kellner. Wieder musste sie an den Kellner denken, der Robin kannte. Sie war öfter vor Ort. Natürlich kannte sie jedes Ausstellungsstück. Warum hatte sie früher nie daran gedacht? »Robin!«, lachte sie und stieß ihr gegen die Seite. Wortlos, aber seufzend, lehnte die andere zurück. Das Glas wurde geschwenkt, als wog sie ihre Antwort kalkulierend ab. »Als Masche bezeichnen, ist übertrieben. Ich lauere nicht auf. Gleichzeitig würde ich lügen, wenn ich dir erzähle, ich habe dadurch noch nie jemanden kennengelernt – Nein, keine Absicht, Nami.«, tadelte sie den gespielt entrüsteten Ausdruck. »Zu meiner Verteidigung … auf einer meiner Stationen, habe ich bei Führungen ausgeholfen. Einzelne und Gruppen. Manchmal hat sich da etwas ergeben, okay?« »Gertrude in Höchstform«, neckte sie. »Nein, da habe ich meinen Namen verwendet. Gertrude ist für andere Begegnungen.« Nachdenklich neigte Robin den Kopf. »Eigentlich ist sie nur eine von vielen.« »Also kennt ein Teil deiner Liebschaften nicht mal deinen Namen?« Robin blinzelte unschuldig, worauf sich eine Antwort erübrigte. »Der Kellner hat dir die Tour vermasselt.« »Bist du dir sicher?« Wieder trank sie abwartend. Manchmal, das hatte Nami bald festgestellt, schwieg Robin absichtlich. Dann, wenn sie wollte, dass Nami von allein die Antwort fand und das war eine dieser Situationen. »Du hättest ein anderes Café vorgeschlagen oder einen der Pubs«, gab sie zu bedenken und das Nicken bestätigte erneut ihre Worte. »Noch seltener gebe ich meine Nummer und wie wir sehen, hast du mir nicht widerstanden«, kehrte ihre selbstbewusste Ader zurück. Schließlich wurden ihre Züge weicher und sie sank leicht gegen Namis Körper. »Du hast meine Neugierde geweckt und nicht enttäuscht. Was danach passiert ist, dass hast du dir zuzuschreiben.« Hatte sie. Wofür sich Nami in den letzten Wochen oft genug zerfleischt hatte. Jede Chance auf Rückzug ließ sie partout vorbeiziehen. Vorhin dasselbe. Robin hatte ihr sehr wohl den Ausweg angeboten. Stattdessen blieb sie, akzeptierte den Umstand, hörte auf ihre Gefühle. Als die letzten Sonnenstrahlen verblassten, atmete Nami laut aus. »Ziehen wir das durch, wirst du um eine Sache nicht drumherum kommen.« »Die wäre?« Nami lehnte den Kopf an Robins Schulter und grinste vor sich hin. »Es gibt ein paar Leute, die unbedingt wissen wollen, wer das bislang Unmögliche geschafft hat.« Ohne den Kopf zu heben, wusste sie, dass Robin gerade das Gesicht verzog. »Wie schlimm?« »West Ham oder Chelsea?«, fragte sie unverblümt. »Weder noch, Red Devils.« Nun rückte sie tatsächlich ein Stück fort und sah Robin mit gehobener Braue an. »United? Wirklich?« »Was? Soll ich mich in einen London-Krieg verwickeln lassen?« Damit hatte sie gerade die beste Antwort gegeben, aber kannte sie ihren Freund. »Nein, wirst du aber gefragt, nimm bitte nicht Chelsea.« Nickend verkniff sich Robin ein Lachen. »Das ist wichtig, glaub mir. Damit steht und fällt Zoro! Und Korsa, Vivis Ehemann.« »Okay, Chelsea ist böse. Verstanden.« »Vertrau mir. Die Frage wird kommen. Ob du dich auskennst oder nicht.« Und sollte ein Treffen stattfinden, wollte sie auf keinen Fall einen seiner stumpfsinnigen Vorträge. Die hatte sie in der Vergangenheit bereits oft genug hören dürfen. Egal, um wen es sich dabei handelte. »Irgendwelche Leichen im Keller? Von denen ich wissen sollte?« Wieder nippte Robin am Wein. Dieses Mal wirkte sie, als wüsste sie nicht, worauf sie sich hierbei einließ. »Zoro und Tasha, seine Frau, sind bei der Polizei. Sie ist besonders genau und sobald sie deinen Namen kennt, kann es vorkommen, dass sie dich durchleuchtet. Das passt genauso zu meinem Onkel Genzo.« »Genzo?« »Gentian Zonneveld. Genzo ist beim Militär sein Spitzname. Hat sich irgendwann durchgesetzt. Er wird dich ins Kreuzverhör nehmen. Ich liebe ihn, aber er ist, was das angeht, überfürsorglich.« Sprach Nami darüber, wurde ihr gerade wieder bewusst, warum sie schon früher, als sie noch bewusst gedatet hatte, nie jemanden vorstellen wollte. Eigentlich war ihr Umfeld, was den Teil anbelangte, alles andere als handzahm. »Hey, dafür ist Vivi umgänglich. Nenne sie nie Vivienne und sei charmant.« »Und deine Schwester?« Richtig. Da war noch jemand. Nami schluckte und spürte ein leichtes Frösteln. »Nami?« Es gab Gründe, warum sie mit ihrer Schwester selten über ihre Liebschaften sprach. »Gib ihr einfach keinen Grund, dich nicht zu mögen, okay?« Manchmal wirkte sie unscheinbar und allen freundlich gesinnt. Genau das konnte recht schnell umschlagen und ging es um Nami, stellte sie alle anderen recht schnell in den Schatten. Für Nami würde sie durchs Feuer gehen und es mit jedem aufnehmen. »Willst du jetzt einen Rückzieher machen?«, fragte sie Robin mit Unschuldsmine. Kapitel 7: She's worthy. ------------------------ late summer Prüfend fiel ihr Blick auf die Armbanduhr. Wollten sie pünktlich sein, mussten sie bald los. Ein Glück, dass das Wetter hielt. Die Sonne versteckte sich zwar vermehrt hinter einer Wolkendecke, aber der Regen der letzten Tage hatte aufgehört. Morgen sollten nur noch vereinzelte Wolken den Tag trüben. Es war Zeit, also ließ sie vom Himmel ab und rappelte sich auf, während sie das leere Glas ergriff. Gedämpftes Licht fiel durch das Küchenfenster, als sie das Glas in die Spülmaschine gab. Heute war kein gewöhnlicher Tag und langsam setzte eindeutig die Nervosität ein, die sie die letzten Stunden noch halbwegs unter Kontrolle gehabt hatte. Allein der Gedanke an das bevorstehende Essen ließ ihr Herz einen Takt schneller schlagen. Umso verständlich war ihre zunehmende Anspannung, mit der sie ihr Handy aus der Ladestation nahm, erneut behielt sie die Uhrzeit im Auge. Dabei war alles im Lot. Für ihr Unbehagen gab sie ihnen die Schuld. Ihrer Familie, ihren Freunden. Sie alle machten ein großes, übertriebenes Tamtam um das bevorstehende Kennenlernen und dem damit verbundenem Essen. Keine Sekunde durfte sie die anderen aus den Augen lassen. Auch, weil der Heimvorteil in die Karten spielte. Tasha hatte regelrecht darauf bestanden. Natürlich mit Rückenwind der anderen. Hieß für sie weniger Arbeit, aber hier wäre es gar nicht verkehrt gewesen. Im Schutz des Bekannten. Jetzt hieß es zum Stadtrand, wo die Meute mit Sicherheit bereits lauerte. Ob ein paar Brocken mehr die Spannung genommen hätten? Kurz wog sie das Handy in ihren Händen, ehe sie den Kopf schüttelte. Bis sie Robin trafen, war das alles irrelevant und bot ihnen lediglich Spielraum. Apropos Robin. Lauschend warf sie einen fragenden Blick über die Schulter. »Robin?«, rief sie in die gespenstische Stille. Ihre Freundin bewegte sich oftmals lautlos fort, auch entsprach sie, im Kontrast zu ihr, einer doch schweigsameren Gesellin. Heute war einer dieser Tage und allmählich fragte sich Nami, ob das Treffen eine gute Idee war. Ihre Erzählungen waren nicht gerade beruhigend, aber ehrlich und darauf wollte sie ihre Freundin sehr wohl vorbereiten. Irgendwie erwartete Nami regelrecht die eine oder andere Eskapade. »Robin? Alles in Ordnung?« Auch der zweite Versuch blieb unbeantwortet. Was trieb die Frau? Leicht stieß sie sich ab und ging zum Durchgang, wo sie mit zusammengezogenen Brauen einen Blick in den Flur warf. Die Schlafzimmertüre stand offen, die zum Büro war geschlossen. »Gertrude?« Wenn sie wortlos geflohen war, würde sie ihr den Kopf abreißen. Ein Wort hätte gereicht und Nami wäre sofort mit ihr. Alles lieber als das Kommende. »Maria? – Dona? – Elizabeth? – Emilie?« Langsam gingen ihr die Namen aus. »Lara Croft, lebst du noch?« Da. Wunder geschahen doch noch. Robin trat ins Blickfeld, sah ihr fragend entgegen. Also doch das Schlafzimmer. »Googelst du gerade nach Namen?« Hatte sie, aber nicht heute. Robin hatte ihr erzählt, dass sie gerne auf Historikerinnen zurückgriff. Gertrude war eben eine davon. In erster Linie wollte sie somit verhindern, dass jede ihre Identität kannte. Verstand eine die Anspielung, so wie Nami es geschafft hatte, war das durchaus ein Pluspunkt, aber kein Garant, um ihren echten zu erfahren. Dementsprechend hatte Nami die Neugierde gepackt. Bei alltäglichen Vornamen wie diese, war das Merken keine Kunst und wer kannte die fiktive Figur nicht? Das musste Robin aber nicht wissen, also winkte sie den Kommentar bloß grinsend ab. »Iwo. Ich zähle bloß wahllos auf. Du hast deinen ja vergessen«, tadelte sie nun gespielt, wobei es bei genauerem Betrachten zweitrangig war. »Du ziehst dich um?« Robin stand mit freiem Oberkörper vor ihr, und auch die Hose, die sie nun trug, war definitiv eine andere als vorhin. Sogar der Schmuck kam ihr gewechselt vor und … ihr Kopf neigte sich grübelnd. Täuschte sie sich oder hatte sie vorher nicht sogar irgendwann einen Rock getragen? Robin entging das Mustern nicht, sah selbst einen Moment an sich hinunter. »Wann müssen wir los?«, wechselte sie das Thema. »Du hast noch fünfzehn Minuten.« Das offensichtliche Starren quittierte Robin mit nur noch mit einer gehobenen Braue, ehe sie aus ihrer Sicht verschwand. In dem Fall galt der Blick nicht ihrem Körper. Etwas, das ihr bei Robin gerne mal passierte. Besonders dann, wenn sich ihre Bauchmuskeln abzeichneten. Früher hatte sich Nami eingebildet, sie wolle unbedingt ein Six-Pack. Ein gescheitertes Vorhaben. Anlagen. Daran haperte es. Hätte sie früher nachgeschlagen, hätte sie sich ein paar aufreibende Monate erspart. Mittlerweile war ihr das egal. Den Gedanken schob sie Beiseite und folgte Robin. Sie irrte nicht. Ihre Freundin zog sich durchgehend um und das konnte nur einen Grund haben. Während sie sich auf der Bettkante niederließ, beobachtete sie die andere. Direkte Hinweise fand sie nicht. Die Kleidung war im Schrank und gerade zog sie ein Oberteil heraus. Langsam ging ihnen tatsächlich die Zeit aus. »Korrigiere mich, aber«, begann sie, und hielt ein Lachen zurück, »du bist nervös, oder?« Robin hielt kurz inne, dann warf sie einen Blick zurück. »Wie kommst du darauf?« Da. Eine Gegenfrage. Das hatte sie schnell herausgefunden. Normalerweise gab Robin direkte Antworten. Wollte sie ausweichen, reagierte sie mit Fragen. »Das ist schon dein drittes, wenn nicht viertes Outfit.« Und sie war wortkarg. Es lag auf der Hand und das berechtigt. Nami fühlte es selbst und sie war nicht die heutige Hauptattraktion. »Bildest du dir ein, okay?« Ein letzter Blick in den Spiegel. »Wir können los«, meinte sie nur und gab Nami beim Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. Sie roch ihr Lieblingsparfüm. »Rausreden wirst du dich nicht. Gib zu, dass du Muffensausen hast. Ist normal.« Leichtfüßig folgte sie ihrer Freundin, die sich bereits die Schuhe anzog. Nami grinste vor sich hin. Eigentlich strotzte Robin vor Selbstbewusstsein. Für so etwas Nervenflattern zeigen, war neu. »Hast du alles?«, fragte Robin beim Aufrichten, erneut, ohne auf das Gesagte einzugehen. Augenrollend schob sich Nami vorbei. »Was wäre, wenn du falsch fährst und wir irgendwo anders den Tag verbringen?«, löste Nami das Schweigen, als sie erneut an einer Ampel standen. Jetzt, da das Ziel stetig näher rückte, kam die eigenen Nervosität durch. Das, was kam, lag ihr ganz und gar nicht. Ihnen beiden nicht. Schon gar nicht mochte sie die Vorstellung, wie sie sich sogleich auf ihre Freundin stürzen würden. Robins Finger trommelten am Lenkrad. »Oh nein. Das hast du uns eingebrockt.« »Und du hast gesagt, wir gehen das Risiko zusammen. Vergessen?« »Wir zwei, ja. Da hast du mir noch nichts von deiner Rasselbande erzählt.« »Ich habe dir einen Rückzieher angeboten.« »Die Option haben wir jetzt nicht mehr.« Der Wagen setzte sich in Bewegung und Nami stieß hörbar Luft aus. »Doch, indem du dich verfährst.« »Mit dir?« Wenn ihre Haare offen wären, hätte sie sich diese jetzt gerauft, darauf wettete Nami. »Warum bist du nervös? Dich kennen sie.« »Weil mir was an dir liegt?« Als ihre Hand umfasst wurde, sah sie aus dem Augenwinkel zur Seite. Robin lächelte. »Aus demselben Grund bin ich nervös«, bestätigten sie dann doch, wenn auch recht leise. Ein Schweigen entstand. Eines dieser angenehmen, welches Nami erneut aufzeigte, warum sie an Robin festhielt. »Es gibt noch eine Lösung. Ich lass dich aussteigen und fahr weiter«, zerstörte die andere absichtlich den Moment und lachte. »Besserer Vorschlag. Ich schubse dich durch die Tür, lauf davon und hole dich zwei Stunden später ab.« »Warum traue ich dir die Idee sogar zu?« Sollte Nami nicht eigentlich empört sein? Stattdessen presste sie ihre Lippen zu einem geraden Strich zusammen, damit sie das Lachen verkniff. Ungelogen, mit dem passenden Grund würde sie die Option ziehen. Ja, sie konnte sich das Ganze bildlich vorstellen und würde keinerlei Reue zeigen. »Du bist selbst schuld, was lässt du dich auch auf mich ein?« »Die Frage stelle ich mir häufig«, gab Robin zu und bog ab. Nun war ein Entkommen kaum möglich. Warum musste an dem Tag der Verkehr mitspielen? Unfälle beschwor man nicht, aber wenigstens ein stehengebliebenes Auto, aufgrund einer Reifenpanne. Irgendetwas ohne einen Personenschaden hätte doch aufwarten können. »Wenn wir-«, unterbrach sie sich sogleich. »Anscheinend müssen wir da durch.« Natürlich fanden sie sofort eine Parklücke. Natürlich lief heute alles perfekt. Nicht nur das. Zähneknirschend ließ sie den Kopf sinken. Hatte sie richtig gesehen, hatte gerade ihr Onkel auffällig aus dem Fenster geschaut. Fing gut an. Erleichtert über die erste Etappe atmete Nami durch. Die Vorstellungsrunde war glatt über die Bühne gegangen. Und nachdem das geschafft war und sie auf der Terrasse einen Aperitif einnahmen, waren Tasha und Genzo (welch Überraschung) die ersten, die Robin mit Fragen bombardierten. Ganz unschuldig war sie wiederum nicht. Bislang hatte sie die Informationen recht spärlich gehalten. Eigentlich kannten die anderen lediglich ihren Vornamen, ungefähres Alter und sogar die Arbeit hatte sie wage gehalten. Aus gutem Grund. Nami hatte kein Interesse daran, dass sie sich bereits im Vorfeld schlau machten und es noch zur Schau stellten. Vielleicht ein weiterer Grund, warum Nojikos Exfreund geflüchtet war. Es gab eben Menschen, die fanden so etwas gar nicht lustig, gar beängstigend. Verständlich. Bevor sie sich einmischen und Robin vorerst aus der Schusslinie holen konnte, ging Vivi grinsend an ihr vorbei und zeigte beide Daumen nach oben. Idiot, dachte sie und schüttelte den Kopf. Noch auffälliger war nicht möglich, sie achtete nicht mal richtig darauf, dass sie mit dem Rücken zu den anderen stand. Und als sie zu Robin blickte, fand sie die Bestätigung. Sie hatte die Geste gesehen und bedachte sie mit einem feixenden Lächeln, während sie durchaus den Worten der anderen lauschte. Dann zuckte Nami zusammen. Zoro war neben sie getreten. »Wenn ich daran denke, dass die Vierzig bei ihr recht nah ist … muss zugeben, ne glatte Zehn.« Auffällig starrte er Robin an. Namis Quittung kam prompt mit einem Stoß in die Rippen. Momentan holte er sich solche Reaktionen am laufenden Band. »Ist ein Kompliment. Sie ist sympathisch.« Irritiert sah Nami auf. »Du bist kurz mit Tasha in die Küche verschwunden, schon vergessen?« »Du hast sie also gefragt … du musst die Frage jeden stellen, oder?«, stöhnte sie genervt, was Zoro mit einem Schulterzucken quittierte. »Was? Jeder hat Macken und habe ich Negatives gesagt?« Nein, hatte er nicht. »Okay, erzähl.« »Du hast sie vorbereitet«, stellte er fest und stieß sie leicht mit der Schulter. »Guter Schachzug und trotzdem hat sie mir geradeaus gesagt, dass sie mit beiden Vereinen nichts anfangen kann. Durch Freunde und Kollegen bekommt sie Ergebnisse mit und wenn sie wählen müsste, würde sie keinen Londoner Club nennen.« »United«, ergänzte Nami. Da er sie sowieso durchschaut hatte, brauchte sie nicht drumherum reden. »Wenigstens entscheidest du nicht über Leute, in dem du sie nach den Messerschliffen von Schwertern ausfragst.« Er sah aus, als ob ihm ein Licht aufging. Eine neue Idee. Ein neues Schema. »Schlag dir den Gedanken aus dem Kopf. Damit tust du dir keinen Gefallen.« »Beim Großteil nicht, aber … bei ihr wäre es einen Versuch wert. Du sagst immer sie sei ein lebendes Lexikon.« »Wehe!« Erst das Essen diente einer minimalen Verschnaufpause. Robin schlug sie wie erwartet. Es war, als legte sie einen Schalter um. Von der vorigen Nervosität war nichts spürbar. Schon wie sie ausgestiegen waren, hatte sich Robins Haltung verändert. Selbstbewusst, charmant und im passenden Moment mysteriös. Es erinnerte an ihr Kennenlernen. Kein Wunder, dass sie das über die Bühne brachte. Ob es im Inneren genauso aussah, bezweifelte Nami fast, aber das würde sie später noch herausfinden. Jetzt galt ihre Aufmerksamkeit sowieso ihrer Schwester, die sie provokant schweigsam mit sich zog. »Wenn du irgendetwas gefunden hast, was dagegenspricht, behalte es für dich«, brachte sie mürrischer als gewollt hervor. »Mit älter habe ich an 30 gedacht.« »Ist das alles?« Das Alter hatte sich Nami, bei all den Zweifel, erst spät vor Augen geführt. Es war offensichtlich, dass sie sich in verschiedenen Lebensabschnitten befand. Nami befand sich an der Stelle, die Robin beim Umzug nach London hinter sich ließ. Andererseits verstand Robin sie genau aus dem Grund und unterstützte ihre Vorhaben. Ganzgleich wie die Zukunft sich entwickelte. »Hey«, fing Nojiko beschwichtigend an und legte den Arm um die Schultern ihrer Schwester, »ist nicht böse gemeint. Eher überraschend, aber verständlich.« »Erklärung?« Daraufhin drückte sie Nami näher und grinste. »Beweist ihre Reife. Mit dir umgehen, muss gelernt sein.« Nami entglitten die Gesichtszüge. »Komm, du machst dir viel zu große Sorgen. Wir sind einfach neugierig. Ich meine, du hast über Jahre jede abblitzen lassen … sie hat das Unmögliche geschafft. Als ob ich so eine Frau nicht mögen kann«, sprach sie mit neckendem Unterton und küsste ihre Schwester versöhnlich den Schopf. »Ich habe euch beobachtet, du bist glücklich. Alles andere ist nebensächlich.« Tatsächlich spürte Nami einen leichten Rotschimmer aufkommen, den sie mit einem Blick nach unten versuchte zu kaschieren. War sie und bis zu ihrer Abreise würde sich daran wohl nichts ändern. Erst was danach kam, bereitete ihr Kopfzerbrechen. Ihr Umzug kreiste über ihnen, aber hatten sie eben beschlossen es einfach Schritt für Schritt anzugehen. Jetzt konnten sie das Miteinander auskosten, anstatt die Zeit mit Fragen und Sorgen zu verschwenden. »Tut sie.« »Und sie mitbringen, spricht sowieso Bände. Wäre sie dir nicht wichtig, hättest du dieses Essen nie zugelassen.« Anders als geplant, brachen sie erst zu späteren Stunde auf. Nami merkte die Müdigkeit. Der Tag war auf seine Weise anstrengend gewesen. Allein dank der Anspannung. Wenn sie schon so fühlte, wie musste es erst Robin ergehen? Diese sank vor dem Losfahren einen Augenblick tiefer in den Sitz; dabei atmete sie tief durch. Den Kopf stützte sie an der Hand ab, während der Ellbogen auf der Mittelkonsole ruhte. »Du hast sie verzaubert«, versuchte sie die Stille aufzulockern. Robin hatte eben das getan das sie am besten konnte: ihren Charme spielen lassen. Selbst Genzo war bald eingeknickt. Wobei das Gespräch unter vier Augen vermutlich dazu beigetragen hatte. Was genau gesprochen wurde, konnte Nami lediglich erahnen. Das tat er gern. Vermutlich schwang er große Reden und erwartete dementsprechende Antworten. Anders als Nojikos aktueller Exfreund. Erst das Durchleuchten, dann Genzos Verhör. Er war kreidebleich zurückgekehrt. Das perfekte Treffen, um Partner loszuwerden. Später hatte Nojiko sogar zugegeben, dass sie darauf gehofft hatte. Zum Glück, bis heute verstand sie das Interesse nicht. Eigentlich lächerlich, dass sich ausgerechnet ihre Schwester mit einer Flasche wie dem getroffen hatte. Im Jetzt zählte Robin. Fragend legte sie die Hand auf ihren Arm. »Bist du okay?« »Leere Batterie«, seufzte Robin dann doch noch und richtete sich auf, lächelte müde. »Sie sind nett, keine Frage-« »Ich weiß, sie können einnehmend und dementsprechend kräftezerrend sein«, beendete Nami. »Du hast dich wacker geschlagen.« Aus gutem Grund hatte sie Robin vorgewarnt. Allein konnte jeder schon zusetzen, alle auf einen Haufen, auf eine Person fokussiert … ein Supergau. Die Situation war eben ausschlaggebend. Hier stand etwas Persönliches im Vordergrund. Zudem hatte sie bereits aus Gesprächen herausgehört, dass Robin ab einem gewissen Punkt sich sehr nach einem Rückzug sehnte. So etwas war eben nicht immer möglich. Leicht beugte sich Nami vor und küsste sie auf die Wange. »Soll ich lieber fahren?« »Nein, es hilft mir.« Wie aufs Stichwort startete Robin den Wagen und fuhr los. »Kaffee und Buch?« Für Kaffee war es bei ihr nie zu spät und ein Buch half definitiv, um abzuschalten. Nach den Stunden wäre es verständlich, wenn sich Robin damit ins Büro zurückzog oder einfach im Bett las. Länger als üblich schwieg diese. Als würde sie genauer nachdenken. Oder, und das war durchaus möglich, schaltete ihre Freundin gerade auf Durchzug. Darin war sie gut. Nami hatte die Gewohnheit bereits am eigenen Leib gespürt. Einmal hatte sie fast zehn Minuten gebraucht, um Robins Abwesenheit zu realisieren. »Duschen und schlafen hört sich besser an.« Überrascht hob Nami zuerst eine Braue, dann wurde ihr Ausdruck weich. »Okay. Gute Idee.« Was immer sie nach den Stunden brauchte. Für beide war es ein ungewöhnlicher Tag gewesen, nur mit dem Unterschied, dass Robin kaum eine Verschnaufpause hatte. Und Nami wusste von der Anspannung, dem Nervenflattern, schon vor dem Treffen und Robin hatte es geschafft, es die anderen nicht wissen zu lassen. Sie hatte diese Maske aufrechterhalten. Verrückt, wenn sie ihre Freundin beobachtete. »Was ist?« »Du machst mich glücklich.« Kapitel 8: New habits. ---------------------- late autumn Es war Ende November, und die Temperaturen waren merklich gefallen, als Nami den Video-Call mit Vivi beendete. In ihrer neuen Umgebung fanden Gespräche einen neuen Stellenwert, vor allem seit die Zeitverschiebung unter der Woche die Abstimmung erschwerte. Neue Gewohnheiten bildeten sich, und auch wenn sie sich allmählich daran gewöhnte, vermisste sie die regelmäßigen Treffen, besonders die wöchentlichen Essensrunden mit Zoro und Tasha. Letztere hatten sie jedoch kreativ in ihre Fernfreundschaft integriert – gemeinsames Kochen trotz räumlicher Distanz. Mit einem leisen Kopfschütteln stand Nami vom Sofa auf. Noch hatte sie ein paar Minuten, bevor sie aufbrechen musste. Denn heute stand etwas Besonderes an: ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Für sie bedeutete das mehr als nur festliche Stände und funkelnde Lichter. Der Markt versprach eine willkommene Ablenkung von der manchmal einsamen Atmosphäre ihrer neuen Wohnung, die langsam zwar gemütlich wurde, aber dennoch Spuren der Sehnsucht nach den Liebsten, vor allem nach Robin, trug. Es war eben ein Prozess, der seine Zeit brauchte. Heute jedoch war sie nicht allein unterwegs. Der Vorschlag kam von Reiju, ihrer neuen Bekanntschaft aus der Wohnung zwei Stockwerke über ihr. Nach einem Beinahezusammenstoß am Tag ihres Einzugs, bei dem Reiju es eilig hatte, kamen sie in der folgenden Woche in ein Gespräch. Sie häuften sich über die Wochen und das bevorstehende Treffen nannte Reiju ihre kleine Wiedergutmachung. Vielleicht ein Stück zurück in gewohnte Unternehmungen. Es war anders und dann wieder nicht. Vor dem Treffen hatte sich Nami kaum über die verschiedenen Weihnachtsmärkte informiert. Anders als gewohnt, fand ein Teil lediglich an ausgewählten Tagen statt. Was sie aber dennoch langsam empfand, war Entspannung. Das Ambiente half zunehmend und auch ihre Begleitung. Reiju war eine recht offene und lustige Gesellin, die mit ihren pastellrosa Haaren hervorstach. War Nami ehrlich, so dachte sie bei ihr nicht gerade an eine Anwältin. Erst recht nicht für internationales Wirtschaftsrecht. Obwohl sie sich eingestand, dass das vielleicht mit ihren nicht allzu guten Erfahrungen zusammenhing. Bei einem Stand mit handgefertigten Ornamenten blieb Reiju dann stehen und ein Funkeln, verstärkt von den Lichtern war in ihren Augen erkennbar. »Stehst du auf Kitsch?«, fragte Nami frei heraus und grinste leicht. Reiju wandte sich zu ihr und zuckte die Schultern. »Weihnachten ist meine Ausnahme. Das restliche Jahr über würde ich solche Sachen kurzerhand aus dem Fenster werfen.« Sie mussten beide lachen. War es nicht oft der Fall? »Und du«, dabei betrachtete sie wiederum das Stück, »kommst mit.« Nami gefiel die Umgebung, aber die Grundstimmung blieb noch aus. Vielleicht kam sie im Laufe der nächsten Wochen. Dieses Jahr war Neuland. Erstmals nicht mit allen in London, aber ganz allein verbrachte sie die Feiertage auch nicht. »Mein Bruder wird sich freuen«, grinste Reiju, nachdem sie vom Zahlen zurückkehrte und siegreich die kleine Tüte hochhielt. »Aber sag, fällt dir die Umstellung allmählich leichter?« Leichter … konnte man davon reden? Nami ließ sich mit einer Antwort Zeit, dabei gingen sie weiter. »Kommt auf die Situation an. Nachrichten sind weniger das Problem, aber will man telefonieren-« »Die Verschiebung erinnert einen«, beendete Reiju. »Sieben Stunden sind sieben Stunden und dann ist die körperliche Distanz. Einfach das spontane Vorbeikommen.« Nami seufzte und warf einen Blick gen Himmel. »Alles braucht Zeit und ich habe immer gewusst, was auf mich zukommen wird.« »Familie und Freunde sind eine Sache, wie läuft’s mit deiner Freundin?« Das war der Moment, in dem die Sehnsucht zurückkehrte und dennoch lachte sie. Über sich selbst. Natürlich wusste Reiju nichts davon, dementsprechend wurde sie fragend angesehen. »Habe ich dir schon erzählt, dass wir uns erst im Sommer kennengelernt haben? Mitten im Endspurt und jetzt ist das eingetreten, was ich über Jahre vermieden habe – mich verlieben. Okay, verlieben ist untertrieben. Es ist genau so wie ich es befürchtet habe. Ich bin hier, sie ist dort. Armor ist ein kleines, mieses Arschloch.« »Alles andere wäre langweilig«, versuchte Reiju etwas Humor einzubringen. »In der Dauer sehe ich keinen Grund – vorläufig. Genügend wagen den Sprung mit eurer jetzigen Ausgangslage. Ihr hattet bereits Zeit miteinander. Die Frage lautet: habt ihr einen Plan?« Das war der Moment, um stur geradeaus zu schauen. »Konkret? Nein. Irgendwie ignorieren wir das Thema ein bisschen. Okay, ich gehe dem aus dem Weg. Für mich ist Calgary nicht als Kurztrip gedacht. Die Umstellung ist schwer, aber meine Entscheidung fühlt sich richtig an.« An manchen Tagen hatte sie Schwierigkeiten. Alle waren dort und hätte sie einen anderen Weg gewählt, wäre sie bei ihnen. Ihre Liebsten waren der einzige Punkt. Der Rest? Sie mochte die Stadt, sie mochte ihre Arbeit. Gerade fühlte es sich eben genau danach an, was sie immer gewünscht hatte. Ihr Leben gab ihr in den anderen Aspekten genau das Gefühl, das sie sich immer gewünscht hatte. Es war mehr als ein Okay. »Sofern ich die Distanz zu ihnen nicht aushalte, sehe ich mich nicht wieder in London, sprich …« Sie spürte Reijus Hand an ihrem Arm, der sie zum Stehenbleiben brachte. Verständnisvolle Augen sahen sie an. »Ich kenne das Gefühl. Ist eine Zwickmühle. Es braucht Zeit und mit ihr kommen Antworten. Ob gut, ob schlecht sei dahingestellt. Liebe ist besonders tückisch. Irgendwann wird das Gespräch aufkommen und eine Entscheidung fordern. Die Umstände gehen auf Dauer selten gut.« Natürlich würden sie das Thema nicht ewig unter den Tisch kehren können. Momentan begnügte sich Nami damit, dass sie sich halbwegs zurechtfanden. Was in ein paar Wochen geschah, ob Weihnachten darüber geredet wurde … oder was in Monaten geschah, wer wusste das schon? »Hast du Erfahrung oder irre ich mich?«, fragte Nami grübelnd. Irgendwie erhielt sie gerade das Gefühl. »Auf eigene Weise, ja«, sagte sie nur verschmitzt. »Manchmal hilft ein Abend abseits dessen. Wir sind gleich durch und ich weiß nicht, wie es dir ergeht, aber langsam wird die Kälte anstrengend. Lust auf ein paar Drinks?« Die Frage brauchte sie Nami kein zweites Mal stellen. Einen Barbesuch hatte sie bislang nicht unternommen. Allein hatte sie kein Interesse gehabt und sie suchte auch niemanden. Eine halbe Stunde später hielten sie auf eine von Reiju wärmstens empfohlene Bar zu, vor der ihr Bruder wartete. Er wohnte in der Nähe und so ergab es sich, dass er zu ihnen stieß. Nach den Erzählungen war Nami neugierig, er hörte sich nach einer netten Gesellschaft an, trotz der Warnung. Gelassen, aber aufmerksam stand er am Eingang und entsprach der Beschreibung. Ein blonder Schönling, war das erste das ihr durch den Kopf ging, und er bewies Stil. Von Kopf bis Fuß alles aufeinander abgestimmt. Sobald er die beiden erkannte, setzte er ein strahlendes, warmes Lächeln auf und anders als erwartet, marschierte er geradewegs an seiner Schwester vorbei. Er ignorierte sie, Nami hingegen nicht. Mit einem altmodischen Kuss auf den Handrücken stellte er sich als Saniel vor. »Ich habe dich auch vermisst, Sanji«, seufzte Reiju. »Neben einer anderen Frau bin ich Luft«, erklärte sie Nami, mit amüsierter Miene. Diese nickte nur, war sie gerade anderweitig irritiert. »Man darf eine Schönheit nie stehenlassen, Schwesterchen.« Mit den Worten zog er sie in eine Umarmung. »Dich kenne ich ja.« »Ich überlege mir noch, ob ich dir das schenke.« Sein Blick glitt zur Tüte. »Lass mich raten, irgendetwas für meinen Weihnachtsbaum?« Er lachte und stibitzte diese. »Dank ihr ist bei mir alles bunt, ohne roten Faden. Jedenfalls wenn sie auf Besuch kommt«, meinte er zwinkernd an Nami gewandt. »Als ob, du magst es. Gehen wir rein, es wird ungemütlich.« Er hielt ihnen die Türe auf und die entgegenkommende Wärme war genau richtig. Die nächtlichen Temperaturen waren rapide gefallen. Dabei lagen die schlimmsten Temperaturen erst vor ihr. Sie fanden einen Tisch in einem der hinteren Bereiche und als Nami Jacke und Schal ablegte, kehrte der fragende Ausdruck zurück. Hatte sie sich eben verhört oder nicht? »Habe ich vorhin richtig verstanden. Sanji?«, hinterfragte sie daher. »Manche Namen wird man nie los«, seufzte er und gab ihr, nachdem sie Platz genommen hatte, die am Tisch bereits aufliegende Karte. »Habe ich erwähnt, dass wir in Japan geboren sind?« Reiju streifte ihre Ärmel zurück, während Nami, nach kurzem Überlegen, den Kopf schüttelte. Würde zum Namen passen, aber Namen hinterfragte sie selten. »Ursprünglich kommt unsere Familie aus Frankreich, unsere Großeltern sind damals nach Quebec ausgewandert. Unsere Eltern zogen, angetrieben durch Vaters Forschungen, in die Saitama Präfektur. Ich habe offiziell einen japanischen Vornamen erhalten, bei meinen Brüdern sind es lediglich Spitznamen. Unsere Mutter war vermutlich der Grund. Sie war in Frankreich geboren und aufgewachsen.« »Sie wusste, wie sie dem Alten den Kopf verdreht und den Willen durchsetzt«, erklärte Saniel. »Etwas Heimatverbundenheit. Meine Brüder und ich sind Vierlinge … als Babys musste die Unterscheidung schwer gewesen sein.« »Ja, und die Spitznamen habe ich ihnen allen miteingebrockt. Mit vier habe ich manchmal die Namen vertauscht und angefangen, sie mit Zahlen zu betiteln. Ichi, Ni, San, Yon. Unser Vater hat es weitergesponnen.« »Jetzt bin ich auf ewig der drittgeborene Sohn«, lachte Saniel und sah zu seiner Schwester. »Bei ihr macht er mir nichts aus. Meine Brüder hingegen ziehen damit auf.« Nami nickte verständlich. Also hatte sie sich nicht verhört. »Und wo verstecken sich die drei?«, fragte sie, nachdem der Kellner ihre Bestellungen aufgenommen hatte. »Sie haben sich für dort entschieden, wie auch unser Vater«, antwortete Saniel und anhand seines Tonfalls ahnte Nami, dass er äußerst froh darüber war. »Wir sind für eine Weile zurückgekehrt, in dieser Zeit starben unsere Großeltern und unsere Mutter … sie entschieden sich für Japan, wir für Kanada. Beste Entscheidung.« »Verzwickte Familienverhältnisse. Etwas ausschweifend, aber jetzt weißt du, warum ich ihn so nenne.« »Was meine Frage dennoch passend macht, vom Thema her.« Saniel sah sie mit neugierigen Augen an. »Welche Geschichte steckt hinter deinem Namen? Er ist alles, aber nicht alltäglich. Nicht auf dieser Seite.« Passend zur Frage kam der Kellner und gab ihr somit Aufschub. So direkt wurde sie lange nicht mehr gefragt. Zwar hatte sie das Thema mittlerweile überwunden, aber es blieb eben doch ein markantes. Und es war, als würde Reiju den Gedanken wahrnehmen. Als merkte sie, dass sie vielleicht sogar etwas haderte »Du musst nicht alles wissen, mein Lieber.« Ein Seitenhieb, den er verstand. Ihm ging sichtlich ein Licht auf und er rückte sich gerade. »Tut mir leid, trete ich dir zu nahe?« Nami schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck ihres Cocktails. Was soll’s. »Nein das nicht – ich bin adoptiert. Der Name ist alles, das ich von meinen leiblichen Eltern mitbekommen habe. Vielleicht existiert irgendeine Geschichte dahinter, vielleicht eine wahllose Angabe. Was es auch ist, ist habe keine Antwort. Meine Mutter hat zwar Nachforschungen betrieben – während einer meiner Trotzphasen – ist aber nie fündig geworden. Ihr Tod hat die Frage für mich endgültig begraben.« »Wortwörtlich …«, nuschelte Reiju und als sie registrierte, dass sie es sich nicht bloß gedacht hatte, schlug sie sich die Hand vor den Mund. Sichtlich wollte sie zu einer Entschuldigung ansetzen, aber Nami kam ihr zuvor und lachte. »Willst du mir erzählen, was dich her verschlagen hat?« Erneut blitzte die Neugierde auf, sobald sie allein waren. »Meine Schwester ist in dieser Hinsicht recht wortkarg.« »Gibt Punkte.« Angesicht dessen, dass Reiju durchaus Informationen in petto hatte, darunter, warum sie nach Calgary zog, war sie positiv überrascht. Manche tratschten schnell weiter. Vielleicht lag es aber an ihrem Beruf, der sie verschwiegener machte. »Sag bloß, ich habe ein Date gecrasht!« Augenbrauen hebend, betrachtete sie sein über beide Ohren grinsendes Gesicht. »Nein, hast du nicht.« »Gehen wir zwei dann aus?« Da kam eher durch, wovor sie Reiju bereits gewarnt hatte. Kopfschüttelnd leerte sie ihr zweites Glas. »Nein, darfst du dir aus dem Kopf schlagen – sie hat geahnt, dass du mir die Frage stellen wirst.« Sein Grinsen ebbte ab, er lehnte sich zurück. Gefiel ihm vermutlich nicht so recht. »Ich bin klar im Nachteil. Also, meine Frage steht noch und jetzt will ich umso mehr die Antwort«, kehrte er zum eigentlichen Thema zurück. Als ob ihn die Zwischenfragen nicht länger interessierten. Vielleicht hatte er genau das bekommen, das er bezweckte. Somit konnte er das abhaken und weitermachen. Kurz ließ sie ihn noch zappeln, ehe sie sich leicht vorbeugte. »Vor über zehn Jahren war ich hier in der Gegend. Hat mich nie losgelassen. Jetzt habe ich den Job gefunden, den ich wollte und ich bin da.« Bei den Erinnerungen, die hochkamen, wurde sie leicht melancholisch. Ihr Blick streifte automatisch durch den gutgefüllten Raum. Die Zeit, zu der sie hier war, war keine leichte, aber hatte ihr der Urlaub geholfen. Vielleicht kam daher die ungewöhnliche Verbundenheit. »Um ehrlich zu sein, habe ich die letzten Jahre investiert, um mir den Traum zu erfüllen.« Und bislang durfte sich Nami nicht beschweren. Sie mochte die neue Arbeit, das Panorama, die Stadt, aber es fehlte etwas. Das Gefühl kehrte zurück, wenn auch nicht lange. So hatte sie sich ihren Traum nicht vorgestellt. »Du vermisst dein altes Leben«, stellte er fest. »Die Menschen, die ich zurückgelassen habe«, gestand sie und lächelte sanft. »Ich bereue meinen Schritt nicht, aber ich habe mir manches leichter ausgemalt.« Sicher, die Wochen waren rasch vergangen, aber die Distanz blieb und es ebbte nicht ab. »Gehen wir noch eine Runde an?«, fragte er aufmunternd. »Reiju ist anscheinend bei einem Bekannten hängengeblieben.« Als sie seinem Blick folgte, fand sie die Gesuchte neben der Bar mit einem Mann reden. Deshalb blieb sie also verschollen. »Kommt mir nicht wie ein Freund vor.« Dann zuckte er mit der Schulter und hielt Ausschau nach einem der Kellner. Mittlerweile wusste sie, was Reiju meinte. Er gehörte jener Sorte an, die Frauen gerne umgarnte, aber er hatte eine sympathische Seite. »Du bist Koch, richtig?« Sofort strahlte er übers ganze Gesicht. »Meine Passion. Irgendwelche Wünsche? Ich kann dir zaubern, was immer du möchtest. Danach wirst du mit keinem anderen Essen jemals wieder zufrieden sein.« »Okay, eine hohe Messlatte.« »Soll ich dich überzeugen?« »Irgendwann. Vielleicht.« »Die Hoffnung lebt.« »Du kannst nicht aus deiner Haut, was?« »Nein, stört’s?« »Kommt auf die Frau an«, neckte Reiju, die sich zurückgesellte und sich auf den Stuhl fallen ließ. »Ich habe schon bestellt.« »Wann?« »Nachdem ich das Gespräch beendet habe. Was? Ich kenne deinen Blick oder wolltet ihr etwa anderes bestellten?« Beide schüttelten den Kopf. Wobei Namis Blick an ihnen haftete. Sie musste lächeln. Der Umgang der zwei hatte eine Vertrautheit, die ihr selbst nur allzu bekannt war. Die sie an ihre Schwester erinnerte. Vielleicht sollte sie sich bei ihr wieder melden. »Du hast uns ungeniert beobachtet«, tadelte Saniel. »Unhöflich von dir.« »Entschuldige meine Höflichkeit. Ein alter Bekannter aus dem Studium. Soll ich ihn ignorieren?«, erklärte sie mit einem Seufzen. »Ich wette, ihr habt euch besser amüsiert.« »Er hat mich einem Verhör unterzogen.« Reiju lachte auf. »Er lässt nichts anbrennen.« Als der Kellner die dritte Runde brachte, blieb Saniel von allem unbeeindruckt, sein Verhör war noch nicht überstanden. »Mich würde noch interessieren, was genau du machst.« Dabei musterte er Nami auffällig, was diese neuerlich eine Braue heben ließ. »Er ist echt im Nachteil … was hast du ihm überhaupt erzählt?« Mittlerweile glaubte Nami tatsächlich, sie konnte die Verschwiegenheit auf ihre Position als Anwältin zurückführen. Wenn sie aber ihren Bruder so ansah, war seine Neugierde groß. Er wirkte wie jemand, der vor dem Kennenlernen am liebsten schon sämtliche Fakten auf dem Tisch haben wollte. Eine Einstellung, die ihr äußerst bekannt war. »Was er wissen musste. Du bist neu und du brauchst ein nettes Beisammensein«, entgegnete Reiju nachdenklich. »Oh, und er soll dich nicht mit plumpen Sprüchen verscheuchen.« »Hey! Sieht sie aus, als verscheuchte ich sie?«, protestierte er, wandte sich jedoch wieder Nami zu. »Ich wette, du machst irgendetwas mit Finanzen.« Sogleich verkniff Nami ein Lachen. Ob sie ihn raten lassen sollte? »Kalt.« »Wobei dir Zahlen liegen, oder?«, neckte Reiju, die längst eingeweiht war. »Mit Zahlen jonglieren kann ich.« Wenn es darum ging, wurde sie gerne in gewisse Schubladen gesteckt. Und Saniel wirkte nicht, als ob er jemals darauf kommen würde und absichtliche Spielchen lagen ihr in dem Fall nicht. »Hinweis? Bitte.« »Okay, Abschlüsse in Geophysik und Meteorologie. Was sagen sie dir?« Einen Augenblick lang starrte er, ehe er einen kurzen Blick zu seiner Schwester warf. Als suchte er Bestätigung. »Du bist eine Wetterfee, die die Erde untersucht?« Eine neue Umschreibung, musste Nami eingestehen, die sie zum Schmunzeln brachte. Wobei die Wetterfee nicht im Vordergrund stand. »Danke für heute.« Zu späterer Stunden kamen sie zurück und warteten gerade auf den Lift. »Eine angenehme Ablenkung.« Es war ehrlich gemeint. Einfach raus und neue Leute kennenlernen hatte sie schon immer gemocht. Irgendwie hatte sie das Gefühl von einer alten Normalität gehabt. Um diese Zeit einen Weihnachtsmarkt erkunden oder gemeinsam in einer Bar sitzen und reden. Nicht auf ein Hilfsmittel angewiesen, sondern jemanden wirklich neben sich. Etwas, das ihr auf die Art abging. »Gern geschehen«, antwortete Reiju lächelnd beim Einsteigen. »Wir können das jederzeit wiederholen. Mein Bruder wird mir ab heute in den Ohren liegen. Er mag dich.« Nami lachte leise. »Ich hoffe nicht auf die verkehrte Weise, kann unschön enden.« »Er schwärmt für alle Frauen, aber er kennt seine Grenze. Er wird jetzt nachlesen. Siehst du ihn das nächste Mal, wird er mit dir über deine Arbeit reden – Ja, er informiert sich.« Nami sah verwundert zur Seite, woraufhin Reiju nickte. »Ich scherze nicht.« Der Lift blieb stehen. »Okay, gut zu wissen. Danke nochmal. Gute Nacht.« Als Nami losging, hörte sie noch einmal Reijus Stimme. »Wann immer dir nach Unterhaltung ist, du weißt jetzt, wo du dich melden kannst. Nacht, Nami.« Die Worte hallten in ihren Gedanken nach, während der Lift, in dem Reiju war, weiter nach oben fuhr. Einen Augenblick blieb sie noch stehen, ehe sie sich endlich zu ihrer Wohnung aufmachte. Als sie die Schwelle überschritt, kam ihr die wohlige Wärme entgegen und die bekannte Leere. Früher hatte sie diese nie gestört. Eher das Gegenteil. Stille war ihr Rückzug. Alles vor Robin. Nachdem Gespräch im Juli, hatte Nami keine Nacht ohne sie verbracht. Egal in welcher Wohnung, sie waren zusammen. Ausgerechnet diese Umstellung fiel ihr schwerer als erwartet. An die Nähe hatte sie sich zu schnell gewöhnt. Sie seufzte bei dem Gedanken, holte dabei ihr Telefon aus der Tasche. Gerade besser fühlte sie sich nicht. In London war halb neun Uhr morgens. Der Part würde länger an ihr nagen. Einer Nachricht nach war Robin längst auf den Beinen. Sonntag. Für ihre Freundin ergaben sich mehrere Möglichkeiten, wie sie die Zeit nutzte. Ein Grund, warum sie die einfachste Variante entschied, und ihr nur zurückschrieb. Im Wohnzimmer schaltete sie lediglich die Stehlampe neben dem Sofa ein, schob langsam die Vorhänge zur Seite und sah, wie recht häufig in letzter Zeit, in die kalte Nacht hinaus. Als ob sie dort Antworten oder, im besten Falle, Erleichterung fand. Manche Stunden luden wiederum ein, der Sehnsucht nachzukommen und die hatte sie. Zusätzlich kam langsam die Müdigkeit durch, den Tag beenden und nach einer Portion Schlaf neu starten, wäre die bessere Option, aber noch nicht. Schon gar nicht als sie die Vibration vernahm und Robins Name auf dem Display aufleuchtete. Was waren ein paar Minuten länger aufbleiben? Die Situation zwischen ihnen war nicht ideal, aber solange sie das Kribbeln und das Herzklopfen spürte, wenn sie miteinander sprachen, nahm Nami das Gefühlschaos in Kauf. »Hey, du«, erklang Robins Stimme und die Wärme darin ließ sie lächeln. »du weißt schon, dass deine Stimme jeden Morgen zu einem guten macht, oder?« Kapitel 9: Cozy time. --------------------- early winter Triumphierend klatschte Nami. Der Weihnachtsbaum stand und endlich hatte sie die Lichter ihrer Vorstellung entsprechend drapiert. »Gehst du mit den Kugeln ähnlich vor, sind wir erst spätabends fertig.« Es folgte ein heiteres Lachen. Zur Antwort warf sie einen unbeeindruckten Blick zurück. Saniel saß mit vergnügten Zügen halb auf der Sofalehne. Den Punkt stritt sich nicht ab, alles zusammen hatte Zeit beansprucht. Ganz rund lief der Monat nicht ab. Es war der dritte Advent, als Nami den Baum aufstellte. »Mach mir keinen Stress, ich habe noch eine Woche«, konterte sie gelassen und trat zum Glastisch, auf dem der Schmuck wartete. »Zahlt sich das aus?«, sagte er mit einem Grinser. Wenn sie bedachte, dass es in manchen Kreisen normal war, dann ja. Normalerweise stand der Baum bei ihr pünktlich zum ersten Dezember oder am ersten Adventsonntag. Der Besuch am Weihnachtsmarkt hatte sie überraschenderweise nicht in Stimmung gebracht. Minimale Dekorationen, aber nicht das volle Programm. Passend zu den Veränderungen, warum also nicht auch in ihren Gewohnheiten. »Ja, und sollte er nur einen Tag stehen.« Saniels Baum stand seit Monatsbeginn, er war bereit für die Feiertage. Manchmal summte er Weihnachtslieder und definitiv hörte er sie beim Kochen. »Okay, okay. Na los, sonst ist Montagmorgen.« Sein Kommentar brachte ihr Kopfschütteln mit sich. So übertreiben musste er nicht. Die Dämmerung setzte langsam ein, aber noch war Sonnenlicht. »Reiju ist auf einem Grün-Trip: schon gesehen? Grün auf einer grünen Tanne … verstehe ich nicht.« Betrachtete sie seine Denkfalte, so grübelte er ernsthaft nach. »Redet der, der kunterbunt bevorzugt«, zog sie ihn daher auf. Es funktionierte und die Falte verschwand, dafür erntete sie Tadel. »Mir kann niemand vorhalten, ich sei ein schlechter Bruder.« Richtig. Er machte Reiju die Freude und verband alle kleinen Geschenke, ob für den Baum oder zum Dekorieren, in seiner Wohnung. Letzte Woche hatte sie es leibhaftig gesehen, als sie ihn zum Kochen besuchte. Ja, sie war seiner Einladung gefolgt, nachdem er ihr doch ans Herz wuchs. »Bordeaux mag ich«, sagte er sanft und hielt eine der größeren Kugeln hoch. Nami lächelte. »Ist länger her«, gestand sie. Über die Jahre hatte sie verschiedenste Kombinationen ausprobiert. »Stell dir vor, die Farbgestaltung hätte eine Bedeutung. Wie bei Rosen. Würde reichend Spekulationen geben, oder?« »Auweh – du wärst das lebende Beispiel für Konflikte. Oder«, und sie setzte ein herausforderndes Grinsen auf, »dein Innerstes entspricht purem Chaos, statt der Liebe zu deiner Schwester.« Saniels Hand sank und er lachte, während er sprach. »Hey, du musst nicht persönlich werden!« »Du hast angefangen«, winkte sie nur ab und ging mit den ersten Kugeln zum Baum zurück. »Anderes Thema – bist du nervös?« Ihre Antwort triefte vor Sarkasmus. »Ich? Nicht die Spur. Drei Monate sind ein Klacks. Da ändert sich nichts.« Fast auf den Tag genau drei Monate ohne ihre Liebsten. Je näher die Ankunft rückte, desto ungeduldiger wurde Nami. Ihre Nerven litten, obwohl es eben einfach ein Wiedersehen war. Nojiko und Genzo kamen Samstag an und flogen kurz vor Silvester zurück. Weihnachten mit ihr ließen sie sich nicht nehmen und Nami freute sich ungemein. Robin landete einen Tag früher und blieb fast zwei Wochen. Während ihr Herz bei dem Gedanken an ihre Familie vor Glück fast zersprang, schwang bei Robin eine neue Form von Nervosität mit. Vielleicht sogar Angst. Distanz konnte zwischenmenschliche Beziehungen verändern. Jetzt noch hielten sie an dem Bekannten fest. Was war, wenn die plötzliche Nähe anders war? Wenn sie nicht länger stimmte? War Nami ehrlich, so machte sie sich darüber Gedanken. »Ich denke, ich durchschaue dich«, hörte sie Saniel spitzbübisch, während er ihr die nächste Kugel reichte. Sie hing sie nicht auf, stattdessen warf sie ihm einen fragenden Blick zu. »Na, ich an deiner Stelle wäre nervös. Ich hätte dankend abgesagt.« Schnell hob und senkte er seine Augenbrauen. Das und seine schelmischen Züge halfen Nami zu verstehen. Innerlicht ohrfeigte sie sich. Sie sollte allmählich wissen, wie er tickte. »Ich an deiner Stelle, ich würde mich tagelang mit meiner Freundin im Bett verbarrikadieren. Die verlorene Zeit muss aufgeholt werden. Neben der Familie gestaltet sich das wesentlich schwieriger. Also ja, ich hätte dankend abgelehnt oder darauf gepocht mir einen Vorsprung zu geben.« Sein Blick wurde verträumter. Gerade wollte Nami sich nicht ausmalen, was in seinen Kopf vor sich ging, welche Fantasien. Ihm Parole geben, machte sie gern. Anstatt ihm Genugtuung zu geben, nahm sie ihm die nächste mit einem belustigten Gesichtsausdruck ab. »Tagelang das Bett? Findest du das nicht ein bisschen zu eintönig? Du enttäuschst mich.« Sie trat einen Schritt zurück, betrachtete die bisherige Ordnung. »Ich schiebe beide nicht grundlos ins Hotel ab.« Gelogen. Nami hätte durchaus eine Möglichkeit gefunden, Nojiko und Genzo wollte es aber nicht. »Was?«, antwortete er gefühlt zwei Oktaven höher. »Was?«, wiederholte sie und blinzelte unschuldig. Schwer unterdrückte sie ein Lachen, stattdessen schob sie sein Kinn nach oben. »Mund zu, du sabberst mir sonst noch den Boden voll.« Gefährlich drückte er die Augen zusammen. Er wollte zur Antwort ausholen, aber hielt sie ihm schon die Hand vor. »Nein oder du fliegst raus.« Obwohl sie ernst klingen wollte, tat sich Nami schwer. Seine Züge nahmen die verschiedensten Ausdrücke an. In seinem Kopf ratterten es und genau diese Reaktion brachte sie schlussendlich zum Lachen. Ein helles, aufrichtiges. Reiju verdankte sie das Kennenlernen und sie mochte sie, keine Frage, aber mit ihm hatte sie eine andere Verbindung. Wie sie zustande kam, verstand Nami nicht. Es war auch nicht wichtig. Sie war einfach dankbar ihn getroffen zu haben, er tat ihr gut. Schließlich hielt er verteidigend die Arme in die Höhe. An manch einem Finger hingen noch Kugeln. »Ein Gentleman genießt schweigend«, sagte er, sobald sie die Hand zurückzog. Dennoch grinste er bis über beide Ohren. Nein, mit ihm war Langeweile ein Fremdwort. »Idiot«, nuschelte sie. »Und du wolltest mir die Schuld geben, dass wir nicht vorankommen!« »Erstens bin ich ein liebenswürdiger Idiot. Zweitens unterbrichst du ständig. Drittens förderst du meine schmutzigen Gedanken!« Untermalt wurde seine Aufzählung von einem herausfordernden Funkeln, das Nami verblüffte. »Also, beeile dich. Wir haben uns noch gar nicht mit dem Mistelzweig beschäftigt. Die Position ist essenziell! Im Notfall müssen wir sie durchspielen, damit an Tag X alles korrekt abläuft.« »Wow«, entfloh ihr. Seine Ein-Gentleman-genießt-Ansprache hielt ja lange. Der Mistelzwei war dieses Jahr sinnlos. »Den lasse ich aus.« »Was?« Das Entsetzen war erkennbar. »Der gehört zur Tradition!« »Ich durchschaue dich«, dabei stupste sie Saniel mit dem Zeigefinger auf die Brust, gefolgt von einer Warnung: »Meine Schwester ist ein Tabu!« »Du bist herzlos«, seufzte er theatralisch. Passend läutete es und entlockte Saniel ein scheinheiliges Grinsen. »Und meine rettet mich gerade.« ∞ Ein Déjà-vu. Auf Flughäfen warten wurde ihr Ding. Mit dem Unterschied, dass sie über ihre Nervosität in Schottland lachte. Was sie heute empfand, stand in keinem Vergleich zu damals. Vergleiche waren oftmals schwer, zumal sie an zwei unterschiedlichen Ausgangslagen standen. Im Juli war alles anders. Hier erwartete sie die Frau, die sie liebte, mit der sie eine Beziehung führte. Der Grund ihrer Unruhe. Sie tapste ununterbrochen von einem auf den anderen Fuß. Geduld galt nicht als ihre größte Stärke. Nami stritt es nicht ab und in diesen Minuten merkte sie es deutlich. Es ging alles zu langsam. Umso erleichterter und schneller zugleich klopfte ihr Herz, als sie in der Menschmenge endlich die vertraute Silhouette ausmachte. Der Herzschlag erreichte einen Höhepunkt. Die Frau, die sich einst vornahm, sich niemals zu verlieben, hatte ihr Herz verloren. In dieser Sekunde hörte sie das Pulsieren in ihren Ohren. Alles um sie herum trat in Vergessenheit, denn ihre Augen galten einzig und allein ihr. Als wäre sie zurück im Museum. Das Warten hatte ein Ende. Mit zügigen Schritten überbrückte sie die letzten Meter und bevor Robin reagieren konnte, fiel sie dieser glücklich um den Hals. Die Umarmung trug das Gewicht von Monaten der Abwesenheit. Jeder Moment der Trennung schmolz dahin, als ihre Umarmung all die vermissten Berührungen aufgriff und in einem einzigen Augenblick zusammenfasste. Es war, als hätten sie eine Zeitschleife durchbrochen und endlich wieder zueinander gefunden. Eine Leichtigkeit umfing sie. Wobei sie auch daran liegen konnte, dass sie mit ihrer stürmischen Art kurzweilig keinen Boden unter Füßen hatte. Was es auch war, Robin war bei ihr. Endlich. »Du hast mir gefehlt«, nuschelte Robin in ihre Haare. »Er hat gute Arbeit geleistet.« Robin trat an die Fensterfront heran. Ein Anblick, der Nami ein Lächeln entlockte. Diese Nacht würde sie dort nicht stehen und halb verloren auf den weiten Horizont starren. »Hat er. Danke.« Die Wohnung verdankte sie ihrer Freundin. Das Umherziehen brachte vorteilhafte Kontakte. Sie hatte ihren vertrauten Immobilienmakler beauftragt. Nach all den Vorschlägen entschied sich Nami für diese hier. Wegen der Nähe, aber in erster Linie des Panoramas wegen, direkt auf die Rocky Mountains. Vorsichtig trat sie an Robin heran. Zum Glück konnte sie ihr Gesicht nicht sehen. Nami hatte das Gefühl, als grinste sie die halbe Zeit wie einer dieser verliebten Teenager. »Wart auf morgen, dann verstehst du mich besser.« Tagsüber. Ihre Arme legten sich um Robins Bauch und drückten den Körper fest an ihren, während sie das Gesicht in ihrem Rücken vergrub. Tief atmete sie durch. All das Vertraute, das sie vermisst hatte. Robin legte die Hände auf ihre Arme, ließ sich fallen. Wie sollte sie sich danach nicht sehnen. Eine Weile standen sie einfach da, das Beisammensein genießend. »Hat sich Franky über den Direktflug beschwert?«, fragte Nami dann. Eine Frage, die Robin zum Lachen brachte. Franky war Robins Zoro. Ein hünenhafter Mann, der einem vom Anblick her, eher die Straßenseite wechseln ließ. Dabei war er ein gutmütiger Kerl, der immer einen lockeren Spruch parat hielt. Nami hatte ihn ein einziges Mal getroffen, als er im August für einen Zwischenstopp in London war. Mit ihrem besten Freund lebte Robin, so gesehen, seit einer Weile in einer Fernbeziehung. Vor drei Jahren hatte ihn endgültig das Heimweh gepackt und heute lebt er wieder in Chicago, zusammen mit Frau und Kind. Im Februar, wenn Nami für Robins Geburtstag zurückkehrte, würde sie ihn erneut treffen. Sie hatten eine Vereinbarung. Jedes Jahr verbrachten sie einen ihrer Geburtstage zusammen und feierten somit beide. Im kommenden war er an der Reihe und reiste rüber. Robin und Franky gaben ihr Hoffnung, was ihre eigenen Freundschaften anging. »Oh, das hat er.« Als sie eine Regung vernahm, lockerte sie die Arme. Robin drehte sich in ihrer Umarmung und lächelte. »Zum Glück hast du dich anderweitig entschieden. Er hätte dich behalten.« Verständlich. Andererseits sahen sie sich übernächste Woche. Bevor Robin nach London zurückkehrte, legte sie einen zweitägigen Stopp ein und besuchte ihn. »Weihnachten mit ihm … er hat einen Schlitten auf dem Dach. Der Albtraum aller Nachbarn.« »Sein Auftreten passt überhaupt nicht zusammen.« Robins Schultern zuckten. Das hatte sie vermutlich oft genug gehört. »Irgendwelche Wünsche?«, lenkte sie in eine neue Richtung und warf kurz einen Blick Richtung Küche. »Du gehst duschen und ich fange mit dem Kochen an.« Wie sie selbst, war auch Robin der Typ, der nach einem längeren Flug erstmal unter die Dusche wollte und für sie ging der Tag schon eine Weile. Dabei ließ Nami etwas von Robin ab, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste sie. »Du wirst die neuen Rezepte lieben.« »Wäre eine Option«, sagte sie, als Nami gehen wollte und hielt sie sofort bei sich. Nami verstand, und doch spielte sie die Unwissende. »Was ist die zweite?« »Du kommst mit und wir kochen gemeinsam. Oder eine dritte Option. Wir bestellen, wir gehen duschen, wir essen eine Kleinigkeit. Und sehen weiter.« Wobei Nami von weitersehen eine genauere Vorstellung hatte. Robins unschuldiges Lächeln, konträr zu dem das ihre Augen sagten. »Drei überzeugt mich.« ∞ Der Wecker riss Nami aus dem Schlaf und so griff sie blind auf das Nachtkästchen. Den ersten erfolglosen Versuch den Störenfried zum Schweigen zu bringen, kommentierte sie mit einem genervten Brummen. Sie war gefühlt erst eingeschlafen! Schweren Herzens öffnete sie die Augen, suchte blinzelnd. Natürlich. Das Handy lag am letzten Eck und um den Weckruf abzustellen, musste sie sich leicht abstützten. Normalerweise starteten ihre Samstage mit der inneren Uhr. Nur triftige Gründe dürften das durchkreuzen und heute war einer dieser Tage. Nojiko und Genzo landeten am frühen Nachmittag. Bevor sie wieder zum Flughafen musste, wollte sie noch ein paar Dinge erledigen und noch Zeit mit Robin verbringen. Was die Zweisamkeit anging. Die nächsten drei Tage waren verplant. Übermorgen stießen zudem die Geschwister hinzu. Erst zu Silvester flogen sie zur Familie. Jetzt erst realisierte Nami ihre Gedanken. Sie war nicht allein, Robin war bei ihr. Ruckartig drehte sie sich auf die andere Seite und starrte überrascht, während ihr Herz schneller klopfte. Robin saß neben ihr im Bett, ein breites Grinsen auf den Lippen und in der Hand ein Buch. Ihres, darin hatte sie die letzten Abende gelesen. Einer dieser kitschigen Romane. Die so gar nicht Robins Genre entsprachen, aber die Nami mochte. Waren sie allesamt durchschaubar? Mit Sicherheit. Einfache Unterhaltung, die entspannte. Es war wie mit diesen Filmen. Manchmal tat es gut sich berieseln zu lassen. Nicht nachdenken, sich fremdschämen, über Protagonisten den Kopf schütteln oder, und das gab sie selten zu, manchmal sogar wie ein Teenager zu grinsen, wenn sie sich endlich küssten. Ob Nami wollte oder nicht, in manchen Momenten war sie dann doch eine hoffnungslose Romantikerin. Nun hatte sie ihre eigene Liebesgeschichte direkt vor sich und dazu noch spärlich angezogen. »Du starrst wieder«, neckte Robin und blätterte um. »Ich hole nach.« Das tat sie und würde sie in nächster Zeit bei jeder Gelegenheit, die sich bot. »So verzweifelt?« Nami blieb auf der Seite liegen, stützte den Kopf an der Hand ab. »In der Not muss ich improvisieren.« Damit schenkte sie ihr einen verschmitzten Seitenblick, der Nami zum Lachen brachte. Robin könnte sonst was machen, solange sie es neben ihr tat, sie nicht allein aufwachte. Eigentlich gehörte Robin jener Sorte an, die, sobald sie munter wurde, sofort aufstehen musste. Blieb sie, tat sie es ihretwillen. Obwohl sich Nami gerade fragte, warum diese Frau munter war. Um sieben Uhr, nach vier Stunden Schlaf. Nach einem Tag wie gestern. »Was ist dein Geheimnis?«, fragte sie daher unverblümt. Gerade wollte sie lieber die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen. »Stell dir vor, ich habe im Flieger geschlafen.« »Du?« Geradeausschauend kniff Robin die Augen zusammen. »Unglaubwürdig?« »Bei dir? Ja, ist es.« Robin nickte leicht. »Power-Naps! Und Koffein. Ausreichend Koffein.« Daraufhin setzte sich Nami auf. »Willst du mir gerade sagen, du bist lang genug auf, um einen Kaffee zu trinken?« Ihr Kopf wollte das gerade nicht so recht verarbeiten. Kurz vor drei hatte sie das letzte Mal auf die Uhr geschaut. »Laut meinem Körper haben wir vierzehn Uhr. Bessere Erklärung?« Robin grübelte einen Moment, ehe sie es abwinkte. »Ist doch unwichtig. Sei lieber glücklich, dass ich mit einem Schnulzenroman auf dich warte.« Nami verdrehte die Augen. Als ob sie interessiert, womit sie wartete. »Ich liebe dich.« Kaum gesagt, verlor das Buch endgültig seine Aufmerksamkeit. »Miss Ich-werde-mich-nie-verlieben … sag’s nochmal, die Akustik ist miserable. Ich möchte sichergehen, mich nicht verhört zu haben.« »Und du bist besser?«, säuselte Nami und warf ihr beim Aufstehen das Kissen ins Gesicht. Sie wollte das, aber natürlich fing es Robin ab. Den tadelnden Blick quittierte sie mit einem noch breiteren Grinsen. »Ich nehme all meine Kraft zusammen und bleibe im Bett und was machst du?« Unbeeindruckt schlüpfte sie in eine lange Hose und Pullover. »Pass auf, sonst drehe ich die Heizung auf. Mal sehen, wie du heute Nacht schläfst.« Robin hasste warme Schlafzimmer. Solange sie es so warm hatte, war es Nami egal. »Schlaf wird überbewertet«, rief ihre Freundin noch hinterher. In die Gänge kommen, erwies sich als dezentes Problem. Eventuell holten sie gerade tatsächlich drei Monate auf. Manches hatte sie glücklicherweise die Tage zuvor erledigt. Manches erschien gerade unwichtig. Sagte man nicht, Stress sei ungesund? »Knapp zwei Stunden«, hörte Nami. »Sei froh, dass ich für morgen alles eingekauft habe und Saniel parat steht«, neckte sie daraufhin. Bevor der Flieger landete, konnte sie nicht mehr viel machen. »Darf ich dich erinnern-« »Schon gut«, unterbrach sie sogleich einlenkend. »Noch fünf Minuten, okay?« Halb auf Robin liegend, lauschte sie ihrem Herzschlag. Ein Tag Vorsprung war eindeutig zu wenig. So sehr sie sich auch auf ihre Familie freute, wollte sie am liebsten einfach liegen bleiben. Tatsächlich mit Robin untertauchen (Saniel würde den Gedanken nie erfahren). Der Sex lag gar nicht im Fokus. Umso mehr die Nähe an sich. »Deine fünf Minuten kenne ich«, wurde sie aufgezogen. Demonstrativ stützte sie sich an ihrem Unterarm ab. Wenn sie ihre Freundin betrachtete – mit ihrem verspielten Lächeln – war es manchmal unglaubhaft, dass dieselbe Frau andere mit einem einzigen Blick einschüchterte. Dann, wenn das warme Blau ihrer Augen, das Nami an einen Sommersee erinnerte, zu einem Eismeer wurde. »Was?« »Na los, steh auf, ich halte dich nicht ab«, neckte Nami. »Du bist frei.« Stattdessen erhielt sie die gewünschte Antwort, indem Robin den Griff festigte und Nami somit einen triumphierenden Ausdruck bescherte. »Ich habe noch eine Minute.« Zu einem Kuss beugte sich Nami vor. Nur kurz. Langsam ging ihnen tatsächlich die Zeit aus. »Heute sollte der Tag schnell vorbeigehen«, fing sie dann an, wobei sie mit einer von Robins Haarsträhnen spielte. »Abholen, ins Hotel, das Abendessen.« Nicht jeder ähnelte ihrer Freundin. Sie war gespannt auf das Essen. Nachdem sie mit Nojiko über Saniel gesprochen hatte und erklärte, dass er Teilinhaber eines Restaurants war, wollte sie es gerne ausprobieren. Dass er nicht nur als Koch arbeitete, hatte sie erst bei einem späteren Gespräch herausgefunden. Sobald Jeff in Rente ging, gehörte es ihm allein. Heute bot sich die letzte Chance, Saniel hatte im alten Jahr den letzten Arbeitstag. Generell schlossen sie über die Feiertage. Gleich danach flog er nach Japan. Robin legte den Kopf schief. »Ob sie dich gehen lassen?« »Müdigkeit gewinnt in den meisten Fällen und Genzo wird alt.« Eigentlich humorvoll gedacht, aber lag ein Funken Wahrheit dahinter. Die Sechzig rückte näher. Eine Tatsache, die ihr erneut vor Augen führte, wie schnell die Zeit verging. Natürlich war er topfit, aber das Alter zeichnete sich ab. Besonders an seinen weiß werdenden Schläfen. »Fit ist er allemal, dein Oberbefehlshaber.« Neckend salutierte Robin. »Trau dich, mach es bei ihm.« Spätestens seit Namis Umzug standen die drei in Kontakt. Für sie blieb das eine manchmal unwirkliche Umstellung, sobald Robin wieder von einem Gespräch erzählte. Im positiven Sinn. Es war ihr wichtig. »Nojiko ist das Zauberwort. Längere Flüge machen sie müde. Solange du ihr keine Schlaftablette unterjubelst, bleibt sie munter.« Ihre Schwester war taff, aber hierbei fand sie ihren Meister. Während Nami über den Wolken Entspannung fand, sah Nojiko darin eine Tortur. Wo sie wiederum an die Uhrzeit dachte. Seufzend griff sie über Robin hinweg zu deren Handy. »Unsere Zeit ist abgelaufen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)