Juli 1970 von Erzsebet (Pathologie eines Philologen) ================================================================================ Kapitel 3: Der Prinz und der Vorkoster -------------------------------------- Der riesige Festsaal wurde von einer Kuppel überspannt, deren Mauerwerk wie feine Spitze durchbrochen war, so daß die letzten Strahlen der schwindenden Sonne den Marmorfußboden und die Blumen- und Ornamentfliesen an den Wänden mit rosenfarbenen Lichttupfen übersäten. Allerdings waren auch schon stark duftende Öllampen entzündet worden, die überall im Raum an hohen Messinghaltern aufgehängt waren. Dem Eingangsportal gegenüber hing ein riesiges grünes Banner, auf das ein galoppierender Rappe gestickt war. Darunter stand eine breite aber niedrige, goldfarbene Bank, in einiger Entfernung daneben war ein orangeseidener Baldachin über einem kleinen Hügel bunter Kissen aufgespannt, wohl der Platz der Königin. Die bereits anwesenden Gäste, ausnahmslos in farbenprächtige, seidig raschelnde Gewänder gehüllt, verneigten sich beim Erscheinen von König und Königin tief, während der Zeremonienmeister verkündete: "Seine Majestät Silion von Berresh, König von Hannai, Eroberer von Tetraos, Herrscher über die Wüste und Bewahrer der wahren Götter mit seiner Gemahlin Prinzessin Mara von Nahem, der Königin von Hannai." Als die Gäste sich wieder aufgerichtet hatten, ging der 'Leibdiener' seinem 'König' voran, hielt auf die Thronbank zu - die Königin wandte sich mit ihren Dienerinnen in Richtung Baldachin. Nach einer Weile hatte die Prozession das andere Ende des Saales erreicht und der König flüsterte fast unhörbar über die Schulter: "Das ist euer Platz." Mit einer halb versteckten Handbewegung wies er auf die mit einem goldbestickten Polster versehene Bank. Viel mehr interessierte Michael jedoch das Banner. Im Näherkommen hatte er gesehen, daß auf dem ansonsten gleichmäßig ausgeblichenen grünen Stoff über dem Pferd ein etwas dunklerer Schatten in Form eines fliegenden Raubvogels zu erkennen war. Offenbar hatte die Herrschaft des Silion von Berresh über Hannai auch etwas mit Umsturz und Eroberung zu tun. Kein Wunder, daß er einen Mordanschlag fürchtete. Der König eilte hinter die Bank und wies Michael flüsternd von hinten an: "Wartet bis mein Sohn und der Wesir eingetroffen sind. Dann segnet das Fest mit den Worten, die ich euch vorsagen werde. Erst dann dürft ihr euch setzen." Michael zeigte mit einem kurzen Nicken, daß er verstanden hatte. Auch die Leibwächter hatten ihre Plätze, rechts und links an den Seiten der Thronbank, eingenommen. Die Königin ließ sich unter ihrem Baldachin nieder und eine dunkelhäutige Dienerin begann, ihr mit einem großen Wedel Kühlung zufächeln. Die Augen des Hofstaates waren indessen erwartungsvoll nach oben zur Kuppel gerichtet, durch die inzwischen das glühend rote Licht der unterge-henden Sonne fiel. Als der ganze Raum in abendliches Violett getaucht war, schwangen die Flügel des Hauptportales erneut auf und der Zeremonienmeister verkündete: "Prinz Faron, erster Sohn des Königs von Hannai." Der schlanke Mittzwanziger trug keine Kopfbedeckung, war aber ansonsten prächtig geschmückt und kam gemessenen Schrittes auf Michael zu. Er hatte deutliche Ähnlichkeit mit Michaels Sohn Andreas, aber angesichts seiner Eltern war das kaum verwunderlich. "Heißt ihn an eurer Seite willkommen und bietet ihm die Prinzenkrone von Hannai dar", flüsterte der König hastig. "Er wird dann schon wissen, was er zu tun hat." Von Michael unbemerkt hatte der Wesir den Saal durch einen Seiteneingang betreten, stand nun neben dem 'König' und ließ ihm durch einen jugendlichen Diener ein dunkelrotes Samtkissen reichen, auf dem ein schmaler goldener Reif lag, geschmückt mit einem fahlblauen ovalen Edelstein. Michael griff nach dem Kissen, der Wesir lächelte undeutbar und zog sich mit dem Jungen zurück, an Michaels rechte Seite. Michael seinerseits streckte nun dem Prinzen, der vor ihm stehengeblieben war, das Kissen hin und improvisierte: "Sei mir willkommen, mein Sohn und nimm Platz an meiner Seite... denn einst wirst du allein auf dem Thron sitzen, und dann solltest du wissen, was dich erwartet." Da der König keinen geflüsterten Protest verlauten ließ, schienen das angemessene Worte gewesen zu sein. Der Prinz nahm, etwas zögernd, den Goldreif entgegen. "Ich danke euch, mein König und Vater", antwortete er mit belegter Stimme. Michael reichte das Kissen nach hinten an seinen 'Leibdiener' weiter, sollte der doch sehen, wo er damit blieb. Dann nahm er seinen 'Sohn' am Ellbogen und dirigierte ihn zur freien linken Seite der breiten Thronbank, die leicht vier Personen Platz geboten hätte. Da Faron die Prinzenkrone noch immer in den Händen hielt und nicht recht zu wissen schien, was er damit machen sollte, nahm Michael sie ihm wieder aus der Hand und setzte sie ihm auf die rote Lockenpracht. "Fasse dich, mein Sohn", sagte er leise. "Bald wirst du ihr König sein", mit einer sparsamen Handbewegung deutete Michael auf alle Anwesenden, Hofstaat, Gäste und Bedienstete, "Und sie werden dir als ihrem König keine Schwäche zugestehen. Auch wenn du sie jetzt, in deiner Jugend zeigst, werden sie sich doch ewig daran erinnern. Aber begehe nicht meinen Fehler - werde nicht hart gegen sie. Stehe stets zu deinem Wort und regiere gerecht." Diese Ratschläge waren wohl nicht im Sinne des Königs, aber das war Michael egal... Das ist nicht gut, die Szene knirscht an allen Ecken und Enden", nuschelte Michael vor sich hin. Er überlegte, was er dagegen tun konnte. "Nun lies doch endlich weiter", drängelte Cassandra jedoch, als die Pause begann, sich auszudehnen. Michael schrak auf. "Wo war ich... Ratschläge nicht im Sinne des Königs... Die dunkelblauen Augen des Prinzen dagegen, ganz die der Königin, trafen Michaels. "Ich hätte nie gedacht, dich einmal so sprechen zu hören, Vater", erwiderte er ebenso leise. "Ich bin heute eben ein ganz anderer Mensch", sagte nun Michael mit einem kaum verhohlenen Lächeln, dann wandte er sich an die Versammelten. "Ehrt meinen Sohn als meinen Mitregenten und meinen Thronfolger! Es lebe Prinz Faron von Hannai!" Gehorsam aber zögernd sprach der Hofstaat es Michael nach: "Es lebe Prinz Faron von Hannai." Mit sich zufrieden trat Michael wieder an die Thronbank zurück. "Sein Name ist Prinz Faron von Berresh, Prinz von Hannai", zischte der König. "Und was habt ihr da eben mit ihm geflüstert?" Ganz offensichtlich war er beunruhigt. Michael freute sich über den Unmut des Königs und zuckte kaum merklich mit den Schultern. "Nichts weiter... ich habe ihn nur ein wenig aufgemuntert." Michael hörte, wie der König tief Luft holte, als wolle er Protest äußern, aber da erloschen plötzlich die letzten durch die Kuppel dringende Sonnenstrahlen. "Ihr müßt den Segen herabrufen. Breitet eure Arme aus und sprecht mir nach: Orem, Herrscher über die Nacht, wieder breitest Du Deinen Sternenmantel über uns und bewahrst uns vor den Widrigkeiten Chelems. Segne Du dieses Fest und segne meinen Sohn, den ich an meiner Seite willkommen geheißen habe und der eines Tages König über Hannai und Bewahrer der wahren Götter sein wird." Gehorsam sprach Michael die Worte nach und andächtige Stille breitete sich im Festsaal aus. "Senkt nun die Arme und verharrt einen Moment in Schweigen", flüsterte der König wieder." "Was ist mit einer Opfergabe?" wollte Cassandra wissen. Michael fuhr erschrocken auf. "Was?" "Na, ein bißchen Weihrauch, eine Schale Wein, sowas in der Art." Entschieden schüttelte Michael den Kopf. "Zu antik, die Vorstellung. Ich glaube nicht, daß das hier paßt. Endlich entschied Michael, genug geschwiegen zu haben, und er ließ sich auf der sehr niedrige Thronbank nieder. Faron setzte sich allerdings nicht neben ihn auf die Bank, sondern auf eines der runden Sitzpolster, die auf dem Boden lagen. Dann klatschte der Prinz in die Hände. "Das Fest möge beginnen!" rief er und aus allen Türen des Saales strömte eine endlos scheinende Schar von Dienern mit niedrigen Tischchen, mit Getränken und Platten voller Köstlichkeiten herein. Michael konnte sich nicht verkneifen, den König flüsternd zu fragen: "Meint ihr nicht, daß ich euren Gott verärgert habe, indem ich an eurer Stelle zu ihm sprach?" Vor ihm, dem Wesir und Faron wurde ein Tischchen mit Speisen gerichtet. "Pah, die Götter", flüsterte der Bewahrer der wahren Götter abfällig. "Wer außer dem dummen Volk glaubt schon an die Götter?" Michael dachte an Athena und seine hübsche Muse Cassandra, die er der Göttin verdankte, und ihm wurde schwer ums Herz. Er würde sie also niemals wiedersehen. Er hatte als Held im Dienste der antiken griechischen Götter gestanden - sie mit Cassandras Hilfe vor dem Untergang gerettet -, und nun mußte er sich mit Mördern herumschlagen, die sich sein alter ego zum Feind gemacht hatte." "Na, das ist ja eine tolle Idee - und du findest ein Weihrauchopfer unpassend?" Cassandra grinste über das ganze Gesicht, dann küßte sie Michael plötzlich auf die Wange. Der warme Abdruck ihrer Lippen verhielt einen Moment und der Blick aus ihren verschiedenfarbenen Augen versprach mehr, sobald Michael erst einmal den 'König für eine Nacht' fertiggelesen hatte. "Gedankenverloren griff Michael nach dem Kelch, der vor ihm stand, aber da hatte ihn schon eine feingliedrige, dunkelhäutige Hand genommen und ein vielleicht dreißigjähriger Mann in den Kleidern eines Dieners hob den Kelch an den Mund. 'Das ist also mein Vorkoster', dachte Michael und besah sich den sympathisch wirkenden jungen Mann. Er hatte etwas dunklere Haut als die meisten anderen im Saal und sein lockiges Haar war von einem blauglänzenden Schwarz, aber seine Augen waren gelb wie die eines Falken. Anders als selbst die meisten Diener war er bartlos, wahrscheinlich, damit die Haare nicht in das königliche Getränk hingen. Mit einem seidenen Tuch wischte der Jüngling die Lippe des Kelches ab und gab das Trinkgefäß an Michael weiter. Auf der freien Fläche unter der Kuppel, nun beleuchtet von hoch angebrachten Lampen, begannen einige Mädchen, von Trommeln und Saiteninstrumenten begleitet, eine Art Schleiertanz aufzuführen, aber Michael würdigte sie kaum eines Blickes. "Wie heißt Ihr?" fragte er den Vorkoster. "Er ist ein Sklave, Dummkopf", zischte der König hinter ihm. "Ihr könnt doch nicht in aller Öffentlichkeit direkt das Wort an einen Sklaven richten!" Der junge Mann riß seine hellen Augen auf. Michael konnte sich in etwa vorstellen, was hinter dem schmalen Gesicht vor sich ging: der König hatte einen Sklaven angesprochen! Er winkte den Vorkoster, sich zu seinen Füßen auf eines der Polster zu setzen. Und die aufgebrachte Reaktion des Königs bestärkte ihn noch darin, das Gespräch mit dem Sklaven zu suchen, der ebenso der Willkür des Königs ausgeliefert war, wie er selbst. Vielleicht ergab sich für Michael hier die Möglichkeit, vor seinem sicheren Tod eine Tat zu vollbringen, an die Silion von Berresh sich noch lange mit Unbehagen erinnern würde. "Euren Namen, Vorkoster." "Ich... ich heiße... oh, Herr!... Ich heiße Nefut Darashy, euer Majestät." Der Vorkoster schien im Boden versinken zu wollen, aber er setzte sich nicht. Michael konnte den König in seinem Rücken aufgebracht schnaufen hören und er mußte sich mühsam ein breites Grinsen verkneifen. "Wie kommt es, Nefut Darashy, daß Ihr ein Sklave in diesem Palast seid?" wollte er nun von dem Vorkoster wissen. "Der... der Sklavenmeister des Palastes hat mich auf dem Markt gekauft, euer Majestät", stotterte Nefut Darashy. "Und wie seid Ihr zum Sklaven geworden?" Der Vorkoster schluckte schwer. "Banditen überfielen unsere Jagdgesellschaft, Euer Majestät... alle Überlebenden wurden als Sklaven nach Hannai gebracht." "Von wo kommt Ihr?" Hinter Michael stöhnte der König nun auf, und der Vorkoster war offensichtlich verblüfft. Auch der Wesir, der dem Gespräch aufmerksam gefolgt war, sah Michael erstaunt an, dann erhellte sich sein Gesicht jedoch in plötzlichem Begreifen. "Euer Majestät werden sich erinnern, daß seit Eurem Sieg über die Oshey-Stämme einer Eurer Titel 'Herrscher über die Wüste' lautet", warf er ein. "Ich muß es tatsächlich vergessen haben", sagte Michael langsam mit einem freundlichen Kopfnicken zum Wesir. Wenn der Mann nicht völlig auf den Kopf gefallen war, mußte ihm schon bei jener kurzen Begegnung im Büro die große Ähnlichkeit des Eindringlings im Pyjama mit dem König aufgefallen sein." "Kanzlei", warf Cassandra plötzlich ein. "Häh?... oh ja, richtig. Das paßt besser." Michael verbesserte den Satz. "Wenn der Mann nicht völlig auf den Kopf gefallen war, mußte ihm schon bei jener kurzen Begegnung in der Kanzlei die große Ähnlichkeit des Eindringlings im Pyjama mit dem König aufgefallen sein. Und es brauchte auch keine großartigen Kombinationsfähigkeiten, um aus den im Flüsterton geführten Gesprächen zwischen König und Leibdiener, dem Auftauchen eines Doppelgängers wenige Stunden zuvor und der offensichtlichen Unkenntnis des Königs über sein eigenes Hoheitsgebiet die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Wesir musterte Michael, und seinem Blick nach hatte er sich eine Meinung gebildet. Nun mußte er nur noch seine Attentäter zurückpfeifen. "Sagt mir, Nefut Darashy, welche Stellung hattet ihr, bevor ihr ein Sklave wurdet?" Wehmütig wanderte der Blick des Vorkosters zu Prinz Faron, der gebannt die akrobatischen Verrenkungen der Tänzerinnen verfolgte. "Euer Majestät, ich bin der erste Sohn eines großen Stammesfürsten." "Was ist mit eurem Vater, Prinz?" fragte Michael und forderte den Mann ein weiteres Mal auf, sich zu setzen. Da Michael ihn mit der Anrede in seinem Rang bestätigt hatte, setzte der Prinz sich tatsächlich auf eines der Polster. "Mein Vater wurde bei dem Überfall getötet, euer Majestät", sagte er dann leise. In Michaels Gehirn, das den Drogennebel inzwischen weitgehend verarbeitet hatte, überschlugen sich die Gedanken. "Also, Prinz Nefut Darashy, ihr seid demnach ein Fürst eures Volkes... habt ihr in dieser Position genügend Einfluß auf andere Stämme, um ihnen klarzumachen, was es heißt, wenn ich heute die Wüstenstämme für unwiderruflich souverän erkläre?" Angesichts des schweren Atmens in seinem Rücken war Michael sicher, daß der König einem Wutanfall näher war als jemals zuvor. Der Wüstenprinz dagegen musterte Michael eine Weile und nickte endlich stumm. Michael drehte sich zum Wesir. "Schickt nach dem Schreiber, Wesir, damit ich einen Vertrag aufsetzen kann." Der Wesir hatte seine Verblüffung schnell unter Kontrolle und gehorchte, indem er den Jungen, der noch in seiner Nähe stand, mit entsprechenden Anweisungen aus dem Saal schickte. Aus dem Augenwinkel sah Michael, daß sein 'Leibdiener' vor Wut zitterte. "Das wird euch noch leidtun", stieß der König durch zusammengepreßte Zähne hervor. "Oh ja, sehr leid! Es wird mir ein Vergnügen sein, euch persönlich jeden einzelnen Knochen zu brechen, euch die Zunge herauszureißen, die Augen mit glühenden Eisen zu versengen, eure Mannheit..." Abwehrend hob Michael die Hand. "Seid jetzt still", zischte er seinerseits dem König zu. "Bedenkt, ich bin euer Köder. Sicher wollt ihr doch nicht selbst euren genialen Plan verraten. Nach diesem Fest - wenn ich dann noch lebe - werden wir weitersehen. So lange bin ich der König und ihr müßt mir freie Hand lassen, ob es euch gefällt oder nicht." Der König schwieg tatsächlich. Der jugendliche Diener des Wesirs erschien wieder, den Schreiber und einen Diener mit niedrigem Schreibpult im Schlepptau. Michael ließ ihnen Zeit, sich niederzulassen, einen Pergamentbogen auf dem Pult auszubreiten und Federn bereitzulegen, dann begann er: "Ich, Silion von Berresh, König von Hannai und so fort, gebe hiermit meinem Sklaven Nefut Darashy, seines Zeichens königlicher Vorkoster, die Freiheit und... wie lange seid ihr schon hier, Prinz?" "Zwei Monate, euer Majestät." "...gebe meinem Sklaven die Freiheit und verfüge, daß er zweihundert Goldstücke als Entschädigung für seine Knechtschaft erhält... ich hoffe, das ist ausreichend." Michael schaute fragend zum Vorkoster. Der Wüstenprinz nickte. "Und weiter im Text", wandte Michael sich wieder an den Schreiber. "Des weiteren erkläre ich ihn, in meiner Eigenschaft als Herrscher über die Wüste, zu meinem Sprecher gegenüber den Wüstenstämmen und trage ihm auf, den Stämmen mitzuteilen, daß ich jeden Anspruch, den ich auf die Wüste und ihre Bewohner jemals erhoben habe, für alle Zeiten aufgebe." "Man nennt sie 'Oshey', Euer Majestät", erinnerte der Wesir Michael flüsternd. "Dank euch, Wesir... aufgebe. Als souveränen... Nachbarn..." Michael warf dem Wesir einen fragenden Blick zu und der nickte, "bitte ich die Oshey, unter sich ihrerseits einen Bevollmächtigten als Botschafter und Sprecher zu wählen oder sonstwie in einer ihnen angemessen scheinenden Weise zu bestimmen, der ihre Interessen bei den Verhandlungen um Entschädigung für während meiner Herrschaft entstandene Unbilden vertritt. In meinem Palast werden Räume für diesen Botschafter und sein Gefolge sowie für seine Nachfolger bereitgestellt." Einer plötzlichen Eingebung folgend wandte Michael sich wieder an den Wüstenprinzen: "Gibt es bei den Oshey-Stämmen einen, der einen Raubvogel im Wappen hat?" "Die Tashrany tragen den aufsteigenden Falken... einst herrschten sie über Hannai, euer Majestät." Michael nickte. "Ja, so etwas habe ich mir schon gedacht... so, Schreiber, schließt mit der üblichen Formel und laßt mich mein Siegel daraufsetzen. Und euch Nefut Darashy bitte ich, als erstem Stamm den Tashrany Bescheid zu geben. Ist das möglich?" "Ja, euer Majestät." "Das Siegel, euer Majestät", bat der Schreiber und drückte dann den Ring, den Michael ihm gegeben hatte, in den heißen Siegellack. Michael nahm den Goldring mit dem schwarzen Stein, in den ein galoppierendes Pferd geschnitten war, wieder entgegen." 'Aber eigentlich müßte der Stein eher grünschwarz - oder sogar dunkelgrün - sein, und das galoppierende Pferd sollte eigentlich Flügel tragen', dachte Michael plötzlich. Aber das lag wohl daran, daß für ihn als Dichter natürlich nur ein Pegasus in Frage kam. Er quittierte den erstaunten Blick Cassandras über sein Verstummen mit einem kurzen, entschuldigenden Lächeln und las weiter: "Michael streifte sich den Siegelring wieder über und befahl: "Schreiber, bitte veranlaßt, daß Prinz Nefut Darashy von seinem unschönen Armband befreit wird und er angemessene Kleidung erhält... sowie an Transportmitteln, Proviant und Soldaten alles was er wünscht, um zu den Seinen zu gelangen." Der Wüstenprinz ergriff Michaels Hände und küßte sie. "Ihr seid ein großer und weiser König. Alle haben euch verkannt, doch von mir wird die Welt erfahren, wie großmütig ihr seid. Und die Oshey werden euch stets und für alle Zukunft willige und starke Gefährten sein, euer Majestät." Mit Freudentränen in den Augen eilte der Prinz dem Schreiber hinterher. Michael war gerührt. Schöner hätte er es auch nicht formulieren können. Aber andererseits wurmte ihn, daß er dem König unbeabsichtigt einen begeisterten Bündnispartner verschafft hatte. "Dieser Bote wird die Stämme niemals erreichen", zischte der König giftig. "Ich werde..." "Eure Entscheidung sollte verkündet werden", unterbrach nun der Wesir den Ausbruch des 'Leibdieners'. Michael nickte erleichtert. "Ich bin überzeugt, ihr werdet euch darum kümmern, daß es morgen in ganz Hannai bekannt ist." "Aber gewiß, euer Majestät", erwiderte der Wesir und verbeugte sich steif. Neben Michael ließ sich nun Prinzessin Mara auf der Thronbank nieder. Während der Vertrag aufgesetzt und besiegelt worden war, mußte sie von ihrem etwas abseits gelegenen Platz herübergekommen sein. "Was sagt ihr zu den Tänzerinnen, mein König?" fragte sie mit säuselnder Stimme. Michael musterte die sparsam bekleideten Odalisken und lächelte beifällig. "Wirklich ganz nett", sagte er und griff nach einer kandierten Frucht. "Ihr seid unvorsichtig, Majestät", mahnte der Wesir. "Ihr habt keinen Vorkoster mehr." Michael zuckte die Achseln und steckte die Frucht in den Mund, kaute genußvoll. "Da allgemein bekannt ist..." begann er noch mit vollen Mund, aber er verstummte, denn sein Blick fiel auf ein Streifenhörnchen, das zu Füßen der Königin saß und sie aus seinen Knopfaugen mordlüstern anstarrte - Cassandras Casus Belli. Wenn das halbwegs zahme Taschentier hier war, konnte auch seine Besitzerin - und damit die Rettung - nicht weit sein. Und da stand seine Muse in ihrem gelbseidenen Kimono auch schon vor der Königin. In der Hand hielt sie ein paar der bläulichen Papierbögen, die Michael als ihre 'Unterrichtsblätter für die praktische Anwendung zauberischer Fähigkeiten' erkannte. "Wer seid ihr?" fragte die Königin irritiert, während Cassandra sie durchdringend aus ihren verschiedenfarbigen Augen musterte. "Ich bin eine Zauberin", sagte Cassandra herausfordernd zur Königin, "und ich komme, um einen Unschuldigen vor dem Tod durch eure Hand zu bewahren." "Was wißt ihr schon?" erwiderte die Königin abfällig. "Für seine Taten hat er den Tod tausendfach verdient!" "Aber der, dem sich euer Messer schon bis auf Haaresbreite genähert hat, ist nicht der, den ihr eigentlich töten wollt!" Michael spürte an seiner rechten Seite den sanften Druck eines spitzen Gegenstandes und rückte schnell von der Königin ab. Gleichzeitig sprang der Wesir auf, um der Königin den schmalen Dolch zu entwenden. Da aber traf schon ein Blitzstrahl die zarte königliche Hand, den Cassandra mit einem ihrer im Fernkurs erlernten Zaubersprüche herbeigerufen hatte. Mit einem schmerzvollen Aufschrei ließ die Königin den nun glühend heißen Dolch fallen. Die verbrannten Finger versuchte sie mit ihrem Speichel zu kühlen. "Was fällt euch ein?!" fauchte sie aufgebracht und hätte Cassandra wohl mit ihren Blicken getötet, wenn es ihr möglich gewesen wäre. "Dieser Mann ist nicht der König, auch wenn er ihm aufs Haar gleicht", eröffnete Cassandra ihr. Michael sah sich nach dem wirklichen König um, aber der hatte sich bereits mit den Leibwächtern aus dem Staub gemacht. Was seine Todfeinde betraf hatte Silion von Berresh, König von Hannai, offenbar ganz furchtbar schlampig recherchiert. Indessen setzte Cassandra ihre Erklärung fort: "Dieser Mann ist Michael Drake, Held der Göttin Athena und mein Gebieter." Und sie wandte sich mit einem fast spöttisch zu nennenden Lächeln an Michael. "Na, was ist, 'Meister'? Hast du dein Teleportations-Abonnement vergessen, oder hat es dir hier so gut gefallen, daß du nicht mehr weg wolltest?" Das Teleportations-Abonnement! Michael hatte es tatsächlich vergessen und dabei hätte er sich schon davonmachen können, bevor der ganze Ärger überhaupt anfing. Wie hatte er nur seinen Lohn für die Rettung der Götter vergessen können? Aber wie teleportierte man überhaupt? "Ich weiß gar nicht, was ich da machen muß", gab Michael kleinlaut zu. "Nun, wenigstens weiß ich es", entgegnete Cassandra mit einem etwas herablassenden Lächeln." "C'est merveilleux, Maître... et charmant! Wirklich!" rief Cassandra erfreut aus und klatschte Beifall. Entzückt nahm Michael Cassandras Überschwang zur Kenntnis. Dann suchte er die Stelle, an der er unterbrochen worden war. "Cassandra hob Casus Belli vom Teppich auf, wo das Taschentier sich für eine heruntergefallene Frucht zu interessieren begonnen hatte und ergriff Michaels Hand. Sie zog ihn hoch von der Thronbank und führte ihn durch die wie erstarrt wirkende Menschenmenge aus dem Festsaal und in einen kleinen Garten-Innenhof. Eine Sekunde später atmete Michael bereits die kühle Hohenheimer Nachtluft ein und bemerkte erleichtert, daß er wieder seinen gestreiften Pyjama trug. Sie standen vor der Eingangstür des drake'schen Hauses. "Du hältst einen ganz schön in Atem", klagte Cassandra leise, aber die Lampe über der Tür zeigte ihr Lächeln. Plötzlich umarmte sie ihn und küßte ihn sanft auf die Lippen. "Sieh' zu, daß du in Zukunft besser auf dich aufpaßt. Aber du kannst mich für meine Mühen entschädigen!" Ihr Knie strich seinen Oberschenkel entlang. "Aber doch nicht hier auf der Straße", verwahrte Michael sich mühsam. "Laß uns reingehen. Mir wird kalt", behauptete er. Und sie gingen ins Haus. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)