Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Makotos Finger lagen auf dem Lenkrad des Wagens, während er wartete. Die Leute flanierten an ihm vorbei. Es war ein warmer, sonniger Tag. Die spiegelnden Fassaden der Hochhäuser um ihn herum eine einzige Demonstration von Macht, Einfluss und Geld. Viel Geld. Makoto wusste, wie wichtig es war. Es war Droge, Drohung und Erlösung zugleich. Wer es hatte, konnte sich alles kaufen. Alles, was er wollte. Sogar Makoto.   Du denkst zu viel.   Mit einem Knurren festigte er seinen Griff. Der lederbezogene Kunststoff knackte unter der rohen Behandlung, aber er hielt. Makoto war stark, jedoch nicht so stark, dass er diesen Teil der fast drei Millionen Yen teuren Luxuskarosse einfach abreißen konnte. Trotzdem hätte er es gerade gerne getan. Oder wenigstens die jungen Frauen dort draußen angeblafft, damit sie aufhörten, sich hinter vorgehaltener Hand Dinge über ihn oder vielmehr den Besitzer des Wagens zuzuflüstern. Er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnten. Die Scheiben waren getönt. Undurchsichtig. Blickdicht. Aber ebenso wie Shisu es hasste, sich im Gewirr der von Müll und Obdachlosen gesäumten Straßen zu bewegen, hasste Makoto es, vor dem protzigen Gebäude auf dem Präsentierteller zu stehen. Er fühlte sich nackt und unbehaglich. Warum kam Shisu nicht wieder?   Das gefällt mir nicht.   Mal abgesehen davon, dass immer noch dieses stinkende Bündel in seinem Kofferraum lag, konnte Shisus langes Fortbleiben nur eines bedeuten. Ärger. Und wenn Shisu welchen hatte, würde es nicht lange dauern, bis Makoto ebenfalls einen Teil davon abbekam. Es war eines der Dinge, die Makoto an dem Halbkoreaner nicht leiden konnte, und die Liste war lang.   Komm schon. Mach endlich.   Nicht, dass Makoto es nicht gewohnt war zu warten. Im Gegenteil. Shisu hatte die Angewohnheit, sich bei seinen Geschäften Zeit zu lassen. Viel Zeit. Manchmal die ganze Nacht lang. Und er vertraute darauf, dass Makoto dann, wenn er betrunken, mit offenem Hemdkragen und ohne auch nur eine einzige Münze in der Tasche wieder auftauchte, da war, um ihn hinzubringen, wo auch immer er hinwollte. Manchmal kam sich Makoto weniger wie ein Fahrer, sondern mehr wie ein Babysitter vor. Aber Shisu hatte einen Vorteil, den er nicht hatte. Er hatte einen Stein beim Boss im Brett und niemand, nicht einmal die Ito-Brüder, wagten es, ihm dumm zu kommen. Denn wenn Shisu wollte, konnte er zubeißen. Wie eine Schlange. Genauso unerwartet und ebenso tödlich. Makoto hatte schon einige, die das nicht ernst genug genommen hatten, verschwinden und nie wieder auftauchen sehen. Jetzt jedoch hätte er es wirklich begrüßt, wenn Shisu …   Ah. Endlich.   Schon von Weitem konnte Makoto die affektierte Gestalt in dem weißen Anzug die Treppen hinunterkommen sehen. Shisu hatte es, wie immer, nicht besonders eilig. In der einen Hand trug er eine große, ausgebeulte Tasche. Sie erinnerte Makoto an einen dieser Arztkoffer, die man oben auseinanderklappte, um den Inhalt freizulegen. Mit der anderen hielt er sich das Handy ans Ohr. Er telefonierte. „Ja. Ja, natürlich. Ja, ich weiß. Ja. Ja, ich dich auch. Bis dann.“   Als Shisu auflegte, wirkte er fahrig. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er zog das Einstecktuch heraus, um ihn abzutupfen. Aus seinem Mund kam ein weinerliches Greinen. „Makoto, du musst mir helfen.“   Makotos Hand glitt zum Wagengriff. „Wo soll es hingehen?“   Immerhin befanden sie sich hier in einem der belebtesten Viertel der Stadt, mitten auf einem großen Platz mit Flaggen und Springbrunnen und allem. Inmitten dieses Szenarios würde Shisu ihn wohl kaum anweisen, das Ding aus seinem Kofferraum zu holen, um es irgendwo abzuliefern. So langsam wurde es jedoch Zeit dafür, wenn sie nicht riskieren wollten, dass ihr Fang doch noch zu den Ahnen ging.   Shisu murmelte vor sich hin. Makoto konnte nicht verstehen, was er sagte, aber das war auch nicht seine Aufgabe. Seine Aufgabe war zu tun, was immer Shisu von ihm verlangte. Meist war das kein Problem, doch als sich Shisus stechender Blick jetzt auf ihn legte, wollte irgendetwas in Makoto zurückweichen.   „Ich hab’s“, sagte Shisu und das Grinsen, dass er dabei im Gesicht hatte, hätte kleine Kinder zum Weinen gebracht. „Du wirst dich um den kleinen Pisser kümmern.“   Makoto musste nicht fragen, wer damit gemeint war. „Aber Shi …“   „Ah-ah-ah-ah“, wiegelte Shisu ihn ab und wedelte mit der Hand vor Makotos Gesicht herum.   „Keine Widerrede. Der Boss will, dass wir uns um die kleine Blume kümmern. Aber ich kann nicht. Ich habe eine wichtige Verabredung. Doch du, Makoto. Du hast Zeit.“   Es war keine Frage. Mehr eine Feststellung. Eine Feststellung, die Makoto nicht gefiel, auch wenn sie den Tatsachen entsprach. Da war niemand, der auf ihn wartete. Nur ein einzelnes leeres Zimmer und eine Flasche Shōchū mit seinem Namen darauf.   „Was willst du?“   Er wusste, dass er so eigentlich nicht mit Shisu sprechen konnte. Seine Position erlaubte es ihm nicht. Der andere schien jedoch so abgelenkt von der diebischen Freude über seine eigene Idee, dass ihm die Respektlosigkeit offenbar entging. Shisu brabbelte vor sich hin. „Aber wo … wo … wo könntest du … ? Ah, ich hab’s. Warte, ich werde es dir aufschreiben.“   Shisu kramte einen Zettel hervor, fand einen Stift in der Innentasche seine Sakkos und kritzelte einige Zahlen und Buchstaben auf den Fetzen Papier. Mit einem triumphierenden Funkeln reichte er ihn Makoto.   „Hier. Das ist die Adresse einer Hütte, die ich … gelegentlich nutze. Für Ausflüge, wenn du verstehst, was ich meine. Man ist dort vollkommen ungestört. Niemand kann euch hören.“   Makoto sah zunächst den Zettel an, dann Shisu, dann wieder den Zettel. Der Name des Ortes sagte ihm nichts, ebenso wenig wie die Andeutungen, die Shisu da machte. Was sollte das heißen 'ungestört'? Sollte er etwa …?   „Ich soll mit ihm dorthin fahren?“   Allein die Idee erschien Makoto vollkommen absurd.   „Und dann?“   „Dann wirst du dich um ihn kümmern“, erwiderte Shisu begeistert. „Hier, nimm das. Da sind seine Sachen drin. Alles, was du brauchst, um den Kleinen zu beschäftigen.“ Immer noch lächelnd drückte Shisu ihm die Tasche gegen die Brust und Makoto schloss die Arme darum, bevor sie zu Boden fallen konnte. Im Inneren der Tasche schepperte es. „Aber ich …“   „Na los, geh schon“, unterbrach Shisu ihn. „Du willst dem kleinen Streuner doch nicht zumuten, noch länger da hinten rumzuliegen. Außerdem pinkelt er dir, wenn du Pech hast, sonst noch den Kofferraum voll. Also los, hopp. Mach dich auf.“   Makoto wusste immer noch nicht, wie ihm geschah. Shisu hatte die Hand auf seinen Rücken gelegt und schob ihn mitsamt der Tasche in Richtung Wagen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte ihm die Tür geöffnet. Dabei redete er ununterbrochen auf Makoto ein. „Und vergiss nicht, ihn zweimal am Tag zu füttern. Wenn er Medizin braucht oder du einkaufen gehst, nimm die Kreditkarte. Kodama-sama ist wirklich außerordentlich daran interessiert, seinen kleinen Lieblings bald wieder gesund und munter wiederzusehen. Also sieh zu, dass er ordentlich isst und zu Kräften kommt. Spiel ein bisschen mit ihm. Du weißt schon. Aber nimm ihn nicht zu hart ran. Nicht, dass mir Klagen kommen. In einer Woche hole ich euch wieder ab.“   Makotos linke Augenbraue zuckte. Er war sich sicher, dass irgendwo in Shisus Gestammel ein ganz gewaltiger Denkfehler lag, aber er kam nicht dazu, den anderen darauf hinzuweisen. Der hatte nämlich inzwischen beschlossen, die Beine in die Hand zu nehmen und sich, so schnell er konnte, von Makoto, dem Wagen und der eigenartigen Tasche wegzubewegen. Ach und natürlich von dem dreckigen Bündel Mensch, das da immer noch im Kofferraum lag. Shisu winkte Makoto noch einmal zu und Makoto winkte nicht zurück. Er sah hinab auf den Zettel in seiner Hand. Das würde eine lange Fahrt werden. Eine sehr, sehr lange Fahrt.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)