Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Makoto konnte nicht schlafen. Immer wieder drehte er sich auf seinem improvisierten Nachtlager in eine andere Position, aber das erlösende Wegdämmern blieb aus. Dabei hatte er dem Prozess schon mit zwei weiteren Dosen Bier nachgeholfen. Aber es half nichts. Der Schlaf wollte nicht kommen. Schnaufend rollte Makoto sich auf den Rücken und öffnete die Augen.   Verdammter Shisu.   Dieser Satz fasste so ziemlich alles zusammen, was Makoto gerade umtrieb. Angefangen von dem Tag, an dem dieser Kerl damals in die Gießerei geschlendert gekommen war um zu verkünden, dass sein Boss sich entschlossen hatte, sie zu schließen. Wie ein aufgeblasener Gockel war er durch die Reihen gegangen und hatte immer wieder mit dem Finger auf Leute gezeigt.   „Du. Du. Du. Du. Du auch. Und du. Du. Du. Und du“, hatte es geheißen. Danach war er wieder vor die versammelte Mannschaft getreten und hatte mit einem hochnäsigen Lächeln verkündet, dass der Rest von ihnen nach Hause gehen konnte. Makoto selbst hatte in der letzten Reihe gestanden. Er war nicht unter den Auserwählten gewesen. Für sie, so hatte es geheißen, würde es auch in Zukunft noch Arbeit geben. Die anderen sollten zusehen, wo sie unterkamen. Sie wurden nicht mehr gebraucht.   „Hey! Hey du! Sitzt du auf deinen Ohren? Du sollst gehen. Los! Verschwinde.“   Makoto erinnerte sich, wie Shisu vor ihm gestanden hatte in seinem lächerlichen, weißen Anzug und wie er einen Augenblick lang darüber nachgedacht hatte, einen Schwinger auf dessen Nase zu platzieren. Nur ganz kurz hatte sich seine Hand zur Faust geballt, doch es hatte ausgereicht, um Shisus Aufmerksamkeit zu erregen. Wie einen interessanten Käfer hatte er Makoto gemustert. „Du bist groß“, hatte er festgestellt. „Auch stark?“   Makoto hatte das Kinn gereckt.   „Wenn es etwas zu heben gibt, holen sie mich.“   Shisu hatte eine Schnute gezogen. Dann hatte er angefangen zu grinsen. „Weißt du was? Du gefällst mir. Ja wirklich. Du bist nicht schön oder schlau, aber die Leute haben Respekt, wenn sie dich sehen. Das könnte nützlich sein. Kannst du Auto fahren?“   Makoto hatte genickt. Er hatte damals noch keinen Führerschein besessen, aber er hatte gewusst, was man machen musste. Zudem war ihm klar gewesen, dass der Mann, der da vor ihm stand, seine einzige Chance war, weiterhin eine Anstellung zu haben. Einen Job, der es ihm ermöglichte, Rechnungen zu bezahlen, etwas zu Essen zu kaufen und seine Wohnung zu behalten. Makoto hatte nicht auf der Straße enden wollen wie so viele, die nur von der Hand in den Mund lebten und manchmal nicht einmal mehr das hatten. Er hatte Arbeit gewollt. Egal was. Egal von wem. „Ich tue alles“, hatte er hervorgestoßen und Shisu hatte erneut gelächelt. „Ich denke, ich behalte dich. Kodama-sama wird mir sicherlich zustimmen, dass du eine gute Wahl bist, und solange du tust, was ich dir sage, werden wir beide keine Schwierigkeiten miteinander bekommen.“ Seit dem folgte Makoto Shisu, tat, was der ihm auftrug, ertrug, was immer er ihm an den Kopf warf. Bis jetzt. Bis heute. Bis er ihm diesen Jungen ans Bein gebunden hatte in der Annahme, Makoto wisse, was mit ihm zu tun sei. Dabei hatte Makoto keine Ahnung. Er hatte keine Ahnung!   Verdammter Aki!   Immerhin wäre das alles nicht passiert, wenn dieser Bengel nicht weggelaufen wäre. Soweit hatte Makoto sich die Geschichte inzwischen immerhin zusammengereimt. Denn dass diese Bozos, die Lösegeld für Aki verlangt hatten, es zuvor gewagt hatten, bei Sasori Kodama einzubrechen, daran glaubte Makoto nicht. Auch bezweifelte er, dass der Junge in einem der Clubs arbeitete, die seinem Boss gehörten. Wäre es so gewesen, wäre Makoto jetzt nicht hier, um ihn zu bewachen. Vielmehr gehörte er wohl zu den Unternehmungen und Kreisen, aus denen Shisu Makoto wohlweislich raushielt. Er war ein zu kleines Rädchen, um dort Zugang zu erhalten. Umso mehr erstaunte es ihn, dass er jetzt mit dieser Aufgabe betreut worden war.   Vielleicht weil ich so unwichtig bin.   Makoto hatte wenig mit dem zu schaffen, was Sasori Kodama so trieb. Er war Shisu unterstellt. Shisu allein entschied, was Makoto tat oder ließ. Im Gegenzug genoss Makoto einige Freiheiten, Privilegien und finanzielle Vorteile. Wenn Shisu wollte, konnte er sehr großzügig sein, und Makoto musste wohl zugeben, dass er sich inzwischen an diese Annehmlichkeiten gewöhnt hatte. An eine schöne Wohnung, gepflegte Kleidung, gutes Essen, ein warmes Bad jeden Abend. Über das, was es ihn kostete, dachte er lieber nicht so genau nach. Als Shisu ihm das erste Mal eine Pistole in die Hand gedrückt hatte, hatte Makoto sie fast wieder fallen lassen. „Nimm sie!“, hatte Shisu ihn angeherrscht. „Wenn mich jemand angreift, musst du mich schützen können. Ansonsten kann ich dich nicht brauchen.“   Danach hatte Makoto nicht weiter gezögert. Er hatte die Waffe genommen und als Shisu ihm gesagt hatte, dass er sie benutzen sollte, hatte er es getan. Ohne zu zögern. An diesem Abend hatte er die Erinnerung an das Geräusch, mit dem der tote Körper auf dem Boden aufgeschlagen war, in einer Flasche Shōchū ertränkt. Der ersten von vielen. Er hielt sich stets daran, es nicht zu übertreiben, aber manchmal, wenn die Nacht dunkel und einsam war …   Makoto hob die Hand und fuhr sich über das Gesicht. Allein über den Shōchū nachzudenken, hatte in ihm das Verlangen geweckt, sich noch ein Bier aufzumachen. Oder etwas Stärkeres. Obwohl er natürlich wusste, dass es besser war, sich zurückzuhalten. Er war sich zwar eigentlich relativ sicher, dass die Fesseln halten und der Junge die nächsten Stunden wie ein Stein schlafen würde, aber was, wenn nicht? Was, wenn er erneut versuchte zu fliehen? Oder seine Wunden wieder anfingen zu bluten. Dass er vergessen hatte, den Verband zu erneuern, war Makoto bereits während des ersten Biers aufgefallen, aber er hatte es nicht über sich bringen können, noch einmal zurückzugehen, um seinen Fehler zu korrigieren. Stattdessen hatte er versucht, seine Zweifel mit einer weiteren Dose zu betäuben. Ohne Erfolg.   Ich werde nach ihm sehen.   Schwerfällig erhob sich Makoto und sah sich um. Das Mondlicht malte bleiche Rechtecke auf den Boden neben der Couch. Der weiße Teppich schien im Dunkeln zu leuchten. Er sah herrlich weich aus. Flauschig. Behaglich. Allein der Gedanke, was Shisu wohl schon auf diesem Teppich getrieben haben mochte, ließ Makoto das Gesicht verziehen. Wussten die Götter, warum dieser Kerl ihn ausgerechnet in sein geheimes Liebesnest geschickt hatte. Dass es so war, hatte Makoto aus dem Inhalt des Badezimmerschranks geschlossen. Wenn Shisu hierherkam, war er vermutlich in der Regel nicht allein. Wahrscheinlich begleitete ihn dabei nicht nur eine, sondern gleich mehrere Damen. Makoto wusste, dass Shisu sich gerne bedienen ließ. Er stand darauf, wenn die Frauen keusch taten. Unwillig. Wenn er sie mit seinem Charme und seinen Fähigkeiten als Liebhaber so aus der Reserve locken konnte, dass sie schließlich nicht anders konnten, als sich ihm hinzugeben. Makoto wusste das, weil Shisu ihm Filmaufnahmen davon gezeigt hatte. Und Makoto hatte sie sich ansehen müssen, ob er wollte oder nicht. Einen Teil von ihm hatte es erregt. Der, der schon viel zu lange alleine war. Frauen interessierten sich nicht für ihn. Nicht mehr.   Makoto seufzte.   Einmal, als er noch jünger gewesen war, hatte es jemanden in seinem Leben gegeben. Oder vielmehr jemanden, den er gerne in seinem Leben gehabt hätte. Miko war wunderschön gewesen. Klug, anmutig, elegant. Er hatte sie verehrt, wenngleich auch nur aus der Ferne, denn sie war die Tochter eines reichen Mannes gewesen. Keine Chance, dass der Makoto als seinen Schwiegersohn akzeptiert hätte. Und doch war er Miko eines Tages begegnet. Bei einem Spaziergang im Park war sie ihrer Aufpasserin entkommen und ziemlich buchstäblich über Makoto gestolpert. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, wie er gedacht hatte. Die Erinnerung an die folgende Zeit und besonders die Nächte, in denen Miko ihn zu sich eingeladen hatte – heimlich und im Schutz der Dunkelheit – war ihm stets im Gedächtnis geblieben. Sie hatte ihm gezeigt, was sie wollte. Wie und wo er sie anfassen musste, um ihr Lust zu bereiten. Sie hatte genommen und gegeben und Makoto hatte sich wie im siebten Himmel gefühlt.   Bis er ihr irgendwann seine Liebe gestanden hatte.   Diese besondere Nacht war das letzte Mal, dass er Miko in seinen Armen gehalten hatte. Wohin sie verschwunden oder ob sie ihm danach einfach nur aus dem Weg gegangen war, wusste er nicht. Irgendwann hatte er angenommen, dass ihre Familie etwas von der Affäre mitbekommen und sie in einer anderen Stadt untergebracht hatte. Bis er sie Wochen darauf wiedergesehen hatte. Im Park. Mit einem anderen, jungen Mann, der ihr aufhalf, weil sie über seine Füße gestolpert war. In dem Moment war ihm klar geworden, dass sie ihn benutzt hatte. Zu ihrem eigenen Vergnügen. Doch Makoto hatte keine Reue darüber empfunden. Im Gegenteil. Er hatte sie bewundert und er war dankbar gewesen. Und traurig, weil sie ihn nie wieder sehen wollte. Seit Miko hatte es niemanden mehr gegeben, mit dem Makoto sein Leben hätte teilen wollen. Er war immer allein. Nicht einmal ein Haustier hatte er. Und jetzt war da Aki.   Der noch nutzloser ist als ein Haustier. Das lief wenigstens nicht weg, wenn man es fütterte und nicht allzu oft nach ihm trat. Aber dieser Junge? Makoto schüttelte den Kopf. Er wusste natürlich – oder ahnte zumindest – zu welchem Zweck Sasori Kodama den Jungen besaß. Der Inhalt der Tasche hatte daran keine Zweifel gelassen. Möglicherweise bezahlte er Aki sogar dafür, dass er seinen Körper zur Verfügung stellte. Makoto schloss die Augen bei dem Gedanken.   Denk nicht so viel nach, dann lebst du länger.   Das und ähnliches hatte Shisu schon oft zu ihm gesagt und bisher war Makoto gut damit gefahren, sich nicht in Dinge einzumischen, die er ohnehin nicht ändern konnte. Aber jetzt? Jetzt hatte er diesen Bengel am Hals und musste dafür sorgen, dass er wieder gesund wurde. Wie auch immer er das anstellen sollte.   Mit einem erneuten Seufzen erhob sich Makoto endlich und tappte in den Raum hinein. Der Holzboden fühlte sich warm an unter seinen Füßen. Er hatte die Heizung angestellt, sodass er selbst in der kurzen Hose und dem Unterhemd, das er jetzt trug, nicht fror. Ein Pyjama war nicht in der Tasche gewesen, die sich wie immer im Kofferraum seines Wagens befunden hatte. Nur normale Ersatzkleidung für den Fall, dass er sich im Zuge seiner Tätigkeit beschmutzte und umziehen musste. Nicht in jedem Etablissement konnte man erwarten, dass Blut- oder andere Flecken unentdeckt – und unkommentiert – blieben. Deswegen war Makoto vorbereitet gewesen. Hatte er wenigstens gedacht. Bis auf dieses Abenteuer. Das hatte ihn kalt erwischt.     Makoto erreichte das Schlafzimmer. Vorsichtig schob er die Schiebetür, die er noch Stunden zuvor so rüde geschlossen hatte, ein Stück zur Seite und lauschte. Von drinnen drang kein einziger Laut an sein Ohr. Aki schien tief und fest zu schlafen. Makoto wollte die Tür gerade wieder schließen, als er doch etwas hörte. Es klang wie ein leises Stöhnen. Oder Wimmern. Makoto runzelte die Stirn. Er legte die Hand auf das Holz und beugte sich vor, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Alles blieb ruhig.   Ob ich nachschauen sollte?   Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Akis Zustand sich trotz der anfänglichen Erholung wieder verschlechtert hatte. Vielleicht hatte er Fieber. Oder Schmerzen.   Ich gehe, beschloss Makoto und öffnete die Tür so weit, dass er hindurchpasste.   Drinnen war es dunkler als im restlichen Haus. Makoto brauchte einen Augenblick, bis er sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Das Bett mit der weißen Wäsche trat deutlich aus dem Dunkel hervor. Vorsichtig machte Makoto einen Schritt darauf zu und horchte erneut. Er hörte jedoch nichts außer seinem eigenen Atem und dem Klopfen seines verräterischen Herzens, dessen Takt schneller geworden war, seit er den Raum betreten hatte.   Ob er noch lebt? Die Frage war unsinnig. Immerhin hatte Makoto ja gerade gehört, dass er das tat. Und doch. Er musste sicher sein. Behutsam, um ja kein Geräusch zu verursachen, ging Makoto um das Bett herum und neigte seinen Kopf in Richtung des Kissens. Immer noch vernahm er nicht das Geringste. Was eigenartig war und eigentlich auch unmöglich, es sei denn …   Makoto drehte den Kopf und blickte direkt in Akis weit geöffnete Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)